Haben Christen einen Auftrag in der Ökologie? Müssen sie sozial oder politisch aktiv sein? Oder sollten sie sich besser auf die Verkündigung des Wortes fokussieren und das andere denen überlassen, die etwas davon verstehen? Was ist eigentlich der Umfang des Auftrags, den Christen in dieser Welt haben? Diese Fragen treiben uns Christen herum. Wir finden Antworten in einer unerwarteten Quelle: Dem Alten Testament.
Unsere Serie über Schlüsselthemen im Alten Testament hat einen Schwerpunkt auf dem Auszug aus Ägypten (Exodus), der Wüstenzeit und dem Einzug Israels in Kanaan. Wir haben Aspekte dieser Geschichte angeschaut, die für Menschen des 21. Jahrhunderts problematisch sind: Der Zorn Gottes (Teil 1 und Teil 2). In derselben Geschichte, die uns solche Mühe macht, finden wir gleichzeitig Wegweisendes für unser Leben als Christen: Gott verändert uns, Gebet bringt Himmel und Erde in Berührung miteinander, wir brauchen einen Vermittler zwischen Gott und uns.
In den nächsten Blogs schauen wir uns ein Element an, das ebenfalls aus dem Exodus kommt, und der meine Sicht auf diese Welt völlig verändert hat. In diesem Artikel führe ich mittels einem Text aus dem Neuen Testament an die Thematik heran: Gottes ganzheitliches Heilshandeln. Im nächsten Blog zeige ich 4 Dimensionen dieses rettenden Eingreifen Gottes anhand des Exodus. Anschliessend lassen wir das Neue Testament und die revolutionäre Liebe der ersten Christen Revue passieren, um im letzten Artikel zu fragen, was dies alles für uns heute bedeutet. Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, bei dem sowohl konservative als auch liberale Christen die Tendenz haben, auf einer Seite des Pferdes herunter zu fallen. Die dritte Option hingegen integriert die Dimensionen von Gottes rettendem Handeln wunderbar.
Ich freue mich, wenn du mitkommst auf diese vierwöchige Reise, die hoffentlich auch deine Sicht auf diese Welt verändert, weil deine Sicht von Gott verändert wird.
Zwei Lieder
Ich gebe es offen zu: Ich bin ein Endzeit — Skeptiker. Zu oft haben Christen angeblich gewusst, wie das Ende dieser Welt ablaufen wird. Zu oft haben sie sich in ihren detaillierten Aussagen verkalkuliert. Klar ist mir, dass Jesus wiederkommt und der Weg dorthin von Konflikten, Kampf, Widerspruch und Leid gekennzeichnet ist. Aber auch von Sieg, Freude, Mut und einem Reich Gottes, das im Kommen begriffen ist.
Mitten in den Schilderungen dieser Ereignisse sticht etwas für mich heraus: Christen die Gott mit Liedern anbeten! Es sind Christen die den Sieg davontragen und in der (himmlischen) Heimat angekommen sind. Sie schauen zurück auf ihr Leben, auf die mitunter dramatischen Ereignisse und sie verstehen mehr als wir, worauf es ankommt. Was sie sehen und erkennen, lässt Lieder der Anbetung aus ihren Herzen platzen! Eines ihrer Lieder hat mein Herz tief bewegt:
Sie sangen das Lied Moses, des Dieners Gottes, und das Lied des Lammes: »Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott, Allmächtiger. Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, König der Völker. Wer sollte dich nicht fürchten, Herr, und deinen Namen verherrlichen? Denn du allein bist heilig. Alle Völker werden kommen und vor dir anbeten, denn deine gerechten Taten sind offenbart worden.« (Offb 15:3–4)
Wenn ich diesen Text lese und mir die Kulisse vor Augen führe in der diese beiden Lieder gesungen werden, läuft es mir kalt den Rücken herunter, meine Haut prickelt, mein Geist sieht Dinge, die er sonst nicht sieht. Es sind die Überwinder, welche diese zwei Lieder proklamierend und anbetend vortragen. Sie haben das Tier, dessen Standbild und die Zahl seines Namens überwunden (was auch immer das genau ist, es ist nicht gut!). Und nach ihrem Sieg singen sie. Ein Siegeslied. Genau genommen sind es zwei Lieder. Das Lied des Mose und das Lied des Lammes!
Das Lied des Lammes ist ein Bezug zum Opfertod Jesu Christi am Kreuz, während das Lied des Mose ein Bezug ist zu einem konkreten Lied, das Mose mit dem Volk Israel gesungen hat, nach dem Durchzug durchs Rote Meer (2Mo 15:1–21). Wir haben es hier also mit den beiden wichtigsten Heilshandlungen Gottes zu tun: Exodus und Kreuz. Auszug aus Ägypten und Opfertod Jesu, die wichtigste Rettungsaktion Gottes im Alten Testament und die wichtigste im Neuen Testament.
Wir müssen beide Lieder singen
Die Sänger sind Christen, denn sie wissen um Jesus. Trotz ihrer Bezogenheit auf Jesus, singen sie nicht nur das Lied des Lammes, sondern auch das Lied des Mose. Dies scheint mir sehr bedeutungsvoll zu sein. Das Singen des Liedes des Lammes übertönt nicht das Lied des Mose. Diese Überwinder blenden Gottes Rettung im alten Bund nicht aus. Die Rettung Gottes von Israel aus der Sklaverei ist untrennbar mit dem Einzug in Kanaan verbunden, was wiederum mit dem ursprünglichsten aller Bünde Gottes mit Israel zusammenhängt, dem Bund mit Abraham:
Ich bin der HERR und will euch wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen, und will euch erretten von ihrem Frondienst und will euch erlösen… Und ich will euch in das Land bringen, über das ich meine Hand zum Schwur erhoben habe, dass ich’s geben will Abraham, Isaak und Jakob; das will ich euch zu eigen geben. Ich bin der HERR. (Aus 2. Mose 6:6–8)
Kein Wunder singen die Überwinder das Lied des Mose, welches sie an die Treue Gottes gegenüber Abraham erinnert. In Jesus Christus erfüllt Gott das, was er mit Abraham und Mose angefangen hat. Darum ist ihnen der Exodus, trotz der für unsere Zeitgenossen damit verbundenen schlecht verdaulichen Elemente, nicht peinlich. Gottes Rettung durch Mose wird nicht verschwiegen, sondern besungen:
“Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott, Allmächtiger” (Offb 15:3–4)
Die Sänger wissen also, dass beide Ereignisse zusammengehören, weil sie vom gleichen Gott ausgehen, der in beiden Fällen rettend in die Geschichte dieser Welt eingreift. Sie haben verstanden, dass beide Heilsmomente Licht aufeinander werfen. Wir können das Kreuz nicht verstehen, ohne den Exodus zu verstehen. Und wir können den Exodus nicht verstehen, ohne es vom Kreuz her zu erhellen. Wer das eine ohne das andere zu verstehen versucht, bekommt ein verzerrtes Verständnis davon, was es heisst, wenn Gott rettet. Und da wir als Christen Gottes Mitarbeiter in der Vermittlung des Heils in dieser Welt sind, müssen wir darauf achten, dass auch wir beide Lieder singen. Wenn wir nur das Lied des Lammes oder nur das Lied des Mose singen, werden wir eine unausgewogene Idee davon, was unser Auftrag ist in dieser Welt.
Das verbindende Element
Was ist der Zusammenhang beider Ereignisse? Jesus ist eine Art zweiter Mose, respektive Mose ist eine Art Vorgänger Jesu. So wie Mose mit einem Volk einen Auszug lanciert, lanciert Jesus einen Auszug mit Menschen aller Völker (Off 21:24–26). So wie Moses Israel aus der Sklaverei Ägyptens befreit, erlöst Jesus alle Menschen die an ihn glauben, aus deren Gefangenschaft ihrer Sünden (1Petr 1:18–19). Wie Moses das Volk in ein neues Land führt, führt Jesus sein Volk in die neue Schöpfung (Off 21:1).
Das Neue Testament lenkt unsere Aufmerksamkeit bewusst auf diesen Zusammenhang. Ein Beispiel dafür ist eine feine Mahlzeit. Mose führt auf Gottes Anweisung hin das Volk Israel an, das Passamahl einzunehmen, als Weckruf, als Signal sich bereit zu machen für den Abmarsch aus Ägypten (2. Mose 12:11). Das Blut des für die Mahlzeit geschlachteten Lammes wird Erlösung schaffen vor dem Gericht Gottes über das Land Ägypten (2. Mose 12:12–13). Szenenwechsel zu Jesus. Vor seiner Festnahme feiert er das letzte Mahl. Es ist nichts anderes als dieses Jüdische Passamahl, währenddem Jesus den Becher mit Wein nimmt und das Brot bricht und auf seine eigene Rolle hinweist:
Er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. (Matt 26:27–28)
Jesus könnte es kaum deutlicher sagen: Ich selbst bin das Opferlamm, eure Erlösung vor dem Gericht Gottes an dieser Welt! Meine Jünger, versetzt euch in Bereitschaft, ein Exodus fängt an! Ich, Jesus, führe einen neuen, zweiten Auszug an! Jesus zeigt uns: Was Gott durch Mose für das eine Volk Israel gemacht hat, vollbringt Gott durch mich für alle Völker!
Dieser zweite Exodus ist derart umfassend, dass sogar nicht-menschliche Elemente der Schöpfung mitgenommen werden. Römer 8 zeichnet das Bild eines universellen Auszugs:
Denn alles Geschaffene ist der Sinnlosigkeit ausgeliefert, versklavt an die Vergänglichkeit, und das nicht durch eigene Schuld, sondern weil Gott es so verfügt hat. Er gab aber seinen Geschöpfen die Hoffnung, dass auch sie eines Tages von der Versklavung an die Vergänglichkeit befreit werden und teilhaben an der unvergänglichen Herrlichkeit, die Gott seinen Kindern schenkt. (Römer 8:20–21)
Hören wir hier die Wörter, die an den Auszug aus Ägypten erinnern? ‚Versklavt-sein’ und ‚befreit-werden’ sind Exodus-Begriffe. Wir sind uns das vielleicht nicht so gewohnt, aber für die jüdischen Leser ist klar gewesen: Paulus behauptet hier, dass sogar die Natur eine Art Auszug erleben wird. Kein Wunder endet alles nicht in einem abstrakten Himmel wo nur unsere Seelen sich aufhalten, sondern mit einer neuen Erde (Off 21:1) wo wir einen Körper haben werden, wo es ein Umfeld gibt das vermutlich ähnlich sein wird, wie das unseres Planeten Erde!
Ich persönlich sehe keinen Grund, warum es darin keine Tiere haben sollte, Bäume, Vegetation, Berge, Bergkristalle, Skipisten und herrlichste Dünen in der Wüste (etc.). Warum eigentlich nicht die Alpen? Nun wir wollen vorsichtig sein, derart spezifisch zu werden, wenn die Bibel es nicht ist. Aber für jene, die dorthin kommen, wird es ein Ankommen in der Heimat sein, ein nach Hause kommen (Heb 11:13–16).
C.S. Lewis beschreibt dies in ungeahnt schöner Weise im abschliessenden Kapitel des letzten Narnia Abenteuers. Die Kinder und Tiere sind gestorben und in Aslan’s neuer Welt angekommen. Sie gehen tiefer hinein und erkennen plötzlich… das alte Haus von Professor Kirk, wo alles angefangen hat. Sie merken, dass sie in … England sind!
»Ist es auch«, sagte der Faun. »Aber was ihr jetzt seht, ist das England innerhalb von England, das wirkliche England.« (Der letzte Kampf, Kindle Position 2276)
C.S. Lewis bringt hier zum Ausdruck: Vieles was wir schon in dieser Welt kennen, wird in reiner und echter Form in Gottes neuer Schöpfung da sein. Wer dort ankommt und zurückschaut auf die Welt, wie sie jetzt für uns ist, wird erkennen: Was (z.B.) im Jahr 2021 so real und schön schien, war nur ein Vorbote der wirklichen Wirklichkeit der neuen, vollkommenen und lebendigen Schöpfung Gottes!
Ich glaube: Gott benutzt Begriffe wie ‘Neuer Himmel, neue Erde’ nicht, um uns in die Irre zu führen. Ich glaube die neue Schöpfung wird überraschend ähnlich sein, wie die jetzige, einfach ohne Sünde, Böses, Ungerechtigkeit, Leid und Tränen (Off 21:4–5). Der Auszug aus dem alten Zeitalter, welches gekennzeichnet ist von der Regentschaft der Sünde und des Todes, endet in der neuen Schöpfung. Und Jesus ist der zweite Moses, der alle mit sich führt, die ihm vertrauen, zusammen mit dem Rest der Schöpfung.
Das grosse Bild über das es sich lohnt zu singen
Spüren wir etwas von der atemberaubenden Grösse und des immens grossen Umfangs des Heilshandeln Gottes? Es geht ihm um die ganze Schöpfung! Kein Wunder brechen die Überwinder in Off 15:3–4 angesichts dieser Taten Gottes, in Lobgesang aus!
Diese Ganzheitlichkeit nimmt ihren beispielhaften Anfang im Exodus aus Ägypten im Alten Testament, also im Lied von Mose. Gottes umfassendes Heil findet seine eigentlichste Ausführung in Christi Tod und Auferstehung im Neuen Testament, also im Lied des Lammes. In den nächsten Blogs werden wir konkreter herausfinden, was diese Ganzheitlichkeit alles beinhaltet und demzufolge auch besser verstehen, was der Auftrag der Gemeinde Jesu ist.
Vor etwa 20 Jahren fragte mich mein Göttibub, ob es Himmel auch Autos gebe. Hm … ? Das könnte ich mir durchaus vorstellen, antwortete ich, aber vermutlich ohne die schädlichen Nebenwirkungen. Kindliche Vorstellung vom Himmel, nicht wahr? Manchmal zerspringe ich fast vor Freude auf die neue Welt und kann es kaum erwarten. Andererseits will ich noch lange auf dieser Welt bleiben, um viele Menschen mit dieser Freude anzustecken. Eines macht mir im Blick auf Gottes neue Welt allerdings etwas Sorge: Es heisst doch, wir würden dann nicht mehr Mann oder Frau sein. Ich möchte aber so gerne auf immer und ewig mit meiner Frau zusammen bleiben.
Gute Frage Viktor! Mir macht ähnliches Mühe wie dir. Mein Verständnis ist, dass wir zwar als Männer und als Frauen in der Ewigkeit sein werden, aber nicht mehr sexuell aktiv. Wir werden also nicht körperlich in einen ‘Einheitsbrei’ verwandelt. Unsere Ehefrauen werden weiterhin als Frauen da sein. Und wir werden für sie als Männer da sein. Aber es wird keine sexuelle Beziehung mehr sein. CS Lewis schreibt irgendwo, dass in der Ewigkeit unsere Sexualität für uns sein wird, wie jetzt unsere Kinderheits-Spielzeuge (Autos etc) für uns sind. Unsere Spielzeuge mögen noch im Haus sein irgendwo in einer Erinnerung-Kiste auf dem Dachboden, oder auf dem Gestell’ ausgestellt, aber eine Rolle spielen sie nicht mehr. Und doch erinnern wir uns gerne daran zurück. Aber unsere wirklichen grossen herrlichen inspirierenden Freuden, sind jetzt völlig andere Sachen. Ungefähr so stellt sich das CS Lewis vor. We will see! Ich kann mir mit bestem Willen kaum etwas schöneres vorstellen, als mit meiner Frau zusammen zu sein! Da wird Gott uns noch ein paar Sachen eröffnen müssen! Aber: Gegenüber unsere Spielzeugen der Kinderheit empfanden wir als Kinder ja ähnlich. 😄