Die dreifache Wahrheit des Evangeliums (3/3)

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by Peter Bruderer | 04. Mai. 2024 | 0 comments

Das Evan­geli­um ist his­torische Wahrheit, sie ist the­ol­o­gis­che Wahrheit und sie ist schrift­gemässe Wahrheit. Wie gesagt bin ich überzeugt: Ob wir im Herzen ein «Ja» zu diesen drei grundle­gen­den Wahrheits-Aspek­ten des Evan­geli­ums find­en, macht den Unter­schied aus zwis­chen einem tragfähi­gen und einem umson­st gelebten Glauben aus. 

Wir kom­men zum drit­ten und let­zten Teil unser­er Serie. Im ersten Teil habe ich uns mit dem grundle­gen­den Bibel­text von 1.Kor 15:1–5 bekan­nt­gemacht. Dabei habe ich erörtert, dass wir im Text einen bedeut­samen frühchristlichen Beken­nt­nis­text vorfind­en und erk­lärt, wie entschei­dend der his­torische Wahrheit­saspekt des Evan­geli­ums ist. Im zweit­en Teil haben wir uns mit der Bedeu­tung des Kreuzestodes Jesu befasst und gel­ernt, dass Kreuz und Sün­den­verge­bung eine untrennbare Ein­heit bilden.

Hier gebe ich den Grund­lage­text nochmals wieder:

Ich erin­nere euch aber, Brüder und Schwest­ern, an das Evan­geli­um, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenom­men habt, in dem ihr auch fest ste­ht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so fes­thal­tet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umson­st geglaubt hät­tet. Denn als Erstes habe ich euch weit­ergegeben, was ich auch emp­fan­gen habe: Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift; und dass er begraben wor­den ist; und dass er aufer­weckt wor­den ist am drit­ten Tage nach der Schrift; und dass er gese­hen wor­den ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 1.Kor 15:1–5

In diesem let­zten Artikel geht es nun um den drit­ten Wahrheit­saspekt. Es geht darum, dass das Evan­geli­um eine schrift­gemässe Wahrheit ist. Wir erin­nern uns, dass ich meine Argu­men­ta­tion für die dreifache Wahrheit des Evan­geli­ums anhand der fol­gen­den ein­fachen For­mulierung aus dem drit­ten Vers in unserem Text mache:

«Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift».

Eine schriftgemässe Wahrheit

‘Nach der Schrift’ ist Jesus gestor­ben (V3), ‘nach der Schrift’ ist er wieder aufer­weckt wor­den (V4).

Die Heilige Schrift hat­te für Paulus und die ersten Chris­ten eine wichtige Auf­gabe: sie diente ihnen als Massstab für die Wahrheit. In der The­olo­gie gibt es dafür den Fach­be­griff der «Nor­ma Nor­mans». Das bedeutet soviel wie „norm-stif­tende Norm“ oder „Die Norm, an der die Nor­men gemessen wer­den“. Man kann das ver­gle­ichen mit einem «Urme­ter».  An der Schrift sollen Ereignisse und Erken­nt­nisse gemessen und bew­ertet wer­den, gle­ich wie im 19. Jh. der Urme­ter in Paris sozusagen das “Mass aller Dinge” war.

Es ist von emi­nen­ter Bedeu­tung, dass wir diesen Schrift­massstab so klar und deut­lich einge­bun­den sehen in einem Text, welch­er ein­er der ältesten Beken­nt­nis­texte der Chris­ten ist. Gle­ich dop­pelt wird betont (V3, V4): nach der Schrift. Wir sehen hier, wie wir als Chris­ten inhaltliche Qual­itätssicherung betreiben sollen. Die Ori­en­tierung an der Schrift ist für uns Chris­ten unent­behrlich und verbindlich. Chris­ten ver­trauen der Schrift.

Das Alte Testament als Wahrheitsquelle 

Im Neuen Tes­ta­ment find­en wir dieses Schrift­prinzip immer wieder in Anwen­dung. So zum Beispiel bei den Juden in Beröa. Paulus und Silas verkün­de­ten ihnen das Evan­geli­um. Ihre Reak­tion darauf: Sie „forscht­en täglich in der Schrift, ob sich’s so ver­hielte“ (Apg 17:11).

Dieses Beispiel zeigt die Bedeu­tung des Alten Tes­ta­ments für die ersten Chris­ten. Die ersten Chris­ten hat­ten anfänglich das Neue Tes­ta­ment ja nicht zur Hand. Das Alte Tes­ta­ment war die Bibel von Jesus und der ersten Chris­ten. Wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass sich Lukas als Autor der Apos­telgeschichte in Apg 17,11 auf die alttes­ta­mentlichen Texte bezieht und die Mes­sias-Hoff­nung, welche das Alte Tes­ta­ment durchzieht. Möglicher­weise wurde das bekan­nte Kapi­tel 53 in Jesa­ja konsultiert:

Aber er ist um unsr­er Mis­se­tat willen ver­wun­det und um unsr­er Sünde willen zer­schla­gen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hät­ten, und durch seine Wun­den sind wir geheilt. (Jes 53:5)

Es ist entschei­dend, dass die gute Nachricht von Jesus, das Evan­geli­um, ‘in der Spur’ dessen ist, was Gott in der Ver­gan­gen­heit schon seinem Volk offen­bart hat. Das Alte Tes­ta­ment wird mit dem Kom­men Jesu nicht etwa zum Weg­w­erf­pro­dukt. Vielmehr baut das Neue auf dem Alten auf.

Ich möchte dieses Prinzip kurz an weit­eren Beispie­len erläutern.

Im Matthäu­se­van­geli­um ist die Zurück­bindung an die Schriften des Alten Tes­ta­mentes beson­ders promi­nent. Der Autor ver­weist in soge­nan­nten “Reflex­ion­sz­i­tat­en” immer wieder auf das Alte Tes­ta­ment und sieht im Wirken Jesu die Erfül­lung alttes­ta­mentlich­er Ver­heis­sun­gen. Zehn­mal find­en wir in diesem Evan­geli­um in Bezug auf Jesus die For­mulierung «damit erfüllt wurde» (Mt 1:22; 2:15; 2:17; 2:23; 4:14; 8:17; 12:17; 13:35; 21:4; 27:9). Dies und jenes ereignete sich im Leben von Jesus, damit erfüllt wurde, was im Alten Tes­ta­ment schon angekündigt war. Leben und Wirken von Jesus waren also ‘nach der Schrift’.

Das erste solche Reflex­ion­sz­i­tat find­en wir im Matthäu­se­van­geli­um im Zusam­men­hang mit der Geburt Jesu. Hier erscheint ein Engel bei Josef und sagt ihm Folgendes:

Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk ret­ten von ihren Sün­den. Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie wer­den ihm den Namen Immanuel geben« Mt 1:21–23

In diesem Text wird das Kom­men Jesu also in der Spur des Alten Tes­ta­mentes gedeutet. Der Engel, welch­er die Geburt Jesu ankündigt, bezieht sich auf Jesa­ja 7:14. Jesu Kom­men ist ‘nach der Schrift’.

Inter­es­sant ist diese Matthäus-Stelle aber nicht nur, weil wir hier das erste Reflex­ion­sz­i­tat find­en, son­dern weil wir in den Ankündi­gungsworten des Engels an Josef etwas Bekan­ntes ent­deck­en, näm­lich den Grund für das Kom­men Jesu auf die Welt: «dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk ret­ten von ihren Sün­den» (V21). Dies ist eine wichtige Ergänzung zu dem, was ich im zweit­en Teil dieser Serie erläutert habe, als es um die geistliche Wahrheit des Evan­geli­ums ging. Die Zen­tral­ität der Erret­tung des Men­schen aus der Sünde durch Jesus war dem­nach nicht nur die Fest­stel­lung von Paulus, nicht nur die Ein­sicht der Zeu­gen am Kreuz, nicht nur Voraus­deu­tung von Jesus selb­st, es war auch alttes­ta­mentliche Prophetie und Inhalt der Ankündi­gung durch Engel bei der Geburt Jesu. Was für eine wun­der­bare Kon­ti­nu­ität und Übere­in­stim­mung all dieser Zeugen!

Auch Jesus selb­st wen­det das Schrift­prinzip an, oft kom­biniert mit Worten wie «es ste­ht geschrieben» (Vgl. z.B. die Ver­suchung Jesu, Mt 4:1–11) oder «habt ihr nicht gele­sen» (z.B. Mt 19:4). Er erk­lärt seinen Dienst den fra­gen­den Jüngern nach der Aufer­ste­hung, indem er mit ihnen eine aus­führliche Studie des Alten Tes­ta­ments macht:

„Dann ging er mit ihnen die ganze Schrift durch und erk­lärte ihnen alles, was sich auf ihn bezog – zuerst bei Mose und dann bei sämtlichen Propheten.“ Lukas 24:27

Frühchristliche Spuren zeigen die Wichtigkeit der Schrift

Wir find­en aber auch in anderen Quellen als in der Bibel Hin­weise auf die Bedeu­tung der Kon­ti­nu­ität zwis­chen Altem und Neuem Tes­ta­ment. Zum Beispiel kön­nen wir uns den ersten Gen­er­a­tio­nen von Chris­ten zuwen­den und aus deren Kul­tur Schlüsse ziehen.

Ein Beispiel: Let­zten Som­mer machte ich mit mein­er Fam­i­lie eine Stip­pvis­ite nach Rom, wo wir unter anderem die vatikanis­chen Museen besucht­en. Die wun­der­schö­nen frühchristlichen Sarkophage im Museo Pio Cris­tiano faszinierten mich dabei besonders:

Beispiel eines christlichen Sarkophag im Museo Pio Cris­tiano in Rom, ca. 300 n. Chr mit Jon­ageschichte und Aufer­weck­ung des Lazarus. Bild: Peter Bruderer

Ich fotografierte und analysierte später so viele dieser Sarkophage wie möglich. Eines der inter­es­san­testen Merk­male dieser Sarkophage, welche mir dabei aufge­fall­en ist: Die Chris­ten der ersten Jahrhun­derte scheinen immer Geschicht­en sowohl aus dem Alten wie dem Neuen Tes­ta­ment auf ihren Sarkopha­gen abge­bildet zu haben. Tat­säch­lich traf dies bei allen 16 von mir unter­sucht­en Sakopha­gen zu. Einzige Aus­nahme war der kleine Sakophag eines Kindes, auf dem der Platz für mehrere Abbil­dun­gen fehlte. Die Kon­ti­nu­ität zwis­chen Altem und Neuem Tes­ta­ment scheint den ersten Chris­ten der­massen wichtig gewe­sen zu sein, dass sich dies in der Gestal­tung ihrer Gräber zeigte.

Das lebendige Wort Gottes oder menschliche Worte über Gott?

In unserem Bibel­text sehen wir das Schrift­prinzip mit­ten im nicht aufgeb­baren Kern des christlichen Beken­nt­niss­es ange­siedelt. Wir haben auch gese­hen, wie Jesus, die Apos­tel und auch die ersten Gen­er­a­tio­nen der Chris­ten nach diesem Prinzip geglaubt und gelebt haben.

Ein Bibelvers im Hebräer­brief verdeut­licht die Wirk­mächtigkeit und beab­sichtigte Funk­tion des Wortes Gottes sehr schön:

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schär­fer als jedes zweis­chnei­di­ge Schw­ert und dringt durch, bis es schei­det Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. (Heb 4:12)

Das Schrift­prinzip ist eine notwendi­ge Grund­lage, um über­haupt als Chris­ten einen gemein­samen Ref­eren­zpunkt zu haben, welch­er unser Nach­denken, unser Forschen, unsere Pri­or­itäten und ja – auch unser Stre­it­en – bes­timmt. Chris­ten sind «Peo­ple of the Book» — Men­schen des Buch­es. In Fra­gen, die sich stellen, wer­den sie stets mit höch­ster Pri­or­ität danach fra­gen, was ‘nach der Schrift’ wahr, richtig, gut und weise ist. Sie wer­den auch nach der Schrift beurteilen, was unwahr ist, falsch, böse oder unweise.

Natür­lich müssen wir uns bewusst sein, dass unser «Ja» zum Schrift­prinzip nicht alle Fra­gen löst. Unsere Zeit bringt dur­chaus auch Fragestel­lun­gen, zu denen die Bibel sich vorder­gründig nicht äussert. Die Bibel ist auch kein mech­a­nis­tis­ches ‘Lexikon’, welch­es uns Antworten stets gle­ich einem Auto­mat­en ‘rausspuckt’. Die Bibel ist lebendig und von uns damit nie ganz in den Griff zu bekom­men. Das ist auch gut so!

Es ist bedauer­lich, dass einige fromm klin­gende Men­schen auch diese dritte Wahrheit — das Schrift­prinzip — in Frage stellen. Sie stellen in Frage, ob die Bibel tat­säch­lich Gottes lebendi­ges Wort an seine Kinder ist. Sie sie reden von der Bibel eher als ‘men­schliche Worte über Gott’[1]. Nach ihnen haben Men­schen in der Bibel über ‘Gott und die Welt’ nachgedacht und teilen uns darin ihre wertvollen, aber let­z­tendlich sub­jek­tiv­en, zeitbe­d­ingten und fehler­be­hafteten Gottesvorstel­lun­gen mit.

Lei­t­end ist dabei oft die Vorstel­lung, dass wir heute in unser­er Gotte­serken­nt­nis viel fort­geschrit­ten­er sind als ‘unzivil­isierte’ Men­schen ver­gan­gener Tage. Aus unserem grösseren Wis­sen schöpfend, kön­nen wir Gott dieser Ansicht nach heute viel bess­er beschreiben. Wer so denkt wird die Bibel eher als einen Stein­bruch sehen, wo der mod­erne Men­sch das brauch­bare vom unbrauch­baren, das wertvolle vom wert­losen tren­nen muss.[2] Diese Sichtweise bringt mit sich, dass der Men­sch sich zum Richter über die bib­lis­chen Texte auf­schwingt. Er legt nun seine Massstäbe an die Schrift an, anstatt dass er die Schrift als Massstab für sein Leben und Denken akzep­tiert. Nicht mehr Gottes Wort diag­nos­tiziert den Men­schen, son­dern der Men­sch diag­nos­tiziert und beurteilt die Schrift.

An dieser Stelle ist auch Selb­stkri­tik ange­bracht. Die freikirch­lich-evan­ge­likale Kul­tur, welche mein eigenes geistlich­es ‘Biotop’ ist, hat in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten zum Teil ziem­lich undiszi­plin­iert mit der Schrift gear­beit­et. Die Suche nach ‘ver­w­ert­baren Dia­man­ten’ hat lei­der zu oft den Vor­rang gehabt vor der Bere­itschaft, die Heilige Schrift in ihren Zusam­men­hän­gen und in ihrer Sper­rigkeit zu uns reden zu lassen. Dies im Detail darzule­gen, wäre ein Artikel für sich.

Beson­ders auf­fäl­lig treten die oben beschriebe­nen Mech­a­nis­men aber auch in neueren the­ol­o­gis­chen Strö­mungen zutage. Ins­beson­dere zu erwäh­nen sind meines Eracht­ens gewisse Aus­prä­gun­gen der Befreiungs­the­olo­gie. Ob es nun die etwas in die Jahre gekommene klas­sis­che Befreiungs­the­olo­gie aus Südameri­ka ist, oder fem­i­nis­tis­che, postkolo­niale oder queere The­olo­gie – die Autorität befind­et sich im Stand­punkt und im Erleben der jew­eili­gen Per­so­n­en­gruppe. Und von diesem Stand­punkt aus wird die Bibel kri­tisiert [3] oder die per­sön­liche Ansicht in sie hinein pro­jiziert[4].

Die Ergeb­nisse solch­er ‘Stand­punk­t­the­olo­gien’ sehen nur zu oft aus, wie die ide­ol­o­gis­che Pro­gramm­schrift der jew­eili­gen Gruppe oder wie die The­olo­gen, die sie schreiben. Der bekan­nte Autor Tim­o­thy Keller hat dies tre­f­fend kom­men­tiert[5]:

«Wenn dein Gott nie ander­er Mei­n­ung ist, als du, kön­nte es sein, dass du lediglich eine ide­al­isierte Ver­sion von dir selb­st anbetest» (meine Übersetzung)

Wollen wir als Chris­ten nicht zu Sklaven von Ide­olo­gien und men­schlichen Denk-Kon­struk­ten wer­den, so müssen wir ler­nen, diszi­plin­iert­er das Schrift­prinzip in unseren Gemein­schaften anzuwenden.

Das destabilisierte Evangelium ohne Bekenntnis

Mit diesen Zeilen zur Schrift möchte ich auf die Ziel­ger­ade unser­er dre­it­eili­gen Serie einbiegen.

Unser Beken­nt­nis­text von 1.Kor 15:3–5 macht unmissver­ständlich klar: Autorität der Schrift und Evan­geli­um gehören zusam­men. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns fol­gende Real­ität: Wer sich vielle­icht sog­ar mit guten Absicht­en über die Schrift erhebt, wird in irgen­dein­er Form über kurz oder lang die His­tor­iz­ität und Bedeu­tung des Evan­geli­ums in Frage stellen. Wer die Schrift in Frage stellt, sägt den Ast ab, auf dem das Evan­geli­um sitzt, den wir ken­nen das Evan­geli­um aus beziehungsweise “nach der Schrift”.

Dieser Zusam­men­hang wird gut beschrieben in einem Zitat des ver­stor­be­nen Pap­stes Benedikt in seinem Buch ‘Jesus von Nazareth’:

«Heute wird die Bibel wei­thin dem Massstab des soge­nan­nten mod­er­nen Welt­bildes unter­wor­fen, dessen Grund­dog­ma es ist, dass Gott in der Geschichte gar nicht han­deln kann – dass also alles, was Gott bet­rifft, in den Bere­ich des Sub­jek­tiv­en zu ver­legen sei.»[6]

Hier wird deut­lich, wie das Anle­gen eines eige­nen Massstabes an die Schrift (das ‘mod­erne Welt­bild’) auch zur Infragestel­lung von Gottes Han­deln in der Geschichte führt. In der Folge ver­liert auch die Deu­tung der Geschichte ihre Bindung an die Real­ität, der Men­sch ver­liert sich in sub­jek­tiv­en Deutungen.

Eine Erken­nt­nis aus dieser Serie kön­nte deshalb sein, dass die drei Wahrheit­se­le­mente des Evan­geli­ums (his­torisch, geistlich, schrift­gemäss) sich gegen­seit­ig stützen und sta­bil­isieren. Das Ver­w­er­fen eines dieser Ele­mente wird auch die anderen desta­bil­isieren. Wenn wir nicht ‘umson­st’ glauben möcht­en (V2), müssen wir alle drei Wahrheit­en zu Eckpfeil­ern unseres per­sön­lichen Glaubens machen — und sie in unseren Gemein­schaften thematisieren.

Ver­bun­dene Säulen sind sta­bil­er: Säulen im Forum Romanum in Rom. Bild: Peter Bruderer

Das Fes­thal­ten an diesen Wahrheit­en bringt in unser­er west­lichen Welt sich­er Her­aus­forderun­gen mit sich. Der Advent der Post­mod­erne hat in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten zu einem ver­stärk­ten Hin­ter­fra­gen des tra­di­tionellen Wahrheits­be­griffes geführt und zum Einzug ein­er ten­den­tiell agnos­tis­chen Sicht auf Glaubens­fra­gen. Grosse Erzäh­lun­gen wie die bib­lis­che von Schöp­fung, Fall und Erlö­sung wer­den kri­tisch gese­hen. Statt sein Leben auf der Wahrheit der Schrift aufzubauen, betreibt der von der Post­mod­erne geprägte Men­sch lieber eine Dekon­struk­tion der Schrift.

Wir sehen aber auch, wie diese Trends unser­er Zeit dem Men­schen nicht das erhoffte Glück brin­gen. Wo das Evan­geli­um desta­bil­isiert wird, ist der Men­sch selb­st auch bald halt­los. Wir lan­den in ein­er Welt, in der alles, was Gott bet­rifft, in den ‘Bere­ich des Sub­jek­tiv­en’ ver­legt wor­den ist, in der Welt des desta­bil­isierten Glaubens. Es ist eine Welt, in der zwar religiös, spir­ituell und vielle­icht gar fromm gere­det und gedacht wird, aber den­noch nichts mehr da ist, was echt­en Halt geben würde.

Steht fest in der Wahrheit des Evangeliums

Wir alle dür­fen uns die ein­lei­t­en­den Worte in unserem Text nochmals zu Herzen nehmen:

«Ich erin­nere euch aber, Brüder und Schwest­ern, an das Evan­geli­um, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenom­men habt, in dem ihr auch fest ste­ht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so fes­thal­tet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umson­st geglaubt hät­tet.» (1Kor 15,1–2)

Die Gute Nachricht muss verkündigt wer­den. Sie muss angenom­men wer­den. Sie ist der Schlüs­sel zu unser­er Seligkeit, sie bringt uns also Heil und Rettung.

Paulus spricht mit erstaunlich­er Deut­lichkeit: Es ist entschei­dend, dass wir uns diese Kern­botschaft des Evan­geli­ums ohne Abstriche, ohne Verän­derun­gen und ohne Rel­a­tivierun­gen zu Herzen nehmen. Sich­er wird unser Glaube noch viel mehr bein­hal­ten als die in dieser Serie präsen­tierten drei Wahrheit­en — unser Glaube ist ein ganzes ‘Uni­ver­sum’. Aber unser Glaube wird und darf nicht weniger sein als die Real­ität des für unsere Sünde gekreuzigten, begrabenen und aufer­stande­nen Chris­tus, der sich uns in der Schrift offenbart.

Mit Paulus möchte ich uns deshalb zurufen: Lasst uns fest­ste­hen in der his­torischen, geistlichen und schrift­gemässen Wahrheit des Evangeliums!

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Titel­bild:
iStock, Bear­beitung: Peter Bruderer

Fuss­noten:
[1] Vgl. z.B. Bri­an Zah­nd: «Die Bibel ist ein Buch, das sich auf der Suche befind­et nach dem Wort Gottes.» Zah­nd, Bri­an. Sin­ners in the Hands of a Lov­ing God (S.14). The Crown Pub­lish­ing Group. Kin­dle-Ver­sion. (eigene Übersetzung)
[2] Vgl. z.B. Bri­an Zah­nd: «Die Bibel ist nicht per­fekt; Teile davon sind heute ent­behrlich.», Zah­nd, Bri­an. Sin­ners in the Hands of a Lov­ing God (S.61). The Crown Pub­lish­ing Group. Kin­dle-Ver­sion. (eigene Übersetzung)
[3] Vgl. z.B. Richard Rohr: «Inter­pretieren Sie die Bibel doch ein­mal so, wie Jesus es tat! Er ignori­ert sie, leugnet sie oder wider­spricht ihr, wo sie impe­ri­al­is­tisch, strafend, auss­chließend oder nach Stammes­denken klingt.» Rohr, Richard. Der göt­tliche Tanz: Wie uns ein Leben im Ein­klang mit dem dreieini­gen Gott zutief­st verän­dern kann. (Ger­man Edi­tion) (S.161–162). adeo. Kindle-Version.
[4] In der queeren The­olo­gie find­en wir zum Beispiel viele halt­lose und auch blas­phemis­che Speku­la­tio­nen über die sex­uelle Ori­en­tierung und das sex­uelle Leben von Jesus.
[5] https://www.facebook.com/TimKellerNYC/posts/if-your-god-never-disagrees-with-you-you-might-just-be-worshiping-an-idealized‑v/754367937936428/
[6] Joseph Ratzinger / Benedikt XVI, «Jesus von Nazareth», S64

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Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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