«Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen» — so tönte es aus meinem Mund, als ich vor 30 Jahren das Apostolische Glaubensbekenntnis vor versammelter Menge aufsagte. Zwölf Sätze, mühsam gelernt für meine Konfirmation in einer Schweizer Freikirche — und schnell wieder vergessen. Es waren die gleichen Worte, mit denen vor 1600 Jahren die Menschen in Aquileia ins Taufbecken gestiegen sind, um ihren Glauben an Gott zu bezeugen. Doch macht es überhaupt Sinn, sich als Christ mit einem Text zu befassen, der ’nicht mal in der Bibel’ steht? Für Rufin war die Antwort klar, als er die Anfrage bekommt, einen Kommentar zu diesem Bekenntnis zu verfassen: Ja!
Nicht viele Texte der Geschichte können eine ähnliche Karriere vorweisen, wie das Apostolische Glaubensbekenntnis. Entstanden in den ersten Jahrhunderten der Christenheit, gehört es seit jeher zu den wichtigsten Texten des Christentums – eine kompakte Zusammenfassung des christlichen Glaubens in zwölf Sätzen. Der Text bietet eine Grundlage für die christliche Katechese, dem Unterricht der Gläubigen in der christlichen Lehre. Er ist eine Grundlage, aufgrund derer Theologen diskutieren und debattieren können. Er ist ein Bollwerk der Kirche zur Verteidigung des Glaubens und Entlarvung von Irrlehren. Über Jahrhunderte hinweg wurde dieses Bekenntnis im Rahmen der Taufe durch die Täuflinge zu ihrem persönlichen gemacht. Viele Christen starben den Märtyrertod mit diesem Bekenntnis auf den Lippen. Für sie war das einfache «Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen» keine gesprochene Floskel, sondern ein Herzensbekenntnis, für das sie bereit waren, ihr Leben zu lassen.
Doch dieses Bollwerk der Kirche, dieses ‘komprimierte’ Wort Gottes, ist in den vergangenen 200 Jahren von zweierlei Weise ‘bezwungen‘ worden:
- Im Rahmen des Apostolikumsstreites in den evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz wurde im 19. Jahrhundert in den allermeisten Kantonen die Bekenntnisfreiheit eingeführt. Zu eng schien der Rahmen des Apostolischen Bekenntnisses für die tonangebenden liberalen Kräfte in der Kirche. Anstelle des gemeinsamen Bekenntnisses trat in der Kirche der Meinungspluralismus.
- Andere wiederum setzen sich durch Relativierung oder Umdeutung des Inhaltes über das Apostolikum hinweg. Vordergründig wird Liebe und Anerkennung des Bekenntnisses proklamiert, während in der Realität eigentlich keine von dessen Aussagen für wahr gehalten werden. Ein Beispiel gibt uns Stephan Jütte, Verantwortlicher für das Medienportal Reflab der Reformierten Kirche Zürich:
«Ich spreche das Apostolische Glaubensbekenntnis sehr gerne mit. Aber ich meine deswegen nicht, dass die Schöpfungsgeschichte stimmt und nicht die Evolutionstheorie, dass Maria eine Jungfrau war, die auf übernatürliche Weise schwanger geworden ist, dass Jesus die Hölle besucht hat, dann wieder gelebt hat und in den Himmel geflogen ist oder dass es eine Kirche gibt, die für die ganze Wahrheit steht.» Stephan Jütte, Diesseits
Das Apostolische Glaubensbekenntnis will aber nicht einfach als belanglose Formel mitgesprochen werden, sondern es will mit Herz und Verstand erfasst und geglaubt werden. Und gerade da bietet uns Rufin von Aquileia ein unglaublich wertvolles Geschenk: seinen Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, geschrieben ums Jahr 404 n. Chr. Natürlich haben auch andere Kirchenväter sich in den ersten Jahrhunderten zu Kernsätzen des christlichen Glaubens geäussert – auch zu verschiedenen Sätzen des christlichen Bekenntnisses. Rufin ist möglicherweise der erste, der sich mit einen kompletten Kommentar dem christlichen Glaubensbekenntnis zuwendet. Ein Mitkonkurent ist das ‘explanatio symboli ad initiandos’, welches im gleichen Zeitraum entsteht, aber dessen Autorenschaft umstritten ist. Rufins Werk ist jedenfalls von grosser Bedeutung — ein Werk, welches uns einen tiefen Einblick in den gemeinsamen Glauben der Christen jener Zeit schenkt. Ein Werk, welches uns aufzeigt, wie das Glaubensbekenntnis von den Generationen verstanden wurde, welche ihren endgültigen Wortlaut mitprägten. Im selben Sinne wie die damaligen Christen sollten auch wir es dann verstehen und auch glauben.
Achtung, dies ist ein längerer Artikel. Über das nachfolgende Inhaltsverzeichnis kannst du dich orientieren:
1. Hintergrund des Rufin Kommentars
2. Der Bekenntnistext im Vergleich
3. Zum Ursprung des apostolischen Bekenntnisses
4. Erste Beobachtungen zum Kommentar von Rufin
Viel Neues Testament, noch mehr Altes Testament / Allegorische Bibelauslegung / Abgrenzung gegen Irrlehren / Christus Victor UND stellvertretendes Sühneopfer / Versöhnter Mensch, Versöhnte Natur / Keine Allversöhnung, sondern Gericht
5. Die starke Apologetik von Rufin
Glaube oder Vernunft? / Jungfrauengeburt? / Ein Gott im Staub und Dreck? / Wahre Geschichte oder menschliche Phantasie? / Ein Gott der Sünden vergibt? / Eine leibliche Auferweckung?
6. Persönliches Fazit
Petrus entsendet den Evangelisten Markus nach Aquileia
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
1. Hintergrund des Rufin Kommentars
Wie muss es gewesen sein, als Rufin um die Jahrhundertwende vom 4. zum 5. Jahrhundert nach fast 30 Jahren im Orient in seine Heimat Aquileia zurückkehrt? Als junger Mann ist er ausgezogen – als ein vom Leben und manchen Abenteuern gezeichneter Mann kehrt er zurück. Sein Ruf ist ihm vorausgeeilt. Man hat von ihm gehört in Aquileia. Pilger sind von Aquileia ausgezogen, sind Rufin in Jerusalem begegnet, und haben zu Hause wieder berichtet. Da gibt es Heldenberichte und begründeten Stolz auf Rufin. Da gibt es aber auch Fragen und Verunsicherung. Denn auch die ‘schlechte Presse’ von seinem ehemaligen Weggefährten Hieronymus hat seinen Weg nach Aquileia gefunden. Kann man jemandem vertrauen, der 30 Jahre im ‘Ausland’ war? Sind seine Überzeugungen und sein Glaube noch die gleichen? Wie haben sich 30 Jahre in der Kirche des Orients auf diesen Mann ausgewirkt? Ist dieser Mann, der vor Jahren ausgezogen ist, die Welt zu entdecken, noch auf dem ‘guten Weg’?
Deshalb hat Rufin, als er von ‘Vater Laurentius’ den Auftrag zum Schreiben bekommt, wohl eine doppelte Aufgabe bekommen. Zum einen soll er dem Auftraggeber und anderen Menschen Anteil geben an seinem profunden Wissen. Die Schrift, die er verfassen soll, wird für den Taufunterricht verwendet werden und so jungen Gläubigen die Grundlage des christlichen Glaubens vermitteln. Zum anderen muss sich Rufin klar gewesen sein, dass die Schrift auch eine persönliche Prüfung ist. Der Auftrag gibt ihm die Chance und Aufgabe, in seiner Heimat den Nachweis seines guten Glaubens zu erbringen.
Ist Rufin ein guter Mann für die Aufgabe? Auf jeden Fall! Denn mit Rufin setzt sich eine Person mit dem Glaubensbekenntnis auseinander, welche aus dem Vollen schöpfen kann. Zu seinen geistlich formativen Jahren in der Kirche des Westens (Rom, Aquileia) haben sich fast 30 Jahre unterwegs in der Kirche des Orients gesellt (Alexandria, Jerusalem). Im Rahmen seiner Zeit als Vorsteher eines Klosters in Jerusalem hat er in der Begegnung mit Pilgern unzählig verschiedene Glaubensprägungen kennengelernt. Reisen bis nach Mesopotamien haben ihn in die entfernten Winkel der Christenheit geführt. Durch seine Übersetzungstätigkeiten ist er ein profunder Kenner der christlichen Theologie und der bisherigen Kirchengeschichte. Es gibt wohl kaum einen besser qualifizierten Kandidaten für die Aufgabe, das wohl wichtigste christliche Bekenntnis zu erläutern.
Was können wir von seiner Schrift erwarten? Ganz viel! Sie hat zum einen bildenden Charakter. Der Kommentar war, wie Rufin es schön schreibt, «für die Unterweisung der Kleinen in Christo» verfasst worden. Seine Ausführungen sollen der Festigung des Glaubens dienen, damit den Täuflingen «kein nachtheiliges Schwanken über Dasjenige, was sie glauben, sich einschleiche.» Der Kommentar gibt uns eine gesicherte Dokumentation des gültigen christlichen Glaubens zur damaligen Zeit. Die Schrift hat aber auch einen apologetischen Charakter. Rufin will den Glauben stärken, indem er Fragen und Einwände anspricht, welche in seiner Zeit an den christlichen Glauben herangetragen wurden. Nicht zuletzt hat die Schrift auch abgrenzenden Charakter. Denn Rufin beschreibt nicht nur im affirmativen Sinne den rechten Glauben, er benennt auch deutlich falsche Glaubensvorstellungen. Durch diese Kombination von Eingrenzung und Ausgrenzung beschreibt Rufin präzise, was für die damaligen Christen der ‘Spielraum der guten Lehre’ war.
Ein kurzer Blick in die spätere Geschichte zeigt die Wichtigkeit von Rufins Kommentar in der Kirchengeschichte. So war der Text 1478 das erste Werk, welches in Oxford auf einer Buchpresse gedruckt wurde. Es ist aber zugleich bezeichnend, dass jene gedruckte Ausgabe den Kommentar nicht Rufin zuschreibt, sondern seinem Weggefährten und späteren Kritiker Hieronymus (Jerome). Dessen Name hat Rufin nicht nur zu Lebzeiten überschattet, sondern auch weit über den Tod hinaus.
Der Evangelist Markus verkündet in Aquileia das Evangelium
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
2. Der Bekenntnistext im Vergleich
Nachfolgend findet sich der Bekenntnistext von Rufin (‘Symbolum Aquileium’) in Vergleich gesetzt zum römischen Ur-Apostolikum (‘Symbolum Romanum’) und dem Apostolischen Bekenntnis, wie es heute in den allermeisten Kirchen der Welt gesprochen wird. In einer vierten Zeile werden noch Orientalische Abweichungen erfasst, welche Rufin in seiner Schrift erwähnt.
Rufins Grundlage für die orientalischen Bekenntnisse könnte jene von Eusebius von Cäsarea sein, welche dieser 325 n. Chr. in einem Brief an seine Gemeinde erwähnt. Als Übersetzer der Kirchengeschichte von Eusebius ist es vorstellbar, dass Rufin sich in seinen Erläuterungen auf jenes Bekenntnis abgestützt haben könnte. Noch wahrscheinlicher ist jedoch, dass er sich auf das Bekenntnis von Jerusalem abgestützt hat, wo er als Vorsteher des Klosters am Ölberg gewirkt hat. Das Bekenntnis von Jerusalem kann aus Schriften von Cyrill von Jerusalem rekonstruiert werden, der Mitte des vierten Jahrhunderts gewirkt hat.
In der nachfolgenden Gegenüberstellung sind die von Rufin erwähnten Unterschiede rot markiert:
Diese Gegenüberstellung ermöglicht folgende erste Erkenntnisse:
- Das christliche Glaubensbekenntnis war, was ihre Substanz betrifft, bereits in der Zeit von Rufin ein vollständiges Bekenntnis.
- Das christliche Glaubensbekenntnis, das wir heute aufsagen, ist kein verfälschtes Bekenntnis, sondern entspricht in der Substanz dem Bekenntnis der Christen der ersten Jahrhunderte.
- Das christliche Bekenntnis war schon damals ein von der ganzen Kirche geteiltes Bekenntnis. Wenn über Irrlehren, Sondergemeinschaften und lehrmässige Unterschiede der Christen in der damaligen Zeit gesprochen wird, sollte dies nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen: die weltweite Einheit der damaligen Christen in den fundamentalen Fragen des christlichen Glaubens.
- Die kleinen Abweichungen in den Bekenntnissen sind vor allem regionale Präzisierungen. Auch Rufin erläutert in seinem Kommentar einige dieser regionalen Unterschiede und zeigt auf, dass sie als Präzisierungen aufgrund von Irrlehren zu verstehen sind: «An andern Orten aber – so viel ich die Sachlage überschaue — scheinen in Rücksicht auf gewisse Häretiker einige Zusätze gemacht worden zu sein und zwar solche, durch welche man den Sinn einer neuernden Lehre gänzlich auszuschließen glaubte.»
Nun einige Erläuterungen zu den von Rufin erwähnten Unterschieden zwischen den Bekenntnissen:
Satz 1
‘den unsichtbaren und leidensunfähigen’: Dieser Zusatz im Bekenntnis von Aquileia hat nicht in die Endversion des Apostolischen Bekenntnisses eingefunden. Es handelt sich um eine Präzisierung des Wesens des Vaters. Rufin schreibt, diese Präzisierung in Aquileia sei «bekanntermaßen jener Irrlehre des Sabellius wegen zugefügt worden». Es ging also darum, einer falschen Lehre entgegenzuwirken. Sabellius vertrat die Lehre des Patripassianismus, welcher davon ausging, dass Gott der Vater selbst am Kreuz getötet wurde. Deshalb wurde im Bekenntnis von Aquileia festgehalten: Gott der Vater ist ‘unsichtbar und leidensunfähig’. Auch wenn dieser Zusatz nicht in die Endfassung des apostolischen Bekenntnisses aufgenommen wurde, fanden diese Aspekte aber Eingang in wichtige spätere Bekenntnistexte, wie zum Beispiel dem bekannten Westminster Bekenntnis von 1647.
Satz 1/2
‘und in EINEN Gott’ / ‘und in EINEN Christus’: Die orientalischen Kirchen hatten gemäss Rufin fast alle diese Formulierung in den ersten zwei Sätzen, statt des allgemeineren ‘in Gott’ oder ‘in Jesus’. Ein Vergleich mit dem Bekenntnis von Cäsarea bestätigt dies. Der Grund gemäss Rufin: «sie legen nämlich in ihrem Bekenntnis Gewicht auf die Einheit Gottes und die Einheit des Herrn». Diese Präzisierung könnte ihren Grund im starken Einfluss haben, welche die Gnosis insbesondere im Orient auf die Kirche ausübte. Die Gnosis ging – stark vereinfacht – von zwei Gottheiten aus: einem bösen Schöpfergott und einer anderen, vollkommenen Gottheit, welche sich in Christus oder auch anderen antiken Persönlichkeiten offenbarte. Es galt dem niederen Schöpfergott und der von ihm geschaffenen natürlichen Welt durch richtige Erkenntnis der höheren Gottheit zu entfliehen. Gut möglich also, dass die orientalischen Christen hier Klarheit schaffen wollten mit der Betonung, dass es nur EINEN Gott gibt und auch nur EINEN Retter – Jesus Christus.
Satz 5
‘hinabgestiegen in das Reich des Todes’: Diese Formulierung aus dem Bekenntnis von Rufin findet sich weder im römischen Bekenntnis, noch in den orientalischen Varianten, wie Rufin selber anmerkt. Der Satz hat aber in die Endfassung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses Eingang gefunden, was wir möglicherweise sogar Rufin und der Kirche in Aquileia zu Verdanken haben. Eigentlich kann auch hier die Formulierung als Präzisierung des Todes Jesu gesehen werden. Rufin: «Der Sinn des Wortes jedoch scheint gleichmässig zusammenzutreffen mit der Behauptung, dass er begraben worden sei.» Der Tod bedeutet für den Menschen auch den Übergang in das Reich des Todes. Mit diesem Satz ist auch gesagt: Jesus ist voll und ganz gestorben, und ist nicht etwa bei seinem Tod in einen Schlummerzustand irgendwelcher Art versetzt worden.
Gemäss Rufin will aber mit diesem Satz auch verdeutlicht werden, dass im Kreuzesgeschehen nicht nur Himmel und Erde Jesus untertan werden, sondern auch die Tore der ‘Unterwelt’ aufgebrochen werden: «…stieg die göttliche Natur durch das Fleisch hinab in den Tod, nicht damit sie nach dem Gesetze der Sterblichen vom Tode festgehalten würde, sondern um in der Auferstehung durch sich selbst des Todes Thore zu eröffnen.»
Satz 11:
‘Auferstehung DIESES Fleisches’: Das Bekenntnis in Aquileia macht hier eine Betonung: es ist nicht irgendein Leib, welcher am Ende des Tages aufersteht, sondern der Leib dessen, der das Bekenntnis sein eigen macht. ‘Mein Leib wird Auferstehen’, spricht somit der Täufling, und gibt seinem Leib damit einen ganz anderen Wert, als die vielen leibfeindlichen Weltanschauungen der damaligen Zeit. Rufin schrieb dazu: «Das Wort “dieses” bezieht sich ohne Zweifel auf das Fleisch Desjenigen, der das Bekenntnis ablegt und seine Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnet: damit ein jeder Gläubige wisse, dass sein Fleisch, wenn er es frei bewahrt von der Sünde, in Zukunft ein Gefäß der Ehre sein werde, wohlbereitet dem Herrn zu jeglichem guten Werke; wenn er es aber besudelt in Sünden, dass es dann sein werde ein Gefäß des Zornes zum Untergange.»
Satz 12:
‘Das ewige Leben’:
In einer früheren Variante des römischen Bekenntnisses (Marcellus, 340 n. Chr.) finden wir bereits diesen Satz, der nachher auch ein fester Bestandteil der Endfassung des Apostolischen Bekenntnisses wird. Ob dieser Satz im Bekenntnis von Aquileia tatsächlich gefehlt hat – darüber muss spekuliert werden. Rufin erwähnt den Satz nicht spezifisch als Bestandteil des Bekenntnisses in Aquileia. Doch Tatsache ist, dass Rufin an der korrekten Stelle im Kommentar genau auf die Thematik der Ewigkeit eingeht: «Dass aber die Gerechten für immer bei Christus unserm Herrn bleiben, haben wir schon oben angegeben, wo wir zeigten, was der Apostel sagt: “Dann werden wir, die noch leben, die übrig geblieben sind, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken, Christo entgegen in die Lüfte und werden so immerdar bei dem Herrn sein.»
Petrus weiht Hermagoras zum Bischof von Aquileia, Markus als Zeuge
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
3. Zum Ursprung des apostolischen Bekenntnisses
Den Ursprung des Apostolischen Bekenntnisses sieht Rufin bei den 12 Aposteln und dem Missionsbefehl, den Jesus ihnen gegeben hatte:
«Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.» Mt 28:19–20
Genau diesem Missionsbefehl entsprechend nimmt das Apostolische Bekenntnis dann auch die dreiteilige Gliederung von Vater (Satz 1), Jesus Christus (Sätze 2–7) und Heiliger Geist (Satz 8) auf. Beim Apostolischen Bekenntnis sei es darum gegangen, dass die Apostel vor ihrem Auseinandergehen die gemeinsame Basis ihres Glaubens festmachen wollten, den sie in die Welt hinaustragen wollten. Rufin schreibt:
«Im Begriffe nun, voneinander zu scheiden, stellten sie sich vorher gemeinsam eine Norm ihrer zukünftigen Predigt auf, damit sie nicht etwa, wenn der Eine vom Andern getrennt wäre, denen, welche zum christlichen Glauben eingeladen werden sollten, Verschiedenes vortrügen.» Rufin
Wie ist diese Ursprungsgeschichte zu werten? Der wichtigste Einwand gegen Rufins Ursprungsgeschichte: Warum finden wir das Bekenntnis nicht schon in der Bibel? Eines ist heute unbestritten: dass das Apostolische Bekenntnis nicht im WORTLAUT das Bekenntnis der ersten Christen war. Trotzdem spricht einiges dafür, dass dessen INHALT auf die Apostel zurückgehen könnte. Dafür könnten die folgenden Aspekte sprechen:
Plausibler Anlass: Das ‘Symbolum’, wie das Bekenntnis damals genannt wurde, war von Anfang an mit der Taufpraxis der Christen verknüpft. Es ist gut vorstellbar, dass sich schon zur Zeit der Apostel eine gemeinsame Formel bei der Taufe der vielen neuen Gläubigen etabliert haben könnte.
Echte Bedrohung: Der neue Glaube der Christen fand sich schon sehr früh inmitten von Irrlehren. Es machte Sinn, mit dem Bekenntnis ein ‘Gütesiegel’ des echten Glaubens zu haben, welches diesen vor falscher Lehre und Scharlatanerie schützen würde. Rufin schreibt, dass…
«…viele Juden umhergingen und sich fälschlich für Apostel Christi ausgaben; sie zogen aus Gewinnsucht oder um des Bauches willen zur Predigt aus, Christum zwar nennend, aber ohne ihn zu verkünden nach den echten Grundlinien der Überlieferungen. Aus diesem Grunde wurde jenes Zeichen aufgestellt, damit an ihm Derjenige wohl erkannt werden könne, der wahrhaft nach den apostolischen Satzungen Christum predige.» Rufin
Plausible Begründung, warum der Text in der Bibel und anderen alten Schriften fehlt: Das Bekenntnis der ersten Christen sollte gemäss Rufin nicht verschriftlicht werden, um es vor Missbrauch durch die Feinde des Glaubens zu schützen. Man muss sich vor Augen führen, wie entscheidend es unter den ersten Generationen von Christen gewesen sein musste, dem anderen Gläubigen wirklich vertrauen zu können. Christen mussten jederzeit mit Verfolgung und Ausgrenzung aufgrund des Glaubens rechnen. Rufin benutzt das Bild eines Krieges, wo Heerführer ihren Soldaten ein Codewort mit auf den Weg geben, damit sie bei Kontakt mit gleich ausgerüsteten Soldaten sicherstellen können, dass diese Tatsächlich zu ihnen gehören. Genauso sollte das Taufbekenntnis der Christen nur von Mund zu Mund weitergegeben werden. Auch wenn es für Rufins Erklärung kaum weitere frühchristliche Belege gibt, hat die Vorstellung einer sicheren Identifikationsmöglichkeit durchaus Plausibilität. Rufin schreibt:
«Diese Tradition aber haben die Apostel deshalb nicht zur Aufzeichnung auf Pergament oder Papier gegeben, sondern zur Aufbewahrung in den Herzen der Gläubigen, damit es sicher sei, dass Niemand dieselbe aus der Lesung, wozu ja zuweilen auch die Heiden Gelegenheit zu finden pflegen, sondern aus der Apostel mündlicher Predigt erlernt habe.» Rufin
Die frühchristliche Tradition: Rufin beruft sich bei seinem Kommentar zum Ursprung des Bekenntnisses auf die Tradition. Es gab gemäss ihm zur damaligen Zeit einen Konsens bezüglich des apostolischen Ursprungs des christlichen Glaubensbekenntnisses. So finden wir ähnliche Ursprungsgeschichten, zum Beispiel in den ‘Constitutiones Apostolorum’ (ca 380).
Weltweite Verbreitung: Das Argument, welches aus meiner Sicht am stärksten für einen Ursprung des Bekenntnisses bei den Aposteln spricht, ist ihre Verbreitung im ganzen römischen Reich in einem weitgehend identischen Aufbau und Inhalt. Die damalige Welt des römischen Reiches war zwar vernetzt, trotzdem waren die einzelnen ethnischen und regionalen Einheiten noch wesentlich abgeschotteter, als heute und entwickelten sich dementsprechend sehr eigenständig. Umso erstaunlicher ist es, dass nicht viel grössere regionale Unterschiede beim christlichen ‘Symbolum’ vorhanden waren. Dies spricht für einen gemeinsamen Ursprung und eine mit grosser Vorsicht gepflegte mündliche Weitergabe ab ‘erster Stunde’.
Persönlicher Befund
Ich halte es für durchaus plausibel, dass das Apostolische Bekenntnis auf die Apostel selbst zurückzuführen sein könnte — nicht im Wortlaut, aber in der Struktur und inhaltlichen Grundsubstanz. Wir reden hier vermutlich vor allem von den Inhalten der Sätze 1–8, welche in direktem Zusammenhang mit dem Taufbefehl standen. Mit der Taufe war dem Bekenntnis auch ein Ritual zur Seite gestellt, welche die sorgfältige mündliche Weitergabe sichergestellt haben kann.
Die Ursprünge der römischen Fassung ‘Symbolum Romanum’ können in Schriftform bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts zurückverfolgt werden (Tertullian, Irenäus). Das bedeutet, mündliche Fassungen könnten durchaus schon wesentlich früher gepflegt worden sein.
Nicht glaubwürdig sind hingegen die Legenden, dass jeder der 12 Apostel einen der Sätze zum Bekenntnis beigetragen hat. Dies entspricht nicht der Arbeitsweise, welche wir zum Beispiel beim Apostelkonzil in Apg 15 sehen.
Bischof Hermagoras und sein Diakon Fortunatus werden geköpft
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
4. Erste Beobachtungen zum Kommentar von Rufin
Der Kommentar von Rufin ist zu umfangreich, um ihn detailliert in diesem Format besprechen zu können. Ich beschränke mich deshalb auf einzelne Beobachtungen.
Viel Neues Testament, noch mehr Altes Testament.
Rufin ist bemüht, seine Gedanken zu den einzelnen Bekenntnissätzen mit Bibelstellen zu belegen. Dabei scheint er ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, sowohl neutestamentliche als auch alttestamentliche Stellen aufzuführen. Zu jedem Glaubenssatz des Bekenntnisses finden sich Belege aus beiden Testamenten. Auffallend ist aber, dass das Schwergewicht bei alttestamentlichen Texten liegt. Den knapp 60 neutestamentlichen Verweisen stehen über 70 aus dem Alten Testament gegenüber.
Es muss Rufin deshalb ein besonderes Anliegen gewesen sein, den christlichen Glauben und dessen Bekenntnis möglichst gut auch in den alttestamentlichen Schriften zu verankern.
Dieser Schwerpunkt bei alttestamentlichen Stellen erstaunt auch nicht, wenn man sich die diversen Strömungen vor Augen führt, welche in der damaligen Zeit dem Alten Testament kritisch oder gar feindselig gegenüber standen. Bereits der Häretiker Marcion hatte im zweiten Jahrhundert eine Bibel präsentiert, in dem das Alte Testament gänzlich fehlte. Die von der Gnostik geprägten Gemeinschaften der damaligen Zeit sahen das Alte Testament als von einem Bösen Schöpfergott bestimmt. Dieser Vorstellung wirkt Rufin entgegen durch seine Verzahnung des christlichen Bekenntnisses mit dem Alten Testament.
Insbesondere das Kreuzesgeschehen verankert Rufin mit ganz vielen Verweisen im Alten Testament und betont die unzähligen Bezüge:
«Voll sind von diesen Geheimnissen die Schriften des Alten Testamentes. Kein Prophet, kein Gesetzgeber, kein Psalmendichter hat dies mit Stillschweigen übergangen, im Gegenteil fast jede Seite redet davon…» Rufin
Rufin erweist sich mit seinem Kommentar also als Verteidiger und Apologet der GANZEN Bibel. Ein schönes Beispiel findet sich im Kapitel 40 des Kommentars, wo Rufin seine Absichten offenlegt, die neutestamentlichen Autoren übereinstimmend mit dem alttestamentlichen Befund zu präsentieren. Die Entgegnung brauchte es nämlich in beide Richtungen. Während sich die gnostischen Glaubensrichtungen mit dem Alten Testament schwer taten, waren eher gesetzliche Glaubensgemeinschaften, meist jüdischer Prägung, herausgefordert, auch den Worten eines Paulus Vertrauen zu schenken:
«Damit du aber nicht glaubest, es würden diese Aussprüche des Paulus allein gleichsam als eine neue Predigt aufgeführt, so höre auch, was einstmals der Prophet Ezechiel durch den heiligen Geist vorhergesagt hat: …» Rufin
Rufin differenziert sauber zwischen kanonischen und nicht-kanonischen Schriften und macht klar, dass es der eine Heilige Geist ist, der sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament wirkt:
«Es ist nun derselbe heilige Geist, der im alten Bunde das Gesetz und die Propheten, im neuen Bunde die Evangelien und die Apostel inspirierte.» Rufin
Allegorische Bibelauslegung
Ungewohnt für den Leser im 21. Jahrhundert ist zum Teil die Art und Weise, wie Rufin mit Bibelstellen umgeht. Es scheint klar, dass er – wie viele zu seiner Zeit – von den Prinzipien der allegorischen Schriftauslegung geprägt war, wie Origenes sie 200 Jahre zuvor entwickelt hatte.
Ein Beispiel dafür finden wir in seiner Deutung von Wasser und Blut, welches Jesus bei der Kreuzigung aus der Seite geflossen ist (vgl Joh 19:34; Joh 7:38). Dieses Wasser und Blut deutet Rufin gleich dreifach: bezüglich der Gnade und Verdammung, bezüglich Wasser- und Bluttaufe (Martyrium), bezüglich der Erschaffung des ersten und des neuen Menschen:
«Das Wasser nun vergoss er, um damit die Gläubigen abzuwaschen: das Blut, um dadurch die Ungläubigen zu verdammen. Man kann jedoch hierunter auch eine figürliche Andeutung der zwiefachen Gnade der Taufe verstehen: die eine, welche gegeben wird durch die Taufe des Wassers, die andere, welche erworben wird durch das Martyrium in der Vergiessung des Blutes; denn Beides wird Taufe genannt. Wenn man nun auch danach fragt, warum er nicht aus einem andern Gliede als gerade aus der Seite Wasser und Blut vergossen habe, so scheint mir durch die Seite wegen der Rippe, die in ihr ist, das Weib angedeutet zu werden. Weil also die Quelle der Sünde und des Todes ausging von dem ersten Weibe, welche eine Rippe des ersten Adam war, so leitet sich die Quelle der Erlösung und des Lebens aus der Rippe des zweiten Adam her.» Rufin
An einem anderen Ort deutet er den gekreuzigten Jesus zur mit den drei verschiedenen Dimensionen des Sieges am Kreuz: in die Höhe erhoben als Zeichen seiner himmlischen Herrschaft, die Arme ausgestreckt als Zeichen der Einladung an alle Menschen, in der Erde Verankert als Zeichen der Unterwerfung des Todesreiches:
«So ist seine Todesart als Mysterium passend gewählt worden, damit er zur Höhe erhoben die Mächte der Höhe unterwerfe und den Sieg über diese den erhabenen Gewalten des Himmels überliefere. Die Hände aber hält er, wie der Prophet sagt, den ganzen Tag ausgestreckt zu dem Volke, das auf der Erde ist, um die Ungläubigen als Zeugen herbeizurufen und um die Gläubigen einzuladen. Der in die Erde eingesenkte Teil des Kreuzes aber deutet seine Unterwerfung der unterirdischen Reiche an.» Rufin
Noch bis in die Zeit der Reformation hinein würde dies die dominante Art der Schriftauslegung sein: eine Art der Bibelauslegung, welche neben dem buchstäblichen auch noch nach den moralischen und den allegorischen Sinn suchte. Erst die Reformatoren würden sich von diesem Vorgehen abwenden und die moralische und allegorische Textdeutung gegenüber der buchstäblichen abwerten. Doch eigentlich sind diese beiden, durch die Reformation in Verruf geratenen Deutungsmethoden, äusserst wertvolle Hilfen, um die Botschaft der Bibel auf einer noch tieferen Ebene zu begreifen. Allegorie heisst, mit bildhaften Aussagen geistliche Zusammenhänge aufzuzeigen. Auch Jesus hat oft zu diesem Mittel gegriffen, zum Beispiel wenn er sagt: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben» (Joh 15:5). Auch die moralische Auslegung von Texten kann sinnbringend sein. Ich mache ein Beispiel zur Illustration. Nehemia beschreibt, wie die von Babylon heimgekehrten Juden die Stadtmauer um Jerusalem wiederaufbauten, um sie vor ihren Feinden zu schützen (Jer 2). Eine moralische Auslegung dieser Geschichte wäre die Frage, wo und vor was wir in unserem heutigen Leben eine Schutzmauer brauchen.
Die Problematik kommt bei einer zu extrem allegorisierten Textauslegung, wenn diese die eigentliche Bedeutung des Textes verdrängt. Während also der buchstäbliche Sinn eines Textes die Basis einer jeden Auslegung bilden muss, so kann es durchaus von Gewinn sein, auch moralische und allegorische Perspektiven auf einen Text zu berücksichtigen.
Abgrenzung gegen Irrlehren
Ungewohnt für den heutigen Leser sind auch die zahlreichen und deutlichen Verurteilungen von Irrlehren. Rufin grenzt nicht nur ein, er grenzt auch ab. Er beschreibt nicht nur im positiven Sinn das Wesen und den Inhalt des christlichen Glaubens, er grenzt diesen auch ganz klar ab gegen problematische oder falsche Lehren. Unter Nennung der Urheber und Beschreibung der falschen Lehrinhalte werden Kulte und Sondergruppierungen als ‘Sekten der Gottlosigkeit’ verurteilt. Diese Praxis der klaren Benennung von falschen Lehren mag uns im Zeitalter von Pluralismus und religiösem ‘Jekami’ irritieren, sie hat aber durchaus ihren biblisch begründeten Hintergrund. Im letzten Artikel in dieser Serie werde ich noch eingehender auf die im Kommentar erwähnten Irrlehren eingehen.
Christus Victor UND stellvertretendes Sühneopfer
‘Christus Victor’ ist ein christliches ‘Buzzword’ der Stunde. Gemeint ist damit das kosmische Drama, welches sich rund um das Kreuzesgeschehen von Jesus Christus entfaltet. Durch seine Kreuzigung und Auferstehung erringt Jesus den Sieg über die Kräfte des Bösen und den Fürsten dieser Welt, welche die Menschheit versklaven und knechten. «Christus ist Herr!» (Phil 2:11) — das ist das christliche Urbekenntnis, welches den Sieg Jesu und sein neues Miteinander mit den Menschen deutlich zum Ausdruck bringt.
Daneben scheint das Wort ‘Sühneopfer’ in gewissen christlichen Kreisen das ‘Unwort’ der Stunde zu sein. Die Idee, dass Jesus sich für uns als stellvertretendes Opfer hingegeben hat – für unsere Sünden gestorben ist – stösst in liberalen und progressiven Kreisen teilweise auf vehemente Ablehnung. Das Sühneopfer Jesu wird mit einem ‘kosmischen Kindsmissbrauch’ durch einen sadistischen Vater verglichen. (Vgl. Steve Chalke, The Lost Message of Jesus, S 182–183). Christus Victor und das Konzept des Sühnetodes werden dabei faktisch als sich gegenseitig ausschliessende Konzepte präsentiert. Bei Rufin finden wir aber beide Konzepte in einem göttlichen Miteinander.
Die positive Freude und Zuversicht des Christus-Victor-Themas wird zum Beispiel in folgendem Zitat gut dargestellt:
«Aber erschrick nicht, gläubiger Leser: denn bald wirst du Denjenigen, von dem du hörst, dass er gestorben sei, als Wiederauferstandenen erkennen. Denn den Tod hat er übernommen, um dadurch den Tod zu berauben.» Rufin
Denkwürdig ist der bildhafte Vergleich Rufins mit einem Angler (Gott), der seinen Sohn Jesus gleichsam als Köder einsetzt, um den Tod zu fangen:
«Denn er allein, der die Makel der Sünde nicht kennt, hat die Sünden Aller getilgt: derer nämlich, die mit seinem Blut die Pfosten ihres Glaubens zeichneten. Gleichwie also ein Fisch, wenn er eine mit Speise verdeckte Angel (Haken) erfasst, nicht nur die Speise vom Haken nicht löst, sondern auch selbst aus der Tiefe hervorgezogen wird, um dann Andern zur Speise zu dienen: so hat auch Derjenige, welcher die Herrschaft des Todes besaß, den Leib Jesu im Tode zwar an sich gerissen, ohne aber zu merken, dass in demselben der Angelhaken der Gottheit eingeschlossen war; sondern da er verschlang, blieb er selbst für immer hängen und wurde, nachdem die Schranken der Hölle zersprengt waren, wie aus der Tiefe hervorgezogen um Andern zur Speise zu werden.» Rufin
Mit hineinverwoben in diese Verbildlichung des Sieges Jesu finden wir aber ganz klar das Bild des Sühnelammes, also des stellvertretenden Sühnetodes Jesu:
“Denn er allein, der die Makel der Sünde nicht kennt, hat die Sünden Aller getilgt: derer nämlich, die mit seinem Blute die Pfosten ihres Glaubens zeichneten.» Rufin
Rufin erteilt mit seinem Text den aktuellen Vorstellungen eine Absage, welche das stellvertretende Sühneopfer Jesu als eine theologische Erfindung des ‘finsteren Mittelalters’ hinstellen. Er steht damit nicht alleine, sondern reiht sich damit lediglich ein in die lange Reihe der frühchristlichen Autoren wie Irenaeus von Lyons, Athanasius dem Grossen oder Basil dem Grossen oder dem unbekannten Autoren des Sendschreibens an Diognetus , welche das Kreuzesgeschehen auch im Sinne des Sühnetodes deuten. Das Kreuzesgeschehen ist mehrdimensional und beinhaltet sowohl die Heldengeschichte Gottes, der in Jesus den Sieg über die Mächte der Finsternis erringt, als auch die Lammesgeschichte Gottes, der in Jesus selber die menschliche Schuld mit dem eigenen Blut tilgt.
Versöhnter Mensch, Versöhnte Natur
Im Kreuzesgeschehen sieht Rufin nicht nur die Grundlage für die Versöhnung des Menschen mit Gott. Er sieht in ihr auch die Grundlage für die Versöhnung unter Menschen, aber auch ganz grundsätzlich für eine Versöhnte und wiederhergestellte Schöpfung. Wie die Dornen durch die Sünde in die Welt kamen, so wird die Natur, symbolisiert durch die Dornenkrone Jesu, wieder versöhnt:
«Um jedoch das Geheimnis in seiner Tiefe aufzufassen, ist zu bemerken, dass Derjenige, welcher kam, um die Sünden der Welt hinweg zu nehmen, auch die Erde von dem Fluche reinigen musste, dessen Strafsentenz sie nach der Sünde des ersten Menschen in den Worten des Herrn empfangen hatte: “Verflucht sei die Erde in ihren Werken! Dornen und Disteln soll sie dir hervorbringen” Aus dem Grunde also wird Jesus mit Dornen gekrönt, damit jenes erste Verdammungsurteil gelöst würde. Er wird ans Kreuz gebracht, und am Holze wird das Leben der ganzen Welt aufgehangen.» Rufin
Keine Allversöhnung, sondern Gericht
Wer gewisse Passagen Rufins über den universellen Sieg Jesu im Kreuzesgeschehen liest, der könnte dazu neigen, ihn als einen Vertreter der Allversöhnung zu zeichnen. Und eine solche Haltung wäre umso brisanter, als Origenes, dessen kontroverse Schriften er übersetzt hatte, als Urheber dieser Lehre gilt. Doch Rufin äussert sich deutlich: Menschen müssen ihr Leben im Bewusstsein des kommenden Richters und des kommenden Gerichts leben, dieses wird für die einen ewiges Leben bringen, den anderen ewige Schande:
«Dass er aber kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten, lehren uns viele Zeugnisse der hl. Schrift. Ehe wir aber Dies durch prophetische Beispiele zeigen, scheint es notwendig zu sein, daran zu erinnern, dass dieser überlieferte Glaube von uns verlangt, dass wir täglich über die Ankunft des Richters besorgt seien und unsere Handlungen so einrichten, dass wir dem kommenden Richter Rechenschaft geben können.» Rufin, Kap 28
«Viele werden auferstehen aus dem Staube der Erde, die Einen zwar zum ewigen Leben, die Andern aber zur ewigen Beschämung und Schande.» Rufin, Kap 28
Begräbnis von Bischof Hermagoras und Fortunatus
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
5. Die starke Apologetik von Rufin
Wie in der Einleitung erwähnt, hat die Schrift auch einen apologetischen Charakter. Rufin bemüht sich, Argumenten gegen den Glauben und Anfragen an den Glauben auch mit Vernunftargumenten entgegenzuwirken. Sein Ziel ist es, damit die Schwachen zu stärken:
«Doch wir wollen uns bemühen, die schwachgläubigen Seelen durch aus der Natur genommene Vernunftgründe zu unterstützen.» Rufin
Hier einige Fragestellungen, welche er apologetisch behandelt:
Glaube oder Vernunft?
Dem Vorwurf, der christliche Glaube beruhe aus Mangel an Vernunftgründen nur auf Glauben begegnet er mit dem Nachweis, dass jede Tätigkeit auf Glaubensvorannahmen beruht.
«Dieses [der Glaube] aber haben wir deshalb beim Anfange unserer Auseinandersetzung vorausgeschickt, weil die Heiden uns den Einwurf zu machen pflegen, es beruhe unsere Religion, in Ermanglung von Vernunftgründen, auf der blossen Überzeugung des Glaubens: eben deshalb haben wir gezeigt, dass Nichts unternommen werden noch bestehen könne ohne den Einfluss eines vorhergehenden Glaubens.» Rufin
Mit verschiedenen Beispielen zeigt Rufin auf, wie jede Tätigkeit auf der Grundlage von Glauben passiert:
- Ins Meer begibt sich nur wer glaubt, dass er auch wieder glücklich ans Land steigen wird.
- Der Bauer sät den Samen nur aus, weil er glaubt, dass mithilfe von Sonne und Regen Frucht entstehen wird.
- Den Ehebund schliesst nur, wer an eine zukünftige Nachkommenschaft glaubt.
- In den Unterricht wird ein Kind nur geschickt, wenn man daran glaubt, dass sich das Wissen des Lehrers auf den Schüler übertragen wird.
- Die Aufgabe zu Herrschen übernimmt nur derjenige, der glaubt, dass ihm Völker, Städte und Heere auch gehorsam sein werden.
Rufins Fazit:
«Wenn nun Niemand an dergleichen Dinge herantritt, ohne an ihre zukünftige Verwirklichung zu glauben, gilt es dann nicht in einem viel höheren Masse von der Erkenntnis Gottes, dass man zu ihr nur durch den Glauben gelange?» Rufin
Jungfrauengeburt?
Dass Maria eine Jungfrau gewesen sein sollte, sorgte damals schon für Gelächter:
«Doch pflegen uns die Heiden zu verlachen, wenn sie uns die Geburt der Jungfrau bekennen hören». Rufin
Wenn in unseren Tagen also Atheisten und liberale Theologen in dasselbe Horn blasen, so ist dies nichts Neues. Diesem Gelächter begegnet Rufin mit einem Einblick in die vielfältigen Reproduktionsformen der Natur und mit dem Nachweis, dass die Gründungsmythen anderen Religionen noch viel lächerlicher sind:
«Dass die Bienen ganz bestimmt keine geschlechtlichen Vereinigungen kennen und keinen Fötus gebären, ist allgemein bekannt. Doch lassen sich auch noch einige andere Beispiele einer derartigen Geburt anführen. Und nun soll ein Vorgang, der durch göttliche Macht zur Wiederherstellung der ganzen Welt bewirkt worden, als unglaublich erscheinen, für den sich Analogien sogar in der Geburt von Tieren finden lassen! Übrigens ist es zu verwundern, dass Dies den Heiden unmöglich scheint, da sie doch glauben, ihre Minerva sei aus dem Gehirn des Jupiters geboren.» Rufin
Ein Gott im Staub und Dreck?
Auch die Idee, das Gott durch eine ‘schmutzige’ menschliche Geburt auf die Welt gekommen sein soll, war für viele in der damaligen Zeit unvorstellbar. Diese empfinden es gemäss Rufin als «unwürdig, dass jene so hohe Majestät durch die Geschlechtsteile eines Weibes hindurch in die Welt getreten sei».
Diese Anfrage an den christlichen Glauben ist auch in unserer Zeit beispielsweise bei Moslems ein grosses Hindernis zum Glauben. Der erhabene Gott macht sich doch nicht schmutzig! Doch Rufin macht klar, dass der Dreck der Geburt Jesu lediglich die Barmherzigkeit Gottes noch mehr herausstreicht. Er ist bereit, sich für das Verlorene schmutzig zu machen. Mit zwei Beispielen macht Rufin klar, das Gottes Reinheit und Jesu menschliche Geburt keinen Widerspruch bilden:
«Wenn Jemand, der selbst ein erwachsener und kräftiger Mann ist, einen Knaben in einer Schmutzgrube in Lebensgefahr erblickt und nun in den tiefsten Kot hinabsteigt, um den sterbenden Kleinen zu retten, wird man den als einen Beschmutzten schelten, weil er ein wenig in den Kot getreten, oder wird man ihn als barmherzig loben, weil er einem dem Tode Verfallenen das Leben gerettet?» Rufin
«Nun siehe, wenn ein Strahl der Sonne in irgendeinen Abgrund voll Schmutz hineinfällt, zieht er dann selbst sich irgendwie eine Befleckung zu? Oder gereicht die Beleuchtung schmutziger Dinge der Sonne zum Schimpf?» Rufin
Rufin macht auch klar, das Gott sich in Jesus nicht das erste mal die Hände schmutzig gemacht hat. Das tat er schon bei der Erschaffung des Menschen:
«Wir sagen, dass der Mensch von Gott erschaffen worden aus Lehm der Erde. Will man nun da eine Befleckung Gottes erkennen, wo er sein Werk wieder sucht, dann musste bei Weitem eher da eine Beschmutzung festgestellt werden, wo er im Anfange sein Werk schafft.» Rufin
Auch das Leiden von Jesus fällt in die gleiche Kategorie des für den damaligen Menschen Unverständlichen. Wie kann es denn sein, dass Gott selbst in Jesus gegeisselt, geschlagen, angespien und beschimpft wird? Deshalb, so Rufin, sind die darauf hinweisenden alttestamentlichen Prophetien so wichtig:
«Denn unglaublich erscheint es, dass Gott, der Sohn Gottes, Solches gelitten habe, und das es von ihm gepredigt werde. Deshalb also wurde Dies von den Propheten vorhergesagt, damit den Gläubigen kein Zweifel entstünde.» Rufin
Mit diesen Überlegungen baut Rufin eine starke Apologetik gegen die leib- und schöpfungsverachtenden Ideologien der damaligen Zeit.
Wahre Geschichte oder menschliche Phantasie?
Rufin betont in seinem Kommentar auch die Bedeutung der historischen Dimension des christlichen Glaubens. So ist im Apostolischen Bekenntnis nicht von ungefähr der Zeitpunkt der Kreuzigung mit einem historischen Bezug festgehalten: unter Pontius Pilatus hat Jesus gelitten. Damit stellt sich das Christentum auch in diesem wichtigen Bekenntnis der historischen Überprüfbarkeit seiner Behauptungen. Rufin schreibt:
«Ganz vorsichtig aber haben Diejenigen, welche das Symbolum überliefert haben, auch die Zeit angegeben, in welcher Dieses geschehen ist, unter Pontius Pilatus nämlich, damit nicht irgendwie die Überlieferung von dem Geschehenen als unsicher und unbestimmt schwankend erscheine.» Rufin
Ein Gott der Sünden vergibt?
Auch der christliche Glaube an die Vergebung der Sünden ist den Menschen von damals aufgestossen:
«Es pflegen nämlich die Heiden spöttisch wider uns zu sagen, dass wir uns selbst täuschen, wenn wir glauben, dass tatsächlich begangene Verbrechen durch Worte ausgetilgt werden können. So sagen sie: Kann Jemand, der eine Mordtat beging, ein Nichtmörder sein und Derjenige als Nichtehebrecher angesehen werden, der einen Ehebruch beging?» Rufin
Rufin meint zu dieser Frage, es sei «besser durch das einfache Bekenntnis des Glaubens als durch wissenschaftliche Begründung zu antworten». In letzter Konsequenz sei es die Gesinnung und nicht die Tat an sich, welche dem göttlichen Urteil unterliege. Entlang dieser Überlegung sei auch Sündenvergebung zu verstehen, als eine von Gott geschenkte neue Gesinnung:
«Die Tat ist es also nicht, welche mich in solchen Fällen zum Schuldigen macht, da sie ja zuweilen auch rechtmässig geschieht, sondern die schlechte Gesinnung. Wenn nun also die Gesinnung in mir, die verbrecherisch wurde, und in welcher die böse Tat ihren Ursprung nahm, gebessert wird, wie sollte ich dann nicht als ein unschuldig Gewordener, der vordem ein Verbrecher war, erscheinen können?» Rufin
Eine leibliche Auferweckung?
Bezüglich Auferstehung gibt es für Rufin keinen Zweifel an der leiblichen Auferstehung von Jesus. Ja diese ist ihm sogar äusserst wichtig, denn mit der Auffahrt Jesu ‘zieht das Natürliche in den Himmel ein’:
«Weil nun die Wächter der himmlischen Thore und die Fürsten des Himmels diesen Einzug als einen neuen erblickten, sehend, wie die fleischliche Natur einzog in die verborgenen Räume des Himmels, reden sie untereinander, wie David vom hl. Geiste erfüllt es ausspricht mit den Worten: “Hebet eure Thore, ihr Fürsten, erhebet euch, ihr ewigen Thore, und es wird einziehen der König der Herrlichkeit. Wer ist dieser König der Herrlichkeit? Der Herr, der starke und mächtige, der Herr, mächtig im Kampfe.” Dies ist doch nicht gerufen in Bezug auf die Macht der Gottheit, sondern im Hinblick auf die aufsteigende menschliche Natur, die nun in neuer Veränderung zur Rechten Gottes versetzt wurde.» Rufin
Es steht für Rufin fest, dass auch auf den Menschen eine leibliche Auferweckung wartet. Der neue Leib ist ein veränderter Leib, wie Rufin klarstellt, denn der neue Leib ist nicht mehr der Verwesung ausgesetzt:
«So werden auch Diejenigen, die in Christo auferstehen werden, fortan weder die Verwesung noch den Tod verspüren: nicht als ob sie der Natur des Fleisches entkleidet würden, sondern indem seine Beschaffenheit und Eigentümlichkeit verändert wird.» Rufin
Interessanterweise bemerkt Rufin, dass es nicht nur die Heiden sind, welche die Auferstehung des Fleisches anfechten, sondern dass hier der Kampf auch innerhalb der Kirche stattfindet, wo häretische Bewegungen wie die Valentiner und die Manichäer diese in Abrede stellten. Die Skeptiker und Kritiker der leiblichen Auferstehung sagen:
«Wie kann das Fleisch, welches in die Fäulnis übergeht und zerfällt oder in Staub verwandelt wird, zuweilen auch von der Tiefe des Meeres verschlungen wird und in den Fluten sich zerstreut, wieder zusammengebracht und zur Einheit hergestellt und aus ihm ein menschlicher Körper von Neuem gebildet werden?» Rufin
Diesen gibt Rufin eine doppelte Antwort. Zum einen antwortet er den Häretikern in den Reihen der Christen mit Jesu eigenen Worten. Schon dieser hatte den Sadduzäern, welche ebenfalls nicht an die Auferstehung glaubten, folgendes entgegnet:
«Dass aber die Toten auferweckt werden, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn “den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs” nennt. Er ist aber nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden.» (Lk 20:37–38)
Zum anderen entgegnet er dem Einwand, dass ein verwester menschlicher Körper nicht wieder zusammengefügt werden kann, mit einer spannenden Gegenfrage:
«Und wenn ein sterbliches Genie im Innern der Erde die dem Golde und dem Silber eigentümliche Ader, die bei Weitem ungleiche auch des Erzes, die verschiedene des Eisens und Bleies entdecken kann: soll man dann nicht glauben, dass die göttliche Kraft das einem jeden menschlichen Leibe eigentümlich Zugehörige auffinden und unterscheiden könne auch wenn es selbst zerstreut erscheint?» Rufin
Wie wir schon in der Erläuterung der Unterschiede zwischen verschiedenen Bekenntnissen gesehen haben, wurde in Aquileia von der ‘Auferstehung DIESES Fleisches’ gesprochen. Dies, damit jedem Täufling glasklar vor Augen stehen würde, dass es um das eigene Fleisch geht, nicht nur um die Auferstehung von Jesus. Rufin:
«Das Wort “dieses” bezieht sich ohne Zweifel auf das Fleisch Desjenigen, der das Bekenntnis ablegt.» Rufin
Es ist bemerkenswert, mit welchem Nachdruck Rufin das Thema der Auferstehung bearbeitet. Und man darf sagen, dass auch 1600 Jahre nach seinem Wirken das Thema nichts an Aktualität verloren hat: liberale und progressive Theologen unserer Tage lehnen die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung oft ab oder vollziehen geistliche Umdeutungen. Damit höhlen sie den innersten Kern des christlichen Glaubens aus. Paulus bringt auf den Punkt wie zentral die Auferstehung ist:
«Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.» (1Kor 15:13–14)
Ein ‘Himmel voller Zeugen’ — Märtyrer aus der Geschichte Aquileias:
Oben rechts Hermagoras, Fortunatus und Euphemia
Oben links der Evangelist Markus, Hilarius und Tatian
Weitere Märtyrer in der unteren Figurenreihe
Fresko in der Hauptapsis der Basilika. Bild: iStock
6. Persönliches Fazit
Von den ersten Tagen an stand die christliche Gemeinde vor der doppelten Herausforderung, die Wahrheit festzuhalten und der Unwahrheit zu begegnen. Das Apostolische Glaubensbekenntnis macht genau dies: Es hält die Glaubenswahrheiten der christlichen Gemeinde fest und zieht damit auch Grenzen. Das Apostolische Glaubensbekenntnis steht damit neben zentralen Bibeltexten wie den 10 Geboten oder dem ‘Vater unser’ als ein wichtiges Instrument zur Pflege und Wahrung des christlichen Glaubens. Albert Mohler fasst die Bedeutung des Bekenntnisses folgendermassen zusammen:
«Alle Christen glauben mehr als das, was das Apostolische Glaubensbekenntnis beinhaltet, aber keiner kann weniger glauben» Mohler, The Apostles Creed, Seite 15
Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Bekenntnis der Gemeinde und der Existenz der Gemeinde. Dieser Zusammenhang wird in der Berufung von Petrus als Hirte der ersten christlichen Gemeinde sichtbar. Auf das Bekenntnis von Petrus bezüglich der Identität von Jesus hin — “Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!” (Mt 16:16) — folgt postwendend die Zusage von Jesus an Petrus: “Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen” (Mt 16:18). Das Bekenntnis von Petrus begründet nicht nur seine eigene Identität sondern auch die Existenz der ersten Gemeinde.
Wenn heute an vielen Orten die grundlegenden christlichen Bekenntnisse beiseitegelegt werden, dann steht dahinter oft der Wunsch nach einem freien und ungebundenen Glauben. Im Zentrum soll die persönliche Gottesbeziehung stehen. Gemeinsame Überzeugungen und Lehrsätze werden da schnell als ein Hindernis gesehen für die eigene, persönliche Glaubens- und die Lebensentfaltung. Dieser Individualismus findet seinen Niederschlag dann auch in der Kultur der Kirche. Doch der Wunsch nach einem Glauben ohne Glaubenssätze ist deshalb problematisch, weil er nicht der Realität entspricht. Jeder hat Glaubenssätze, nach denen er sein Leben gestaltet und seine Entscheidungen fällt – die Frage ist welche. Der Christ und die Kirche, die sich nicht ans christliche Bekenntnis binden, werden sich letztendlich an ein anderes, fremdes Bekenntnis binden. Dieses fremde Bekenntnis wird die Menschen dieser Kirchen letztlich von Jesus Christus wegführen. Deshalb war Jesus in seinen Anweisungen an die Jünger klar: «Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.» (Mt 28:20)
Wenn heute an vielen Orten das Bekenntnis beiseitegelegt wird, dann steht dahinter auch der Wunsch, in einer Zeit der Konsumorientierung dem Menschen möglichst geringe Hürden zum Glauben in den Weg zu legen. Dieses nachvollziehbare Anliegen stelle ich gerade in meinem freikirchlich-evangelikalen Umfeld fest. Hier nehmen seit Jahren kulturelle Relevanz und Pragmatismus eine zentrale Rolle ein in den gemeindebaulichen Strategien. Wer kulturelle Relevanz jedoch zur obersten Maxime erhebt, riskiert über kurz oder lang theologische Orientierungslosigkeit. Er wird die kulturell nicht genehmen Bekenntnis-Wahrheiten opfern. Dafür braucht er diese gar nicht explizit abzulehnen. Es reicht, dass er nicht mehr über sie spricht — den Rest erledigt der Zahn der Zeit.
Wenn heute an vielen Orten das christliche Bekenntnis beiseitegelegt wird, dann steht dahinter auch der Wunsch, in einer Zeit des Meinungspluralismus die christliche Einheit zu wahren. Auch hier wird gerne die Strategie gewählt, nicht mehr über Lehre oder Doktrin zu reden — denn diese trennt ja angeblich. Der Glaubenskern, um den sich die Gemeinde sammelt, verliert so aber mehr und mehr an Kontur. Das Erwachen erfolgt, wenn man merkt, wie sich innerhalb der gleichen Gemeinschaft mitunter gegenseitig ausschliessende Überzeugungen etabliert haben. Die Folge sind Spannungen, die unüberbrückbar sind und zur Zerstörung der Gemeinschaft und der Einheit führen. Manche progressive Leitfiguren möchten diese Spannungen beheben, durch gänzliche Loslösung der Christenheit von den ‘tradierten Wahrheiten’ der Vergangenheit. Die Christenheit solle den nächsten Schritt der geistlichen ‘Höherentwicklung’ gehen. Einheit durch Preisgabe der eigenen Wurzeln. Doch es ist fraglich, ob die Preisgabe der Wahrheit zugunsten eines Wahrheitspluralismus oder das Loslassen des historischen Christentums zugunsten einer nächsten ‘evolutionären’ Höherentwicklung des Geistes die richtige Medizin ist. Wird nicht die Blume, welche sich selbst von ihrer Wurzel abschneidet, nach kurzer Zeit verwelken?
Vielleicht wäre die bessere Lösung, dass wir uns als Christen zurückbesinnen auf das, was an erster Stelle die Christen zusammengehalten hat und von allen gemeinsam geglaubt wurde – was ihnen Kraft und Freude und Zuversicht in grossen Anfechtungen gegeben hat? Genau diese Substanz des gemeinsam Geglaubten wird uns im Apostolischen Glaubensbekenntnis vor Augen geführt! Anstatt die Äste abzuschneiden auf denen wir als Christen sitzen, könnte doch der Weg in die Einheit ein Weg zurück zu den Anfängen unseres Glaubens sein – zu den ersten Christen und zu dem, wovon sie von ganzem Herzen überzeugt waren.
Der Gallische Mönch Vincent von Lérin prägte in der ersten Hälfte des 5. Jh. den folgenden Satz:
«Desgleichen ist in der katholischen Kirche selbst entschieden dafür Sorge zu tragen, dass wir das festhalten, was überall, was immer und was von allen geglaubt wurde; denn das ist im wahren und eigentlichen Sinne katholisch.» Vincent von Lérin, 5. Jh.
Die Suche nach dem, was von Christen ‘überall, immer und von allen geglaubt’ worden ist, führt uns zurück zu den Anfängen der christlichen Gemeinde, zur Bibel und den gemeinsamen, einenden Erkenntnissen der Apostel und der ersten Kirchenväter. Ist das Rückwärtsgewandt? Nein, ich glaube vielmehr, dass ein solches Vorgehen uns Christen dabei helfen könnte, unnötigen ‘Ballast’ abzuwerfen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und gleichzeitig ganz neu unsere Identität zu entdecken und zu leben.
Gute Lehre ist nicht Selbstzweck, sondern sie will uns in die Wahrheit führen und eine tiefere Erkenntnis und die Liebe zu Gott fördern, welche auch unseren Alltag prägt. Sie will uns Glaubensstabilität schenken und uns vor falschen Schlüssen und Irrwegen bewahren. Die frühchristlichen Bekenntnisse sind darin eine grosse Hilfe. Sie haben im Feuer der Verfolgung und unter Bedrohung durch falsche Lehren Gestalt angenommen. Jedes Wort im Apostolischen Bekenntnis findet sich aus gutem Grund darin. Wir tun gut daran, uns auch heute noch mit dessen Worten zu befassen und sie bei der Beurteilung von christlicher Lehre zu beachten.
Interessant ist die Verzahnung des Glaubensbekenntnisses mit den gelebten Werten der ersten Christen. Das Apostolische Bekenntnis spannt sozusagen den theologischen Hintergrund auf, vor dem sich die DNA der ersten Christen entwickelt hatte. Die Überzeugung bezüglich Gott als Vater und Schöpfer von Himmel und Erde, zusammen mit dem Glauben an die Auferstehung des Leibes, bilden den Hintergrund für das positive Menschenbild und Körperverständnis der ersten Christen. Das Verständnis des kulturübergreifenden Wertes aller Menschen, der leidenschaftliche Einsatz für den Schutz des Lebens, die soziale Zuwendung zu den Armen und Kranken und auch die Alternative Sexualethik der ersten Christen bauen auf den Überzeugungen, dass der Mensch als von Gott geschaffenes Wesen wertvoll ist und sich dieser Wert angesichts der leiblichen Auferstehung auch auf den Körper bezieht. In ihrem Erlöser Jesus, der unter Pontius Pilatus gelitten hat, finden sie die Kraft für ihre eigene gewaltlose Feindesliebe. Wem diese Werte ein Anliegen sind, der tut gut daran, dem Nährboden Sorge zu tragen, auf denen sie gewachsen sind.
Wer die Türe zum Apostolischen Glaubensbekenntnis aufschliesst, der kann in dessen einfachen Sätzen eine Fülle geistlichen Lebens entdecken. So ist es jedenfalls mir ergangen bei der genaueren Betrachtung der 12 unscheinbaren Sätze, welche ich vor 30 Jahren als Konfirmand auswendig lernen musste. Dass ich dazu motiviert wurde, verdanke ich auch Rufin – dieser vergessenen Gestalt der Kirchengeschichte. Mit ihm möchte ich sagen: «Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen».
Hermagoras tauft Gregorius und seine Familie
Fresko in der Crypta der Basilika. Bild: Peter Bruderer
Schlussbemerkungen
Ich bin nicht Historiker, sondern schreibe lediglich als historisch interessierter Laie. Jahreszahlen sind mit der nötigen Vorsicht zu geniessen. Biografische und geschichtliche Ereignisse werden in der Literatur zum Teil abweichend voneinander dargestellt. Ursprungsfragen sind oft Gegenstand kontroverser Diskussionen. Hier noch einige Recourcen welche mir geholfen haben:
- Die deutsche Übersetzung des Kommentars von Rufin, wie er von der Universität Fribourg zur Verfügung gestellt wird. Diese beinhaltet auch eine ausführliche einleitende Biografie von Rufin.
- Gute Online-Abhandlung über das Apostolikum: Hier
- Datenbasis mit vielen Schriften von Rufin: Hier
- Christentum in der Antike, der erste Kirchengeschichtsband meines verstorbenen Lehrers Peter H. Uhlmann
- 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 1, von Armin Sierszyn
- The Apostles Creed, Discovering Authentic Christianity in an Age of Counterfeits, Albert Mohler
- Early Christian Creeds, J.N.D. Kelly
- A History of the Christian Church, Williston Walker
Die Kids in der Taufkirche von Aquileia, 4. Jh. Bild: Peter Bruderer
Grossartiges Plädoyer für das Apostolische:
https://danieloption.ch/featured/plaedoyer-fuer-das-apostolische-glaubensbekenntnis-den-zeitlosen-klassiker/
Im Zusammenhang mit Vincent von Lérin ist auch Irenäus von Lyon in “Gegen die Häresien” interessant:
“Sollte jedoch über eine unbedeutende Frage ein Zwiespalt entstehen, dann muß man auf die ältesten Kirchen zurückgehen, in denen die Apostel gewirkt haben, und von ihnen die klare und sichere Entscheidung über die strittige Frage annehmen.”
…
“…Was sie zuerst gepredigt und dann nach dem Willen Gottes uns schriftlich überliefert haben, das sollte das Fundament und die Grundsäule unseres Glaubens werden. Frevelhaft ist die Behauptung, sie hätten gepredigt, bevor sie die vollkommene Kenntnis besessen hätten, wie jene zu sagen sich erkühnen, die sich rühmen, die Apostel verbessern zu können. ”