Botschafter oder Verkäufer?

Lesezeit: 11 Minuten
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by Josua Hunziker | 03. Jan. 2021 | 7 comments

Was wäre eine Botschaft, die sich von den Werten und der Ver­fas­sung des Heimat­landes los­sagt? Ein Botschafter, der für ein gün­stiges Ent­gelt wert­lose, gefälschte Pässe sein­er Heimat vergibt, nur um dem Vor­wurf der Aus­gren­zung und Exk­lu­siv­ität zu ent­ge­hen? Der die eigene Lan­des­flagge nicht mehr hisst, aus ange­blichem Respekt vor lokalen Befind­lichkeit­en? Als Chris­ten sind wir Botschafter an Christi statt. Dazu muss auch gehören, Flagge zu zeigen und für die Werte und Ver­fas­sung unser­er himm­lis­chen Heimat einzuste­hen. Auch wenn diese mal unpop­ulär sind.

Tehran, 13. Dezem­ber 2020. Im Iranis­chen Aussen­min­is­teri­um brodelt es gewaltig, die Luft ist dick. Grund für die Ver­stim­mung ist eine offizielle Mit­teilung des Deutschen Auswär­ti­gen Amtes, welche die tags zuvor vol­l­zo­gene Hin­rich­tung des regierungskri­tis­chen Blog­gers und Jour­nal­is­ten Ruhol­lah Sam scharf kri­tisiert und die iranis­che Regierung expliz­it dazu auf­fordert, “alle poli­tis­chen Gefan­genen freizu­lassen und weit­ere Todesstrafen wed­er zu ver­hän­gen noch zu voll­streck­en”. Keine Botschaft, die beim Iran beson­ders gut ankommt. Unverzüglich wird der deutsche Botschafter Hans-Udo Muzel im iranis­chen Aussen­min­is­teri­um wegen “inakzept­abler Ein­mis­chung” in Irans “Innere Angele­gen­heit­en” einbestellt — es ist nicht zu erwarten, dass bei diesem Tre­f­fen in Kaf­feekränzchen-Atmo­sphäre Net­tigkeit­en aus­ge­tauscht wur­den. Eine unan­genehme Sit­u­a­tion für den offiziellen Vertreter der deutschen Bun­desregierung. Doch das gehört für einen Botschafter nun mal zum Beruf­s­risiko.

Zugegeben, ich stelle mir den Job eines offiziellen Botschafters als dur­chaus span­nend vor. Man wird in ein fremdes Land und eine unter Umstän­den unbekan­nte Kul­tur entsandt mit dem Auf­trag, die Inter­essen und Werte des Heimat­landes zu vertreten und zu repräsen­tieren. Man baut Brück­en, wirbt für Ver­ständ­nis und fädelt im Opti­mal­fall frucht­bare inter­na­tionale Koop­er­a­tio­nen ein. Unzäh­lige Empfänge, Apéros und offizielle Ver­anstal­tun­gen inklu­sive. Doch wenn grund­sät­zlich unter­schiedliche Wertvorstel­lun­gen aufeinan­der­prallen, kann die Posi­tion des Botschafters auch eine unan­genehme sein — es ist mit zügigem Gegen­wind zu rech­nen. In solchen Sit­u­a­tio­nen gilt: Ruhe bewahren, Rück­grat zeigen und für die Werte und Hal­tun­gen des Vater­lan­des ein­ste­hen. Denn diesem ist der Botschafter schliesslich verpflichtet, ja, er lei­ht sein­er Heimat buch­stäblich sein Gesicht und lässt auch ein­mal eine Schimpfti­rade über sich ergehen.

Britis­che Botschaft in Berlin. Bild: iStock

Wer ist Jesus?

In einem kür­zlich veröf­fentlichen Inter­view greift der bekan­nte The­ologe und Evan­ge­list Ulrich Parzany einige “heisse Eisen” auf — Fra­gen, die uns bei Daniel Option schon seit Beginn beschäfti­gen und umtreiben:

Wer ist Jesus? Das ist eine der heißesten Fra­gen über­haupt. Viele sagen, die Schrift­frage sei ja nicht so wichtig, Haupt­sache, wir glauben alle an Jesus. Doch genau das ist die Frage: Wer ist Jesus? Ist es der, der in den Evan­gelien bezeugt wird? Hat er das gesagt, was dort geschrieben ste­ht? Hat er getan, was dort geschrieben ste­ht? Was bedeutet seine Kreuzi­gung? Seine Aufer­ste­hung? Oder ist das alles, wie in Teilen der his­torisch-kri­tis­chen Bibelausle­gung gesagt wird, „Gemein­de­bil­dung“, die man selek­tiv betra­cht­en muss? Jesus Chris­tus verkommt dadurch zu ein­er Leer­formel, die jed­er beliebig füllen kann. Damit ist das Fun­da­ment der Kirchen und Gemein­schaften berührt. (Ulrich Parzany im “Pro Medi­en­magazin”, 22.12.2020)

Diese Worte erzeugten bei mir eine unheim­liche Res­o­nanz: “Genau das ist es!”, fuhr es mir durch den Kopf: “Die Frage nach der Per­son von Jesus und der Ver­lässlichkeit der Über­liefer­ung sein­er Tat­en und Worte ste­ht über und hin­ter allen Fol­ge­fra­gen, mit welchen wir uns als Chris­ten heute kon­fron­tiert sehen.”

Wir haben uns auf Daniel Option in den let­zten 15 Monat­en über eine Band­bre­ite an The­men geäussert: Ehe für Alle, Abtrei­bung, Sex­u­alethik, eth­nis­che und kul­turelle Vielfalt, Ökolo­gie und Umweltschutz, Tol­er­anz, das bib­lis­che Frauen­bild, Pan­demie-Äng­ste und Ver­trauen, das Ver­hält­nis von Wahrheit und Macht und viele mehr. Mit der umfassenden “DNA”-Serie haben wir zu Beginn des Jahres 2020 einen Ver­such gewagt, die einzi­gar­ti­gen Merk­male des Chris­ten­tums über alle Zeit­en her­auszuar­beit­en. Ein gross­es Sam­mel­suri­um an Ansicht­en und Ein­sicht­en ver­schieden­ster Autoren, kön­nte man meinen. Doch hin­ter der Bear­beitung all dieser Fra­gen und The­men ste­ht das uns eini­gende, grundle­gende Glaubens­beken­nt­nis: Wir glauben an Jesus Chris­tus, wie er sich durch die Bibel offen­bart. Der Jesus der Bibel ist der Jesus, den wir verkündi­gen wollen. Der Jesus der Bibel ist der Jesus, den wir im heuti­gen Kon­text unser­er Kul­tur greif­bar machen möcht­en. Wir zählen uns zum “Peo­ple of the Book”.

Mexikanis­che Botschaft in Prag. Bild: iStock

Abschreckende Debatten?

Neb­st vie­len pos­i­tiv­en Reak­tio­nen auf unsere teil­weise dur­chaus stre­it­baren Artikel, kam uns auch immer wieder kri­tis­ch­er Gegen­wind ent­ge­gen: “Ihr wirbelt unnötig Staub auf”, hiess es dann. Und: “Dem Grossteil der Gesellschaft um uns herum sind unsere inner­christlichen, the­ol­o­gis­chen Debat­ten völ­lig egal. Warum konzen­tri­eren wir uns nicht bess­er alle gemein­sam darauf, die Leute mit Jesus bekan­nt zu machen?”

Nun — genau hier liegt der sprin­gende Punkt: Mit welchem Jesus denn? Mit welchem Jesus machen wir die Men­schen bekan­nt, wenn wir gle­ichzeit­ig die Ver­lässlichkeit der Schrift in Frage stellen? Zu welchem Jesus wen­den sich die Men­schen hin, wenn sie ein Evan­geli­um präsen­tiert erhal­ten, welch­es von allen Eck­en und Kan­ten “befre­it”, fein säu­ber­lich geschlif­f­en und poliert daher kommt? Noch ein­mal Ulrich Parzany dazu:

“Ihr glaubt an die Bibel, wir glauben an Jesus.” Was für ein Satz! Die Frage ist natür­lich: An welchen Jesus glaub­st du, wenn du der Heili­gen Schrift nicht ver­traust? Das ist die Kern­frage. Mich macht es inzwis­chen zornig, wenn dieser Satz bei from­men Leuten zitiert wird und natür­lich Ein­druck schin­det. Alle nick­en reflexar­tig, denn natür­lich glauben wir an Jesus, wir beten zu Jesus, nicht zur Bibel. Das Ver­trauen zur Heili­gen Schrift aber ermöglicht uns den Zugang zu Jesus Chris­tus. Die Bibel ist das Doku­ment der Offen­barung. Und wenn das, was in den Evan­gelien über Jesus ste­ht, nicht stimmt, ja dann ist der Glaube an Jesus eine Leer­formel, wie Paulus in 1. Korinther 15 gesagt hat, dann ist der Glaube leer. Und wir sind Lügn­er, „die elen­desten unter allen Men­schen“. (Ulrich Parzany im “Pro Medi­en­magazin”, 22.12.2020)

Man kön­nte auch fra­gen: Was für ein Botschafter wäre Hans-Udo Muzel gewe­sen, hätte er sich bei der Einbestel­lung ins iranis­che Aussen­min­is­teri­um um die Worte sein­er Regierung geschert? Wie hätte er seine Heimat repräsen­tiert und vertreten, wenn er im Gespräch mit den iranis­chen Diplo­mat­en die Ver­lässlichkeit der offiziellen Mit­teilung der deutschen Bun­desregierung in Frage gestellt oder gar als Fälschung dargestellt hätte? Ihr vielle­icht einen metapho­rischen Wert zuge­sprochen hätte, jedoch die Sicht der deutschen Regierung als längst nicht so scharf und schon gar nicht kon­fron­tierend wiedergegeben hätte? Wahrschein­lich wäre das Gespräch für ihn etwas angenehmer ver­laufen. Doch wäre eine solche Aus­sage des Botschafters an die Öffentlichkeit gelängt, wäre Herr Muzel ganz sich­er umge­hend seines Amtes enthoben wor­den. Es ist nicht die Auf­gabe eines Botschafters, die Hal­tung sein­er Regierung gegenüber dem Gast­land in Frage zu stellen oder zu relativieren.

Ich möchte damit keines­falls das Wirken Jesu und seine per­sön­liche Offen­barung auch in unser­er Zeit in Frage stellen: Als Leitungsmit­glied ein­er Pfin­gst­ge­meinde bin ich vom Wirken des Heili­gen Geistes und seinem per­sön­lichen Reden zu uns überzeugt. Ich erachte diese sog­ar als ganz wichti­gen, grundle­gen­den Bestandteil des Glaubenslebens jedes Chris­ten. Doch misst sich diese per­sön­liche Offen­barung immer auch an der Schrift, genau­so wie sich die Äusserung eines Regierungsmit­glieds immer an den schriftlichen Dekreten ein­er Regierung wird messen müssen.

Griechis­che Botschaft in Bel­grad. Bild: iStock

Vorwärts oder rückwärts?

Hin­ter vie­len Fra­gen, was denn die Kirche tun oder lassen sollte, wozu sie Stel­lung beziehen sollte, wo sie kon­stant bleiben sollte und wo gesellschaftlichen Entwick­lun­gen Rech­nung getra­gen wer­den muss — hin­ter all diesen Fra­gen stellt sich die Frage nach dem Selb­stver­ständ­nis der Kirche. Wozu sind wir gerufen? Wozu sind wir gesandt? (Und mit „Kirche“ denke ich hier nicht primär an eine oder mehrere Insti­tu­tio­nen, son­dern an die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen und somit let­ztlich an jeden Chris­ten ganz persönlich.)

Beste­ht unser Auf­trag primär darin, möglichst viele Men­schen mit einem möglichst attrak­tiv „ver­pack­ten“ Jesus in Berührung zu brin­gen und sie „zum Glauben zu lock­en“? Oder rin­gen wir um eine möglichst treue Repräsen­ta­tion und Verkündi­gung des his­torischen, men­schge­wor­de­nen, gekreuzigten, aufer­stande­nen, allmächti­gen, im Him­mel regieren­den Gottes­sohns mit all seinen unbe­que­men Aspek­ten? Sind wir Botschafter des Evan­geli­ums, oder sind wir dessen Verkäufer?

Ein Verkäufer hat genau ein Ziel: Verkaufen. So viel wie möglich. Poten­ziellen Kun­den wird das Pro­dukt so schmack­haft wie möglich gemacht. Sie wer­den umwor­ben und bear­beit­et. Und wenn sich die Mark­tbedürfnisse verän­dern, dann speist ein guter Verkäufer das in die Organ­i­sa­tion zurück und die Pro­duk­t­palette wird entsprechend angepasst. Vanille-Joghurt läuft nicht mehr so gut? Dann machen wir Avo­ca­do-Shakes, das liegt voll im Trend. Die Kund­schaft goutiert einen hohen Zuck­erge­halt nicht mehr wie früher? Dann lass uns doch die Zuck­er­menge reduzieren (und die Reduk­tion aus­führlich als grossen Schritt für die Men­schheit bewer­ben). Ach, Milch­pro­duk­te an sich ste­hen in der Kri­tik? Dann sat­teln wir halt eben auf Soja- und Hafer­pro­duk­te um. Der Kunde ist König.

Ein­er der welt­grössten Konz­erne, Ama­zon, hat alle Pro­dukt-Entwick­lung­sprozesse nach dem “Work­ing Backwards”-Prinzip designed: Starte mit dem Prob­lem des Kun­den und arbeite dich “rück­wärts” ein­er Lösung des Prob­lems und Befriedi­gung des Kun­denbedürfniss­es ent­ge­gen. Durch per­sön­lichen Kon­takt mit Mitar­beit­ern aus den Ama­zon Pro­duk­tabteilun­gen weiss ich, dass das in der Fir­ma sehr kon­se­quent so gelebt wird. Der kome­ten­hafte Auf­stieg des Konz­erns in den ver­gan­genen 20 Jahren gibt dem Ansatz wohl recht — die sprich­wörtliche “Cus­tomer Obses­sion” ver­bun­den mit einem Kun­denbedürf­nis-ori­en­tierten Ansatz im Pro­duk­t­de­sign hat Ama­zon ein gigan­tis­ches Wach­s­tum beschert.

Ein Botschafter hinge­gen arbeit­et immer “vor­wärts”. Er ist in erster Lin­ie den Prinzip­i­en, Hal­tun­gen und Werten seines Heimat­landes verpflichtet. Natür­lich: Man schlägt kul­turelle Brück­en und ord­net sich, so gut es geht, in die kul­turellen Gegeben­heit­en des Gast­landes ein. Um Ver­ständ­nis für die Hal­tun­gen des Heimat­landes wirbt es sich bess­er, wenn dies mit den lokalen Gepflo­gen­heit­en verknüpft wird. Doch die Assim­i­la­tion geht immer nur so weit, wie keine Kern­werte der Heimat ver­let­zt wer­den: So scheint es mir z.B. selb­stver­ständlich, dass auch lokale Hau­sangestellte in Schweiz­er Botschaften nicht aus­ge­beutet und fair bezahlt wer­den — selb­st wenn das in der lokalen Wirtschaft­skul­tur keines­falls der Nor­mal­fall ist.

Wie arbeit­en wir als Kirchen? Vor­wärts oder rückwärts?

Mon­golis­che Botschaft in Berlin. Bild: iStock

Was die Kirche attraktiv macht

Meines Eracht­ens gibt es nur eine Antwort auf obige Frage: Selb­stver­ständlich arbeit­en wir vor­wärts. Wir starten beim Schöpfer, beim Ursprung, bei Chris­tus selb­st. Durch die Offen­barung der Schrift und die Hil­fe des Heili­gen Geistes sind wir befähigt, ihn, den Senden­den, best­möglich zu repräsen­tieren. Wir wer­ben um Ver­ständ­nis für die Inter­essen seines Reich­es, ja, wir laden sog­ar alle Men­schen dazu ein, Bürg­er dieses Reich­es zu wer­den. Und natür­lich nehmen wir die Bedürfnisse unser­er Mit­men­schen wahr und reagieren darauf, haben wir doch eine gute Botschaft, welche die Bedürfnisse des Men­schen im Inner­sten trifft und stillt. Wir bleiben dabei dem Gott der Bibel, sein­er Hal­tung und seinem Wort verpflichtet — selb­st wenn uns selb­st vielle­icht der eine oder andere Aspekt daraus nicht schmeckt. Selb­st wenn wir dafür vielle­icht auch mal öffentlich “einbestellt” wer­den und den einen oder anderen medi­alen Shit­storm über uns erge­hen lassen müssen. (Zugegeben: Im Gegen­satz zu einem echt­en Shit­storm ist der Ton­fall bei ein­er offiziellen Einbestel­lung dann vielle­icht doch wieder näher bei der Kaffeekränzchen-Atmosphäre.)

Ich bin überzeugt, dass wir uns Wach­s­tum durch unsere diversen Strate­gien zur Steigerung der Attrak­tiv­ität der Kirche gut durch­denken müssen. Es ist und bleibt ein schmaler Grat, gute kul­turelle Kon­tex­tu­al­isierung zu betreiben, ohne die Grundw­erte der Heimat über Bord zu wer­fen. Dafür brauchen wir Fin­ger­spitzenge­fühl. Und die Leitung des Heili­gen Geistes. Kirche darf ruhig auch anstös­sig sein, kantig und quer in der Land­schaft der Poli­tis­chen Kor­rek­theit. Kurzfristige Sym­pa­thiepunk­te und Wach­s­tum erkaufen wir uns son­st schnell auf Kosten von langfristiger Pro­fil­losigkeit sowie kul­tureller und geistlich­er Irrelevanz.

Dazu gefällt mir ein schon etwas älter­er Tweet von Johannes Hartl:

Ich kann die Frage nicht mehr hören, was Kirche tun müsse, um attrak­tiv zu wer­den. Es gibt genau eins, das attrak­tiv an Kirche ist: die Gegen­wart Jesu. Wo tat­säch­lich sein Wort geglaubt, gebetet, gefastet und sein­er Kraft konkret ver­traut wird, ist auch Kraft da. Wo das Evan­geli­um durch poli­tisch nette Gemein­plätze erset­zt wird, die nie­man­dem wehtun, wo nicht gebetet wird, wo nicht mehr an Wun­der geglaubt wird, wo für keine klare bib­lis­che Botschaft mehr einge­s­tanden wird, muss man sich nicht wun­dern, wenn keine Kraft mehr spür­bar ist. (Johannes Hartl auf Twit­ter, 20. Juni 2019)

Und Hartl meint hier bes­timmt nicht ein­fach irgend einen beliebi­gen Jesus, der dich in erster Lin­ie total annimmt und liebt, dich auf dein­er spir­ituellen Reise coacht und gute Tips für ein gelun­ge­nes Leben parat hat. Vielmehr ist er davon überzeugt, dass eine gesunde, bibel­treue Lehre über Jesus, eine gesunde Chris­tolo­gie, die Grund­lage aller weit­eren ethis­chen und kul­turellen Stand­punk­te der Kirche sein wird:

Alle frühkirch­lichen Konzilien han­del­ten von der Chris­tolo­gie. Denn mit der Lehre über Jesus Chris­tus entschei­det sich alles weit­ere. Und nein, darum zu rin­gen, ist nicht Arro­ganz oder Besser­wis­serei, son­dern wir wer­den im NT expliz­it dazu aufge­fordert (vgl. 2 Joh 4–7; Kol 2:8f; 2 Tim 4:2 etc.) […] Christliche The­olo­gie muss dem Gesamtzeug­nis der Heili­gen Schrift gerecht wer­den. […] Ist die Chris­tolo­gie erst ein­mal schräg, wird alles andere auch schräg. (Johannes Hartl in “Abschied von einem Lehrer” am 27.04.2020)

Eine Chris­tolo­gie, welche sich nicht auf die ver­lässliche Autorität der Heili­gen Schrift stützt, hat keine Kraft. Sie macht auf den ersten Blick attrak­tiv­er und ein­laden­der. Doch zer­stört sie die Essenz dessen, wofür sie eigentlich ste­ht: Die Botschaft des men­schge­wor­de­nen Gottes­sohns. Aus ein­er fehlgeleit­eten Chris­tolo­gie erwächst eine Kirche, welche die Sünde nicht mehr als Prob­lem und die Erlö­sung nicht mehr als notwendig erachtet. Eine Kirche, welche die Scham der Men­schen nicht ernst nimmt, weil sie diese durch ein saloppes “Aber du hast doch gar keinen Grund, dich zu schä­men” wegzuwis­chen ver­sucht. Eine Kirche, welche in den Ruf der Gesellschaft nach gren­zen­los­er Selb­st­bes­tim­mung um des Friedens willen akzep­tiert und es nahezu aufgegeben hat, sich für die Rechte von tausenden von unge­bore­nen Kindern einzuset­zen. Eine Kirche, welche die hohe bib­lis­che Sicht der Kör­per­lichkeit nicht mehr her­vorhebt und sich lieber dem Druck der gesellschaftlichen Entwick­lun­gen beugt. Eine solche Kirche mag vielle­icht attrak­tiv erscheinen, mag gesellschaftliche Akzep­tanz erleben und wach­sen. Doch wird sie ihres Amtes als Botschafter an Christi statt nicht mehr gerecht. Sie wird an Kraft ver­lieren, so wie kraft­los gewor­denes Salz. Oder, wie der Pub­lizist Bern­hard Meuser es tre­f­fend auf den Punkt gebracht hat:

Die Gesellschaft schre­it ger­ade nach dem prophetis­chen Dienst der Kirche. Was aber macht die? Sie macht es wie Jona. Schifft sich ein nach Tarschisch. Sie hat aber einen Job in Ninive. Eine Kirche, die aus Pop­ulis­mus ihren prophetis­chen Dienst ver­weigert und dem Gott des Lebens entkom­men möchte, wird wie Jona über Bord gewor­fen. Sie wird schw­er­er als die sie umgeben­den Wass­er hin­ab­sinken in das Meer des Vergessens, wird ver­schluckt wer­den von der öffentlichen Mei­n­ung. Weil sie aber unver­daulich ist, wird sie am näch­sten Strand wieder aus­ge­spuckt wer­den. Sie wird so lange mit Irrel­e­vanz bestraft sein, bis sie um des Wohles der großen Stadt willen aus­gerichtet hat, was zu sagen ihr aufer­legt ist. (Bern­hard Meuser im Inter­view mit der Tage­s­post, 14.10.2020)

Nige­ri­an­is­che Botschaft im Vatikan, Rom. Bild: iStock

Welchen Jesus verkündigen wir?

Man möge mich nicht missver­ste­hen: Ich bin abso­lut dafür, dass wir unsere Kräfte nicht mit “inter­nen” Debat­ten und Reibereien ver­schwen­den soll­ten. Dass wir uns mit vere­in­ten Kräften dafür ein­set­zen, dass möglichst viele Men­schen zu Jesus Chris­tus find­en. Doch die Frage bleibt: Zu welchem Jesus? Zu einem all-lieben­den, all-umfassenden, unanstös­si­gen und gren­zen­los akzept­ablen Jesus? Oder zum Jesus, der trotz (oder ger­ade wegen) sein­er umfassenden Annahme auch mal zornig wird, seine treusten Fre­unde vor den Kopf stösst und zu ein­er guten Güter­ab­wä­gung zum Preis der Nach­folge aufruft? Zum Jesus, der die von ihm über alles geliebte Men­schheit als so hoff­nungs­los ver­loren ein­schätzt, dass er sich frei­willig dem Tod unter­wirft um sie zu erret­ten? Zum Gott, der es für sich in Anspruch nimmt, uns und unsere Bedürfnisse bess­er zu ken­nen als wir selb­st? Und uns darum die eine oder andere väter­liche Weisung mit auf den Lebensweg gibt?

Auch ich habe meine Mühe mit manchen Aspek­ten des Evan­geli­ums. Auch ich werde immer wieder von der Bibel in meinem Selb­st- und Weltver­ständ­nis kon­fron­tiert. Manche Kröten sind schw­er zu schluck­en. Doch das ändert nichts an mein­er Beru­fung zum Botschafter und Gesandter von Christus:

So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermah­nt durch uns; so bit­ten wir nun an Christi statt: Lasst euch ver­söh­nen mit Gott! Denn er hat den, der von kein­er Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit wür­den, die vor Gott gilt. (Die Bibel, 2. Korinther 5,20)

Wir sind gerufen und gesandt, die Men­schen zur Umkehr und Ver­söh­nung zu rufen. Mit dem Gott, der Him­mel und Erde erschaf­fen hat. Mit dem Gott Abra­hams, Isaaks und Jakobs. Mit dem Gott der Men­sch wurde, durch eine Jungfrau geboren. Dem Chris­tus der gekreuzigt wurde und am drit­ten Tag aufer­stand. Der durch seinen Tod und seine Aufer­ste­hung unsere Sün­den ver­gab und uns mit dem Vater ver­söh­nt hat. Der in den Him­mel aufge­fahren ist und zur Recht­en des Vaters sitzt und regiert. Kurz: Mit dem Gott, der von Chris­ten seit Jahrtausenden im Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis bekan­nt wird. Und mit dem Jesus, der selb­st immer und immer wieder die Autorität der Heili­gen Schrift betont und gelehrt hat.

Was wäre eine Botschaft, die sich von den Werten und der Ver­fas­sung des Heimat­landes los­sagt? Ein Botschafter, der für ein gün­stiges Ent­gelt und ohne Ein­bürgerungsver­fahren wert­lose Pässe sein­er Heimat vergibt, nur um dem Vor­wurf der Aus­gren­zung und Exk­lu­siv­ität zu ent­ge­hen? Der die eigene Lan­des­flagge nicht mehr hisst, aus ange­blichem Respekt vor lokalen Befind­lichkeit­en? Er wäre es nicht mehr wert, „Botschafter“ genan­nt zu wer­den. Und die Botschaft als Insti­tu­tion gin­ge als gesicht­slos­es amtlich­es Dien­stleis­tungszen­trum auf im Sys­tem der Gast­na­tion. Beliebt vielle­icht. Aber auf kuriose Art und Weise kom­plett irrelevant.

Wie gute Botschafter wollen wir Wege find­en, unsere Heimat treu und für unser Umfeld ver­ständlich zu repräsen­tieren. Wir wollen einge­hen auf die Kul­tur in der wir leben und ihr Wege eröff­nen, die Botschaft von Jesus zu hören und mit ihrer Lebenswelt zu verknüpfen. Wir wollen Men­schen den Weg aufzeigen, im Inner­sten frei und Bürg­er ein­er neuen Nation zu wer­den. Dazu brauchen wir Demut, Geduld und Tol­er­anz. Dazu brauchen wir alle Ergänzung und Kor­rek­tur, ein Rin­gen um ein möglichst treues Ver­ständ­nis unser­er Heimat und ihrer Werte. Und dann und wann auch mal ein dick­es Fell, wenn wir wegen unser­er Hal­tun­gen und den daraus fol­gen­den “inakzept­ablen Ein­mis­chun­gen in die inneren Angele­gen­heit­en” unser­er Gesellschaft auch mal zum Shit­storm einbestellt wer­den. Das gehört für einen Botschafter nun mal zum Beruf­s­risiko.

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Josua Hunziker

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Kommentare zu diesen Beitrag

7 Comments

  1. Manfred Reichelt

    Das Zen­trum des christlichen Glaubens ist der Glaube an die Aufer­ste­hung Jesu: “Ist Chris­tus aber nicht aufer­standen, so ist euer Glaube nichtig”. Glaube ist Ver­trauen. Das Ver­trauen ins Unbekan­nte wird schwach sein, wenn es nicht durch überzeu­gende Argu­mente gestützt wird. Dazu kann die Bibel dienen, aber auch ablenken (wenn es um alle möglichen Bibel­stellen geht, die nicht unmit­tel­bar mit der Todüber­win­dung zu tun haben).
    Glaube aber ist nicht ein­fach ein Abnick­en mit dem Kopf, son­dern vor allem das Erre­ichen ein­er neuen Leben­squal­ität durch die Auflö­sung falsch­er See­len­in­halte und der Erfül­lung mit der Wahrheit, die im lebendi­gen Prozess der Heili­gung immer mehr erkan­nt wird.
    Was man heute unter “Glauben” ver­ste­ht ist in den meis­ten Fällen nichts als “Schrift­gelehrsamkeit” nach der einen oder anderen Seite. Zum wirk­lichen “Glauben” wird man kaum angehalten.
    https://manfredreichelt.wordpress.com/2016/04/23/die-taegliche-erhoehung-der-lebensqualitaet/

    Reply
  2. Michael Kämpf

    Viele Dank für das inter­es­sante Bild: Botschafter oder Verkäufer. Ich frage mich jedoch — ger­ade beim Zitat Parzanys — geht es hier wirk­lich um die Frage “welchen Jesus?”. Parzany wird zornig, wenn die Aus­sage “glauben an Bibel vs. Jesus” gemacht wird. Da kann ich mich anschliessen, aber wahrschein­lich genau 180 Grad ander­sherum. Die Aus­sage “zu welchem Jesus führen wir die Leute?” wird immer wieder ins Gespräch geführt — beson­ders von der kon­ser­v­a­tiv, evan­ge­likal oder fun­da­men­tal­is­tisch geprägten Seite. Das Grund­prob­lem ist doch, dass zwis­chen den Beken­nt­nis­sen zur Bibel und zu Jesus eine Art tau­tol­o­gis­che Wech­sel­beziehung beste­ht. Ich (als Kind des christlich geprägten West­ens) kann an keinen Jesus glauben, ohne die Bibel als Grund­lage dafür zu nehmen. Gle­ichzeit­ig sehe ich aus der Bibel keine Heil­snotwendigkeit, an die Schrift zu glauben, son­dern nur allein an den Namen Jesu. Was tun wir jet­zt damit? Behelfen wir uns ein­mal mit dem Satz “Ich glaube an den Jesus der Bibel”. Aber welch­er Bibel? Wie Heinz Etter im ersten Kom­men­tar so gut ange­merkt hat “Wer hat die Deu­tung­shoheit über die Bibel?” Die Frage “zu welchem Jesus führen wir die Leute?” (wusste nicht, dass es mehrere sote­ri­ol­o­gisch wertvolle “Jesuse” gibt) kön­nte also genau­so gut laut­en “an welche Bibel glaub­st du?” bzw. “wie glaub­st du an die bzw. der Bibel?” — das ist doch die span­nende Frage, weil durch die Brille, wie du die Bibel ver­stehst, wirst du zwangsläu­fig auch Jesus verstehen.

    Jet­zt wird mehrmals im Artikel davon gere­det, dass ein Jesus, der sich nicht auf die “Autorität der Heili­gen Schrift” grün­det, ein sin­nentleert­er Jesus ist. Da bin ich auch ein­ver­standen — unbe­d­ingt! Aber wer definiert, wie die Heilige Schrift autori­ta­tiv ist (das “wie” ist doch entschei­dend)? Wer ist Gen­eralex­eget? Ver­ste­he ich die Bibel wie Geri Keller & Bill John­son? Wie Siegfried Zim­mer & Thorsten Dietz? Wie John McArthur & Michael Kotsch? Wie Wolf­gang Sim­son oder wie Tor­ben Sondergaard?

    Die Frage nach “welchem Jesus” ist — wenn man Jesus und die Bibel nicht unter­schei­den darf — immer auch die Frage nach “welche Bibel” bzw. “welch­es Bibelver­ständ­nis”. Aber genau dieser Zusam­men­hang darf uns nicht dazu ver­leit­en, Men­schen, die ein anderes Bibelver­ständ­nis und somit logis­cher­weise auch ein anderes Bild von Jesus haben, vorzuw­er­fen, dass ihr Jesus falsch, sin­nentleert oder (wie in gewis­sen Kreisen) dämonisch ist. Die katholis­che Kirche sagte einst “Es gibt kein Heil ausser­halb der Kirche”. Wir in Evan­ge­likalien soll­ten uns davor hüten zur Aus­sage “Es gibt kein Heil ausser­halb meines Bibelver­ständ­niss­es” zu kommen.

    Wir sind Botschafter Jesu — aber wir sehen wohl ver­schiedene Facetten dieses Jesus, genau­so wie ein Parteim­it­glieder der SP die Schweiz als Botschafter/in anders vertreten würde, als ein SVP Mit­glied — aber sie vertreten die gle­iche Schweiz. Und nur weil ihre Parteien anders heis­sen, hat sich die Schweiz nicht verän­dert, im Gegen­teil, sie bietet eben Platz für bei­de Polar­itäten, sie beste­ht ger­adezu aus diesen Polar­itäten. Ist das nicht wun­der­voll? Die Iden­tität oder Integrität der Schweiz wird nicht ange­tastet durch eine (mehr oder weniger) ein­seit­ige Repräsentation.

    Und genau hier macht es mich wütend, wenn Men­schen davon reden, dass “ein ander­er Jesus” verkündigt wird. Es gibt keinen anderen Jesus! Die Frage “zu welchem Jesus…” ist für mich sinn­los, weil sie für mich unge­fähr so sin­nvoll ist wie die Frage an den Schweiz­er Botschafter “Welche Schweiz vertreten sie?” Es gibt nur eine Schweiz. Es gibt ver­schiedene Ansicht­en, wie die Schweiz ausse­hen sollte und gewisse wider­sprechen der­art der Schweiz­er Iden­tität (bspw. wenn sie von Kom­mu­nis­ten oder Recht­sna­tion­al­is­ten beschrieben wird), dass man sagen darf “Das ist keine existierende Schweiz”. Aber die Frage “wie sehen sie die Schweiz?” ist richtig und wichtig. Das wäre für mich, über­tra­gen, die sin­nvollere Frage “Wie ver­stehst du die Bibel?” Das Bibelver­ständ­nis ist Sub­jekt meines Ver­ste­hens und wird davon bee­in­flusst — Jesus ist niemals Sub­jekt meines Ver­ste­hens er ist davon nicht bee­in­flusst. Mein Bild von ihm ist davon bee­in­flusst und dementsprechend verz­er­rt (und das ist bei uns allen so), aber er selb­st nicht. Und hier kann/darf/muss ich mich darauf ver­lassen, dass er durch meine Unfähigkeit, ihn so zu erken­nen wie er wirk­lich ist, trotz­dem sou­verän durch mich arbeit­en kann und Men­schen zu sich zieht — Men­schen ins Reich Gottes zu ziehen ist nicht die Vision der Jünger, und Jesus klinkt sich ein, wenn er das Gefühl hat, richtig repräsen­tiert zu wer­den, son­dern es ist Seine Vision, und ich klinke mich ama­teurhaft darin ein. Es ist das heilige Geheim­nis Gottes in irdis­chen, zer­broch­enen Gefässen. Es ist der Sohn Gottes/ Gott selb­st — geboren in einem Stall neben Eselsmist und gelegt in eine von den Tieren versab­berte Futterkrippe.

    Aus unser­er Sicht sind wir Botschafter Jesu “wegen” unseres Bibelver­ständ­niss­es, weil wir Jesus auf die, nach unseren Ver­ste­hens­be­din­gun­gen geart­ete, “Autorität der Heili­gen Schrift” stellen. Aber ich glaube aus Jesu Sicht sind wir immer wieder auch Botschafter Jesu “trotz” unseres Bibelver­ständ­niss­es. Das sollte uns in all unserem Denken bewusst sein und uns demütig gegenüber unseren Brüdern und Schwest­ern machen, die densel­ben Jesus anders repräsen­tieren, denn wie Paulus schon sagte “so oder so, die Botschaft Jesu wird verkündigt”.

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    • Josua Hunziker

      Besten Dank für deine aus­führlichen Gedanken, Michael! Ich gebe dir völ­lig recht: In der Frage der Bibelin­ter­pre­ta­tion wird es immer eine Band­bre­ite geben. Und ich bin mit dir überzeugt, dass dieses Spek­trum etwas Wertvolles ist! Wer sich sich­er ist, die let­zte Deu­tung­shoheit über Jesus gefun­den zu haben, ist schon mit grösster Sicher­heit auf dem Holzweg. Wenn ich die dur­chaus plaka­tive Frage “zu welchem Jesus führen wir die Men­schen?” stelle, dann meine ich damit “Wie stellst du Jesus dar und worauf beruf­st du dich dabei?” oder, wie du es sagst “Wie siehst du Jesus? Wie ver­stehst du die Bibel und was sie über Jesus aussagt?”

      Die Prob­lematik, welche ich im Artikel beleucht­en will, ist diese: Ich beobachte eine Ten­denz, Jesus von der Offen­barung der Schrift zu lösen bzw. “meine per­sön­liche heutige Offen­barung” gegenüber der Offen­barung der Schrift auszus­pie­len. Jesus “gesellschafts­fähiger” zu repräsen­tieren. Das erachte ich als eine Mogel­pack­ung: Ich nenne mich weit­er­hin “christlich” und “Kirche”, betra­chte aber die Bibel als höch­stens gle­ich­w­er­tig zu aktueller Forschung und gesellschaftlichem Werte-Kon­sens. Und wenn sie sper­rige Aus­sagen macht, wis­che ich diese mit dem Hin­weis weg, dass diese Sper­rigkeit dem dama­li­gen his­torischen Kon­text geschuldet sind.

      Die Frage ist also: Habe ich die Demut, mich der Autorität des Wortes zu unterord­nen? Sein­er Sper­rigkeit, sein­er Eigen­schaft, nie so richtig in die gesellschaftlichen Nor­men zu passen? Und das Ver­lan­gen, meine eige­nen Präferen­zen den guten Geboten und Weisun­gen, welche in der Bibel ver­bürgt sind, zu unter­stellen? Im Wis­sen, dass mein Ver­ständ­nis davon nie 100%ig akku­rat sein wird, aber trotz­dem nach bestem Wis­sen und Gewissen?

      So wie jed­er Botschafter seine eigene poli­tis­che Gesin­nung hat und immer auch seine eigene Sicht der Heimat, so wird es auch immer ein Spek­trum des Bibelver­ständ­niss­es geben und das ist gut so. Wenn aber ein Botschafter aufhört sich zu bemühen, den Werte-Kon­sens sein­er Heimat über­haupt ver­ste­hen zu wollen und über seine eigene poli­tis­che Mei­n­ung zu stellen, dann habe ich meine Bedenken. Und wenn er die Werte sein­er Heimat absichtlich “beschönigt” und den Befind­lichkeit­en des Gast­landes anpasst, um nicht anzueck­en oder Sym­pa­thiepunk­te zu gewin­nen, sind wir defin­i­tiv beim Verkäufer ange­langt. Das ist etwas anderes, als wenn sein ehrlich­es Bemühen, die Werte der Heimat zu vertreten, immer durch seine per­sön­liche poli­tis­che Fär­bung und Werthal­tung bee­in­flusst wer­den wird. Das ist unauswe­ich­lich. Kein Men­sch kann ein Land oder Gott oder Jesus in ganz­er Fülle ver­ste­hen und adäquat repräsentieren.

      Darum geht es mir bei diesem Ver­gle­ich (der, wie alle Ver­gle­iche, die The­matik nicht in ihrer ganzen Kom­plex­ität zu erfassen mag).

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      • Michael Kämpf

        Danke für die rasche Reak­tion :). Ich finde es span­nend, dass das Grun­dan­liegen, welch­es ja auch in unser­er Gesellschaft gross ist — sich nicht für jeman­den oder etwas ver­biegen zu müssen, also “echt” sein” — auch im christlichen Lager bran­dak­tuell ist. Ich bin auch der Mei­n­ung, dass man die Schrift ihr Wort sagen lassen muss und sie nicht zu beschöni­gen oder “verbessern” braucht. Auch soll sie immer ein kri­tis­ch­er Spiegel der Gesellschaft sein. Und ja, wir brauchen die Demut, uns der Autorität des Wortes unterzuord­nen. Was ich mir manch­mal wün­schen würde ist, dass wir erken­nen, dass diese Demut auch darin beste­hen kann zuzugeben, dass man vielle­icht in der Ver­gan­gen­heit das Wort schlicht falsch oder nur ein­seit­ig ver­standen hat und nun gewisse Dinge anders sehen darf bzw. eben demütig anders sehen muss — nicht, weil man sich dem Zeit­geist anpassen will, aber weil vielle­icht “die Welt” gewisse Dinge ver­standen hat, die wir nicht ver­standen haben. Das ist ja dann keine Mogel­pack­ung, son­dern ein tief­eres Ver­ständ­nis von etwas, das eigentlich schon immer da war.

        Hier hän­gen wir wahrschein­lich alle an Ausle­gun­gen, die uns Lieb und Teuer sind, und die wir nur ungern erneuern, verbessern oder in eini­gen Punk­ten ganz aufgeben. Aber auch das ist Teil der Nach­folge Jesu. Man stelle sich vor, wie völ­lig Abwegig das Apos­telkonzil in Apg 15 für gläu­bige Juden klin­gen musste. Über Jahrhun­derte weg war klar — Wir sind das auser­wählte Volk Gottes! Kinder Abra­hams! — und plöt­zlich geht für die Natio­nen auch eine Tür auf, in eine Erwäh­lung hinein, die ihrer ähnelt bzw. gle­ichgestellt ist.

        In solchen Momenten denke ich ein­fach, dass sich der Schrift unterord­nen nicht (immer) automa­tisch heisst, sich der eige­nen Prä­gung unterzuord­nen (was ich immer wieder erlebe), son­dern mutig Fra­gen zu stellen und im weitesten Sinne “Aus­gang­sof­fen” mit der Schrift umzuge­hen und darin Jesus zu find­en, zu erken­nen und lieben zu lernen.

        Lieber Gruss
        Michael

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        • Josua Hunziker

          Danke Michael, da bin ich ganz bei dir.

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  3. Heinz Etter

    Ich stimme dir zu, es geht um den Jesus der Bibel. Wer aber hat die Deu­tung­shoheit darüber, was sie sagt? Wie ver­ste­hen wir Jesu Leben vom Kreuz her?
    Was ist Sünde? Die meis­ten Men­schen denken dann an ein Ver­hal­ten. Das ist Sünde, jenes nicht. Jesus hat gelehrt, dass es um die Motive geht und nicht so sehr um die Tat­en. (Stich­wörter dazu: Ehe­bruch; lass deine rechte Hand nicht wis­sen, was die linke tut; die Opfer­gaben im Tem­pel usw.).
    Die Chris­ten­heit hat das nie wirk­lich ernst genom­men. Wir sagen lieber: Stehlen ist Sünde, Lügen ist Sünde, Geschlechtsverkehr ausser­halb der Ehe ist Sünde usw. und stellen uns die Frage nach dem Motiv nicht. Geschlechtsverkehr in der Ehe kann sehr wohl Sünde sein, immer dann, wenn er nicht wirk­lich ein­vernehm­lich ist. Auch der Verzicht darauf kann Sünde sein. Auf die Motive kommt es an. Die Frage nach der Sünde soll­ten wir anders stellen: Was immer ich nicht aus der Verbindung mit Jesus her­aus tue, (was der Liebe widerspricht?)das ist Sünde. Das wäre dann die Ebene der Motive.
    Unsere Evan­ge­li­sa­tion richtet sich immer an Men­schen, die sündi­gen und deshalb Erlö­sung brauchen. Die meis­ten Chris­ten haben ein ver­hal­tensori­en­tiertes Sün­den­ver­ständ­nis und sind deshalb nur schein­bar Botschafter des Evan­geli­ums. Im Grunde sind sie Botschafter eines gewis­sen Bibelver­ständ­niss­es, das sich anmasst das einzige zu sein und doch so ein­seit­ig ist. Die wenig­sten Men­schen lei­den unter ihren Sün­den und fühlen sich erlö­sungs­bedürftig. Für sie ist auch diese Art des Chrsten­tums irrelevant.
    Wenn man Men­schen unser­er Zeit hinge­gen mit ihren Motiv­en kon­fron­tiert, wie viel wir tun, weil wir Angst vor irgendwelchen Kon­se­quen­zen haben und wie wenig wir tun, weil es der Liebe entspricht, dann fühlen sich die meis­ten erlösungsbedürftig.
    Ich träume von ein­er neuen Art der Evan­ge­li­sa­tion mit einem wahrhaft bib­lis­chen Sün­den­be­griff und nicht mit einem abendländisch kon­ser­v­a­tiv christlichen. Unsere Bun­desrätin Calmy-Rey hat anlässlich eines Besuch­es in Teheran ein Kopf­tuch getra­gen und wurde (nicht nur, aber vor allem) von Chris­ten als Ver­rä­terin am Vater­land gebrand­markt. Sobald wir uns die Frage nach dem Motiv stellen, sieht die Sache anders aus. Wie sagte es Paulus? Er wolle den Römern ein Römer und den Griechen eine Grieche sein. Freilich, nach­dem wir ihre Motive nicht ken­nen soll­ten wir noch weniger urteilen als sowieso.
    Daran wird man erken­nen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt untere­inan­der und nicht daran, wie ihr über Schwule und Les­ben denkt oder über die Mas­tur­ba­tion, über vore­he­lichen Geschlechtsverkehr usw. Die eifrig­sten Ver­fechter ein­er sog. christlichen Moral prangern jene “Sün­den” an, die ihnen fremd sind und hal­ten sich über die anderen bedeckt.
    Wenn wir es schaf­fen, endlich von einem christlichen Ver­hal­tenskodex zum Evan­geli­um zu find­en und darin unser Heimat­land sehen, dann stimme ich deinem Text gerne zu. Der Ver­gle­ich “Botschafter” gefällt mir sehr. Und noch etwas: Ich habe nichts gegen den christlichen Ver­hal­tenskodex, nur sollte er aus der Liebe kom­men und aus der Erken­nt­nis, wie sie Paulus for­muliert hat: Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nüt­zlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen. 1.Kor. 6,12.
    Heinz Etter

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    • Josua Hunziker

      Ich stimme dir zu Heinz: Die „Heimat“ ist keines­falls ein Ver­hal­tenskodex. Über das Ver­ständ­nis von Sünde wur­den Büch­er gefüllt und es ist gar nicht meine Absicht mit diesem Artikel, ein gewiss­es Sün­den­ver­ständ­nis zu definieren / propagieren. Es geht mir darum: Wem sind wir in erster Lin­ie verpflichtet? Chris­tus und seinen Wort? Oder den (vordergündi­gen) Bedürfnis­sen und Befind­lichkeit­en unser­er Kul­tur? Getrauen wir uns noch, auch über die kon­fron­tieren­den Aspek­te des Evan­geli­ums zu sprechen? Z.B. über die Botschaft, dass wir alle in höch­stem Masse erlö­sungs­bedürftig sind? Dass wir alle ler­nen müssen/dürfen, unsere Iden­tität in Chris­tus zu find­en? Dass die Annahme Christi nicht ein­fach bedeutet „Bleib wie du bist, Jesus mag dich schon“? Darüber, dass Gott sich selb­st als das Mass aller Dinge sieht, auch wenn wir das lieber selb­st wären? Und let­ztlich: Glauben wir, dass wir auch im 21. Jahrhun­dert die Ressourcen für das Ver­ständ­nis des Evan­geli­ums und dessen Anwen­dung in unseren Leben in der Bibel find­en, dass sie ver­lässlich und wahr ist?

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