Post-Evangelikale lesen die Bibel differenziert, lieben Ganzheitlichkeit, sind weltoffen, setzen Beziehung vor Organisation, suchen ein glaubwürdiges Christsein und haben die Liebe Gottes als Hauptantrieb im Glauben. Evangelikale, von denen sich Post-Evangelikale abgrenzen, lesen demzufolge die Bibel vermutlich undifferenziert, sind einseitig geistlich und gegen soziales Engagement, sehen die Welt als böse, setzen Strukturen vor Menschen, leben ein unglaubwürdiges Christsein und kennen vor allem einen strafenden Gott.
Ich befasse und identifiziere mich seit mitunter Jahrzehnten mit einem ganzheitlichen Verständnis des Evangeliums. In einer kürzlich veröffentlichten kleinen Serie von Artikeln, habe ich diese christliche Ganzheitlichkeit skizziert und begründet (Teil 1, Teil 2, Teil 3):
- Christen sind Empfänger von einem unglaublich umfassenden Heilsangebot Gottes in allen Dimensionen des Seins: Geistlich, sozial, politisch, wirtschaftlich und ökologisch.
- Christen sind Beauftragte in denselben Dimensionen den Menschen, der Gesellschaft und ganzen Schöpfung im Sinne Jesu Christi zu dienen.
Das Thema der Ganzheitlichkeit ist spannend, weil es aktuell in innerchristlichen Kontroversen und Umwälzungen öfters als Argument ins Feld geführt wird. Dies ist der Fall in der Podcast Reihe von Worthaus ‘Das Wort und das Fleisch’, das ich soeben in einem Artikel hinterfragt habe. Ich möchte in diesem zweiten Artikel erklären, was ich mir von theologischen und christlichen Influencer wünsche anhand eines Beispiels.
Post-Evangelikale und Ganzheitlichkeit
Vergangenes Jahr las ich, wie Dr. Lukas Amstutz Post-Evangelikale definiert. Das sind Christen, die sich in ihrem Verständnis so weit von der evangelikalen Bewegung distanziert haben, dass sich ihre Selbstbezeichnung über Abgrenzung gegenüber Evangelikalen definiert. Sie nennen sich Post- also Nach- oder Nicht-Mehr-Evangelikal. Amstutz nennt 6 Merkmale von Post-Evangelikalen:
- Die Bibel und ihre Auslegung. Post-Evangelikale beschäftigt die Unterschiedlichkeit biblischer Texte mit ihren teils spannungsvollen Aussagen. Einsichten der Bibelwissenschaften helfen ihnen, die Texte in ihrem Kontext zu lesen und ihre Weisheit in moderne Lebenswelten zu übersetzen.
- Ganzheitliches Evangelium Post-Evangelikale sorgen sich nicht primär um das «Seelenheil», sondern erwarten, dass die gute Nachricht vom Reich Gottes bereits heute zu einem christlichen Lebensstil anstiftet, der auch soziale und ökologische Gerechtigkeit umfasst.
- Das Verhältnis zur Welt. Post-Evangelikale erleben, dass auch ausserhalb der Kirchen viel Gutes geschieht. Sie erkennen darin das Wirken Gottes und sind bereit, Wege des Miteinanders zu suchen, die ein friedliches Zusammenleben fördern.
- Gemeinschaft vor Strukturen. Post-Evangelikale pflegen neue Formen von Gemeinschaften, die Gruppenzugehörigkeit mit Flexibilität, Authentizität, Respekt vor der persönlichen Individualität und Platz für Scheitern zu verbinden suchen.
- Glaubwürdiges Christsein. Post-Evangelikale scheuen sich nicht, Fragen und Zweifel offen zu formulieren. Schnellen und einfachen Antworten misstrauen sie. Sie ziehen es vor, mit gewissen Spannungen und Brüchen zu leben, anstatt eine christliche Doppelmoral zu leben.
- Die Liebe Gottes als Hauptantrieb. Post-Evangelikale lassen sich von der Liebe Gottes motivieren, ihren Glauben mit anderen zu teilen. In dieser Liebe sehen sie auch ihre Offenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen und –formen begründet.
Als ich diese Merkmale las, dachte ich verblüfft: Ich muss wohl ein Post-Evangelikaler sein! Denn ich konnte mich sofort und ohne zu zögern mit allen 6 Punkten identifizieren und mit 80–90% der beschriebenen Aussagen. Mein nächster Gedanke war: Amstutz beschreibt hier Dinge, die auch auf viele Evangelikale zutreffen. Die von Amstutz beschriebenen Post-Evangelikalen sind verdächtig evangelikal!
Ich vermute, dass Amstutz hier nicht seine eigene Meinung kundtut, sondern lediglich zu beschreiben sucht, was Post-Evangelikale sagen. Was Amstutz in seinem kurzen Artikel sonst noch schreibt, finde ich echt gut. Mehr dazu später. Doch es fällt auf, dass er diese Selbst-Aussagen von Post-Evangelikalen in keiner Weise kritisch hinterfragt. Damit lässt er das häufig erzählte, anti-evangelikale Narrativ kritiklos weiterlaufen. Das darf man selbstverständlich tun. Aber ich plädiere hier für einen etwas anderen Weg.
Was ich meine, erkläre ich am Beispiel des zweiten Merkmals, in dem es um Ganzheitlichkeit geht. Ganzheitlichkeit ist gemäss Amstutz ein Merkmal von Post-Evangelikalen in ihrer Unterscheidung zu Evangelikalen. Wenn das stimmt, dann haben Evangelikale nur noch eine Rolle die sie spielen dürfen. Sie dürfen anti-ganzheitlich sein. Sie dürfen das Klischee leben, worin sie die geistliche Dimension auf Kosten der anderen Dimensionen betonen. Sie dürfen jenseitsbezogen und deshalb weltfremd sein. Aber Ganzheitlichkeit, und dem entsprechend auch Weltoffenheit, ist für jene reserviert, die den Glauben in Abgrenzung zu Evangelikalen leben.
Dieses Bild verblüfft insofern, weil die evangelikale Bewegung seit jeher mit sozialem Engagement und Weltgestaltung des Reiches Gottes in Verbindung gebracht wird.
Evangelikale und Ganzheitlichkeit
Dr. Roland Werner erklärt in einem Podcast, dass der Begriff ‘evangelikal’ respektive ‘evangelical’ aus England kommt, wo im 18. Jahrhundert die anglikanischen Theologen John Wesley und Charles Wesley ihren erwecklichen Glauben einigen sozial benachteiligten Gesellschaftschichten brachten. Sie dienten also in der geistlichen Dimension, aber weil sie dies gegenüber sozial Benachteiligten taten, war es auch ein Dienst in der sozialen Dimension. Werner dazu:
Das hat natürlich vom Vornherein innerhalb dieser Erweckungsbewegung, die dann später zur ‘evangelical’-Bewegung geführt hat, ein Bewusstsein für die soziale Not und für die Ungerechtigkeiten in England geführt (Werner Was ist evangelikal? Zeitmarker 11:55)
Einer der Schüler der Wesleys ist William Wilberforce, der zusammen mit Verbündeten ausdrücklich als ‘evangelical’ politisch aktiv wird und die Abschaffung der Sklaverei und des Sklavenhandels in England durchsetzte:
Wesley hat auf seinem Sterbebett quasi Wilberforce nochmals als jungen Mann bestätigt in diesem Auftrag und gesagt, er soll ja nicht aufgeben, bis dieses durchgeführt wird. Also bis sozusagen das Britische Empire die Sklaverei abschafft. (Werner Was ist evangelikal? 12:45)
Die Argumente im Britischen Parlament waren u.a. wirtschaftlicher Natur. Man argumentierte, dass man die Sklaven aus wirtschaftlichen Gründen unbedingt brauchte. Kurz vor seinem Tod erlebt Wilberforce, der für sein ganzheitliches Engagement viel einstecken musste, dass die Sklaverei im Englischen Imperium verboten wird. Ein Mitstreiter von Wilberforce in dieser Sache ist Fowell Buxton, dessen Nachkommen das stattliche Gut der Buxtons an die theologische Ausbildungsstätte vermachte, die ich Ende der 90-er Jahre besuchte. Das All Nations Christian College betont die Bedeutung der ganzheitlichen (oder holistischen) Mission von uns Christen.
Die evangelikale Bewegung hat immer wieder ein ganzheitliches Engagement gezeigt. Dies setzt sich innerhalb und durch die Lausanner Bewegung fort, wie im letzten Artikel skizziert wird. Die Lausanner Bewegung hat sich auf die Fahne geschrieben, dass die ganze Kirche das ganze Evangelium in die ganze Welt hinausträgt. Man spürt die Ganzheitlichkeit aus allen Poren spriessen!
Der Kirchenverband in dem ich arbeite, geht auf Christian Friedrich Spittler zurück, der in Wort und Tat aktiv war. Spittler hat Organisationen gegründet, die der Verbreitung der Botschaft von Jesus gewidmet waren, u.a. die Basler Mission, die Pilgermission St. Chrischona, eine Traktatgesellschaft, Buchhandlung, einen Verlag. Derselbe Spittler kaufte 1827 eine Anzahl griechische Kinder aus türkischer Sklaverei los, war u.a. Mitbegründer des Basler Kinderspitals, Gründer einer Lehrerbildungsanstalt, einer Taubstummenanstalt und eines Altersheims für Dienstboten. Wie cool ist denn das alles?! Der Pietist Spittler und seine Werke waren stark von evangelikalen Christen in England inspiriert und lebten das typische ganzheitliche Engagement für Jesus Christus.
Evangelikale Christen dienen sowohl mit dem Wort, wie auch mit der Tat. Nur das Wort allein — das ist nicht ganzheitlich. Nur die Tat allein — das ist auch nicht ganzheitlich. Erst der Dienst in allen 5 Dimensionen, ist ganzheitlich.
Was stimmt jetzt?
Wer sich dieses Bild vor Augen malt, spürt vielleicht etwas von meiner Perplexität, als Lukas Amstutz kommentarlos ‘Ganzheitlichkeit’ als ein Merkmal von Christen aufführt, die sich von der evangelikalen Bewegung abgrenzen und Ganzheitlichkeit auf ihre eigene Fahne schreiben. Sind Post-Evangelikale für Ganzheitlichkeit und Evangelikale dagegen? Was stimmt denn jetzt?
Ich glaube erstens, dass es ein mitunter bewusst eingesetztes Narrativ gibt, das die evangelikale Bewegung diskreditieren möchte. Über die Gründe dafür zu schreiben, ist hier kein Platz. Ich sehe Amstutz da auch nicht als eine beteiligte Person, sondern ich möchte in diesem Artikel beispielhaft zeigen, was ich mir wünsche und für wichtig halte in Sachen Kommunikation. Selbstverständlich kann man niemandem vorschreiben, wie er über andere zu reden hat. Insofern können Evangelikale über die aktuell vorhandenen Versuche, sie zu negativ zu framen, ganz entspannt sein. Wir können vielleicht über das Label, das Wort ‘evangelikal’ reden. Behalten wir es? Ist es nach Trump ‘verbrannt’? Suchen wir ein anderes Label? Falls wir dies tun, sollte es aber dasselbe Erbe referenzieren, wie bisher das Wort ‘evangelikal’. Ein neues Wort sollte nicht ein heimlicher Weg sein, subtile aber signifikante theologische Shifts einzuschmuggeln. Ich sage das, weil ich glaube, dass die Kritik nicht nur eine Kritik am Label (wegen dessen negativer Presse), sondern mitunter auch eine Kritik an der theologischen und geistlichen Substanz ist. Diese Art von Kritik wird man nicht durch ein neues Label los, sondern nur indem man die eigene Theologie ändert. Und das wollen nunmal manche von uns nicht tun.
Zweitens denke ich, dass manche Postevangelikale in einigen Punkten inhaltliche “Schmarotzer” sind. Sie schmücken sich mit fremden, evangelikalen Federn. Wenn Evangelikale bisher als ganzheitliche Weltgestalter im Sinne Jesu aktiv waren, und Post-Evangelikale plötzlich sagen, sie seien das, dann ist das ein ideologischer Raubbau. Schöner und ehrlicher wäre es zu sagen, dass sich Post-Evangelikale an bedeutungsvollen Punkten mit ihren evangelikalen Wurzeln einig sind. Oder dass sie in ihrer evangelikalen Herkunft wichtige geistliche Inspiration finden, die ihren Glauben neu belebt, z.B. in Bezug auf Ganzheitlichkeit. Aber das würden sie wohl nie tun, denn sie gehen ja auf Abstand zu ihrem evangelikalen Erbe.
Also was ist hier los? Ich erahne einiges, möchte hier aber nur eines erwähnen. Wir sind nicht mehr in den 1970-er Jahren. Die westliche Welt hat sich 50 Jahre weiter in eine Richtung entwickelt. Dies führt dazu, dass Nichtchristen, junge Christen und einfach ‘Menschen unserer Zeit’ viel mehr Anfragen an den christlichen Glauben haben. Was früher klar war, ist es jetzt nicht mehr. Das ‘Christliche’ ist nicht mehr plausibel, und zwar bis in die Fundamente hinein. Man hat auch fast kein Geschichtsverständnis mehr. Welche Post-Evangelikalen haben sich denn intensiv mit z.B. der Lausanner Bewegung auseinandergesetzt? Vermutlich wenige. Und welche Christen haben sich mit den Christen der ersten Jahrhunderte befasst, welche auch eine erstaunlich engagierte soziale DNA gelebt haben? Auch nicht so viele.
Natürlich gibt es in evangelikalen Gemeinschaften diese Gruppen und Personen, welche die Bibel undifferenziert lesen, gegen Ganzheitlichkeit sind, weltverschlossen bleiben usw. Vielleicht sind die Post-Evangelikalen solchen Leuten begegnet und reagieren gegen diese ungesunden Ausprägungen in der großen und vielfältigen evangelikalen Landschaft. Umso wichtiger wäre es, die wirklichen evangelikalen Wurzeln wieder zu entdecken. Ein guter Weg dazu schlägt Amstutz vor:
Wichtig ist, dass es Räume gibt, in denen post-evangelikale Anfragen ehrlich und fair zur Sprache kommen. Ansonsten schleichen Post-Evangelikale früher oder später auf leisen Sohlen aus den Kirchen. (Lukas Amstutz)
Ich bin mit Amstutz einverstanden und möchte darum drittens sagen: Schaffen wir in allen evangelikalen Gemeinschaften Räume, in denen unsere Jugend, unsere Zweifler, Denker und Fragenden ihre Gedanken wirklich äussern können. Und erschlagen wir ihre Fragen nicht mit vorschnellen, platten Antworten, sondern treten wir in eine begleitende, liebevolle Beziehung mit ihnen ein. In der Bibel sehen wir, dass Gott kein Problem mit ehrlich fragenden Gläubigen hat. Im Gegenteil kritisiert Gott unehrliche Religion.
In unserer Gemeinde machen wir Abende mit dem Titel ‘Keine Frage ist tabu’. Aber noch wichtiger als diese Abende sind die persönlichen Gespräche. In diesen erlebe ich, wie Christen und Nichtchristen sich trauen, ihre wirklichen Zweifel und Fragen zu formulieren. Ich habe das Privileg, viele Zweifler und Menschen zu begleiten, die auf Abstand zum Glauben gehen — manchmal schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten.
Viertens möchte ich doch einen Wunsch äussern an Texte wie jenem von Amstutz. Und zwar tue ich das um unserer Post-Evangelikalen Freunde, und um der theologischen und geistlichen Substanz des Christentums willen. Wenn es abgesehen von ungesunden Auswüchsen NICHT stimmt, dass evangelikale Christen die Bibel undifferenziert lesen, eine einseitige Betonung der geistlichen Dimension leben, die Welt nur als böses Umfeld sehen, kirchliche Systeme vor Menschen stellen, unglaubwürdig glauben und nur den strafenden Gott kennen, dann sollte man das da und dort auch sagen. Mir geht es da nicht so sehr um Amstutz (vielleicht hat er diese offensichtlich unausgewogene Meinung an anderen Orten kritisch hinterfragt) sondern allgemein um Leiter im christlichen Umfeld.
Was ich mir wünsche ist, dass leitende Personen in Kirchen und theologischen Ausbildungsstätten das Framing der Evangelikalen nicht nur kritiklos stehen lassen. Ich erlebe (abgesehen von Ausnahmen) viele evangelikalen Leiter, die in der ‘grossen Mitte’ stehen, als nahezu mundtot. Wir dürfen auch mal entspannt äussern, dass ein sehr einseitiges Framing stattfindet. Wir dürfen und sollen das framende Narrativ auch kritisch hinterfragen, und zwar um jener Christen Willen, die tatsächlich Zweifel und Fragen haben. Wenn Leiter keine kritischen Fragen einfliessen lassen und den Menschen nicht helfen, selbst kritisch zu denken, laufen sie mit dem irreführenden Narrativ. Und dieses Narrativ lautet aktuell häufig, dass Evangelikale umfassend weltfremde, menschenfeindliche, apokalyptische Dualisten sind. Dieses Narrativ stimmt einfach nicht.
Mit Wort und Tat leidenschaftlich dabei
Ich glaube, dass eine Mehrheit der evangelikalen Gemeinschaft ungefähr das leben will, was ich in diesen Artikeln beschreibe und was in diesen Wochen Roland Werner in seinen drei Podcasts erklärt:
“Was ist evangelikal? Es ist das Bemühen um historisches Christentum… um das zentrale Christstein. Ich glaube die evangelikale Bewegung hat im innersten Impuls dieses Bemühen, das in den Kern zu stellen… also historisch orthodox an Jesus Christus zu glauben.… Und das merkt man heute in Dialogbemühungen, dass oft gerade an dieser Kernsubstanz des Glaubens die Evangelikalen sehr gut anschlussfähig sind zu den orthodoxen, katholischen und alt-orientalischen Kirchen.” (Roland Werner, Auszüge Was ist evangelikal? 3/3 zwischen Zeitmarker 0:30 und 2:30)
Es lohnt sehr, 20 Minuten einzusetzen, um diesen Podcast zu hören, denn Werner schafft es in wenigen Minuten, die wesentlichen Dinge auf den Punkt zu bringen: Evangelikalen Christen ist die persönliche Hinwendung zu Jesus wichtig, die Bibel, die Verkündigung des Evangeliums, soziales Engagement, Weltverantwortung sowie Vernetzung über die Grenzen der eigenen Kirche und des eigenen Verbandes hinaus mit anderen Christen, die sich auch um den Kern des historischen Christentums bemühen.
Diese Art von Kirche möchte ich so gerne mit euch leben! Das Label ist mir dabei letztlich unwichtig. Jesus sagt:
Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. (Joh 20:21)
Ich sehne mich danach, mit vielen Christen aller Couleur und Herkunft, diesen ganzheitlichen Auftrag auszuleben! Kirche zu leben, in der die Botschaft von Jesus so gepredigt wird, dass Menschen von einem Leben ohne oder sogar gegen Jesus umkehren, um mit ihnen zusammen Jesus Christus anzubeten! Ich möchte Kirche leben, in der die Bibel geliebt und hochgehalten wird, und in der gerade wegen der Bibel neue soziale Initiativen gegründet werden. Ich möchte Kirche leben, in der den Menschen gedient wird, egal ob sie das Christentum gerade cool finden oder nicht. Ich möchte Kirche leben, in der junge Menschen berufliche Hoffnung schöpfen, indem wir ihnen helfen, Startups zu gründen, indem wir bestehende Firmen unterstützen oder neue Geschäftsideen entwickeln, die z.B. marginalisierten Menschen Arbeit geben. Ich möchte Kirche leben, in der Christen sich für soziale Gerechtigkeit von Gruppen und Einzelnen einsetzen. Kirchen sollen Räume der Gnade sein, damit Menschen mit Herausforderungen im Leben sich sicher fühlen können und wo sie auch Veränderung und Wiederherstellung erfahren. Ich wünsche mir, dass sich Christen differenziert und Jesus-mässig in die Politik einbringen, ökologisch gute Initiativen unterstützen oder gründen. Und besonders wichtig: Ich wünsche mir eine Kirche, in der gemeinsam fein gegessen und getrunken wird!
Ich wünsche mir, dass Christen aller Schattierung und Herkunft, auch Post-Evangelikale Christen am Schein der Medien und irreführenden Narrative vorbei schauen und mit einsteigen in das Abenteuer der Christenheit, Jesu ganzheitliches Heil zu empfangen und weiterzugeben!
Ich teile „evangelisch“ sehr gerne mit euch. In evangelischer Verbundenheit als fröhlicher „Landeskirchler“.
Super — in evangelikaler Verbundenheit als fröhliches Mitglied in der thurgauer Landeskirche 🙂
Sehr spannende Diskussion. Paul, ich kann mich sehr gut deinen Fragen anschließen. Der Begriff ‚evangelikal’ hat ‚man’ zu einem Schimpfwort gemacht, der dann gar nicht mehr gefüllt ist. Ich kenne die stärkste Abkürzung: es ist verboten, den Begriff überhaupt zu nutzen bzw. auszusprechen. Dies ist für mich dann bald die niedrigste Form des Austauschs…
Danke Wolfgang. Was wäre aus deiner Sicht ein guter Weg nach vorne?
Danke Paul für deine Gedanken. Für mich poppte gleich nach dem ersten Abschnitt die Frage auf: „Wer sind denn die Postevangelikalen“? Also ich kenne das Wort als Containerbegriff, in welchen ich mich auch einordnen würde, aber eigentlich ist es ja, soweit ich das sehe, noch keine eigenständige Bewegung mit Profil, sondern, wenn ich dein Wort brauche, eine „schmarotzende“ Truppe, die sich aber immer noch in Verbindung mit dem Evangelikalismus sieht (sonst müssten sie ja das Wort nicht mehr verwenden).
Ich merke in deinen Artikeln und Gedanken oft, dass dir das Wort „Evangelikal“ als Label für eine bestimmte Sache offensichtlich sehr viel bedeutet, und du es gerne gegen Angriffe verteidigen oder vor ihnen schützen möchtest. Ich gebe dir auch recht, man soll aufgrund des Wortes keinen Rufmord an den betreffenden Menschen begehen. Gleichzeitig sorge ich mich manchmal etwas darum, gegen was du (oder auch Peti) dieses Label hier verteidigst. Manchmal habe ich etwas das Gefühl, du siehst irgend eine „Verschwörung“ gegen Evangelikale am Werk, der man wehren muss. Doch gibt es diese wirklich?
Ich habe viel mehr den Eindruck, mal abgesehen von Trump, Amerika und american evangelicalism, dass einfach immer mehr Menschen die Lücken und Probleme innerhalb der evangelikalen Bewegung sehen. Dafür, dass Evangelikale für soziale Gerechtigkeit, Offenheit und „Ökumene“ (um diesen belasteten Begriff noch unterzubringen) stehen sollen, sehe ich in der täglichen Praxis das leider eher wenig. Ich sehe es nicht nicht!!, aber ich sehe es wenig im Vergleich zum Gegenteil. Dazu kommt, dass die Posterboys der Post-Evangelikalen wie bspw. Dietz, Zimmer oder die Hossa Jungs (obwohl ich der Überzeugung bin, dass Zimmer und Dietz sich niemals Postevangelikal nennen würden!) ja nicht einfach irgendwelchen Stuss reden, sondern alle ihre Erfahrungen in der Szene gemacht haben, und das nicht nur ein halbes Jahr lang. Ich selbst könnte auch die eine oder andere Anekdote erzählen, wo mir Evangelikalien nicht zum Vorteil mitgespielt hat und nicht „Königreich Gottes“ an mir manifestiert hat.
Ich würde nicht sagen, dass Evangelikale grundsätzlich problematisch sind — zumindest nicht mehr, als alle anderen christlichen Labels ;). Aber der Kritik, die von Menschen kommt, die selbst etwas erlebt haben (auch wenn das nicht generalisiert werden darf) und dem Bild, welches wir offensichtlich gegen Aussen immer wieder abzugeben scheinen, dem müssen wir uns doch stellen, ohne gleich für uns zu reklamieren, dass wir „eigentlich“ doch ganz anders wollen und ganz anders sind und ganz anders arbeiten „sollten“, als wir das tun. Und natürlich findest du jene, die mit böswilliger Absicht (ich such mir jetzt keinen Namen raus) gegen uns Schiessen, aber es gibt auch innerhalb der evangelikalen gewisse Nasen, wo ich denke „also wenn du für Evangelikalismus stehst, dann bin ich raus…“ — aber das sind Nebengeräusche. Im Zentralen Diskurs braucht es Platz und Luft für Fragen (auch sehr kritische — vielleicht so, wie du es an diesen Abenden bei euch machst), es braucht Annahme von Zweifel und Andersdenkenden und den Mut, auch jene als unsere Brüder und Schwestern im Herrn anzunehmen, die nicht unseren Stallgeruch haben und ihn auch nach langen Vortragsserien und Predigten partout nicht annehmen wollen! Und da sehe ich noch enormes Wachstumspotenzial innerhalb unserer Bewegung.
Liebe Gruess
Michael
Danke Michael — super Gedanken und auch (An)Fragen — auch an mich persönlich. Das mag ich. Du öffnest mit guter Differenziertheit mehrere ‘Töpfe’. Am Liebsten würde ich dich vor die Video Cam holen um mal entspannt darüber uns zu unterhalten und je nachdem, gibt’s einen Podcast daraus. Ich möchte kurz auf deine Anfrage an mich (und Peti) eingehen. Du stellst eine für mich wichtige Frage: Gegen was schützen wir? Ich betrachte es als wichtig, eine grosse Breite zu haben, diverse Meinungen stehen zu lassen und gut mit einander als Christen auszukommen. Ich habe z.B. wenig Interesse, viel Zeit und Energie zu verbrauchen, um darüber zu reden, was der richtige Ablauf der Endzeit ist. Mehr als den Weg dahin, interessiert mich das Ziel: Gottes neue Welt. Wie sieht sie aus? Und wie leben wir heute dem entsprechend, wie das Ziel ist? Darin glaube ich können wir viel Streit vermeiden und uns aus verschiedenen (Endzeit-)Überzeugungen zusammen aktiv sein für Jesus. Ich will auch nicht so viel Zeit darauf verwenden, ob es diese oder jene Geistesgabe noch gibt oder nicht. etc. Also: viel Raum für unterschiedliche Meinung und auch Interpretation der Bibel. Innerhalb einer Gemeinde und eines Verbandes braucht es aber dann doch in bestimmten Bereichen ein gewisses Einvernehmen, eine Hausordnung. Aber diese eigene Hausordnung ist nicht ‘das einzig wahre Christentum’ oder so. Man lebt wie gesagt mit grosser Toleranz gegenüber anderen Hausordnungen.
Jetzt kommt das ‘aber’ und die hat mit dem Begriff ‘judeo-christliche Weltanschauung’ zu tun. Mich dünkt, dass die ‘judeo-christliche Weltanschauung’ so etwas wie ein Feld aufspannt, auf dem die vorhin genannte Unterschiedlichkeit möglich ist. Aber wenn man den Boden der judeo-christliche Weltanschauung verlässt, verliert man damit auch die Orientierung in ein Gott-gemässes Heil. Ich sage damit nicht, dass Christen, welche diesen Boden verlassen, damit in Realität verloren sind (was die Ewigkeit angeht). Ich meine: Sie verlieren die Orientierung, ein Jesus-gemässes Leben zu leben und prägen — mit allen Auswirkungen davon. Und das ist es, wogegen wir schützen wollen mit unserem Projekt. Wir wollen mithelfen uns Christen zu schützen davor, den Boden der judeo-christlichen Weltanschauung zu verlassen. Das ist zufälligerweise recht nahe bei dem, was häufig als ‘evangelikal’ beschrieben wird. Roland Werner nennt es in seinen Podcasts den ‘Kern’ des historischen oder orthodoxen Christentums.
Ich ‘ticke’ apologetisch. Darum ist mir dieser ‘Rand’ so wichtig, dieser ‘Boden der judeo-christlichen Weltanschauung’. Oder wie CS Lewis es nannte: ‘Mere Christianity’. Meine Sorge ist, dass unter dem Druck oder Einfluss der aktuellen ideologischen Verschiebungen, christliche Lehrer, Influencer und Basis Christen unbewusst oder bewusst diesen Boden verlassen. Dieses Verlassen zeigt sich an bestimmten Punkten. Darüber könnte ich jetzt vieles sagen und Beispiele bringen. Ich habe versucht, diesen Grundgedanken in einigen Blogs zu erklären und illustrieren:
Grundsätzlich: https://danieloption.ch/weltanschauuung/das-spannungsfeld-von-toleranz-und-abgrenzung
Am Beispiel vom Thema Homosexualität: https://danieloption.ch/sexualitaet/homosexualitaet/die-ehe-fuer-alle-und-nicht-christliche-religionen
Diesen ‘Rand’ will ich helfen aufzuzeigen. Respektive: diesen ‘Kern’ will ich schützen. Manche werfen mir vor, ich sei Angst orientiert und protektionistisch. Ehrlich gesagt: ja bin besorgt! Und ja ich bin protektionistisch! Weil ich Jesus kenne. Weil ich sehe was passiert in einem Leben und einer Gesellschaft, welche eine andere Weltanschauung als tonangebend annimmt. Weil ich meine ‘Schäffchen’ liebe eine Verantwortung verspüre ihnen gegenüber als deren Hirte.
Das so mal auf die Schnelle. Meld’ dich wenn du Rückfragen hast.
Danke für die schnelle Antwort. Nun ich habe natürlich tausend und eine Rückfrage… vor und hinter der Kamera :). Wenn ich mal evangelikaler advocatus diaboli (darf man das sagen?) spielen darf, dann wäre meine Rückfrage natürlich, was denn diese judeo-christliche Weltanschauung ist bzw. wo sie von der Bibel bewusst als normativ gelehrt wird und nicht einfach als omnipräsenter deskriptiver Hintergrund vorhanden ist, da die Bibel nicht aus ihrer Haut bzw. ihren historischen Buchdeckeln kann. Ich kann ja schliesslich auch nicht sagen Apologetik war ursprünglich an der Kommunikation mit der hellenistischen Rahmenwelt interessiert, dementsprechend betreibst du nur Apologetik, wenn du dich mit Platon und Aristoteles anlegst :).
Zur Apologetik: die gibt es selbstverständlich auch nach Platon und Co 🙂 Ich würde sagen: das ist Stoff für einen Drink 🍺
Zur judeo-christlichen Weltanschauung. In der Bibel ist das nicht nur quasi Hintergrundmusik, sondern die Schlüsselthemen werden als Marker wahrer Religion angeführt. Z.B. die ganze Polemik gegen Götzen werden direkt mit Gott als Schöpfer begründet. Siehe z.B. nur schon der Start der 10 Gebote, aber klassisch ist die Polemik Gottes (dem Schöpfer) gegen die Götzen, die deshalb so nutzlos sind, weil sie Teil der erschaffenen Welt sind (Siehe ab Jesaja 40). Professor Craig Carter bringt demnächst (April) ein Buch dazu heraus, welches ich im Voraus lesen durfte: https://www.amazon.de/gp/product/1540964418/ref=dbs_a_def_rwt_bibl_vppi_i4
Michael Byrd zeigt, dass es fünf definierende Elemente gab für die Juden, welche ihre Weltanschauung definierte: https://www.logos.com/product/144849/mobile-ed-ch351-history-of-heresies
Du siehst dort: Wer sich an diesen fünf Punkte grundlegend ändert, der fiel sozusagen ab dem Boden der jüdischen Weltanschauung.
Christen haben die Liste ein wenig erweitert. Ich würde die Trinität Gottes zum Beispiel dazu nehmen. Auch hier: Das ist nicht nur im Hintergrund, sondern wer z.B. die Menschwerdung des Sohnes leugnete, der war Häretiker.
Super Beitrag, danke! Ich plädiere gerade im Licht des Schlusses weiterhin dafür, das Wort „evangelikal“ nicht mehr zu verwenden. Für mich war es schon lange vor Trump verbrannt, weil es ein trennender Begriff ist. Es wird in der Schweiz gegen aussen sowieso nicht mehr verwendet. Setzen wir uns doch lieber für die christliche Botschaft ein und arbeiten mit allen zusammen, die auch das gleiche Ziel haben.
Danke André für deinen guten Kommentar! Historisch war ‘evangelical’ nicht trennend sondern verbindend über die Ränder von Kirchen und Verbänden hinweg. Roland Werner erklärt das sehr gut in seinem 3 Podcasts. Dennoch scheint es heute tatsächlich ein problematischer Begriff. Ich bin unschlüssig. Was hättest du denn vor Vorschläge für einen Ersatz-Begriff?
Aus meiner Sicht würde ich in der Schweiz keinen Begriff verwenden. Wir sind alle einer christlichen Gemeinde (Frei- oder Landeskirche) zugehörig, die hoffentlich ein Profil hat. Die Evangelische Allianz kann als Allianz für die Mitglieder sprechen. Ich finde es einen Vorteil, unsere Vielfalt zu zeigen. Die “Chrischonesen” (sorry, ein Begriff, den meine Kinder verwenden) sind nicht einfach gleich wie die ETGler. Trotzdem achten wir uns als Glaubensgeschwister und arbeiten zusammen bei Kinderwochen, Evangelisationen u.a. (im Kreis 7 in Zürich). Wie auch die Christen anderer Konfessionen, die da mitmachen. Das ist für mich auch die ursprüngliche Idee des Begriffs “evangelical”, der Allianz und der Lausanner Bewegung.
Übrigens: wenn man über die USA schreibt, ist es m.E. sinnvoll, den Begriff “evangelical” verwenden, solange sich die Szene dort so nennt. Aber lieber auf Englisch.
Danke für deine Einschätzung. Du beschreibst gut, was unsere Praxis ist 👍. Mir schwebt das Wort, das schon einige nutzen vor: evangelisch. Was denkst du dazu? Also entweder keinen Begriff, oder diesen — aus meiner Sicht
Völlig einverstanden, alles andere heisst, die in den letzten Jahrzehnten gelebte Praxis zu missachten.
Übrigens:Wenn du mal Zeit hast, lade ich dich gerne auf ein Bier ein, ich arbeite ja teilweise in Frauenfeld.
Ich trinke gerne mit dir ein Bier! Meld’ dich doch per PN (facebook) oder auf info@danieloption.ch um was abzumachen 👍
Ich würde “evangelisch” als Begriff grundsätzlich heute, im Jahr 2021, gut finden. Vor noch etwa 10 Jahren wäre damit wohl nur die reformierte Landeskirche gemeint gewesen. Der Trend, die Freikirchen “evangelisch” zu nennen, hat schon vor einigen Jahren angefangen. So hat sich Bspw. der BESJ von “Bund Evangelikaler Schweizer Jungscharen” vor etwa 15 oder 20 Jahren zu “Bund Evangelischer Schweizer Jungscharen” umbenannt. Man könnte nun argumentieren, dass mit “evangelisch” die Landeskirche gemeint ist. Da die öffentliche Wahrnehmung der reformierten Landeskirche in den letzten Jahren aber rapide geschwunden ist, können die Freikirchen diesen Begriff wohl gut übernehmen.
Wozu wird er denn überhaupt gebraucht? Als “Definition” einer Glaubensrichtung? Dann passt “Ich bin in einer evangelischen Freikirche” sehr gut. Als Bezeichnung eines Lebensstils? Dann würde “Ich bin evangelischer Christ” auch gut passen.
Auf der anderen Seite ist der Begriff “evangelikal” aus meiner Erfahrung heutzutage sehr negativ belegt. Damit werden “Fundamentalisten” bezeichnet und man meint dann im Unterbewusstsein immer, dass diese “Evangelikalen” etwa gleich gefährlich sind wie die “Islamisten”. Ausserdem ist der Begriff auch politisch verbrannt, werden doch damit die Rechtsaussen-Positionen der US-amerikanischen Christen gemeint und man verbindet Bilder von rechtsradikalen Milizen damit.
Danke Pascal — super der Bezug zum BESJ! Auch die SEA benutzt das Wort. Die weltweite SEA benutzt ‘evangelical’ — im Deutschen ‘evangelisch’. Da hätten wir einen guten Begriff. Für mich ist das Label jedoch nicht mit ‘fundi’ verbunden. Aber ich mag mich täuschen. Da würden mich weitere Meinungen interessieren? Ist auch ‘evangelisch’ ein ‘verbrannter’ Begriff?