Another Gospel? — eine Buchkritik

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Alisa Childers ist hierzu­lande bekan­nt durch ihren Artikel ‘Was pro­gres­sive Chris­ten mit Athe­is­ten verbindet’. Nun liefert sie die biographis­che Kulisse dazu mit ihrem Buch Anoth­er Gospel?. Das ein­fach ver­ständliche Buch beschreibt die Dekon­struk­tion von Alisa’s Glaube durch den Besuch eines wöchentlichen Sem­i­nars des Pas­tors ihrer Gemeinde. Dieser out­et sich vor der Gruppe als ‘hoff­nungsvoller Agnos­tik­er’. Die Schlüs­sel­frage des Buch­es: Wie geschieht die Rekon­struk­tion eines desta­bil­isierten Glaubens?

Vor­weg: Das Buch ist Anfang Okto­ber 2020 erschienen und existiert aktuell nur in Englisch. Es gibt einen Grund, weshalb mir eine Rezen­sion des Buch­es wichtig ist. Alisa’s per­sön­lich­es Erleben repräsen­tiert die Erfahrung, die viele Chris­ten der west­lichen Welt zur Zeit machen: Neue the­ol­o­gis­che Aus­sagen lösen bish­erige Überzeu­gun­gen auf und desta­bil­isieren den Glauben. Das ist an sich nichts Neues, ich kenne es aus eigen­em Erleben. Doch es scheint als wür­den aktuell beson­ders viele Chris­ten eine Art Dekon­struk­tion ihres Glaubens durch­laufen. Ich glaube, dass dies dazu gehört wenn unser Glaube mündig wer­den soll. In diese Mündigkeit kom­men wir nicht ein­fach indem wir uns in eine “christliche Bub­ble” zurückziehen und uns vor den Fra­gen “da draussen” ver­steck­en. Der Hebräer­brief sagt:

Lasst euch daher nicht von selt­samen, neuen Lehren ver­wirren. Durch die Gnade Gottes werdet ihr inner­lich stark. (Heb 13:9)

Der Vers aus dem Hebräer­brief deutet darauf, dass der Glaube fest wird durch Gnade angesichts alter­na­tiv­er religiös­er Optio­nen. Manch­mal ent­fal­ten diese alter­na­tiv­en “neuen Lehren” ihre ver­wirrende und desta­bil­isierende Wirkung ger­ade WEIL wir uns nicht einge­hend genug mit ihnen auseinan­der geset­zt und deshalb ihre Fehler nicht durch­schaut haben. Genau an diesem Punkt passt das neue Buch von Alisa Childers. Mit ihr haben wir eine Frau, deren Glaube arg ins Wanken geri­et, die sich aber die Zeit nahm, die Fra­gen einge­hen­der zu studieren. Durch Gottes Gnade ist ihr Glaube heute wesentlich stärk­er als zuvor:

Heute ste­ht mein Glaube stärk­er gegen die Wogen der Zweifel, welche die Exis­tenz Gottes in Frage stell­ten, die Ver­lässlichkeit der Bibel und die Wahrheit des Chris­ten­tums. Mein Glaube sieht heute etwas anders aus als früher. Aber wenn ich auf mein Leben zurückschaue, sehe ich Gottes vorherse­hende Hand meine Schritte leit­en. (Seite 234) 

Wenn der Pastor den Glauben untergräbt

Die Dekon­struk­tion von Alisa’s Glaube begin­nt im Rah­men ein­er Serie von Sem­i­naren, zu der sie von ihrem Pas­tor ein­ge­laden wird. Der Pas­tor ist selb­st nicht mehr so sich­er, was er noch glauben soll und was nicht. Er beze­ich­net sich als “hoff­nungsvoller Agnos­tik­er” (Seite 6) und möchte den Men­schen sein­er Gemeinde einen Raum geben, ihre Fra­gen offen zu disku­tieren. Dabei soll eine “gle­iche Augen­höhe” sein zwis­chen ihm und den Teil­nehmern. Doch Alisa erlebt, dass dies nicht wirk­lich der Fall ist. Der Pas­tor fördert sub­til eine Atmo­sphäre, die in eine ganze bes­timmte Rich­tung geht:

Ich habe gemerkt, dass wenn er eine Frage gestellt hat, es eigentlich nur zwei akzept­able Antworten gab. Wenn du gesagt hast “ich weiss es nicht” oder jene Sicht vertreten hast, welche die akzep­tierte christliche Lehre her­aus­fordert, dann wur­dest du als intel­li­gent und geistlich beweglich gese­hen. Wenn du hinge­gen die his­torische Sicht vertreten oder vertei­digt hast, wur­dest du als jemand hingestellt, der in Angst lebt oder der nicht bere­it ist, sich intellek­tuell den schwieri­gen Fra­gen des Glaubens zu stellen. (Seite 87) 

Alisa beschreibt in Anoth­er Gospel? wieder­holt solche Sit­u­a­tio­nen in der Klasse, welche dazu führen, dass sie viele Dinge, die sie früher geglaubt hat, nicht mehr mit Gewis­sheit glauben kann. Die Fra­gen konzen­tri­eren sich auf drei Themenbereiche:

  • Die Bibel
  • Das Kreuz
  • Das Evan­geli­um

Alisa merkt mit der Zeit, dass der Pas­tor und die Gruppe, an der sie teil­nimmt, von ein­er grösseren Entwick­lung in der Chris­ten­heit geprägt ist. Sie nen­nt diese Entwick­lung das “pro­gres­sive Chris­ten­tum”. Auch wenn dieses “neue Chris­ten­tum” keine eigene Organ­i­sa­tion und kein gemein­sames Glaubens­beken­nt­nis hat, kristallisieren sich gemäss Childers doch einige gemein­same Überzeu­gun­gen her­aus, welche ein­er grundle­gen­den Revi­sion des his­torischen Chris­ten­tums gle­ichkom­men. Im Fol­gen­den skizziere ich die wichtig­sten Aus­sagen von Childers über das pro­gres­sive Christentum.

Progressives Christentum definiert entscheidende Dinge neu

Wie Chris­ten aller Zeit­en, empfind­en pro­gres­sive Chris­ten die Bibel als ein überzeu­gen­des Buch, aber mit wichti­gen Unterschieden:

Anstatt die Bibel als das autori­ta­tive (nicht mit autoritär ver­wech­seln, meine Anmerkung) Wort von Gott zu den Men­schen zu sehen, ver­ste­hen sie die Bibel als eine antike Samm­lung von Büch­ern, die wir so behan­deln sollen, wie wir antike Fund­stücke behan­deln. Sie sehen die Bibel als den besten Ver­such unser­er geistlichen Vor­fahren, ihren Glauben an Gott in ihrer eige­nen Kul­tur zu ver­ste­hen. Dazu nutzen sie das Wis­sen ihrer Zeit. Weil die Men­schheit heute aber mehr und Besseres über Gott weiss, sind wir heute in der Lage, die Bibel so zu lesen, wie sie wirk­lich gele­sen wer­den sollte: nicht als autori­ta­tives Wort Gottes, son­dern als ‘geistliche Reise-Tage­büch­er’ unser­er Vor­fahren. (Seite 155) 

Diese Sicht führt dazu, dass es in der Bibel Fehler gibt und auch geben darf. Wir dür­fen deshalb das tun, was die pro­gres­sive Ikone Nadia Bolz-Weber beschreibt: Gewisse Teile aus unser­er Bibel reis­sen und ver­nicht­en. Anschliessend dür­fen wir die Evan­gelien aus der Bibel reis­sen und an unser Herz hal­ten. Der liebende, pos­i­tive Jesus, der in diesen Evan­gelien beschrieben ist, soll uns helfen auszu­sortieren, welche Teile des Restes der Bibel drin bleiben dür­fen und welche nicht (Seite 162). Die Bibel ist also nicht das Wort Gottes, son­dern bein­hal­tet das Wort Gottes. Unsere Auf­gabe ist es her­auszufind­en, welche Teile der Bibel dazuge­hören und welche nicht.

Diese Sicht der Bibel war ver­ständlicher­weise desta­bil­isierend für den Glauben von Alisa, die sich bis dahin nicht mit solchen Fra­gen beschäftigt hat­te. Alisa betont mehrmals, dass sie eigentlich schon wusste, dass die Bibel Gottes Wort ist, aber nicht warum sie das glaubt:

Jet­zt hat­te jemand die Stützen abgeschnit­ten, auf der meine Bibel stand. Und ich blieb leer zurück. Die Wahrheit ist: Ich wusste nicht, warum ich glaubte, dass meine Bibel die gle­ichen Worte bein­hal­tet, wie sie vor tausenden von Jahren geschrieben wur­den. Ich wusste nicht, dass die Bibel zusam­mengestellt wurde, abgeschrieben und über­set­zt wurde. Ich wusste nicht, warum ich glaubte, dass die Berichte über Jesus von Augen­zeu­gen aufgeschrieben wur­den. (Seite 120, meine Hervorhebung) 

Nicht nur die Bedeu­tung der Bibel wird von Pro­gres­siv­en umdefiniert, son­dern auch die Ereignisse am Kreuz. Das Kreuzes­geschehen wird gemäss Childers in pro­gres­siv­en Kreisen unge­fähr so verstanden:

Das pro­gres­sive Ver­ständ­nis des Kreuzes ist, dass Jesus von ein­er wutent­bran­nten Meute umge­bracht wurde, weil er die Wahrheit gegenüber den gesellschaftlichen Mächt­en aussprach. Gott brauchte sein Opfer im Grunde genom­men nicht wirk­lich. Aber Er machte mit, um uns ein nachah­menswertes Beispiel zu geben, was Verge­bung bedeutet. Nicht Gott ver­langte Blut, son­dern die Men­schen. (Seite 86) 

Eine neue Sicht der Bibel und von dem, was Jesus am Kreuz getan hat, führt auch zu einem neuen Ver­ständ­nis von Sünde und ein anderes Evan­geli­um kommt zum Vorschein. Childers zitiert dazu beispiel­haft Bri­an McLaren:

Jesus kam um ein neues Reich anzukündi­gen, eine neue Art zu leben, einen neuen Frieden, welch­er gute Neuigkeit­en für Men­schen aller Reli­gio­nen bein­hal­tet… Es ging darum, dass Gottes Wille getan wird, wie im Him­mel, so auf Erden. Es ging um Gottes Treue und Sol­i­dar­ität mit aller Men­schheit, in ihrem Lei­den, ihre Unter­drück­ung, und ihrem Bösen. Es ging um Gottes Barmherzigkeit und den Ruf, sich mit Gott und den Men­schen zu ver­söh­nen, bere­its vor dem Tod, schon hier auf der Erde. (McLaren zitiert auf Seite 92) 

Childers merkt je länger desto mehr, welche grundle­gen­den Unter­schiede dieses Evan­geli­um  zum dem hat, was Chris­ten über Jahrtausende geglaubt haben. Wesentliche Ele­mente fehlen darin, welche nötig sind, dass Erlö­sung stat­tfind­en kann. Ihr Fazit:

Das pro­gres­sive Evan­geli­um gibt uns eine impo­tente Got­theit, die sich lediglich “sol­i­darisieren” kann mit unserem Lei­den und Sündi­gen, uns aber nicht davon erlösen kann. Dies ist nicht das Evan­geli­um von Jesus. (Seite 92) 

Alisa’s Befund kön­nte kaum klar­er aus­fall­en. Aber wie kommt sie darauf? Die Antwort liegt an den Ori­en­tierungspunk­ten, die sie wählt, um ihre Rekon­struk­tion zu lenken.


Bild: iStock

Ankerpunkte der Rekonstruktion des Glaubens

Mit der Zeit schle­icht sich bei Alisa der leise Ver­dacht ein, dass der Anspruch ihres Pas­tors und der pro­gres­siv­en Influ­encer, ein “neues” oder “fort­geschrittenes” Chris­ten­tum zu zeich­nen, keineswegs neu ist.

Als einen ersten Ori­en­tierungspunkt ent­deckt Alisa die ersten Kirchen­väter für die Rekon­struk­tion ihres gebeutel­ten Glaubens. Munter zitiert sie Kle­ment (ca. AD 50–100), Irenäus (ca. AD 135–200), Ter­tu­lian (AD 150–220), Augustin (ca. AD 350–430) und andere. Sie sucht sich Lehrer, die näher an den orig­i­nalen Ereignis­sen dran sind als ihr Pas­tor. Über­rascht stellt sie fest, wie die Chris­ten nach dem Weg­ster­ben der Augen­zeu­gen-Gen­er­a­tion sehr schnell mit ähn­lichen the­ol­o­gis­chen Ideen kon­fron­tiert waren, wie sie ihr Pas­tor propagiert. So neu waren die Ideen ihres Pas­tors also doch nicht! Eher waren sie uralt. Weit­er ent­deck­te Alisa in den Debat­ten der Kirchen­väter viele ver­tiefte Ein­sicht­en, warum so manche pro­gres­sive Aus­sage über die Bibel, das Kreuz und das Evan­geli­um unzu­ver­läs­sig oder sog­ar irreführend sind. Ihr Fazit:

Ich ermutige dich sehr, selb­st die Kirchen­väter zu lesen (Seite 80) 

Wir haben hier einen zweit­en Ori­en­tierungspunkt in der Rekon­struk­tion: das Lesen von Orig­inal­tex­ten. Zitierte Texte sind gut, das Lesen der Orig­i­nale bess­er, weil es bess­er vor der Mis­s­repräsen­ta­tion des jew­eils zitieren­den Autors schützt. Alisa liest aber nicht nur Orig­inal­texte der Kirchen­väter, son­dern auch jene der aktuellen pro­gres­siv­en Elite, wie Bri­an McLaren, Rachel Held Evans, Rob Bell, Nadia Bolz-Weber, Peter Enns, Michael Gun­gor, Bart Ehrmann und andere mehr. Sie will ver­ste­hen, wie sie denken, was sie antreibt, was sie an ihrem bish­eri­gen Glauben beun­ruhigte und warum sie in ein so grundle­gend anderes “Chris­ten­tum” wechseln.

Dies führt uns zum drit­ten Ori­en­tierungspunkt. Childers nen­nt es das “his­torische Chris­ten­tum”:

Heute sieht mein Glaube nicht mehr so aus, wie früher. Ich habe meinen Glauben an bes­timmten Punk­ten angepasst und bin vor­sichtiger gewor­den in mein­er Inter­pre­ta­tion der Bibel. Ich habe einige nicht-so-bib­lis­che Ideen fall­en gelassen, die vorher ein so wesentlich­er Teil mein­er Iden­tität waren, dass ich sie nie hin­ter­fragt habe. Aber im Ver­lauf dieser Reise habe ich ent­deckt, dass der Kern des his­torischen Chris­ten­tum wahr ist. (Seite 9) 

Childers wählt bewusst das Wort “his­torisch” anstelle von “tra­di­tionell” oder “kon­ser­v­a­tiv”, weil let­ztere Begriffe zu viel neg­a­tive Presse haben. Sie wählt “his­torisch” auch, weil es dur­chaus möglich ist zu wis­sen, was die Kernüberzeu­gun­gen der allerersten Chris­ten waren. Sog­ar skep­tis­che The­olo­gen wie Bart Ehrmann glauben beispiel­sweise, dass 1. Korinther 15,3–5 die Glauben­süberzeu­gun­gen der ersten Chris­ten zeigt:

Ich habe an euch weit­ergegeben, was ich selb­st als Über­liefer­ung emp­fan­gen habe, näm­lich als Erstes und Grundle­gen­des: Chris­tus ist für unsere Sün­den gestor­ben, wie es in den Heili­gen Schriften voraus­ge­sagt war, und wurde begraben. Er ist am drit­ten Tag vom Tod aufer­weckt wor­den, wie es in den Heili­gen Schriften voraus­ge­sagt war, und hat sich Petrus gezeigt, danach dem ganzen Kreis der Zwölf. (1 Kor 15:3–5)

Die ersten Chris­ten glaubten also fol­gende Dinge (Seit­en 31–33):

  • Jesus ist für unsere Sün­den gestorben.
  • Er wurde begraben und ist von den Toten auferstanden.
  • Tod, Begräb­nis und Aufer­ste­hung von Jesus sind nicht von den Heili­gen Schriften (dem Alten Tes­ta­ment) zu trennen.
  • Die Aufer­ste­hung ist his­torisch über­prüf­bar und wird von Augen­zeu­gen bezeugt.

Alisa’s Argu­ment: Wer diese Punk­te nicht glaubt, hat keinen Anteil mehr an den zen­tral­sten Überzeu­gun­gen der Ersten Chris­ten, und sollte sich entsprechend auch nicht “Christ” nen­nen dür­fen. Denn immer­hin waren das die Überzeu­gun­gen, welche den Glauben der ersten Chris­ten so tief und klar prägten, dass ihr Leben von diesen Wahrheit­en auf den Kopf gestellt wurde. Nahezu alle diese wesentlichen Ele­mente fehlen aber in der oben zitierten Darstel­lung von McLaren.

Damit sind wir bei einem vierten Ori­en­tierungspunkt von Childers: ein erneuertes und begrün­detes Ver­trauen in die Bibel als Gottes Wort.

Mit diesen vier Ori­en­tierungspunk­ten fängt sie an, Stück für Stück ihren dekon­stru­ierten Glauben zu rekon­stru­ieren. Rekon­struk­tion! Etwas, zu dem viele pro­gres­sive Influ­encer keine Hil­festel­lun­gen zu liefern scheinen, wie Alisa fest­gestellt hat, und andere wie Ian Har­ber eben­so. So gerüstet bespricht Childers ein­er­seits ihren Weg zurück in eine gefes­tigte Glaubens­gewis­sheit, ander­er­seits ihre Auseinan­der­set­zung mit The­men, welche pro­gres­sive Chris­ten inter­essieren, wie z.B. das Wesen der Hölle, die Idee dass Jesu Tod am Kreuz einem kos­mis­chen Kindesmiss­brauch gle­ichkommt, die Frage ob die Bibel das Wort Gottes ist oder es lediglich beinhaltet.

Fazit

Das Buch Anoth­er Gospel? ist ein Aufruf, den his­torischen christlichen Glauben tiefer ver­ste­hen zu ler­nen, damit Chris­ten sich nicht von jed­er Idee, die als “neu” verkauft wird, unnötig irri­tieren lässt. Unser Glaube darf fest wer­den in der Anwe­sen­heit alter­na­tiv­er religiös­er Optio­nen (Heb 13:9). Lei­der spie­len fehlgeleit­ete christliche Lehrer und sog­ar Pas­toren eine oft entschei­dende Rolle im Desta­bil­isieren des Glaubens von Chris­ten. Lehrende Per­so­n­en prä­gen nun­mal ihr eigenes religiös­es Par­a­dig­ma, egal was es für eines ist. Chris­ten müssen deshalb neu prüfen ler­nen, welchen Lehrern sie glauben und warum. Childers fasst es so zusammen:

So kann ich nicht sagen, dass ich mit einem blind­en Glauben aufgewach­sen bin. Mein Glaube erlebte die Bezeu­gung des Evan­geli­ums in sozialer Aktion. Aber mein Glaube war intellek­tuell schwach und uner­probt. Ich hat­te keinen Ref­erenz-Rah­men, keine Tool­box mit Werkzeu­gen, die mir halfen, wenn jede Überzeu­gung in Frage gestellt wur­den, der ich bis dahin geglaubt hat­te. Und es war nicht ein Athe­ist, säku­lar­er Human­ist, Hin­du, oder Bud­dhist, der meine Glauben­skrise aus­löste — es war ein Christ. Konkreter, es war ein pro­gres­siv­er Pas­tor. (Seit­en 5–6)

Über­rascht hat mich, wie wenig Alisa die sex­u­alethis­chen The­men bespricht, wie z.B. die Homo­sex­u­al­ität. Dieses The­ma kommt vor, aber eigentlich eher am Rande. Ich habe auch mehr Analyse erwartet, warum zur Zeit so viele Chris­ten ihren Glauben rekon­stru­ieren. Diese bei­den nicht uner­he­blichen Lück­en tun aber keinen Abbruch an einem unter­hal­tend geschriebe­nen, per­sön­lichen und ger­ade auch für the­ol­o­gisch wenig gebildete Chris­ten gut ver­ständlichem Buch.

Im Vor­wort zum Buch, zeich­net Lee Stro­bel das schöne Bild eines Bootes, auf dem sie schöne Ferien in den Britis­chen Jungfer­nin­seln ver­brin­gen durfte. Für die Nacht mussten sie das Boot jew­eils mit einem Anker auf dem Meeres­grund fest­machen. Dies war nötig, damit das Boot während dem Schlafen nicht unbe­merkt abdriftete und ein Unfall geschah. Der Anker musste dazu fest in den Grund einge­hängt sein. Jeden Abend tauchte jemand von der Besatzung zum Anker ab, um das per­sön­lich sicherzustellen. Childers dazu:

Im Chris­ten­tum ist der Anker die gesunde bib­lis­che Lehre. Was passiert, wenn der Anker nicht fest ist oder die Leine absichtlich gekappt wird? Nun, sagt Philosoph Mark Mit­tel­berg, anfänglich nicht so viel. Für eine Weile wird der Glaube nicht weit abdriften. Tra­di­tion und Gewohn­heit wird ihn in der geistlichen Nach­barschaft hal­ten, wenig­stens für eine Zeit. Aber die wirk­liche Gefahr liegt in dem, was länger­fristig unauswe­ich­lich passieren wird: Die Ströme der Kul­tur wer­den dieses Chris­ten­tum auf den Felsen der Irrlehre auf­prallen lassen und in die Irrel­e­vanz versinken lassen. (Aus dem Vorwort) 

Umso wichtiger ist es, meint Childers, unseren Glauben (ins­ge­samt beste­hend aus unser­er Lehrmei­n­ung und Beziehung zu Gott) in den Boden der Real­ität Gottes zu ver­ankern. Son­st enden wir bei einem anderen Evan­geli­um, einem anderen Glauben an einen impo­ten­ten Jesus der — zum Glück —  mit dem wirk­lichen Jesus Chris­tus wenig bis gar nichts mehr zu tun hat.

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Titel­bild: Peter Bruderer

11 Comments
  1. Michael Berra 3 Jahren ago
    Reply

    Hab das Buch jet­zt auch gele­sen. Hier meine Eindrücke…

    Alisa Childers Anliegen ist wichtig und berechtigt. Sie hat ein Buch geschrieben, das leicht zu lesen und immer wieder sog­ar unter­halt­sam ist. Trotz­dem muss ich lei­der sagen, dass ich das Buch am Schluss etwas ent­täuscht und gen­ervt weggelegt habe. Aber wer weiss, vielle­icht bin ich ja zu „pro­gres­siv“…?! 😉

    Zuerst, worin ich mit Childers übereinstimme:

    - Dekon­struk­tion des Glaubens anzus­treben, zu fördern und aktiv bei Leuten, die gar keine Fra­gen haben, auszulösen ist eine Zielver­fehlung! Ich glaube Dekon­struk­tion (Fra­gen) über­fällt einen ein­fach und dann muss man etwas damit machen…
    — Die Fra­gen-Ver­liebtheit und das Antworten-Mis­strauen einiger „Pro­gres­siv­er“ empfinde ich auch bemühend. Fra­gen allein genü­gen nicht. Sie geben ja auch Antworten; die entschei­dende Frage ist ob diese Antworten ein gutes Fun­da­ment bilden. Dekon­struk­tion kann nicht das Ziel sein, sie muss zu ein­er gesun­den Rekon­struk­tion führen.
    — Wenn das Fun­da­ment weg­bricht, dann bricht alles weg. Wenn Jesu Tod & Aufer­ste­hung, das Evan­geli­um, nicht mehr im Zen­trum ist, dann kann kaum mehr von „christlich“ gere­det werden.
    — Dieses Fun­da­ment ist in der Bibel gelegt, oder bess­er grundle­gend bezeugt, und wir tun auch gut daran die Ausle­gung der­er beson­ders Ernst zu nehmen, die näher dran waren als wir (Kirchen­väter).

    Worin ich nicht mit Childers übere­in­stimme (meine Kritik):

    - Ihre Argu­men­ta­tion empfinde ich in den Haupt­punk­ten Bibel, Kreuz, Jesus (Irgend­wie habe ich gemerkt, dass sie da nicht ganz kon­se­quent ist, was denn nun die Haupt­punk­te sind…) und eini­gen ihrer „Neben-Haupt­punk­te“ (die dann ein­fach so ein­fliessen) sehr man­gel­haft! Sie sagt de fak­to, dass nur eine ganz bes­timmte Sicht dieser Haupt­punk­te die einzig richtige ist und sie beansprucht fälschlicher­weise, dass die Bibel und die Kirchen­väter ein­deutig diese bes­timmte Sicht geteilt haben. In Bezug aufs The­ma Bibel scheint mir das zB eine Form der Ver­balin­spi­ra­tion und in Bezug auf Sühne „penal sub­sti­tu­tion“ zu sein. Ohne ins Detail zu gehen, ist das äusserst ein­seit­ig und auch nicht so ein­fach mit den Kirchen­vätern zu stützen und ihre Argu­men­ta­tion im Buch ignori­ert Jahrhun­derte von Diskus­sio­nen, die zu diesen The­matiken schon geführt wurden.
    — Ihr Ver­ständ­nis von Wahrheit ist inkon­sis­tent und let­ztlich aus mein­er Sicht zu sim­plis­tisch. Auch hier scheint sie all die jahrhun­derte­lan­gen the­ol­o­gisch-philosophis­chen Auseinan­der­set­zun­gen mit ein­er „ist doch klar“ Hand­be­we­gung vom Tisch zu fegen und nicht klar zwis­chen Real­ität und Erken­nt­nis der Real­ität zu unterscheiden.
    — „Die pro­gres­sive Bewe­gung“ gibt es aus mein­er Wahrnehmung nicht… Childers stellt es so dar (obwohl sie teils schreibt, dass das nicht so ist), wie wenn es da eine Bewe­gung gibt, die eine bes­timmte Agen­da ver­fol­gt und bewusst das Chris­ten­tum unter­wan­dern will. Ich glaube hinge­gen, dass es ein­fach eine zunehmende Bewe­gung von Men­schen gibt, die gewisse klassisch-(amerikanisch?)-evangelikale Überzeu­gun­gen in Frage stellen und dabei aus mein­er Sicht teils gesunde und teils mangelhafte/haarsträubende Alter­na­tiv­en find­en. (Aber lass mich da gern vom Gegen­teil überzeugen :)).
    — Unter dem Strich scheint mir Childers schlicht diese spez­i­fisch evan­ge­likale Sicht erneut als die einzig wahre darstellen zu wollen und ignori­ert dabei ganz andere christliche Tra­di­tio­nen, die min­destens eben­so auf die Kirchen­väter zurückgehen.
    — Viele der „Pro­gres­siv­en“ streben aus mein­er Sicht nichts anderes an als Childers selb­st: die (Neu-)Betonung der Fun­da­mente des christlichen Glaubens aus der Bibel und in Bezug auf die Tra­di­tion (V.a. Kirchen­väter). Ich finde es etwas dif­farmierend, dass diese The­olo­gen dann so dargestellt wer­den, wie wenn sie für sich selb­st los­gelöst von allem etwas kon­stru­ieren (obwohl es die sich­er auch gibt). Dass es da teils andere Resul­tate gibt kann sein. Dass es da teils Irrwege gibt, ist sich­er. Aber das gibt es hüben wie drüben. Deshalb finde ich diese Die-Wir-Rhetorik mit viel Pathos wenig hil­fre­ich. Da gibt es intel­li­gen­tere Auseinan­der­set­zun­gen. Per­sön­lich hoffe ich, dass ich selb­st kon­struk­tive Beiträge zu ein­er heil­samen und heil­brin­gen­den Rekon­struk­tion liefern kann, die Men­schen irgend­wo auf ihrer In-Frage-Stell-Reise (Dekon­struk­tion) helfen.

    • Paul Bruderer 3 Jahren ago
      Reply

      Danke für deine inten­sive Auseinan­der­set­zung mit Alisa’s Buch Michi! Da bin ich ges­pan­nt auf deine Blogs, die deine Vari­ante zum Aus­druck bringt. Unbe­d­ingt hier posten 👍

    • Paul Bruderer 7 Tagen ago
      Reply

      Hi Michi, haben sich deine Wahrnehmungen verän­dert im Ver­gle­ich zu dem, was du vor 3 Jahren geschrieben hast?

      • Michael Berra 6 Tagen ago
        Reply

        Haha, das kommt jet­zt über­raschend, Paul. Wie kommst du denn drauf jet­zt nachzufra­gen. Hat es einen bes­timmten Grund?
        Bezüglich Childers und ihrem Buch hat sich nicht gross was verän­dert, obwohl ich mir immer mal wieder ihren Pod­cast anhöre, weil ich bre­it wahrnehmen will. Ich kann nach wie vor wirk­lich sehr wenig mit ihr anfan­gen… sorry.
        Bezüglich der ganzen Post-Evan­ge­likalen Debat­te habe ich mich in der Zwis­chen­zeit natür­lich weit­er­en­twick­elt, wie auch son­st die ganze The­matik. Aber in den Grundlin­ien sehe ich es immer noch gle­ich — ein­fach vielle­icht mit etwas mehr Nuan­cen & Hin­ter­gund­wis­sen. Wenn ich endlich mal die Zeit finde, möchte ich gerne ein kurzes Paper als Hil­fe dazu verfassen.
        Hat sich denn bei dir was verändert?

        • Paul Bruderer 6 Tagen ago
          Reply

          Danke für die prompte Rück­mel­dung 🙂 Denkst du immer noch, dass es keine poste­van­ge­likale Bewe­gung gibt? Wie hast du dich denn weit­er­en­twick­elt dies­bezüglich? Ich selb­st nehme das­selbe wahr wie vor drei Jahren nur, dass vieles aus mein­er Sicht noch deut­lich­er vor Augen ste­ht. Bin ges­pan­nt auf deine Antwort.

          • Michael Berra 6 Tagen ago

            Hey, bin nicht so Fan das aus­führlich hier zu posten. Wie gesagt möchte ich gerne mal meine Gedanken ver­schriftlichen in „mit­te­laus­führlich­er“ Form — aber wie du weisst, ist es im All­t­ag des Gemein­de­baus nicht immer das Vorder­ste… 😉. Also gerne mal live wieder ein­mal (so oder so) und/oder dann, wenn ich meine Gedanken etwas sys­tem­a­tis­ch­er geord­net habe 👍🏼.

          • Michael Berra 6 Tagen ago

            Ps: in der Zwis­chen­zeit ist ja mein Buch auch erschienen (https://www.berraspektiven.ch/mein-buch-towards-a-theology-of-relationship/). Falls du es noch nicht gele­sen hast, aber inter­esse hast, gebe ich dir gerne ein Exem­plar, falls es dich inter­essiert (via PM). Das ist die Aus­gangslage von meinen kon­struk­tiv­en Beiträ­gen neb­st unserem Pod­cast BEZIEHOLOGIE, der auch gewisse The­men der aktuellen Diskus­sio­nen aufgreift.

          • Paul Bruderer 6 Tagen ago

            Danke — ja ich weiss davon. Ich habe dein Buch bere­its gekauft und werde es lesen sobald ich ein biss­chen Luft habe. Ziel ist noch dieses Jahr. Ich habe auch ange­fan­gen, mich ein kleines biss­chen mit Brun­ner zu befassen. Aber sehr low lev­el. Äusserst du dich in ein­er Folge deines Pod­casts zu Beken­nt­nis­sen? Ich schreibe zusam­men mit Ste­fan Schwey­er einen Artikel zum Evan­ge­likalis­mus und frage ver­schiedene Leute, wie sie (spon­tan und aus dem Bauch her­aus) zur Lau­san­ner Erk­lärung und der Glaubens­ba­sis der EA ste­hen. Wäre inter­es­sant deine Rück­mel­dung zu haben. (ich würde im Artikel keine Namen erwähnen)

          • Michael Berra 6 Tagen ago

            Lass dir ruhig Zeit.
            Auseinan­der­set­zung mit Beken­nt­nis­sen kom­men darin nur periphär vor (im Buch & im Pod­cast noch keine Episode dazu). Aber für uns als Kirche haben wir als Ori­en­tierung ein A4 Blatt gemacht , das ich sehr hil­fre­ich finde. Dort kom­men Beken­nt­nisse zen­tral vor. Ste­fan ken­nt das bere­its. Falls du es willst, kannst du mir via Mail eine Anfrage schick­en, dann geb ich es dir gerne. Und eben — sinst dann gern mal live 😊.

  2. Peter Burghardt 3 Jahren ago
    Reply

    Ich würde diesen Text auf meine Seite übernehmen?
    Ist das ok
    Viele Grüße
    Peter

    • Paul Bruderer 3 Jahren ago
      Reply

      Lieber Peter, von uns aus kannst du das gerne machen 👍

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