Wie kann man nur an einen zornigen Gott glauben? (1/2)

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Wer heutzu­tage über Gott ins Gespräch kom­men will (siehe den Artikel Wie sollen wir heute über Jesus reden?), wird kaum mit dem Zorn Gottes punk­ten kön­nen. Selb­st viele Chris­ten stören sich an den bru­tal­en Stellen der Bibel mit Gott als dem Pro­tag­o­nis­ten. Wie kön­nen wir den Zorn Gottes verstehen?

Der Athe­ist Richard Dawkins liefert mit dem fol­gen­den Zitat eine steile Vor­lage zum Thema:

„Der Gott des Alten Tes­ta­ments ist… die unan­genehm­ste Gestalt in der gesamten Lit­er­atur: Er ist eifer­süchtig und auch noch stolz darauf; ein klein­lich­er, ungerechter, nach­tra­gen­der Überwachungs­fa­natik­er; ein rach­süchtiger, blutrün­stiger eth­nis­ch­er Säu­ber­er; ein frauen­feindlich­er, homo­phober, ras­sis­tis­ch­er, Kinder und Völk­er mor­den­der, ekliger, grössen­wahnsin­niger, sado­masochis­tis­ch­er, lau­nisch-boshafter Tyrann.”[1]

Was haben Chris­ten dem zu entgegnen?


The Great Day of His Wrath, Öl auf Lein­wand, John Mar­tin, 1851–1853

‚Zorn‘ allgemein

In unserem Sprachge­brauch sehen wir ‚Zorn‘ als neg­a­tiv an. Denn wir assozi­ieren damit unkon­trol­lierte Wut, Aggres­siv­ität, Jäh­zorn, Willkür, Grausamkeit etc. Welch­er gläu­bige Men­sch will diese Begriffe schon mit seinem Gott in Verbindung brin­gen? Kein­er. Das ist jedoch gar nicht nötig, wie James I. Pack­er in seinem Buch Gott erken­nen dar­legt. Was wir mit ‚Zorn‘ verbinden, passt tat­säch­lich in vie­len Fällen nicht zu Gott. Pack­er definiert den Zorn Gottes als „…ein gerecht­es und notwendi­ges Vorge­hen gegen wirk­lich vorhan­dene Übel. Gott ist nur dann zornig, wenn sein Zorn nötig ist.“ [2]

Somit entste­ht ein anderes Bild. Gott wird fol­glich nicht von sinnlos­er Wut gepackt, woraufhin er die Beherrschung ver­liert. Was Gott in der Bibel beispiel­sweise wütend wer­den lässt, ist men­schliche Ungerechtigkeit oder Göt­ter­verehrung gepaart mit grausamen Men­schenopfern. Gott wird dem­nach zornig, weil wir Men­schen ihm nicht egal sind. Er zuckt nicht mit den Schul­tern, wenn Men­schen Unrecht tun und andere darunter lei­den. Das Gle­iche ken­nen wir aus unser­er eige­nen Erfahrung. Wenn ein guter Fre­und abschätzig behan­delt wird, lässt uns das nicht kalt. Unser Ärg­er oder sog­ar unser Zorn sollte sog­ar geweckt wer­den, wenn wir Zeuge von Ungerechtigkeit wer­den. Wir kön­nen sog­ar soweit gehen und sagen, dass es manch­mal falsch wäre, angesichts mas­siv­er Ungerechtigkeit keinen Zorn zu empfind­en. Bei Gott ist es ähnlich.

AT gegen NT?

Nicht zielführend ist das Argu­ment: „Von Gottes Zorn spricht lediglich das Alte Tes­ta­ment. Im Neuen Tes­ta­ment begeg­net uns Gott in seinem wahren Charak­ter voller Liebe.“ Zugegeben: Über­legt man sich als einiger­massen mit der Bibel Ver­trauter „Wie viele Strafen Gottes im AT fall­en mir ein? Und im NT?“ Dann schnei­det sicher­lich das AT „grausamer“ ab durch bekan­nte Ereignisse wie: Sint­flut, Sodom und Gomor­ra, 10 Pla­gen, Eroberung Kanaans etc. Tat­säch­lich ist nur in einem einzi­gen Buch des AT mit keinem Wort von Gewalt die Rede, näm­lich im Buch Ruth! Das NT ist dage­gen bekan­nt für die Men­schen­liebe und sog­ar Fein­desliebe von Jesus Christus.

Doch: Sowohl im Alten als auch im Neuen Tes­ta­ment ist ein­deutig die Rede von Gottes Zorn, siehe z. B. 5.Mo 29,27; Jes 5,25; Mk 3,5; Rö 1,18. Jesus selb­st ist der­jenige, der sich expliz­it wie kein andere zu The­men wie Gottes Gericht, Hölle etc. äussert (Mt 24,45ff). Zudem ist in bei­den Bibel­teilen gle­icher­massen von Gottes Güte und Barmherzigkeit die Rede (z.B. Ps 103,8; Jona 4,2; Lk 6,36; Jak 1,17). Das NT kann dem­nach nicht gegen das AT aus­ge­spielt wer­den. Der Charak­ter Gottes entwick­elte sich nicht von einem gewalt­täti­gen hin zu einem liebevollen. Denn Gott ist zu allen Zeit­en der Gle­iche und das auf kon­stant höch­stem moralis­chem Niveau.

Gottes Eigenschaften

Trotz­dem bleibt bei dem Gedanken an Gottes Zorn ein fad­er Beigeschmack, oder? Die Bibel nen­nt  ‚Zorn‘ als eine von Gottes Eigen­schaften. Nicht die Einzige und nicht die Wichtig­ste. Keine Bibel­stelle sagt „Gott = Zorn.“ Aber sehr wohl „Gott = Liebe“ (1Joh 4,8). Daher gilt es, Gottes Zorn in Verbindung zu brin­gen mit seinen anderen Eigen­schaften. Er offen­bart uns in der Bibel u.a. seine Liebe, Geduld, Gnade, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Sou­veränität. Damit soll Gottes Zorn nicht ver­harm­lost, son­dern ins rechte Licht gerückt wer­den. Die fol­gen­den Stellen zeigen genau dies auf:

  • Ps 30,6 Denn sein Zorn währet einen Augen­blick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Mor­gens ist Freude.
  • Ps 78,38 Er aber war barmherzig und ver­gab die Schuld und ver­til­gte sie nicht und wandte oft seinen Zorn ab und ließ nicht seinen ganzen Grimm an ihnen aus.

Der Yale Pro­fes­sor Miroslav Volf – sel­ber Zeitzeuge des Balkankrieges – schreibt dazu:

„Früher dachte ich, dass Zorn eines Gottes unwürdig sei. Ist Gott nicht Liebe? Sollte göt­tliche Liebe nicht über Zorn erhaben sein? Gott ist Liebe und Gott liebt jeden Men­schen und jedes Geschöpf. Ger­ade deshalb ist Gott auf manche von ihnen zornig. Mein let­zter Wider­stand gegenüber dem Gedanken an Gottes Zorn fiel angesichts der Opfer­zahlen des Krieges im ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien, der Region aus der ich stamme. Gemäss einiger Schätzun­gen wur­den 200’000 Men­schen getötet und 3’000’000 ver­trieben. Meine Dör­fer und Städte wur­den zer­stört, mein Volk Tag und Nacht bom­bardiert, einige von ihnen unvorstell­bar bru­tal behan­delt und ich kon­nte mir nicht vorstellen, dass Gott darüber nicht wütend war. Oder denken Sie an Ruan­da im let­zten Jahrzehnt des ver­gan­genen Jahrhun­derts, wo 800’000 Men­schen in 100 Tagen zu Tode gehackt wur­den! Wie hat Gott auf dieses Gemet­zel reagiert? Hat er die Täter wie ein Gross­vater ver­hätschelt? Indem er sich weigerte, das Blut­bad zu verurteilen, son­dern die gute Seele der Täter her­ausstellte? War Gott nicht aus­ge­sprochen zornig auf sie? Obwohl ich mich früher beschw­erte, wie unpassend der Gedanke von Gottes Zorn war, erkan­nte ich nun, dass ich gegen einen Gott rebel­lieren müsste, der angesichts des Bösen in der Welt nicht zornig wäre. Gott ist nicht zornig trotz sein­er Liebe. Er ist zornig wegen sein­er Liebe.”[3] (eigene Übersetzung)

Bemerkenswert ist noch, dass im NT die Strafen Gottes aus dem AT nicht ver­schwiegen wer­den. Jesus selb­st bezieht sich selb­stver­ständlich darauf, ohne sich pein­lich berührt davon zu dis­tanzieren (z. B. die Sin­flut in Mt 24,38f oder Sodom und Gomor­ra in Mt 10,15). Ein­drück­lich ist eben­falls die Schilderung von Gottes Zorn in der Offen­barung. In seinem Zorn auf die men­schliche Sünde spricht Gott Strafen aus und wird dafür von den Gläu­bi­gen nicht verurteilt, son­dern ange­betet, Offb 11,15ff.

Jesus und Gottes Zorn

Somit rastet Gott nicht aus und schlägt willkür­lich drein. Vielmehr ist sein Zorn eine Reak­tion auf unser men­schlich­es Fehlver­hal­ten, welche von seinem Sinn für Gerechtigkeit geweckt wird. Die gute Nachricht der Bibel ist jedoch, dass Gottes Zorn auf seinen Sohn Jesus „umgeleit­et“ wird. Jesus Chris­tus lebte als Einziger ein ein­wand­freies Leben. Doch opferte er sich stel­lvertre­tend für uns Men­schen. Damit wir straf­frei davonkom­men kön­nen, wenn wir ihm glauben.

Denn Gott hat uns nicht für den Zorn und das Gericht bes­timmt, son­dern zur Ret­tung durch unseren Her­rn Jesus Chris­tus. (1Thess 5,9 Hfa)

Auch wenn das The­ma des Zornes Gottes kein bequemes ist, so hat seine Aus­blendung doch drama­tis­che Fol­gen. Rein­hold Niebuhr for­mulierte es fol­gen­der­massen (The King­dom of God in Amer­i­ca, S. 193, eigene Über­set­zung): „Ein Gott ohne Zorn brachte Men­schen ohne Sünde in ein Kön­i­gre­ich ohne Gericht durch den Dienst eines Chris­tus ohne Kreuz.“

Gottes Zorn und wir

Auch wenn einige Fra­gen rund um den Zorn Gottes offen bleiben, so bleibt festzuhal­ten: Gottes Zorn ist immer gerecht­fer­tigt. Er richtet sich gegen men­schlich­es Fehlver­hal­ten. Dadurch brin­gen wir Men­schen uns sel­ber in Gefahr. Denn wir wer­den uns ein­mal vor Gott ver­ant­worten müssen. Dann wird die Frage sein, ob sich Gottes Zorn gegen uns wen­det (Rö 2,5f) oder nicht (Rö 5,8). Wer an Jesus Chris­tus glaubt, hat nichts zu befürcht­en. Fördern wir bei uns selb­st und anderen kein ein­seit­iges Bild von Gott! Er ist nicht nur Liebe, son­dern besitzt zahlre­iche weit­ere Eigenschaften.

Im Artikel näch­ste Woche beleucht­en wir das The­ma anhand des konkreten Beispiels von Gottes Befehl im AT, die Kanaan­iter zu vernichten.

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[1] Richard Dawkins, Der Gotteswahn, S. 45.
[2] J. I. Pack­er, Gott erken­nen, S. 138.
[3] Zitiert bei Paul Copan, Is God a moral Mon­ster? S. 225.

Titel­bild: The Great Day of His Wrath, Öl auf Lein­wand, John Mar­tin, 1851–1853

5 Comments
  1. Gast 2 Jahren ago
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    Stimmt! Es gibt Bibel­stellen in denen geschrieben ste­ht das Gott seine Gnade schenkt (also erret­tet) wen er will. Fol­glich muss (mein­er Mei­n­ung nach) der Zorn Gottes existieren.
    Er bet­rifft Men­schen die in ihren Sün­den sterben.

    • Marcel Eversberg 2 Jahren ago
      Reply

      Danke für dein Statement!

  2. Wolfgang Ackerknecht 3 Jahren ago
    Reply

    Danke. Sofern diese Men­schen vom Evan­geli­um gehört haben, kön­nen auch sie aus ihrem Kreis­lauf aus­brechen und ihrem Leben eine Wende geben. Äusser­lich vielle­icht (noch) arm, aber geistlich reich.

  3. Wolfgang Ackerknecht 3 Jahren ago
    Reply

    Die Frage von Gottes Zorn muss im grossen Zusam­men­hang gese­hen wer­den. Man ver­ste­ht sie nur mit dem Ja zu Gott als Schöpfer/Lebensspender. Vieles hat mit Fluch und Segen zu tun (ein wichtiger Punkt der Hau­sor­d­nung). Bin ges­pan­nt auf den 2.Teil.
    Eine Frage, die mich auf­grund von kür­zlich gele­se­nen Mei­n­un­gen beschäftigt: Warum lei­den bei grösseren Krisen oft­mals die Schwäch­sten am meis­ten darunter?

    • Marcel E 3 Jahren ago
      Reply

      Die Schwäch­sten ein­er Gesellschaft leben oft­mals in “nor­malen Zeit­en” schon in insta­bilen Ver­hält­nis­sen (gesund­heitlich, wirtschaftlich…). Bei ein­er Krise sind sie darum beson­ders schnell gefährdet. Darum warnt die Bibel vor Aus­beu­tung der Schwachen (Witwen, Waisen u.a.) und stellt sie unter beson­deren Schutz.

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