Der Schweizerisch Evangelische Kirchenbund (SEK) steuert auf eine Befürwortung der ‘Ehe für alle’ zu. In diesem Artikel möchten wir einen Beitrag leisten zur laufenden Diskussion, indem wir auf den Aspekt des christlichen Bekenntnisses eingehen.
Der Rat des SEK behauptet, dass die Ehe-Form keinen Bekenntnis-Charakter hat. Als langjährige Mitglieder der Landeskirche Thurgau stellen wir diese Behauptung deutlich in Frage. Im Gegenteil beinhalten sexualethische Aussagen im Allgemeinen, und Ehe-Formen im Speziellen, aus unserer Sicht ein deutliches religiös-weltanschauliches Bekenntnis.
Wir zeigen, dass die Argumentation des SEK offenlegt, wie schwierig es ist, vom Leben und der Lehre von Jesus her ein klares Ja zur ‘Ehe für alle’ zu begründen. Gäbe es eine solche Begründung zu einem klaren Ja zur ‘Ehe für alle’, dann würde der Rat des SEK diese ins Feld führen. Dies tut der Rat aber nicht. Dementsprechend ist das theologische Argument der Befürworter der ‘Ehe für alle’ empfindlich geschwächt. Die Stärke der Befürworter der ‘Ehe für alle’ liegt darin, dass sie das gesellschaftliche Momentum auf ihrer Seite haben.
Bei allem, was wir hier sagen, ist uns klar, dass homoerotisch empfindende Christinnen und Christen genau wie alle anderen Menschen von Christus angenommen und Teil der christlichen Gemeinde sind. In welcher Art wir das sehen, haben wir im Artikel ‘Wann sollen Christen ihre Meinung ändern?’ erklärt.
Wir bloggen in diesem Artikel länger als sonst. Wir tun das, weil wir merken, dass unsere Leser schnell an eine vertiefte Begründung herankommen wollen. Wir teilen das Material deshalb bewusst nicht auf mehrere Blogposts auf. Lies darum so weit, wie es dir gefällt, und überlege dir, was dich überzeugt und was nicht! Wir würden uns freuen, wenn unsere Argumentation und Fragen gehört und besprochen werden. Über das folgende Inhaltsverzeichnis kannst du auch direkt zu einzelnen Abschnitten gelangen:
1. Übersicht
2. Uns interessiert das christliche Bekenntnis
3. Definition von ‘Bekenntnis’
4. Eine positive Sicht von Bekenntnis
5. Instrumentalisierung von Bekenntnis
6. Gesellschaftskritisch denken
7. Wir brauchen inhaltliche Substanz
8. Ethische Aussagen haben Bekenntnis-Charakter
9. Bekenntnisse, die offen über Sexualethik reden
10. Fazit und Fragen an den SEK
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1. Übersicht
Seit einiger Zeit setzen sich diverse Wortführer der evangelischen Kantonalkirchen für eine Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare ein. Parallel zur öffentlichen Diskussion nimmt die innerkirchliche Debatte Fahrt auf und bringt hitzige Auseinandersetzungen.
Beispielhaft für die Intensität des Engagements für eine Öffnung der Ehe ist der Präsident der Reformierten Kirche des Kantons Zürich, Michel Müller. In einem Artikel auf Ref.ch vom April 2019 wird Müller zitiert. Müller sagt einerseits, dass das Thema Homosexualität keine Kernfrage des Glaubens, sondern eine Randdiskussion sei. Andererseits fährt Müller starkes Geschütz auf. Er bezichtigt die Schweizerische Evangelische Allianz SEA der Homophobie:
«Jetzt, wo dieses Gesetz da ist, finde ich es in höchstem Masse unchristlich, das Referendum dagegen zu unterstützen», sagt Müller. «Dass die SEA die Verteidigung der Meinungsfreiheit als Unterstützungsgrund vorschiebt, ist unehrlich. Es geht schliesslich einfach darum, ob man gegen Homosexuelle hetzen darf.» Mit der Unterstützung des Referendums trete man klar für Homophobie ein. «Ich bin schockiert, welche Haltung hier unter dem Deckmantel des Christentums eingenommen wird.» (Müller, zitiert auf Ref.ch)
Im Juni 2019 verabschiedet die Abgeordnetenversammlung des SEK mit Blick auf die sich abzeichnende zivilrechtliche Öffnung der Ehe ein wichtiges Statement zu ihrem Grundverständnis von sexueller Orientierung:
«Wir sind von Gott gewollt, so wie wir geschaffen sind. Unsere sexuelle Orientierung können wir uns nicht aussuchen. Wir nehmen sie als Ausdruck geschöpflicher Fülle wahr.» (SEK Statement)
In einem vielbeachteten Interview vom 16. August 2019 stellt sich SEK-Ratspräsident Gottfried Locher deutlich hinter die Ehe für alle.
Am 29. August 2019 beschliesst der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf zivilrechtlicher wie auch auf kirchlicher Ebene zu befürworten.
In der Abgeordnetenversammlung vom 04. November 2019 soll nun das oberste Organ des SEK über diese Ratsempfehlung befinden.
Wir stehen kurz vor einer geschichtsträchtigen Weichenstellung für die evangelischen Kirchen in der Schweiz. Wie auch immer die Kirche entscheidet — die gefällte Entscheidung wird noch auf Jahre hinaus die kirchliche Gemeinschaft weiter bewegen.
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2. Uns interessiert das christliche Bekenntnis
Die öffentlichen Statements der Reformierten der Schweiz auf dem Weg hin zu einer Öffnung der Ehe für Gleichgeschlechtliche geben reichlich Stoff für kontroverse Diskussionen und eröffnen eine Fülle von Fragestellungen mit weitreichenden Konsequenzen.
In Anbetracht des aktuellen gesellschaftspolitischen und innerkirchlichen Klimas scheint es klar, dass die Abgeordnetenversammlung des SEK dem Rat folgen und ein Ja zur ‘Ehe für alle’ beschliessen wird. Innerkirchliche Stimmen, welche sich kritisch gegenüber einer Öffnung äussern, werden schon seit einiger Zeit von Befürwortern der ‘Ehe für alle’ an den medialen Pranger gestellt und scheinen mundtot. Weil die Diskussion eher einseitig verläuft, möchten wir einen Beitrag leisten.
Vermutlich wird die zukünftige kirchliche Ordnung Lösungen bieten, um die Gewissensfreiheit für Pfarrpersonen zu gewährleisten. Es bleibt auch abzuwarten, wie der Entscheid der Abgeordnetenversammlung in den Kantonen konkret umgesetzt wird. Doch Beispiele von Kirchen aus Deutschland oder aus Übersee machen klar, dass Gewissensfreiheit oft nur Übergangslösungen sind. Auch für Gottfried Locher scheint es letztlich keinen Spielraum zu geben:
Auch Homosexualität entspricht Gottes Schöpfungswillen. Es gibt keinen Spielraum: Man kann nicht lavieren und sagen, das könne man verschieden sehen. (Locher, Interview im Tagesanzeiger)
In einem spannenden Gespräch zwischen SEK-Präsident Gottfried Locher und SEA-Generalsekretär Marc Jost auf Radio Life Channel wurden bereits einige dieser Fragen diskutiert.
Kaum gesprochen wurde bis jetzt über den Zusammenhang von Eheverständnis und christlichem Bekenntnis. Dies ist jedoch eines der zentralen Argumente, welche zugunsten der ‘Ehe für alle’ ins Feld geführt wird: Das Eheverständnis sei nicht Teil des Bekenntnisses zum christlichen Glauben. Die Begründung lautet wörtlich:
Im Zentrum der Kirche steht das Bekenntnis zu Jesus Christus. Die Frage des Eheverständnisses hat nach Ansicht des Rats keinen Bekenntnischarakter. (Communiqué vom Rat des SEK)
Stimmt dieses Argument? Haben sexualethische Aussagen wirklich keinen Bekenntnischarakter?
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3. Definition von ‘Bekenntnis’
Bei den öffentlichen Aussagen des SEK-Rates (u.a. Gottfried Locher) ist man nie sicher, was mit ‘Bekenntnis’ oder ‘Bekenntnis zu Christus’ oder ‘christliches Bekenntnis’ gemeint ist.
- Ist ein formales Bekenntnis gemeint? Wenn ja, welches formale Bekenntnis? Ist das Apostolische Glaubensbekenntnis gemeint, das Zweite Helvetische Bekenntnis, ein anderes oder eine Kombination mehrerer schon vorhandener Bekenntnisse? Hier gibt es einen guten Überblick über wichtige formale Bekenntnisse der Christenheit.
- Ist eine Kirchen-Ordnung gemeint, welche festschreibt, wie z.B. die Regulierung der Ehe-Form aussehen soll? Dies würde die Lage noch komplexer machen, denn manche Kirchen-Ordnungen wurden aufgrund von formalen christlichen Bekenntnissen festgelegt. In der Schweiz ist das insbesondere das Zweite Helvetische Bekenntnis.
- Ist biblisch-christliche Lehre gemeint? Also die theologische Lehre der Bibel, welche die Grundlage für die Aussagen der formalen Bekenntnisse bildet? Diese Ebene wird manchmal ‘Dogmatik’ genannt, auch ‘Weltanschauung’ oder ‘Metaphysik’. Uns gefällt der Begriff ‘Weltanschauung’, weil dieses Wort in unserer Zeit gebraucht wird, um die grundlegenden Fragen und Überzeugungen einer Religion oder Lehre zu referenzieren.
Unser Verständnis ist ein zweifaches:
- Die biblisch-christliche Lehre bildet die Grundlage sowohl für die formalen Bekenntnisse wie auch für jede christliche Ethik. Dies ist auch der Grund, weshalb ethische Themen in den formalen Bekenntnissen vorkommen (siehe Abschnitt 9).
- Sowohl die biblisch-christliche Lehre wie auch die formalen Bekenntnisse haben einen ‘Bekenntnis-Charakter’, denn beide machen inhaltliche Aussagen, welche sie gegenüber anderen nicht-christlichen Bekenntnissen oder Lehren abgrenzen. Wenn das stimmt, ist es unangebracht zu denken, dass nur die formalen Bekenntnisse einen ‘Bekenntnis-Charakter’ haben, und es ist ebenso inkorrekt zu denken, dass die biblisch-christliche Lehre keinen ‘Bekenntnis-Charakter’ hat.
Die Bekenntnis-Freiheit der Reformierten Kirchen bedeutet, dass sie nicht an ein formales Bekenntnis gebunden sind. Deshalb verstehen wir die Aussagen des SEK-Rates, von Gottfried Locher und von anderen primär in einem Bezug zur biblisch-christlichen Lehre. Wenn der SEK-Rat sagt: “Im Zentrum der Kirche steht das Bekenntnis zu Jesus Christus” (Communiqué vom Rat des SEK), meint der Rat unserer Meinung nach: Im Zentrum der Kirche steht, dass sich die Kirche zur Lehre von Jesus Christus bekennt. An diesem Bekenntnis zur Lehre von Jesus Christus muss sich demnach die Aussage messen, dass Ehe-Formen keinen Bekenntnis-Charakter haben.
4. Eine positive Sicht von Bekenntnis
Innerhalb der reformierten Kirchen der Schweiz beobachten wir eine eigenartige Mischung, wenn es um die Haltung gegenüber den formalen christlichen Bekenntnissen geht. Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass in den allermeisten Kantonalkirchen Bekenntnisfreiheit herrscht. Damit ist gemeint, dass es keine Bindung an ein formales kirchliches Bekenntnis gibt (siehe Abschnitt 3). Auf der anderen Seite haben in den letzten Jahren die Stimmen wieder zugenommen, welche sich eine Kirche mit formalem Bekenntnis wünschen.
Wir sind erfreut, dass sich der SEK im Rahmen ihrer aktuellen Umstrukturierung zur EKS auf den Boden der altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse stellen möchte. Der Entwurf dazu ist online zu finden. Als Teil dieses Prozesses hat der SEK vor einigen Jahren ein Werkbuch zu den christlichen Bekenntnissen herausgegeben. Im Vorwort dieses Werkbuchs bringt Gottfried Locher eine sehr positive Einstellung zu den formalen Bekenntnissen zum Ausdruck:
Bekenntnis schafft Einheit … Bekennen schafft Glaubwürdigkeit. (Reformierte Bekenntnisse, ein Werkbuch, 2011, Seite 6)
Wer würde diese Kraft der Einheit und der Glaubwürdigkeit nicht wollen?
Locher hat diese positive Einstellung vielleicht von seinem gleichnamigen Vater Gottfried Locher sen. übernommen. Dieser hat in einem Gastvortrag an der theologischen Fakultät Basel im Jahr 1980 gesagt:
Es gehört zum Wesen der christlichen Kirche, dass sie bekennende Kirche ist. (Locher sen, 1980)
Der Vortrag von Gottfried Locher sen. stellt die komplexen und spannenden Ereignisse dar, welche 1839 zur Abschaffung der Bindung an das Helvetische Bekenntnis im Kanton Waadt führten. Während in der Schweiz die Bindung ans Helvetische Bekenntnis von vielen als ein dogmatisches Gefängnis empfunden worden ist, zeigt Gottfried Locher sen., dass in anderen Ländern dasselbe Bekenntnis die Grundlage gewesen ist, um der Kirche die Freiheit vom Staat zu ermöglichen. Er folgert:
Erinnern wir uns aber daran, dass zur Zeit der Abschaffung des Glaubensbekenntnisses in der Schweiz die osteuropäischen Kirchen gerade mit der Confessio Helvetica Posterior ihre Freiheit gegenüber dem Staat verteidigt und bis heute bewahrt haben; kein Zufall übrigens, ist dieses Dokument doch ein Zeugnis der Freiheit und nicht des Zwanges. (Locher sen, 1980)
Das formale Bekenntnis schützt also die Kirche vor der Vereinnahmung von außen und erhält ihr somit die Freiheit.
In einer Kirche, in welcher sich einige sehr skeptisch über die Bedeutung der formalen Bekenntnisse äussern, sind derart positive Aussagen erfrischend, zumal sie von solch einflussreichen Personen kommen wie den Lochers.
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5. Instrumentalisierung von Bekenntnis
Im Rahmen des Bekenntnisstreits im 19. Jh haben die meisten Kantonalkirchen die Bindung an formale Bekenntnisse (an das Helvetische Bekenntnis und Apostolische Glaubensbekenntnis) aufgegeben. Viele Pfarrpersonen und Theologen blicken mit Stolz auf die ‘Errungenschaft’ der Bekenntnisfreiheit, denn diese hat innerkirchliche Entwicklungen ermöglicht, welche unter dem Helvetischen Bekenntnis kaum denkbar gewesen wären. Es ist nicht zuletzt die Bekenntnisfreiheit, welche eine Öffnung für ausgelebte Homosexualität ermöglicht.
Dass nun ausgerechnet auch aus den Quartieren der Befürworter der ‘Ehe für alle’ eine Berufung auf ein ‘christliches Bekenntnis’ kommt, zeigt eine Instrumentalisierung der Idee von ‘christlichem Bekenntnis’ für einen Zweck, der diesem völlig fremd ist.
Die Instrumentalisierung des Begriffes ‘Bekenntnis’ kommt zustande durch die Kombination der beiden im Communiqué zu findenden Aussagen. Mit der ersten Aussage, das Bekenntnis zu Christus stehe im Zentrum der Kirche, wird die Gemeindebasis beruhigt, dass die Kirche ja noch christlich sei. Damit man in der aktuell vorliegenden sexualethischen Frage aber dennoch freie Hand hat, wird mit einer zweiten Aussage die sexualethische Frage der ‘Ehe für alle’ vom Bekenntnis zu Christus entkoppelt.
Unser Eindruck ist, dass in den beiden Aussagen des Communiqués möglicherweise zwei verschiedene Verständnisse von ‘Bekenntnis’ zu finden sind und deshalb für Verwirrung sorgen. Im ersten Satz ist vermutlich ‘die biblisch-christliche Lehre’ gemeint respektive einfach ‘die Lehre von Jesus Christus’. Im zweiten Satz wird möglicherweise eher auf formale Bekenntnisse Bezug genommen.
So oder so lautet die Botschaft an die Mitglieder der Kirchen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen. Sie könnten mit gutem Gewissen und reinem Herzen Jesus nachfolgen, denn Glaube und Sexualethik hätten ja ‘bekanntlich’ keinen nennenswerten Zusammenhang.
Auf jeden Fall denken wir, dass die Argumentation des Rates nicht aufgeht. Sollten im zweiten Satz formale Bekenntnisse im Fokus stehen, zeigt unser Abschnitt 9, dass sexualethische Werte in den formalen Bekenntnissen sehr wohl Bekenntnis-Charakter haben. Sollte im zweiten Satz die ‘biblisch-christliche Lehre’ im Fokus stehen, so zeigt unser Abschnitt 7, dass auch innerhalb der ‘biblisch-christlichen Lehre’ sexualethische Werte Bekenntnis-Charakter haben.
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6. Gesellschaftskritisch denken
Dass nun auch Locher mit seinen exzellenten Kenntnissen über die formalen Bekenntnisse und mit seiner positiven Sicht auf sie ins gleiche Horn bläst, lässt einen ratlos sein. Instrumentalisiert in seinem Interview auch er das ‘christliche Bekenntnis’, um das Kirchenvolk zum ‘Absegnen’ eines gesellschaftlichen Konsenses zu bewegen?
Zu anderen Zeiten hat die Kirche ihr Bekenntnis eingesetzt, um mutig gegen weltanschauliche und politische Entwicklungen Stellung zu nehmen. Grosse Teile der Kirche wurden in den 30-er Jahren zur Marionette der Ideologie des Dritten Reiches. Die Bekennende Kirche hingegen zeigte sich gegenüber den weltanschaulichen und gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch und gab dieser Kritik Ausdruck in einem formalen Bekenntnis, der berühmten ‘Barmer Erklärung’:
Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen. (Barmer Erklärung, 1934, zitiert aus Reformierte Bekenntnisse, ein Werkbuch, 2011, Seite 119)
Das Bekenntnis zu Christus müsste die Kirche auch heute zu einer ähnlichen Fähigkeit führen, aktuelle politisch-gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu beleuchten und sich nicht von ihnen definieren zu lassen.
Wir möchten der evangelischen Kirche diese Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung nicht absprechen. Jedoch fehlen uns in den von ihnen genannten Ausführungen gut begründete, reflektierte Argumente, um die Schlussfolgerung ‘Ja’ zur ‘Ehe für alle’ nachvollziehen zu können. Anstelle derer werden Formulierungen benutzt, welche den Anschein von Ausweichmanövern haben.
Von Aussen betrachtet sieht es aus, als würde der Rat des SEK die Entscheidung über die ‘Ehe für alle’ dem Staat und dem kulturellen Trend überlassen wollen. Michel Müllers Aussage gibt diesem Verdacht Vorschub:
«Jetzt, wo dieses Gesetz da ist.…» (Müller, zitiert auf Ref.ch)
Wenn die Kirche nur noch ein ausführendes ‘Segnungsorgan’ des gesellschaftlichen Konsenses wird, verliert sie die innere Kraft und Identität, welche z.B. der Bekennenden Kirche zur Zeit der Barmer Erklärung erlaubte, berechtigte Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen auszuüben. Eine derartige Entwicklung wäre aus unserer Sicht ein grosser Verlust der Kraft der Kirche.
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7. Wir brauchen inhaltliche Substanz
Wer sich zu Christus bekennt, muss sich auch zu dem bekennen, wozu Christus sich bekennt. Was das bedeutet, kann beispielhaft anhand von Matthäus 19 gezeigt werden, wo Jesus über eine damals wichtige sexualethische Frage lehrt.
In Matthäus 19 wendet Jesus schöpfungstheologische Kategorien an, um ungute Entwicklungen in der jüdischen Scheidungspraxis zu korrigieren. Vermutlich ging es um die äusserst liberale Scheidungspolitik von Rabbi Hillel. Über diese Stelle kann viel diskutiert werden. Unserer Meinung nach stechen folgende Punkte heraus, welche für diese Diskussion relevant sind:
Jesus begründet seine Kritik an der liberalen Scheidungspolitik mit biblisch-theologischen Aussagen. Jesus lehrt hier über sexualethische Themen und begründet seine Aussagen auf biblisch-christliche Lehre, welche er in der jüdischen Bibel, dem Alten Testament, findet. Wie im Abschnitt 3 festgehalten, hat die biblisch-christliche Lehre Bekenntnis-Charakter, auch wenn sie nicht ein formales Bekenntnis ist. Jesus verbindet in aller Deutlichkeit Ethik mit Theologie, Ethik mit Weltanschauung, Ethik und Bekenntnis. Dieses Vorgehen von Jesus widerspricht direkt der Aussage, dass Eheformen nichts mit christlichem Bekenntnis zu tun haben. Überhaupt können die meisten ethischen Aussagen nicht von ihrer religiös-weltanschaulichen Begründung getrennt werden (siehe Abschnitt 8). Es ist deshalb auch klar: Das Ja zu den neuen Ehe-Formen ist letztlich ein deutliches religiös-weltanschauliches Bekenntnis, ob der Rat des SEK dies nun wahrhaben will oder nicht. Die Frage ist nur: Was für ein religiös-weltanschauliches Bekenntnis?
Jesus anerkennt, dass es nach der guten Schöpfung zu Problemen in der Sexualität gekommen ist. Nicht alles, mit dem wir heute geboren werden, war ursprünglich so gedacht. Die Lehre Jesus entkräftet somit ein anderes, aktuell häufig gehörtes Argument, nämlich dass Homosexualität dem Schöpfungswillen Gottes entspricht. So argumentiert Gottfried Locher. So argumentiert auch Sibylle Forrer in der Sendung Sternstunde Religion (ab Minute 26:57). Bei ihr klingt es fast so, als ob alles, was der Mensch als Teil der eigenen Sexualität empfindet, Gottes Schöpfungswillen entsprechen müsse. Ein solches Statement lässt im Hinblick auf weitere sexuelle Veranlagungen aufhorchen. Ist wirklich alles, was man als Teil seiner eigenen Sexualität empfindet, positiver Schöpfungswille Gottes? Die Sicht Jesu in Matthäus 19 macht klar, wie gebrochen menschliche Sexualität sein kann.
Jesus hat sich nicht gescheut, etablierte Werte der jüdischen Kultur herauszufordern. Als Alternative zur Ehe von Mann und Frau führt Jesus in dieser Bibelstelle etwas ein, dass für die Juden schlicht undenkbar war: Den Verzicht auf Ehe. Wir lernen etwas wichtiges über Jesus Christus. Er hat sich nicht gescheut, die Fehlentwicklungen der jüdischen Kultur zu kritisieren, zu korrigieren und Elemente einzuführen, welche gegen die jüdische Kultur gingen.
Ausgelebte Homosexualität war im damaligen Judentum genauso tabu, wie der Verzicht auf Ehe. Im weiteren kulturellen Umfeld hingegen war ausgelebte Homosexualität völlig akzeptiert (siehe unsere Ausführungen über Homosexualität in der Antike). Wenn Jesus wichtig gewesen wäre, ausgelebte Homosexualität als christliche Ehe-Form zu etablieren, warum hat er das nicht gelehrt? In anderen Bereichen (dem Verzicht auf Ehe) hat Jesus, wie soeben festgestellt, ungeniert die jüdische Gesellschaft korrigiert. Warum tut Jesus das nirgends in der Bibel in Bezug auf ausgelebte Homosexualität? Nirgends in der Bibel sehen wir Jesus, der eine Gelegenheit packt und sagt: “Übrigens, nicht nur der für euch undenkbare Verzicht auf Ehe kann richtig sein, sondern auch die Ehe von Homosexuellen!”.
Was wir mit diesen Ausführungen sagen wollen, ist Folgendes: Müsste eine Kirche, welche sich derart deutlich zu Christus bekennen will (siehe Communiqué vom Rat des SEK), sich nicht auch zu dem bekennen, wozu sich Jesus bekennt?
Einige mögen argumentieren, dass Jesus die ‘Ehe für alle’ zwar nicht explizit unterstützt, sie aber auch nicht explizit ablehnt und sie mit seinem allgemeinen Liebesgebot implizit doch unterstützt. Der Rat des SEK argumentiert genau dies im Abschnitt 2 der Unterlagen zur Abgeordnetenversammlung vom 4. November 2019. Dann müsste die Kirchenleitung unter anderem erklären, warum Jesus, der sonst ungeniert und mit Autorität jüdische Fehlentwicklungen herausfordert, Homosexualität nicht positiv ins Feld führt. Wäre der Link von Jesus zur ‘Ehe für alle’ klar, hätte der Rat in aller Einfachheit und überzeugend sagen können:
Im Zentrum der Kirche steht das Bekenntnis zu Jesus Christus. Jesus bekennt sich zur ausgelebten Homosexualität. Darum muss die Ehe-Form nicht vom christlichen Bekenntnis getrennt werden, sondern das christliche Bekenntnis fordert geradezu ein Ja zur ‘Ehe für alle’.
Das ist aber nicht die Linie, welche der Rat des SEK gewählt hat. Stattdessen muss der Rat sagen, dass die Ehe-Form nichts mit dem christlichen Bekenntnis zu tun hat! Das kommt dem Bekenntnis sehr nahe, dass eine auf Christus begründete Ethik kein Argument für die ‘Ehe für alle’ liefern kann. Weil der Rat aber trotzdem ein Ja zur ‘Ehe für alle’ will, nimmt er lieber eine Trennung von Ethik und Christus in Kauf. Dies öffnet das Tor für viele weitere ethische Entwicklungen, die scheinbar nichts mit Christus zu tun haben. Für eine Kirche, die sich zu Christus bekennen will, kann eine solche Argumentation nicht genügen!
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8. Ethische Aussagen haben Bekenntnis-Charakter
Eines der Hauptargumente, welches für eine Bejahung der ‘Ehe für alle’ ins Feld geführt wird, ist jenes, dass sexualethische Aussagen nicht Teil des ‘christlichen Bekenntnisses’ seien. Die Annahme hinter dieser Aussage ist, dass unsere Weltanschauung (sprich Christentum, zu dem wir uns bekennen) keinen Bezug zur Ethik im Allgemeinen und konkret zur Sexualethik habe. Diese Annahme lässt sich nicht nur aufgrund des Vorgehens von Jesus in Matthäus 19 hinterfragen, sondern ganz allgemein. Ethik ist und bleibt zutiefst verankert in religiös-weltanschaulichen Grundannahmen.
Natürlich gibt es bestimmte ethische Werte, die in unterschiedlichen Weltanschauungen als gültig betrachtet werden. Man nennt dies das Naturrecht. Beispielsweise sehen praktisch alle Weltanschauungen Ehrlichkeit als etwas an, das besser ist als Lüge. Die Existenz des Naturrechts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele ethische Fragen je nach Weltanschauung sehr unterschiedlich beantwortet werden. Dazu ein paar illustrierende Beispiele:
Beispiel 1: In Teilen der Welt, wo die Reinkarnation tonangebend ist, hilft man kranken Menschen mitunter schlecht oder gar nicht. Weshalb? Sie werden als Personen angesehen, die das schlechte Karma aus einem vergangenen Leben abbauen müssen, indem sie in diesem Leben leiden. Wenn man ihnen Medikamente gibt, um ihr Leiden zu lindern, hilft man ihnen eben gerade nicht, denn sie müssen schliesslich ihr Karma selbst abbauen. Ein eindrückliches Beispiel ist in einer Predigt von Simi Speck beschrieben (ab Minute 4.25). Wir sehen hier, wie ein ethischer Wert zutiefst geprägt ist von der entsprechend für wahr gehaltenen Weltanschauung.
Beispiel 2: Dr. Werner Neuer argumentiert, dass jede Ethik eine Idee haben muss, was ‘grundlegend gut’ ist. Er sagt dann:
Merkmal jeder (so definierten) Ethik ist die Überzeugung vom Vorhandensein eines absoluten Gegensatzes von gut und böse. (Neuer, Der Zusammenhang von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter, Seite 15)
Gut und Böse wiederum sind zutiefst weltanschaulich geprägte Konzepte. Einige Weltanschauungen argumentieren, dass es diese gar nicht gibt (Naturalismus). Andere sehen sie als gleichwertig und nicht als personifiziert (tendenziell die non-dualen östlichen Religionen, siehe z.B. ‘Ying Yang’). Wieder andere sehen Gut und Böse als personifiziert und hierarchisch unterschiedlich stark an.
Beispiel 3: Im Neuen Testament werden ethische Aussagen immer wieder religiös-weltanschaulich begründet:
- Im Wesen Gottes (z.B. in Eph 5:1; 1Pe 1:15–16)
- Im Wesen und Vorbild Jesu (z.B. in Kol 3:3–6; Gal 3:27f; Röm 13:13f; Röm 15:7; Eph 4:20–32)
- Im Wesen der Gemeinde Jesu (z.B. 1Kor 12:1–31; Eph 4:15f)
Im Neuen Testament ist auch das urchristliche Tauf-Bekenntnis “Herr ist Jesus” eine weltanschauliche Grundlage für christliche Ethik. Das Bekenntnis “Herr ist Jesus” besagt, dass Christus der universelle Herr ist, auch über die ethische Lebensführung des Christen. So wird in Römer 6 die Taufe als Grundlage für einen Christus-orientierten Lebensstil verstanden.
Beispiel 4: Im Alten Testament haben wir die ethischen Anweisungen der Zehn Gebote. Sie beginnen mit einer klaren religiös-weltanschaulichen Begründung:
Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. (Ex 20:2)
Hier ist nicht ein allgemeiner Gott gemeint, sondern der JHWH-Gott Israels, der auf eine bestimmte Art und Weise heilsbringend an diesem Volk gehandelt hat. Andere Weltanschauungen haben ein völlig anderes Gottes- und Heilsbild.
Aufgrund dieser Beispiele sehen wir: Ethik ist nicht von den darunter liegenden religiös-weltanschaulichen Grundannahmen zu trennen. So belächelt der reformierte Theologe Herman Bavinck Versuche, eine über die Konfessionsgrenze hinausreichende Ethik zu definieren, als ‘oberflächliches Chitter-Chatter’ (Reformed Ethics Prolegomena, Seite 28). Der Grund: Ethik ist gemäss Bavinck theologisch begründet. Und weil es wesentliche theologische Unterschiede gibt zwischen den christlichen Denominationen …
… schlagen wir eine Reformierte Ethik vor, die eine ganz andere Art zu leben definiert als bei den Römisch-Katholischen, Lutheranern, Anabaptisten, Methodisten, Herrenhuter, Darbisten und so weiter (Reformed Ethics Prolegomena, Seite 28, eigene Übersetzung)
Bavinck übertreibt es hier wohl. Aber er macht den tiefen inneren Zusammenhang zwischen Theologie und Ethik gut sichtbar. Ethik ist nicht von religiös-weltanschaulichen Überzeugungen zu trennen. Mit seiner Behauptung, dass Ehe-Formen keinen Bekenntnis-Charakter haben, versucht der Rat des SEK etwas zu trennen, das unmöglich zu trennen ist.
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9. Bekenntnisse, die offen über Sexualethik reden
Im Übrigen sehen wir in einem kurzen historischen Überblick, dass formale Bekenntnisse und Ethik immer wieder zusammen gesehen wurden. Im Helvetischen Glaubensbekenntnis finden wir ausdrückliche und vielleicht unerwartet konkrete Aussagen zur Sexualethik:
Die Ehe … ist von Gott, dem Herrn, selber eingesetzt, der sie reichlich gesegnet hat und wollte, dass Mann und Weib einander gegenseitig unzertrennlich anhangen und in höchster Liebe und Eintracht zusammenleben (Mt. 19,4ff.) … Wir verwerfen aber die Vielweiberei und die Ansicht derjenigen, die die zweite Ehe verpönen. (Zweites Helvetisches Bekenntnis, Kapitel XXIX)
Im 16. Jahrhundert sah man es also folgendermassen: Wer sich zum christlichen Glauben bekennt, bekennt sich auch zu einer bestimmten Ehe- und Sexualethik. Das Helvetische Bekenntnis ist kein Einzelfall. Das weltweit bekannte Westminster Bekenntnis aus 1646 definiert im Artikel 24 direkt und ungeniert eine Ehe- und Scheidungsethik.
Auch bei Martin Luther gibt es mehr als nur die vielzitierte Aussage, dass die Ehe ein ‘weltlich Ding’ sei. In seinem Schmalkadischen Artikel (1537) lesen wir etwas von der Polemik, die Luther gegen das Zölibatsgebot bei den katholischen Priestern führt. Er sagt dort unter anderem:
…sondern die Ehe frei haben, wie sie Gott geordnet und gestiftet hat, und wollen sein Werk nicht zerreißen noch hindern. (Artikel 11)
Luther braucht zwei Worte, um Gottes Wirkung auf die Ehe zu beschreiben. Gott hat sie gestiftet. Sie ist also seine Erfindung. Gott hat sie auch geordnet. Er gibt ihr also Richtung und Gestalt. Wenn Luther sagt: “Die Ehe ist weltlich Ding”, meint er damit also nicht, dass die Ehe nichts mit biblisch-christlichem Bekenntnis zu tun hat. Der Punkt hier ist wiederum: Wenn ein Mensch sich als Christ bekennt, bekennt er sich auch zu gewissen sexualethischen Werten. Zu behaupten, dass die Ehe-Form nichts mit dem christlichen Bekenntnis zu tun hat, ist ein Trugschluss.
Gehen wir noch weiter zurück bis zu einem der allerersten christlichen Bekenntnisse. Wir finden dieses in Apostelgeschichte 15, wo im Rahmen des apostolischen Konzils ein minimales Bekenntnis formuliert worden ist. Es ist interessant, dass dort auch eine Aussage über Sexualität enthalten ist. Heiden, die sich zum Christentum bekehren, werden aufgefordert:
… kein Fleisch zu essen, das den Götzen geopfert wurde, alle Unzucht zu meiden und weder Blut noch das Fleisch nicht ausgebluteter Tiere zu essen. (Apg 15:20)
Mit dem Wort ‘Unzucht’ ist sexuelle Unzucht gemeint. Uns ist klar, dass einige in diesem Abschnitt genannte Kriterien später aufgegeben worden sind (Götzenopferfleisch). Dies ändert nichts daran, dass hier, im möglicherweise ersten ansatzweise formalen christlichen Bekenntnis, ein sexualethisches Element enthalten ist. Und wir haben bereits gesehen, dass diese Tradition eine deutliche Fortsetzung findet im Verlauf der Kirchengeschichte.
Die historischen christlichen Bekenntnisse waren sich nicht zu schade, sich auch zu sexualethischen Werten zu bekennen. Warum sollte das nicht auch heute der Fall sein?
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10. Fazit und Fragen an den SEK
Als langjährige Mitglieder der evangelischen Kirche Thurgau stellen wir die Argumentation, dass Ehe-Formen keinen Bekenntnis-Charakter haben, mit aller Deutlichkeit in Frage. Die Ehe-Form hat sehr wohl Bekenntnis-Charakter. Ein Ja zur ‘Ehe für alle’ ist ein klar religiös-weltanschauliches Bekenntnis. Die Schlüsselfrage ist: Zu welcher Weltanschauung bekennen sich die evangelischen Kirchen der Schweiz durch ein Ja zur ‘Ehe für alle’?
Den biblisch und kirchenhistorisch kaum begründbaren Schwenk hin zu einer Trennung zwischen Ehe-Form und Bekenntnis-Charakter können wir uns nur damit erklären, dass ein Ja zur ‹Ehe für alle› nur schwer von Christus her zu begründen ist. Wir finden, dass dies der Rat ehrlicherweise zugeben müsste.
Da Christus und Ethik sowohl in der Bibel als auch in der Kirchengeschichte untrennbar miteinander verknüpft sind, sehen wir zu einer Klärung drei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit ist, ein robustes Argument zu liefern, dass Jesus Christus die ‘Ehe für alle’ befürworten würde. Solange diese Begründung ausbleibt, überzeugen uns weder der Rat des SEK noch andere ähnlich argumentierende Personen.
Die zweite Möglichkeit ist ein Nein zur ‘Ehe für alle’.
Die dritte Möglichkeit ist, sich von einem klaren Bekenntnis zu Christus zu lösen und darauf basierend die ‘Ehe für alle’ zuzulassen. Dies kann aber kaum im Sinne eines christlichen Kirchenbundes sein.
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Unsere weiteren Artikel zum Thema:
Die Ehe für alle und nicht-christliche Religionen (2019)
Wann sollen Christen ihre Meinung ändern? (2019)
Ehe für alle? (2021)
Titelbild: wikimedia / creative comons
Vielen Dank für eure klärenden Gedanken.
Gott hat uns Ordnungen geschenkt, die dem Leben Schutz und Segen geben. Es geht immer wieder darum zu reflektieren, wo wir stehen. Nicht immer leicht, Korrekturen anzunehmen und Schritte zu tun (u.a. mit Vergebung, Versöhnung). Der christliche Glaube hat heute auch einen schweren Stand, weil der Humanismus floriert. Die Selbstbestimmung ist zum Codewort geworden. Die von Gott für jeden Menschen zugewiesene Bestimmung liegt dann (oft unbewusst) quer in der Landschaft. — Die Kirche ist wahrlich herausgefordert, auf welche Stimmen sie heute hören will oder hört. Ich wünsche mir, dass sie bzw. die Christen wieder im Wort Gottes die tieferen Schätze finden und erkennen.
Lieber Wolfgang, die Selbstbestimmung sehe ich wie du als eine Schlüsselfrage. Letztlich geht es aus meiner Sicht, ob wir Freude finden darin, als Geschöpfe des Schöpfers zu leben. Das bedeutet unter anderen Freude finden in gewissen Vorgaben, die er macht und welche uns ins Leben führen, uns aufblühen lassen.
Mit Blick auf mein Ziel, geistig zu wachsen, möchte ich den Aspekt der Freude noch etwas differenzierter betrachten. Freude, oder Emotionen per se, eignen sich eher schlecht als Richtungsweiser für Verhalten. Mein ‘menschliches’ Herz empfindet durchaus nicht Freude an göttlichen Dingen. Ich erachte es daher als wertvoll, auch ohne empfundene Freude Gottes Willen zu tun, Ihn aber in diesen Prozess um Gnade zu bitten, mein Herz zu reinigen. So stelle ich seinen Willen höher als mein Empfinden. Auf diesem Weg wird Schritt für Schritt mein Herz gereinigt, und kann zunehmend auch Freude an Gottes Wegen empfinden. Lieber Gruss, Claudia
Mir fehlt eine Definition der Ehe, wie ich sie aus heutiger Sicht verantworten kann, Jesus möge mir mein selbständiges Denken verzeihen oder sich daran freuen. Ich verstehe die Ehe als Bund fürs Leben geschlossen von zwei Menschen, die ihn sich zutrauen. Der Bund umfasst das Leben in seiner Vielfalt und in seinen Höhenflügen und Tieffliegern und in der monotonen Alltäglichkeit. Das ist wohl eine der anspruchsvollsten Aufgaben für zwei Menschen. Wenn es ihnen gelingt, sich über die Jahre nicht aus den Augen zu verlieren, sondern einander durch Zuwendung das Leben zu bereichern, haben die beiden wohl vorbildlich dargestellt, wie Gott selber für seine Schöpfung sorgt und sie nicht aus den Augen entlässt, sondern sich für sie hingibt. Spielt es da eine Rolle, welches Geschlecht die beiden haben, nicht viel eher, welche Kraft zu lieben und zu vergeben?
Danke Marianne für deine Gedanken. Wir konnten in unserem Artikel nicht alle Themen gründlich genug behandeln. Du stellst gute Fragen. Hast du einen guten Text, den du uns zum Lesen empfiehlst? Mlg Paul
Liebe Marianne Reifers, mir gefällt sehr wie du deine Fragen auf wohlwollende Weise formulierst. Ich hoffe daher, dass dich meine Worte auf die gleiche Weise erreichen. Ich möchte dir einfach erzählen, wie ich solche Frage-Situationen erlebe.
Für mich liegt ein besonderer Wert darin, mich direkt und ganz persönlich an meinen allwissenden und mich liebenden, himmlischen Vater zu wenden. Er weiss in welche Zeit er mich gestellt hat und welchen Plan er mit mir persönlich verfolgt. Ich habe gelernt zu verstehen und so zu leben, dass ER die Quelle der Weisheit ist, es SEIN Wort ist, das ich in der Bibel lese und daher auch ER meine erste Anlaufstelle bei allen Unklarheiten ist. Dies aber nicht nur um Antworten zu erhalten, sondern einfach weil IHM diese Ehre gehört. Ich vertraue und vertraue immer wieder darauf, dass mir Gott zu seinem Zeitpunkt, auf die von ihm gewählte Weise, diejenige Antwort gibt, die seiner Wahrheit entspricht und das umfasst, was ich persönlich wissen muss. Und ja, es ist ein Weg, auf dem ich die Antwort bestimmt nicht immer verstehe und auch in Zukunft nicht immer richtig verstehen werde. Auf jeden Fall aber habe ich so zur Ruhe gefunden, und es bringt mich auf diese Weise näher und näher zu meinem liebenden Gott und näher in meiner persönlichen Beziehung zu ihm.
Herzliche Grüsse, Claudia
@Marianne
hier wird deine Frage m.E. behandelt: danieloption.ch/sexualitaet/homosexualitaet/die-ehe-fuer-alle-und-nicht-christliche-religionen
Wenn ich es recht verstehe: weil wir im judeo-christlichen Glauben einer dualen (Schoepfer vs Geschoepf) Religion anhangen, ist eine gleichgeschlechtliche Ehe von Gott halt nicht vorgesehen.
Bei einer monistischen Religion (“Gott ist in allem”) koennte das anders sein.
Bitte ausfuehrliche Argumentation hier nachlesen: danieloption.ch/sexualitaet/homosexualitaet/die-ehe-fuer-alle-und-nicht-christliche-religionen
LG Joerg
Ausgezeichnet und fundiert. Danke.
Man muss Herrn Locher dankbar sein, dass er die von ihm präsidierte Kirche so unmissverständlich zeitgeistnah positioniert. So fällt es jedem und jeder Glaubenden leichter, sich für oder gegen eine Mitgliedschaft in einer Kirche zu entscheiden, die in erster Linie auf gesellschaftliche Entwicklungen und menschliches Toleranz- und Gerechtigkeitsempfinden abstellt.
Lieber Beat, da ist was dran!
Herzlichen Dank für den fundierten und in respektvollem Ton gehaltenen Beitrag. Er spricht mir aus dem Herzen, selber hätte ich nicht auf diesem Niveau argumentieren können. So bin ich froh, dass euer Beitrag mir Worte gibt. Hier sind sich Gnade und Wahrheit begegnet(Psalm 85,11).
Nach meiner Sicht von aussen — ich war nie Mitglied in einer “Landes”-Kirche, ist die evangelische Kirche mit der Anerkennung der “Ehe für alle” weiter daran, sich als Kirche irrelevant zu machen. Die Statistik spricht eine klare Sprache: Die Reformierten werden immer weniger.
Das wundert mich wenig. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr nach Orientierung sucht: “Alte” Werte zählen nicht mehr, Influencer geben den Takt an, die Volksfrömmigkeit gibt es nicht mehr, man muss am Sonntag nicht mehr in die Kirche um gesellschaftlich akzeptiert zu sein.
In dieser Zeit der ethischen Neuausrichtung steht die Organisation Kirche nun also vor der Herausforderung, sich selber ein Profil zu geben. Nun liegt es Nahe, dass man sich einfach danach ausrichtet, was in der Gesellschaft grad aktuell ist. Ich erlebe die evangelische Kirche so. “Ehe für alle” ist nur eine logische Weiterführung der evangelischen Theologie. Wenn die evangelische Kirche allen Ernstes davon ausgeht, dass in der sogenannten Allversöhnungslehre alle Menschen in den Himmel kommen, so ist die Ehe für alle schlussendlich nur eine kleine Anpassung. Der Preis der für die dauernde Anpassung gezahlt werden muss, ist dass die Bibel als Fundament nicht mehr taugt. Als vermeintlich unnützer Ballast wird sie immer mehr bei Seite geschoben. Funktioniert diese Herangehensweise? Im Moment nicht, immer weniger Leute besuchen die evangelische Kirche. Wieso auch, wenn sie sich selber vom besten Verkaufsargument verabschiedet? Wäre es nicht Aufgabe der Kirche, den Menschen den Weg zu Jesus zu zeigen? Wenn sie das nicht mehr tut, braucht es sie dann noch?
Die Alternative wäre eine Kirche, die sich auf die Bibel als Fundament beruft. Dabei könnte sie ein klares Profil entwickeln. Es geht nicht darum, mit dem Mahnfinger die Sünden aufzuzeigen sondern den Menschen die Liebe von Jesus näherzubringen. Klar und biblisch begründet. Quo Vadis, Landeskirche?
Die Alterna
Dies sind sehr reflektierte Argumente, die aufzeigen wieso man ein Bekenntnis zu Christus (und somit auch ein Bekenntnis zur Lehre von Jesus) nicht von sexualethischen Fragen (in unserer Gesellschaft) sowohl in der Bibel als auch in der Kirchengeschichte von einander trennen kann. Vielen Dank für eure wertvolle Arbeit, die viel Zeit, Engagement und Mut erfordert!
Vielen Dank Daniel für dein wohlwollendes Feedback!
Hut ab für euren Mut, zu diesem Thema öffentlich zu argumentieren. Mir gefällt eure faire konstruktive Art und die Stringenz in der Argumentation. Da steckt einiges an Zeit und Arbeit drin und dafür ein herzliches Dankeschön!