Abtreibung (1/5) – ein heiliges Werk?

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Der Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA hat­te unter anderem drei wichtige Motoren: die Ver­fechter der sex­uellen Rev­o­lu­tion, die fem­i­nis­tis­che Bewe­gung und eine Gilde lib­eraler The­olo­gen, welche der Abtrei­bung­sprax­is eine moralis­che Legit­i­ma­tion gab. Wie es zur Zusam­me­nar­beit aller drei Inter­es­sen­grup­pen und damit zur Bil­dung ein­er ein­flussre­ichen poli­tis­chen Koali­tion kam, davon han­delt dieser Artikel.

Die Kri­tik an Don­ald Trump war beis­send, als er 2020 unbe­holfen vor der Kirche neben dem Weis­sen Haus eine Bibel hochhielt. Die Lage der Nation war anges­pan­nt. Es ging wohl darum, an seine ten­den­ziell kon­ser­v­a­tive Wäh­ler­ba­sis ein Zeichen von Moral und Stand­haftigkeit zu geben. Tat­säch­lich kon­nte man sich des Ein­drucks nicht erwehren, dass hier The­ater gespielt und die Bibel als poli­tis­che Waffe miss­braucht wurde. Kirch­liche Leit­fig­uren waren schnell zur Stelle mit berechtigter Kri­tik.

Als Joe Biden im Jan­u­ar 2021 als Präsi­dent verei­digt wird, ist bei vie­len die Erle­ichterung gross. Doch auch Biden hat es mit der Bibel. Seinen Amt­seid legt er ab auf der wohl grössten Fam­i­lien­bibel die man sich vorstellen kann. Eine der ersten Amt­shand­lun­gen von Biden ist es, durch seinen Vorgänger Don­ald Trump einge­führte Restrik­tio­nen der Finanzierung von Abtrei­bung per Dekret auss­er Kraft zu set­zen. Die welt­grösste Abtrei­bung­sor­gan­i­sa­tion Planned Par­ent­hood war ein Spon­sor sein­er Kan­di­datur, Biden liefert wonach diese ver­langt: mehr Geld für Abtrei­bung­spro­gramme. In diesem Fall bleibt der medi­ale Auf­schrei – mal abge­se­hen von Stim­men der Pro-Life Bewe­gung und der Katholis­chen Kirche — weit­ge­hend aus. Die kirch­lichen Leit­fig­uren jeden­falls, welche wenige Monate zuvor Trump an den Pranger gestellt hat­ten, schweigen.

Der Hin­ter­grund für diesen Artikel ist der fol­gende: Die Evan­ge­likalen in den USA sehen sich in den ver­gan­genen Jahren inten­siv­er Kri­tik aus­ge­set­zt wegen ihrer Poli­tisierung. Die in den USA äusserst ein­flussre­iche und the­ol­o­gisch eher kon­ser­v­a­tive Bewe­gung ste­ht ein­er lib­eralen Abtrei­bung­sprax­is ablehnend gegenüber. Sie hat sich, so eine These, im Nach­gang zur Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA im Jahr 1973 auf­grund der Abtrei­bungs­the­matik auch als poli­tis­che Kraft zusam­menge­fun­den – eine poli­tis­che Kraft welche kon­ser­v­a­tiv tickt und repub­likanisch wählt: Trump zum Beispiel. Ich per­sön­lich halte die zu starke Ver­schmelzung von Chris­ten­tum mit poli­tis­chen Pro­gram­men oder den Far­ben ein­er Nation­alflagge auch für problematisch.

Doch wer vorschnell kon­ser­v­a­tive Chris­ten wegen poli­tis­ch­er Ver­flech­tun­gen an den Pranger stellt, sollte auch einen Blick in die Geschichte wer­fen – zum Beispiel einen genaueren Blick in die Geschichte der Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA. Ein solch­er Blick zeigt eine weit­ere Real­ität, welche kaum Platz hat in den Nar­ra­tiv­en der Medi­en, näm­lich dass die Frage der Abtrei­bung lib­erale Pas­toren bere­its in den 60er Jahren in den poli­tis­chen Aktivis­mus getrieben hat, weit früher als das für Evan­ge­likale ein The­ma wurde. Ihr Ziel war klar: die Lib­er­al­isierung der restrik­tiv­en Abtreibungsgesetze.

Die These, dass lib­erale Chris­ten wom­öglich weit mehr poli­tisiert sind als kon­ser­v­a­tive, bestätigt auch eine aktuelle Forschungsar­beit aus dem USA: es sind weniger die viel­gerügten the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Chris­ten, welche ihre Iden­tität mass­ge­blich über Poli­tik definieren, son­dern in wesentlich stärk­erem Masse the­ol­o­gisch lib­erale Kreise. Am Beispiel der Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA lässt sich diese Poli­tisierung nachvollziehen.

Lawrence Lader und die vollendete sexuelle Revolution

Selb­st his­torisch inter­essierten Men­schen ist diese Schlüs­selper­son im Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA meist gän­zlich unbekan­nt: Lawrence Lad­er (1919–2006). Diese Per­son war es, welche in den 60er Jahren des 20. Jahrhun­derts die entschei­den­den Kräfte zusam­men­brachte für eine der grössten gesellschaftlichen Rev­o­lu­tio­nen der ver­gan­genen 50 Jahre.

Aus wohlhaben­dem Eltern­haus stam­mend kommt Lad­er im Rah­men seines Har­vard Studi­ums mit marx­is­tis­chen Ideen in Kon­takt. Zum glühen­den Ver­fechter von Abtrei­bung entwick­elt er sich im Rah­men sein­er Recherchen zu ein­er Biografie[1] über Mar­garet Sanger (1879–1966). Lad­er ste­ht dabei in inten­sivem per­sön­lichen Kon­takt mit dieser kon­tro­ver­sen Vorkämpferin für Frauen­rechte und Ver­hü­tung, welche neben­bei eine lei­den­schaftliche Ver­fech­terin von Eugenik und Rassen­hy­giene war[2]. Der Leit­spruch von Sanger[3]:

«Keine Frau kann sich frei nen­nen, welche nicht über ihren Kör­p­er bes­tim­men und diesen kon­trol­lieren kann. Keine Frau kann sich frei nen­nen, solange sie nicht selb­st wählen kann, ob sie eine Mut­ter sein wird oder nicht.»

Sanger selb­st hat­te ihre Bemühun­gen auf den Kampf um die Legal­isierung von Ver­hü­tungsmit­teln fokussiert. Der Kampf um Abtrei­bungsrechte stand nicht im Vorder­grund. Abtrei­bung emp­fand sie als Entwürdi­gung und Gesund­heits­ge­fährdung der Mut­ter, aber nichts­destotrotz als mögliche Form der Geburtenkon­trolle[4]. Das Wohl unge­boren­er oder geboren­er Kinder inter­essierte sie wenig. Unter anderem ver­nach­läs­sigte sie ihre eige­nen Kinder oder hat sie gar samt Ehe­mann ver­lassen[5], um unge­hin­dert ihrem poli­tis­chen Aktivis­mus und diversen aussere­he­lichen Affären[6] nachge­hen zu kön­nen. Sanger sprach sich nach dem zweit­en Weltkrieg für ein europaweites, zehn­jähriges Mora­to­ri­um bei der Kinderzeu­gung aus. Das sei die ‘prak­tis­che und humane’ Lösung für das vom Krieg zer­rüt­tete Europa.

Mar­garet Sanger war eine Vorkämf­perin für Geburtenkon­trolle und eine Ver­fech­terin von Eugenik und Rassen­hy­giene. Pho­to: Peter Bruderer

Für Lad­er kann das Sanger-Mantra der selb­st­bes­timmten, autonomen Frau nichts anderes bedeuten, als ein Recht auf Abtrei­bung. Nur die Frau, welche auch ein Recht auf Abtrei­bung hat, ver­fügt ganz über ihren Kör­p­er. Doch die eigentliche Moti­va­tion von Lad­er dürfte weniger im Kampf um Frauen­rechte gele­gen sein, als in der Ver­wirk­lichung der sex­uellen Rev­o­lu­tion. Durch die Ein­führung der Pille in den USA (1960) und die bald darauf fol­gende endgültige Legal­isierung von Ver­hü­tungsmit­teln (1965) war Sex von Repro­duk­tion entkop­pelt wor­den. Damit war auch für die Sex­u­al­rev­o­lu­tionäre jen­er Zeit die Grund­lage geschaf­fen, per­sön­liche Sex­u­al­ität risiko­los auch ausser­halb ehe­lich­er Bande ausleben zu kön­nen, ohne lästige ‘Neben­pro­duk­te’ wie Kinder. Doch ein Restrisiko war noch vorhan­den. Erst das Recht auf Abtrei­bung würde dieses ‘let­zte Risiko’ eli­m­inieren. In seinem späteren Werk Abor­tion II (1973) beschreibt Lad­er die von ihm gewün­schte Wirkung in seinem Kampf um Abtrei­bungsrechte fol­gen­der­massen[7]:

«Sich für das Recht auf Abtrei­bung einzuset­zen bedeutete, das entschei­dende Boll­w­erk gegen die Unmoral niederzureis­sen. Ob für das Sin­gle-Mäd­chen oder die ver­heiratete Frau: es bedeutete die Zer­störung der ulti­ma­tiv­en Bestra­fung für Sex und erlaubte das Vergnü­gen von Sex um sein­er selb­st willen, ohne die beglei­t­ende Pflicht ein Kind zu gebären.»

Um sein Ziel zu erre­ichen, dieses Restrisiko zu eli­m­inieren, set­zt Lad­er auf das, was er am besten kann: er schreibt.

«Abortion» – ein Buch für die Geschichtsbücher 

In seinem Buch ‘Abor­tion’ aus dem Jahre 1966 legt Lawrence Lad­er seine Begrün­dung für die Legal­isierung von Abtrei­bung dar[8]. Bere­its auf dem Cov­er des Buch­es wird der Anspruch deut­lich gemacht[9]:

«Der erste autori­ta­tive und doku­men­tierte Bericht über die Geset­ze und Prak­tiken welche in den USA und weltweit über Abtrei­bung bes­tim­men und wie – um der Frauen willen – diese reformiert wer­den kön­nen und müssen»

Nur sieben Jahre später, 1973, wird der ober­ste Gericht­shof der USA in seinem Entscheid Roe vs. Wade Abtrei­bung legal­isieren. Der Blick in die Urteils­be­grün­dung des Ober­sten Gericht­shofeser USA zeigt Erstaunlich­es. Min­destens sieben Mal, gemäss gewis­sen Quellen sog­ar acht Mal wird in der Begrün­dung aus dem Buch von Lawrence Lad­er zitiert. Das Buch und sein Autor sind ein Schlüs­sel, um die Entwick­lun­gen jen­er Jahre zu verstehen.

Lad­er knüpfte mit seinem Ein­satz für Abtrei­bung an das Werk von Mar­garet Sanger an. Die vom ihm ver­fasste Sanger-Biografie ent­stand in enger Zusam­me­nar­beit. Sanger sig­nierte die Büch­er teils per­sön­lich (siehe Bild). Pho­to: Peter Bruderer

Die Wahrheit über das Buch von Lad­er ist diese: Was als Sach­buch daherkam war vor allem ein gut getrimmtes Stück Pro­pa­gan­da. So wur­den Sta­tis­tiken verz­er­rt[10], das geschichtliche Nar­ra­tiv mit bewussten Falschin­for­ma­tio­nen und ein­seit­iger Selek­tion in die gewün­schte Rich­tung getrieben[11] und so ein ver­meintlich schlüs­siger Fall aufgebaut.

Als ein Beispiel unter vie­len für die manip­u­la­tive Art und Weise der Infor­ma­tionsver­w­er­tung kann Lader’s Erwäh­nung des ersten US-Gynäkolo­gen Hor­a­tio Robin­son Stor­er (1830–1922) erwäh­nt wer­den. Diese für die Geschichte der Abtrei­bung entschei­dende Per­sön­lichkeit wird von Lad­er zitiert um aufzuzeigen, das Abtrei­bun­gen Mitte des 19. Jahrhun­dert eine gesellschaftliche Real­ität sind. Lad­er nutzt diese Infor­ma­tion als Baustein für seine Logik: die Mitte des 20. Jahrhun­derts gel­tenden Abtrei­bungsver­bote waren nur zeit­geistige Erschei­n­un­gen ohne lange Tra­di­tion, die man ruhig wieder abschaf­fen kann. Doch Lad­er instru­men­tal­isiert Stor­er für seine Zwecke. Völ­lig unge­nan­nt bleibt, dass dieser Abtrei­bung als abscheulich und unmen­schlich emp­fand und sich mit all sein­er Macht dage­gen ein­set­zte. Ein Zitat aus der bekan­ntesten Schrift von Stor­er fasst seine Sicht der Dinge zusam­men[12]:

«Abtrei­bung ist in Real­ität ein Ver­brechen gegen das Kind, seine Mut­ter, seine Fam­i­lie und die Gesellschaft.»

Hor­a­tio Robin­son Stor­er, Pio­nier der Gynäkolo­gie. Pho­to: unbekannt

Der ober­ste Gericht­shof würde 1973 den his­torischen Nar­ra­tiv­en von Lad­er und einem sein­er Mit­stre­it­er, dem Ver­fas­sungsrechtler Cyril Means, fol­gen. Means war wie Lad­er Athe­ist und Mit­glied im Beirat von NARAL, ein­er von Lad­er gegrün­de­ten Lob­by-Organ­i­sa­tion zu Lib­er­al­isierung der beste­hen­den Abtrei­bungs­ge­set­ze. Das von ihm ver­fein­erte Nar­ra­tiv wurde struk­turell und inhaltlich in die Urteils­be­grün­dung des Ober­sten Gericht­shofes aufgenom­men und zeich­nete fol­gen­des Bild über die Zeit der ver­fas­sungs­geben­den Grün­derväter der USA[13]:

  1. Vor der Ein­führung von entsprechen­den Abtrei­bungs­ge­set­zen im 19. Jahrhun­dert wurde Abtrei­bung nicht als Ver­brechen tax­iert und bestraft.
  2. Vor der Ein­führung von entsprechen­den Abtrei­bungs­ge­set­zen im 19. Jahrhun­dert war Abtrei­bung ver­bre­it­et und rel­a­tiv sich­er.
  3. Die Abtrei­bungs­ge­set­ze des 19. Jahrhun­derts wur­den nicht einge­führt, um das Leben des unge­bore­nen Kindes zu schützen, son­dern Leben und Gesund­heit der Mut­ter.
  4. Die treibende Kraft hin­ter Abtrei­bungs­ge­set­ze des 19. Jahrhun­derts waren Män­ner, welche die Konkur­renz durch Alter­na­tivmedi­zin prak­tizierende Frauen unter­drück­en wollten.

Die Logik der his­torischen Argu­men­ta­tion war klar: wenn zum Zeit­punkt der Erstel­lung der US-Ver­fas­sung Abtrei­bung in der Frei­heit des Bürg­ers lag, dann müsste es dies auch heute sein. Doch gemäss dem Recht­spro­fes­sor Joseph Del­lapen­na, welch­er den Wahrheits­ge­halt dieser neuen  ‘his­torischen Ortho­dox­ie’ 2006 unter­suchte, waren alle vier ins Feld geführten his­torischen Argu­mente nicht kor­rekt. Unter dem Vor­wand der unpartei­is­chen Gelehrsamkeit waren ide­ol­o­gis­che Ziele ver­fol­gt wor­den. Del­lapen­na – selb­st kein Geg­n­er von Abtrei­bung — entza­ubert das Nar­ra­tiv in seinem akribisch recher­chierten, 1300 Seit­en umfassenden Werk «Dis­pelling the Myths of Abor­tion His­to­ry».[14] Aber Lügen, welche sich ein­mal fest­ge­set­zt haben, lassen sich nicht so schnell vertreiben. Bis heute wer­den sie wieder­holt — oft in gutem Glauben[15].

Mit dem Erscheinen des Buch­es «Abor­tion» jeden­falls lässt sich die Presse bere­itwillig auf die Nar­ra­tive von Lad­er ein. Dieser lässt Geld und Beziehun­gen spie­len. Im Mai 1966 – unmit­tel­bar nach dem Erscheinen des Buch­es – kann er bei Read­ers Digest einen ganz grossen Tre­f­fer lan­den. Das Mag­a­zin, welch­es als Inbe­griff von Gut­bürg­er­tum und Seriosität mit ein­er Auflage von über 26 Mil­lio­nen den Weg in so ziem­lich jeden US-Haushalt find­et, druckt eine Zusam­men­fas­sung des Buch­es ab, welch­es die wesentlichen Argu­mente und Emo­tio­nen an den Mann respek­tive die Frau bringt[16]: Die herzzer­rreis­sende Geschichte von der verge­waltigten Frau die schwanger wird. Die ‘heuch­lerische’ Geset­zge­bung welche nicht mehr die sozialen Real­itäten abbilde. Die drama­tis­chen Gefahren bei ille­galen Abtrei­bun­gen. Die früheren Hochkul­turen, bei denen Abtrei­bung eine Selb­stver­ständlichkeit gewe­sen sei. Ja, Abtrei­bun­gen seien zuallererst vor allem ein Bedürf­nis ver­heirateter Frauen und nur am Rande von Bedeu­tung für sex­uell freizügige Sin­gles. Das unge­borene Kind sei eigentlich nur ‘poten­tielles Leben’, kein wirk­lich­es Leben. Ja, das aller­schlimm­ste für ein Kind sei es, wenn es real­isiere, dass es unge­wollt ist. Das seien die Kinder mit denen die sozialen Insti­tu­tio­nen des Lan­des über­flutet wür­den. Der ‘Kon­sens’ unter ‘aufgek­lärten Medi­zin­ern und Rechts­gelehrten’ sei ein­deutig: Die Zeit für Refor­men sei gekom­men. Das allerbeste sei es, zitiert Lad­er zum krö­nen­den Abschluss eine Sozialar­bei­t­erin, das Prob­lem ‘bei der Wurzel zu pack­en’: es sei gesellschaftliche Pflicht, das kein Kind ‘unge­wollt, ungeliebt und ohne Umsorgung’ auf die Welt komme.

Schützen­hil­fe find­et Lad­er auch bei Planned Par­ent­hood. Die von Mar­garet Sanger geprägte Organ­i­sa­tion hat­te unter der Leitung ihres neuen Präsi­den­ten Alan Guttmach­er die Vor­be­halte gegenüber Abtrei­bung über Bord gewor­fen und würde zum welt­grössten Anbi­eter von Abtrei­bun­gen mutieren – ein Geschäft, welch­es bis heute einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes ausmacht.

Organ­i­sa­tio­nen wie Planned Par­ent­hood oder das Kin­sey Insti­tut arbeit­eten in den 60er Jahren aktiv auf eine Lib­er­al­isierung der Abtrei­bungs­ge­set­ze hin. Pho­to: Peter Bruderer

Natür­lich war die Vorstel­lung eines unge­hin­derten Zugangs zu Abtrei­bung auch für die wach­senden Indus­triezweige rund um die sex­uelle Rev­o­lu­tion eine grossar­tige Vorstel­lung. Die Män­nerzeitzeitschrift Play­boy, welche in den späten 60ern und frühen 70ern mit Aufla­gen­spitzen von über 7 Mil­lio­nen Exem­plaren eine bedeu­tende pub­lizis­tis­che Wirkung hat­te, fordert im Gle­ich­schritt mit Lad­er in umfan­gre­ichen redak­tionellen Beiträ­gen das Abtrei­bungsrecht für Frauen ein[17]. Das spielt zufäl­liger­weise auch den Wün­schen in die Hände der eige­nen, lust­getriebe­nen männlichen Leserschaft.

Gele­gen kommt Lad­er auch die Angst vor ein­er weltweit­en Bevölkerung­sex­plo­sion, welche in den 60er Jahren auf einen Höhep­unkt zus­teuert und die er selb­st aktiv mitschürt. Für die Inter­essens­grup­pen, welche vor Über­bevölkerung war­nen, sind Kinder kein Geschenk son­dern ein Prob­lem für die Welt. Abtrei­bung als Ele­ment ein­er ver­stärk­ten Fam­i­lien­pla­nung könne einen Beitrag zur Lösung des Prob­lems sein, sug­geriert Paul Ehrlich im Jahr 1968 in seinem alarmistis­chen Weltbestseller«The Pop­u­la­tion Bomb»[18] . Auf der Liste sein­er Lese-Empfehlun­gen: das Buch «Abor­tion» von Lad­er. Dieser wiederum bedankt sich mit seinem 1971er Buch «Breed­ing Our­selves to Death», einem weit­eren alarmistis­chen Buch zum The­ma. Gemäss dem His­torik­er Dr. Allan Carl­son ist die von reichen und ein­flussre­ichen Fam­i­lien (Rock­e­feller, Ford…) bewusst mit­geschürte Angst als wesentlich­er Fak­tor für die steigende Aktzep­tanz von Geburtenkon­trolle und Abtrei­bung in den 60er Jahren zu werten.

Der Weltbest­seller “The Pop­u­la­tion Bomb” von Paul Ehrlich ging auf ein gle­ich­nah­miges Trak­tat der Hugh Moore Foun­da­tion zurück. Diese Stiftung engagierte sich unter anderem mit ganz­seit­i­gen Inser­at­en in der New York Times für ver­stärk­te Geburtenkon­trolle. Kinder wur­den als Bedro­hung für Welt­frieden und Ernährungssicher­heit präsen­tiert. Pho­to: Peter Bruderer

Die Hys­terie rund um das Bevölkerungswach­s­tum mag grosse Bedeu­tung gehabt haben in der ganzen Dynamik der öffentlichen Mei­n­ungs­bil­dung zum The­ma Abtrei­bung. Am aller­wichtig­sten für Lawrence Lad­er war aber das Endorse­ment durch seine gute Bekan­nte[19] Bet­ty Friedan (1921–2006). Die neue fem­i­nis­tis­che Leucht­fig­ur hat­te erst ger­ade mit ihrem Buch ‘The Fem­i­nine Mys­tique’ (1963) die 2. Welle des Fem­i­nis­mus los­ge­treten und rei­hte sich auf dem Buchrück­en von «Abor­tion» ein in die Gilde von Ärzten und Aktivis­ten, welche sich hin­ter das Anliegen ein­er lib­er­al­isierten Abtrei­bung­prax­is stell­ten. Gemäss Friedan war das Buch eine ‘mutige Blau­pause’ dessen, was Frauen tun müssten, um ‘den staatlichen Zwang’ zu brechen, dass Frauen Kinder gegen den eige­nen Willen gebären müssten. Friedan würde auch diejenige sein, welche 1968 das Recht auf freie Abtrei­bung gegen erhe­blichen inter­nen Wider­stand in den Forderungskat­a­log der von ihr gegrün­de­ten Nation­al Orga­ni­za­tion for Women (NOW) hinzufü­gen liess[20]. In der ein­flussre­ichen Frauen­rechts­be­we­gung, welche 1970 mit dem nationalen Frauen­streik in den USA seinen ersten grossen Höhep­unkt hat­te, würde neben vie­len berechtigten Anliegen auch legal­isierte Abtrei­bung laut­stark gefordert wer­den. Abtrei­bung bekam dank der Portierung durch die Frauen­rechts­be­we­gung den Anstrich eines ein­forder­baren Menschenrechts.

Zusam­men mit Bet­ty Friedan und dem Arzt Bernard Nathanson grün­dete Lad­er im Jahr 1968 die Nation­al Asso­ci­a­tion for the Repeal of Abor­tion Laws (NARAL), die erste Organ­i­sa­tion welche sich auss­chliesslich dem Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung wid­mete und mass­ge­blich mit­beteiligt war an der erfol­gre­ichen Beschre­itung des gerichtlichen Weg, welch­es im Entscheid Roe vs. Wade vom 22. Jan­u­ar 1973 Abtrei­bung in den USA als pri­vate Angele­gen­heit zwis­chen der Schwan­geren und ihrem Arzt deklar­i­eren würde.

Das Buch ‘The Fem­i­nine Mys­tique’ wurde ein Best­seller und machte Bet­ty Friedan zur neuen Leucht­fig­ur des Fem­i­nis­mus. Pho­to: Peter Bruderer

Der Pastor, dein Freund und Helfer

Doch um sein Ziel zu erre­ichen hat­te Lad­er noch eine weit­ere Ziel­gruppe fest im Visi­er: diejenige der Pas­toren und The­olo­gen. Diese sind neben der Frauen­be­we­gung der zweite Schlüs­sel, den er braucht, um in der bre­it­en Masse Glaub­würdigkeit für seine Anliegen zu finden.

Lad­er selb­st hat­te an Reli­gion wenig Inter­esse. Er war überzeugter Athe­ist und würde zusam­men mit Friedan und weit­eren Expo­nen­ten­er Abtrei­bungs­be­we­gung[21] Unterze­ich­n­er des human­is­tis­chen Man­i­fests von 1973 sein. Dass aber Pas­toren Schlüs­selper­so­n­en sind, um im hochre­ligiösen Ameri­ka zu Punk­ten, das war ihm wohl spätestens seit seinen Gesprächen mit Mar­garet Sanger klar. In sein­er Kam­pagne für lib­er­al­isierte Abtrei­bung spielt er das Spiel, welch­es schon Sanger in ihrem Kampf um das Recht auf Geburtenkon­trolle meis­ter­haft ver­standen hat­te: Das urprotes­tantis­che Feind­bild gegenüber den Katho­liken wird genährt, kon­ser­v­a­tive protes­tantis­che Stim­men wer­den ignori­ert, lib­erale Pas­toren umwor­ben und ihre Stim­men dann als ‘christlich­er Kon­sens’ präsen­tiert[22].

In seinem Buch wen­det Lad­er ein ganzes Kapi­tel auf um die kirch­liche Posi­tion in der Frage der Abtrei­bung zu erläutern. Dabei liegt sein Haup­tau­gen­merk darauf, Ambivalenz zu schaf­fen. Die äusserst klaren Aus­sagen der Kirchen­väter, welche Abtrei­bung kat­e­gorisch ablehn­ten, wer­den als Einzel­po­si­tio­nen von ‘eini­gen Extrem­is­ten’ präsen­tiert[23]. Als extrem­istisch zeich­net er auch die ‘weni­gen fun­da­men­tal­is­tis­chen Sek­ten’ und die Katholis­che Moral im 20. Jahrhun­dert[24]. Der kirch­liche Kon­sens in der Ver­gan­gen­heit habe sich an den Lehren von Aris­tote­les ori­en­tiert, welch­er eine 3‑stufige Entwick­lung der men­schlichen Seele lehrte[25]. Tat­säch­lich wurde die Lehre von Aris­tote­les von der katholis­chen Kirche aufge­grif­f­en und war über weite Teile des Mit­te­lal­ters und bis ins 19. Jahrhun­dert bes­tim­mend für die Beurteilung der Schwere eines Abtrei­bungs-Verge­hens. Was Lad­er unter­schlägt, ist das Abtrei­bung von der Katholis­chen Kirche zu jed­er Zeit und in jed­er Entwick­lungsphase als eine Sünde tax­iert wurde — es ging einzig um die Beurteilung der ‘Schwere’ der Sünde[26]. Jeden­falls ist das Faz­it von Lad­er klar: Die rigi­den Abtrei­bungs­ge­set­ze des 20. Jahrhun­derts seien Pro­duk­te ein­er moral­is­tis­chen Chris­ten­heit des 19. Jahrhun­derts[27] und kirch­liche Vor­be­halte gegenüber Abtrei­bung seien lediglich in ihrem Wun­sch begrün­det, das Sex­u­alver­hal­ten der Men­schen zu kon­trol­lieren, was ja in keinem Fall eine Auf­gabe des Staates sein könne.

Sowohl unter jüdis­chen als auch unter protes­tantis­chen The­olo­gen find­et Lad­er in den 60er Jahren bere­its die Stim­men die er braucht, um das Bild ein­er ambiva­len­ten oder gegenüber Abtrei­bung gar offe­nen Hal­tung dieser Reli­gion­s­ge­mein­schaften zu malen. Dabei sind die von ihm zitierten Geistlichen oft bere­its Ver­bün­dete von ihm und keineswegs repräsen­ta­tive oder autori­ta­tive Stim­men. Den his­torischen jüdis­chen Kon­sens, welch­er Abtrei­bung nur bei Lebens­ge­fahr für die Mut­ter als vertret­bar sah[28] und ganz grund­sät­zlich Kinder als grossen Segen erachtete, sah Lad­er durch neue Posi­tio­nen über­holt[29] — und zitiert als Beweis dafür aus­giebig seinen guten Fre­und, den lib­eralen Rab­bi Israel Mar­golies.

«His­torisch betra­chtet braucht jede Rev­o­lu­tion einen Bösewicht», würde später Bernard Nathanson seinen Wegge­fährten Lad­er zitieren. Laders Strate­gie auf der Suche nach dem Bösewicht sei sehr klar gewe­sen: Sie soll­ten nicht die Katho­liken als ganze Gemein­schaft ins Visi­er nehmen. Das sei eine zu grosse und zu wenig grif­fige Per­so­n­en­gruppe. Es gelte, lib­erale Katho­liken zu gewin­nen, welche wertvolle ‘Prunk­stücke’ ihrer Kam­pagne für Abtrei­bung sein kön­nten. Hinge­gen sei die ‘katholis­che Hier­ar­chie’ eine Ziel­gruppe, klein genug für ein gut erkennbares Feind­bild und anonym genug dass man sie ohne Namen zu nen­nen ins Visi­er nehmen könne[30].

Stim­mungs­mache gegen katholis­che Bis­chöfe, welche Grund für den ‘dro­hen­den Hunger­tod von Mil­lio­nen’ seien. Inser­at in der New York Times 1970, abge­bildet im Buch “Breed­ing our­selves to Death” von Lar­ry Lad­er. Pho­to: Peter Bruderer

Die abschliessenden Erläuterun­gen über kirch­liche Posi­tio­nen zeigen gut auf, wie Lad­er die Protes­tanten gegen die Katho­liken auszus­pie­len suchte[31]:

«Wenn der Protes­tantismus nicht seine unaus­ge­sproch­ene aber inhärente Unter­wür­figkeit unter die katholis­che Lehre fort­set­zen will, ist es höch­ste Zeit, dass die protes­tantis­chen Leit­er bekan­nt­machen: Ein Stück Zell­gewebe kann nicht als men­schlich­es Leben heiligge­sprochen wer­den. Das Leben der Mut­ter hat viel mehr Wert für das, was es ist, als das embry­onale Gewebe für das, was es vielle­icht ein­mal wer­den könnte.»

Auch unter den Katho­liken würde Lad­er wertvolle Ver­bün­dete find­en. Doch die weitaus grösste Zahl an religiösen Mit­stre­it­ern fand er unter lib­eralen protes­tantis­chen Pas­toren. Der wichtig­ste unter diesen würde Howard Moody (1921–2012) sein, Pas­tor der Jud­son Memo­r­i­al Church in New York.

Reli­gion war Lad­er unwichtig. Aber die religiöse Ziel­gruppe war entschei­dend. Es ist kein Zufall, dass er die let­zten Sätze seines Buch­es in der Form eines religiösen Plä­doy­ers gestal­tet. Noch ein­mal lässt er seinen Fre­und Rab­bi Israel Mar­golies zu Wort kom­men[32]:

«Mein­er beschei­de­nen Mei­n­ung nach ruft Reli­gion in ihrer höch­sten Form jeden von uns auf, die alten Vorurteile über Bord zu wer­fen, die sug­gerieren, Abtrei­bung und Fam­i­lien­pla­nung seien Sünde. Lass uns ehrlich und stolz den Stand­punkt ein­nehmen, dass – als kreative Part­ner Gottes – wir das Recht beanspruchen, ziel­gerichtet und freudig Fam­i­lien zu schaf­fen, nicht nur wider­willig oder zufäl­lig. Lass uns mithelfen eine Welt zu bauen, in der kein men­schlich­es Wesen unge­wollt und ungeliebt ein­treten muss.»

Howard Moody und das heilige Werk der Abtreibung

Das heilige Werk – das war die Ver­mit­tlung von ille­galen Abtrei­bun­gen durch gross­mehrheitlich protes­tantis­che Pas­toren ab 1967 und bis zur Legal­isierung von Abtrei­bung 1973.

Grün­der­fig­ur des Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion (Deutsch: ‘Pas­toraler Beratungs­di­enst bezüglich Abtrei­bung’) war Howard Moody. Die Idee für dieses pas­torale Net­zw­erk hat­te Lad­er zusam­men mit Moody und 2 weit­eren Pas­toren bei einem Tre­f­fen am 06. Sep­tem­ber 1966 entwick­elt[33]. Der 06. Sep­tem­ber 1966 – das war auch der Todestag von Mar­garet Sanger. Es muss von Moody und seine Kol­le­gen als eine göt­tliche Fügung gew­ertet wor­den sein: Sie wür­den die Chance erhal­ten, die Mis­sion der ver­stor­be­nen Vorkämpferin im Kampf um Repro­duk­tion­srechte weiterzutragen.

Im May 1967 erfol­gte der Startschuss unter kräftiger Bei­hil­fe der New York Times, welche das Beratung­spro­gramm inklu­sive ein­er voll­ständi­gen Liste der beteiligten Geistlichen pub­lizierte: 20 protes­tantis­che Pas­toren und ein uns bere­its bekan­nter Rab­bi: Israel Mar­golies. Unter dem Deck­man­tel der per­sön­lichen Beratung wur­den Frauen an Ärzte im In- und Aus­land weit­er­ver­wiesen, welche bere­it waren, die ille­galen Abtrei­bun­gen durchzuführen. Der Kreis der bera­ten­den Pas­toren wuchs in den kom­menden Jahren auf bis zu 3000 Per­so­n­en an. Bis zur lan­desweit­en Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA wür­den hun­dert­tausende Abtrei­bun­gen[34] am Gesetz vor­bei durch das Net­zw­erk einge­fädelt wer­den. Man muss sich keine Illu­sio­nen machen: was als ‘Beratungs­di­enst’ ver­mark­tet wurde war nicht mehr und nicht weniger ein inte­gri­ert­er Bestandteil der dama­li­gen Abtrei­bungslo­gis­tik. So liess sich das Net­zw­erk bedenken­los vom Porno-Imperi­um Play­boy mit­fi­nanzieren[35]. Gemäss Lawrence Lad­er ende­ten rund 95% der Beratung mit dem ver­mit­teln ein­er Abtrei­bung[36]. Diese Quote spricht für sich. Es ist eine trau­rige his­torische Real­ität: das möglicher­weise grösste koor­dinierte ille­gale Abtrei­bungsnet­zw­erk der Geschichte war ein Net­zw­erk von über­wiegend protes­tantis­chen Pastoren.

Dammbruch

1970 kommt es im Bun­desstaat New York zu einem ersten Damm­bruch. 3 Jahre vor dem Entscheid des Ober­sten Gericht­shofes wird Abtrei­bung über den leg­isla­tiv­en Weg in der US-Metro­pole legal­isiert[37]. Die ersten, die zur Stelle sind, um die indus­trielle Abtrei­bungs­maschiner­ie in New York anzuw­er­fen, sind die Pas­toren des ‘Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion’. Unmit­tel­bar nach Inkraft­treten des Geset­zes grün­den sie in New York die erste legale Abtrei­bungsklinik der USA.

Die Legal­isierung führte in New York zu einem wahren Ansturm. Gemäss ein­er Newsweek Reportage aus dem Jahre 1973 wur­den in innert 30 Monat­en unge­heure 540’245 Abtrei­bun­gen durchge­führt[38]. Das heisst rund alle zwei Minuten eine Abtrei­bung. Eine wahre Abschlach­tung men­schlichen Lebens. Im Newsweek Artikel beschreibt Autor Nick Thimmesch sichtlich schock­iert die explo­sion­sar­tig gewach­sene Abtrei­bungsin­dus­trie mit ein­er drastis­chen Reportage aus den Spitälern und Kliniken der Stadt. Es ist notwendig, sich einen Auszug aus dem Artikel zuzu­muten, weil es ein Bild der dama­li­gen Abtrei­bungsre­al­ität gibt jen­seits der ratio­nal­isierten, ide­al­isierten und poli­tisierten Argumente:

«Die Kul­tur der Abtrei­bung ist über uns gekom­men. In einem Oper­a­tionssaal kämpfen die Chirur­gen darum, das Leben eines 21 Wochen alten Babies zu ret­ten. Im Saal nebe­nan zer­stören die Chirur­gen durch Abtrei­bung ein 21 Wochen altes Baby… Pho­tos zeigen wie dieses men­schliche Leben abgetrieben, auf medi­zinis­che Gaze oder in Plas­tik-Abfall­säcke gewor­fen wird. Nimm dieses Leben durch Absaug-Tech­nik, und der Kör­p­er wird in Stücke geris­sen, ein Gemenge von Armen und Beinen. In ein­er D und C Abtrei­bung schnei­det ein Instru­ment den Kör­p­er in Stücke. Salz-Vergif­tung nach 19 Wochen? Die saline Lösung bren­nt die äusseren Schicht­en der Baby­haut hin­weg. Das ulti­ma­tive ist die Hys­tero­tomie (Kaiser­schnitt). Als Oper­a­tion kann es das Leben von Mut­ter und Kind ret­ten. Als Abtrei­bung tötet es das Kind. Oft kämpft dieses Baby um sein Leben, atmet, bewegt sich, schre­it sog­ar. Dies zu sehen, oder auch die Bilder von mit toten Babys gefüll­ten Abfall­säck­en zu sehen, nun, es pro­duziert Men­schen, welche an das Recht auf Leben glauben.»

In ihrem Buch «Sacred Work» beze­ich­net Autor Tom Davis – selb­st ordiniert­er Pfar­rer – die Tätigkeit der Abtrei­bung­sor­gan­i­sa­tion Planned Par­ent­hood und ihrer Helfer im Talar als ‘heilige Arbeit[39] – als zutief­st geistlich­es und moralisch vor­bildlich­es Han­deln. Im Vor­wort des gle­ichen Buch­es rühmt Rev­erend Carl­ton W. Veazey die Geschichte von Planned Par­ent­hood und ihrer kirch­lichen Helfer­shelfer als per­fek­tes Beispiel eines han­del­nden Glaubens und in ein­er Lin­ie mit den grossen Men­schen­rechts-Bewe­gun­gen unser­er Zeit[40]. Die Arbeit des Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion sei ein ‘Akt der Barmherzigkeit’ gewe­sen, schreiben die Autoren eines Buch­es, welch­es die Geschichte der abtreiben­den Pas­toren nachze­ich­net[41].

Lib­erale Autoren präsen­tieren Abtrei­bung in ihren Büch­ern als ‘heilige Arbeit’ und als Erweis von Barmherzigkeit. Pho­to: Peter Bruderer

Wer sich zu Gemüte führt, wie die Real­ität in den Abtrei­bungskliniken der frühen 70er aus­sah, wird hof­fentlich das Nar­ra­tiv der barmherzi­gen Samarit­er im Talar hin­ter­fra­gen. Für Men­schen, welche wie ich in einem behüteten Umfeld gross­ge­wor­den sind, kön­nen die in diesem Artikel erläuterten Real­itäten erschreck­end sein. Umso wichtiger ist es zu ver­ste­hen, was die Moti­va­tion sowie die the­ol­o­gis­chen und ethis­chen Argu­mente dieser Pas­toren waren. In einem weit­eren Artikel werde ich genau dies versuchen.

Fazit

In den 60er Jahren des ver­gan­genen Jahrhun­derts kam es in den USA zum Schul­ter­schluss, zur fak­tis­chen ‘Heirat’ der Bewe­gung der sex­uellen Rev­o­lu­tion mit der fem­i­nis­tis­chen Bewe­gung und ein­er eher radikalen Aus­prä­gung des lib­eralen Protes­tantismus. Drei der Haupt­pro­tag­o­nis­ten hiessen Lad­er, Friedan und Moody. Ihr erstes gemein­sames ‘Kind’ war die poli­tis­che Durch­set­zung des Recht­es auf Tötung unge­bore­nen Lebens. Die Bewe­gung der sex­uellen Rev­o­lu­tion erhielt damit ihren let­zten fehlen­den Baustein – eine ‘Ver­sicherung’ welche unge­wollte, lebendi­ge Zeug­nisse sex­ueller Liebe bei­seiteschaf­fen kon­nte. Die fem­i­nis­tis­che Bewe­gung erhielt das, wonach sie sich sehnte: volle Kon­trolle über den eige­nen Kör­p­er, Autonomie als höch­stes Gut. Und was schaute für die lib­eralen Pas­toren her­aus? Nun, die kon­nten sich brüsten, an einem ‘Heili­gen Werk’ beteiligt zu sein und beka­men als willkommenes Neben­pro­dukt Anerken­nung und Einfluss.

Seit diesem ersten gemein­samen ‘Erfolg’ marschieren diese 3 Bewe­gun­gen weit­ge­hend im poli­tis­chen Gle­ich­schritt[42]. Wer sich informieren will, wie sich das heute aus­gestal­tet, muss kein poli­tis­ches Parteipro­gramm lesen. Es reicht völ­lig aus, sich einen Ein­druck zu ver­schaf­fen auf dem Web­por­tal von Moody’s Kirche, welche seine geistliche Vision weit­er­führt in Form von linkspoli­tis­chem Aktivis­mus und religiösem Synkretismus. Oder man kann sich informieren, wie sich im Zusam­men­hang mit den aktuell laufend­en Ver­fahren am Ober­sten Gericht­shof der USA wieder neue kirch­liche Net­zw­erke formieren, welche für das Recht auf Abtrei­bung ein­ste­hen möcht­en. Und was ist eigentlich aus Howard Moody gewor­den? Nun, der hat sich nach der gewon­nen Schlacht um die Abtrei­bung gle­ich dem näch­sten gesellschaft­spoli­tis­chen Anliegen gewid­met, der Legal­isierung von Pros­ti­tu­tion.[43]

Wenn heute Präsi­dent Biden mit ein­er Hand auf die Bibel schwört und mit der anderen Hand die Geld­schleusen für die Abtrei­bungsin­dus­trie öffnet, dann hat das seine Hin­ter­gründe auch in den Ereignis­sen von damals. Dann han­delt Biden nicht nur unter dem ‘Segen‘ der Abtrei­bungsin­dus­trie, son­dern auch unter Zus­tim­mung ein­er the­ol­o­gis­chen Schule, welche die die Abtrei­bung­sprax­is stillschweigend toleriert, oft aber applaudiert.

Haben diese Her­ren und Damen nicht ihre Bibeln aufgemacht und gelesen?

Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk. (Psalm 127:3)


Mein Gespräch zum The­ma mit Dr. Allan Carlson:



Die Serie im Überblick:

Abtrei­bung (1/5) – ein heiliges Werk?
Abtrei­bung (2/5) — eine Theologie
Abtrei­bung (3/5)– Predi­ger der Eugenik
Abtrei­bung 4/5 – Evan­ge­likale am Scheideweg
Abtrei­bung 5/5 – Wenn Umkehr Fortschritt bedeutet

Weit­ere Artikel zum Thema:
DNA (3/10): Lei­den­schaftlich für den Schutz des Lebens
Chester­ton und das Wun­der von England.

Titel­bild: iStock


Fuss­noten:
[1] Vgl sein Buch: «The Mar­garet Sanger Sto­ry», 1955
[2] Geoge Grant, «Killer Angel», S69-75
[3] Zit­tiert aus Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S167, eigene Übersetzung
[4] Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979, S280
[5] Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979, S63
[6] Made­line Gray doku­men­tiert in ihrer Sanger Biografie unter anderem Affären mit dem Pio­nier der Sex­u­al­forschung Have­lock Ellis, dem bekan­nten Autoren H.G. Wells, oder dem Jour­nal­is­ten Wal­ter Roberts. Vgl, Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979
[7] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», x, eigene Übersetzung
[8] Bere­its im April 1965 hat­te sich Lad­er in einem umfan­gre­ichen Artikel in der New York Times ein erstes Mal zum The­ma Abtrei­bung geäussert.
[9] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», Buchum­schlag, eigene Übersetzung
[10] Vgl. Joel Best, «Damned Lies and Sta­tis­tics: Untan­gling Num­bers from the Media, Politi­cians, and Activists»
[11] Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, «Dis­pelling the Myths of Abor­tion History»
[12] Hor­a­tio Robin­son Stor­er, «Why Not! A Book for Every Woman», 1865, S79, eigene Übersetzung
[13] Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, Dis­pelling the Myths of Abor­tion History»
[14] Ein guter Artikel zur ide­ol­o­gis­chen Moti­va­tion von Cyril Means und sein­er manip­ulierten Geschichtss­chrei­bung kann hier nachge­le­sen wer­den: https://www.nationalreview.com/2012/12/fictional-abortion-history-justin-dyer/
[15] So wird das his­torische Nar­ra­tiv von Lad­er und Means 2008 in einem Buch ver­wen­det, um das Argu­ment von Franzis Schaf­fer zu entkräften, ein Land welch­es auf christlichen Werten gegrün­det sei, könne keine Abtrei­bung befür­worten. Vgl. Bar­ry Han­k­ins, «Fran­cis Scha­ef­fer and the Shap­ing of evan­gel­i­cal Amer­i­ca», S183
[16] Read­ers Digest, Mai 1966, S82-85 und 233–238
[17] Vgl. z.B. Play­boy, Sep­tem­ber 1970 mit dem aus­führlichen Artikel ‘The Abor­tion Revolution’
[18] Paul Ehrlich, «The Pop­u­la­tion Bomb»
[19] Friedan und Lad­er kan­nten sich bere­its seit den frühen 40er Jahren und hat­ten in späteren Jahren bei­de Zugang zum exk­lu­siv­en Autoren-Schreibz­im­mer der New York Pub­lic Library, wo bei­de an ihren jew­eili­gen Büch­ern arbeit­eten. Vgl. Sue Ellen Brow­der, «Sub­vert­ed», S48
[20] Bet­ty Friedan würde sich in späteren Jahren auch kri­tisch über die Dom­i­nanz Äussern, welche das The­ma Abtrei­bung in der Fem­i­nis­tis­chen Bewe­gung bekom­men hat. Vgl. Sue Ellen Brow­der, «Sub­vert­ed», S51
[21] Mit zu den Unterze­ich­n­ern gehörte auch Alan Guttmach­er von Planned Par­ent­hood und der The­ologe Joseph Fletch­er, Begrün­der der Situationsethik.
[22] Vgl. Dazu die Erläuterun­gen von Allan Carl­son zur kirch­lichen Strate­gie von Mar­garet Sanger. Allan Carl­son, «God­ly Seed», S79-112
[23] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S77
[24] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S93
[25] Aris­tole­les Unter­schied gemäss Lad­er in der men­schlichen Entwick­lung zwis­chen ‘veg­e­ta­tiv­er Seele’, ‘tierisch­er Seele’ und ‘ratio­naler Seele’. Vgl. Lawrence Lad­er, «Abor­tion»,  S77
[26] Vgl. Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, «Dis­pelling the Myths of Abor­tion His­to­ry», S159
[27] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S80.
[28] Vgl Arthur Hertzberg, «Juden­tum», S????????
[29] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S98
[30] Nathanson/Ostling, «Abort­ing Amer­i­ca», S51
[31] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S102
[32] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S175, eigene Übersetzung
[33] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», S44
[34] Gemäss Wikipedia liegt die Zahl der ver­mit­tel­ten Abtrei­bun­gen bei min­destens 450’000.
[35] https://www.vice.com/en/article/wjjdkn/playboy-campaigned-for-abortion-rights-while-railing-against-women
[36] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», S42
[37] https://www.nytimes.com/2000/04/09/nyregion/70-abortion-law-new-york-said-yes-stunning-the-nation.html
[38] Newsweek mag­a­zine, 9. Juli 1973, «The abor­tion culture»
[39] Tom Davis, «Sacred Work», S6
[40] Tom Davis, «Sacred Work», ix
[41] Doris Andrea Dirks, Patri­cia A. Relf, «To Offer Com­pas­sion», 2019
[42] Natür­lich gibt es gewisse Gegen­be­we­gun­gen, ger­ade auch im Fem­i­nis­mus. So richtet sich beispiel­sweise die #MeToo-Bewe­gung gegen die sex­uelle Beläs­ti­gung von Frauen, und aus fem­i­nis­tis­chen Kreisen kommt auch Wider­stand gegen den Mis­brauch von Frauen durch Porno- und Sexin­dus­trie. Eine Grund­sät­zliche Kri­tik an den Errun­gen­schaften der Sex­uellen Rev­o­lu­tion inklu­sive Abtrei­bung bleibt aber aus.
[43] Ver­gle­iche dazu das Buch von Howard Moody: «Work­ing Women», 1985

4 Comments
  1. Peter Bruderer 2 Jahren ago
    Reply

    Ein gut recher­chiert­er Artikel über manip­ulierte Sta­tis­tiken bezüglich Todes­fällen durch ille­gale Abtrei­bun­gen im Vor­feld von Roe v. Wade:

    https://www.liveaction.org/news/women-died-illegal-abortion-roe/

  2. Viktor Pfister 2 Jahren ago
    Reply

    “Du sollst nicht töten.” Damit sind wir offen­sichtlich über­fordert. Damit kom­men wir nicht klar. Was wir auch immer für Argu­mente, Gründe, plau­si­ble Erk­lärun­gen und “Legit­i­ma­tio­nen” find­en, machen wir uns schuldig. Töten sollen wir ein­fach nicht.

    • Paul Bruderer 2 Jahren ago
      Reply

      Danke Vik­tor, dass du Worte find­est. Ich weiss noch kaum, wie reagieren auf die Funde meines Brud­ers. Ich bin wie erstar­rt! Und frage mich, wo wir heute vielle­icht auch in kirch­lichen, geistlichen Kreisen, Dinge unter­stützen oder pro-aktiv fördern, die im Nach­hinein als etwas Ähn­lich­es wer­den gese­hen werden.

      • Viktor Pfister 2 Jahren ago
        Reply

        Lieber Paul
        im Moment denke ich, dass wir gar nie unschuldig davonkom­men wer­den. Ich glaube, wir wer­den immer wieder in Sit­u­a­tio­nen kom­men, in denen wir abso­lut über­fordert sind und nur die Wahl zwis­chen “uner­wün­schter” und “uner­wün­schter Lösung” haben. Ich denke zum Beispiel an die noch rel­a­tiv ein­fache Sit­u­a­tion, wenn ein Arzt während der Geburt entschei­den muss, ob er das Leben des Kindes oder der Mut­ter ret­tet, weil son­st bei­de ster­ben wür­den. In erster Lin­ie — glaube ich — zeigt uns das Gebot, dass wir nicht töten sollen, wie abso­lut über­fordert wir Men­schen sind. Wir haben nicht die Macht, mit diesem The­ma umge­hen zu kön­nen. Wir sind auf Gottes Verge­bung und Gnade angewiesen und dür­fen auch auf sie zählen und sie annehmen. Zweit­ens — glaube ich — sollen wir das Töten aber wirk­lich nicht fördern, forcieren, wil­lentlich aus­führen — schon gar nicht noch einen Markt daraus machen (da kommt dann auch noch die Gier nach Macht und Prof­it ins Blickfeld).

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