Abtreibung (2/5) — eine Theologie

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by Peter Bruderer | 05. Dez. 2021 | 9 comments

Es waren unter anderem protes­tantis­che Pas­toren, welche in den 60er Jahren die Legal­isierung der Abtrei­bung in den USA vor­wärt­strieben. Christliche The­olo­gen und Ethik­er liefer­ten die moralis­che Recht­fer­ti­gung und die the­ol­o­gis­chen Argu­mente, um unge­borenes Leben zu töten. 

Wer liebt, wird das richtige tun. In diesem Fall: ein­er Frau in Not mit ein­er Abtrei­bung zu helfen. In etwas so kann die The­olo­gie und Ethik beschrieben wer­den, welche Pas­toren in den 60er Jahren motivierte, schwan­geren Frauen auf ille­gale Weise eine Abtrei­bung zu ermöglichen.

Ein­er dieser Abtrei­bungs-Aktivis­ten war Rev. Howard Moody, welch­er 1967 das Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion (Deutsch: ‘Pas­toraler Beratungs­di­enst bezüglich Abtrei­bung’) ins Leben rief, welch­es bis zur Legal­isierung von Abtrei­bung 1973 hun­dert­tausende ille­galer Abtrei­bun­gen ver­mit­telte. Im Buch «Sacred Work» beze­ich­net der Autor Tom Davis – selb­st ordiniert­er Pfar­rer – den Ein­satz dieser Aktivis­ten im Talar als ‘heilige Arbeit[1] – als zutief­st geistlich­es und moralisch vor­bildlich­es Han­deln. Die kirch­lichen Hand­langer der Abtrei­bung seien das per­fek­te Beispiel eines han­del­nden Glaubens und in ein­er Lin­ie mit den grossen Men­schen­rechts-Bewe­gun­gen[2].

Wie kon­nte es nur soweit kom­men, dass das Aus­löschen von unschuldigem und wehrlosem men­schlichen Leben als Akt von Liebe gew­ertet wird? Ich per­sön­lich mache keinen Hehl daraus, dass ich Abtrei­bung äusserst kri­tisch gegenüber ste­he und sie als Übertre­tung des Tötungsver­botes Gottes sehe (2 Mo 20:13). Aus mein­er Sicht besitzt das Leben eines unge­bore­nen Kindes unan­tast­bare Würde – ist also ‘heilig’. Ich sehe eigentlich kaum Gründe, welche eine Abtrei­bung recht­fer­ti­gen kön­nten[3]. Dass Abtrei­bung auch heute noch als heiliges Han­deln dargestellt wird von religiösen Leit­ern[4], welche sich Chris­ten nen­nen, erfüllt mich mit an Abscheu gren­zen­dem Unver­ständ­nis. Doch auch deren Hal­tung hat ihren Hin­ter­grund ihre the­ol­o­gis­che und moralis­che Recht­fer­ti­gung. Ich möchte ver­suchen diese nachzuvollziehen.

Lib­erale Autoren und The­olo­gen präsen­tieren Abtrei­bung in ihren Büch­ern als ‘heilige Arbeit’ und als Erweis von Barmherzigkeit.

Die Liebe als Kompass

Viele protes­tantis­chen The­olo­gen hat­ten in den 60er Jahren genug von Geset­zen, Vorschriften und Moral. Sie woll­ten sich in ihrem Denken ganz nach dem Kom­pass der Liebe ori­en­tieren, sich ihren Mit­men­schen zuwen­den. Die fol­gen­den Worte des anglikanis­chen Bischofs John A. T. Robin­son aus dem Jahre 1963 fassen die Ansicht dieser The­olo­gen gut zusam­men[5]:

«Die Liebe hat einen innewohnen­den Kom­pass, welche sie intu­itiv auf das tief­ste Bedürf­nis des anderen aus­richt­en wird. Deshalb kann die Liebe allein sich erlauben, sich selb­st ganz durch die Sit­u­a­tion lenken zu lassen.»

Voraus­ge­gan­gen waren Jahrzehnte, in denen im Rah­men mod­ern­er Bibelkri­tik die bib­lis­chen Schriften ‘demys­ti­fiziert’ und Vorstel­lun­gen von Gott entsprechend angepasst wur­den. Die Zeit ein­er ‘Gott ist tot’-Theologie[6] und ein­er ‘neuen Moral’[7] war gekom­men. Es war Zeit, sich nur noch an der Liebe zu ori­en­tieren. Alles andere war ver­han­del­bar. Gott kon­nte an vie­len Orten gesucht wer­den, nur lieber nicht in der ver­staubten Bibel mit ihren Geboten und Ver­boten und ihrem Bild eines per­sön­lichen, allmächti­gen Schöpfer­gottes. Vielmehr wollte man das Göt­tliche unter den Men­schen suchen, im Hören auf die innere Stimme und den Geist der Zeit.

Der anglikanis­che Bischof John A. T. Robinson

Erst­mal – und das scheint mir tat­säch­lich wichtig – muss man sich der reellen Her­aus­forderun­gen bewusst sein, welche unge­wollte oder unge­plante Schwanger­schaften in den USA der 60er Jahre mit sich brin­gen kon­nten. Die soziale Äch­tung unver­heirateter Müt­ter war vielerorts eine gesellschaftliche Tat­sache. Daneben gab es auch sehr greif­bare geset­zliche Missstände. So gab es zum Beispiel keinen arbeit­srechtlichen Schwanger­schaftss­chutz. Eine arbeit­stätige Frau, welche Schwanger wurde, musste davon aus­ge­hen, dass sie ihre Arbeit ver­liert[8]. Dazu kamen die gesund­heitlichen Risiken ille­galer Abtreibungen.

Gesellschaftliche Aus­gren­zung, dro­hende soziale Benachteili­gung und eine poten­tiell gesund­heits­ge­fährdende ‘Lösung’ des Prob­lems – das war eine Kom­bi­na­tion die wohl tat­säch­lich viele Frauen in die Verzwei­flung getrieben hat. Die ‘Pas­toren für Abtrei­bung’ engagierten sich in der Regel auf allen Seit­en dieser her­aus­fordern­den Real­ität. Sie sahen fol­gende Lösungen:

  • Eine lib­er­al­isierte Sex­u­alethik kön­nte zu ein­er gesellschaftlichen De-Stig­ma­tisierung von unge­plant schwan­geren Sin­gle­frauen führen.
  • Der Kampf um verbesserte Arbeit­srechte für Frauen würde die finanzielle Not­lage lin­dern, welche mit ein­er Schwanger­schaft ein­herge­hen konnte.
  • Legal­isierte Abtrei­bung war die Möglichkeit, gesund­heitliche Risiken zu ver­min­dern für Frauen, die ihr Kind nicht haben wollten.

Für diese ‘Lösungsan­sätze’ fan­den sie ihre Inspi­ra­tionsquellen zum einen in der Social Gospel Bewe­gung und zum anderen in der soge­nan­nten ‘Neuen Moral’ mit ihrer ‘Sit­u­a­tion­sethik’, welche in den 60er Jahren in den Kreisen fortschrit­tlich gesin­nter lib­eraler The­olo­gen zu find­en war.

Social Gospel – sozialer Aktivismus für die Wiederkunft Christi

Ein wichtiger Hin­ter­grund, um den radikalen Sozialak­tivis­mus von Howard Moody und sein­er Pas­toren­fre­unde zu ver­ste­hen, ist die  Social Gospel – Bewe­gung. Diese Bewe­gung hat­te in den ersten Jahrzen­ten des 20. Jahrhun­derts grossen Ein­fluss auf die tra­di­tionellen protes­tantis­chen Denom­i­na­tio­nen in den USA (die soge­nan­nten Main­line Church­es) und inspiri­erte Moody und seine Fre­unde zum einem Leben im Dienst an den Menschen.

Aus­gangspunkt für diese Bewe­gung waren die grossen sozialen Missstände des aus­ge­hen­den 19. Jahrhun­derts. Indus­tri­al­isierung, grosse Zuwan­derungsströme und Ver­städterung bracht­en in den USA soziale Prob­leme wie Kinder­ar­beit, Alko­holis­mus oder Armut mit sich. Die Social Gospel Bewe­gung wollte diese Prob­leme aktiv ange­hen. Geprägt war die Bewe­gung von ein­er ‘Yes we can’ – Men­tal­ität. Die gesellschaftlichen Prob­leme soll­ten – motiviert vom christlichen Glauben — angepackt und gelöst wer­den. Die Bewe­gung war vom Wun­sch geprägt, das ‘Reich Gottes auf Erden’ in Form ein­er besseren, gerechteren, ‘geheiligten’ Gesellschaft zu etablieren.

Als ‘Grundü­bel’ der Men­schheit wur­den dabei zuse­hends nicht die per­sön­lichen Defizite des Indi­vidu­ums gese­hen (indi­vidu­elle ‘Sün­den’), son­dern gesellschaftliche und struk­turelle Aspek­te (kollek­tive ‘Sün­den’).  Fol­glich bestand das Bekämpfen von Sünde für die Pas­toren der Social Gospel Bewe­gung vor allem im Imple­men­tieren von sozialen Pro­gram­men und gesellschaftlichen Refor­men, weniger im Ruf zu indi­vidu­eller Busse und Umkehr. Die sozialen Struk­turen im Land soll­ten  ‘chris­tian­isiert’ wer­den. Dies führte zu einem zunehmend poli­tisch geprägten kirch­lichen Denken, welch­es ten­den­ziell sozial­is­tisch gelagert war und die öku­menis­che Zusam­me­nar­beit forcierte. Die engagierte und geeinte Kirche würde eine per­fek­te, geheiligte Welt schaf­fen und damit die Bühne für die Wiederkun­ft Christi bere­it­en[9]. Prä­gend für die Bewe­gung war neben den sozialen Anliegen auch ihr zunehmender the­ol­o­gis­ch­er Lib­er­al­is­mus und eine ten­den­ziell unkri­tis­che Über­nahme zeit­geistiger Philoso­phien und Pseudowis­senschaften[10]. In der grossen the­ol­o­gis­chen Debat­te ihrer Zeit – der Fun­da­men­tal­ist vs. Mod­ernist Kon­tro­verse – standen die Social Gospel Vertreter auf der Seite der Mod­ernisten, also der Kräfte die sich als fortschrit­tlich und den Erken­nt­nis­sen der mod­er­nen Wis­senschaft zuge­wandt sahen.

Rev. Howard Moody sieht sich mit seinem Engage­ment für Abtrei­bung in der Tra­di­tion von Social Gospel Grössen wie Wal­ter Rauschen­busch oder Har­ry Emer­son Fos­dick[11]. Er sieht sich eben­falls in der ehren­vollen Tra­di­tion der Abo­li­tion­is­ten, welche sich im 19. Jahrhun­dert für die Abschaf­fung der Sklaverei ein­set­zten. Dazu gehörte auch das Empfind­en ein­er moralis­chen Verpflich­tung, welche höher zu gewicht­en ist als Gesetz oder gesellschaftliche Kon­ven­tio­nen. Lawrence Lad­er, der Mas­ter­mind hin­ter der Kam­pagne zur Legal­isierung von Abtrei­bung, beschreibt in ein­er Rück­blende die öffentliche Entrüs­tung, welche die ille­gale Kam­pagne von Howard Moody in kon­ser­v­a­tiv­en Kreisen aus­löste[12]:

«Jemand hat­te sich am Sys­tem ver­grif­f­en. Jemand hat­te darauf bestanden, wie ein Abo­li­tion­ist im Jahr 1850, dass egal wie der Wort­laut des Geset­zes war, es ein höheres und moralisch verpflich­t­en­des Gesetz gab. Dieses ver­langte, das keine Frau in eine unge­wollte Schwanger­schaft oder in den alter­na­tiv­en Hor­ror ein­er ille­galen Abtrei­bung gezwun­gen wer­den durfte.»

Nun, die unmit­tel­bare Sit­u­a­tion der betrof­fe­nen Frauen mag sich durch die Abtrei­bungs­mass­nahme tat­säch­lich verbessert haben. Der Job wurde nicht gekündigt. Die öffentliche Schande wurde ver­mieden. Die Abtrei­bung erfol­gte nicht mehr durch einen Hin­ter­hof-Quack­sal­ber. Aus der Per­spek­tive von Moody und sein­er Pfar­rkol­le­gen wurde durch Abtrei­bung die Lage der Frauen verbessert und damit das Liebesge­bot in ein­er ganz konkreten Not­lage umge­set­zt.

Howard Moody sah sich in der the­ol­o­gis­chen Tra­di­tion von Social Gospel Grössen wie Wal­ter Rauschen­busch oder Har­ry Emer­son Fosdick.

Man darf sich natür­lich fra­gen, ob dem wirk­lich so ist. Es gibt mit­tler­weile doch diverse Unter­suchun­gen, welche auf langfristige psy­chis­chen Fol­gen von Abtrei­bun­gen hin­weisen[13]. Eben­so ist zunehmend auch wis­senschaftlich erforscht, dass es sich beim Fötus nicht ein­fach um leblos­es Zell­gewebe han­delt, son­dern um ein men­schlich­es Wesen, welch­es zum Beispiel schon sehr früh in der Schwanger­schaft Schmerz empfind­et[14].

Dass das Wis­sen um die frühen Entwick­lungssta­di­en des Fötus dur­chaus auch vor 50 Jahren schon vorhan­den war, beweist die aufwüh­len­den Reportage des Jour­nal­is­ten Nick Thimmesch, erschienen 1973 im Newsweek Mag­a­zine[15]. Darin berichtet er von den Zustän­den in Abtrei­bungskliniken mit ihren in Plas­tik­säck­en entsorgten Babys und prangert eine von Util­i­taris­mus geprägte ‘Binge-Kul­tur’ bei Abtrei­bun­gen an. Auch für ihn ist damals klar, dass es sich beim Fötus nicht ein­fach um ein Gewebe handelt:

«Schau jen­seits der poli­tis­chen Argu­mente zum Fötus und zu dem, was die Ärzte diesem antun. Der Herz­schlag eines unge­bore­nen Babys fängt zwis­chen dem 18ten und 25ten Tag an, Hirn­wellen kön­nen nach sieben Wochen bere­its gemessen wer­den, mit neun bis 10 Wochen bewe­gen sie ihre Augen, schluck­en und machen die Faust. Schau dir die wun­der­baren Pho­togra­phien an und ent­decke men­schlich­es Leben. Soll­ten diese kleinen Men­schen getötet wer­den, auss­er um das Leben der Mut­ter zu retten?»

Wenn man der Bibel ver­traut oder Eltern Glauben schenkt – dann weiss man, dass unge­borene Kinder auch Emo­tio­nen wie Freude erleben, welche ganz klare per­son­ale Eigen­schaften sind. Nir­gends wird dies so deut­lich wie im bib­lis­chen Bericht über die Begeg­nung von Elis­a­beth und Maria (vgl. Lk 1:44):

«Denn siehe, sowie der Klang deines Grußes in mein Ohr drang, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.»

Und noch ein weit­eres: Eigentlich sollte zumin­d­est Chris­ten ein­leucht­en, dass der beste Weg zur Ver­mei­dung ein­er unge­woll­ten Schwanger­schaft in der Pflege eines dementsprechen­den Sex­u­allebens ist. Das fün­fte Gebot (Du sollst nicht töten) müssen diejeni­gen nicht durch Abtrei­bung brechen, die das zehnte Gebot (Du sollt nicht begehren…) oder das sech­ste Gebot (du sollst nicht ehe­brechen) zu Herzen nehmen.

Doch von ein­er solch ‘moral­is­tis­chen’ Sichtweise woll­ten Moody und seine Fre­unde nichts wis­sen. Man kommt nicht umhin zu bemerken, dass die Näch­sten­liebe von Howard Moody und sein­er Pas­torenkol­le­gen ein­seit­ig nur von der Mut­ter her gedacht ist und das Kind als lebendi­ges men­schlich­es Wesen mit eigen­er Würde nicht im Blick hat. Die Tötung des unge­bore­nen Kindes wird moralisch legit­imiert, indem es ent­men­schlicht wird. Zu Hil­fe kom­men ihnen die dama­li­gen Trends in der Gilde der lib­eralen The­olo­gen: neue ‘Neue Moral’ und ‘Sit­u­a­tion­sethik’.

Die neue Moral

Zu den wichtig­sten Pro­tag­o­nis­ten von Neuer Moral und Sit­u­a­tion­sethik zählen der US-The­ologe und Ethik­er Joseph Fletch­er (1905–1991) und der bere­its erwäh­nte anglikanis­che Bischof John A. T. Robin­son (1919–1983). Let­zter­er sorgte mit seinem Buch ‘Hon­est to God’ für einen äusserst kon­tro­ver­sen[16] Best­seller[17], während Fletch­er mit seinen Über­legun­gen zu ethis­chen Fra­gen die Gemüter erhitze.

Neben der Social Gospel Bewe­gung kann die Sit­u­a­tion­sethik als zweit­er wichtiger Ein­fluss auf Howard Moody und seine Mit­stre­it­er gew­ertet wer­den[18]. Auch in Lawrence Laders ein­flussre­ichem Buch «Abor­tion» find­et Fletch­er dreimal Erwäh­nung[19]. Fletch­er ist der The­ologe hin­ter den Argu­menten, welche Lad­er, Moody und seine Fre­unde ins Feld führen, um Abtrei­bung moralisch zu legit­imieren. Seine Argu­mente nehmen ein erstes Mal Gestalt an in seinem Buch ‘Morals and Med­i­cine’ aus dem Jahre 1955. Der grosse Durch­bruch gelingt ihm 1966 mit seinem Buch ‘Sit­u­a­tion Ethics – The New Moral­i­ty».

Der The­ologe Joseph Fletch­er gilt als Grün­der­vater der mod­er­nen Bioethik und der ‘Per­son­hood The­o­rie’, welche Embryos als vor­per­son­ales Wesen einstuft.

Die Ethik von Fletch­er baut auf ein­er Ablehnung von Richtig und Falsch und dem prak­tizieren von Liebe als einzig rel­e­van­ter Norm, welche das Gesetz erset­zt. Nur die Liebe sei immer gut. Man müsse sich von der ‘toten Hand des Geset­zes ‘freis­chnei­den’[20]. Ethis­che Entschei­dun­gen müssten sich aus dem Kon­text ein­er Hand­lung her­aus ergeben. Die neue Moral der Sit­u­a­tion­sethik besagte, dass jede Hand­lung sowohl richtig als auch falsch sein könne, abhängig von der Sit­u­a­tion.[21]

Zuge­spitzt gesagt bedeutet die Hal­tung von Fletch­er: Du darf­st deine Ehe brechen (6. Gebot), solange es aus Liebe geschieht. Und wenn aus diesem Ehe­bruch ein Kind entste­ht, dann darf­st du es auch töten (5. Gebot), wenn dadurch eine Verbesserung der Sit­u­a­tion für die Beteiligten entsteht.

Die Ethik von Fletch­er hält nichts mehr von den 10 Geboten als offen­bartem Willen Gottes und Richtschnur für das Zusam­men­leben der Men­schen. Zurück bleibt das Liebesge­bot als Leer­formel zur inhaltlichen Aus­gestal­tung durch den Men­schen. Das Liebesge­bot regiert. Aber die Deu­tung dessen, was nun die Liebe fordert, bleibt dem Indi­vidu­um in sein­er spez­i­fis­chen Sit­u­a­tion über­lassen. Bei Fletch­er selb­st hat die Aus­for­mulierung von Liebe in konkreten Sit­u­a­tio­nen dann sehr viel mit Util­i­taris­mus und Prag­ma­tismus zu tun[22]. Gut ist, was nützt, und was nach men­schlichem Ermessen zur Steigerung der Zufrieden­heit der betrof­fe­nen Per­so­n­en dient.

Das Buch von Bischof John Robin­son, welch­es bere­its 1963 die Ideen von Fletch­er aus­führlich einem grossen Pub­likum vorstellte, gibt einen guten Ein­blick in die the­ol­o­gis­che Gross­wet­ter­lage jen­er Zeit. Gott dürfe in einem säku­lar­isierten und aufgek­lärten Zeital­ter nicht mehr im Sinne eines tran­szen­den­ten Gottes ver­standen wer­den, der unab­hängig von Raum, Zeit und Schöp­fung existiere, der durch sein offen­bartes Wort (Bibel) konkret zu den Men­schen spricht und durch die Kirche seine Stimme in der Gesellschaft erklin­gen lässt. Vielmehr brauche es eine Umkehrung: Gott müsse in der Kul­tur und unter den Men­schen selb­st gesucht wer­den. Anstatt mit recht­gläu­bi­gen Glauben­saus­sagen den let­zten Über­resten an treuen Schäfchen zu hüten solle die Kirche eine radikale Neu­for­matierung in Glaubens­fra­gen vol­lziehen und die fun­da­men­tal­sten Vorstel­lun­gen in The­olo­gie und Reli­gion, wie zu Beispiel eben die Vorstel­lung eines Gottes mit über­natür­lichen Kapaz­itäten, ein­schmelzen und ganz auf eine in Liebe gegrün­dete Frei­heit des Men­schen set­zen.[23]

Das Buch ‘Hon­est to God von John A. T. Robin­son war 1963 ein Best­seller und sorgte für hitzige Diskussionen.

Eine wichtige Erschei­n­ung jen­er Zeit war der zunehmende Ein­fluss der soge­nan­nten Prozess­the­olo­gie, welche auch als Panen­the­is­mus beze­ich­net wer­den kann. Diese sieht Gott und den Men­schen als ein­er gemein­samen evo­lu­tionären Dynamik unter­wor­fen. Prinzip­i­en der Evo­lu­tion wer­den auf geistliche Real­itäten über­tra­gen. Nicht nur der Men­sch entwick­elt sich, son­dern auch Gott. Für Fletch­er ist dies eine Inspi­ra­tionsquelle. So zitiert er zur Eröff­nung sein­er «Sit­u­a­tion Ethics» den Math­e­matik­er und Philosophen Alfred North White­head, den Begrün­der der Prozessphiloso­phie:

«Die ein­fältige Ver­wen­dung von Vorstel­lun­gen von «Richtig und Falsch» ist eine der grössten Hin­dernisse zum Prozess des Verständnisses»

Prozess-Denken wirkt sich, wie es scheint, auf das Men­schen­bild von Fletch­er aus. Dieses Zitat aus «Morals and Med­i­cine» ist ein gutes Beispiel dafür[24]:

«The­ol­o­gisch gese­hen kann gesagt wer­den, dass Per­sön­lichkeit nicht durch ein göt­tlich­es Macht­wort entste­ht, son­dern durch einen göt­tlich inspiri­erten Prozess der Entwick­lung in men­schlichen Organ­is­men, genau­so wie men­schlich­es Bewusst­sein selb­st eine rel­a­tiv späte Entwick­lung im evo­lu­tionären Prozess ist. Men­schen WERDEN zu Per­so­n­en, sie müssen sich aber erst die entsprechen­den Qual­itäten ein­er Per­sön­lichkeit zulegen.»

Für Fletch­er ist auch der Men­sch selb­st ein­fach ein Prozess. Deshalb kann ihm nicht zu jedem Zeit­punkt der gle­iche Wert, die gle­iche Würde beigemessen wer­den. Der Men­sch hat keinen intrin­sis­chen Wert, son­dern sein Wert hängt von sein­er Entwick­lung ab. Deshalb sah Fletch­er Abtrei­bung auch nicht als Tötung, wie er in einem Fall­beispiel fes­thält[25]:

«Sie wür­den, so hoffe ich, argu­men­tieren, dass es keine Tötung ist, weil da kein men­schlich­es Leben in einem Embryo ist in der frühen Phase der Schwangerschaft…»

Eine Per­son zu sein bedeutete für Fletch­er die ‘Fähigkeit intel­li­gen­ter Hand­lun­gen zu haben’.[26] In späteren Jahren würde er 15 Para­me­ter definieren, welche aus sein­er Sicht einen lebenswerten Men­schen definieren. Darunter zum Beispiel ein bes­timmter Intel­li­gen­zquo­tient, Zeit­ge­fühl, Beziehungs­fähigkeit usw.[27] Das Unge­borene Kind sollte nach Fletch­er als ‘vor-per­son­aler Organ­is­mus[28] betra­chtet wer­den ohne Persönlichkeitswert.

Gle­ich argu­men­tiert Fletch­er bezüglich dem Ende des men­schlichen Lebens. Die Fra­gen von Abtrei­bung und Euthanasie sind aus sein­er Sicht untrennbar miteinan­der ver­bun­den.[29] Ab dem Ende der 60er Jahre set­zt er sich deshalb auch kon­se­quent für aktive Ster­be­hil­fe und Euthanasie ein, auch von geistig behin­derten Men­schen.[30] In ein­er Besprechung über den würde­vollen Tod meint er:

«Es ist lächer­lich, ethis­che Zus­tim­mung zur Posi­tion zu geben, dass vor-per­son­ales Leben im Mut­ter­leib aus Gnade und Barmherzigkeit been­det wer­den kann, aber sich zu weigern, vor-per­son­ales Leben am Ende des Lebens zu been­den. Wenn wir moralisch verpflichtet sind, eine Schwanger­schaft zu been­den, weil eine Punk­tion der Frucht­blase einen schw­er defek­ten Fötus diag­nos­tiziert, dann sind wir gle­icher­massen verpflichtet, der hoff­nungslosen Mis­ere eines Patien­ten ein Ende zu set­zen, wenn ein Hirn Scan aufzeigt, das der Kreb­spa­tient fort­geschrit­tene Metas­tasen hat.»

Im Welt­bild von Fletch­er ist qual­i­ta­tiv ‘min­der­w­er­tiges’ Leben zur Tötung freigegeben. Man wird unweiger­lich an die Zeit­en erin­nert, wo soge­nan­nt ‘leben­sun­wertes Leben[31] im Rah­men eugenis­ch­er Ras­sen­ge­set­ze im Drit­ten Reich aus­gelöscht wurde. Treibend im Denken von Fletch­er ist dabei nicht nur die Vorstel­lung des Men­schen als evo­lu­tionäres und deshalb wertrel­a­tives Wesen, son­dern auch seine Vorstel­lung, dass die Evo­lu­tion als uni­verseller Prozess die Ablö­sung gewiss­er gesellschaftlich­er Werte durch neue mit sich bringt[32]:

«Ein Weg es zu for­mulieren ist zu sagen, dass die tra­di­tionelle Ethik auf der HEILIGKEIT des Lebens basierte – das war die klas­sis­che Lehre des medi­zinis­chen Ide­al­is­mus in sein­er vor­wis­senschaftlichen Phase. Dieses muss aus huma­nen Grün­den abgelöst wer­den durch eine Ethik der QUALITÄT des Lebens. Die Ablö­sung ist ein Resul­tat der Errun­gen­schaften der mod­er­nen Medi­zin, nicht ihrer Nieder­la­gen. Neue Möglichkeit­en bedeuten neue Verantwortungen.»

Dass Fletch­er die alten Gebote der Bibel her­zlich wenig bedeuteten, dürfte nach diesen Erläuterun­gen klar sein. Das Ausleben von Liebe kon­nte nach sein­er Lesart dur­chaus den bib­lis­chen Geboten wieder­sprechen: neue Zeit­en ver­lan­gen nach neuen Geboten. Fletch­er hat­te sich tat­säch­lich von den bib­lis­chen Geset­zen ‘freigeschnit­ten’. Und die religiösen Aktivis­ten der Abtrei­bungs­be­we­gung fol­gten in seinen Fussstapfen – im Namen der Liebe.

Die Büch­er des The­olo­gen Joseph Fletch­er haben den Ver­fechtern legaler Abtrei­bung und Euthanasie wesentliche Argu­mente geliefert.

Ein Kompass ohne Karte

Der Kom­pass der Liebe wird intu­itiv das Richtige machen, hat­te Bischof Robin­son 1963 pos­tuliert. Bei der Anwen­dung dieser Maxime durch Fletch­er und die Ver­fechter legal­isiert­er Abtrei­bung hat sich aber eine Kul­tur des Todes etabliert, nicht eine Kul­tur des Lebens. Der Nordpfeil im Kom­pass zeigte auf ein­mal nach Süden und umgekehrt.

Vor vie­len Jahren habe ich in der Jungschar gel­ernt, dass es für gute Ori­en­tierung im Gelände sowohl einen Kom­pass als auch eine Karte braucht. Wer nur nach dem Kom­pass ren­nt, lan­det trotz­dem im Stras­sen­graben, oder im See, oder zer­schellt am Fusse ein­er Felswand.

In meinem Miltär­di­enst als Panz­er­mi­nen­wer­fer habe ich noch etwas weit­eres gel­ernt: auch Kom­pass­nadeln kön­nen sich irren. Es bringt nichts in einem Ton­nen­schw­eren Stahlkoloss den Kom­pass zu zück­en und Ori­en­tierung zu suchen. Ein präzis­es Ein­messen der Panz­ergeschütze geht nur mit genü­gend Abstand zum Kraft­feld des Panz­ers, anson­sten riskiert man, mit dem ersten Schuss das näch­st­gele­gene Dorf zu tre­f­fen anstatt das Ziel.

Zu meinen alleine ‘Liebe’ könne uns zum Glück und zum Leben leit­en ist eine unre­al­is­tis­che Maxime, welche die Anfäl­ligkeit des Men­schen nicht mitbe­denkt. Liebe muss an Gott aus­gerichtet, nach Ihm gee­icht sein, wenn sie wirk­lich Liebe sein will. Denn Liebe ist nicht ein­fach das, was auf die Schnelle der Verbesserung ein­er Sit­u­a­tion dient. Sie ist auch nicht ein­fach das, was uns grad glück­lich­er oder zufrieden­er macht. Liebe bedeutet das zu tun und zu leben, was richtig und nötig ist, auch wenn es schw­er­fällt. Absolute Liebe zeigt sich der Selb­stau­fopfer­ung Jesu Christi am Kreuz. Gott ist also der­jenige, welch­er uns das Wesen wahrer Liebe vorzeigt. Gemäss dem The­olo­gen Sam All­ber­ry müssen wir uns deshalb fol­gende Frage stellen[33]:

«Was liebt Gott, das ich zu has­sen ver­sucht bin, und was has­st Gott, das ich zu lieben ver­sucht bin?»

Für eine gute Ori­en­tierung brauchen wir aus diesem Grund neben dem Kom­pass der Liebe auch die Land­karte des Wortes Gottes, welche uns seine Wege des Lebens und das Wesen wahrer Liebe aufzeigt. Es geht nicht darum, das Eine gegen das Andere auszus­pie­len. Wenn wir den Liebes­be­griff von der Bibel her füllen, entleeren wir ihn nicht, son­dern füllen ihn neu, mit der Wahrheit Gottes. Gott ist Liebe und in der Liebe bleiben heisst, in Gott bleiben. Dort ist echte Liebe und diese Liebe zer­stört kein unge­borenes Leben. Liebesverir­rung fängt dort an, wo wir in den Geboten nicht mehr die Hand­schrift des guten Vaters im Him­mel erken­nen. Jesus spricht zu seinen Jüngern (John 15:9–10):

«Bleibt in mein­er Liebe! Wenn ihr meine Gebote hal­tet, werdet ihr in mein­er Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehal­ten habe und in sein­er Liebe bleibe.»

Wir brauchen, denke ich, auch so etwas wie einen gesun­den Abstand zu den ide­ol­o­gis­chen Kraft­feldern unser­er Zeit, welche nichts anderes möcht­en, als dass sich unsere Kom­pass­nadel an ihnen aus­richtet. Dafür müssen wir diese Kraft­felder iden­ti­fizieren und mit Gottes Hil­fe bew­erten ler­nen. So kön­nen wir unseren Mit­men­schen dienen, ohne dabei selb­st in die Irre zu gehen:

«Ein rein­er und unbe­fleck­ter Gottes­di­enst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trüb­sal besuchen und sich selb­st von der Welt unbe­fleckt hal­ten.» (Jak 1:27)

Natür­lich bringt das Leben ethis­che Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen mit sich, bei denen der richtige Weg nur schw­er zu find­en ist, wo moralis­che Prinzip­i­en einan­der zu wider­sprechen scheinen. Doch, wie der evan­ge­lis­che The­ologe Klaus Bock­mühl 1975 als Antwort auf die ‘Neue Moral’ schreibt: «Geset­zlosigkeit ist nicht die christliche Antwort auf Geset­zlichkeit». Der dama­lige Dozent auf St. Chrischona warnt deut­lich vor einem unkri­tis­chen Zeit­geist-Surf­ing[34]:

«Wer sich heute mit dem Zeit­geist ver­heiratet, wird Mor­gen zur Witwe oder – zur Dirne»

Das Buch ‘Gott im Exil’ set­zt sich kri­tisch mit der ’neuen Moral’ von Bischof Robin­son und Joseph Fletch­er auseinander.

Vor einem hal­ben Jahrhun­dert ist die Ori­en­tierung am Liebeskom­pass nicht gelun­gen. Nicht nur in der poli­tis­chen Umset­zung der Abtrei­bungsagen­da waren Pas­toren und The­olo­gen tief ver­wick­elt, son­dern auch in deren moralis­chen Ratio­nal­isierung: Joseph Fletch­er war The­ologe. Sein Buch «Morals and Med­i­cine» war sein Beitrag über christliche Ethik für eine Bibelschule!

Wer heute die Entwick­lun­gen im Bere­ich der Bioethik kri­tisiert, sollte dies im Bewusst­sein tun, dass die Grund­konzepte weit­ge­hend aus dem Brun­nen lib­eraler The­olo­gie entsprin­gen. In ein­er Zeit, wo äusserst starke säku­lare Kräfte ihre Wirkung ent­fal­teten, richtete sich der ‘Kom­pass der Liebe’ von Joseph Fletch­er, Howard Moody und ihren Zeitgenossen unweiger­lich an den Ide­olo­gien ihrer Zeit aus. Ein entschei­den­der Grund dafür: sie hat­ten sich bewusst dem normieren­den Kraft­feld des Wortes Gottes entzogen.

Joseph Fletch­er zog seine per­sön­lichen Kon­se­quen­zen. Nicht lange nach dem Erscheinen seines Buch­es ‘Sit­u­a­tion Ethics’ wen­det er sich ganz vom Chris­ten­tum ab und wird Athe­ist. Für seine Ethik der ‘Liebe’ braucht er keinen Gott mehr. Doch auch die the­ol­o­gisch eher kon­ser­v­a­tiv­en Evan­ge­likalen kon­nten sich in der Abtrei­bungs­frage nur schw­er­lich den Argu­menten und Ratio­nal­isierun­gen ihrer Zeit entziehen. Davon wird ein näch­ster Artikel handeln.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Volk Gottes selb­st für Weise hält und dabei ins Verder­ben läuft. Es ist eine sich wieder­holende Geschichte.

«Das Wort des HERRN haben sie ver­achtet. Und welche Weisheit ist ihnen geblieben?» (Jer 8:9)

 

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Mein Gespräch zum The­ma mit Dr. Allan Carlson:


Die Serie im Überblick:

Abtrei­bung (1/5) – ein heiliges Werk?
Abtrei­bung (2/5) — eine Theologie
Abtrei­bung (3/5)– Predi­ger der Eugenik
Abtrei­bung 4/5 – Evan­ge­likale am Scheideweg
Abtrei­bung 5/5 – Wenn Umkehr Fortschritt bedeutet

Weit­ere Artikel zum Thema:
DNA (3/10): Lei­den­schaftlich für den Schutz des Lebens
Chester­ton und das Wun­der von England.

Fuss­noten:
[1] Tom Davis, «Sacred Work», S6
[2] Tom Davis, «Sacred Work», ix
[3] Der Artikel «Lei­den­schaftlich für den Schutz des Lebens» von Josua Hun­zik­er wiedergibt aus­führlich die Hal­tung, welche auch ich teile: https://danieloption.ch/ethik/dna‑3–10-leidenschaftlich-fuer-den-schutz-des-lebens/
[4] https://www.lifenews.com/2017/01/12/religious-leaders-bless-opening-of-new-planed-parenthood-abortion-clinic-call-it-sacred-work/
[5] John A.T.Robinson, ‘Hon­est to God’, S115
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Gott-ist-tot-Theologie
[7] Die Über­schrift eines der Kapi­tel im Buch ‘Hon­est to God’ von John A.T. Robinson
[8] Sue Ellen Brow­der berichtet aus­führlich davon in ihrem Buch «Sub­vert­ed», in dem sie von ihrer eige­nen Abtrei­bung berichtet.
[9] Social Gospel Expo­nen­ten waren typ­is­cher­weise Post­mil­leni­an­is­ten. Sie sahen es als Auf­gabe des Men­schen, die Wiederkun­ft Christi durch die Schaf­fung ein­er geheiligten Gesellschaft herbeizuführen.
[10] Als Beispiel kann die Befür­wor­tung von Eugenik durch viele Social-Gospel Vertreter aufge­führt wer­den. Vgl. Dazu das Buch Preach­ing Eugen­ics von Chris­tine Rosen.
[11] Vgl. Doris Andrea Dirks, Patri­cia A. Relf, «To Offer Com­pas­sion», S7
[12] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», xi
[13] https://ungeborene.de/abtreibung/risiken/psychische-risiken
[14] https://www.ief.at/abtreibung-schmerzempfindung-ab-der-12-schwangerschaftswoche/
[15] Newsweek Mag­a­zine, 9. Juli 1973, «The abor­tion culture»
[16] So wird das Buch durch den kurz nach Buchveröf­fentlichung ver­stor­be­nen C.S. Lewis in seinem let­zten Inter­view fol­gen­der­massen kom­men­tiert: “I pre­fer being hon­est to being ‘hon­est to God.” Link: https://www.cbn.com/special/Narnia/articles/ans_LewisLastInterviewA.aspx
[17] Gemäss Aus­sage des Ver­lags verkaufte sich das Buch “schneller als jedes andere neue Buch ser­iös­er The­olo­gie sich je verkauft hat”, Vgl. das Buch «Hon­est to God Debate», 1963
[18] Vgl. Doris Andrea Dirks, Patri­cia A. Relf, «To Offer Com­pas­sion», S152
[19] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S97, 100, 148
[20] Joseph Fletch­er, «Sit­u­a­tion Ethics», S135
[21] Joseph Fletch­er, «Sit­u­a­tion Ethics», S124
[22] Fletch­er hat sich inten­siv mit dem Util­i­taris­mus von Ben­tham und Mill und dem Prag­ma­tismus von Peirce, Dewey, and James befasst. Siehe: https://biography.yourdictionary.com/joseph-francis-fletcher
[23] Vgl. John A.T.Robinson, «Hon­est to God», Vor­wort, S130, 131
[24] Fletch­er, «Morals and Med­i­cine», S???
[25] Joseph Fletch­er, «Sit­u­a­tion Ethics», S39
[26] Fletch­er, «Morals and Med­i­cine», S218.
[27] Vgl. The Hast­ings Cen­ter Report , Nov. 1972
[28] Fletch­er, «Morals and Med­i­cine», S150
[29] The Human­ist (July-August 1974), Zitiert aus dem Buch «What hap­pened to the human Race», Schaeffer/Koop, 1979
[30]Robert H. Williams (ed.), «To Live and to Die», S119, Vgl. Fletch­ers Buch «The Ethics of Genet­ic Con­trol: End­ing Repro­duc­tive Roulette», 1972
[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtung_lebensunwerten_Lebens
[32] Robert H. Williams (ed.), «To Live and to Die», S114
[33] https://www.facebook.com/sam.allberry/posts/10165783108365397
[34] Klaus Bock­mühl, «Gott im Exil – zur Kri­tik an der ‚Neuen Moral‘», S211

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

9 Comments

  1. Benjamin

    vie­len Dank für Ihre Rück­mel­dung und die inter­es­sante Per­spek­tive, die Sie einge­bracht haben. Ich schätze den Aus­tausch, auch wenn wir unter­schiedliche Ansicht­en vertreten.

    Zwar gibt es Stu­di­en, die die Möglichkeit ein­er Schmerzempfind­ung bere­its in der 7.–8. Woche disku­tieren, jedoch gibt es auch eine Vielzahl von wis­senschaftlichen Arbeit­en, die dies wider­legen oder als sehr unwahrschein­lich eracht­en. Der Kon­sens unter den meis­ten Fach­leuten, ein­schließlich der Amer­i­can Col­lege of Obste­tri­cians and Gyne­col­o­gists (ACOG), ist, dass die neu­rol­o­gis­che Entwick­lung und die Fähigkeit zur bewussten Schmerzempfind­ung erst nach der 24. Woche gegeben sind. 

    Auch wenn es möglich ist, dass Föten auf bes­timmte Reize reagieren, bedeutet dies nicht zwangsläu­fig, dass sie Schmerz in dem Sinne empfind­en, wie wir es bei gebore­nen Men­schen tun. Reflexar­tige Reak­tio­nen sind nicht gle­ichzuset­zen mit einem bewussten Erleben von Schmerz. Die neu­rol­o­gis­che Grund­lage für Schmerzempfind­ung im men­schlichen Sinne ist erst in späteren Entwick­lungsphasen aus­re­ichend ausgebildet.

    Ich ver­ste­he Ihre Posi­tion, dass es eine Minorität gibt, die dem unge­bore­nen Leben eine Stimme geben möchte. Den­noch ist es für mich von großer Bedeu­tung, dass wir auch die Stimme der Frauen und ihre Rechte in diesen Diskus­sio­nen nicht vergessen. Die Entschei­dung über den eige­nen Kör­p­er sollte mein­er Mei­n­ung nach in den Hän­den der betrof­fe­nen Per­son liegen.

    Reply
    • Benjamin

      Ein weit­er­er wichtiger Aspekt, den wir in dieser Diskus­sion berück­sichti­gen soll­ten, sind die Fol­gen ein­er Ille­gal­isierung von Abtrei­bun­gen. Wenn wir uns die Dat­en und Stu­di­en anse­hen, wird deut­lich, dass solche Maß­nah­men nicht zwangsläu­fig zu einem Rück­gang der Abtrei­bun­gen führen. Tat­säch­lich zeigen viele Unter­suchun­gen, dass die Ille­gal­isierung von Abtrei­bun­gen häu­fig zu einem Anstieg unsicher­er und unreg­uliert­er Ver­fahren führt. Frauen, die keinen Zugang zu sicheren Abtrei­bungsmöglichkeit­en haben, sehen sich gezwun­gen, auf gefährliche Meth­o­d­en zurück­zu­greifen, was nicht nur zu schw­eren gesund­heitlichen Kom­p­lika­tio­nen, son­dern in extremen Fällen sog­ar zum Tod führen kann.
      Beson­ders betrof­fen von ein­er Ille­gal­isierung wären vor allem Frauen aus einkom­menss­chwachen Ver­hält­nis­sen, die sich keine sicheren Abtrei­bun­gen leis­ten kön­nen oder nicht die Möglichkeit haben, in ein Land zu reisen, in dem Abtrei­bun­gen legal sind. Dies würde die beste­hende soziale Ungle­ich­heit weit­er ver­stärken und die ohne­hin benachteiligten Grup­pen noch stärk­er marginalisieren.
      Darüber hin­aus sollte nicht vergessen wer­den, dass Frauen, die gezwun­gen sind, eine unge­wollte Schwanger­schaft auszu­tra­gen, oft unter erhe­blichen psy­chis­chen Belas­tun­gen lei­den. Die Auswirkun­gen auf ihre men­tale Gesund­heit kön­nen gravierend sein und lan­gan­hal­tende Fol­gen für ihr Wohlbefind­en haben. Daher ist es von entschei­den­der Bedeu­tung, die Diskus­sion um Abtrei­bung nicht nur aus ein­er moralis­chen Per­spek­tive, son­dern auch unter Berück­sich­ti­gung der gesund­heitlichen und sozialen Kon­se­quen­zen zu führen.

      Her­zliche Grüße,
      Benjamin

      Reply
  2. Benjamin

    Die Diskus­sion um das Recht auf Abtrei­bung ist entschei­dend für die Autonomie und das Woh­lerge­hen von Frauen. Viele Wis­senschaftler argu­men­tieren, dass das Leben nicht nur mit der Zell­teilung begin­nt, son­dern von der Entwick­lung des Ner­ven­sys­tems abhängt, das erst um die 24. Schwanger­schaftswoche voll­ständig entwick­elt ist. Vor diesem Zeit­punkt ist es unwahrschein­lich, dass ein Fötus Schmerz empfind­en kann, was die moralis­chen Imp­lika­tio­nen ein­er Abtrei­bung beeinflusst.

    Die Über­lebens­fähigkeit eines Fötus, also die Fähigkeit, außer­halb des Mut­ter­leibs zu über­leben, liegt nor­maler­weise zwis­chen der 24. und 28. Woche. In den frühen Sta­di­en der Schwanger­schaft glauben viele, dass die Rechte der schwan­geren Per­son über die des Fötus gestellt wer­den soll­ten, da der Fötus noch nicht die Fähigkeit zur Wahrnehmung hat.

    Das Recht auf Abtrei­bung wird oft mit der Über­legung verknüpft, dass Frauen das Recht haben soll­ten, über ihren eige­nen Kör­p­er zu entschei­den. Diese Entschei­dung bet­rifft nicht nur die per­sön­liche Frei­heit, son­dern auch die Gesund­heit und Leben­sum­stände der Frau. Es ist wichtig, dass Frauen informierte Entschei­dun­gen tre­f­fen kön­nen, die ihre Leben­squal­ität betreffen.

    In ein­er respek­tvollen Diskus­sion sollte die Autonomie der Frau im Mit­telpunkt ste­hen, ins­beson­dere in den frühen Sta­di­en der Schwanger­schaft. Das Recht auf Abtrei­bung ist daher nicht nur eine Frage der Wahl, son­dern auch der Gerechtigkeit und der Anerken­nung der kom­plex­en Real­ität, mit der viele Frauen kon­fron­tiert sind.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Grüezi Ben­jamin
      Du erwähnst das Wis­senschaftler argu­men­tieren, dass es unwahrschein­lich ist, das unge­borene Kinder in der 24 Woche bere­its Schmerz empfind­en. Eine sehr aktuelle und promi­nent pub­lizierte wis­senschaftliche Forschungsar­beit pos­tuliert aber eine viel frühere Schmerzempfind­samkeit. Konkret kön­nte ein unge­borenes Kind bere­its 7–8 Wochen nach Zeu­gung Schmerz empfind­en: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8935428/
      Es ist grundle­gend schwierig, eine Abtrei­bung mit möglicher­weise nicht vorhan­den­em Schmerzempfind­en zu begrün­den. Wir wis­sen es let­z­tendlich nicht genau, wann das Schmerzempfind­en ein­set­zt, und das ist ein Argu­ment, welch­es gegen Abtrei­bung spricht.
      Eben­so halte ich nicht viel vom Argu­ment der Lebens­fähigkeit ausser­halb des Mut­ter­leibs. Auch ein bere­its geborenes Kind ist ohne Hil­fe und Schutz und Für­sorge nicht über­lebens­fähig, genau­so wie das unge­borene Kind im Mut­ter­leib. Mit der Geburt ändert sich in dieser Hin­sicht erst­mal nichts. Deshalb taugt m.E. die Über­lebens­fähigkeit des Kindes auch nicht wirk­lich als Argu­ment, will man einen Zeit­punkt fes­tle­gen wo Abtrei­bung ges­tat­tet respek­tive nicht mehr ges­tat­tet sein soll.
      Es fehlt hier der Platz, das alles aus­führlich zu disku­tieren. Wie wir bei­de wis­sen ist Abtrei­bung in unseren Bre­it­en­graden eine geset­zlich ver­ankerte Real­ität. Diejeni­gen, welche wie ich dem unge­bore­nen Leben eine Stimme geben wollen bilden eine kleine Minorität. Umso schräger mutet es an, mit was für ein­er Vehe­menz gegen diese ange­gan­gen wird.
      Nochmals danke für deine Voten.
      Peter Bruderer

      Reply
  3. Benjamin

    Herr Brud­er­er, Ihr Text ver­all­ge­mein­ert die Rolle der protes­tantis­chen Pas­toren und The­olo­gen, indem er sie als Haup­tak­teure der Legal­isierung von Abtrei­bung darstellt, und ignori­ert die Vielzahl der beteiligten Stim­men. Die emo­tionale Rhetorik, wie etwa der Begriff „Aus­löschen von unschuldigem und wehrlosem men­schlichen Leben“, trägt zur Stig­ma­tisierung der Debat­te bei und erschw­ert den Dia­log. Zudem wird die Per­spek­tive der Frauen, die aus ver­schiede­nen Grün­den eine Abtrei­bung in Anspruch nehmen, nicht aus­re­ichend berücksichtigt.

    Die Analyse des his­torischen Kon­textes der 1960er Jahre kön­nte ver­tieft wer­den, um die Beweg­gründe der Pas­toren bess­er zu ver­ste­hen. Ihre starke Kri­tik an lib­eraler The­olo­gie lässt die pos­i­tiv­en Aspek­te und Bemühun­gen dieser The­olo­gen in der sozialen Gerechtigkeit außer Acht. Auch die Par­al­le­len zu anderen ethis­chen Fra­gen kön­nten dif­feren­ziert­er analysiert wer­den, um ein klar­eres Bild zu erhalten.

    Ins­ge­samt bietet Ihre Sicht eine inter­es­sante Per­spek­tive, ist jedoch stark vere­in­facht und emo­tion­al aufge­laden. Eine respek­tvolle und dif­feren­zierte Diskus­sion über die kom­plex­en The­men von Abtrei­bung und Frauen­recht­en wäre wün­schenswert, um ein voll­ständi­geres Bild der Real­ität zu vermitteln.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Grüezi Ben­jamin
      Ich schätze es, dass du meinen Artikel gele­sen hast. Ich gehe kurz auf einige dein­er Kri­tikpunk­te ein.
      Ziel des Artikels war es, die Entwick­lung ein­er the­ol­o­gis­chen Posi­tion, welche Abtrei­bung befür­wortet, nachzuze­ich­nen. Es war jedoch nicht Ziel des Artikels, die ver­schiede­nen möglichen the­ol­o­gis­chen Posi­tio­nen darzule­gen und abzuwä­gen. Das gewählte Ziel führt notge­drun­gen zu ein­er Fokussierung auf die Akteure und Argu­mente, welche Abtrei­bung the­ol­o­gisch ratio­nal­isierten. His­torisch gese­hen hat das Chris­ten­tum immer den Schutz des unge­bore­nen Lebens her­vorge­hoben. Die Entste­hung der the­ol­o­gis­chen Argu­mente für Abtrei­bung ist kirchen­his­torisch gese­hen ein neues Phänomen.
      Du wirf­st mir eine emo­tionale Rhetorik vor wenn ich vom „Aus­löschen von unschuldigem und wehrlosem men­schlichen Leben“ spreche. Tat­säch­lich ist eine Abtrei­bung jedoch genau das. Es hil­ft der Debat­te nicht, wenn wir sie mit beschöni­gen­den Euphemis­men führen. Es ist auch nicht so, dass ich blind wäre für die Per­spek­tive der Frauen, wie du sug­gerierst. So erwähne ich expliz­it die Her­aus­forderun­gen, denen sich schwan­gere Frauen in den 60ern teil­weise aus­ge­set­zt sahen. Zitat:
      «Erst­mal – und das scheint mir tat­säch­lich wichtig – muss man sich der reellen Her­aus­forderun­gen bewusst sein, welche unge­wollte oder unge­plante Schwanger­schaften in den USA der 60er Jahre mit sich brin­gen kon­nten. Die soziale Äch­tung unver­heirateter Müt­ter war vielerorts eine gesellschaftliche Tat­sache. Daneben gab es auch sehr greif­bare geset­zliche Missstände. So gab es zum Beispiel keinen arbeit­srechtlichen Schwanger­schaftss­chutz. Eine arbeit­stätige Frau, welche Schwanger wurde, musste davon aus­ge­hen, dass sie ihre Arbeit ver­liert. Dazu kamen die gesund­heitlichen Risiken ille­galer Abtrei­bun­gen. Gesellschaftliche Aus­gren­zung, dro­hende soziale Benachteili­gung und eine poten­tiell gesund­heits­ge­fährdende ‘Lösung’ des Prob­lems – das war eine Kom­bi­na­tion die wohl tat­säch­lich viele Frauen in die Verzwei­flung getrieben hat.»
      Soweit eine Reak­tion von mein­er Seite. Nochmals Danke, dass du den Artikel gele­sen hast.
      Peter Bruderer

      Reply
  4. Peter Bruderer

    Es gab in den Sozialen Medi­en noch eine inter­es­sante Rück­frage zur Sit­u­a­tion­sethik Bon­ho­ef­fers. Dazu fol­gende Rück­mel­dung von mir:
    “Ja Bon­hoe­fer und seine Sit­u­a­tion­sethik ist mir unter anderem bei Bischof Robin­son begeg­net. Bon­hoe­fers ‘Reli­gion­slos­es Chris­ten­tum’ war für diesen eine Inspi­ra­tionsquelle. Das ‘Bon­hoe­fer-Fass’ wollte ich nun aber wirk­lich nicht auf­machen, und mich dann von 1000en sich wider­sprechen­den Spezial­is­ten in die Pfanne hauen lassen… 🙂
    Meine Kri­tik bet­rifft auch weniger eine Sit­u­a­tionethik per se, son­dern eine Ethik die meint, die Rück­bindung an die Gebote Gottes nicht mehr nötig zu haben. Wohin dies führen kann zeigt das Beispiel von Fletch­er lei­der ein­drück­lich. Natür­lich ist ‘Sit­u­a­tion’ immer ein Teil in jed­er ethis­chen Abwä­gung. Es war aber nicht das Ziel in diesem Artikel, eine aus­ge­wo­gene Ethik zu beschreiben. Vielmehr ver­suche ich auf­grund aufge­fun­den­er Hand­lun­gen her­auszufind­en, woher die Ideen kamen. Also so etwas wie der umgekehrte Prozess: folge dem Fluss rück­wärt und suche die Quelle(n). Im Fall von Abtrei­bung in Ameri­ka führen sie neben den Social Gospel Expo­nen­ten auch zu Fletch­er. Den Typen kan­nte ich vorher nicht. Er ist mir durch das Studi­um der ‘christlichen’ Abtrei­bun­gak­tivis­ten begeg­net. Dann fängst du an ihn zu studieren, und merkst wie ein­flussre­ich seine Ideen unter den The­olo­gen sein­er Zeit waren, auch in Europa. Und ehrlich gesagt — sie sind es auch heute. Die Diskus­sion um Euthanasie/Sterbehilfe scheint erst grad wieder Fahrt aufzunehmen in reformierten Kreisen.”

    Die Posi­tion Bon­hoe­fers zur Abtrei­bungs­frage war sehr klar (Ethik, Werkaus­gabe, Bd. 6, S. 203–204):
    “Mit der Eheschließung ist die Anerken­nung des Recht­es des wer­den­den Lebens ver­bun­den, als eines Recht­es, das nicht in der Ver­fü­gung der Eheleute ste­ht. Ohne die grund­sät­zliche Anerken­nung dieses Recht­es hört eine Ehe auf Ehe zu sein und wird zum Ver­hält­nis. In der Anerken­nung aber ist der freien Schöpfer­ma­cht Gottes, der aus dieser Ehe neues Leben her­vorge­hen lassen kann nach seinem Willen, Raum gegeben. Die Tötung der Frucht im Mut­ter­leib ist Ver­let­zung des dem wer­den­den Leben von Gott ver­liehenen Leben­srecht­es. Die Erörterung der Frage, ob es sich hier schon um einen Men­schen han­dele oder nicht, ver­wirrt nur die ein­fache Tat­sache, daß Gott hier jeden­falls einen Men­schen schaf­fen wollte und daß diesem wer­den­den Men­schen vorsät­zlich das Leben genom­men wor­den ist. Das aber ist nichts anderes als Mord. Daß die Motive, die zu ein­er der­ar­ti­gen Tat führen, sehr ver­schiedene sind, ja daß dort, wo es sich um eine Tat der Verzwei­flung in höch­ster men­schlich­er oder wirtschaftlich­er Ver­lassen­heit und Not han­delt, die Schuld oft mehr auf die Gemein­schaft als auf den Einzel­nen fällt, daß schließlich ger­ade an diesem Punkt Geld sehr viel Leicht­fer­tigkeit zu ver­tuschen ver­mag, während bei den Armen auch die schw­er abgerun­gene Tat leichter ans Licht kommt, dies alles berührt unzweifel­haft das per­sön­liche, seelsorger[liche] Ver­hal­ten gegenüber dem Betrof­fe­nen ganz entschei­dend, es ver­mag aber an dem Tatbe­stand des Mordes nichts) zu ändern. Ger­ade die Mut­ter, der dieser Entschluß zum Verzweifeln schw­er wird, weil er gegen ihre eigen­ste Natur geht, wird die Schwere der Schuld am wenig­sten leug­nen wollen.”

    Quelle: https://theoblog.de/dietrich-bonhoeffer-die-anerkennung-des-rechts-werdenden-lebens/33062/?fbclid=IwAR2Nf2g-VP88ephOwyzCbfyUGlscwgquRcVsfls4vglG-0pJmIdBQl4HkR8

    Reply
  5. Peter Bruderer

    Danke Vik­tor. Ich habe den Artikel noch durch fol­gen­den Vers ergänzt, der glaube ich das Zusam­men­hang von Liebe und Geboten gut beschreibt (Joh 15,9–10): «Bleibt in mein­er Liebe! Wenn ihr meine Gebote hal­tet, werdet ihr in mein­er Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehal­ten habe und in sein­er Liebe bleibe.» Anders aus­ge­drückt: Liebesverir­rung fängt dort an, wo wir in den Geboten nicht mehr den guten Vater im Him­mel sehen.

    Reply
  6. Viktor Pfister

    Ich meine, es ist richtig, dass wir uns an der Liebe ori­en­tieren. Was also ist Liebe? Ich? Die Gesellschaft? Unsere Ent­deck­un­gen und Erken­nt­nisse? Unsere Möglichkeit­en? Was leit­et uns zum Han­deln angesichts der erdrück­enden und zum Him­mel schreiben­den Not unser­er Gesellschaft? Liebe? Wirk­lich Liebe? Gott ist Liebe. Also gibt es nichts anderes für uns, als dass wir uns an Gott ori­en­tieren, wenn wir von Liebe reden. Und Gott ist der, der Leben schafft und dur­chaus auch töten kann. Uns aber sagt Gott: Du sollst nicht töten. Der Weg, der nicht neues Verder­ben, son­dern Leben bringt, ist schmal. Es braucht mutige Stille, Gott genau zuzuhören, und dann allen­falls ein Han­deln zu find­en, das nicht sofort offen­sichtlich auf der Hand liegt und vielle­icht auch nicht ger­ade grosse gesellschaftliche Akzep­tanz find­et — aber men­schen­würdi­ger ist, zum Leben führt. — »Geht durch das enge Tor! Denn das Tor zum Verder­ben ist bre­it und eben­so die Straße, die dor­thin führt. Viele sind auf ihr unter­wegs. 14 Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dor­thin schmal. Nur wenige find­en ihn.« Matthäus 7:13–14

    Reply

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