Eine Hilfestellung für Online-Diskussionen

Lesezeit: 27 Minuten
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by Peter Bruderer | 30. Mai. 2025 | 8 comments

Wer sich im öffentlichen Raum zu kon­tro­ver­sen The­men äussert, weiss, dass hier nicht immer mit lauteren Mit­teln gear­beit­et wird. Es geht oft nicht um eine gemein­same Wahrheitssuche und um einen gesit­teten Diskurs auf der Basis gemein­samer Regeln. Es geht vielmehr darum zu gewin­nen, mit welchen Mit­teln auch immer. Wer ein Ver­ständ­nis hat für die ‘Kampfmit­tel’, die in solchen Diskursen zum Ein­satz kom­men, kann eigene Fehler ver­mei­den, unlauteres Argu­men­tieren ent­lar­ven und im öffentlichen Raum bess­er bestehen. 

“Was macht dieser Typ grad mit mir?” Vielle­icht hast du dir das auch schon gedacht in ein­er Online-Diskus­sion. Du spürst, dass etwas faul ist am Ver­hal­ten oder der Argu­men­ta­tion eines virtuellen Gesprächspart­ners, aber es ist schw­er zu greifen, was da grad abläuft. Der Grund kön­nte sein, dass dein Gegenüber eine dir unbekan­nte rhetorische oder argu­men­ta­tive ‘Waffe’ ein­set­zt, welche du nicht kennst. So ist es mir wieder­holt ergan­gen, als ich 2019 ange­fan­gen habe, mich online auch zu kon­tro­ver­seren The­men zu äussern.

Mit diesem Artikel möchte ich etwas Abhil­fe schaf­fen. Er doku­men­tiert anhand 35 The­men und gegen 60 Beispie­len das ‘Waf­fe­narse­nal’, welch­es mir in den ver­gan­genen Jahren in Online-Gesprächen und ander­swo begeg­net ist. Ich habe nicht den Anspruch, die ‘Waf­fen’ in ihrer ganzen Tiefe ver­standen zu haben oder davor gefeit zu sein, selb­st mal eine davon zu schwin­gen. Ich bin kein Meis­ter im Debat­tieren. Meine Hoff­nung ist aber, dass die nach­fol­gende Doku­men­ta­tion ‘Nor­ma­los’ wie mir und dir vielle­icht helfen kann, gewisse Diag­nosen zu stellen, das eigene Ver­hal­ten zu reflek­tieren und die eige­nen Diskus­sions-Strate­gien zu verbessern.

Es geht mir dabei nicht darum, Diskurse unnötig zu zäh­men. Je nach Gemüt­szu­s­tand mag auch ich, wenn es mal kon­tro­vers und kon­trastre­ich her und zu geht. Ten­den­ziell bin ich aber zurück­hal­tender gewor­den in meinem Online-Ver­hal­ten. Nun, hier kommt sie den­noch: meine ganz per­sön­liche, über die let­zten Jahre gewach­sene Zusam­men­stel­lung von poten­ziell prob­lema­tis­chen oder fehler­halte Argu­men­ta­tion­swege. Ich teile sie öffentlich in der Hoff­nung, dass dies der Förderung ein­er guten Gespräch­skul­tur dien­lich sein kann.

Bevor wir die ‘Waf­fenkam­mer’ betreten möchte ich kurz über die Bedeut­samkeit unser­er Reak­tio­nen reflek­tieren. Dann präsen­tiere ich die Daten­bank an poten­ziell prob­lema­tis­chen oder fehler­hal­ten Argu­men­ta­tion­swe­gen. Zulet­zt gebe ich noch einige per­sön­liche Empfehlun­gen ab, die vielle­icht auch für dich hil­fre­ich sind.

Die eigentliche Aktion liegt in der Reaktion des Gegners.

«Die eigentliche Aktion liegt in der Reak­tion des Geg­n­ers». Diese Aktion­sregel hat der gereifte Aktivist Saul Alin­sky in seinem Ein­flussre­ichen Buch «Rules for Rad­i­cals» (1971, siehe meine Rezen­sion des Buch­es), geprägt.

Das Buch ist als Anleitung an eine junge Gen­er­a­tion von Linksak­tivis­ten gedacht. Die Denkweise von Alin­sky ist durch und durch von Prag­ma­tismus geprägt. Gut ist, was nützt. Das Einzige, was let­z­tendlich zählt, ist das Erre­ichen des gesteck­ten Zieles. Deshalb ist es für Alin­sky in let­zter Kon­se­quenz moralisch, auch unmoralis­che oder ver­w­er­fliche Mit­tel einzuset­zen, um ein aus sein­er Sicht gutes Ziel zu erreichen.

«Die eigentliche Aktion liegt in der Reak­tion des Geg­n­ers» — Die Aktion­sregel von Alin­sky ist bis heute das wichtig­ste Prinzip von Aktivis­ten, wenn es darum geht, gegenüber Per­so­n­en oder Organ­i­sa­tio­nen Erfolge zu erzie­len. Worum geht es? Es geht darum eine strate­gisch sin­nvolle Reak­tion bei der Zielper­son oder Zielor­gan­i­sa­tion zu erre­ichen durch das Schaf­fen eines Entschei­dungs­dilem­mas, in dem alle ver­füg­baren Optio­nen den Aktivis­ten zum Vorteil dienen.

Das Web­por­tal https://beautifultrouble.org/ gibt einen aktu­al­isierten Ein­blick in das umfan­gre­iche «Waf­fe­narse­nal» der Kul­turkämpfer im linken Spek­trum in der Tra­di­tion Alinsky’s. Es ist dabei aber anzumerken, dass sich auch rechte Kreise in jüng­ster Zeit bei Alin­sky bedienen.

Wer zum Beispiel schon ein­mal beim Marsch fürs Leben dabei war, hat das schon erlebt. Da gibt es jedes Mal eine Gegen­demon­stra­tion, welche die Teil­nehmer des Marsches beschimpft und ver­sucht, die Kundge­bung zu stören. Ziel der Gegen­demon­stran­ten ist immer, bei den Kundge­bung­steil­nehmern eine bes­timmte Reak­tion her­vorzu­rufen, welche dann wieder ver­w­ertet wer­den kann. Den Chris­ten soll eine ‘antichristliche’ Reak­tion ent­lockt wer­den. Dann kann man sie als Heuch­ler ent­lar­ven. Dann kann sich der Aggres­sor selb­st als Opfer insze­nieren, als der moralisch Erhabene.

Diese kurze Erläuterung soll verdeut­lichen, wie entschei­dend auch in ‘Online-Gefecht­en’ unsere Reak­tio­nen sind. Unsere Reak­tion definiert die Möglichkeit­en, welche unserem Gegenüber anschliessend zur Ver­fü­gung ste­hen. Deshalb ist es Sin­nvoll, von der Reak­tion des Gegenübers her zu denken: Welche Optio­nen eröff­nen sich dem ‘Geg­n­er’ durch meine Antwort? Wer dies mitbe­denkt hat die Chance, selb­st die Fed­er­führung im Dis­put zu übernehmen, oder zumin­d­est nicht in die “Falle” zu laufen, welche einem möglicher­weise gelegt wurde.

Das Arsenal

In der nach­fol­gen­den Zusam­men­stel­lung wer­den poten­ziell prob­lema­tis­che oder fehler­halte Argu­men­ta­tion­swege doku­men­tiert, welche Online, aber auch in anderen Set­tings anzutr­e­f­fen sind. Ich illus­triere sie jew­eils mit konkreten Beispielen.

Die Rei­hen­folge der aufge­führten Phänomene ist beliebig und fol­gt kein­er bes­timmten Struk­tur oder Gewich­tung. Es kön­nten dur­chaus Unterkat­e­gorien gemacht wer­den: Wer zum Beispiel mit ein­er Ad Hominem Attacke jeman­den verunglimpft, macht sich moralisch ganz anders schuldig als eine Per­son, welche lediglich inkon­sis­tent argu­men­tiert oder einen Denk­fehler macht.

Natür­lich sind die illus­tri­eren­den Beispiele auch geprägt von mein­er per­sön­lichen Welt­sicht und meinem Erleben. Ich ver­suche sie jedoch so sach­lich wie möglich darzulegen.

Durch Aufk­lap­pen kön­nen nach­fol­gen­dend jew­eils Erläuterun­gen und Beispiele zu den einzel­nen Stich­worten aufgerufen werden:

01_Das falsche Dilemma

Beschrei­bung: Beim falschen Dilem­ma wird fälschlicher­weise behauptet, dass zwei Optio­nen nicht logisch nebeneinan­der beste­hen kön­nen.
Erläuterung: Diese Tak­tik macht den Anschein, ein logis­ches Argu­ment zu bilden, aber bei näher­er Betra­ch­tung wird deut­lich, dass es mehr Möglichkeit­en gibt als die entwed­er/oder-Entschei­dung. Es kann sein, dass eine falsche Auswahl gegeben wird, oder Lösungsalter­na­tiv­en und Kom­bi­na­tio­nen ver­schwiegen wer­den. Dies führt zu ein­er irreführen­den Argu­men­ta­tion und ver­stellt den Blick auf eine ratio­nale, ehrliche Debat­te.
Beispiel 1.1: Apolo­getik
Jemand sagt: «Man sollte keine Apolo­getik betreiben, son­dern das Chris­ten­tum als wahr verkün­den.»
Antwort: Bei­des schliesst sich nicht aus.
Beispiel 1.2: Bevölkerung­sex­plo­sion
In den 60er und 70er Jahren war­ben gewisse Kreise unter Beru­fung auf das Bevölkerungswach­s­tum für ein Recht auf Abtrei­bung oder eine forcierte Geburtenkon­trolle. Das Ratio­nal lautete: «Entwed­er wir kriegen die Bevölkerung­sex­plo­sion in den Griff oder die Nahrungsmit­tel wer­den uns aus­ge­hen.» Dieses Entweder/Oder hat aber die Möglichkeit unter­schla­gen, durch effizien­tere Land­wirtschaft die Erträge zu steigern. Dies ist dann auch tat­säch­lich geschehen in den 70er und 80er Jahren, wo die weltweite land­wirtschaftliche Pro­duk­tion mas­siv zunahm.
Beispiel 1.3: Bib­lis­che Wider­sprüche
In der pro­gres­siv­en The­olo­gie wer­den oft Bibel­stellen, die sich schein­bar wider­sprechen, gegeneinan­der aus­ge­spielt. Das Faz­it ist jew­eils meist, dass eines richtig sein muss und das andere falsch. Doch oft gibt es Möglichkeit­en, schein­bare Wider­sprüche miteinan­der zu har­mon­isieren oder in ein­er gesun­den Span­nung zueinan­der aufrecht zu erhalten.

02_Die werte­freie Argumentation

Beschrei­bung: Der Führer eines Argu­mentes behauptet eine werte­freie Objek­tiv­ität, zum Beispiel indem er sich auf Fach­leute beruft. Diese Objek­tiv­ität ist jedoch oft nicht wirk­lich gegeben.
Erläuterung: Argu­men­ta­tio­nen find­en eigentlich immer auf der Grund­lage gewiss­er weltan­schaulich­er Voran­nah­men statt. Es ist wichtig, die Weltan­schau­ung von Autoren, Red­nern und Fre­un­den zu erken­nen, wenn man mit ihnen Inter­agieren will. Auch Wis­senschaftler arbeit­en mit weltan­schaulichen Voran­nah­men.
Beispiel 2.1: Sex­olo­gie
In ein­er Diskus­sion auf Face­book über neue christliche Sach­büch­er zu Sex­u­al­ität kom­men­tiert eine Per­son: «Ganz direkt: Die Büch­er sind aus fach­lich­er Sicht nicht zu empfehlen…». Eine solche Aus­sage kann sehr gut hin­ter­fragt wer­den. Denn die ‘Fach­welt’ ist im Bere­ich Sex­u­al­ität mit­nicht­en werte­frei oder neu­tral. Es ist zum Beispiel sehr entschei­dend, was für eine Anthro­polo­gie zugrunde gelegt wird. Zudem gehen die Mei­n­un­gen inner­halb der ‘Fach­welt’ auch stark auseinan­der. In diesem Beispiel waren die erwäh­n­ten Büch­er der kom­men­tieren­den Per­son zu kon­ser­v­a­tiv. Anstatt ein konkretes Argu­ment zu brin­gen, schiebt er eine nicht näher definierte ‘Fach­welt’ vor, um seinen Punkt zu lan­den. Hier kann gut nachge­hakt wer­den. Welche fach­liche Sicht? Welche konkreten Dinge sind nicht zu empfehlen und warum?
Beispiel 2.2: Pan­the­is­mus
In einem Blog­a­r­tikel zum The­ma ‘Leben nach dem Tod’ schreibt ein The­ologe: «In meinem Denken ist Gott gewis­ser­massen diese Welt.» oder «Ich glaube, dass ich auf Gott hof­fen kann, weil auch ich ein Teil davon bin.». Solche Sätze deuten auf ein pan­the­is­tis­ches oder panen­the­is­tis­ches Welt­bild hin und nicht auf einen christlichen The­is­mus. Der betr­e­f­fende The­ologe arbeit­et vielle­icht mit christlichem Vok­ab­u­lar und bekommt seinen Lohn von einem kirch­lichen Arbeit­ge­ber, aber sein Denken ist nicht von ein­er christlichen Welt­sicht geprägt. Dieses Beispiel zeigt die Wichtigkeit ein­er weltan­schaulichen Analyse von Aussagen.

03_Die anek­do­tis­che Beweisführung

Beschrei­bung: Die Argu­men­ta­tion wird mit isolierten Beispie­len (Anek­doten) gemacht, anstelle das mit stich­halti­gen Argu­menten eine Bewe­is­führung gemacht wird.
Erläuterung: Quan­ti­ta­tive wis­senschaftliche Mes­sun­gen sind meist auf­schlussre­ich­er als per­sön­liche Wahrnehmungen und Erfahrun­gen. Wir neigen aber dazu, dem, was für uns greif­bar ist, zum Beispiel ein­er emo­tionalen Erzäh­lung, mehr zu glauben als abstrak­teren Zahlen, Sta­tis­tiken oder logis­chen Her­leitun­gen.
Beispiel 3.1: Homo­sex­u­al­ität
Ein The­ologe argu­men­tiert in seinem Buch für eine Neuord­nung im Umgang der Kirche mit Homo­sex­u­al­ität (Ehe für alle). Treue homo­sex­uelle Paare sollen wie het­ero­sex­uelle Paare den kirch­lichen Segen erhal­ten. Aus­gangspunkt für seine Argu­men­ta­tion ist dabei eine berührende Begeg­nung mit einem langjähri­gen homo­sex­uellen Paar. Der The­ologe ist dem Paar an einem Kirchen­tag begeg­net und die Begeg­nung hat ihn bewogen, seine The­olo­gie grundle­gend zu über­denken. Dies ist eine anek­do­tis­che Bewe­is­führung, welche aus einem Einzel­er­leb­nis eine all­ge­meine Regel ableitet.

04_Das isolierte Argument

Beschrei­bung: Beim isolierten Argu­ment erfol­gt eine Argu­men­ta­tion unter bewusster Unter­schla­gung weit­er­er Zusam­men­hänge.
Erläuterung: Ideen haben logis­che Imp­lika­tio­nen und ste­hen nicht allein da. Men­schen, welche ein bes­timmtes Argu­ment zu gewin­nen suchen, lehnen oft den Zusam­men­hang zu möglichen neg­a­tiv­en Fol­gen ab. Dieser Zusam­men­hang sollte den­noch hergestellt wer­den.
Beispiel 4.1: Ehe für alle
Von den Ver­fechtern für die «Ehe für alle» in der Schweiz wurde bewusst ver­sucht, damit zusam­men­hän­gende The­men wie beispiel­sweise der wach­sende Druck auf die Legal­isierung von Leih­mut­ter­schaft oder die vorausse­hbare Anerken­nung weit­er­er Beziehungs­for­men wie Polyamor­ie aus der Diskus­sion auszuk­lam­mern. Im Hin­blick auf zukün­ftige Debat­ten war es für uns, die wir uns gegen die Ein­führung der Ehe für alle engagierten, den­noch wichtig, solche Zusam­men­hänge zu berück­sichti­gen. Man hat uns dafür kri­tisiert. Doch pünk­tlich am Tag des Inkraft­tretens der Ehe für alle kam aus den Kreisen, die uns damals kri­tisierten, die Forderung nach Legal­isierung von Leihmutterschaft.

05_Das Ad Hominem Argument

Beschrei­bung: Indem man den Men­schen angreift, weicht man dem Argu­ment aus.
Erläuterung: Ad-hominem-Angriffe kön­nen in der Form erfol­gen, dass jemand ver­bal offen ange­grif­f­en wird. Oft geschieht es aber auf sub­tilere Weise, indem man den Charak­ter oder per­sön­liche Eigen­schaften ein­er Per­son in Zweifel zieht. Ziel ist es, die Argu­mente des Gegenübers zu diskred­i­tieren, ohne dass man sich tat­säch­lich mit ihnen auseinan­der­set­zen muss. Wird man Opfer von Ad Hominem Argu­menten, sollte auch mal Klar­text gesprochen oder gewisse Schritte ein­geleit­et wer­den (z.B. Sper­ren oder Auf­forderung zur Löschung des Kom­men­tars usw.), dies ins­beson­dere wenn z.B. unbeteiligte Fam­i­lien­ange­hörige oder Fre­unde in die Dif­famierung mit hineinge­zo­gen, oder bewusst Lügen ver­bre­it­et wer­den.
Beispiel 5.1: der Fun­da­men­tal­ist
Ein beliebtes Beispiel ist, wenn jeman­dem in ein­er Diskus­sion unter­stellt wird, ein «Fun­da­men­tal­ist», ein «Nation­al­ist», ein «Nazi» oder ein «Homo­phober» zu sein. Damit wird grund­sät­zlich der Charak­ter der Per­son in Frage gestellt und das Gegenüber diskred­i­tiert, ohne auf die konkreten Argu­mente einge­hen zu müssen.
Beispiel 5.2: der Besser­wiss­er und der Dummkopf
Der Ver­fass­er dieser Zusam­men­stel­lung hat online diese Art von Ad Hominem erlebt: «Und Peter Brud­er­er weiß anscheinend bess­er als jed­er andere, was Gottes Gebote sind.» oder «Ich frage mich eher was auf dich eingewirkt haben muss, um so einen quatsch zu schreiben.»

06_Roter Her­ing (Whataboutism)

Beschrei­bung: Der ‘rote Her­ing’, welch­er auch in der Form des ‘Whataboutism’ auftreten kann, führt etwas Irrel­e­vantes in ein Argu­ment ein, um den Geg­n­er abzu­lenken.
Erläuterung: Es geht beim ‘roten Her­ing’ darum, jeman­den auf die falsche Fährte zu lock­en. Man sollte sich davon nicht ablenken lassen. Der Begriff des roten Her­ings stammt aus der Jagd, wo früher ver­sucht wurde, mit einem riechen­den Fisch einen Jagdhund von der eigentlichen Fährte abzu­lenken. Im Falle des Whataboutism geht es ver­stärkt darum, das Gegenüber mund­tot zu machen. Dies erfol­gt indem das Gegenüber mit einem nicht zur Diskus­sion ste­hen­den Unrecht in Verbindung gebracht wird.
Beispiel 6.1: Erziehung
Der rote Her­ing ist ein von Eltern gerne ver­wen­detes Instru­ment, um ihre Kinder abzu­lenken, zum Beispiel wenn diese nach einem Sturz weinen, wenn die Kinder gerne ein Eis hät­ten usw.
Beispiel 6.2: Kreuz­züge, Miss­bräuche
Bei Diskus­sio­nen über den Glauben weichen Geg­n­er des Chris­ten­tums respek­tive der Kirche gerne auf The­men wie Kreuz­züge oder Miss­brauch in der Kirche aus, um von den eigentlichen Fra­gen abzu­lenken. So wurde mir kür­zlich in ein­er Diskus­sion über Trans­gen­der die Opfer des kirch­lichen Miss­brauchs vor Augen gehal­ten. Dies war nur eine bil­lige Strate­gie, um von den realen neg­a­tiv­en Fol­gen von Geschlecht­stran­si­tio­nen abzulenken.

07_Das sich selb­st wider­legende Argument

Beschrei­bung: Sich selb­st wider­legende Argu­mente sind Argu­mente, die «logis­chen Selb­st­mord» bege­hen, weil sie ihre eige­nen Ansprüche nicht ein­hal­ten kön­nen.
Erläuterung: Viele post­mod­erne, rel­a­tivis­tis­che Argu­men­ta­tio­nen wider­legen sich selb­st. Sir Roger Scru­ton bringt es auf den Punkt: «Ein Autor, der sagt, es gebe keine Wahrheit­en, oder dass alle Wahrheit­en nur rel­a­tiv seien, fragt dich eigentlich danach, ihm nicht zu glauben».
Beispiel 7.1: “Nicht die The­olo­gie…“
An ein­er grossen kirch­lichen Kon­ferenz ern­tete der Red­ner für fol­gende Aus­sage viel Applaus: «Es ist nicht die The­olo­gie, die uns zusam­men­hält. Es ist Chris­tus. Es ist nicht die richtige Fröm­migkeit, nein, es ist Chris­tus. Es ist nicht die richtige Ethik, es ist Chris­tus.». Diese Aus­sage ist jedoch selb­st eine sehr umfassende lehrmäs­sige Behaup­tung. Die ständi­ge Behaup­tung, dass The­olo­gie unbe­deu­tend ist, ist in sich selb­st eine Lehre, eine Theologie.

08_Der Strohmann

Beschrei­bung: Beim Strohmann wird eine verz­er­rte oder vere­in­fachte Karikatur der Argu­mente des Geg­n­ers erstellt. Diese Karikatur wird dann attack­iert.
Erläuterung: Wenn man die Argu­mente ander­er übertreibt, falsch darstellt oder ein­fach kom­plett fab­riziert, ist es viel ein­fach­er, die eigene Posi­tion als vernün­ftig darzustellen. Diese Art von unehrlich­er Übertrei­bung und Verz­er­rung unter­gräbt die ehrliche und dif­feren­zierte Debat­te.
Beispiel 8.1: Poli­tik
In poli­tis­chen Auseinan­der­set­zun­gen wird oft mit Strohmän­nern gear­beit­et. Es ist ein­fach­er seine eigene Posi­tion zu verkaufen, wenn aus dem Geg­n­er eine Karikatur oder ein überze­ich­netes Feind­bild gemacht wird.
Beispiel 8.2: The­olo­gie
The­olo­gen mit divergieren­den Ansicht­en neigen gerne dazu, nicht genehme the­ol­o­gis­che Posi­tio­nen bewusst zu verz­er­ren oder prob­lema­tis­che Posi­tio­nen kle­in­ster Min­der­heit­en als repräsen­ta­tiv für eine bre­ite Strö­mung zu präsen­tieren. Zum Beispiel zeich­nen lib­erale The­olo­gen gerne ein Bild von kon­ser­v­a­tiv­en The­olo­gen als ein­er Gilde, welche die Bibel ‘flach’ liest und schein­bar völ­lig frei von jeglich­er Dif­feren­zierung. Es geht aber natür­lich auch umgekehrt. Kon­ser­v­a­tive The­olo­gen müssen genau­so auf­passen, dass sie von lib­eralen oder pro­gres­siv­en the­ol­o­gis­chen Posi­tio­nen keine Karika­turen machen. Ein Merk­mal von the­ol­o­gis­chen Strohmän­nern ist, dass sie oft ohne Quel­lenangaben, ohne konkrete Zitate und ohne Kon­text arbeit­en — das erle­ichtert das Kon­stru­ieren von Strohmän­nern unge­mein. Zudem wer­den meist die besten eige­nen Argu­mente mit den schlecht­esten der Gegen­seite verglichen.

09_Der Appel an die Modernität

Beschrei­bung: Hier geht es um die Vorstel­lung, dass eine Idee, die zeit­gemäß ist, eher der Wahrheit entspricht als eine ältere Idee: «wenn neu, dann wahr».
Erläuterung: Chronolo­gie hat keinen Ein­fluss darauf, ob eine Idee oder eine Weltan­schau­ung wahr oder falsch ist. Abge­se­hen von tech­nol­o­gis­chen Inno­va­tio­nen gibt es in der Philoso­phie oder Reli­gion zudem auch kaum wirk­lich neue Ideen. C.S. Lewis und G.K. Chester­ton prägten dazu den Begriff der ‘chro­nol­o­gis­chen Arro­ganz’.
Beispiel 9.1: Eugenis­che Bewe­gung
Die eugenis­che Bewe­gung vor 100 Jahren stand ganz im Namen der Moder­nität und des Fortschritts. Im Namen der Weltverbesserung plädierte man für die Anwen­dung von Zucht­prinzip­i­en in der men­schlichen Fortpflanzung. Sozial ‘brauch­baren’, ‘gesun­den’ Per­so­n­en und Per­so­n­en­grup­pen wurde zu möglichst kräftiger Ver­mehrung ger­at­en, während Per­so­n­en und Per­so­n­en­grup­pen, die man als min­der­w­er­tig betra­chtete, an der Ver­mehrung gehin­dert wer­den soll­ten. Die in den ersten Jahrzehn­ten des 20. Jh. von west­lichen Eliten als fortschritlich fortschrit­tlich propagierte Idee mün­dete schlussendlich in die unmen­schlichen Pro­gramme der Rassen­hy­giene im drit­ten Reich. Die schein­bar fortschrit­tliche Idee war eben im Kern eine unmen­schliche Idee.
Beispiel 9.2: die natür­liche Fam­i­lie
Die neue Linke in den 70er Jahren und die Queere Bewe­gung heute stellen die Fam­i­lie gerne als antiquierte und ver­al­tete Insti­tu­tion dar. Sie ermuti­gen zu neuen For­men des Zusam­men­lebens. Doch: nur weil es die natür­liche Fam­i­lie schon seit Men­schenge­denken gibt, heisst nicht, dass sie eine dumme Idee ist. Vielle­icht ist es genau umgekehrt, dass sie unent­behrlich ist und sich bewährt hat. Zum Beispiel ver­suchte das rus­sis­che Fam­i­lienge­setz von 1918, einen Über­gang von der Fam­i­lie hin zu ein­er kom­mu­nalen Gesellschaftsstruk­tur einzuleit­en. Unter anderem wur­den Adop­tion­srechte abgeschafft. Eltern­lose Kinder soll­ten nicht in ein­er ‘unter­drück­erischen Insti­tu­tion’ wie der Fam­i­lie aufwach­sen, son­dern liebevoll vom Kollek­tiv betreut wer­den. Bere­its 1926 musste man zurück­kreb­sen, weil Mil­lio­nen von Waisenkindern gän­zlich unbe­treut durch die Lande zogen. Die rev­i­dierte Geset­zge­bung von 1926 ermöglichte wieder Adoption.

10_Der tex­anis­che Scharfschütze

Beschrei­bung: Beim tex­anis­chen Scharf­schützen pickt man sich eine Daten­gruppe her­aus, die zu einem Argu­ment passt, oder erfind­et ein Muster, welch­es zu ein­er eige­nen Ver­mu­tung passt.
Erläuterung: Hier wird eine (falsche) Ursache zu einem bes­timmten Prob­lem kon­stru­iert. Der Begriff wurde geprägt in Anlehnung an einen Scharf­schützen, der wahl­los auf eine Sche­une schießt und dann Zielscheiben um die Stellen herum malt, an der die meis­ten Ein­schus­s­löch­er erscheinen. Die nachträglich gemal­ten Zielscheiben erweck­en dann den Ein­druck, dass es sich um einen beson­ders guten Schützen han­delt. Beim tex­anis­chen Scharschützen liegt der Fehler darin, dass Häu­fun­gen zufäl­lig sein kön­nen und nicht zwin­gend im Zusam­men­hang zu ein­er bes­timmten Ursache ste­hen. Das Phänomen des tex­anis­chen Scharf­schützen kommt bei der Auswer­tung von Sta­tis­tiken beson­ders häu­fig vor.
Beispiel 10.1: Kon­ver­sion­s­ther­a­pi­en
Die LGBT-Lob­by argu­men­tiert oft, dass soge­nan­nte ‘Kon­ver­sion­s­ther­a­pi­en’ (der präzis­ere Fachaus­druck ist “sex­u­al ori­en­ta­tion change efforts”, SOCE) für eine erhöhte Suizidal­ität bei Betrof­fe­nen sor­gen. Der Sozi­ologe Prof. Paul Sullins stellt diesen Befund in Frage. Nur weil bei Per­so­n­en, welche in der Ver­gan­gen­heit eine solche Ther­a­pie gemacht haben, eine erhöhte Suizidal­ität vorhan­den ist, heisst das noch lange nicht, dass diese zwin­gend von der Ther­a­pie herkommt. Man muss zum Beispiel auch die Vorher-nach­her Rela­tion unter­suchen. Eine kor­rek­te Auswer­tung von Dat­en zeigt gemäss Sullins, dass solche Ther­a­pi­en dur­chaus auch zu ein­er Abnahme der Suizidal­ität beitra­gen kön­nen.
Beispiel 10.2: Schwarze und Armut
Eine weitver­bre­it­ete Annahme ist, dass erhöhte Gewalt und Armut bei schwarzen Amerikan­ern ihre Ursache in ras­sis­tis­ch­er Diskri­m­inierung hat. Meist kommt die Fest­stel­lung mit der Forderung nach Antidiskri­m­inierungs­ge­set­zen und mehr sozialen Pro­gram­men. Der schwarze Ökonom und Sozial­wis­senschafter Thomas Sow­ell weist aber nach, dass Ras­sis­mus eine wohl eher unter­ge­ord­nete Rolle spielt. Entschei­den­der sind zum Beispiel famil­iäre Entwick­lun­gen (Schei­dungsrat­en, allein­erziehende Eltern). Soziale Pro­gramme kön­nen nach ihm gar eine kon­trapro­duk­tive Wirkung haben.

11_Der Appell an die Emotionen

Beschrei­bung: Anstelle ein­er stich­halti­gen Argu­men­ta­tion wird ver­sucht, eine emo­tionale Reak­tion her­vorzu­rufen.
Erläuterung: Zu den Appellen an Emo­tio­nen gehören Appelle an Angst, Neid, Hass, Mitleid, Stolz und vieles mehr. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch kohärente Argu­mente Emo­tio­nen her­vor­rufen oder einen emo­tionalen Aspekt haben dür­fen! Das Prob­lem tritt aber auf, wenn Emo­tio­nen ver­wen­det wer­den, um die Inko­härenz oder Man­gel­haftigkeit ein­er Argu­men­ta­tion zu ver­schleiern. Men­schen lassen sich nun mal von Emo­tio­nen ansprechen, und so sind Appelle an Emo­tio­nen eine sehr ver­bre­it­ete, aber manch­mal unehrliche Tak­tik.
Beispiel 11.1: Predigten
Emo­tio­nen dür­fen und sollen zum Predi­gen gehören. Es bleibt für Pas­toren und Evan­ge­lis­ten aber eine stete Ver­suchung, fehlende Argu­mente, fehlende Gründlichkeit oder gar die eigene Ori­en­tierungslosigkeit durch den Griff in die Schublade der Emo­tio­nen zu überdeck­en. Ger­ade begabte Rhetorik­er ste­hen in der Ver­suchung, Men­schen mit Emo­tio­nen zu manip­ulieren, statt über den Inhalt zu punkten.

12_Die schiefe Ebene

Beschrei­bung: Dieser Denk­fehler geht fälschlicher­weise aus von einem zwin­gen­den Zusam­men­hang zwis­chen einem Ereig­nis oder ein­er Sit­u­a­tion und ein­er weit­eren Entwick­lung.
Erläuterung: Man sollte hier beacht­en, dass es natür­lich diese soge­nan­nten ‘slip­pery slope’ gibt. Aber nicht jede ‘schiefe Ebene’ ist tat­säch­lich eine neg­a­tive schiefe Ebene. Es gibt sie auch in moralisch guter Form.
Beispiel 12.1: Gesellschaftlich­er Unter­gang
Diverse bedeu­tende Sozi­olo­gen haben einen Zusam­men­hang zwis­chen zunehmender sex­ueller Freizügigkeit und dem Unter­gang von Kul­turen hergestellt: Lib­er­al­isiert eine Kul­tur ihre Sex­u­alethik, gerät sie auf eine ‘schiefe Ebene’ die automa­tisch ihren Unter­gang her­beiführen wird. Der Anthro­pologe J. D. Unwin hat sog­ar die Zeit­dauer bis zum Unter­gang bez­if­fert: 3 Gen­er­a­tio­nen. Dem­nach müssten unsere west­lichen Kul­turen 3 Gen­er­a­tio­nen nach der sex­uellen Rev­o­lu­tion der 60/70er unterge­hen – also irgend­wo in den kom­menden ca. 30 Jahren. Auch aus christlich­er Per­spek­tive haben solche The­o­rien haben eine gewisse Plau­si­bil­ität, find­en wir doch auch in der Bibel göt­tlich­es Gericht über die Völk­er als Kon­se­quenz von Sünde und verge­hen. Wir find­en in der Bibel aber auch das andere: Völk­er erhal­ten eine reale Chance, wenn sie von ihren bösen Wegen umkehren. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Ninive in der Jonas-Geschichte. Der Unter­gang ist nicht unauswe­ich­lich. Bei Gott ist Umkehr möglich.
Beispiel 12.2: Sklaverei
Ein Sklaven­hal­ter aus den Süd­staat­en der USA kon­nte im 19.Jh sagen: «Wenn ihr die Sklaven befre­it, wer­den wir als näch­stes auch noch den Frauen das Wahlrecht geben!» Das entsprach der Logik der Befreiung und hat dann auch so stattge­fun­den. Aber den Frauen das Wahlrecht zu geben, kann als moralisch richtig beze­ich­net wer­den. Dann war es im pos­i­tiv­en Sinne eine ‘schiefe Ebene’.

13_Der Ad-pop­u­lum-Fehlschluss (Zug­wa­gen-Fehlschluss)

Beschrei­bung: Man beruft sich auf die Pop­u­lar­ität ein­er Idee oder auf die Tat­sache, dass viele Men­schen etwas tun, um daraus zu schliessen, dass die entsprechende Idee oder Hand­lung gut sein muss.
Erläuterung: Der Fehler in diesem Argu­ment ist, dass die Pop­u­lar­ität ein­er Idee abso­lut keinen Ein­fluss auf ihre Gültigkeit oder Güte hat. Beim Ad-pop­u­lum-Fehlschluss wird oft appel­liert, sich «auf die richtige Seite der Geschichte» zu stellen. Es wird dazu aufge­fordert, rechtzeit­ig ‘auf den Zug’ aufzus­prin­gen.
Beispiel 13.2: Total­i­taris­mus
Diverse total­itäre Sys­teme haben ihre Macht mit ein­er Mehrheit der Bevölkerung im Rück­en ange­treten. Ihre Ide­olo­gien haben sich den­noch als zer­störerisch erwiesen.

14_Die Beru­fung auf eine Autorität

Beschrei­bung: Etwas muss wahr sein, weil eine Autorität oder glaub­würdi­ge Quelle das auch glaubt.
Erläuterung: Wir brauchen Experten oder Autoritäten. Das Urteil eines Arztes ist auf­grund sein­er medi­zinis­chen Fachken­nt­nisse wichtig. Aber natür­lich kön­nen sich Autoritäten auch irren, oder Fach­per­so­n­en sind sich uneinig. Das Prob­lem tritt ver­stärkt auf, wenn Fach­per­so­n­en willkür­lich herange­zo­gen wer­den oder als Autoritäten in für sie fremde Fach­bere­iche.
Beispiel 14.1: Covid-Spezial­is­ten
In der Covid19 The­matik haben sich alle auf Autoritäten berufen, und dabei völ­lig gegen­sät­zliche Mei­n­un­gen vertreten. Die Covid Krise hat aber auch aus ganz vie­len Laien ver­meintliche Autoritäten gemacht – ohne dass sie wirk­liche Kom­pe­tenz gehabt hätten.

15_Die falsche Ursache

Beschrei­bung: Weil auf A ein B fol­gt, muss A die Ursache für B sein.
Erläuterung: Viele Men­schen ver­wech­seln Kor­re­la­tion (Dinge, die zusam­men oder nacheinan­der auftreten) mit Kausal­ität (dass eine Sache die andere tat­säch­lich verur­sacht). Manch­mal ist die Kor­re­la­tion zufäl­lig, manch­mal ist eine gemein­same Ursache gegeben.
Beispiel 10.3: Covid Neben­wirkun­gen
Nach der Covid Imp­fung verze­ich­nete die Schweiz einen starken Rück­gang der Geburten­zahlen. Es liegt auf der Hand, dass eine Verbindung hergestellt wird. Trotz­dem kön­nte es neben der Imp­fung weit­ere oder andere Ursachen geben. Der mögliche Zusam­men­hang muss sauber unter­sucht wer­den, bevor daraus ein­deutige Schlüsse gezo­gen wer­den können.

16_Die falsche Ver­all­ge­meinerung (Der induk­tive Fehlschluss)

Beschrei­bung: Aus dem Einzel­nen wird auf das All­ge­meine geschlossen.
Erläuterung: Dieser Fehlschluss ist ähn­lich wie die anek­do­tis­che Bewe­is­führung. Um zu ver­all­ge­mein­ern, dass die meis­ten A wie B sind, muss man mehr als nur ein paar Beispiele dafür anführen. Es gilt aufmerk­sam zu sein auf For­mulierun­gen wie “alle”, “die meis­ten”, “immer”, “nie”…
Beispiel 16.1: West­boro Bap­tis­ten
In den Main­stream-Medi­en wer­den die Hand­lun­gen ein­er kleinen und has­ser­füll­ten Kirche, der ‘West­boro Bap­tist Church’, manch­mal als repräsen­ta­tiv für Evan­ge­likale oder gar das Chris­ten­tum präsen­tiert. Das ist falsch. Diese Gruppe ist für ihre has­ser­füll­ten Plakate und andere Schand­tat­en bekan­nt. Von ihrem Ver­hal­ten auf den all­ge­meinen Charak­ter der Chris­ten­heit zu schliessen, ist eine falsche Verallgemeinerung.

17_Die Kaf­ka-Falle

Beschrei­bung: Unter­stelle deinem Geg­n­er etwas Bösar­tiges auf eine Art, dass, sobald er es abstre­it­en will, dies seine Schuld nur noch weit­er unter­stre­icht.
Erläuterung: Im Roman “Der Prozess” präsen­tiert Kaf­ka eine absurde, total­itäre Welt, in der ein Mann eines Ver­brechens beschuldigt wird, aber auf­grund der ver­wor­re­nen Bürokratie nie erfährt, was ihm vorge­wor­fen wird. Die Kaf­ka-Falle geht immer zugun­sten des Klägers aus. Der Angeklagte kann entwed­er dem Kläger zus­tim­men und ihn damit bestäti­gen — stre­it­et er die Klage ab wird dies aber auch als Beleg gese­hen, dass er schuldig ist.
Beispiel 17.1: Kim de l’Hori­zon
In einem Face­book Post lobt ein The­ologe ‘Kim de l’Hori­zon’, Gewin­ner des Deutschen Buch­preis­es 2022. Als viele Kom­men­ta­toren sich entrüsten und auf pornografis­che und okkulte Ele­mente im Buch hin­weisen, sieht sich der The­ologe darin bestätigt, wie wichtig das Buch ist: «Die Kom­mentare hier zeigen mir, wie notwendig dieses Buch und auch dieser Preis offen­bar sind.». Anders aus­ge­drückt: Wer dem The­olo­gen applaudiert beweist, dass er mit seinem Lob recht hat, wer ihm wider­spricht bestätigt dies eben­falls.
Beispiel 17.2: ‘Weiss­er Kolo­ni­an­is­mus’ und andere ‑ismen.
Die Kaf­ka Falle kommt oft vor bei Anschuldigun­gen im The­men­bere­ich von Ras­sis­mus, Sex­is­mus und anderen ‑ismen. Im Denken ‘wok­er’ Aktivis­ten haben sich zum Beispiel “weisse het­ero­sex­uelle Män­ner” immer als Mitschuldige zu betra­cht­en für die Unter­drück­ung von Minoritäten. Iden­ti­fizieren sie sich nicht als mitschuldig, bestäti­gen sie lediglich die These, dass sie tat­säch­lich an der Unter­drück­ung beteiligt und damit schuldig sind. Die Leug­nung ein­er Schuld wird zur eigentlichen Demon­stra­tion von Schuld und Mittäterschaft.

18_Der genetis­che Fehlschluss

Beschrei­bung: Dinge wer­den als gut oder schlecht eingestuft, je nach­dem, woher oder von wem sie kom­men.
Erläuterung: Dieser Trugschluss umge­ht das Argu­ment, indem er den Fokus auf die Herkun­ft von etwas oder jeman­dem ver­lagert. Er ähnelt dem “ad hominem”-Trugschluss, da er beste­hende neg­a­tive Wahrnehmungen aus­nutzt, um das Argu­ment eines anderen schlecht ausse­hen zu lassen, ohne tat­säch­lich zu begrün­den, warum das Argu­ment selb­st nicht stich­haltig ist. Das will nicht heis­sen, dass wir nicht die Ursprünge von Ideen erforschen sollen oder Leben und Welt­sicht ihrer Urhe­ber in die Beurteilung ein­er Idee ein­fliessen kön­nen.
Beispiel 18.1: Ravi Zacharias, Bill Hybels
Muss die The­olo­gie eines Ravi Zacharias oder eines Bill Hybels abgelehnt wer­den, wenn sie sex­uelle Ver­fehlun­gen began­gen haben? Dies muss nicht zwin­gend sein. Dafür müsste der Nach­weis erbracht wer­den, dass ihre The­olo­gie ein Instru­ment war, mit dem sie ihr eigenes Ver­hal­ten gerecht­fer­tigt haben oder das ihr Ver­hal­ten einen pos­i­tiv­en Bezug zu ihrer Weltan­schau­ung, ihrem Glauben hat­te.
Beispiel 18.2: Jesu Herkun­ft
Einige lehn­ten Jesus und seine Botschaft ab, weil sie in Bezug auf seine Herkun­ft ein Vorurteil hat­ten: “Was kann aus Nazareth Gutes kom­men!” (Joh 1:46)

19_Das zirku­lare Argu­ment (Zirkelschluss)

Beschrei­bung: Ein Argu­ment wird mit dem gle­ichen Argu­ment unter­mauert.
Erläuterung: Der Zirkelschluss beweist das Argu­ment nicht, son­dern wieder­holt es. Dies geschieht, indem zwei Behaup­tun­gen aufgestellt wer­den, die das Gle­iche bedeuten. Zirkelschlüsse entste­hen oft in Sit­u­a­tio­nen, in denen Men­schen eine Annahme haben, die sehr tief ver­wurzelt ist und daher in ihrem Kopf als gegeben angenom­men wird. Das bedeutet, dass man davon aus­ge­ht, dass die eigene Mei­n­ung wahr ist, anstatt sie zu begrün­den.
Beispiel 19.1: Kaf­fee
«Kaf­fee regt an, weil er eine auf­putschende Wirkung hat.» Hier ist die These bere­its in der Begrün­dung enthal­ten.
Beispiel 19.2: Die Bibel ist Gottes Wort
„Die Bibel ist Gottes Wort, weil der erste Brief an Tim­o­theus klar sagt, dass alle Schrift von Gott eingegeben ist». Auf der Glaubensebene mag eine solche Aus­sage Sinn ergeben. Auf der logis­chen Ebene muss dieses Argu­ment als Zirkelschluss betra­chtet wer­den. Die Behaup­tung arbeit­et zur Bewe­is­führung mit ihrer eige­nen Behaup­tung. Man kann jedoch sagen, dass es der Selb­stanspruch der Bibel ist, Gottes Wort an die Men­schen zu sein, und dies deshalb auch die christliche Grun­dan­nahme sein muss. Diese Grun­dan­nahme kann dann mit weit­eren Argu­menten gestützt werden.

20_Die falsche Äquiv­alenz (Äpfel mit Bir­nen ver­gle­ichen)

Beschrei­bung: Der Trugschluss der falschen Äquiv­alenz liegt vor, wenn der Sprech­er oder Schreiber eine Sache mit ein­er anderen gle­ich­set­zt und Schlussfol­gerun­gen zieht, obwohl bei­de Sachen in Wirk­lichkeit unter­schiedliche Dinge sind.
Erläuterung: -
Beispiel 20.1: Petrus und LGBT
Ein The­ologe argu­men­tiert in seinem Buch unter anderem mit der Geschichte von Petrus und Kor­nelius (Apg 10) für eine Neuord­nung von Homo­sex­u­al­ität. Das Argu­ment besagt, dass in dieser Geschichte eine Lin­ie über­schrit­ten wurde. Im Traum wurde Petrus gesagt, bish­er ver­botenes (der Kon­sum unrein­er Tiere) sei nun erlaubt und gut. Demen­sprechend könne man nun auch im Bere­ich LGBT eine Gren­ze über­schre­it­en, und homo­sex­uelle Beziehun­gen gutheis­sen. Doch es fehlt hier die Äquiv­alenz. Es geht in jen­er Petrusgeschichte um die Ausweitung der Mis­sion auf die Hei­den und damit um etwas, was in den bib­lis­chen Schriften einen lan­gen prophetis­chen Vorschat­ten hat. Bere­its Jesus hat­te den Jüngern den Auf­trag gegeben, das Evan­geli­um allen Völk­ern zu brin­gen (Mt 28,16–20) und er hat­te auch die Spei­sevorschriften rel­a­tiviert (z.B. Mt 15:17–18). Ganz anders in der Frage der Legit­im­ität homo­sex­ueller Beziehun­gen: Jesus bestätigt aus­drück­lich die Ehe als Beziehung von Mann und Frau und es gibt kein­er­lei prophetis­che Vorschat­ten. Nüt­zlich ist für den besagten The­olo­gen in sein­er Argu­men­ta­tion also lediglich der Akt der Gren­züber­schre­itung in der Geschichte von Petrus, welche er dann auf eine grundle­gend andere Fragestel­lung anwen­det. Die Geschichte von Petrus und Kor­nelius (Ausweitung der bib­lisch vor­angekündigten Hei­den­mis­sion) lässt sich nicht ein­fach so über­tra­gen auf ein neues The­ma (Aufhe­bung der bib­lisch durchgängi­gen Ablehnung von homo­sex­ueller Prax­is).
Beispiel 20.2: Ehe für alle
Die Abstim­mung zur Ehe für alle wurde 2021 inten­siv mit dem Argu­ment geführt, das alle die gle­ichen Rechte haben sollen. Eigentlich würde das Recht­sprinzip aber laut­en: «Gle­ich­es ist nach Mass­gabe sein­er Gle­ich­heit gle­ich, Ungle­ich­es nach Mass­gabe sein­er Ungle­ich­heit ungle­ich zu behan­deln.» Wenn ungle­iche Dinge gle­ich­be­han­delt wer­den, beste­ht die Gefahr, dass wiederum eine ungerechte Sit­u­a­tion entste­ht. Die Ungle­ich­heit zwis­chen het­ero­sex­ueller und homo­sex­ueller Ehe beste­ht im Bere­ich der Repro­duk­tion. Das in der het­ero­sex­uellen Vere­ini­gung angelegte Poten­tial Kinder zu zeu­gen ist bei der homo­sex­uellen nicht gegeben. Die Ein­führung der Ehe für alle führt deshalb logis­cher­weise zu Forderun­gen, im Namen gle­ich­er Rechte nun auch neue Möglichkeit­en im Bere­ich der kün­stlichen Fortpflanzung zu erlauben. Dies schafft gegenüber betrof­fe­nen Kindern wiederum Ungerechtigkeit­en. Am Ursprung ste­ht die falsche Äquivalenz.

21_Das ‘Du auch’ Argument

Beschrei­bung: Man ver­mei­det es, sich mit ein­er Kri­tik auseinan­derzuset­zen, indem man sie auf den Ankläger zurück­wirft. Man beant­wortet Kri­tik mit Kri­tik.
Erläuterung: Dies wird häu­fig als wirk­sames Ablenkungs­man­över einge­set­zt, weil es den Druck von jeman­dem nimmt, der sein Argu­ment vertei­di­gen muss, und stattdessen den Fokus wieder auf die Per­son gelenkt wird, welche die Kri­tik äußert. Dieses Argu­ment existiert auch in der Form «Er auch», also das eine Drittper­son kri­tisiert wird.
Beispiel 21.1: Kinder
Ein Kind hat etwas Dummes getan oder eine Haus­regel gebrochen. Das Ein­fach­ste ist, die Aufmerk­samkeit auf die Geschwis­ter zu lenken welche auch dabei waren oder das Verge­hen auch schon began­gen haben. Wenn es ganz dumm läuft, hast du als Vater oder Mut­ter die Regel auch schon übertreten und das Kind reibt es dir unter die Nase: «Du auch!» Das «Du auch!» heisst aber nicht, dass die Regel aufge­hoben wäre… nein, sie ist immer noch in Kraft!
Beispiel 21.1: Kirchen­rück­gang, Miss­brauchsskan­dale usw.
Im kirch­lichen Umfeld herrscht auch ein gewiss­er Konkur­ren­zkampf. Bei Neg­a­tivschlagzeilen kann da auch mal heim­liche Schaden­freude herrschen bei den Mitkonkur­renten. Die Gefahr ist aber, dass man die eige­nen Hausauf­gaben nicht macht. Nur weil andere Kirchen auch Prob­leme haben, heisst das noch lange nicht, dass man seine eige­nen nicht ange­hen sollte.

22_Die Beru­fung auf die Natur

Beschrei­bung: Das Argu­ment behauptet, dass etwas, weil es in der Natur existiert, auch gültig, gerecht­fer­tigt, unver­mei­dlich, gut oder ide­al ist.
Erläuterung: Viele “natür­liche” Dinge wer­den automa­tisch auch als “gut” ange­se­hen, aber die Natür­lichkeit selb­st macht etwas nicht gut oder schlecht. Es gibt auch schlechte Ver­an­la­gun­gen, welche sich als natür­lich anfühlen oder sehr tief im Men­schen sind.
Beispiel 22.1: Pros­ti­tu­tion
Im 1. Korinther­brief Kap 6 geht Paulus auf das Argu­ment ein, Sex­u­al­ität sei für den Men­schen wie das Essen für den Bauch, also ein natür­lich­es Bedürf­nis, welch­es z.B. auch durch Pros­ti­tu­tion befriedigt wer­den kann. Paulus lehnt dieses Argu­ment ab.
Beispiel 22.1: Neuzeitliche Sex­olo­gen
Neuzeitliche Sex­olo­gen wie Alfred Kin­sey haben oft die Tier­welt beige­zo­gen, um gewisse men­schliche Ver­hal­tensweisen zu recht­fer­ti­gen. Der Men­sch wurde als ‘men­schlich­es Tier’ präsen­tiert, dem Schaden zuge­fügt würde, wenn man ihm das Ausleben sein­er Instink­te nicht ges­tat­ten würde. Nun — die Tier­welt ken­nt auch Arten, welche aus instinkt die Nachkom­men auf­frisst oder gar den Sexpartner…

23_Die gold­ene Mitte

Beschrei­bung: Die Idee der gold­e­nen Mitte legt nahe, dass ein Kom­pro­miss zwis­chen zwei Extremen die Wahrheit respek­tive die beste Lösung sein muss.
Erläuterung: Manch­mal liegt die Wahrheit tat­säch­lich zwis­chen zwei Extremen. Aber das kann unser Denken verz­er­ren: Manch­mal ist eine Sache ein­fach unwahr und ein Kom­pro­miss damit ist eben­falls unwahr. Der halbe Weg zwis­chen der Wahrheit und ein­er Lüge ist immer noch eine Lüge.
Beispiel 23.1: König Salomon
Das bekan­nte salomonis­che Urteil in 1 Könige 3,16–28 zeigt auf, wie falsch die gold­ene Mitte sein kann. Zwei Prosi­tu­ierte erhoben Anspruch auf das gle­iche Kind. Salo­mo provoziert das Her­vortreten der Wahrheit, indem er vorschlägt, das Kind zweizuteilen und jed­er Frau die Hälfte zu geben. Es liegt auf der Hand, dass die ‘gold­ene Mitte’ in diesem Fall nicht die Wahrheit sein kon­nte und nur eine der bei­den Frauen die Mut­ter war.

24_Der Ruf nach Ambiguität

Beschrei­bung: Mehrdeutigkeit kann aus­genutzt wer­den, um irrezuführen oder die Wahrheit falsch darzustellen.
Erläuterung: -
Beispiel 24.1: Mei­n­ungs­mach­er
Mei­n­ungs­mach­er oder Poli­tik­er, welche sich alle Optio­nen offen­hal­ten wollen, machen Ambi­gu­i­tät oft zu einem zen­tralen Ele­ment ihrer Sprache. Ambigue Posi­tio­nen und Aus­sagen lassen sich im Nach­hinein bess­er Vertei­di­gen oder Rev­i­dieren.
Beispiel 24.2: Glaubenslehren
In der The­olo­gie wird heute oft nach mehr Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz gerufen. Dabei geht es darum, Ein­heit nicht über den Kon­sens in christlichen Lehren zu suchen, son­dern die Vielfalt als einen­des Ele­ment zu ent­deck­en und zu feiern. Christliche Vielfalt muss aber Gren­zen haben. In der Bibel wer­den immer wieder Beurteilun­gen vorgenom­men, oder es wird dazu aufgerufen, falsche Lehren zu unterbinden. Es gibt für Chris­ten einen unver­han­del­baren Glaubenskern, bei dem Ambi­gu­i­tät gän­zlich fehl am Platz ist (Vgl. z.B. 1Kor 15:3)

25_Der Design Fehlschluss

Beschrei­bung: Der Design Fehlschluss geht davon aus, dass etwas, nur weil es hüb­sch gestal­tet oder schön präsen­tiert ist, auch wahrer ist.
Erläuterung: Was äusser­lich überzeu­gend daherkommt muss nicht unbe­d­ingt auch ‘inner­lich’ richtig und wahr sein. Die Sub­stanz muss geprüft wer­den.
Beispiel 25.1: Architek­tur
In der mod­er­nen Architek­tur wird aus Design­grün­den oft auf Steildäch­er oder Vordäch­er verzichtet. Solche Kon­struk­tio­nen sind aber oft weniger dauer­haft und funk­tion­al. Von einem mod­er­nen und durchgestyl­ten Flach­dachge­bäude auf eine bessere Qual­ität zu schliessen, ist deshalb falsch.
Beispiel 25.2: Irrlehren
In der The­olo­gie wer­den viele Lügen durch wohlfor­mulierte, geschlif­f­ene und geschickt kon­stru­ierte Predigten ver­bre­it­et, welche überzeu­gend tönen und per­fekt präsen­tiert sind. Auch Büh­nen-Nebel, Licht-Effek­te, LED-Wände oder gepol­sterte Stüh­le sind kein Garant für inhaltliche Qualität…

26_“Special plead­ing”

Beschrei­bung: Dieser Trugschluss kri­tisiert ein Argu­ment wegen ein­er bes­timmten Eigen­schaft, nimmt sich selb­st aber von der gle­ichen Kri­tik aus.
Erläuterung: “Spe­cial plead­ing” ist eine Form von Inkon­sis­tenz.
Beispiel 26.1: Queere The­olo­gie
Vom Wun­sch, die Bibel ernst zu nehmen, bleibt in der Prax­is der pro­gres­siv­en The­olo­gie oft wenig übrig. Beson­ders stark tritt dies zutage bei gewis­sen pro­gres­siv­en the­ol­o­gis­chen Aus­prä­gun­gen wie zum Beispiel der queeren The­olo­gie. Diese lebt stark davon, dass die per­sön­liche Wahrnehmung in die Bibel hinein­pro­jiziert wird. Die Ergeb­nisse sehen dann eher aus, wie die ide­ol­o­gis­che Pro­gramm­schriften der Queer The­o­rie. Dem eige­nen Anspruch, die Bibel ernst zu nehmen, wird nicht nachgekom­men.
Beispiel 26.2: Fol­low the Sci­ence, fol­low the Ennea­gramm
In Feld der­jeni­gen, welche sich in den ver­gan­genen Jahren vom his­torischen Chris­ten­tum ver­ab­schiedet haben, wird oft das Argu­ment der Wis­senschaftlichkeit aufge­führt. Die Bibel und das Chris­ten­tum wür­den sich den wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen ver­schliessen, weshalb man sich nun von bish­er gehal­te­nen Glaubenssätzen dis­tanziert. Gle­ichzeit­ig fällt jedoch auf, was für einen promi­nen­ten Platz unwis­senschaftlich­es oft weit­er­hin hat im Leben dieser Men­schen. Ihnen ist zum Beispiel das gän­zlich unwis­senschaftliche Ennea­gramm (weit­er­hin) äusserst wichtig. Viele ver­lagern ihr Inter­esse und suchen eso­ter­ische Erfahrun­gen. Schein­bar sind solche Dinge vom Grund­satz der Wis­senschaftlichkeit ausgenommen…

27_Der “Can­cel­la­tion-Fehlschluss

Beschrei­bung: Der “Can­ce­la­tion-Fehlschluss” ist eine Kom­bi­na­tion von ver­schiede­nen Fehlschlüssen und ist wirk­sam in der heuti­gen ‘Can­cel-Cul­ture’
Erläuterung: Dieser Fehlschluss wurde vom Philosophen und Apolo­geten Dou­glas Groothuis erörtert.
Beispiel 27.1: Belei­di­gung
1. Jemand fühlt sich durch P belei­digt (z.B. durch eine Aus­sage oder eine Hand­lung)
2. Daher ist P falsch und Böse (Ad-hominem)
3. Das moralis­che Unrecht, das von jeman­dem wie P began­gen wird, wird ein­er bre­it­en Kat­e­gorie wie Ras­sis­mus, Homo­pho­bie, Trans­pho­bie o.ä. zuge­ord­net (Strohmann)
4. Daher muss, wer sich auf die Seite von P stellt, gecan­celt wer­den.
5. Wenn andere P nicht anprangern, müssen sie eben­falls gecan­celt wer­den, denn “Schweigen ist Gewalt”.

28_Dasa “Gaslight­ing

Beschrei­bung: Gaslight­ing ist der Ver­such, beim Gegenüber Zweifel an dessen Wahrnehmung der Real­ität zu weck­en.
Erläuterung: Gaslight­ing ver­sucht durch die Vortäuschung falsch­er Tat­sachen oder durch Ver­leug­nung von real existieren­den Din­gen, Ver­hal­tensweisen oder Ereignis­sen beim Gegenüber Zweifel her­vorzu­rufen an der eige­nen Wahrnehmung der Real­ität. Der Begriff stammt aus dem Titel eines The­ater­stücks von 1938 und den darauf basieren­den Fil­men, in denen ein Mann ver­sucht, seine Frau glauben zu machen, dass sie ver­rückt ist. Gaslight­ing ist auch eine beliebte Strate­gie, um im öffentlichen Diskurs andere Per­so­n­en­grup­pen als unge­bildet und dumm ausse­hen zu lassen.
Beispiel 28.1: Olymp­is­che Spiele
Ein gutes Beispiel für Gaslight­ing waren die Ereignisse rund um die Eröff­nung der Olympiafeier in Paris. Nach­dem die als ‘Abendmahls-Szene’ bekan­nt­ge­wor­dene Episode der Feier für einen Auf­schrei in religiösen Kreisen sorgte, wurde von den Ver­anstal­tern der Bezug zu ein­er antiken bac­cha­n­tis­chen Orgie forciert. Dies wurde in Pro­gres­siv­en Kreisen bere­itwillig aufgenom­men und in den sozialen Medi­en weit­er­ge­tra­gen. Die Kreise, die sich entrüstet hat­ten, wur­den so als unge­bildet und von über­mäs­sigem religiösem Wahn getrieben dargestellt, während die Pro­gres­siv­en sich selb­st als wis­send und gebildet darstellen kon­nten. Im Beispiel der Olymp­is­chen Spiele schwin­gen weit­ere Ele­mente mit:
- Das falsche Dilem­ma. Das Fest kon­nte sich gle­ichzeit­ig sowohl auf die antiken Feste beziehen als auch eine Sub­ver­sion des Abendmahls sein. Es musste nicht das eine oder andere sein, es kon­nte bei­des sein.
- Die Motte and Bai­ley Strate­gie: Rück­zug auf eine ein­fach­er zu vertei­di­gende Aus­sage (das antike Fest), obwohl man eigentlich eine viel umstrit­tenere Botschaft an den Mann gebracht hat­te (Belei­di­gung des Christentums).

29_“Motte and bai­ley

Beschrei­bung: Die „motte and bai­ley“ ist eine Strate­gie, bei der man sich hin­ter ein ein­fach zu vertei­di­gen­des Argu­ment oder Aus­sage ver­schanzt und behauptet, ein schwieriger zu vertei­di­gen­des Argu­ment respek­tive eine schwieriger zu vertei­di­gende Aus­sage nicht gemacht zu haben.
Erläuterung: Der Begriff stammt von einem Typus mit­te­lal­ter­lich­er Bur­gen, welche einen Wehrturm (Motte) mit ein­er befes­tigten Vor­zone kom­binierten (Bai­ley). Der Motte-and-Bai­ley-Fehlschluss ist eine Form der Argu­men­ta­tion, bei dem ein Argu­men­tieren­der zwei Posi­tio­nen miteinan­der verbindet, die Ähn­lichkeit­en aufweisen: eine beschei­dene und leicht zu vertei­di­gende (die “Motte”) und eine viel umstrit­tenere und schw­er­er zu vertei­di­gende (die “Bai­ley”). Der Argu­men­tierende ver­tritt die umstrit­tene Posi­tion oder macht eine umstrit­tene Aus­sage, behar­rt aber, wenn er her­aus­ge­fordert wird, darauf, dass er nur die beschei­denere, weniger umstrit­tenere Posi­tion ver­tritt respek­tive Aus­sage gemacht hat.
Beispiel 29.1: Alle Weis­sen sind Ras­sis­ten
Im Buch “Crit­i­cal Dilem­ma” von Neil Shen­vi und Pat Sawyer wird die Motte-and-Bai­ley Strate­gie aus­führlich besprochen am Beispiel Ras­sis­mus. Die Aus­sage „Alle Weis­sen sind Ras­sis­ten“ (die Bai­ley) wird dabei fall­en gelassen zugun­sten der Aus­sage „Alle Weis­sen sind an Sys­te­men beteiligt, welche in Bezug auf Rasse ungerecht sind“ (die Motte).
Wichtig ist, den Rück­zug auf die Motte zu ver­hin­dern, indem auf die erste gemachte Aus­sage fokussiert wird und deren Prob­lematik her­vorge­hoben wird. Zum einen find­en wir auch in guten Sys­te­men wie der Ehe, dem Pri­va­trecht usw. die Prob­lematik der Ungle­ich­heit. Zum anderen sind wir in diesen Sys­te­men alle Beteiligt und miteinan­der ver­woben so das man kon­se­quenter­weise auch sagen müsste: „Alle Lati­nos sind Ras­sis­ten“, „Alle schwarzen sind Ras­sis­ten“.
Beispiel 29.2: Radio­sta­tion
Eine Form von “Motte and bai­ley” ist es, die eigene Posi­tion oder Ide­olo­gie an den Mann zu brin­gen, indem man andere Men­schen reden lässt. Eine Radio­sta­tion kann beispiel­sweise die Mei­n­ungs­bil­dung ihrer Hör­er bee­in­flussen durch die Auswahl der Inter­viewgäste. Wird man dann kri­tisiert, so kann man sich dahin­ter ver­steck­en, dass man Inter­view­part­ner offen und ehrlich über ihre Ansicht­en reden lassen will und deren Mei­n­un­gen sich nicht mit der Ansicht der Redak­tion deck­en müssen.

30_Das “Ghost­ing

Beschrei­bung: Ghost­ing ist die abrupte Beendi­gung der Kom­mu­nika­tion mit ein­er Per­son, ohne Erk­lärung von Grün­den.
Erläuterung: Das Konzept bezieht sich ursprünglich auf roman­tis­che Beziehun­gen, wird aber auch son­st in Fre­und­schaften oder im Arbeit­sum­feld ange­wandt. Das Ghost­ing ist auch eine Strate­gie im öffentlichen Diskurs und Online. Eine missliebige oder unbe­queme Per­son oder Per­so­n­en­gruppe (und damit auch deren Argu­ment) wird durch Kom­mu­nika­tion­s­ab­bruch oder ‑Ver­weigerung aus dem Diskurs fer­nge­hal­ten. Ghost­ing geht oft Hand in Hand mit Gaslight­ing, und das Ergeb­nis, das “Ghost­light­ing”, gibt dem Opfer oft das Gefühl, selb­st schuld zu sein.
Beispiel 30.1: Umgang von Pro­gres­siv­en mit kon­ser­v­a­tiv­en Kri­tik­ern
Als Blog­ger von Daniel Option erleben wir manch­mal, wie wir online ‘geghostet’ wer­den. Pro­gres­sive Mei­n­ungs­führer, wenn sie ein­mal merken, dass wir unsere Posi­tio­nen vertei­di­gen, ver­legen sich darauf, uns ohne Vor­war­nung in den sozialen Medi­en zu sper­ren oder sich jeglichem Diskurs mit uns und unseren Argu­menten zu verweigern.

31_Der “Authen­tiz­itäts-Fehlschluss

Beschrei­bung: Der “Authen­tiz­itäts-Fehlschluss” (eigene Wortschöp­fung) geht davon aus, dass etwas, was sich authen­tisch und ehrlich anfühlt, auch wahr und gut ist.
Erläuterung: Authen­tiz­ität ist in unser­er Gesellschaft ein sehr hoher Wert. Wer sich authen­tisch mit­teilt find­et Zus­tim­mung. Doch Authen­tiz­ität und Ehrlichkeit sind keine Garan­ten für die Wahrheit. Man kann auch authen­tisch daneben liegen, ehrlich in die Irre gehen.
Beispiel 30.1: Die Suche nach dem wahren Selb­st
Im Zusam­men­hang mit Tren­nun­gen und Schei­dun­gen begeg­net mit oft das Argu­ment der Authen­tiz­ität. Per­so­n­en argu­men­tieren, dass in ein­er von uner­füll­ten Wün­schen oder ein­er gewis­sen Ent­frem­dung geprägten Beziehung der ehrliche (und deshalb gar der christliche) Weg die Suche nach Ver­wirk­lichung der eige­nen Sehn­süchte ausser­halb der Beziehung sein muss. Die Suche nach dem “authen­tis­ches Selb­st” darf auf Kosten der verbindlichen Beziehun­gen gehen, in denen man lebt (Ehe, Fam­i­lie, Freundeskreis).

32_DARVO (Opfer-Täter Umkehr)

Beschrei­bung: DARVO ste­ht für „Deny, Attack, and Reverse the roles of Vic­tim and Offend­er“: Leug­nen, Angreifen und die Rollen von Opfer und Täter ver­tauschen.
Erläuterung: Ich kenne den Begriff DARVO von James Lind­say, welch­er dem Phänomen auf sein­er Plat­tform “New Dis­cours­es” eine Folge wid­met. DARVO beschreibt grund­sät­zlich eine Form von Opfer Täter Umkehr. Es ist ein Trick, der ins­beson­dere von spal­ter­ischen Ele­menten einge­set­zt wird, um Geg­n­er mund­tot zu machen oder als das eigentliche Prob­lem zu fra­men.
Beispiel 32.1: kirch­liche Ein­heit
Christliche Ein­heit ist ein hohes Gut. Die ver­gan­genen Jahre haben in unserem freikirchlich/evangelikalen Milieu durch den Einzug poste­van­ge­likaler und pro­gres­siv­er The­olo­gie Span­nun­gen her­vorge­bracht. Mit Daniel Option haben wir die Entwick­lung immer wieder kom­men­tiert und auf die poten­ziell spal­tende Wirkung hingewiesen, welche diese neuen The­olo­gien in Kirchen und Ver­bän­den haben kön­nen. Mit unserem offe­nen Benen­nen solch­er Entwick­lun­gen mussten wir uns aber selb­st mit dem Vor­wurf kon­fron­tiert sehen, spal­ter­isch zu sein. Wer in guter Absicht auf Prob­leme im Leib Christi hin­weist, ste­ht bald selb­st als Buh­mann da, der den Haus­frieden gefährdet.

33_Die Pathol­o­gisierung

Beschrei­bung: Anstatt dass man sich mit den Argu­menten des Gegenübers befasst, wird diesem eine medi­zinis­che Diag­nose ver­passt, um ihn in ein schlecht­es Licht zu rück­en.
Erläuterung: Bei der Pathol­o­gisierung wer­den Ver­hal­tensweisen, Empfind­un­gen, Wahrnehmungen, Gedanken, soziale Ver­hält­nisse oder zwis­chen­men­schlichen Beziehun­gen als krankhaft tax­iert. Ob etwas im Bere­ich des Ver­hal­tens als krankhaft eingestuft wird, hat eine sub­jek­tive Kom­po­nente. Damit eröffnet sich ein Spiel­raum, wo Diag­nosen auch als ‘Waffe’ gegenüber missliebi­gen Per­so­n­en oder Per­so­n­en­grup­pen einge­set­zt wer­den kön­nen.
Beispiel 33.1: Elon Musk
In Bezug auf Elon Musk zitiert jemand in den sozialen Medi­en einen bekan­nten Psy­chi­ater: “Frank Urban­iok über Elon Musk: Er hat wohl ein Asperg­er-Syn­drom …” Es fol­gt eine län­gere Diag­nose, bei denen per­sön­liche Defizite, pubertär unreifes Ver­hal­ten und der­gle­ichen fest­gestellt und dies alles in den Zusam­men­hang eines diag­nos­tizierten Asperg­er-Syn­drom gestellt wird. Zu guter Let­zt wird Musk als “nicht unge­fährlich” beze­ich­net. Diese Pathol­o­gisierung ist prob­lema­tisch: Sie verbindet Asperg­er-Syn­drom klis­chee­haft mit gefährlichen Wesen­szü­gen und nimmt Per­so­n­en mit ein­er gle­ichen Diag­nose damit in Geisel­haft. Sie ver­birgt vor allem das eigentliche Anliegen, nähm­lich Elon Musk zu diskred­i­tieren, weil man mit seinen poli­tis­chen und wirtschaftlichen Posi­tio­nen nicht einig ist. Die Pathol­o­gisierung macht diese Diskred­i­tierung möglich, ohne dass man auf Argu­mente einge­hen oder seine wahren Motive offen­le­gen muss.
Beispiel 33.2: Homo­pho­bie
Die 1970er Jahre waren gekennze­ich­net von grossen Umbrüchen in der klin­is­chen Diag­nose von Homo­sex­u­al­ität. Bis dahin war Homo­sex­u­al­ität als Per­sön­lichkeitsstörung im diag­nos­tis­chen und sta­tis­tis­chen Hand­buch psy­chis­ch­er Störun­gen der amerikanis­chen Psy­chi­a­trischen Vere­ini­gung erfasst. Vor allem auf Druck ein­er sehr aktivis­tis­chen homo­sex­uellen Bewe­gung (Kon­feren­zen wur­den gestürmt…), wurde diese Diag­nose 1973 aus dem Hand­buch gestrichen. Argu­ment: Die Gesellschaft habe Homo­sex­uelle nur auf­grund ihrer eige­nen Äng­ste pathol­o­gisiert. In diesem Zusam­men­hang wurde dann ein neuer Begriff geprägt: Homo­pho­bie. “Krank” waren im Denken viel­er nun nicht mehr die Homo­sex­uellen, son­dern die Men­schen, welche in Bezug auf diese Form der Sex­u­al­ität Vor­be­halte haben. Hier wird sicht­bar, wie Pathol­o­gisierung auch eine Waffe sein kann in ein­er ide­ol­o­gis­chen Auseinandersetzung.

34_“Guilty by Asso­ci­a­tion” (Assozi­a­tion­ss­chuld)

Beschrei­bung: Bei ein­er „Assozi­a­tion­ss­chuld“ wird jemand oder eine Organ­i­sa­tion nicht auf­grund von Beweisen, son­dern auf­grund ein­er reellen oder kon­stru­ierten Assozi­a­tion mit einem ‘Täter’ in ein schlecht­es Licht gerückt.
Erläuterung: Inhaltlich sehr ähn­lich ist auch der Begriff der “Kon­tak­tschuld”. Dies ist vor allem bekan­nt aus der Poli­tik. Eine Organ­i­sa­tion A gilt auf Grund von Kon­tak­ten zur Organ­i­sa­tion B oder zu bes­timmten Per­so­n­en als radikal. Es reicht aber nicht zu wis­sen, dass es Kon­tak­te gibt. Es müsste gek­lärt wer­den, inwiefern Posi­tio­nen und Ide­olo­gien übere­in­stim­men. Die Assozi­a­tion­ss­chuld ist eine der beliebtesten Kampf­s­trate­gien unser­er Tage. Man diskred­i­tiert bes­timmte Per­so­n­en, Grup­pen oder Organ­i­sa­tio­nen durch Assozi­a­tion mit anderen unbe­liebten Bevölkerungskreisen, unter Ver­mei­dung der eigentlichen Sach­fra­gen.
Beispiel 34.1: Pro Life Bewe­gung
Die Pro-Life Bewe­gung wird oft in eine ganze Rei­he von neg­a­tiv behafteten gesellschaftlichen Milieus hineingeschoben. Während der Covid Pan­demie wurde sie z.B. in einem Spiegel Artikel in Verbindung mit rechts­gerichteten Kreisen, Ver­schwörungs­the­o­retik­ern und Coro­na-Leugn­ern gebracht. Durch solche Assozi­a­tio­nen wird die Leben­srechts­be­we­gung ‘tox­isch’ gemacht, ohne dass die eigentliche Sachdiskus­sion geführt wird. Die Inter­es­sen­gruppe wird dann auf­grund der neg­a­tiv­en Assozi­a­tio­nen gemieden.

35_Das falsche Gerücht

Beschrei­bung: Gerüchte sind nicht belegte Nachricht­en oder Infor­ma­tio­nen, die sich dif­fus ver­bre­it­en, und im Laufe ihrer Ver­bre­itung oft auch verän­dert, ver­fremdet oder ver­stärkt wer­den. Ger­ade soziale Net­zw­erke sind aktuell ein Nährbo­den für Gerüchte.
Erläuterung: «Du sollst kein falsches Gerücht ver­bre­it­en» sagt die Bibel in 2 Mose 23,1. Die Anweisung kommt nicht von unge­fähr. Falsche Gerüchte kön­nen Per­so­n­en und Organ­i­sa­tio­nen grossen Schaden zufü­gen und wer­den deswe­gen lei­der auch immer wieder gezielt in die Welt geset­zt. Die Bekämp­fung ist aus ver­schiede­nen Grün­den schwierig. Zum einen lässt sich der Ursprung eines Gerüchts oft nicht fest­stellen. Zum anderen kann das Ent­lar­ven oder Ansprechen von Gerücht­en als neg­a­tiv­en Neben­ef­fekt auch deren weit­ere Ver­bre­itung befeuern. Es gilt sit­u­a­tiv abzuwä­gen, ob Schweigen oder Reden bess­er ist wenn es darum geht, einem Gerücht die Wirkung zu entziehen.
Beispiel 35.1: Sug­ges­tivfrage
«Aber — wieviel Geld erhal­tet Ihr eigentlich aus den USA und von Trump­is­ten?» Der kirch­liche Funk­tionär, welch­er online beim Schulleit­er ein­er ihm wohl missliebi­gen Aus­bil­dungsstädte kom­men­tiert, wollte natür­lich die in der Frage implizierte Antwort platzieren: Bes­timmt bekommt ihr ganz viel Geld aus den USA und seid deshalb moralisch ver­w­er­flich! Sug­ges­tivfra­gen sind ein schlauer Weg, neg­a­tive Gerüchte in die Welt zu set­zen, ohne dass man dafür belangt wer­den kön­nte oder Nach­weise erbrin­gen müsste. Auch hier gilt: «Du sollst kein falsches Gerücht ver­bre­it­en»!
Beispiel 35.2: Falsche Iden­tität
Ein kirch­lich­er Funk­tionär benutze diverse falsche Online-Iden­titäten, um einen Ver­dacht der Zweck­ent­frem­dung von Spenden gegen eine ihm missliebige Per­son zu streuen. Unter anderem informierte der Funk­tionär eine auf inves­tiga­tive Recherchen spezial­isierte christliche Nachricht­e­na­gen­tur. Die Nachricht­e­na­gen­tur ent­larvte zwar kor­rek­ter­weise die falsche Iden­tität des Funk­tionärs, der dann auch ent­lassen wurde. Durch die bre­ite Pub­lika­tion des Vor­falls half die Agen­tur aber wohl auch, den gezielt platzierten Ver­dacht weit­er zu verbreiten.

Die Beschrei­bun­gen bei den obi­gen Stich­worten sind sich­er nicht der Weisheit let­zter Schluss, ich hoffe aber, dass sie die per­sön­liche Reflek­tion anre­gen kön­nen. Die meis­ten Begrif­flichkeit­en find­et man auch bere­its irgend­wo in der Lit­er­atur, während die eine oder andere Wortschöp­fung von mir per­sön­lich stammt. Gerne nehme ich Anre­gun­gen und Ergänzun­gen ent­ge­gen oder erweit­ere die Liste um weit­ere poten­ziell fehler­haften Argumentationswege.

Persönliche Empfehlungen für Online-Streitgespräche

Zum Schluss noch einige per­sön­liche Empfehlun­gen für Online-Streitgespräche.

Ich selb­st unter­schei­de zwis­chen min­destens drei Grund­set­tings bei fehler­haften oder unlauteren Diskurs-Strate­gien. Man kann ihnen unter­schiedlich Begegnen:

  1. Wenn unsachgemäss argu­men­tiert wird kann es helfen, dies sicht­bar zu machen. Ob es nun eine “anek­do­tis­che Bewe­is­führung” ist, ein “falsches Dilem­ma” oder ein “Strohmann”: Es hil­ft, unsaubere Argu­men­ta­tio­nen sicht­bar zu machen. Das verän­dert die Grund­dy­namik des Diskurses.
  2. Hin­ter fehler­haften Argu­men­ta­tio­nen ver­birgt sich manch­mal auch man­gel­nde Kom­pe­tenz. Wer selb­st nicht sat­telfest ist, greift gerne zum “Ad Hominem”, um den Kon­tra­hen­ten in die Pfanne zu hauen. Wenn du dich selb­st in der The­matik sich­er fühlst, kann du dein Gegenüber bit­ten, seine Posi­tion aus­führlich zu begrün­den. Oft zeigt sich, dass nicht viel hin­ter dem steckt, was dieser behauptet hat.
  3. Eben­falls häu­fig sind Ablenkungsstrate­gien. Sie kön­nen z.B. in Form von per­sön­lichen Angrif­f­en kom­men (“Ad-hominem”) oder indem auf ein anderes The­ma oder ein Neben­the­ma umge­lenkt wird (“Whataboutism”, “rot­er Her­ing”). Hier ist es wichtig, die ange­bote­nen Köder nicht anzunehmen – also beim The­ma zu bleiben.

Ich habe für mich per­sön­lich zudem einige Dinge fest­ge­hal­ten, welche vielle­icht auch für deine Online-Diskus­sio­nen hil­fre­ich sein können:

  • Du schreib­st nie nur für den ‘Gegen­spiel­er’, son­dern immer auch für die stillen Mitleser.
  • Prüfe dich selb­st und sei auch bere­it, Fehler einzugestehen.
  • Ver­suche sach­lich und fre­undlich zu bleiben, auch wenn dies schwerfällt.
  • Gib den Leuten eine Chance.
  • Öffentlich gesagtes darf grund­sät­zlich öffentlich disku­tiert wer­den. Wäh­le trotz­dem ein angemessenes Mit­tel der Kommunikation.
  • Wäge ab, ob du wirk­lich Zeit und Energie hast.
  • Höre auf Gott, denn alles hat seine Zeit.
  • Hole allen­falls Feed­back ein bei ein­er Per­son deines Ver­trauens, bevor du kommentierst.
  • Sei dir bewusst, dass die Online-Welt kein rechts­freier Raum ist. 
  • Lasse Dir Zeit bei Antworten. Schlafe darüber.
  • Du muss nicht immer das let­zte Wort haben.

Ich hoffe, dass dieser Artikel für viele eine kleine Hil­fe sein kann, wenn sie sich in öffentlichen Diskursen bewegen.


Bilder: iStock

Quel­len­hin­weis: Auf Quel­lenangaben zu den einzel­nen Beispie­len wurde bewusst verzichtet, sie liegen aber dem Autoren vor.

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

8 Comments

  1. Benjamin

    Sehr geehrter Herr Bruderer,

    vie­len Dank für Ihre Darstel­lung und die trans­par­ente Erläuterung der ver­schiede­nen prob­lema­tis­chen Argumentationsmuster. 

    In diesem Zusam­men­hang möchte ich auf das Beispiel des „tex­anis­chen Scharf­schützen“ einge­hen. Ger­ade bei der Auswahl von Beispie­len ist es wichtig, beson­ders sorgfältig vorzuge­hen, um nicht selb­st unbe­wusst diesem Fehlschluss zu erliegen. Der tex­anis­che Scharf­schütze zeich­net sich ja genau dadurch aus, dass nachträglich Muster oder Kausal­itäten kon­stru­iert wer­den, die möglicher­weise zufäl­lig sind oder zumin­d­est nicht belast­bar belegt.

    Deshalb finde ich es prob­lema­tisch, wenn in Ihrem Beispiel zu den Kon­ver­sion­s­ther­a­pi­en eine umstrit­tene Studie als Entkräf­tung der vielfach belegten Risiken dieser Prax­is herange­zo­gen wird. Das kann den Ein­druck erweck­en, dass hier Dat­en selek­tiv inter­pretiert wer­den, um eine eigene Posi­tion zu stützen, also genau das Ver­hal­ten, das Sie selb­st mit dem tex­anis­chen Scharf­schützen kritisieren.

    Wenn die LGBT-Lob­by sich auf die über­wälti­gende Mehrheit gut belegter Stu­di­en und belast­bar­er Dat­en stützt, warum sollte sie dann den tex­anis­chen Scharf­schützen anwen­den? Ger­ade die bre­ite, kon­sis­tente Daten­ba­sis macht ihre Argu­men­ta­tion belast­bar und schw­er angreifbar.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Grüezi Ben­jamin
      Danke für den Kom­men­tar. Ich per­sön­lich würde die Aus­sage, dass sich die LGBT-Lob­by sich auf “die über­wälti­gende Mehrheit gut belegter Stu­di­en und belast­bar­er Dat­en stützt” in Frage stellen. Aber hier fehlt der Platz das ver­tieft zu disku­tieren. Ich mache zudem keinen Hehl daraus, das die von mir gewählten Beispiel Beispiele von mein­er per­sön­lichen Welt­sicht geprägt sind. Ich ver­suche sie jedoch so sach­lich wie möglich darzule­gen. Hast du ein eigenes gutes Beispiel für einen tex­anis­chen Schützen? Das würde mich natür­lich interessieren.
      Eine aus­führliche Doku­men­ta­tion des Hin und Hers in der SOCE-Frage find­et sich z.B. hier: https://www.researchgate.net/publication/372478583_Do_Sexual_Orientation_Change_Efforts_SOCE_increase_suicidal_risk_for_sexual_minorities_An_exchange

      Reply
      • Benjamin Stoll

        Grüezi Herr Bruderer,
        vie­len Dank für Ihre Antwort und den Link zur Publikation.

        Ich finde es ehrlich und hil­fre­ich, dass Sie sagen, dass Ihre Mei­n­ung von Ihrer Weltan­schau­ung geprägt ist…
        Zur SOCE-Debat­te: Der von Ihnen ver­link­te Artikel von D. Paul Sullins wird – wie Sie sich­er wis­sen – in der Fach­welt sehr kri­tisch bew­ertet. Seine Method­olo­gie weist erhe­bliche Schwächen auf, ins­beson­dere in Bezug auf Kausal­ität­san­nah­men, Repräsen­ta­tiv­ität und die ethis­che Einbettung.. 

        Die APA, die WHO sowie zahlre­iche nationale Fachver­bände beto­nen seit Jahren, dass es keine wis­senschaftlich belast­baren Belege für die Wirk­samkeit soge­nan­nter „Kon­ver­sion­s­ther­a­pi­en“ gibt – wohl aber umfan­gre­iche Hin­weise auf mögliche psy­chis­che Schä­den, darunter Depres­sion, Angst­störun­gen und ein erhöht­es Suizidrisiko.
        Sys­tem­a­tis­che Reviews und Meta­analy­sen zeigen klar: SOCE sind nicht nur inef­fek­tiv, son­dern mit ein­er erhöht­en Rate an Suizidal­ität, inter­nal­isiert­er Homo­pho­bie und sozialem Rück­zug ver­bun­den. Diese Daten­ba­sis ist bre­it, method­isch robust und von Fachge­sellschaften anerkannt.

        Sie fra­gen nach einem Beispiel für einen „tex­anis­chen Schützen:
        Oft wird behauptet, dass Kinder in der tra­di­tionellen Fam­i­lie – also bei Vater und Mut­ter – grund­sät­zlich bess­er aufwach­sen als in anderen Kon­stel­la­tio­nen. Um diese These zu stützen, wer­den dann gezielt Stu­di­en zitiert, die auf gewisse Defizite in anderen Fam­i­lien­for­men hin­weisen. Häu­fig berufen sich solche Argu­men­ta­tio­nen etwa auf die umstrit­tene Studie des Sozi­olo­gen Mark Reg­nerus , die nahelegt, dass Kinder homo­sex­ueller Eltern schlechtere Entwick­lungschan­cen hät­ten – obwohl diese Studie vielfach wegen method­is­ch­er Män­gel kri­tisiert wurde, etwa weil sta­bile gle­ichgeschlechtliche Eltern­schaften nicht kor­rekt erfasst wur­den. Gle­ichzeit­ig bleiben zahlre­iche qual­i­ta­tiv hochw­er­tige Stu­di­en, die zeigen, dass Kinder auch in anderen sta­bilen Beziehungsmod­ellen gut gedei­hen, unberück­sichtigt oder wer­den abgew­ertet. So entste­ht ein verz­er­rtes Bild, das nicht den Gesamt­stand der Forschung widerspiegelt.

        Ein weit­eres Beispiel zeigt sich in der Debtte über geschlechtliche Vielfalt und Aufk­lärung an Schulen.Hier wird behauptet, dass Kinder durch soge­nan­nte „Gen­der-Ide­olo­gie“ ver­wirrt wür­den oder sog­ar dazu gebracht wer­den, selb­st trans zu wer­den. Zur Unter­mauerung dieser These wer­den gezielt Einzelfälle von Jugendlichen ange­führt, die sich mit ihrer Geschlecht­si­den­tität schw­er­tun oder eine Tran­si­tion später bereuen. Diese indi­vidu­ell tragis­chen, aber sel­te­nen Fälle wer­den medi­al stark her­vorge­hoben, um ein all­ge­meines Risiko zu sug­gerieren. Dabei wird ignori­ert, dass die über­wiegende Mehrheit der trans Per­so­n­en ihre Tran­si­tion nicht bereut, dass geschlechtersen­si­ble Aufk­lärung nach­weis­lich zu mehr Akzep­tanz, weniger Mob­bing und besserem psy­chis­chem Wohlbefind­en bei allen Kindern führt und dass Kinder durch Bil­dung nicht bee­in­flusst, son­dern informiert wer­den. Auch hier entste­ht ein verz­er­rtes Bild, das wis­senschaftlich nicht halt­bar ist, aber poli­tisch und ide­ol­o­gisch instru­men­tal­isiert wird.

        Ich bin sehr dafür, dass unter­schiedliche Per­spek­tiv­en gehört und auch unbe­queme Fra­gen gestellt wer­den – ger­ade bei sen­si­blen The­men wie sex­ueller Iden­tität und psy­chis­ch­er Gesund­heit. Aber umso wichtiger ist dann eine ver­ant­wor­tungsvolle Auswahl und Bew­er­tung von Quellen, ins­beson­dere im Blick auf ihre ethis­che Tragfähigkeit und wis­senschaftliche Qualität.

        Grüsse
        Benjamin

        Reply
        • Peter Bruderer

          Danke Ben­jamin für die Antwort.
          Wir haben uns im Rah­men der Abstim­mung zur Ehe für alle in der Schweiz mit den vor dir aufge­bracht­en The­men befasst, zum Beispiel der Frage des Kindeswohls. Unsere Auseinan­der­set­zung ist sich­er nicht abschliessend, aber doch einiger­massen gründlich. Deshalb teile ich auch deine Sicht der Dinge nicht, sowohl im Ergeb­nis, als auch was deinen Anspruch eines bre­it­en wis­senschaftlichen Kon­sens­es im Sinne der LGBT+ Lob­by bet­rifft. Kinder gedei­hen am besten, wenn sie bei ihren bei­den leib­lichen Eltern geboren wer­den und von ihnen aufge­zo­gen wer­den. Weil ich hier aber nicht einen lan­gen Auf­satz ver­fassen will ver­weise ich ein­fach auf unsere Artikel, wo wir uns zu diesen The­men äussern. Sin­nvoller­weise würdest du direkt bei diesen kom­men­tieren. LGBT+ ist nicht das eigentliche The­ma dieses Artikels.

          Hier drei rel­e­vante Artikel Zum The­ma Kindeswohl (Wenn du Reak­tio­nen dazu hast, kom­men­tiere beim jew­eili­gen Artikel):
          https://danieloption.ch/ethik/kindeswohl-ein-ueberwaeltigender-konsens/
          https://danieloption.ch/ethik/kinder-fuer-alle/
          https://danieloption.ch/gesellschaft/ehe-fuer-alle/

          Hier mein Play­doy­er für die natür­liche Fam­i­lie (Wenn du Reak­tio­nen dazu hast, kom­men­tiere beim jew­eili­gen Artikel):
          https://danieloption.ch/gesellschaft/familie/die-natuerliche-familie‑1–2‑turm-alter-zeiten/
          https://danieloption.ch/gesellschaft/familie/die-natuerliche-familie‑2–2‑turm-fuer-unsere-zeit/

          Reply
          • Benjamin

            Vie­len Dank für deine Nachricht. 

            Ich möchte mich in mein­er Antwort zunächst auf den ersten Artikel „Kindeswohl: ein über­wälti­gen­der Kon­sens?“ beziehen.

            Ich finde die Bew­er­tung von Paul Sullins zu den 79 Stu­di­en prob­lema­tisch und wenig überzeu­gend. Seine zen­trale Kri­tik, dass viele der pos­i­tiv­en Stu­di­en mit gezielt rekru­tierten Teilnehmer:innen aus dem homo­sex­uellen Milieu arbeit­en und daher nicht repräsen­ta­tiv seien, greift mir zu kurz. Zwar ist richtig, dass Rekru­tierungsmeth­o­d­en die Aus­sagekraft von Stu­di­en bee­in­flussen kön­nen, doch daraus pauschal zu schliessen, dass die Ergeb­nisse „nicht repräsen­ta­tiv“ seien, ist eine unzuläs­sige Vereinfachung…
            In der Sozial­forschung ist es all­ge­mein üblich, ger­ade bei schw­er erre­ich­baren oder spez­i­fis­chen Grup­pen gezielte Stich­proben zu ver­wen­den. Voll­ständig zufäl­lige, repräsen­ta­tive Stich­proben sind sel­ten real­isier­bar – das gilt für het­ero­sex­uelle wie homo­sex­uelle Pop­u­la­tio­nen gle­icher­massen. Statt Stu­di­en pauschal als „nicht repräsen­ta­tiv“ abzu­tun, nutzen Forschende sta­tis­tis­che Ver­fahren wie Gewich­tung und Kon­trol­l­vari­ablen, um Verz­er­run­gen zu min­imieren oder zu kon­trol­lieren. Diese Meth­o­d­en sind in der Fach­lit­er­atur anerkan­nt und steigern die Valid­ität der Ergebnisse.

            Zudem unter­stellt Sullins mit sein­er Kri­tik, dass Men­schen aus dem homo­sex­uellen Milieu ihre Antworten sys­tem­a­tisch verz­er­ren, um ein pos­i­tiveres Bild zu ver­mit­teln. Diese Annahme ist unbelegt und kann als vor­ein­genom­men gel­ten. Stu­di­en zeigen, dass Teil­nehmende grund­sät­zlich ein Inter­esse daran haben, ihre Erfahrun­gen ehrlich darzustellen, ins­beson­dere wenn es um Fam­i­lie und Kindeswohl geht. Eine pauschale Verz­er­rungsan­nahme schwächt die Ver­trauenswürdigkeit der Sozial­forschung ins­ge­samt und läuft Gefahr, Vorurteile zu bestätigen.
            Viele der 79 Stu­di­en kom­binieren quan­ti­ta­tive und qual­i­ta­tive Meth­o­d­en – beispiel­sweise durch die Auswer­tung von Sta­tis­tiken ergänzt um per­sön­liche Inter­views – und nutzen ver­schiedene Datenquellen.

            Sullins’ Kri­tik an der durch­schnit­tlichen Teil­nehmerzahl von 39 Per­so­n­en in den 70 pos­i­tiv­en Stu­di­en ist eben­falls zu ein­seit­ig. Er bew­ertet die Stich­proben­grösse isoliert als alleiniges Kri­teri­um für Repräsen­ta­tiv­ität, ohne die Kom­plex­ität sozial­wis­senschaftlich­er Forschung zu berück­sichti­gen. Ger­ade bei schw­er erre­ich­baren Grup­pen wie gle­ichgeschlechtlichen Eltern sind kleinere Stich­proben üblich und kön­nen valide Erken­nt­nisse liefern, wenn die Stu­di­en method­isch sorgfältig durchge­führt wer­den . Zudem über­sieht Sullins, dass viele dieser kleinen Stu­di­en in Meta­analy­sen zusam­menge­führt wer­den, wodurch die Stich­proben­grösse deut­lich steigt und belast­bare, ver­all­ge­meiner­bare Aus­sagen möglich wer­den. Meta­analy­sen wie die von Fede­wa, Black und Ahn (zeigen, dass das Kindeswohl bei gle­ichgeschlechtlichen Eltern über­wiegend mit dem von Kindern het­ero­sex­ueller Eltern ver­gle­ich­bar ist.

            Indem Sullins nur neun Stu­di­en als „repräsen­ta­tiv“ ein­stuft und die übri­gen ignori­ert, trifft er eine selek­tive Entschei­dung, die wesentliche Erken­nt­nisse und die method­is­che Vielfalt der Forschung auss­er Acht lässt. Seine Fixxierung auf die Quan­tität der Teil­nehmerzahlen ver­nach­läs­sigt auch die Bedeu­tung qual­i­ta­tiv­er Ansätze und den Wert kleiner­er Stu­di­en für ein umfassendes Verständnis.
            Qual­i­ta­tive Stu­di­en bieten tief­ere Ein­blicke in kom­plexe soziale Zusam­men­hänge, Erfahrun­gen und Bedeu­tun­gen, die mit reinen Zahlen nicht erfass­bar sind. Sie ermöglichen das Ver­ste­hen von Nuan­cen, Kon­text und indi­vidu­ellen Per­spek­tiv­en, ger­ade bei The­men wie Fam­i­lie, Iden­tität oder psy­chis­ch­er Gesund­heit beson­ders wichtig.

            Indem Sullins sich haupt­säch­lich auf die Stich­proben­grösse konzen­tri­ert, über­sieht er, dass wis­senschaftliche Erken­nt­nis häu­fig aus der Kom­bi­na­tion ver­schieden­er Meth­o­d­en entste­ht: Quan­ti­ta­tive Stu­di­en liefern bre­ite Dat­en, qual­i­ta­tive Stu­di­en Tiefe und Kon­text. Diese method­is­che Vielfalt trägt zu einem umfassenderen und dif­feren­ziert­eren Bild bei und hil­ft, Verz­er­run­gen bess­er zu erken­nen und auszugleichen.
            Würde in den Stu­di­en sys­tem­a­tisch ein zu pos­i­tives Bild geze­ich­net, wären neg­a­tive Aspek­te kaum The­ma. Tat­säch­lich bericht­en viele Unter­suchun­gen offen über Her­aus­forderun­gen, denen gle­ichgeschlechtliche Eltern und ihre Kinder begeg­nen. Das zeigt, dass die Forschung ein real­is­tis­ches und aus­ge­wo­genes Bild anstrebt – und nicht nur pos­i­tive Aspek­te beton.

            Inter­es­san­ter­weise zeigt sich bei Sullins selb­st eine Ten­denz: Während er anderen Stu­di­en vor­wirft, ein verz­er­rt pos­i­tives Bild zu zeich­nen, wählt er in sein­er eige­nen Analyse häu­fig selek­tiv Dat­en aus, die seine vorge­fasste neg­a­tive Sichtweise bestäti­gen. Damit repro­duziert er genau das Muster, das er kri­tisiert – näm­lich eine ein­seit­ige Infor­ma­tion­sauswahl zur Unter­stützung ein­er bes­timmten Ide­olo­gie statt ein­er aus­ge­wo­ge­nen, method­isch trans­par­enten Betrachtung.

            Sullins’ Argu­men­ta­tion wirkt für mich teil­weise wie ein Ver­such, den wis­senschaftlichen Kon­sens durch selek­tive Meth­o­d­enkri­tik zu unter­graben, anstatt sich dif­feren­ziert mit den Ergeb­nis­sen auseinan­derzuset­zen. Seine Konzen­tra­tion auf Werbin­ser­ate und Rekru­tierungsmeth­o­d­en ähnelt einem Umkehrschluss, der andere method­is­che Schwächen, etwa in het­ero­nor­ma­tiv­en Stu­di­en aus­blendet. Diese Ein­seit­igkeit stellt seine eigene Objek­tiv­ität infrage…

            Kurz gesagt: Indem Sullins Meth­o­d­en kri­tisch bew­ertet, aber seine eigene Auswahl und Inter­pre­ta­tion kaum hin­ter­fragt, repro­duziert er genau jene Verz­er­rung, die er anderen vor­wirft. Seine Argu­men­ta­tion ist daher weniger wis­senschaftlich neu­tral, son­dern eher ide­ol­o­gisch gefärbt. Das erhöht die Wahrschein­lichkeit, dass er selb­st method­is­che Fehler bege­ht oder Dat­en selek­tiv interpretiert.

            Auch das Beispiel der ACHESS-Studie von Simon Crouch, die mit geziel­ten Aufrufen zur Teil­nahme arbeit­et, ist kein Beweis für wis­senschaftliche Unzu­ver­läs­sigkeit. Solche Aufrufe über Mul­ti­p­lika­toren oder the­men­be­zo­gene Medi­en sind in sozial­wis­senschaftlichen Stu­di­en üblich, um aus­re­ichend Teil­nehmer zu gewin­nen. Entschei­dend ist, dass die Date­nauswer­tung trans­par­ent erfol­gt und mögliche Verz­er­run­gen method­isch berück­sichtigt werden.

          • Benjamin Stoll

            Ich möchte ausser­dem auch noch auf den Artikel „Kinder für alle?“ einge­hen, da ich dort einige wichtige Punk­te sehe, die zur Debat­te beitra­gen können…

            Zur Darstel­lung der „Minderheiten-Stress“-Theorie finde ich, dass diese sehr ein­seit­ig bleibt. Zwar wird eine Studie zitiert, die zeigt, dass Suizidal­ität bei jun­gen LGBT-Per­so­n­en trotz gesellschaftlich­er Lib­er­al­isierung nicht zurück­ge­ht. Dabei wird jedoch auss­er Acht gelassen, dass Diskri­m­inierung und Stig­ma­tisierung weit­er­hin beste­hen und sich oft nur sub­til verän­dern. Psy­chis­che Gesund­heit hängt von vie­len Fak­toren ab, und die Ein­führung der gle­ichgeschlechtlichen Ehe allein kann nicht alle Belas­tun­gen beseitigen…

            Hinzu kommt, dass gesellschaftliche Akzep­tanz zwar wächst, aber viele LGBT-Per­so­n­en weit­er­hin mit inter­nal­isierten Vorurteilen, famil­iär­er Ablehnung oder sozialer Iso­la­tion kämpfen, die sich nicht allein durch rechtliche Gle­ich­stel­lung lösen lassen. Auch struk­turelle Bar­ri­eren, wie Diskri­m­inierung am Arbeit­splatz oder in Gesund­heitssys­te­men, bleiben häu­fig beste­hen. Zudem kön­nen Min­der­heit­en­stress-Fak­toren je nach Region, Alter und sozialem Umfeld sehr unter­schiedlich aus­geprägt sein, was die Inter­pre­ta­tion der Ergeb­nisse erschwert…

            Es ist ausser­dem wichtig zu beto­nen, dass psy­chis­che Prob­leme bei LGBT-Jugendlichen oft mit zusät­zlichen Belas­tun­gen wie Mob­bing in der Schule, Angst vor Com­ing-Out und man­gel­nder sozialer Unter­stützung zusam­men­hän­gen. Die Ver­füg­barkeit von gle­ichgeschlechtlich­er Ehe ist zwar ein wichtiger Schritt, doch ohne umfassende gesellschaftliche Verän­derun­gen und gezielte psy­chosoziale Unter­stützung bleiben viele dieser Prob­leme beste­hen. Daher greift die Kri­tik an der Min­der­heit­en-Stress-The­o­rie zu kurz, wenn sie sich allein auf den Effekt der Eheöff­nung konzen­tri­ert und dabei die Kom­plex­ität der Leben­sre­al­itäten von LGBT-Per­so­n­en und deren psy­chis­ch­er Gesund­heit nicht berücksichtigt.

            Zum The­ma Reg­nerus-Stu­di­en möchte ich ergänzen, dass die Diskus­sion um seine Ergeb­nisse sehr kon­tro­vers ist und von vie­len Expert:innen kri­tisch bew­ertet wird. Reg­nerus stellt zwar umfassende Dat­en von fast 3000 jun­gen Erwach­se­nen vor, allerd­ings wur­den seine Stu­di­en­meth­o­d­en vielfach wegen Stich­proben­verz­er­run­gen, prob­lema­tis­ch­er Erhe­bungs­de­signs und man­gel­nder Dif­feren­zierung kritisiert.
            So liegt ein zen­traler Kri­tikpunkt darin, dass viele sein­er Dat­en nicht nur Kinder aus sta­bilen Regen­bo­gen­fam­i­lien erfassen, son­dern oft auch solche, die in insta­bilen oder belasteten Fam­i­lien­ver­hält­nis­sen aufwuch­sen. Dadurch wer­den Unter­schiede zwis­chen Kindern gle­ichgeschlechtlich­er Eltern und het­ero­sex­ueller Ehep­aare möglicher­weise verz­er­rt und fälschlich als Ursache der Elternkon­stel­la­tion interpretiert…

            Wichtig ist auch, dass viele neg­a­tive Ergeb­nisse, die Reg­nerus nen­nt — wie höhere Depres­sion­srat­en, grössere Anfäl­ligkeit für Miss­brauch oder schlechtere wirtschaftliche Lebensla­gen, auch durch gesellschaftliche Diskri­m­inierung, famil­iäre Insta­bil­ität oder sozioökonomis­che Fak­toren erk­lärt wer­den kön­nen, nicht jedoch zwin­gend auf die sex­uelle Ori­en­tierung der Eltern zurück­zuführen sind.
            In den Stu­di­en von Reg­nerus wird ausser­dem nicht klar genug unter­schieden, ob zwei Dinge wirk­lich zusam­men­hän­gen und ob das eine das andere verur­sacht. Er geht zu schnell davon aus, dass die Art der Eltern (also ob sie gle­ichgeschlechtlich oder het­ero­sex­uell sind) direkt der Grund für Prob­leme bei den Kindern ist. Dabei wer­den andere wichtige Fak­toren, die eben­falls eine Rolle spie­len kön­nen, nicht genug beachtet oder ausgeschlossen…

            Ich finde daher, dass Reg­nerus Ergeb­nisse zwar disku­tiert wer­den soll­ten, jedoch keines­falls als endgültiger Beleg für die Über­legen­heit het­ero­sex­ueller Eltern­schaft her­hal­ten dür­fen. Vielmehr zeigen sie, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Diskri­m­inierung abzubauen und Fam­i­lien unab­hängig von ihrer Form zu unter­stützen, um das Wohl von Kindern best­möglich zu fördern.

  2. Udo

    Sehr hil­fre­ich!

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke Udo!

      Reply

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