“Wir schaffen das”, liess Angela Merkel 2015 mitten in der europäischen Flüchtlingskrise verlauten. Wieviel Einwanderung aus fremden Kulturen mag ein Land vertragen? Was braucht es für ein gelingendes Miteinander von Kulturen? Und: Welchen Beitrag können Christen darin haben?
Wenige Themen haben das Europäische Kernland in den vergangenen Jahren so beschäftigt wie die ganze Thematik der Migration und kulturellen Integration. Unsere gutbürgerlichen europäischen Wohlstandsgesellschaften stöhnen unter der ‘Last der Integration’. Reale Herausforderungen, wie zum Beispiel Ausländerkriminalität oder Asylmissbrauch, geben Nährboden für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.
Im Gegensatz zur spannunsvollen Gegenwart zeichnet die Bibel am Ende der Zeit ein friedliches und schönes Miteinander aller Völker:
Völker werden in dem Licht leben, das von der Stadt ausgeht, und von überall auf der Erde werden die Könige kommen und ihren Reichtum in die Stadt bringen. (Offb. 21:24)
Wie können wir als Christen trotz den Realitäten unserer Zeit in unseren Gemeinden etwas Multikulturelles vorleben, das unsere Gesellschaft aufmerksam macht auf denjenigen, der dieses Miteinander der Völker möglich macht: Jesus Christus?
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Fremd im eigenen Land
Wie schwierig das Einfinden in einer fremden Kultur sein kann, habe ich in meiner Kindheit selbst erlebt. Aufgewachsen als weisshäutiger Ausländer in einem afrikanischen Land, erlebte ich in meiner frühen Kindheit kulturübergreifende Freundschaften: das Spielen mit meinen afrikanischen Freunden, das Einladen in mein Haus zwecks Bau von Kartonschachtel-Burgen. Und dann dieser einschneidende Abend, wo ich beim Brot holen im Quartier von einer mir fremden Bande einheimischer Jugendlicher verfolgt werde, mit Steinen beworfen und von einem Stein an der Ferse verletzt werde. Ich war ein ‘Weisser’ – das war scheinbar Grund genug sich über mich herzumachen. Von diesem Tag an war das nach draussen gehen in der Dunkelheit für mich mit Angst verbunden.
Meine Rückkehr in die Schweiz mit 12 Jahren brachte neue Herausforderungen. Hier, in meiner angestammten Kultur, war ich nämlich der ‘Afrikaner’, derjenige, der von gewissen alltäglichen schweizerischen Selbstverständlichkeiten keine Ahnung hatte. Mit 16 Jahren, 4 Jahre nach unserer Rückkehr in die Schweiz, erblickte ich beim Weihnachtsessen meiner Lehrfirma zum ersten Mal einen fürs Festessen gedeckten Tisch. Was ein fröhlicher Abend mit feinem Essen hätte werden sollen, wurde zum anstrengenden Versuch, meine völlige Ahnungslosigkeit im Umgang mit all dem Geschirr und Besteck an meinem Platz zu verbergen.
Wer merkt, dass er anders ist als die Mehrheit, der neigt dazu, sich zurückzuziehen und abzukapseln. Wer sich abkapselt riskiert erst recht, nie wirklich in einer Gesellschaft anzukommen. Dass ich letztlich innerlich doch in der Schweiz ankommen durfte, verdanke ich auch ganz stark einer kleinen christlichen Lokal-Gemeinde und einigen gläubigen Familien, welche in den wichtigen Jahren nach der Rückkehr unserer Familie in die Schweiz uns Zuwendung gegeben haben.
Wenn schon ich als ‘Auslandschweizer’ mit Schweizer Pass meine Herausforderungen hatte, mich in der Schweiz zurechtzufinden – wieviel schwerer haben es da wohl Menschen, denen unsere Kultur noch viel fremder ist? Genau da haben wir als Christen eine Berufung in unserer Gesellschaft. Denn Christen waren schon immer eine kulturübergreifende Familie.
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Eine kulturübergreifende Familie
Wenn Medien in unseren Breitengraden über das Christentum berichten, so ist der Fokus heute auf dem Mitgliederschwund der Kirchen in Europa, den Missbrauchs-Skandalen der Katholischen Kirche, den innerkirchlichen Grabenkämpfen rund um aktuelle ethische Fragen und natürlich der ‘weissen evangelikalen Kirche’ in Amerika mit ihren politischen Verflechtungen.
Dabei wird die eigentliche grosse Meldung unterschlagen, nämlich was für eine globale Bewegung die christliche Kirche über die vergangenen Jahrzehnte geworden ist. Die Gemeinde Jesu ist keineswegs einfach eine weisse, konservative Interessengruppe. Weit mehr Christen versammeln sich heute in der südlichen Hemisphäre als in der nördlichen. Im religionsfeindlichen China treffen sich an einem Sonntag geschätzt mehr Christen zum Gottesdienst als in ganz Europa zusammengezählt. In Europa sind inzwischen viele der grössten Kirchversammlungen am Sonntag bei Migrantenkirchen zu finden.
Dass die christliche Kirche heute eine weltumspannende Bewegung ist, ist aber nichts Neues, denn von der ersten Stunde an war der kulturübergreifende Charakter Teil ihrer DNA.
Bereits beim Pfingstwunder, dem Entstehungsmoment der ersten christlichen Gemeinde, waren Menschen aus vielen Nationen und Völkern anwesend (Apg 2:5–11). Die durch Verfolgung zerstreute Urgemeinde brachte das Evangelium zu verschiedenen Völkern (Apg 8:4). Der erste Täufling von der die Apostelgeschichte berichtet, ist ein Mann aus Äthiopien (Apg 8:26–39). Der zweite Täufling ein römischer Hauptmann – ausländisches Mitglied einer verhassten Besatzungsmacht (Apg.10:1–48). In beiden Fällen erfolgte Verkündigung des Evangeliums und Taufe auf ausdrückliche Anweisung des Heiligen Geistes.
Die von Europa ausgehende Missionsbewegung der vergangenen Jahrhunderte ist also keineswegs die erste interkulturelle Missions-Bewegung der Christen. Im Gegenteil — europäische Christen haben den südländischen mehr zu verdanken, als ihnen vielleicht bewusst sind. Trevor Sutton zeigt beispielsweise in einem Artikel den Einfluss afrikanischer Theologen der ersten Jahrhunderte auf die europäische Reformation:
Vor Luther in Wittenberg, gab es Augustinus in Algerien. Vor Calvin in Genf, gab es Kyrill in Ägypten. Vor Zwingli in Zürich gab es Tertulian in Tunesien. Diese Afrikanischen Theologen hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf die Theologen der Reformation. Tatsächlich, viele der einflussreichsten Texte des 16ten Jahrhunderts wie das Konkordienbuch oder die Institutio von Calvin sind voll von Referenzen auf diese afrikanischen Theologen. (Eigene Übersetzung)
Die christliche Kirche war von der ersten Stunde an eine kulturübergreifende, weltweite, internationale Kirche. Und die Art und Weise, wie sich diese Kirche in den unterschiedlichen Kulturen einfand, war so ganz anders als alles, was die damalige Welt kannte, wo Glaubensausbreitung praktisch untrennbar mit Eroberung und Unterwerfung anderer Völker verbunden war.
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Völker vereint vor dem Kreuz
Als die ersten Christen anfangen, die Gute Nachricht von Jesus ins Römische Reich und die damals bekannte Welt hinaus zu tragen, wird dies, wie in unserem ersten Artikel der DNA-Serie beschrieben, nicht wirklich als ‘richtige’ Religion wahrgenommen. Larry Hurtado beschreibt in seinem Buch ‘The Killing of the Gods’, wie stark Religion damals an die gegebenen Strukturen gebunden war.
Im alten römischen Reich war es üblich, dass man die Götter der eigenen ethnischen Rasse anbetete. Der Glaube wurde also durch die ethnische Zugehörigkeit vorgegeben und war durch Rituale, Kultstädten und Priesterabfolgen in einer bestimmten Volksgruppe verankert. Neben diesem von der Ethnie oder Volkszugehörigkeit definierten religiösen Kern, konnten sich weitere religiöse Elemente dazugesellen.
Ein solches zusätzliches Element, das über die Grenze der einzelnen ethnischen Rassen hinausging, war die Einführung des römischen Kaiserkultes. Dieser Kult war mit einer staatlichen Zugehörigkeit verbunden, in diesem Fall dem Machtbereich des römischen Imperiums, welches von seinen Untertanen auch religiöse Huldigung einforderte. Der Kaiserkult war keine Ersatzreligion für die bereits vorhandenen Kulte. Solange die Bürger am Kaiserkult teilnahmen, durften sie weiterhin an ihrem Stammes-Glauben festhalten.
Ein drittes religiöses Element konnten Kulte sein, welche sich vor allem in gewissen Gesellschaftsschichten verbreiteten. Ein Beispiel ist hier der Mithraskult, welcher nur Männern vorbehalten war und sich zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert vor allem unter römischen Soldaten verbreitete. Solche Kulte können am ehesten mit Geheimlogen verglichen werden und zeichneten sich durch ihren exklusiven Charakter aus, indem zum Beispiel Frauen nicht zugelassen waren, oder nur Personen von einem gewissen Stand.
Im Gegensatz zu diesem Polytheismus der damaligen Welt, war der Glaube der Juden und Christen ein monotheistischer Glaube, welcher an EINEN transzendenten Schöpfergott glaubte. Dieser Ansatz war deshalb revolutionär, weil der transzendente Schöpfergott letzlich nicht an ethnische, staatliche noch gesellschaftliche Zugehörigkeiten gebunden war. Weil Gott der Schöpfer aller Menschen war, konnte bei den Christen auch Jeder ein Teil der Glaubens-Gemeinschaft werden. Dies macht Paulus im Brief an die Galater klar:
Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben. Gal 3:26–9
Durch den Glauben an Jesus sind die ethnischen (Jude oder Grieche), sozialen (Sklave oder Freier) und geschlechtlichen (Mann oder Frau) Kategorien auf radikale Weise relativiert. Die Identität der Gläubigen liegt nun ‘in Christus’. Durch die Zugehörigkeit zu Jesus sind die Gläubigen auch geistliche Nachkommen und Erben Abrahams, dem Vater des Glaubens, dem das Segensversprechen für ALLE Völker gegeben worden war. (Gen 12:3)
Was wir heute erleben ist, wie Religiosität – auch christliche — überall da rückläufig ist, wo man sie an eine ethnische oder nationale Identität geknüpft hat: «Ich bin Italiener, also bin ich Katholik», «Ich bin Zürcher, also bin ich reformiert», «Ich bin Norweger, also bin ich Lutheraner». Überall, wo sich solche auf Vererbung basierende Glaubensformen eingespielt haben, erleben wir rückläufige Trends bei Mitgliederzahlen von Kirchen.
Wachstum hingegen erleben weltweit Kirchen evangelikaler Prägung, welche auf die freie Glaubensentscheidung und Nachfolge setzen – unabhängig einer durch Ethnie oder Nationalität vorgegebenen Frömmigkeit. Hier entwickelt Christsein Kraft und Dynamik – unter Menschen, welche selbstgewählten, nicht ererbten Glauben leben möchten.
Die revolutionäre Kraft des Evangeliums ist genau dies: In Christus finden Menschen auf dem ebenen Grund vor dem Kreuz Jesu zusammen. Hier sind Menschen aller Rassen und Klassen gleichermassen verloren und bedürftig, gleichermassen geliebt und beschenkt. Man stelle sich vor, was das für die vielen rassen- und klassenbedingten Konflikte und Kriege unserer Welt bedeutet!
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Elemente der kulturübergreifenden Verständigung
Der ebene Grund vor dem Kreuz ist die Grundlage, warum Christen ganz unterschiedlicher kultureller Hintergründe einander nahekommen können. Dass Christus am Kreuz die trennende Wand zwischen Juden und Heiden niedergerissen hat und sie einander nahegebracht hat, macht der Apostel Paulus im Epheserbrief klar:
Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, nahe gebracht worden durch das Blut des Christus. Eph. 2:13
In ihrem neuen gemeinsamen Glauben an Jesus Christus haben die Christen die Grundlage für Versöhnung anstelle von Feindschaft, Frieden anstelle von Streit oder Hetze, Nähe anstelle von Distanz (Eph. 2:13–17). Ja, die Christen haben durch den einen gemeinsamen Geist Zugang zum Vater (Eph. 2:18), sie sind sich nicht mehr fremd, sondern gemeinsame Mitbürger im Haus Gottes (Eph. 2:19)
Der an die christliche Gemeinde in der multikulturellen Metropole Ephesus gerichtete Epheserbrief, greift ganz bewusst die Themen auf, welche für ein gelingendes Miteinander der verschiedenen Kulturen wichtig waren – und heute noch sind. Folgende, nicht abschliessende Aspekte, können wir in diesem Brief entdecken.
Wir sind Beschenkte
Das Zusammenleben als Christen verschiedener Rasse und Klasse soll von einem Bewusstsein geprägt sein, wie reich wir beschenkt sind. Dieses Bewusstsein soll nicht nur eine individuelle sein, sondern eine gemeinsame, sich vertiefende Dankbarkeit soll wachsen, welche die Gräben und Hürden unterschiedlicher Kulturen überwindet:
Ich bitte ihn, dass ihr zusammen mit der ganzen Gemeinschaft der Glaubenden begreifen lernt, wie unermesslich reich euch Gott beschenkt. Eph 3:18, GN
Adel verpflichtet
Mit der neuen Identität als Kinder des Höchsten, als gemeinsame Bürger im Haus Gottes, kommt auch eine Berufung: dass wir in unserem Umgang miteinander unserem neuen Stand würdig leben:
So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe (Eph. 4:1–2)
Das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Hintergründen bedarf bei Allen der Bereitschaft – ja der bewussten Entscheidung – die göttlichen ‘Hauskultur’ zu leben. Unser Verhalten soll von dem gelenkt sein, was Gott gefällt (Eph. 5:10).
Zu dieser Hauskultur gehören die für die kulturübergreifende Verständigung so wichtigen Aspekte der Demut (dass wir uns nicht höher oder wichtiger schätzen als unser fremdes Gegenüber), der Sanftmut (dass wir eine milde, auf Heilung und Vertrauensbildung ausgerichtete Art pflegen, welche das fremde Gegenüber verstehen will) und Geduld (die Bereitschaft, mit unserem fremden Gegenüber die Extrameile zu gehen).
Zu dieser Hauskultur gehört aber auch die Umsetzung von ethischen Aspekten. So soll zum Beispiel der Umgang mit unserer Sexualität auf eine Weise sein, welche Gott ehrt (Eph. 5:21–33). Die Christen von damals waren als berufene ‘Kinder des Lichtes’ (Eph. 5:8) gewisser Verhaltensweisen nicht mehr würdig. So sollte das Ausleben einer für Frauen, Sklaven und Kinder herabwürdigenden und auf Machtgefälle ausgerichteten Sexualität bei den Christen keinen Raum mehr haben, egal welchen kulturellen Hintergrundes. Männer sollten ihre Sexualität auf eine Art ausleben, welche sich Gottes Zuwendung zu uns Menschen zum Vorbild nimmt und das sexuelle Gegenüber nicht als Objekt, sondern als im Bilde Gottes geschaffen sieht:
Ihr Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch der Christus die Gemeinde geliebt hat und sich selbst für sie hingegeben hat (Eph. 5:25)
Wir sehen aber auch, wie Paulus ganz alltägliche Aspekte des Zusammenlebens anspricht. So sollen sich Christen anstelle einer Einstellung des Schmarotzertums oder der unehrlichen Bereicherung eine gesunde Arbeitsethik aneignen, welche darauf abzielt, Solidarität üben zu können:
Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern bemühe sich vielmehr, mit den Händen etwas Gutes zu erarbeiten, damit er dem Bedürftigen etwas zu geben habe. (Eph. 4:28)
Gelebte Solidarität finden wir bei den christlichen Gemeinden von Anfang an nicht nur innerhalb einer lokalen Situation, sondern in Form von gelebter ‘internationaler’ Solidarität durch Spenden-Sammlung (Röm. 15:25–28; 1. Kor. 16:1–4; 2. Kor. 8:1–5)
Ganz allgemein soll der Fokus nicht auf dem Empfangen sein, sondern auf der gegenseitigen Unterordnung (Eph. 5:21), dem Dienst aneinander und dem Einsatz der eigenen Gaben und Fähigkeiten für die Gemeinschaft (Eph. 4:7). Der Dienst aneinander ist dabei Geschlechts‑, Klassen- und Generationenübergreifend, wie die Anweisungen von Paulus an Ehepartner (Eph. 5:22–33), Eltern und Kinder (Eph. 6:1–4) sowie Sklaven und Herren (Eph. 6:5–9) belegen.
Verankerung in der Wahrheit des Wortes Gottes
Dass solch tiefgreifenden Transformationen im Miteinander nicht von heute auf Morgen geschehen, sollte allen klar sein. Und genauso ist das Zusammenkommen verschiedener Kulturen auch unter Christen mit manchen Hürden verbunden.
Paulus betont deshalb auch den Aspekt des gemeinsamen Wachstums (Eph. 4:15) und des geistlichen Kampfes füreinander (Eph. 6:18). Ganz entscheidend ist, dass sich alle Christen bezüglich der tragfähigen gemeinsamen Grundlage einig sind, auf dem das Wachstum geschehen kann. Die Christen aus den verschiedenen kulturellen Hintergründen sind in den Bau Gottes eingefügt, dessen Fundament die Apostel und Propheten bilden, ausgerichtet am Eckstein, der Jesus Christus ist. (Eph. 2:20)
Interessant ist hier die Beobachtung, dass auch die Propheten (Altes Testament) und die Apostel (Neues Testament) als ‘fundamental wichtig’ für den stabilen und sicheren Aufbau der kulturübergreifenden Gemeinde Jesu bezeichnet werden. Die biblischen Schriften des Alten Testaments waren mit den neuen Schriften der Apostel eine verbindliche Grundlage, aufgrund derer Fragen gewälzt und Antworten gesucht wurden.
Dies war eine absolute Notwendigkeit in Anbetracht der vielen verschiedenen weltanschaulichen Hintergründe, aus welchen sich die ersten Gemeinden bildeten. Nur auf der Basis eines Vertrauens in die biblischen Schriften war ein tragfähiges Zusammenwachsen der ersten Christen möglich. Nur auf dieser Basis konnte gemeinsam entdeckt werden, ‘was Gott gefällt’. Die ersten Christen waren wie auch die Juden, ‘People of the Book’.
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Kultureller Friede – Jesus Style
Die Art, wie Christen kulturellen Frieden sicherstellten ist so ganz anders als die Konzepte, welche unsere Zeit sonst noch kennt.
Die totalitären Ansätze wie wir sie heute zum Beispiel in China vorfinden, setzen auf kulturellen Frieden durch subtilen bis offenen Zwang. Neue Gesetze treten in Kraft, und die Regierung versucht zum Beispiel durch redaktionelle Eingriffe in Literatur oder Liedgut oder auch durch den konsequenten Aufbau von Überwachungsstrukturen, den Frieden – und vor allem ihre Macht — zu wahren. Zuckerbrot und Peitsche lautet die Devise im Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten. Veränderung wird hier von den nicht genehmen Minderheiten erwartet. Diese müssen sich anpassen oder den Mund halten, wenn sie keine Repressalien wollen.
In westlichen Ländern lässt sich derweil ein umgekehrter Trend feststellen, nämlich dass gesellschaftliche Minderheiten sich im Rahmen von ‘Identity Politics’ zusammenschliessen, um in einer gesellschaftlichen Mehrheitskultur ihre Ansichten und Werte durchzusetzen. Identity Politics betonen die gesellschaftlichen Unterschiede auf Kosten der vorhandenen Gemeinsamkeiten und erwarten Veränderung von der Mehrheit, welche als unterdrückend empfunden wird.
Der Islam ist neben dem Judentum und dem Christentum die dritte monotheistische Religion. Hier findet die Religion nicht auf kultursensible Art Einzug in neue Settings, sondern über die Dominanz der arabischen Kultur. Diese Kultur ist an den meisten Orten, wo der Islam hinkommt, den Menschen fremd, die sich zum Islam bekehren. So mag ich mich aus meiner Kindheit in Afrika noch gut an die vielen kleinen Koranschulen an allen Ecken der Stadt erinnern. Im Staub der Strasse sitzend lernten die Kinder den Koran auswendig, in der islamischen Sakralsprache Arabisch — eine Sprache, von dem sie kein Wort verstanden. Der Islam und sein Heiliges Buch suchen keine kulturelle Sensibilität.
Im Gegensatz dazu ist die Bibel mittlerweile in tausende von Sprachen übersetzt worden. Die Übersetzungsarbeiten gehen meist mit Alphabetisierungsprogrammen in den jeweiligen Sprachen und Dialekten einher und haben in den betroffenen Gebieten eine kulturerhaltende Wirkung. Das Übersetzen des heiligen Buches der Christen in eine lokale Sprache vermittelt dieser Würde und Wertschätzung und bewirkt unter anderem auch, das lokale Sprachen und Dialekte Fortbestand haben. Der christliche Glaube findet so in jeder Kultur seine eigene einheimische Prägung.
Natürlich wurden über die Jahrhunderte auch Fehler gemacht. Insbesondere da, wo der christliche Glaube in Verbindung mit staatlicher Macht in anderen Ländern und Völkern Einzug fand. Doch gerade die Anfänge der Verbreitung des christlichen Glaubens in den ersten Jahrhunderten, zeigen das Potential des christlichen Glaubens, Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzubringen.
Christen kommen zusammen, nicht als Gegner, sondern als Freunde, nicht als Sklaven und Herren, sondern als Brüder und Schwestern, nicht in einer Erwartungshaltung Anderen gegenüber, sondern in der Bereitschaft, zu dienen, nicht in der Betonung der Differenzen, sondern im Aufbauen auf dem gemeinsamen Fundament.
Der christliche Ansatz vermeidet damit zwei wesentliche Fehlansätze, welche wir in kulturübergreifenden Situationen immer wieder vorfinden:
Fehlansatz 1: «Du musst so werden wie ich bin»
Der christliche Glaube vermeidet eine Gleichmachung von kulturellen Identitäten, sondern sieht sie als bereichernde Ergänzungen.
Am Anfang der Bibel wird Abraham das Segensversprechen Gottes für alle Völker gegeben (Gen. 12:3). Diese Völker finden wir am Schluss der Bibel wieder, wo das Leben im ‘Neuen Jerusalem’ beschrieben wird:
Und ihre Tore sollen niemals geschlossen werden den ganzen Tag; denn dort wird keine Nacht sein. Und man wird die Herrlichkeit und die Ehre der Völker in sie bringen. (Offb. 21:25–26)
Gott radiert keine kulturelle Herkunft aus. Vielmehr möchte er, dass die verschiedenen Kulturen in ihre gottbestimme Identität hineinfinden, welche am Ende der Zeit auch die Vielfalt und Gemeinschaft im Neuen Jerusalem bereichern wird. Gottes Zukunft und damit auch unsere ist eindeutig multikulturell!
Das Fehlkonzept eines «Du musst so werden wie ich bin» verkennt den Wert des fremden Gegenübers. Es ist eine traurige Realität, dass auch wir als Christen immer wieder mit unserer eigenen latenten Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen haben, welche uns in einem besseren Licht sieht als Menschen aus anderen Kulturen.
Es ist auch eine Realität dass unsere Vorbehalte gegenüber Fremden oft auf der Angst beruhen, den eigenen Wohlstand zu verlieren. Wir sollen, wir dürfen Busse tun, da wo wir mehr von unserer irdischen Kultur geleitet unsere Mitmenschen aus fremden Ländern beurteilen.
Lass uns von der himmlischen Zukunft her denken, wo Menschen aus allen Nationen gemeinsam vor dem Thron Gottes anbeten werden. Lass uns den Reichtum in den Anderen neu entdecken und sie nicht einfach in unsere ‘Schablonen’ pressen!
Fehlansatz 2: «Ich kann so bleiben wie ich bin»
Der christliche Glaube stellt sich gegen eine beliebige Bejahung jeglicher kulturellen Eigenheiten, sondern möchte ihre ‘Heiligung’, also ihre Entwicklung hinein in ihre wahre, gottbestimmte Identität.
Das war zu Zeiten der ersten Christen so, als diese angehalten waren, destruktive kulturelle Gepflogenheiten abzulegen. Der Aspekt der ‘Heiligung’ der Kultur ist wesentlich, damit zwischen den Kulturen auch Versöhnung, Frieden und bereichernde Gemeinschaft Gestalt annehmen kann.
Auch in der Zukunft des Neuen Jerusalem finden wir das geheiligte Leben als wesentliche Grundlage für das Miteinander der Menschen aus verschiedenen Völkern (Offb. 21:27).
Ein wichtiger Teil des Prozesses der Heiligung war bei den ersten Christen der intensive Austausch und das gemeinsame Ringen in Einzelfragen. Das Neue Testament dokumentiert zum Beispiel die Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen in den ersten Jahrzehnten der christlichen Gemeinde. Während bei den Juden die Gefahr bestand, auf die Seite des «Du musst so werden wie ich» zu kippen, standen die Heidenchristen in der Gefahr eines Verharrens in alten destruktiven Gewohnheiten, eines «Ich kann so bleiben wie ich bin».
Diese schwelenden Konflikte zwischen Judenchristen und Heidenchristen wurden gelöst durch offenes Benennen (keine Unterdrückung der Konfliktpunkte), intensive Gespräche und Diskussionen unter den Gläubigen und den Aposteln und im gemeinsamen, geordneten Ringen nach guten Lösungen auf der Basis der Schrift.
Einen solchen gut dokumentierten Findungsprozess finden wir im ersten Apostelkonzil (Apg. 15). Dieses hatte dann auch Vorbildcharakter für die diversen weiteren Konzile (z.B. Nicäa, Calcedon usw.), wo die wachsenden christlichen Gemeinschaften anstehende Fragen formulierten und gemeinsame Überzeugungen fanden.
Schlussgedanken
- Eine Kirche, die kulturelle Vielfalt lebt, ist ein Spiegel der zukünftigen Kirche im Himmel, weshalb wir diese bewusst auch aktiv suchen und leben sollen.
- Entscheidend, dass kulturelle Vielfalt in Kirchen positiv erlebt wird, ist die klare gemeinsame Mitte. Die kulturüberbrückende Kraft liegt in der Ausrichtung der Christen auf ihren gemeinsamen Erlöser Jesus Christus, der sein Blut für alle Menschen vergossen hat (Eph. 2:13).
- Ebenfalls entscheidend ist die klärende und stabilisierende Kraft der gemeinsamen Schriftbasis, welche Menschen aller Kulturen und Länder in Heiligung und gegenseitigem Dienst anleitet. Das gemeinsame Fundament ist auch die Grundlage für eine grosse Freiheit in Formen, Details und auch Strukturen einer kulturübergreifenden christlichen Gemeinschaft.
- Christliche Gemeinden und Kirchen können durch die gelebte Versöhnung zwischen den Kulturen und der freudigen Aufnahme von Fremdländern als vollwertige Glieder ihrer Gemeinschaften Modellcharakter haben für unsere Gesellschaft. Integration ist ein Thema, womit die christlichen Kirchen sich seit 2000 Jahren beschäftigen und nicht erst seit der Migrationswelle 2015. Das ist auch eine Berufung und ein Auftrag an uns Christen. Das ist die christlich motivierte Integrations-Zuwendung, die ich als Kind bei meiner Rückkehr in die Schweiz erlebt habe.
- Das Miteinander der Kulturen in der christlichen Kirche brauchte eine gemeinsame Mitte und ein Fundament an gemeinsamen Werten und Überzeugungen. Auch wenn unsere westlichen Gesellschaften meist säkular und ohne Glaubensbasis sind, so machen die Erkenntnisse aus der Kirchengeschichte doch klar, dass die Diskussionen um die Wertebasis einer Gesellschaft (Stichwort: ‘Leitkultur’) berechtigt sind. Eine multikulturelle Gesellschaft ohne gemeinsamen Konsens wird kaum gelingen, respektive sie wird der invasivsten Kultur anheimfallen.
- Lassen wir uns als Christen nicht von den beiden Fehlkonzepten («Du musst so werden wie ich bin» und «Ich kann so bleiben wie ich bin») einnehmen. Gesetzlichkeit erschwert das Zusammenfinden aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen durch unnötige Vorschriften in unwesentlichen Detailfragen. Religiöser Liberalismus ist ebenso destruktiv für die multikulturelle christliche Gemeinschaft, weil sie letztlich das gemeinsame Fundament untergräbt und in die Orientierungslosigkeit führt.
In zwei ergänzenden Artikeln zeigen wir, wie Menschen die Schönheit der multikulturellen Gemeinde von Jesus erleben und wie Gemeindebau in einem Multikulturellen Umfeld gelingen kann.
Vielen Dank Rahel. Das ermutigt mich grad sehr. Im Artikel mussten diverse lose Gedankenfäden in meinem Kopf zu einem Ganzen zusammenfinden. Das hat einiges an Schweiss gekostet, hab aber selber viel profitiert. Dir alles Gute und Gottes Segen!
Hallo Peter,
vielen Dank für deinen spannend geschriebenen Artikel. Du schreibst das, was mich zutiefst bewegt und antreibt: Gottes Ziel ist es, dass Menschen aus allen Kulturen ihn erkennen und ihn anbeten. Jesu Gemeinde soll und muss eine kulturelle Vielfalt spiegeln! Da gibt es so viele Chancen und Herausforderungen! Ich bin mit SAM global und koordiniere die interkulturelle Arbeit ProCONNECT in der Schweiz. In meiner Heimatgemeinde sind wir im Prozess eine kulturell durchmischte Gemeinde zu werden. In meinem Engagement in der sozialdiakonischen Arbeit Linde in Zürich üben ein syrischer Christ und ich das gemeinsame Leiten. Ich lerne viel und bin begeistert, was Jesus dadurch ermöglicht. Danke für den mutmachenden Artikel!