Die dreifache Wahrheit des Evangeliums (2/3)

Lesezeit: 10 Minuten
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by Peter Bruderer | 27. Apr. 2024 | 1 comment

Das Evan­geli­um ist his­torische Wahrheit, sie ist the­ol­o­gis­che Wahrheit und sie ist schrift­gemässe Wahrheit. Ob wir im Herzen ein «Ja» zu diesen drei grundle­gen­den Wahrheits-Aspek­ten des Evan­geli­ums find­en, macht den Unter­schied aus zwis­chen einem tragfähi­gen und einem umson­st gelebten Glauben. 

Im ersten Teil unser­er Serie haben wir uns mit dem Bibel­text von 1.Kor 15:1–5 beschäftigt. Ich habe erörtert, dass wir im Text einen bedeut­samen frühchristlichen Beken­nt­nis­text vorfind­en und erk­lärt, wie entschei­dend der his­torische Wahrheit­saspekt des Evan­geli­ums ist. Um der Nachvol­lziehbarkeit willen gebe ich unseren Bibel­text hier nochmals wieder:

Ich erin­nere euch aber, Brüder und Schwest­ern, an das Evan­geli­um, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenom­men habt, in dem ihr auch fest ste­ht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so fes­thal­tet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umson­st geglaubt hät­tet. Denn als Erstes habe ich euch weit­ergegeben, was ich auch emp­fan­gen habe: Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift; und dass er begraben wor­den ist; und dass er aufer­weckt wor­den ist am drit­ten Tage nach der Schrift; und dass er gese­hen wor­den ist von Kephas, danach von den Zwölfen. (1.Kor 15:1–5)

In diesem Beitrag geht es nun um den zweit­en Wahrheit­saspekt, um die the­ol­o­gis­che Wahrheit des Evan­geli­ums. Wir erin­nern uns, dass ich meine Argu­men­ta­tion für die dreifache Wahrheit des Evan­geli­ums anhand der fol­gen­den ein­fachen For­mulierung mache:

«Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift».


Eine geistliche Wahrheit

Zum Evan­geli­um gehört nicht nur die his­torische Wahrheit­skom­po­nente, son­dern auch eine klare geistliche Bedeu­tung. Wir kön­nen das fol­gen­der­massen darstellen:

Chris­tus ist gestor­ben:
das ist his­torische Wahrheit
das ist Geschichte

Chris­tus ist gestor­ben für unsre Sün­den:
das ist geistliche Wahrheit
das ist Dogma

Das his­torische Ereig­nis des Todes Jesu ist untrennbar mit ein­er the­ol­o­gis­chen, geistlichen Bedeu­tung verknüpft. Der Kreuzestod von Jesus ist nicht nur eine his­torische Tat­sache. In diesem Tod liegt auch der Schlüs­sel zu unser­er Erlö­sung und Ret­tung: Hier wurde der ‚Preis‘ bezahlt für unsere Sünden.

Über die Deutung von historischen Ereignissen 

Es ist ein natür­lich­er Prozess, dass wir bei ein­schnei­den­den Ereignis­sen sofort nach deren Bedeu­tung fra­gen. Wie geban­nt star­rte ich vor Jahren in einen der vie­len Fernse­her eines Elek­tro-Fachgeschäftes. Die Bilder, die ich sah, haben sich zutief­st in mein per­sön­lich­es Bewusst­sein einge­bran­nt: das World Trade Cen­ter in New York stand in Flam­men: 9/11. Mir war augen­blick­lich klar, dass die Welt von dem Tag an eine andere sein würde.

Ter­ro­ran­schläge in New York vom 11. Sep­tem­ber 2001 (Bild: Pub­lic Domain)

Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell die Medi­en bei ein­schnei­den­den Nachricht­en­mel­dun­gen die ‘Experten’ zur Hand haben, welche uns ganz genau sagen kön­nen, was die tief­ere Bedeu­tung eines Ereigniss­es ist.

Die Frage nach der Deu­tung hat sich auch beim Kreuzes­geschehen gestellt. In unserem Text gibt Paulus dabei nicht ein­fach seine eigene sub­jek­tive Sicht auf das Kreuzes­geschehen wieder, son­dern die Per­spek­tive der Zeu­gen der drama­tis­chen Ereignisse des Oster­woch­enen­des (V3). Für die ersten Nach­fol­ger Jesu war klar: Im Ereig­nis vom Kreuz ist die Grund­lage für unsere Verge­bung und Erlö­sung zu find­en. Dass «Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den» — das ist die mündliche Über­liefer­ung der Augen­zeu­gen, die damals dabei waren. Kephas (das ist Petrus) und die weit­eren Apos­tel waren mit­ten im Geschehen (V5).

Paulus ist in der Frage der Deu­tung also nicht am Spekulieren, son­dern am Rez­i­tieren. Er gibt wieder, was er wohl schon hun­derte Male auf seinen Reisen qua­si ‘aufge­sagt’ hat. Für ihn ist glasklar: Die dop­pelte Wahrheit des his­torischen Ereigniss­es des Kreuzes und dessen geistliche Bedeu­tung ist von fun­da­men­taler Wichtigkeit. Bei­de zusam­men sind gewis­ser­massen ‘tra­gende Klänge’ ein­er göt­tlichen Melodie, welche auf keinen Fall falsch oder verz­er­rt wiedergegeben wer­den dürfen.

In den Versen 1–2 unseres Textes betont Paulus mit Nach­druck: Es gilt, die Botschaft unverän­dert festzuhal­ten und weit­erzugeben. Ja, daran hängt gar die Sich­er­stel­lung unseres Heils. An dieser Botschaft darf unter keinen Umstän­den ‘herumgeschraubt’ wer­den. Sie ist das Evan­geli­um, «durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so fes­thal­tet, wie ich es euch verkündigt habe» (V2)

Von der Überlieferung historischer Ereignisse.

Wer sich erin­nert an das ‘Tele­fon­spiel’ in der Kind­heit, der weiss, dass sich in ein­er Men­schen­kette weit­ergegebene Inhalte dur­chaus verän­dern kön­nen. Wir soll­ten uns aber bewusst sein, dass wir es hier nicht mit einem fehler­an­fäl­li­gen Tele­fon­spiel zu tun haben. Es ist sehr wohl möglich, mündliche Inhalte ohne Abstriche genau zu erhal­ten. Zum Beispiel ist mir der Zauber­lehrling von Goethe, den ich vor 37 Jahren in der ersten Ober­stufe ler­nen musste, heute noch so präsent, dass ich auswendig daraus auf­sagen kann. Dass mich mein Gedächt­nis über eine so lange Zeit nicht im Stich gelassen hat, liegt an zwei ein­fachen Grün­den. Zum einen lassen sich Gedichte viel ein­fach­er merken als nor­male Sätze, weil sie mit Reim und Rhyth­mus aus­ges­tat­tet sind. Zum anderen gab es das, was es in der Schule so gibt: eine Prüfung!

Bei der frühchristlichen guten Nachricht von Jesus war es wohl ver­gle­ich­bar. Sie hat sehr bald schon eine Form ähn­lich wie bei einem Gedicht gefun­den, welch­es sich ein­fach merken liess. Aber auch das andere trifft zu – das mit der Prü­fung. Die grundle­gen­den Wahrheit­en des christlichen Glaubens wur­den in die Taufgelübde für neue Chris­ten aufgenom­men. So ist beispiel­sweise der möglicher­weise älteste schriftliche Kom­men­tar zum Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis, der uns aus der nordi­tal­ienis­chen Stadt Aquileia erhal­ten geblieben ist, nichts anderes als das Schu­lungs­ma­te­r­i­al zum Tau­fun­ter­richt.

Zur Taufe gehörte in frühchristlich­er Zeit das Able­gen eines Glaubens­beken­nt­niss­es. Damit war sichergestellt, dass der neue Gläu­bige sich im Klaren war, wozu er sich denn nun bekehrt hat. Zugle­ich war damit aber auch sichergestellt, dass die Kern­botschaft des Evan­geli­ums unverän­dert erhal­ten blieb.

Zeitliche Relationen.

Es ist hil­fre­ich, einen Blick auf die zeitlichen Rela­tio­nen zu wer­fen. Ich habe vorhin bere­its erwäh­nt, dass ich dank Reim und Prü­fung nach 37 Jahren den Zauber­lehrling von Goethe immer noch her­sagen kann. Dies, obwohl mir das Gedicht nichts weit­er bedeutet und obwohl mein Leben in einem Zeital­ter der medi­alen Dauerbeschal­lung abläuft.

Die Abfas­sung des ersten Briefes an die Korinther wird unge­fähr auf das Jahr 55 n. Chris­tus datiert, also rund 22 Jahre nach dem Tod von Jesus und zu einem Zeit­punkt wo viele Zeitzeu­gen noch gelebt haben. Diese hät­ten jed­erzeit kor­rigierend ein­greifen können.

22 Jahre – das ist unge­fähr der gle­iche zeitliche Abstand, den wir heute zu den drama­tis­chen Ereignis­sen von 2001 in New York haben. Ein sub­stanzieller Teil der Bevölkerung wird sich noch sehr gut erin­nern. Ich selb­st bin nur wenige Wochen nach den Anschlä­gen von der Schweiz herk­om­mend im trau­ma­tisierten New York gelandet. Die Türme waren waren in Schutt und Asche, dafür war der Flughafen voller Sol­dat­en in Kamp­fanzü­gen und mit Maschi­nen­pis­tolen in Anschlag. Noch heute hin­ter­legen die Leute ihre Rosen da, wo sie ihre Ange­höri­gen damals ver­loren haben. Es würde nie­man­dem in den Sinn kom­men, zu sagen, die Ereignisse in New York seien ein­fach eine nette Geschichte, ein Mythos. Schon gar nicht denen, die dort ihre Fre­unde und Ange­höri­gen ver­loren haben. Genau­so real­is­tisch, detail­liert und bre­it abgestützt kön­nen wir uns die Erin­nerun­gen ans Kreuzes­geschehen zur Zeit der Abfas­sung des 1. Korinther­briefes vorstellen.

Vorausdeutung als wesentlicher Unterschied.

Es gibt im Zusam­men­hang mit der Deu­tung des Kreuzes­geschehens jedoch einen ganz entschei­den­den Unter­schied zu son­sti­gen Deu­tungsver­suchen his­torisch­er Ereignisse. Wir müssen ver­ste­hen, dass im Fall der guten Nachricht von Jesus Chris­tus die Deu­tung des Ereigniss­es nicht im Nach­hinein kam, wie es so üblich ist, son­dern im Voraus.

Dafür möchte ich zurück­ge­hen zum Marku­se­van­geli­um und der bere­its im ersten Artikel erwäh­n­ten Ankündi­gung von Jesus Chris­tus über seine eigene, schwere ‘Kreuzes­taufe’:

Denn auch der Men­schen­sohn ist nicht gekom­men, dass er sich dienen lasse, son­dern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. (Mk 10:45)

Wir stellen fest: Die geistliche Bedeu­tung des his­torischen Ereigniss­es haben nicht die Jünger im Nach­hinein sich aus­gedacht, son­dern Jesus Chris­tus hat sie im Voraus gegeben:

dass er sein Leben gebe:
das ist Vorankündi­gung von Geschichte

dass er sein Leben gebe als Lösegeld für viele:
das ist Voraus­deu­tung von Geschichte

So ist das Evan­geli­um, die gute Nachricht, also nicht ein­fach die Nachricht von Paulus an seine Leser. Es ist auch nicht ein­fach die Erken­nt­nis und Deu­tung der Zeu­gen des Kreuzes­geschehens. Vielmehr ist das Evan­geli­um zutief­st und ganz real die gute Nachricht von Jesus Chris­tus selb­st an seine Jünger und an uns.

Kreuzestod und Schuldüber­nahme gehören untrennbar zusam­men. Bei­de Wahrheit­en sind real. Bei­de sind untrennbar im Kern des Evan­geli­ums ange­siedelt, wie es uns Jesus selb­st offen­bart hat.

Sündhaftigkeit des Menschen oder Ur-Güte des Menschen?

Jesus bringt uns die Deu­tung des Kreuzes also selb­st nahe und möchte, dass wir diese ver­ste­hen und annehmen: Er ist für unsere Sünde gestor­ben. An dieser Wahrheit gilt es in aller Schlichtheit festzuhal­ten, ohne Verän­derung oder Relativierung.

Doch wie in der Ver­gan­gen­heit schon fromm klin­gende Men­schen die his­torische Wahrheit leugneten und sie durch eine ‘poet­is­che Wahrheit‘ erset­zten, so sind wir heute hin­sichtlich der geistlichen Wahrheit des Evan­geli­ums kon­fron­tiert mit ähn­lichen Verän­derungsver­suchen. Dies find­et beispiel­sweise dann statt, wenn in Frage gestellt wird, ob der Men­sch Gott gegenüber wirk­lich ein Sün­den­prob­lem hat, das ein­er Lösung bedarf. Oft tritt in unseren Tagen an die Stelle der real­is­tis­chen Lehre von der Sünd­haftigkeit und Erlö­sungs­bedürftigkeit des Men­schen eine unre­al­is­tis­che, aber pop­uläre Lehre von der Ur-Güte des Menschen.

Ein Blick in die bib­lis­che Urgeschichte zeigt uns, dass Gott seine Schöp­fung tat­säch­lich ‘gut’ oder gar ‘sehr gut’ gemacht hat (1Mo 1:31). Das ist eine wichtige Wahrheit, von der uns in den ersten bei­den Kapiteln der Bibel berichtet wird und die nie los­ge­lassen wer­den darf, wenn wir über den Men­schen reden. Die gle­iche Bibel ken­nt aber auch noch ein drittes und viertes Kapi­tel. Diese machen klar, dass es ein Prob­lem gibt. Der Men­sch ist auf­grund eigen­er Entschei­dun­gen und Hand­lun­gen von Gott getren­nt. Wir sind deswe­gen auch voneinan­der ent­fremdet, haben uns in Schuld ver­strickt. Es ist dieses Prob­lem, welch­es durch Jesus am Kreuz gelöst wird.

Fragen von Schuld und Sühne bleiben aktuell.

Zur Real­ität der Sünde zu ste­hen und auch über sie zu reden, mag in unseren Tagen schwierig sein. Manche meinen, dass der mod­erne Men­sch sich unter Sünde nichts mehr vorstellen kann und wir deshalb nicht mehr darüber reden soll­ten. Man kann es auch anders sehen – näm­lich, dass es einen Nach­holbe­darf gibt in der Kommunikation.

Meine per­sön­liche Wahrnehmung ist, dass Fra­gen von Schuld und Sühne in unser­er Gesellschaft eigentlich viel präsen­ter sind, als manche wahrhaben wollen.

Viele der grossen gesellschaftlichen Diskurse unser­er Tage, von Fra­gen der Diskri­m­inierung übers Kli­ma bis zu Forderun­gen nach Repa­ra­tionszahlun­gen wegen ver­gan­gener Ungerechtigkeit­en wer­den zutief­st in der Rhetorik von Schuld und Sühne aus­ge­tra­gen. So hat erst kür­zlich eine Task­force der schwarzen Gemein­schaft in Boston (USA) ihre Forderung an die «weis­sen Kirchen» ihrer Stadt fol­gen­der­massen for­muliert:

«Wir weisen sie in christlich­er Liebe darauf hin, öffentlich Busse zu leis­ten für die Sün­den der Sklaverei, und wir bit­ten sie, sich öffentlich zu einem Prozess der Wiedergut­machung zu verpflicht­en, bei dem sie ihren grossen Reich­tum — bei eini­gen dieser Kirchen sind es Dutzende von Mil­lio­nen Dol­lar — in die schwarze Gemein­schaft ein­brin­gen.» (eigene Übersetzung)

In diesem Beispiel bewegt sich die Sün­den-Rhetorik, wie so oft in unser­er Zeit, eher auf der Ebene von Struk­turen und Sys­te­men. Wir dür­fen uns aber an die Wahrheit erin­nern, welche uns Jesus aufgezeigt hat, näm­lich dass die Wurzeln der Sünde nicht in den dur­chaus vorhan­de­nen ungerecht­en Sys­te­men dieser Welt, son­dern in den Herzen der Men­schen liegen, welche diese Sys­teme erschaf­fen (Mk 7:20–23). Anders gesagt: das Böse ist «da draussen», weil es von «da drin­nen» kommt.

Woher die Skepsis, über Sünde zu reden?

Bei unserem Unwillen, über Sünde zu reden, geht es vielle­icht eher darum, dass wir selb­st die bib­lis­che Lehre der Sünde als pein­lich oder unzu­mut­bar für den Men­schen sehen. Wir selb­st sind diejeni­gen, welche das bib­lis­che Konzept ein­er stel­lvertre­tenden Schuldüber­nahme durch Jesus als prob­lema­tisch empfinden.

Diese Lehre macht auf alle Fälle zwei anspruchsvolle Aus­sagen über uns. Zum einen stellt sie fest, dass wir uns selb­st nicht der­art per­fek­tion­ieren kön­nen, dass wir vor Gott beste­hen kön­nten. Zum anderen macht sie klar, dass unsere Schuld eine Dimen­sion vor Gott hat, welche nur durch die Voll­streck­ung eines Todesurteils aufge­wogen wer­den kann (Vgl. Rö 6:23; Heb 9:22,28)

In unser­er west­lichen Kul­tur mit ihrem men­schen­zen­tri­erten Welt­bild, lösen solche Fest­stel­lun­gen Irri­ta­tio­nen aus. Wir anerken­nen vielle­icht Schuld­fra­gen als inner­weltlich zu lösendes Prob­lem, jedoch nicht als Prob­lem zwis­chen Men­sch und Gott. Der Psalmist David macht in seinem wohl bekan­ntesten Bussp­salm aber deut­lich, was für viele heute unver­ständlich ist, näm­lich dass zwis­chen­men­schliche Schuld auch die Beziehung zu Gott bet­rifft. Sein Buss­ge­bet nach dem Ehe­bruch mit Bat­se­ba bringt dies zum Ausdruck:

«Nicht nur an Men­schen bin ich schuldig gewor­den, gegen dich selb­st habe ich gesündigt; ich habe getan, was du ver­ab­scheust. Darum bist du im Recht, wenn du mich schuldig sprichst; deinen Richter­spruch kann nie­mand tadeln.» (Ps 51:6; GN)

Viele, die Mühe haben mit solchen bib­lis­chen Diag­nosen des Men­schen, sehen dann im grausamen Tod Jesu eine viel zu ‘blutige’ Lösung des Prob­lems. Sie zeich­nen ein Bild des Kreuzes­geschehens als Geschichte eines rachesüchti­gen himm­lis­chen Vaters, der sein Kind bestraft für Tat­en, die es nicht began­gen hat.[1] Doch das Kreuzes­geschehen ist in der Liebe gegrün­dete Selb­sthingabe Gottes (Joh 3:16). Der dreieinige Gott übergibt die Strafe für die men­schliche Sünd­haftigkeit nicht einem Drit­ten, mit dem er nicht ver­bun­den ist. Er nimmt Fleis­ches­gestalt an, um sie selb­st zu tra­gen (Phil 2:6–11).

Eine unaufgebbare geistliche Wahrheit

Was Jesus ein­ma­lig ausze­ich­net, ist sein Ver­mö­gen, uns nicht nur als Vor­bild zu inspiri­eren, son­dern unser grundle­gen­des Prob­lem zu lösen, uns von unser­er Schuld Gott gegenüber zu befreien. Es ist die göt­tliche Antwort auf die reale Ursache zwis­chen­men­schlich­er Ent­frem­dun­gen und Ver­w­er­fun­gen. Paulus macht dies klar im Vers 17 unseres Kapitels:

«Ist Chris­tus aber nicht aufer­standen, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sün­den» (1Kor 15:17)

Die Real­ität des Kreuzes­geschehens und die Real­ität der Sün­den­verge­bung sind untrennbar miteinan­der ver­bun­den. Ohne das eine gibt es auch das andere nicht. Während der Tod Jesu ‘für unsere Sünde’ geschah, drückt seine Aufer­ste­hung diesem Geschehen das Siegel der Echtheit auf. Christliche Leit­er, welche diese Real­ität ihren Anver­traut­en aus welchen Grün­den auch immer voren­thal­ten, haben die Ern­sthaftigkeit aber auch die Hoff­nung der Botschaft des Kreuzes nicht verstanden.

Die Botschaft des Kreuzes ist unglaublich hoff­nungsvoll und befreiend. Denn wenn Jesu Hingabe für uns am Kreuz um unser­er Sünde willen und seine Aufer­ste­hung eine Real­ität sind, dann gibt es sie tat­säch­lich, die göt­tliche Antwort auf das Prob­lem der men­schlichen Sünde, ein­schliesslich allen damit ver­bun­de­nen zwis­chen­men­schlichen Ent­frem­dun­gen und Ver­w­er­fun­gen.[2]

Es gäbe an dieser Stelle noch so viel zu sagen. Die Bibel redet ja in vie­len wun­der­baren und manch­mal auch geheimnisvollen Bildern von dem, was am Kreuz geschehen ist. Da gibt es, um ein Bild aus dem ersten Artikel wieder aufzunehmen, eine ganze Fülle an Klän­gen, welche zu dieser wun­der­schö­nen Melodie beitra­gen. Mein Ziel hier kann nicht sein, all diese Klänge zu beschreiben, son­dern ich möchte mich auf unseren Text und dessen Aus­sagen beschränken. Unser Text macht in aller Schlichtheit klar: Ohne den tra­gen­den Klang der stel­lvertre­tenden Schuldüber­nahme durch Jesus würde die wun­der­bare Melodie des Evan­geli­ums verstummen.

«Chris­tus ist gestor­ben für unsre Sün­den» – das ist unaufgeb­bare geistliche Wahrheit des Evan­geli­ums. Eine Hymne bringt diese Wahrheit sehr schön zum Aus­druck und kann uns in die Anbe­tung unseres Erlösers führen:

Turn your eyes to the hillside
(Wende deinen Blick zum Hügel)
Where jus­tice and mer­cy embraced
(Wo Gerechtigkeit und Gnade sich umarmt haben)
There the Son of God gave His life for us
(Wo der Sohn Gottes sein Leben für uns hingab)
And our mea­sure­less debt was erased
(Und unsere grosse Schuld getil­gt wurde)


Hier geht es zum drit­ten Teil dieser Serie.

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Jesus starb für mich: Der unaufgeb­bare Kern unseres Glaubens
Das Kreuz – Stolper­stein der Theologie
Die zehn Gebote des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums: zweites Gebot

Titel­bild:
iStock (Bild­bear­beitung: Peter Bruderer)

Fuss­noten:
[1] Vgl. Dazu die The­o­rie des ‘kos­mis­chen Kindsmiss­brauchs‘, die durch den britis­chen Autoren Steve Chalke bekan­nt­gemacht wurde. Siehe zum Beispiel eine Besprechung unter diesem Link: https://bekennende-kirche.de/artikel/kosmischer-kindesmissbrauch/
[2] Nicht umson­st wird Jesus auch als der Friede­fürst beze­ich­net (Jes 9:5, Vgl. Eph 2:14), als Urhe­ber wahrer Ver­söh­nung (2Kor 5:19). Wo Men­schen ihre Knie vor dem Friede­fürsten beu­gen (Phil 2:10), da wird sich auch zwis­chen­men­schlich­er Frieden und Gerechtigkeit zur realen Möglichkeit. Die Real­ität der Aufer­ste­hung ist der Garant dafür.

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

1 Comment

  1. Peter Bruderer

    Ein sehr guter Beitrag zum The­ma kommt von Dr. Gui­do Baltes:
    “Trotz­dem ist auch hier die Frage: Gibt es wirk­lich nur unter­schiedliche Deu­tun­gen des Kreuzes in der Rückschau20 oder hat Jesus selb­st seinem Tod eine Bedeu­tung gegeben? Wenn ja, dann ste­hen alle späteren Deu­tun­gen nicht gle­ich­w­er­tig neben dem, was Jesus selb­st gesagt hat, son­dern sind nur Ent­fal­tun­gen und Illus­tra­tio­nen des Sinnes, den Jesus selb­st seinem Tod gegeben hat. Sie müssen sich dann auch daran prüfen lassen, ob und inwiefern sie das, was Jesus gesagt hat, zuver­läs­sig und tre­f­fend ent­fal­ten, oder ob sie (wie viele annehmen) den Sinn ver­fälschen, den Jesus seinem Ster­ben gegeben hat. Wir brauchen also andere Bilder als den Blu­men­strauß. Vielle­icht den Baum mit Wurzeln und Zweigen. Den Fluss mit Quelle und Delta…:

    https://www.bibelentdeckungen.de/wp-content/uploads/2024/05/Guido-Baltes-2024-Mit-Jesus-gegen-Judentum-und-Reformation.pdf?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR1FqdPO2hRH8IgAahQj-MzheJA0OvWKm-cN8p3yvammn3_eONgiqTHEJNY_aem_AUCLS5lw26cJnAMwe5if-NG9h1mMmyw9_XUQrc5t6ZhSs2ZlgMV4ucGvLXGzqVfVKsvyTT9_lbEUDQGYYo2C7SNQ

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