WAS oder WARUM? Diese beiden Worte trennen meinen über 20-jährigen Dienst als Pastor in zwei Hälften. In den ersten 10 Jahren habe ich in Predigten und Seminaren vor allem erklärt, WAS der christliche Glaube sagt und möchte. Danach brach eine Zeit an, in der ich anfangen musste, nicht nur das WAS des Glaubens, sondern auch das WARUM zu vermitteln. Mit anderen Worten: Ich musste APOLOGET werden.
Mit der Frage «Warum heiraten wir eigentlich?» überrascht mich 2012 ein Gemeindeglied, das ich ein Jahr davor getraut hatte. Diese Warum-Frage hat meinen Dienst verändert. Ich war schockiert, als der Mann mir diese Frage stellte. Ich war schockiert, aber nicht, weil der Mann eine Frage stellte, die er als Verheirateter beantworten können sollte. Sondern ich war schockiert, weil ich als Pastor und ebenfalls verheirateter Mann nicht wusste, was ich antworten soll! Dass es gut ist zu heiraten, war mir klar. Aber warum ist es gut? Da musste ich erstmal nachdenken und musste eine Apologetik des Heiratens finden.
In den Jahren nach diesem Ereignis sind in meiner Gemeinde viele (und ich meine wirklich: viele!) Warum-Fragen gestellt worden. Hier eine Auswahl:
- Warum wird in christlichen Kreisen das Singlesein gegenüber dem Verheiratet sein als minderwertig betrachtet?
- Warum sollten Christen nicht alle Vegetarier werden?
- Warum setzen wir uns nicht ein gegen Tierfabriken?
- Warum ist das Beenden des eigenen Lebens mit Exit keine Option für Christen?
- Warum sollte ausgelebte Homosexualität nicht okay sein?
- Warum bemühte sich Christen so sehr um die richtige Sexualethik und kümmern sich so wenig um den richtigen Umgang mit Geld und Macht?
- Warum sind Kirchen so ausschliessend gegenüber Menschen, die ein bisschen anders denken als die Kirche?
Die aufgeführten Fragen betreffen primär die Ethik, also die Frage, wie wir leben sollen. Dieser Liste müssen auch weltanschauliche und theologische Fragen hinzugefügt werden wie z.B.
- Warum ist Gott in der Bibel so inkonsistent in seinem Verhalten? Einmal barmherzig, dann wieder streng und zornig.
- Warum haben wir wenig archäologische Beweise für gewisse Ereignisse der Bibel?
- Warum verurteilt Gott Menschen am Ende ihres Lebens, wenn sie keine Chance hatten, Jesus kennenzulernen?
In meiner eigenen Biografie sind die Warum-Fragen sehr gewichtig gewesen. Sie führten dazu, dass ich als junger Mann den Glauben an Jesus Christus verlor. Die Beantwortung vieler meiner Fragen führte dazu, dass ich wieder zum Glauben zurückfand und schlussendlich Pastor wurde. Als dann viele in meiner Gemeinde anfingen, Warum-Fragen zu stellen, wurde mir schnell klar, dass ich mich diesen Fragen nicht verschliessen darf. Wenn der Glaube der Menschen in meiner Gemeinde wichtig ist, soll ich mich ihren Fragen stellen und diese willkommen heissen.
Mir kam in den Sinn, dass der Apostel uns als Christen auffordert, fähig zu werden, gegenüber jedermann die grossen Warum-Fragen des Lebens zu beantworten:
Seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt. Aber tut es freundlich und mit dem gebotenen Respekt. 1. Petrus 3,15–16
Petrus meint hier bestimmt primär Heiden, die Christen fragen. Doch was ist, wenn Christen anfangen, Warum-Fragen zu haben und Zweifel zu haben? Sollte ich als Hirte der Herde nicht ebenso fähig werden, ihnen Rede und Antwort zu stehen, damit diese Christen nicht zu Heiden werden?
So bin ich tief in die sexualethischen Fragestellungen meiner Gemeindeglieder eingetaucht und damit gleichzeitig in die sexualethischen Fragen, die unsere Gesellschaft aktuell beschäftigen. Dabei ist mir der Heiden-Missionar Paulus ein Vorbild geworden, weil er die Warum-Fragen der Christen, für die er verantwortlich war, ernst genommen hat.
Ein Beispiel von Paulus, das ich besonders studiert habe, ist 1. Korinther 6,12–20. Es gab in der Gemeinde in Korinth Männer, die eine Warum-Frage stellten: Warum sollten wir nicht zu Prostituierten gehen dürfen? Paulus hätte sich damit begnügen können, ein Gebot auszusprechen: Ihr sollt nicht zu Prostituierten gehen. Damit hätte Paulus aber nur die Was-Frage beantwortet, was nicht nachhaltig gewesen wäre. Um ein längerfristig verändertes Verhalten zu entwickeln, mussten die Männer gut verstehen, warum es keinen guten Sinn macht, Sex mit Prostituierten zu haben. Deshalb beantwortet Paulus auch ihre Warum-Frage.
Paulus investiert viele Verse des Korintherbriefes, um den Männern eine Begründung zu geben, warum sie nicht zu Prostituierten gehen sollen. Er sagt ihnen zusammengefasst: Wenn ihr die hohe, sakrale Würde eures Körpers verstehen würdet, würdet ihr verstehen, warum ihr euren Körper nicht mit derjenigen einer Prostituierten vereinen sollt. Paulus bringt also eine sogenannt leibestheologische Begründung.
Paulus beantwortet also nicht nur Was-Fragen, sondern Warum-Fragen. Paulus ist nicht nur nach Aussen ein Apologet (z.B. in Athen auf dem Areopag), sondern auch nach Innen (wie soeben erklärt). Dies ist ganz im Sinne des Gründers meines Gemeinde-Verbandes, der vor ca. 150 Jahren schrieb:
„Wenn wir dafür sorgen, dass Heiden Christen werden, dann müssen wir auch darauf bedacht sein, dass Christen keine Heiden werden.“ Christian Friedrich Spittler
Ich glaube wir stehen in einer gesellschaftlich-kulturell unglaublich spannenden Zeit. Es gibt Elemente in unserer Kultur, die nach wie vor zutiefst vom Christentum geprägt sind. Aber insbesondere die Anthropologie, also die Antwort auf die Frage ‘Was ist der Mensch?’, erfährt radikale Veränderung. Wenn eine Gesellschaft eine Veränderung der Weltanschauung durchexerziert, werden alle Grundfragen des Lebens neu gestellt. Mit anderen Worten: Es werden viele Warum-Fragen gestellt. In einer solchen Zeit stehen wir jetzt.
Wenn Pastoren in einer solchen Zeit ihrer Herde gute Sorge tragen wollen, müssen sie lernen, Warum-Fragen zu beantworten. Mit anderen Worten: Pastoren müssen Apologeten sein. Der erste Schritt eines Pastors, ein Apologet für die Gemeinde zu werden, liegt darin, Antworten zu finden, welche ihn oder sie persönlich überzeugen. Wenn Pastoren die Logik der Dinge nicht verstehen und deshalb selbst nicht überzeugt sind, werden sie die Warum-Fragen nicht beantworten können. Darum müssen Pastoren sich Zeit nehmen, persönlich in die Fragestellungen einzutauchen, welche ihre Gemeinde beschäftigen. Dann müssen sie anfangen, in ihren Predigten, Seminaren und pastoralen Gesprächen auf diese Fragen einzugehen.
Mein Kanal bei DanielOption heisst ‘Pastorisiert’. In diesem Kanal möchte ich Einblicke geben, wie ich einige der Warum-Fragen beantworte. Ich hoffe und bete, dass dies Pastoren Kollegen, aber auch Studenten der Theologie inspiriert, selbst solche Wege zu gehen.
Hilfreich wäre eine kurze ‚Übersetzung’ des Wortes Apologet zu Beginn. Spannend ist auch der Zusammenhang zwischen Verstand und Heiligem Geist…