Heiligt der Zweck die Mittel? «Meistens», wäre die Antwort von Saul D. Alinsky vor gut 50 Jahren gewesen. Mit seinem Buch «Rules for Radicals» hat er das strategische Handbuch für die Aktivisten der 68er Generation geschaffen. Heute greifen aber auch konservative in seine Trickkiste und feiern damit Erfolge. Ein Grund, diesen ins Alter gekommenen Klassiker mal unter die Lupe zu nehmen.
Wer sich in einer Auseinandersetzung befindet, tut gut daran zu wissen, mit welchen Mitteln sein Gegner kämpft. Das gilt für Armeen, für politische Parteien, für Firmen und für die Kirche unter Druck seitens der Gesellschaft oder seitens einer liberalen Theologie. Das Buch “Rules for Radicals” war für mich diesbezüglich ein Augenöffner. Es ist ein aus der Praxis abgeleitetes Buch. Und Praxis hatte Saul D. Alinsky (1909–1972) wahrlich genug, als er 1971 seine ‘pragmatische Anleitung für realistische Radikale’ veröffentlichte. Alinsky hatte sich über fast 40 Jahre hinweg den Ruf des effektiven ‘Community Organizers’ erarbeitet. Als Kämpfer für sozialistische Ideale im kapitalistischen Amerika war er für die einen eine Legende, für die anderen das Feindbild schlechthin.
Die von Alinsky aufgebaute Organisation hatte sich darauf spezialisiert, marginalisierten Gemeinschaften und ausgebeuteten Arbeiterschaften in den Chefetagen von Städten und Firmen Gehör zu verschaffen. Dazu waren auch ziemlich alle Mittel recht. Wenn Alinsky mit seinem Team in eine Stadt einrollte, war eines sicher: Es war vorbei mit der Ruhe.
Doch der mit allen Wassern gewaschene Klassenkämpfer ärgert sich über eine neue Generation von Aktivisten: die Revolutionäre der 68er. Diese neue Generation meint, mit «langen Haaren» und «Attacken auf die amerikanische Flagge» in der Gesellschaft etwas bewegen zu können (xviii,xix). Ihnen gelten Alinskys Ratschläge. Denn, wie er so schreibt: Es gibt gewisse zentrale Konzepte des Aktivismus, welche unabhängig der Umstände und Zeit greifen. Diese zu kennen sei die Grundlage für einen «pragmatischen Angriff auf das etablierte System». (xvii). Gerade diese Übertragbarkeit von Alinskys Prinzipien auf neue Umstände macht das Buch interessant.
In den vergangenen 50 Jahren waren die politischen und kulturellen Revolutionäre jener Tage so erfolgreich, dass sie heute selbst zum ‘etablierten System’ geworden sind. Und so findet sich das Buch des Linksaktivisten Alinsky in unseren Tagen auf einmal in den Händen von konservativen ‘Strassenkämpfern’ wieder, welche seine taktischen Winkelzüge gegen die ‘woke’ Dominanz unserer Tage einsetzen.
Zum Beispiel bezieht sich der konservative Kommentator Matt Walsh, bekannt für seinen Film ‘What is a Woman’ explizit auf Alinsky als Inspirationsquelle für eine seiner jüngsten Kampagnen:
“Was wir mit Bud Light und jetzt mit Target gemacht haben, stammt direkt aus Saul Alinskys “Rules for Radicals”: Wähle das Ziel, friere es ein, personalisiere es, polarisiere es. Die Linke hat das schon immer so gemacht. Jetzt können sie mal sehen, wie es sich am empfangenden Ende anfühlt.” (meine Übersetzung)
Worauf bezieht sich Matt Walsh? Nach Werbekampagnen mit LGBT+ Themen mussten die amerikanische Biermarke Bud Light und die Supermarktkette Target diesen Sommer massive Umsatzeinbussen aufgrund einer Boykottkampagne verzeichnen. Walsh gehört zu den Initiatoren dieses Boykott’s.
Alinsky’s Regelwerk wird also Hüben und Drüben angewendet. Was kennzeichnet das ‘System Alinsky’? Wie ist dieses zu bewerten? An zwei Kapiteln im Buch möchte ich das erläutern.
Eine Ethik des Zweckmässigen
Die Arbeitsweise Alinsky’s ist durch und durch von Pragmatismus geprägt: Gut ist, was nützt. Wenn das, was nützt auch gut ist, ist es auch ok. Aber das Einzige, was letztendlich zählt, ist das Erreichen des gesteckten Zieles. Ob die dabei eingesetzten Mittel ethisch lauter sind oder nicht, ist abhängig von der eigenen Befindlichkeit, von der Bedeutsamkeit des Zieles und natürlich davon, ob man selbst ein Mittel einsetzt oder der Gegner. Alinsky fasst folgendermassen zusammen:
«Mittel und Zweck stehen in einer so engen Beziehung zueinander, dass die wahre Frage nie die sprichwörtliche war: “Rechtfertigt der Zweck die Mittel?”, sondern immer lautete: “Rechtfertigt dieser bestimmte Zweck diese bestimmten Mittel”?» (S47, meine Übersetzung)
Anhand verschiedener Beispiele und 11 Prinzipien erläutert er seine Ethik des ‘Zweckmässigen’ (S26-47). Für Interessierte habe ich diese im Anhang aufgeführt)[1]. Wer sich diese 11 Prinzipien zu Gemüte führt, wird hoffentlich gleichzeitig den Kopf schütteln und innerlich nicken.
Der Leser wird hoffentlich den Kopf schütteln in Anbetracht dessen, wie durch und durch opportunistisch die Ethik von Alinsky ist. Für Alinsky sind ethische Leitsätze keine Prinzipien, welche uns in unserem Handeln leiten sollen. Sie sind vielmehr einfach Instrumente oder gar Waffen, welche im Kampf gezielt eingesetzt werden können, um ein Ziel zu erreichen. Ethisches Verhalten ist für ihn etwas, was man immer vom Gegner einfordern soll, auch wenn man sich selbst nicht daran hält. Je nach Nützlichkeit ist die Ethik mal wichtig oder eben nicht. Und sowieso: Der Sieger wird letztendlich die Geschichtsbücher schreiben. Folge dessen ist der der Sieger immer automatisch auch auf der ethisch korrekten Seite. Was ist deshalb das Wichtigste? Das Siegen!
Wichtig ist zu verstehen, dass moralisch vorbildliches Verhalten für Alinsky etwas durchaus Wertvolles ist. Es ist ihm aber nicht aufgrund seiner Vorbildlichkeit wertvoll, sondern weil auch moralisch gutes Verhalten ein effektives Mittel zur Zielerreichung sein kann. Alinsky’s Kronzeuge ist dabei der bekannte Friedensaktivist Mahatma Ghandi (S37-45) Dieser habe das Optimum aus seinen spärlichen Möglichkeiten herausgeholt. Seine Strategie des gewaltfreien Widerstandes sei nur entstanden, weil er keine Waffen zur Verfügung hatte und die Menschen in seinem Einflussfeld grundsätzlich wenig motiviert waren. Mit anderen Worten: Wenn Ghandi Waffen gehabt hätte, hätte er diese wohl eingesetzt. Doch er hatte sie nicht. Daher sei gemäss Alinsky das ‘am Boden Sitzen und Nichts tun’ einfach der optimale Einsatz der vorhandenen Mittel gewesen. Das ‘am Boden sitzen und nichts tun’ kam zudem moralisch erhaben daher. Alinsky dokumentiert seine These mit glaubhaft klingenden Quellen. Lakonisch merkt er an, dass zu den ersten Aktivitäten des endlich unabhängigen Indien das Einschränken von Demonstrationsrechten und der Einsatz von Waffen im Kashmir-Konflikt gewesen sei. Neue Mittel waren zur Hand, und damit auch neue ethische Regeln.
Der Leser wird deshalb vermutlich auch innerlich nicken, weil die von Alinsky formulierten Leitsätze doch so präzise das wiedergeben, was in Realität in unserer Welt vor sich geht. Wie schnell werden heute Anliegen und Prinzipen über Bord geworfen, nur weil sich eine Lage neu präsentiert! Wie oft wird moralisches Verhalten eingefordert, welches man selbst in keiner Weise einhält! Wie schnell werden aus Friedensaktivisten Kriegstreiber! Wie einfach mutieren Unterdrückte zu Unterdrückern!
Wie sollen wir über diesen ethischen Pragmatismus denken? Zumindest zeigen uns die von Alinsky aufgestellten Prinzipien eindrücklich, nach welchen Regeln die kleinen und grossen Machtspiele in unserer Welt ausgespielt werden. Diese zu kennen kann uns helfen, die Welt um uns etwas besser zu verstehen, Dinge einzuordnen oder sich selbst und anderen einmal den Spiegel vorzuhalten.
Das Tragische ist: Alinsky findet diesen ethischen Pragmatismus tatsächlich super. Seine Botschaft: So funktioniert die Welt und nach diesen Regeln musst du spielen, wenn du deine Feinde besiegen willst.
Taktische Prinzipien
In den taktischen Prinzipien Alinskys tritt seine Jahrelange Erfahrung deutlich zutage. Hier sind seine 13 taktischen Prinzipien, jeweils mit kurzer Erläuterung:
- «Macht ist nicht nur das, was man hat, sondern auch, das der Feind glaubt, dass man sie hat.»
Will heissen: Gib vor Mittel zu haben, auch wenn du sie nicht hast. Wenn du lügen musst, dann lüge. - «Gehe nie über die Erfahrung deiner Leute hinaus.»
Will heissen: Menschen meiden das, was ihnen nicht familiär ist. Sie wollen sich mit ihren eigenen Waffen schlagen. - «Wann immer es möglich ist, gehe über die Erfahrung deines Feindes hinaus.»
Will heissen: Erhöhe bei deinem Gegner die Unsicherheit, indem du ihm ungewohnte Erfahrungsfelder aufzwingst. - «Bring den Feind dazu, seine eigenen Regeln zu befolgen.»
Will heissen: Bring die Inkonsistenzen oder Übertreibungen des Gegners zum Leuchten. Zwinge ihn dazu, sich korrigieren zu müssen. - «Spott ist die stärkste Waffe des Menschen.»
Will heissen: Gegen Spott kann man sich nicht verteidigen. Spott erzeugt im Gegner zudem Wut. Wut führt zu Reaktionen, die wiederum ausgenutzt werden können. - «Eine gute Taktik ist eine, die deinen Leuten Spass macht.»
Das erklärt sich von selbst… - «Eine Taktik, die sich zu lange hinzieht, wird zur Belastung.»
Will heissen: Irgendwann geht den Leuten die Luft aus und sie gehen nach Hause. Das muss eingeplant werden. - «Halte den Druck aufrecht.»
Will heissen: Gib deinem Gegner keine Chance, sich neu zu formieren und Atem zu holen. - «Eine Bedrohung ist meist schrecklicher als die Sache selbst.»
Will heissen: Empfundene Bedrohungen binden Kräfte, die dann andernorts nicht zur Verfügung stehen. - «Die wichtigste taktische Prämisse ist die Entwicklung von Operationen, die einen konstanten Druck auf den Gegner aufrechterhalten.»
Will heissen: Du befindest dich in einem Krieg, nicht in einem Einzelgefecht. Auf eine Operation muss die nächste folgen. Ein erzielter Kompromiss ist einfach der Ausgangspunkt für den nächsten Konflikt, den es anzuzetteln gilt. Das Ziel ist immer der ganze ‘Salami’ — eine Scheibe nach der anderen. - «Wenn man mit einem Negativ hart und tief genug Druck macht, wird es in die Gegenseite einbrechen.»
Will heissen: Wenn du dein Anliegen lange und eindringlich genug vorbringst, werden sich auf einmal Leute auf deine Seite schlagen, oder dein Gegner lässt sich zu einem Fehler verleiten. - «Der Lohn für einen erfolgreichen Angriff ist eine konstruktive Alternative.»
Will heissen: Wer Krieg führt, sollte auch eine ‘Lösung’ respektive einen konkreten Endzustand vor Augen haben. Sonst wird der Gegner die Lösung liefern. - «Wähle das Ziel, friere es ein, personalisiere es und polarisiere es.»
Will heissen: Fokussiere auf eine Person oder Organisation und mache diese toxisch.
Auch in dieser Liste drückt der fehlende innere Kompass von Alinsky immer wieder durch. Dennoch empfinde ich, dass hier auch einzelne wertvolle Erkenntnisse sind, welche konstruktiv eingesetzt werden können. Gruppen funktionieren nun mal nach gewissen Prinzipien der Psychologie und Gruppendynamik. Das kann auch konstruktiv eingesetzt werden.
Wichtig in der Anwendung ist aus Sicht von Alinsky, dass diese Prinzipien mit viel Fantasie und taktisch auf spezifische Situationen zugeschnitten angewendet werden. Es braucht immer noch den Leiter mit den richtigen Instinkten und Siegeswillen, um erfolgreich zu sein.
Durchaus unterhaltsam sind die vielen Beispiele, die Alinsky in seine Erzählung einflechtet und die seinen Willen dokumentieren: Wirke wenn möglich innerhalb von Gesetz und Vorschriften, lote die Grenzen aber bis aufs äusserste aus. Ein Beispiel dazu: Alinsky wurde von einer Studentengruppe an einer konservativen protestantischen Schule angeheuert. Die Studenten störten sich daran, dass sie in der Schule nicht rauchen, tanzen oder ein Bier trinken durften. Doch Kaugummi kauen war erlaubt. So sorgten sie dafür, dass einige hundert Studenten an der Schule für eine regelrechte Kaugummiplage sorgten. Es sei nicht lange gegangen, bis fast alles ausser Kaugummikauen erlaubt gewesen sei. (S145/146).
Polarisation ist für Alinsky etwas, was er sehr bewusst anstrebt. Polarisation hilft, einen Konflikt erst mal zu schaffen, aus welchem dann Profit geschlagen werden kann (S134). Polarisation bewirkt man unter anderem mit Disruption oder gar Transgression – dem bewussten Übertreten von eingespielten Selbstverständlichkeiten, von gesellschaftlichen Codes oder moralischen Vorstellungen. Im Fall der kaugummikauenden Schüler war die Disruption eine ganz kleine. Sie haben die Gehsteige ihrer Schule mit Kaugummi verseucht – nicht illegal, aber entgegen der guten Sitte. Die Empörung darüber war dann der Ausgangspunkt dafür, dass sie ihre tatsächlichen Forderungen (Rauchen, Tanzen und Bier trinken) durchsetzen konnten.
Wer die Mechanismen der moralischen Revolution unserer Tage aktiv beobachtet, der wird bemerken, wie die Taktiken von Alinsky auch heute Anwendung finden. Die ‘Salami-Taktik’ kennen ich nur zu gut aus den ganzen Entwicklungen rund um die Ehe für alle. Der Prinzip der Transgression führt uns Rosa von Praunheim aktuell vor, wenn er seine perversen Bilder in einer Kirche ausstellt und damit logischerweise einen Sturm der Entrüstung entfacht. Auch Derek Webb, vor Jahren noch Mitglied der populären christlichen Pop-Band Caedmon’s Call, kann als Beispiel genannt werden. Nach seiner Dekonversion, setzt er die taktischen Prinzipien Alinsky’s gegen sein früheres Milieu ein. Sein jüngster Coup: eine Drag Queen an die Spitze der christlichen Apple-Charts in den USA zu katapultieren. Dabei kamen mindestens 5 der taktischen Prinzipien zur Anwendung (Nr 3, 5, 6, 11, 13). Wir dürfen uns auf weitere Episoden freuen oder gefasst machen.
Abschliessende Gedanken
Was halte ich von diesem Alinsky und seiner Dienstanweisung für Revolutionäre?
Zum ersten: Die Lektüre hat mir tatsächlich Spass gemacht! Auch wenn die vielen Beispiele im Buch aus einer völlig anderen Zeit kommen, so merkt man doch wie Ähnliches heute immer noch abläuft, wenn auch an anderen Schauplätzen. Die Bühnen sind heute eher die sozialen Medien mit ihren «Shitstorms» und virtuellen ‘Schlachten’. Manchmal sieht man, wie sich solche Schlachten bilderbuchmässig nach Alinsky-Mustern entfalten, wie Menschen regelrecht in die Fallen hineinrennen, welche ihnen gestellt werden. Wer Alinsky kennt, wird sich letztendlich sicherer auch in Onlinediskussionen engagieren können.
Ein spannender Aspekt 50 Jahre nach Erscheinen des Buches ist natürlich, dass heute Hüben und Drüben nach dem gleichen taktischen Regelwerk ‘gespielt’ wird. Das ist ehrlich gesagt kein guter Garant für konstruktive Prozesse, sondern befeuert eher die zunehmende Polarisierung.
Trotzdem kann es mal dran sein, einen ‘auf Alinsky’ zu machen. Ich persönlich kann zum Beispiel den Aktionen gegen Target und Bud-Light in den USA einiges abgewinnen. Es gibt Momente, wo es gerechtfertigt sein kann, Dinge auch öffentlich anzuprangern oder zu boykottieren. Wenn Grosskonzerne zielgerichtet unter Kindern den Trans-Lebensstils mit all seinen verheerenden Konsequenzen bewerben, darf das kreativ bekämpft werden. Das ist meine persönliche Meinung. Nur sollte das Ganze dann ohne das Lügen, Lästern, Erpressen und Schikanieren auskommen, was bei Alinsky mit zum Programm gehörte.
Auch die Propheten in der Bibel haben nicht immer zimperlich zum Volk gesprochen. Jesus hat da und dort auf ‘den Putz’ gehauen – man denke zum Beispiel an die Tempelreinigung (Joh 2:13–25). Der Glaube kennt also so etwas wie eine ‘heilige Empörung’, welche auch mal Laut wird, welche zielgerichtet und mit einer gewissen Radikalität Veränderung einfordert. Dem Unrecht, der Verführung oder der Bosheit, muss man sich auch mal entschlossen entgegenstemmen.
Aus meiner Sicht völlig untragbar ist aber die ethische Beliebigkeit Alinskys. Seine Zeitzeugen berichten, dass diese teilweise verheerende Nebenwirkungen mit sich brachte. Am Anfang des Buches macht Alinsky deutlich, dass er selbst mit dem Teufel einen Pakt schliessen würde. Er widmet sein Buch auf der ersten Seite dem Widersacher Gottes:
«Wir sollten… den ersten den Menschen bekannten Radikalen nicht vergessen, der gegen das ‘Establishment’ aufbegehrte und dies so erfolgreich tat, dass er wenigsten sein eigenes Reich gewann – Lucifer»
Alinsky hatte nicht viel für Glaube und Religion übrig. Er stellt in seinem Buch auch klar, dass eheliche Treue nicht ins Repertoire eines ‘Community Organizers’ gehöre. Eine Tätigkeit wie seine biete zu viele Gelegenheiten, um sich mit Dingen wie Enthaltsamkeit zu belasten (S65).
Trotz solchen Statements liessen sich protestantische und katholische Organisationen immer wieder auf ihn und seinen moralischen Relativismus ein. Denn das Anheuern Alinsky’s kam mit dem Versprechen eines erfolgreichen Kampfes gegen Missstände.
Jesus gibt uns in der Bergpredigt und mit seinem ganzen Leben ein alternatives Set an ethischen Leitsätzen. Gerechtigkeit soll uns wichtig sein (Mt 5:6). Aber die Sicht auf den Kontrahenten ist eine andere als bei Alinsky:
«Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen» (Mt 5:12).
Jesus fordert uns heraus, unser Leben in Sanftmut und Reinheit des Herzens zu leben (Mt 5:1–12). Er möchte nicht, dass wir unsere Feinde mit Spott eindecken, sondern die Backe hinhalten (Mt 5:39). Es ist viel einfacher einen Feind zu besiegen als ihn zu lieben. Der Anspruch Jesu auf die Art und Weise, wie ich mein Leben führe und Konflikte gestalte, fordert mich tatsächlich sehr heraus. Die Schlachten Gottes werden nach anderen Regeln geführt. Und die grössten Siege, so macht er uns klar, gilt es in unseren eigenen Herzen zu gewinnen:
«Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?» (Mk 8:36)
Bilder: Peter Bruderer
Fussnoten:
[1] Die 11 ethischen Prizipien von Alinsky (jeweils mit kurzer Umschreibung).
- «Die Beschäftigung mit der Ethik der Mittel und Zwecke ist umgekehrt proportional zu den persönlichen Interessen in dieser Frage.» Will heissen: Ethische Prinzipien erachten wir für umso wichtiger, je weniger ihre Anwendung unsere Ziele betreffen. Und wir erachten sie für umso weniger wichtig, je mehr sie unsere Ziele betreffen.
- «Das Urteil über die Ethik der Mittel ist abhängig von der politischen Haltung derjenigen, welche du beurteilst.» Will heissen: Wenn dir die politische Haltung deines Gegners zuwider geht, dann bist du ihm gegenüber nicht an ethischen Prinzipien gebunden.
- «Im Krieg heiligt der Zweck fast jedes Mittel.» Das erklärt sich wohl von selbst.
- «Die Beurteilung muss im Kontext der Zeit erfolgen, in der die Aktion stattgefunden hat, und nicht aus einem anderen chronologischen Blickwinkel.» Will heissen: Der spezifische Kontext bestimmt, ob ein Mittel moralisch legitim ist oder nicht.
- «Die Sorge um die Ethik steigt mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Mittel und umgekehrt.» Will heissen: Wenn nur ein Mittel zur Hand ist zur Zielerreichung, darf dieses Mittel eingesetzt werden, auch wenn es moralisch verwerflich ist.
- «Je unwichtiger das angestrebte Ziel ist, desto mehr kann man es sich leisten, eine ethische Bewertung der Mittel vorzunehmen.» Will heissen: In unwichtigen Dingen kann man sich auch mal ein ethisch korrektes Handeln leisten.
- «Im Allgemeinen ist der Erfolg oder Misserfolg ein mächtiger Faktor in der ethischen Beurteilung.» Will heissen: Es gibt keine ‘erfolgreichen Verräter’. Denn diese werden in der Geschichtsschreibung zu ‘gründenden Vätern’ (S34). Demzufolge ist der Erfolg das alles Entscheidende. Wer Erfolg hat, der bestimmt die Geschichtsschreibung und kann das ethische Urteil bezüglich der eingesetzten Mittel umschreiben.
- «Die Moral eines Mittels ist abhängig davon, ob eine Niederlage oder ein Sieg unmittelbar bevorsteht.» Will heissen: Wer auf der Ziellinie des Erfolges ein drastisches Mittel einsetzt, dem wird das später vorgehalten werden. Beispiel: Atombombeneinsatz in Japan am Ende des zweiten Weltkrieges.
- «Jedes wirksame Mittel wird von der Opposition automatisch als unethisch eingestuft.» Will heissen: Gute Argumente oder stichhaltige Instrumente in der Hand des Gegners haben grundsätzlich immer ‘böse’, ‘unlauter’ und ‘verwerflich’ zu sein.
- «Man tut, was man kann, mit dem, was man hat, und kleidet es in ein moralisches Gewand.» Will heissen: Es ist oft hilfreich, Mittel einzusetzen, welche als moralisch gut beurteilt werden, weil dies hilfreich zur Zielerreichung ist. Manchmal ist die bestmögliche Option auch gleichzeitig eine moralisch gute.
- «Die Ziele müssen in allgemeinen Begriffen wie “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”, “Gemeinwohl”, “Streben nach Glück”, “Brot und Frieden” formuliert werden.» Will heissen: Zielpunkte können sich im Laufe eines Konfliktes in einem dynamischen Prozess verschieben. Deshalb sollten sie so formuliert sein, dass sie nicht zur Zwangsjacke werden, sondern stetig neu interpretiert werden können.
Hier finden sich so etwas wie die upgedateten “Rules for Radicals” für unsere Zeit: https://beautifultrouble.org/