Geduld

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“Geduld bringt Rosen”, “Eile mit Weile”, “Gut Ding braucht Weile”, “Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut”, “In der Ruhe liegt die Kraft”, “Steter Tropfen höhlt den Stein” und “Was lange währt, wird endlich gut”. Diese Redewen­dun­gen kom­men dann zum Zug, wenn man sich oder anderen vor Augen führen möchte, dass man sich genug Zeit nehmen sollte, um erfol­gre­ich zum Ziel zu kom­men. Doch was genau bedeutet Geduld?

“Wie lange noch?”, fragte ich meinen Vater, während wir auf der Auto­bahn in Rich­tung Tessin unter­wegs waren. “Noch ca. zwei Stun­den!”, war seine Antwort. Für ein Kind fühlen sich zwei Stun­den wie zwei Jahre an. So ver­suchte ich mich mit Kas­set­ten hören abzu­lenken und ich spielte mit meinen drei Geschwis­tern ein paar Run­den “Ich sehe etwas, das du nicht siehst, und es ist rot!”. Die anderen durften dann rat­en, was ich meine. Ab und an geri­eten wir auch in Stre­it miteinan­der. Meine Ungeduld entlud sich in hefti­gen Zankereien um Kleinigkeit­en mit meinen Geschwis­tern. Und dann endlich nach langem Warten kamen wir endlich bei unser­er Ferien­woh­nung an und auf uns wartete eine entspan­nte und heit­ere Ferien­zeit als Fam­i­lie in der südlichen Schweiz. Die Frage: “Wie lange noch?”, und wie wir die Zeit damit ver­brin­gen, bis das Warten ein Ende hat, das sind Lebensthemen.

Vor eini­gen Wochen habe ich auf diesem Blog die Frage aufge­wor­fen, wie wir in der heuti­gen Zeit effek­tiv über Jesus reden und das Evan­geli­um verkündi­gen kön­nen. Die Ansätze, welche wir uns als Kirchen über Jahrzehnte antrainiert haben, scheinen in der heuti­gen plu­ral­is­tis­chen Gesellschaft an Effek­tiv­ität einge­büsst zu haben. Was ist also zu tun? Ich habe ver­sucht, einige Ansätze dazu aufzuzeigen, schloss in Anlehnung an Dr. Tim­o­thy Keller und Prof. John Inazu mit einem Aufruf zur Demut, Geduld und Tol­er­anz. Diesen drei Begrif­f­en möcht­en wir in ein­er Kurzserie noch genauer auf den Grund gehen. Josua Hun­zik­er startete mit Tol­er­anz und Paul Brud­er­er schrieb let­zte Woche über Demut. Ich ver­voll­ständi­ge das Trio mit Geduld.

 

Dranbleiben

“Es ist eine wahre Geduld­sprobe!”, sagte mir kür­zlich jemand. “Eine gute Fre­undin von mir ist auf ein­er spir­ituellen Reise und sucht nach Sinn und Wahrheit. Sie ist offen für alles Mögliche und stellt mir immer wieder gute und tiefe Lebens­fra­gen. Sie kam auch schon an eine Ver­anstal­tung für Frauen in unser­er Kirche und war begeis­tert. Doch irgend­wie gelang der Durch­bruch zu einem lebendi­gen Glauben an Jesus bish­er nicht. Was soll ich bloss machen?”. Ich antwortete: “Ich glaube, es braucht Demut, Tol­er­anz und Geduld. Bleib weit­er dran und ver­trau auf Gott.”

Dieses Erleb­nis ist kein Einzelfall. Wir post­mod­ern geprägten Men­schen gel­ten ja als spir­ituell offen und empfänglich. Doch wir tun uns schw­er dabei, uns festzule­gen. Warum auch? Absolute Wahrheit riecht verdächtig. Und auch wenn die Antworten des christlichen Glaubens schlüs­sig klin­gen und das Leben meines christlichen Mit­men­schen authen­tisch wirkt: Fes­tle­gen ist gefährlich. Es kön­nte ja eine Sack­gasse sein. Es kön­nte ja noch etwas Besseres kom­men. Man will ja nichts ver­passen. Und so mix­en wir uns unseren Glauben­scock­tail nach eigen­em Gut­dünken zusam­men. Je nach­dem, wie es grad sin­nvoll erscheint. Das Rezept selb­st verän­dert sich andauernd. Doch Haupt­sache, es stimmt ger­ade für mich. Jet­zt. Alles andere ist relativ.

Da stellt sich die Frage: “Lohnt es sich über­haupt dranzubleiben?”. Wann hat das Warten auf einen Durch­bruch hin zu einem lebendi­gen Glauben an Jesus Chris­tus bei meinem suchen­den Mit­men­schen ein Ende? Es ist offen­sichtlich. Wir brauchen Geduld!

Geduld bedeutet, seinem Gegenüber ver­ständ­nisvoll zuzuhören und gute Fra­gen zu stellen. Das ist eine Form der Hoff­nung. Wir wis­sen, dass Gott am Ende tri­um­phieren, Gerechtigkeit her­stellen und jede Träne abwis­chen wird. Weil wir diese Hoff­nung haben, kön­nen wir geduldig sein. Tim­o­thy Keller, Chris­t­ian Post – eigene Übersetzung

 

Von Gottes Geist gewirkt

Tim Keller beschreibt Geduld als eine Form der Hoff­nung, eine Funk­tion von Hoff­nung. Geduld entste­ht nicht ein­fach von selb­st. Paulus beschreibt Geduld als Frucht, die der Heilige Geist in uns her­vor­bringt.

Die Frucht hinge­gen, die der Geist Gottes her­vor­bringt, beste­ht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Fre­undlichkeit, Güte, Treue, Rück­sicht­nahme und Selb­st­be­herrschung. Galater 5,22–23

Unsere eigene, men­schliche Natur hinge­gen bringt das Gegen­teil hervor:

Feind­seligkeit­en, Stre­it, Eifer­sucht, Wutaus­brüche, Rechthaberei, Zer­würfnisse, Spal­tun­gen, Neid. Galater 5,20

Die Welt hat schon genug davon. Dieses Unkraut entste­ht durch die Selb­st­sucht unser­er sündi­gen Natur und ist uns wed­er beim Weit­ergeben der fro­hen Botschaft, noch son­st irgend­wie dienlich.

Pho­to by Jevtic / iStock 

 

Durchhaltevermögen

Im Kon­text von Jakobus 5,7–11 wird Geduld als Aus­dauer, Durch­hal­tev­er­mö­gen oder Behar­rlichkeit beschrieben. Der Bauer wartet geduldig auf die Regen­pe­ri­o­den, welche seine Saat aufge­hen lassen. Geduld ist aber nicht mit Warten gle­ichzuset­zen. Warten ist etwas, das wir tun. Geduld beschreibt, WIE wir es tun. Der Bauer wartet, weil er warten muss. Er hat kaum eine andere Wahl. Er kann auch ungeduldig warten, sich ner­ven und den Him­mel ver­fluchen, weil der Regen nicht früher kommt. Oder er kann in der Hitze eines Wutaus­bruchs aufs Feld ren­nen und die Sprösslinge von Hand oder mit chemis­ch­er Keule zum Wach­sen ani­mieren. Er wird sie bei seinem Ver­such höchst­wahrschein­lich ver­let­zen oder gar zer­stören. Geduld hinge­gen ist eine Charak­tereigen­schaft. Geduld grün­det in ein­er lebendi­gen Hoff­nung auf das Kom­men bes­timmter Ereignisse wie Regen­pe­ri­o­den, die zu gegeben­er Zeit ein­tr­e­f­fen.

Im Gespräch mit unseren Mit­men­schen nach Sinn und Wahrheit soll­ten wir uns im Anbe­tra­cht dessen darauf konzen­tri­eren, unserem Gegenüber “ver­ständ­nisvoll zuzuhören und gute Fra­gen zu stellen.” Gut zuhören und gute Fra­gen stellen ist eine Verkündi­gungs­form. Wie oft hat doch Jesus selb­st ver­ständ­nisvoll zuge­hört und gute Fra­gen gestellt, sei es z.B. bei Nikode­mus, der Jesus im Schutz der Nacht auf dem Dach zum Gespräch auf­suchte. Oder im Gespräch mit der Frau am Brun­nen in Samaria unter bren­nen­der Mit­tagssonne. Bei der Frau keimte die Saat der Worte Jesu sofort auf und sie teilte den gefun­de­nen Mes­sias mit der ganzen Stadt. Bei Nikode­mus ging es etwas länger, doch auch bei ihm ging die Saat zum von Gott gegebe­nen Zeit­punkt auf.

Im gle­ichen Sinne ver­weist Jakobus seine Leser darauf, dass Gott zur richti­gen Zeit ein­greift und Missstände been­det, “denn der Herr ist zutief­st barmherzig und voll Mit­ge­fühl.” Es ist also in erster Lin­ie Gott selb­st, der daran inter­essiert ist, dass Men­schen ihn finden:

“Denn er will, dass alle Men­schen gerettet wer­den und dass sie die Wahrheit erken­nen.” 1. Tim­o­theus 2,4

 

Prüfung unserer Motive

Ein Dran­bleiben und Warten, das Geduld fordert, ent­pup­pt sich auch immer wieder als eine Art der Prü­fung unser­er Motive. Geht es mir um Gott und seinen Plan zur Erret­tung der Men­schen? Bin ich bere­it dranzubleiben, bis die Saat durch Gottes Ein­wirken aufge­ht? Oder geht es mir primär darum vorzuweisen, was für ein erfol­gre­ich­er Christ ist bin? Bib­lis­che Büch­er wie das von Hiob stellen diese Frage auf sehr unan­genehme und schmerzhafte Weise. Und Jakobus fasst es so zusammen:

“Schließlich ist es doch so, dass wir die glück­lich preisen, die ´in der Prü­fung‘ stand­haft geblieben sind. Ihr habt von der Stand­haftigkeit Hiobs gehört und wisst, dass der Herr bei ihm alles zu einem guten Ende geführt hat, denn der Herr ist zutief­st barmherzig und voll Mit­ge­fühl.” Jakobus 5,11

In diesem Zusam­men­hang sind mir die Men­schen ein ermuti­gen­des Vor­bild, die bere­it waren, ihre Leben für Gottes Auf­trag einzuset­zen und dabei nicht nur ihre eigene Leben­szeit im Blick­feld hat­ten, son­dern sich weit darüber hin­aus investierten. Sie haben gesät, aber die Ernte ihrer Saat nie miterlebt.

 

Pho­to by Jevtic / iStock

 

Über die eigene Lebenszeit hinaus

Jim Elliot investierte sein Leben für unerr­e­ichte Volksstämme in Ecuador. Bevor er heiratete, baute er eine Mis­sion­ssta­tion im Dschun­gel auf. Doch dann wurde die Arbeit eines ganzen Jahres über Nacht zer­stört. Andere hät­ten Gott angeklagt und wären ent­täuscht und ver­bit­tert in ihre Heimat zurück­gekehrt. Nicht so Jim. Er ver­stand diese Umstände als Prü­fung Gottes und stellte sich der für jeden Nach­fol­ger Jesu entschei­den­den Frage: “Machst du es für deinen Erfolg, oder tust du es für mich?”

Diese Frage musste sich auch seine Frau Elis­a­beth stellen, als ihr Mann drei Jahre nach ihrer Heirat von ein­er Gruppe Wao­rani Indi­an­er ermordet wurde, als er diese mit der Botschaft von Jesus erre­ichen wollte. Auch Elis­a­beth hätte ver­bit­tert in ihre Heimat zurück­kehren kön­nen. Sie entsch­ied sich aber zu bleiben und erre­ichte eine ger­aume Zeit später die Mörder ihres Ehe­mannes und deren Stamm mit der fro­hen Botschaft. Für mich ein äusserst ein­drück­lich­es Beispiel für die Bedeu­tung von Geduld in From von Aus­dauer, Durch­hal­tev­er­mö­gen oder Behar­rlichkeit, wobei Verge­bung als entschei­dende Kom­po­nente hinzukam. Hier ein abso­lut hörenswertes Inter­view mit ihrer Tochter Valerie (in Englisch), die über die Beziehung ihrer Eltern und ihre Kind­heit berichtet.

Der bekan­nte schot­tis­che Mis­sion­ar David Liv­ing­stone starb im Bewusst­sein, dass er nur eine einzige Per­son zu Chris­tus geführt hat­te. Er schrieb in seinem Tagebuch:

Wir sind wie Stim­men, die in der Wüste rufen; wir bere­it­en den Weg für eine her­rliche Zukun­ft. Zukün­ftige Mis­sion­are wer­den für jede Predigt mit Bekehrun­gen belohnt wer­den. Wir sind ihre Pio­niere und Helfer. Lass sie nicht die Wächter der Nacht vergessen – uns, die gear­beit­et haben, als alles fin­ster war und nichts auf einen Erfolg in Form von Bekehrun­gen unsere Wege auf­munterte. Zweifel­los wer­den sie mehr Licht haben als wir. Den­noch kön­nen auch wir unserem Meis­ter ern­sthaft dienen und so wie sie das Evan­geli­um verkündi­gen. Liar­don, Roberts. Gottes Gen­eräle V — Die Mis­sion­are (Ger­man Edi­tion). Refor­maZion Media. Kindle-Version.

Der Evan­ge­list Rein­hard Bonnke kom­men­tiert diesen Tage­buchein­trag folgendermassen:

Liv­ing­stone starb 1873. Seit­dem sind weit über 100 Jahre ver­gan­gen. Wie ste­ht es mit Liv­ing­stones prophetis­chem Wort? War es nur Wun­schdenken? Ich freue mich, dir unsere Beobach­tun­gen mit­teilen zu kön­nen. Die vor so langer Zeit gelegte Saat ist jet­zt zur Ernte erblüht. Gottes Gen­eräle V — Die Mis­sion­are (Ger­man Edi­tion). Refor­maZion Media. Kindle-Version.

Ich sehne mich nach dieser göt­tlichen Art von Geduld in meinem eige­nen Leben. Eine Geduld, die mir erlaubt, nicht nur auf kurzfristige Erfolge aus­gerichtet sein zu müssen, son­dern meinen Blick auf Gottes grossen Heil­s­plan richtet. Jesus nachzu­fol­gen bedeutet, sich von Gott selb­st in sein Ack­er­feld hinein säen zu lassen.

“Ich sage euch: Wenn das Weizenko­rn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Johannes 12,24

Bin ich bere­it, mit Tol­er­anz, Demut und Geduld an meine Mit­men­schen her­anzutreten? Meine Antwort lautet: Ja, mit Gottes Hil­fe. Ich glaube, nur mit Gott ist es mir möglich. Ich bin bere­it. Und da, wo ich noch zögere, suche ich Gott und bitte ihn, er möge mich durch seinen Geist zubere­it­en, for­men und prä­gen, so wie es ihm gefällt.

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Titel­bild: iStock

1 Comment
  1. Manfred Reichelt 4 Jahren ago
    Reply

    Dieser Satz ver­wun­dert mich doch sehr: “auch wenn die Ant­wor­ten des christ­li­chen Glau­bens schlüs­sig klin­gen und das Leben mei­nes christ­li­chen Mit­men­schen authen­tisch wirkt”. — Der all­ge­meine Ein­druck ist doch eher, dass der christliche Glaube — so wie er heute ver­mit­telt wird — ger­ade NICHT schlüs­sig zu sein scheint. Und ich ver­ste­he auch nicht, was hier unter “authen­tisch” ver­standen wird. Chris­ten zeigen in der Prax­is nur zu oft, dass sie nicht in Gott ruhen und auf ihn wirk­lich ver­trauen. Nur ein kleines Beispiel; wenn man krank ist, geht man doch lieber zum Arzt, aber: https://manfredreichelt.wordpress.com/2016/06/23/koennen-aerzte-suenden-vergeben/

    Ich habe ein­mal mit einem bud­dhis­tis­chen Mönch kore­spondiert. Der schrieb mir, dass sie NICHT mis­sion­ieren, son­dern “ihren Glauben” leben. Deshalb ist auch der Bud­dhis­mus für viele so anziehend, weil man sieht, er befre­it. Stattdessen haben Chris­ten keine Geduld ihren Glauben zu leben, son­dern ver­ste­hen unter “Glauben” nur ein Weit­er­sagen von Worten: Evan­ge­lisieren, Mis­sion­ieren. Aber SO ist christl. Glaube NICHT gedacht! Wir kön­nen nur weit­ergeben, was WIR erleben.

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