Mein erster Marsch fürs Läbe

Lesezeit: 10 Minuten
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by Peter Bruderer | 20. Sep. 2022 | 8 comments

Dieses Woch­enende bin ich zum ersten Mal beim ‘Marsch für’s Läbe’ mit­ge­laufen. Ein guter Anlass, das Erlebte zu reflek­tieren und eine grund­sät­zliche Stan­dortbes­tim­mung zu machen bezüglich dem Recht Unge­boren­er auf Leben und der Pro-Life Bewegung.

Zwanzig Jahre ist es her, seit in der Schweiz die Fris­ten­regelung einge­führt wurde. Die Fris­ten­regelung ist eigentlich ein ziem­lich willkür­lich und ent­behrt ein­er wis­senschaftlichen Grund­lage. Aber die Befür­worter geben uns zu ver­ste­hen, es sei ein ‘guter gesellschaftlich­er Kon­sens’. Doch nun kön­nte es mit dem Kon­sens vor­bei sein. Vieles ist wieder in Bewe­gung in der Frage des Schwanger­schaftsab­bruch­es, und die Emo­tio­nen gehen hoch.

Dies hat unter anderem damit zu tun, dass im Juni dieses Jahres in den USA der epochale Gericht­sentscheid Roe v. Wade vom ober­sten Gericht­shof für nichtig erk­lärt wurde. Der Gericht­sentscheid hat­te 1973 Abtrei­bung legal­isiert. Nun ist die Frage wieder an die einzel­nen Bun­desstaat­en zurück­gere­icht wor­den. Die Wellen schla­gen bis nach Europa durch. Aktuell möchte ein­er­seits eine par­la­men­tarische Ini­tia­tive Abtrei­bung gän­zlich aus unserem Strafge­set­zbuch stre­ichen, während ander­er­seits zwei Volksini­tia­tiv­en lanciert sind, welche das unge­borene Leben bess­er schützen möchten.

Ich bin zeitlebens ein poli­tisch wenig engagiert­er Men­sch gewe­sen. Ich bin nicht der Typ, der auf Demon­stra­tio­nen geht. Ich bin nur ein einziges Mal in meinem Leben an ein­er Kundge­bung gewe­sen. Damals habe ich sie sog­ar mit organisiert.

Die zufällige Kundgebung

Es war vor zwanzig Jahren, als wir in mein­er Stadt eine Kundge­bung gegen die zur Abstim­mung ste­hende Fris­ten­regelung organ­isiert haben. Die Umstände waren skur­ril. Ich war in der Leitung ein­er blühen­den und sehr dynamis­chen regionalen Jugen­dar­beit. Jeden Monat ver­sam­melten wir zu jen­er Zeit rund 800 Per­so­n­en zu einem Gottes­di­enst in der grössten Halle der Stadt.

Als die Halle auf­grund von Sanierungsar­beit­en nicht ver­füg­bar war, galt es, kreativ zu wer­den. Man­gels Alter­na­tiv­en wurde der Jugend­gottes­di­enst flugs zur öffentlichen Kundge­bung umfunk­tion­iert, welche die Stadtver­wal­tung von Amtes wegen zu bewil­li­gen hat­te. So kamen wir doch noch zu einem Stan­dort, um uns zu tre­f­fen. Wir ver­sam­melten uns an diesem heis­sen Früh­som­mer-Son­ntag des Jahres 2002 auf dem ‘Mät­teli’ Frauen­feld um unser ‘Nein’ zur geplanten Fris­ten­regelung kundzu­tun. Ein junges Liebe­spaar, welch­es unge­wollt schwanger gewor­den war, erzählte. Es war für sie klar, dass sie ihr Kind behal­ten und heirat­en woll­ten. Das war berührend und mutig.

Die Fris­ten­regelung kam trotzdem.

Vor 20 Jahren in Frauen­feld auf dem ‘Mät­teli’…

Meine per­sön­liche Hal­tung in der Frage hat sich in den Jahren sei­ther nicht wesentlich verän­dert. Es ist die christliche Hal­tung, welche das men­schliche Leben in jed­er Phase sein­er Entwick­lung als wertvoll und schützenswert erachtet. His­torisch gese­hen hat sich die christliche Kirche von ihrer ersten Stunde an für das Recht auf Leben der Unge­bore­nen einge­set­zt. Es war eine Zeit, in der Abtrei­bung und ins­beson­dere das Aus­set­zen von Babies in der Natur an der Tage­sor­d­nung und gesellschaftlich akzep­tiert war. Die ersten Chris­ten haben sich der Abtrei­bung ver­weigert und von ihren Eltern aus­ge­set­zte Neuge­borene bei sich aufgenom­men. Diese Hal­tung war, wie es zum Beispiel die frühchristliche Didache beschreibt, ein inte­graler Bestandteils des christlichen ‘Weg zum Leben’, während das Töten Unge­boren­er zum ‘Weg zum Tode’ gehörte.

Meine per­sön­liche Hal­tung machte mich zum ideellen Unter­stützer des Marsch für’s Läbe. Doch die Abnei­gung, mich auf dem ‘Präsen­tierteller der Öffentlichkeit’ zu zeigen, war bish­er stärk­er als meine Sol­i­dar­ität. Dafür habe ich mich per­sön­lich inten­siv mit geschichtlichen Aspek­ten der Abtrei­bungs- und Pro-Life Bewe­gung befasst und diese auch vor eini­gen Monat­en in ein­er 5‑teiligen Serie publiziert.

Nun wollte ich aber dabei sein! Let­zten Sam­stag, am ‘Marsch für’s Läbe’ in Oer­likon war es soweit. Meine zweite Kundge­bung. Und im Rah­men mein­er ver­stärk­ten Aufmerk­samkeit rund um den diesjähri­gen Marsch ist mir einiges aufgefallen.

Evangelische Kaltherzigkeit.

Was mich in den ver­gan­genen Wochen am meis­ten getrof­fen hat, ist die spür­bare Kaltherzigkeit bei der evan­ge­lis­chen Kirche. Dies sowohl in der Schweiz, als auch in Deutsch­land. Die Chefe­ta­gen und Denkstuben der evan­ge­lis­chen und reformierten Staatskirchen scheinen der­art unter der Kon­trolle ein­er Ide­olo­gie zu sein, deren inte­graler Bestandteil das Recht auf freie Abtrei­bung ist, dass für kri­tis­che Stim­men kein Raum mehr da ist.

In der Schweiz zeigte sich dies zum Beispiel an der Berichter­stat­tung der reformierten Medi­en rund um den Gericht­sentscheid in den USA. Im Mag­a­zin ref.ch zeigte sich Michael Coors, ausseror­dentlich­er Pro­fes­sor für The­ol­o­gis­che Ethik am Insti­tut für Sozialethik der Uni­ver­sität Zürich, empört über den Entscheid (siehe Hier). Ins gle­iche Horn bliesen im Mag­a­zin réfor­més  Philippe Gon­za­lez, Reli­gion­ssozi­ologe an der Uni­ver­sität Lau­sanne, und Frank Math­wig, Tit­u­larpro­fes­sor für Ethik an der Uni­ver­sität Bern (siehe Hier und Hier).

Mir ist an kein­er Stelle in der etablierten reformierten Presse der Schweiz eine Stimme begeg­net, welche auch die Pro-Life Per­spek­tive erläutert hätte. Abge­se­hen vom per­sön­lichen Engage­ment einzel­ner Pfar­rper­so­n­en und von Men­schen an der Basis scheint es in unseren reformierten Insti­tu­tio­nen nur eine zuläs­sige Hal­tung zu geben. Es ist mir mit­tler­weile lei­der klar gewor­den, dass wir aus den Ethik­abteilun­gen unser­er evan­ge­lis­chen Staatskirchen und der mit ihnen ver­bun­de­nen Medi­en kaum mehr eine christliche Ethik erwarten kön­nen, wenn es um den The­men­bere­ich Leben­srecht geht.

Auch in Deutsch­land lässt sich Ähn­lich­es beobacht­en. Beispiel­haft dafür ist der Auftritt des Abtrei­bungslob­bis­ten Neil Dat­ta vor ein­er Woche an ein­er Tagung des Stu­dien­zen­trum der EKD für Gen­der­fra­gen in Kirche und The­olo­gie. Neil Dat­ta, ein ehe­ma­liger Funk­tionär des weltweit grössten Abtrei­bungsan­bi­eters Planned Par­ent­hood, set­zt sich seit vie­len Jahren in Brüs­sel dafür ein, dass das Töten unge­bore­nen Lebens unter dem Deck­man­tel ‘repro­duk­tiv­er Rechte’ inter­na­tion­al als Men­schen­recht ver­ankert wird. Er war an dieser Ver­anstal­tung unter der Schirmherrschaft der EKD her­zlich willkom­men. Sein Vor­trag war der öffentliche Höhep­unkt ein­er anson­sten geschlosse­nen Ver­anstal­tung. Die Tagung wurde von einem Gruss­wort von Michael Diener, Mit­glied des Rates der EKD ein­geleit­et. Auf eine Online Nach­frage hin, warum die EKD denn beim Marsch für das Leben in Berlin kein Gruss­wort entsende, meinte Michael Diener, die EKD ste­he für eine «dif­feren­zierte Posi­tion wie sie vom Marsch für das Leben bish­er nicht zu erwarten war“. Das Faz­it ist offen­sichtlich: Ein­er Kundge­bung für den Schutz des unge­bore­nen Lebens kann die EKD kein Gruss­wort entricht­en, ein­er Ver­anstal­tung, welche als Höhep­unkt den Auftritt eines Abtrei­bungslob­bis­ten hat, aber sehr wohl.

Freikirchliche Vorsicht

Auch im Umfeld evan­ge­lis­ch­er Freikirchen spürt man oft Zurück­hal­tung, wenn es darum geht, in der Öffentlichkeit seine Stimme zu erheben für den Schutz des unge­bore­nen Lebens. Es kann dafür ver­schiedene Gründe geben.

Ein Aspekt, welch­es zur Zurück­hal­tung beiträgt, sind ver­mut­lich die vielfälti­gen Ver­flech­tun­gen in den Chefe­ta­gen christlich­er Ver­bände und Werke. Michael Diener beispiel­sweise, welch­er das Gruss­wort zur Gen­derta­gung gehal­ten hat, ist nicht nur Mit­glied des Rates der EKD in Deutsch­land. Er ist oder war auch Mit­glied in ein­er grösseren Anzahl von Auf­sichts­gremien mit dur­chaus freikirch­lichem oder ‘evan­ge­likalem’ Gepräge. Während ich Herr Dieners genaue und ‘dif­feren­zierte’ Hal­tung in der Abtrei­bungs­frage nicht kenne, so sieht es doch ganz danach aus, als ob er die Hal­tung der EKD teilen würde, dass der ‘Marsch für das Leben’ in Deutsch­land eben nicht dif­feren­ziert genug sei und deshalb ein Gruss­wort nicht in Frage komme. Diese Hal­tung wird Herr Diener wohl auch in seinem weit­en Ein­flussfeld einbringen.

Mein Punkt ist dieser: Es ist nachvol­lziehbar, wenn viele christliche Organ­i­sa­tio­nen es als die beste Lösung sehen, öffentlich gar keine Stel­lung zur Frage der Abtrei­bung zu beziehen. Damit kön­nen schwierige interne Diskus­sio­nen ver­mieden wer­den, Pattsi­t­u­a­tio­nen müssen nicht aus­disku­tiert und die jew­eilige Organ­i­sa­tion wird bei diesem medi­al sen­si­blen The­ma aus dem Schuss­feld gehalten.

In diesem Zusam­men­hang ste­ht ein weit­er Ein­druck nach mein­er Teil­nahme am Marsch für’s Läbe in Oer­likon: Die Medi­en schaf­fen es lei­der sehr gut, die Pro-Life Bewe­gung auf eine Art zu stig­ma­tisieren, dass auch Chris­ten sich lieber nicht mit ihr assozi­ieren. Ich per­sön­lich habe die Teil­nehmenden an der Kundge­bung als eine run­dum freudi­ge, fried­liebende und aufgestellte Schar erlebt mit ein­er erstaunlichen Diver­sität an Alter sowie kirch­lichen und eth­nis­chen Hin­ter­grün­den. Da gab es auch ein paar auf­fal­l­ende Unikate darunter – keine Frage. Doch wenn es nur um die Kundge­bung­steil­nehmenden gin­ge, bräuchte es abge­se­hen von einem Verkehrs­di­enst kein­er­lei Sicher­heits­mass­nah­men für die Durch­führung der Ver­anstal­tung. Doch eine Schar von gewalt­bere­it­en Gegen­demon­stran­ten machen es nötig, dass die Kundge­bung mit einem riesi­gen Aufge­bot an Polizeikräften geschützt wer­den muss.

Die aggres­sive Grund­stim­mung gegenüber den Kundge­bung­steil­nehmern ist mir bere­its bei der Anreise begeg­net. Bei der Hin­fahrt im Zug steigt eine nette Dame in mein Zugabteil. Beim Tele­fonieren mit einem Fre­und erzählt sie beiläu­fig, was bei ihr auf dem Nach­mit­tagspro­gramm ste­he: “E chli go Christe go ver­schlah”. Ich hätte ein Gespräch mit der betr­e­f­fend­en Per­son anfan­gen kön­nen. Aber sie war am Tele­fon und dann waren wir schon in Oer­likon angekom­men. Und mitzuhören, wie sie so ganz lock­er über ihre gewalt­tägi­gen Absicht­en dahin quatscht, hat mich ehrlich gesagt auch zu stark schock­iert, als dass ich zu ein­er Reak­tion fähig gewe­sen wäre.

Eine ein­fache Google Suche zu News­meldun­gen über den Marsch in Oer­likon zeigt, wie die Medi­en die eigentlich glasklaren Rol­len­verteilun­gen zwis­chen Aggres­soren und Bedro­ht­en vernebeln. Die Kundge­bung­steil­nehmer wer­den mit Adjek­tiv­en wie ‘radikal’ oder ‘fun­da­men­tal­is­tisch’ so beschrieben, dass sie am Schluss als das eigentliche Prob­lem darstellt wer­den. Sie, die Pro-Lif­er, sind die eigentliche poten­tielle Gefahr und die Leser müssen das auch so sehen ler­nen. Die Pro-Lif­er mutieren zu Mitverur­sach­ern von Gewalt und Auss­chre­itung, obwohl sie kein­er­lei Anteil daran haben. Diese medi­ale Berichter­stat­tung mag für viele kirch­liche Organ­i­sa­tio­nen, aber auch für Einzelper­so­n­en abschreck­end wirken. Umso mutiger finde ich, das in der Schweiz die Evan­ge­lis­che Allianz sich seit Jahren in die Träger­schaft des Marsch ein­bringt, und bere­it ist, dafür auch einen Preis zu zahlen.

Advokaten für eine neue Kultur

In den USA ist diesen Som­mer das geschehen, was für viele undenkbar war. Nach fast 50 Jahren wurde ‘Roe v. Wade’ zu einem Relikt der Geschichte gemacht. Für die Pro-Life Bewe­gung ist das ein Tag unglaublich­er Freude. Für die Anhänger eines Recht­es auf freie Abtrei­bung ein Tag der Ent­täuschung und des Zornes. Eine katholis­che Nachricht­e­na­gen­tur zählte im Zusam­men­hang mit dem Gericht­sentscheid gegen 200 Gewal­tak­te auf Pro-Life Ein­rich­tun­gen und Per­so­n­en. Unter anderem kam es im Vor­feld der Gericht­sentschei­dung auch zum Mord­ver­such an einem der ober­sten Richter der USA – ein beispiel­slos­er Ver­such der Ein­schüchterung durch Gewalt.

Men­schen, welche sich für das Recht Unge­boren­er ein­set­zen, wer­den auch in Zukun­ft beson­nen und furcht­los sein müssen. Wenn ich meine per­sön­liche Per­spek­tive teilen darf: Ich sehe schwierige Zeit­en auf die Pro-Life Bewe­gung zukom­men. Die eugenis­che Kom­po­nente der Abtrei­bungs­be­we­gung ist in vie­len Län­dern mit­tler­weile stark etabliert. Gle­ichzeit­ig wie in den USA ‘Roe v. Wade’ rück­gängig gemacht wurde, wurde in Deutsch­land das Wer­be­ver­bot für Abtrei­bung abgeschafft. Dank der gut finanzierten Lob­b­yarbeit von Men­schen wie Neil Dat­ta und sein­er Organ­i­sa­tion, sprach sich im Juli eine Mehrheit des Europäis­chen Par­la­mentes für die Auf­nahme des Recht­es auf Abtrei­bung in die EU Grun­drechtschar­ta aus. Diese Entschei­dung ist nicht bindend – dafür müsste sie von allen Mit­gliedsstaat­en der EU rat­i­fiziert wer­den. Aber sie erhöht ganz klar den Druck. Abtrei­bung soll als nor­mal ange­se­hen wer­den. Es ist tat­säch­lich eine tragis­che Ironie unser­er Zeit, wenn das Aus­löschen men­schlichen Lebens zum Men­schen­recht deklar­i­ert wird. Der Über­gang vom ‘Recht’ zur Abtrei­bung zur unaus­ge­sproch­enen ‘Pflicht’ kön­nte fliessend ver­laufen. Dies ger­ade bei Kindern mit poten­tiellen Beein­träch­ti­gun­gen, deren Dasein mit finanziellen Kosten für die All­ge­mein­heit ver­bun­den ist. Umso mehr braucht es heute unsere Stimme und umso mehr dür­fen sich Pro-Lif­er nicht ent­muti­gen lassen.

Aus christlich­er Per­spek­tive muss uns bewusst sein, wie eng die Abtrei­bungs­frage verknüpft ist mit den gesellschaftlichen Entwick­lun­gen im Bere­ich der Sex­u­alethik. Legal­isierte Abtrei­bung ist der unverzicht­bare Schlussstein im Gewölbe ein­er sex­uell ‚befre­it­en‘ Men­schheit. Eine Schlüs­selfig­ur hin­ter der Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA vor 50 Jahren ist Lar­ry Lad­er. Legal­isierte Abtrei­bung ist gemäss Lad­er, die Zer­störung der ulti­ma­tiv­en Bestra­fung für Sex und erlaubte das Vergnü­gen von Sex um sein­er selb­st willen, ohne die beglei­t­ende Pflicht, ein Kind zu gebären.» Dass Abtrei­bung der Schlussstein der sex­uellen Freizügigkeit ist, wis­sen wohl auch Michael Diener und die Mitar­beit­er im Zen­trum für Gen­der­fra­gen der EKD. Man spricht nicht gerne darüber. Aber es gibt die von ihnen mit­ge­tra­gene Ide­olo­gie, welche aus­gelebte Sex­u­al­ität als eine Art Men­schen­recht sieht, let­z­tendlich nur als Gesamt­paket inklu­sive der Möglichkeit oder gar dem Recht auf Abtreibung.

Wer sich von diesem ‘Weg zum Tode’ ver­ab­schieden will, muss nicht nur in der Einzel­frage der Abtrei­bung, son­dern ganzheitlich umdenken. Der römisch-katholis­che Pub­lizist Bern­hard Meuser bringt es auf den Punkt:

«Jet­zt ist die Zeit gekom­men, in «Abtrei­bung» den Clear­ing­point ein­er neuen Sex­ual­moral und die präzise Wasser­schei­de der Anthro­polo­gie zu sehen. Hier schei­det sich alles, was fliesst. Die Wass­er, die in die Zivil­i­sa­tion der Liebe fliessen, fliessen nicht in die Kul­tur des Todes und umgekehrt. Zwei nicht miteinan­der vere­in­bare Anthro­polo­gien tren­nen sich. Men­schen müssen sich ent-schei­den, wem sie den Vor­rang geben ein­räu­men: der Lust oder der Liebe, dem Moment oder der Ewigkeit, der Frei­heit oder dem Leben.» (Freie Liebe, S. 343)

Vor 20 Jahren kon­nten wir unsere Stimme in Frauen­feld ohne jeglichen Polizeis­chutz erheben. Am ver­gan­genen Sam­stag in Oer­likon brauchte es gefühlt Hun­derte bis an die Zähne gerüstete Sicher­heit­skräfte. Die Lei­den­schaft, mit welch­er die Gegen­demon­stran­ten das Abtrei­bungsrecht ein­fordern ist auch damit begrün­det, dass es für sie um viel mehr geht als nur dieses Einzelthe­ma. Ich kann die Emo­tio­nen nachvol­lziehen. Ich kann auch bei einzel­nen The­men, welche sie beschäfti­gen, gut mit­fühlen. So finde ich es beispiel­sweise eine Schande, wenn sich Män­ner aus der Ver­ant­wor­tung ziehen. Den­noch bleibt für mich klar: Die öffentliche Stimme für die Unge­boren darf niemals erstick­en. Denn die Unge­bore­nen kön­nen ihre eigene nicht erheben. Sie brauchen Advokat­en. Sie brauchen unsere Stimme, auch wenn dies bedeuten kann, mit falschen Zuschrei­bun­gen, Stink-Petar­den, aus­gestreck­ten Mit­telfin­gern, Gewal­tan­dro­hun­gen und van­dal­isierten Kirchen leben zu ler­nen. Wir müssen wohl mutiger darin wer­den, solche Dinge entspan­nt auszuhalten.

Wir soll­ten uns, neben unserem grund­sät­zlichen Engage­ment für die Würde und den Schutz des men­schlichen Lebens in allen Phasen, auch über kleine und real­is­tis­che und Fortschritte beim Schutz der Unge­bore­nen freuen. Wir soll­ten deshalb auch alle möglichen Ini­tia­tiv­en mit­tra­gen, welche dazu beitra­gen kön­nten, wie zum Beispiel die aktuellen Ini­tia­tiv­en für 1 Tag Bedenkzeit und für den Schutz von ausser­halb des Mut­ter­leibes lebens­fähi­gen Babys.

Wir müssen eben­so darauf bedacht sein, dass die Leben­srechts­be­we­gung nicht poli­tisch instru­men­tal­isiert wird von Strö­mungen und Ide­olo­gien unser­er Zeit, son­dern eine ein­fache und möglichst bre­it abgestützte Bewe­gung bleibt, welche immer wieder die wesentliche Frage in den öffentlichen Diskurs ein­bringt: Wird bei ein­er Abtrei­bung men­schlich­es Leben zer­stört? Wenn ja, ist es für unsere Gesellschaft eine moralis­che Pflicht, dieses Leben und die Mut­ter, die dieses Leben unter ihrem Herzen trägt, zu schützen.

Egal wie gut Abtrei­bung verkauft und wie hart­näck­ig das Post Abor­tion Syn­drom (PAS) für nicht-exis­tent erk­lärt wird: das zweite Opfer der Abtrei­bung ist die Frau. Abtrei­bung ist ein Akt gegen den Instinkt, denn im Nor­mal­fall schützt und vertei­digt eine Mut­ter ihr Kind, wenn nötig sog­ar mit ihrem eige­nen Leben. Abtrei­bung ist kein Segen, sie ist ein destruk­tiv­er Ein­griff, der nicht nur ein Kind tötet, son­dern auch viele Frauen schw­er trau­ma­tisiert. Dass diese Trau­ma­ta häu­fig abges­pal­ten und deshalb wed­er erkan­nt noch behan­delt wer­den, macht sie umso zer­störerisch­er. Ganze Gen­er­a­tio­nen­lin­ien lei­den unter der Trauer und der Schuld, die durch Abtrei­bun­gen in Fam­i­lien kommt. Wird das Prob­lem nicht ans Licht geholt, wieder­holt sich die Geschichte. Abtrei­bun­gen ver­let­zen Frauen, zer­stören Part­ner­schaften und machen aus gebore­nen Kindern Über­lebende, die ihre Exis­tenz lediglich glück­licheren Umstän­den ver­danken. Nicht nur das betrof­fene Paar, son­dern die ganze Gesellschaft lei­det, wenn das Leben­srecht zur Dis­po­si­tion gestellt wird. Mut­ter Tere­sa von Kalkut­ta hat deut­lich gemacht, dass der grösste Zer­stör­er des Friedens der Schrei des unschuldigen, unge­bore­nen Kindes ist: «Wenn wir sog­ar akzep­tieren, dass eine Mut­ter ihr eigenes Kind tötet, wie kön­nen wir anderen Men­schen sagen, dass sie sich nicht gegen­seit­ig umbrin­gen sollen?»

Wo das Leben eines hil­flosen, kleinen Men­schen auf dem Altar der Selb­st­bes­tim­mung geopfert wird, ste­hen der Schutz und das bedin­gungslose Exis­ten­zrecht von uns allen auf dem Spiel.

Über allem aber ste­ht Gottes Ange­bot von Verge­bung und Ver­söh­nung für jeden Menschen.

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

8 Comments

  1. Udo Colmorgen

    Es ist sehr beden­klich, welch­er Hass den Men­schen ent­ge­gen­schlägt, die bzgl. Abtrei­bung und Sex­u­alethik eine andere Mei­n­ung haben als die derzeit­ige in der west­lichen Gesellschaft. „Frei­heit ist immer die Frei­heit des Ander­s­denk­enden.“ Ganz in der Tra­di­tion von Rosa Lux­em­burg, von der dieses Zitat stammt, fordern Abtrei­bungs- und LGBTQIA+-Akivisten max­i­male Frei­heit für Ihre Welt­sicht, ohne diese Frei­heit denen zu zugeste­hen, die eine andere Mei­n­ung haben.
    Für diese Intol­er­anz ste­ht lei­der auch Michael Diener. In der EKD find­et er dafür viele Mit­stre­it­er. Er hat aber offen­bar ein zusät­zlich­es Sendungs­be­wusst­sein: sex­u­alethisch kon­ser­v­a­tive Posi­tio­nen haben in Kirche und Gemeinde nichts mehr zu suchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Chris­ten­ver­fol­gung mit­ten aus der „Kirche“ kommt.
    (im Blog von Markus Till gibt es mehr zu diesem Thema:
    https://blog.aigg.de/?p=6370).
    Daher beson­deren Dank für diesen Blog-Beitrag und hof­fentlich hören wir wieder öfter von euch!
    Her­zliche Grüße aus Deutschland

    Reply
    • Peter Bruderer

      Vie­len Dank für die Rückmeldung!

      Reply
  2. Cornelius Riegger

    Danke für diesen tief­gründi­gen Post, der so viele entschei­dende Aspek­te des The­mas beleuchtet. Ins­beson­dere der Punkt bzgl. Sex­ual­moral ist äusserst wichtig – denn am Ende ist eine Abtrei­bung oft der Aus­druck eines Nicht-Tra­gen-Wol­lens der Kon­se­quen­zen des lus­tre­ichen Sex­u­alak­ts. Und da wären wir, wie Herr Hasle­bach­er in seinem Kom­men­tar ange­sprochen hat, wieder bei der Frage nach Gott. Let­ztlich ste­ht und fällt alles mit dem Glauben des Einzelnen.

    Gott seg­ne Sie.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Her­zlichen Dank für die Rück­mel­dung und Ermutigung.

      Reply
  3. Tabitha Bender

    Grat­u­la­tion für diesen aus­ge­wo­ge­nen Artikel! Wir haben ihn mit unseren Leuten geteilt. Und danke für deinen Ein­satz für eine Kul­tur des Lebens! Gott vergelt’s.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Her­zlichen Dank für die Rück­mel­dung und das Weiterleiten!

      Reply
  4. Christian Haslebacher

    Schaut man sich das weisse Plakat auf dem vierten Foto und die Texte auf dem siebten Foto an, scheint es (für viele Leute) eben doch um eine Frage des Glaubens zu gehen. Sie wet­tern nicht nur gegen Abtrei­bungs­geg­ner­in­nen und Abtrei­bungs­geg­n­er, son­dern auch gegen Gott. Wenig­stens darin zeigen sie eine gewisse Konsequenz.
    Wenn es wahr ist, dass Gott jedem Men­schen voraus­set­zungs­freie Liebe und unan­tast­bare Würde schenkt, gilt das auch für dich und für jeden unge­bore­nen Men­schen. Wenn es für einen nicht gilt, dann wohl für alle nicht. Was wir unge­bore­nen Men­schen zu- oder absprechen, sprechen wir schlussendlich uns selb­st zu oder ab.
    Die christliche Ethik ruft uns auf, unge­borene Kinder und schwan­gere Frauen zu schützen und zu unter­stützen und ihnen bei­den voraus­set­zungs­freie Liebe und unan­tast­bare Würde zu schenken.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Her­zlichen Dank für die Rückmeldung.

      Reply

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