Meine Faszination war augenblicklich! Ein guter Freund hat vor wenigen Wochen in seinem Facebook Profil ein Bild gepostet, welches eine Visualisierung von Querverweisen innerhalb der Bibel zeigt. Im Bild, welches untenstehend abgebildet ist, sind nicht weniger als 63’000 innerbiblische Querverweise mit farbigen Bogenschlägen visualisiert. Die Farben ändern sich in Abhängigkeit zum Abstand zwischen den verbundenen Stellen. Die einzelnen Kapitel der Bibel sind feinsäuberlich von links nach rechts aufgereiht, nach der Anzahl ihrer Verse durch unterschiedlich lange vertikale Säulen symbolisiert.
Die unglaubliche Verwobenheit der biblischen Texte ist mir bereits in den vergangenen Monaten von Neuem wichtig geworden. Nun fand diese auf einmal vor meinen Augen eine visuelle Darstellung. Als Architekt bin ich eine optisch veranlagte Person. Dieses Bild hat mich aus den Socken gehauen.
Bible Cross-References — by Chris Harrison
Die Bibel — ein Gesamtkunstwerk
Entstanden ist die Visualisierung durch eine Zusammenarbeit von Chris Harrison mit dem lutheranischen Pfarrer Christoph Römhild. In seiner Präsentation beschreibt Harrison die Hintergründe, welche zur Entstehung des Bildes führten:
Mit dem Fortschreiten der Arbeit wurde klar, dass eine interaktive Visualisierung zur korrekten Erforschung der Daten notwendig würde, welche der User einzoomen und die Informationen daraus auf ein überschaubares Niveau trimmen kann. Dennoch war dies weniger interessant für uns, da Bibelprogramme bereits existierten, welche ähnliche (oder sogar noch grössere) Funktionalität boten. Stattdessen richteten wir unser Augenmerk aufs andere Ende des Spektrums — auf etwas Schönes statt Funktionales. Gleichzeitig wollten wir etwas, das der Komplexität der Datenmenge auf jeder Ebene Rechnung trägt und auch die Möglichkeit bot zur Betrachtung im Detail. Dies führte zum Konzept des mehrfarbigen Bogen-Diagrammes. Chris Harrison — eigene Übersetzung
Natürlich kann man mit diesen Daten auch analytisch arbeiten. Doch schon das Betrachten und Herumwandern im Bild (welches auch in Höchstauflösung heruntergeladen werden kann) ermöglicht eine Fülle von Einsichten.
Die Querbezüge umspannen die volle Breite der Bibel. Das Alte Testament verweist hundertfach auf das Neue und umgekehrt.
Das Leben und Reden Jesu, wie in den Evangelien beschrieben, ist unzertrennlich mit den Texten des Alten Testaments verknüpft. (Dazu der interessante Blogpost meines Bruders.)
Kein einziges Kapitel scheint es zu geben, welches nicht in irgendeiner Form mit einem anderen Kapitel irgendwo in der Bibel in Verbindung steht.
Wer auf die farbigen Verweis-Bögen einzoomt, wird an die tragfähigen und eng verflochtenen Strukturen von Glasfaserbaustoffen erinnert. Mir kommt der tragfähige Grund der Gemeinde in den Sinn, der gemäss Eph 2:20 die Apostel (Neues Testament) und Propheten (Altes Testament) im Verbund mit dem Eckstein Jesus Christus bilden.
Faktisch in der Mitte der langen Aufreihung von Bibelkapiteln finden wir eine unglaublich lange Säule: Den Psalm 119. Dieser Psalm hat die Liebe zum Wort Gottes und zu seinen Geboten als zentrales Thema und scheint, gleich dem Kiel eines Schiffes, dem Ganzen Stabilität und Spur zu verleihen.
Dieses Bild stellt optisch etwas davon dar, was für ein gewaltiges Gesamtkunstwerk die Bibel eigentlich ist. Von dutzenden von Autoren über den Zeitraum von hunderten von Jahren und in unterschiedlichen kulturellen Settings geschrieben, zeigt sich doch die erstaunliche Einheit dieses Buches. Und dieses Buch macht auch klar, dass sein roter Faden letztlich auf dem EINEN Autor beruht, welcher alles zusammenhält: Der Schöpfer selbst schreibt seine Geschichte mit uns Menschen.
Bible Cross-References (Ausschnitt) — by Chris Harrison
Gewalt am Kunstwerk
Wer ausser einem Spinner, einem Ahnungslosen oder einem Verbrecher würde schon einem weltbekannten Kunstwerk wie der ‘Mona Lisa’ Gewalt antun? Wer ausser einem Grössenwahnsinnigen würde sich zumuten, es nachbessern zu können? Ein weltweiter Aufschrei wäre die natürliche und richtige Folge eines solchen Handelns.
Auch historische Bauwerke und Stadtbilder werden zu Recht mit grösster Sorgfalt erhalten und vor entstellenden Eingriffen geschützt. Erst gerade durfte ich unter Anwesenheit der Denkmalpflege des Kantons Thurgau das Farbkonzept für die Aussensanierung eines Gebäudes im historischen Kern der mittelalterlichen Stadt Diessenhofen besprechen. Da gibt es nicht viel Spielraum! Denkmalpflegebehörden landauf und landab achten mit Argus-Augen darauf, das historische Stadtbilder nicht verschandelt werden und stellen damit den Erhalt ihrer Einheit und Schönheit sicher.
Bei jedem Werk eines Künstlers ist uns klar, dass dieses bei Manipulation oder Veränderung eigentlich nur an Wert verlieren kann.
Bei jedem Werk eines Künstlers ist uns klar, dass vermeintliche Widersprüche oder Dinge, welche wir nicht verstehen, genauso dazu gehören dürfen.
Bei jedem Werk eines Künstlers ist uns klar, dass dieses in grösstmöglicher Präzision erhalten werden muss. Im Umgang mit dem ‘Kunstwerk Bibel’ haben dies die Masoreten verstanden und uns vorgelebt (siehe People of the Book — Der Schutzzaun der Masoreten).
Doch leider ist diese Selbstverständlichkeit nicht für alle klar, welche sich mit dem gewaltigen Gesamtkunstwerk der Heiligen Schrift befassen.
Der Irrlehrer Marcion ist ein Prototyp solchen Handelns. Marcion hat im zweiten Jahrhundert die Bibel mal schnell um das Alte Testament gekürzt in der Annahme, es zeige einen ‘bösen’ Gott, welcher nicht zum ‘guten’ Gott passe, der sich in Jesus Christus offenbare.
Ganz ähnlich das Jesus Seminar, welches ab 1985 über die Historizität der Wunder und der Reden Jesu befinden wollte. Gründer Robert W. Funk versammelte eine gegenüber der Zuverlässigkeit der biblischen Schriften zumeist kritisch eingestellte Gruppe von ‘Fellows’ (Kollegen). Diese konnte per Abstimmung über den Grad der Verlässlichkeit von Jesu Taten und Aussagen befinden. Am Schluss blieben nach ihnen gerade mal 18 Prozent der Aussagen Jesu und 16 Prozent seiner Taten übrig. Dies ist eine Zerstümmelung sondergleichen der Evangelien, welche über das Leben von Jesus berichten.
Man stelle sich das Bild von Chris Harisson vor in der Variante ‘Marcion’ oder ‘Jesus Seminar’. Es würde nur ein völlig entstellter Schatten des Originals bleiben!
In einem aktuellen Artikel bringt Markus Till die entstellende Wirkung solchen Handelns auf die Botschaft der Bibel auf den Punkt:
Ein billiges Evangelium, das die Hintergrundbotschaft des Alten Testaments verschweigt, ist deshalb ein anderes, ein falsches, ein banalisiertes, belangloses und kraftloses Evangelium, das zwar keinen Anstoß erregt, das aber am Ende auch niemand interessiert und niemand verändert.
Solch entstellendes Handeln an der Bibel gibt es natürlich auch in viel feineren und subtileren Formen. Man spricht dann vielleicht von ‘Kratzgeräuschen’ einer Schallplatte, welche entfernt werden müssen, damit ‘His Masters Voice’ besser gehört werden kann. Man spricht dann vielleicht von kleinen ‘Retuschen’, welche uns die wahre Absicht des Meisters besser sehen lassen sollen. Man spricht dann vielleicht von redaktionellen ‘Ergänzungen’, welche dieses Werk Gottes für unsere Zeit brauche.
Bible Cross-References (Ausschnitt) — by Chris Harrison
Der Meister hinter dem Meisterwerk
Es geht hier keineswegs darum, zu einem ‘wissenschaftsfeindlichen’ Umgang mit der Bibel aufzurufen. Mein Punkt ist vielmehr dieser: Letztlich geht es oft einfach darum, dass sich Menschen über den Autor der Bibel und Schöpfer dieser Welt stellen und selber besser zu wissen meinen, wie das Gesamtkunstwerk Bibel ‘auszusehen’ oder zu ‘klingen’ habe.
Ich selber bin mehr denn je überzeugt, dass wir bei der Bibel vor einem vertrauenswürdigen Original stehen, durch welches sein Schöpfer — bei allen offenen Fragen — deutlich und klar zu uns spricht. Vor einem Original, welches weder Retuschen noch Redaktion haben will, sondern bestaunt, geliebt, verstanden und gelebt werden möchte. Wer sich auf die Botschaft dieses Werkes einlässt, dessen Leben wird verändert und in die Anbetung dieses grossen Meisterkünstlers geführt.
Links zu den weiteren Teilen in dieser Serie:
Schalom,
ich schreibe Sie nochmals an. Ich werde einen “Messianischen Glaubensgrundkurs” veröffentlichen und würde so
gern eines der Fotos von oben abbilden. Können Sie mir dazu die Genehmigung geben?
Ich freue mich über eine Antwort.
herzliche Grüße
Hildegard Schneider
Guten Tag,
woher kann man das Copyright für die Fotos bekommen?
Danke für eine Antwort.
ein herzliches Schalom
Hildegard Schneider
Guten Tag,
hochinteressant! Ich schreibe gerade einen messianischen Glaubensgrundkurs. Ich würde sehr gern das zweite Foto in dem Heft veröffentlichen — können Sie mir helfen, wie ich an eine Genehmigung kommen könnte? Über Sie?
ein herzliches Schalom
Hildegard Schneider
Sieht nett aus.
Allerdings sind alle Verweise von gleicher Art. Direkte Zitate sind etwas anderes als die Anspielung von John 1, 1 auf Gen 1, 1, usw.
Zudem gibt es auch Verweise auf die Apokrypen und nicht-biblische Texte wie zB. das Buch Henoch.
Letztlich ist die inhaltliche Analyse der Verweise am interessantesten.
Alles Gute!
Danke für das Bild und den Beitrag Peti! Das ist wahrhaftig schön! Spannende Aussagen in den Ausführungen und Interpretationen dazu! Das Bild der in sich verweisenden und verlinkten Bibel als Kunstwerk löst bei mir, nebst dem tiefen Staunen über den Schöpfergeist aber auch eine spannende Folgefrage aus:
Ist dieses Muster aus deiner Sicht DAS Original einzigartig oder eines von mehreren Muster-Optionen, da wir, auch aus Sicht der Geschichte der Hermeneutik davonausgehen müssen, dass nicht alle “Zeichner”(Exegeten) die gleichen Textstellen miteinander verbinden würden, aufgrund differenter Schriftauslegung/Gewichtung/Prägung/Biographie (die ja immer auch kulturbedingt sind) und somit eher Bild(er) anstatt DAS Bild entsteht?
Wie denkst du?
Lieber Gruss Remy
Faszinierende Darstellung der Zusammenhänge in Gottes Wort. Ich befasse mich seit Jahren mit diesem Thema und entdecke immer wieder neue Verbindungen. Das Bild hilft meiner Vorstellung von der Schöpfung in Raum und Zeit die umgeben/ eingebettet ist in der unsichtbaren Wirklichkeit, die hinter all den Verbindungen immer da ist.
Danke für den Beitrag.
Vielen Dank Ernst.
Dieses Bild hängt seit Jahren in meiner Stube und begeistert sowohl Christen als auch Nichtchristen immer wieder aufs Neue 🙂
Toller Artikel! Als ich das erste Mal die Bibel durchgelesen habe, habe ich immer wieder zwischen AT und NT gewechselt, um es spannender zu haben. Dabei habe ich meine Liebe für die Zusammenhänge entdeckt (angefangen mit der Frau, welche den Zipfel Jesu berührt und geheilt wird und ich ganz zufällig die Stelle im AT kurz vorher gelesen hatte, in der es darum ging, dass alles, was sie berührt, unrein wird). Das bringt die Dramatik der Situation erst richtig hervor. Seitdem sauge ich jegliche solcher Verbindungen auf. Deshalb war Deine Predigt am Sonntag auch besonders wertvoll für mich, weil die Geschichte Bileams mich schon länger beschäftigt hatte. Danke für diesen Einblick! Wir haben dies auch heute in der Kleingruppe vertieft, sowie die Frage, wo wir dem Mainstream zu viel Raum geben und das Wort nicht mehr für voll nehmen.
Super Mirco. Hier der Link zu von dir erwähnten Predigt von Peter: https://livestream.com/Chrischona-Frauenfeld/GD/videos/197992515
Vielen Dank für den spannenden und sogar schönen (!) Artikel. Die Bibel ist unglaublich faszinierend!
Was ich etwas schade finde ist der indirekte (vielleicht unbewusste) Hinweis auf Emil Brunners Metapher der Schallplatte. Leider passt der Kontext des Original-Zitats nicht wirklich auf das, wofür es hier negativ verwendet wurde. Zumindest wäre das sehr verkürzt.
Einfach ein kleines Detail 😉
Ps: wieso müssen fast alle eure Posts immer auch gegen etwas gerichtet sein, wenn man ja für einmal einfach die Schönheit der Bibel hätte darstellen können. Aber vielleicht ist das ja auch der Sinn dieses Blogs (gemäss Beschreibung).
Danke Michael für das Kompliment und auch für deine Rückfragen. Es ging mir beim Beispiel mit der Schallplatte keineswegs um Brunner (da wärst glaube ich du der Spezialist und nicht ich), sondern darum, aufzuzeigen, dass das Eingreifen ins ‘Kunsterk Bibel’ auch mit einer feiner Klinge erfolgen kann als mit dem Zweihänder. Das war schon mein ganzer Punkt. Für eine gründlichere Besprechung unserer Beweggründe, warum wir schreiben, wie wir schreiben, ist wohl ein persönliches Treffen angesagt. Nur soviel: wir empfinden es als unsere Aufgabe, auch mit Kontrasten zu arbeiten, um unsere Anliegen und Entdeckungen klarer zur Geltung zur bringen. Dies war in der Vergangenheit nicht so, erachten wir aber aktuell als angebracht. Das Arbeiten mit Kontrasten ist — um beim Thema Schönheit zu bleiben — durchaus ein gestalterisches Stilmittel welches in der Kunst eingesetzt wird. Im Architekturstudium habe ich genau mit diesem Stilmittel bei meiner Diplomarbeit eine ziemlich gute Note gemacht :-).
Liebe Grüsse aus Frauenfeld, Peti