Im Vorfeld der kommenden Abstimmung um die ‘Ehe für Alle inklusive Samenspende für lesbische Paare’ steht die Thematik des Kindeswohls im Mittelpunkt der Debatte. Es ist auch eine ‚Debatte der Studien‘. In diesem Beitrag präsentieren wir unser Gespräch mit Paul Sullins, dem Verfasser einer der wichtigsten Studien zum Thema. Wir als Bürger der Schweiz sind aufgefordert, den scheinbaren Konsens … zumindest kritisch zu hinterfragen, denn es gibt gute Gründe dafür, dies zu tun.
Hintergrund: Die Sendung Club von SRF
Im Club-Gespräch über die Ehe für Alle vom 17. August 2021 auf SRF kommen die verschiedenen Studien zu Sprache, welche das Ergehen von Kindern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen analysieren. In der Aufzeichnung ab Min 42.20 weist Moderatorin Barbara Lüthi darauf hin, dass man die verschiedenen Studien gelesen habe. Es gebe einen ‘wissenschaftlichen Konsens’. Seit über 40 Jahren besagen gemäss Lüthi eine Mehrheit der Studien, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen keine entscheidenden Nachteile gegenüber Kindern in heterosexuellen Familien haben.
Wie kommt Barbara Lüthi zu ihrem Befund?
Eine mögliche Antwort liegt in einem Dokument, welches 2015 durch den Dachverband Regenbogenfamilien als Replik auf eine Studie von Paul Sullins publiziert wurde. Die von Barbara Lüthi gewählten Worte wiedergeben praktisch 1:1 den Befund der dieser Replik: 40 Jahre Forschung, überwältigender Konsens in akademischen Fachkreisen. Vermutlich war die Studie von Paul Sullins ein Dorn im Auge des Dachverbandes Regenbogenfamilien, weil seine umfangreiche Forschungsarbeit negative Auswirkungen für Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen festgestellt hat.
Wenn es stimmt, dass Barbara Lüthi ihre Schlussfolgerung mehr oder weniger 1:1 aus diesem Dokument genommen hat, darf man sich die Frage stellen, ob der Befund einer Lobbygruppe in einer Sendung des SRF als neutrales Urteil gewertet werden darf. Sie hätte mindestens die Quelle angeben müssen.
Das Gespräch mit Paul Sullins
Es liegt nicht an uns zu beurteilen, ob in der Sendung ‘Club’ die Regeln der Neutralität und der Quellenangabe beachtet wurden oder nicht. Aber was wir tun konnten war, das Gespräch mit dem in der Sendung genannten Soziologen und Wissenschaftler Paul Sullins suchen. Dies haben wir nach der Ausstrahlung der Sendung ‘Club’ getan und konnten ein äusserst informatives und einsichtsreiches Gespräch mit ihm aufzeichnen.
In diesem Gespräch wirkte Sullins überhaupt nicht als einer, dessen weltanschauliche Haltung eine verfälschende Wirkung auf seine Forschung hat. Vielmehr begegnete uns ein Mann, der sich der Wahrheit verpflichtet hat und seine Forschung mit Seriosität und der nötigen Demut betreibt. Man kann eine wissenschaftliche Arbeit nicht vom Vornherein aufgrund der weltanschaulichen Prädisposition des Verfassers für ungültig erklären, denn JEDER Wissenschaftlicher hat solche Prädispositionen. Vielmehr muss man zum Beispiel schauen, ob der Forscher bereit ist Ergebnisse zu publizieren, die für ihn auch unliebsame sind, wenn sie der Wahrheit entsprechen. Unser Interview mit Sullins zeigt genau solche Punkte, was unser Vertrauen in seine Resultate gestärkt hat.
Im Interview kommen die heissen Themen in der aktuellen LGBT-Debatte zur Sprache:
- Wie parteiisch ist die heutige Wissenschaft?
- Diskriminierung von sexuellen Minderheiten und deren Folgen (Minderheiten Stress-Theorie)?
- Was für Auswirkungen haben Veränderungs-Therapien für LGBT-Personen?
- Wie steht es um das Kindeswohl in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften?
- Warum kommen Studien zu so unterschiedlichen Ergebnissen?
- «Born this Way» — was ist der Einfluss der Gene auf die Homosexualität?
- Abstimmungs-Empfehlung?
Paul Sullins über anderen Studien
Studien werden viele geschrieben, und es kommen laufend neue dazu. Auch Sullins äussert sich zu der sich laufend grössernden Zahl an Studien.
Doug Allan und die 52 Studien:
In unserem Interview fasst Sullins den Befund eines bekannten Artikels von Doug Allen zusammen. Dieser hatte 52 Studien zwischen den Jahren 1995 bis 2013 verglichen, welche besagen, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Kinder hat, in Regenbogen Familien aufzuwachsen.[1] Von diesen Studien haben gemäss Allen nur 4 mit zufälligen Datensätzen gearbeitet. Zufällige Datensätze sind zentral wichtig, wenn das Resultat aussagekräftig sein soll. Leider hatten aber auch jene 4 Studien, die mit zufälligen Datensätzen arbeiten, ein anderes grösseres Problem. Sie benutzen vergleichsweise kleine Datenmengen, im Durchschnitt ca. 50 Personen, was wiederum deren Aussagekraft signifikant schwächt, so Douglas.
Das “What we know Projekt” und die 79 Studien:
In einem eigenen, späteren Artikel äussert sich Paul Sullins zu mittlerweile 79 Studien, welche im ‘What We Know Project’. dokumentiert sind. Darin kommen 75 Studien zum Schluss, dass es keine negativen Auswirkungen hat, in einer Regenbogenfamilie aufzuwachsen während 4 einige negative Auswirkungen identifizierten, darunter die Studie von Sullins.
Sullins kommt zu folgender Bewertung der 79 Studien:
- Von den 75 positiven Studien arbeiten 70 mit gezielt akquirierten Datensätzen, welche vorwiegend direkt im homosexuellen Millieu beschafft wurden. Dies ist ein Millieu, welches ein Interesse an einer positiven Darstellung hat. Solche Studien können gemäss Sullins nicht als repräsentativ eingestuft werden, weder im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung, noch im Hinblick auf die homosexuelle Bevölkerungsgruppe, da sie mit einer gezielten Bewerbung und einer spezifischen Entscheidung zur Teilnahme verbunden waren. So zum Beispiel auch bei der bekannten australischen ACHESS-Studie von Simon Crouch. Er selber (Sullins), sei im Besitz von Werbeinseraten, welche mit der Botschaft: ‘Hilf mit, gute Daten zu sammeln. Hilf mit, die gleichgeschlechtliche Ehe zu unterstützen’ in Zielgruppen-Magazinen geschaltet wurden.
- Die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei diesen 70 positiven Studien liegt bei 39 Personen, was gemäss Sullins eine viel zu kleine Personenzahl ist, um repräsentative Ergebnisse zu präsentieren. Damit liegt gemäss Sullins die faktische Anzahl an repräsentativen Studien bei 9, wovon 5 Stück positiv sind, 4 Stück negativ.
- Von den verbleibenden 5 positiven Studien sind aber 3 Stück vom gleichen Autor und bauen auf den gleichen Datenproben auf, müssen also zusammengefasst werden zu einer Studie.
- Am Schluss kommt Sullins auf ein Verhältnis von 3 zu 3 bei den tatsächlich verwertbaren Studien.
Sullins kann anschliessend nachweisen, dass die 3 verbleibenden positiven repräsentativen Studien auf der Basis von ‘kontaminierten’ Daten arbeiten, welche unabsichtlich auch Daten von heterosexuellen Paaren beinhalteten. Auch seine eigene Studie von 2015 sei durch diese ‘nicht sauberen’ Datensätze der nationalen US Gesundheitsbefragung betroffen gewesen. Er selbst hat nachträglich die berichtigten Daten nochmals verarbeitet und kommt zum Schluss, dass diese seine Befunde nicht schwächen, sondern stärken. Er fordert die Verfasser der anderen Studien auch auf, ihre Arbeiten einer entsprechenden Überprüfung zu unterziehen.
Das Gespräch mit Sullins und seine Erläuterungen zu den 79 Studien lassen eigentlich nur eine Schlussfolgerung zu: Von einem ‘überwältigenden Konsens’ zu sprechen, ist zumindest äusserst fragwürdig.
Die Bedenken von Paul Sullins sind zudem keineswegs die Fantastereien eines religiös voreingenommenen Wissenschaftlers. Sie decken sich mit dem Befund der Nationalen Akademie für Medizin in Frankreich, welche 2019 im Zusammenhang mit der dortigen Debatte zum neuen französischen Bioethik-Gesetz gewarnt hatte, “die absichtliche Zeugung eines Kindes ohne Vater” sei nicht ohne Risiken für seine “psychologische Entwicklung und sein Aufblühen”.
Für die Glaubwürdigkeit von Paul Sullins sprechen auch die durchaus differenzierten Antworten, welche er uns im Gespräch gegeben hat. Es gebe keine perfekten Daten, stellt er klar. Es gebe auch Fragestellungen, welche aufgrund geringer Datenbasen nicht, oder noch nicht eindeutig beantwortet werden könnten. Paul Sullins spricht auch von Entdeckungen, die an sich gegen seine religiöse Überzeugung gehen: Unter gewissen Umständen sei die Einzeladoption durch homosexuelle Personen die bessere Lösung als eine Platzierung bei fremden, heterosexuellen Personen. Dies kann der Fall sein, weil ein Kind meist besser innerhalb der Verwandtschaft adoptiert wird anstatt ausserhalb. Dies wären mögliche Ausnahmesituationen, wie wir es auch bei uns bei Adoptionen durch Alleinstehende kennen. Entscheidend sei auch hier das messbare Wohl des Kindes, sagt Sullins.
Scheidungsstudien als historische Parallele
Es gibt historisch gesehen eine interessante Parallele zur der aktuellen Diskussion um Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen: Die Scheidungs-Debatte, welche in den 60ern und 70ern geführt wurde.
Damals gab es, analog zu unserer heutigen Diskussion, eine Fülle von Forschungsarbeiten, welche Scheidung als die ‘gute’, gar als ‘bessere’ Lösung für Kinder bei elterlichen Differenzen oder Streit präsentierten. Der Schaden für das Kind sei ein ‘Mythos’. Scheidung sei eine gute Möglichkeit zum persönlichen Wachstum und zur Steigerung der Beziehungsqualität. Ein Beispiel für dieses Denken ist das Buch ‘The Courage to Divorce’, ein Bestseller aus dem Jahre 1974. Nun geht es nicht darum, diese Frage im Detail zu erörtern, wichtig ist dieser Fakt: Es war damals kaum möglich, abweichende Positionen zu den Wissenschaftlern einzunehmen, welche damals die Bedenkenlosigkeit der Scheidung anpriesen. Heute scheint es ähnlich zu sein.
Die Grundstimmung nahm erst Jahre später eine Wende, im Jahr 2000, als Judith Wallerstein eine Studie publizierte, welche die teils dramatischen Folgen von Scheidungen über 25 Jahre hinweg dokumentierte. Ihr Buch «The Unexpected Legacy of Divorce»: The 25 Year Landmark Study» wurde zum New York Times Bestseller und zeigte die negativen Konsequenzen von Scheidungen auf, gerade auch für betroffene Kinder. Weitere Einblicke in die Geschichte der Scheidung gibt beispielsweise dieser interessante Artikel. Auch Paul Sullins hat sich in einer Studie mit den Auswirkungen von Scheidungen auf das Kindeswohl befasst.
In dieser historischen Parallele wird sichtbar, wie gross der Einfluss des jeweiligen Zeitgeistes auf die Wissenschaft sein kann. Wie schon gesagt: Ideologische Voreinstellungen sind bei allen Wissenschaftler vorhanden und fälschen nicht zwingend das Resultat einer wissenschaftlichen Arbeit, aber sie können es.
Vor 40 Jahren lag der grosse Teil der ‘Wissenschaftler’ in ihrer Beurteilung der Folgen der Scheidung grundlegend daneben. Wir als Bürger der Schweiz sind heute aufgefordert, den scheinbaren Konsens in akademischen Fachkreisen zum Thema ‚Kinder für alle‘ zu prüfen. Die Kinder von morgen werden uns dafür danken.
Weitere Artikel zum Thema:
Offener Brief an Bundesrätin Keller-Sutter
Kinder für alle?
Ehe für alle?
Fussnoten:
[1] Sullins spricht im Interview aus dem Gedächtnis von 49, was er nachträglich per Email korrigiert.
So jetzt habe ich alles gelesen und das lange Video gehört, obwohl ich doch gar keine Zeit hatte und es hat sich dermassen gelohnt! Grossartig! Danke tuusig für diese erstklassigen Beiträge, nun fühle ich mich auch argumentativ ganz neu gewappnet und ausgerüstet!
Herzlichen Dank Zoe!