Ein Pastor sollte auch Apologet sein

Lesezeit: 4 Minuten
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by Paul Bruderer | 01. Okt. 2024 | 1 comment

WAS oder WARUM? Diese bei­den Worte tren­nen meinen über 20-jähri­gen Dienst als Pas­tor in zwei Hälften. In den ersten 10 Jahren habe ich in Predigten und Sem­i­naren vor allem erk­lärt, WAS der christliche Glaube sagt und möchte. Danach brach eine Zeit an, in der ich anfan­gen musste, nicht nur das WAS des Glaubens, son­dern auch das WARUM zu ver­mit­teln. Mit anderen Worten: Ich musste APOLOGET werden.

Mit der Frage «Warum heirat­en wir eigentlich?» über­rascht mich 2012 ein Gemein­deglied, das ich ein Jahr davor getraut hat­te. Diese Warum-Frage hat meinen Dienst verän­dert. Ich war schock­iert, als der Mann mir diese Frage stellte. Ich war schock­iert, aber nicht, weil der Mann eine Frage stellte, die er als Ver­heirateter beant­worten kön­nen sollte. Son­dern ich war schock­iert, weil ich als Pas­tor und eben­falls ver­heirateter Mann nicht wusste, was ich antworten soll! Dass es gut ist zu heirat­en, war mir klar. Aber warum ist es gut? Da musste ich erst­mal nach­denken und musste eine Apolo­getik des Heiratens finden.

In den Jahren nach diesem Ereig­nis sind in mein­er Gemeinde viele (und ich meine wirk­lich: viele!) Warum-Fra­gen gestellt wor­den. Hier eine Auswahl:

  • Warum wird in christlichen Kreisen das Sin­gle­sein gegenüber dem Ver­heiratet sein als min­der­w­er­tig betrachtet?
  • Warum soll­ten Chris­ten nicht alle Veg­e­tari­er werden?
  • Warum set­zen wir uns nicht ein gegen Tierfabriken?
  • Warum ist das Been­den des eige­nen Lebens mit Exit keine Option für Christen?
  • Warum sollte aus­gelebte Homo­sex­u­al­ität nicht okay sein?
  • Warum bemühte sich Chris­ten so sehr um die richtige Sex­u­alethik und küm­mern sich so wenig um den richti­gen Umgang mit Geld und Macht?
  • Warum sind Kirchen so auss­chliessend gegenüber Men­schen, die ein biss­chen anders denken als die Kirche?

Die aufge­führten Fra­gen betr­e­f­fen primär die Ethik, also die Frage, wie wir leben sollen. Dieser Liste müssen auch weltan­schauliche und the­ol­o­gis­che Fra­gen hinzuge­fügt wer­den wie z.B.

  • Warum ist Gott in der Bibel so inkon­sis­tent in seinem Ver­hal­ten? Ein­mal barmherzig, dann wieder streng und zornig.
  • Warum haben wir wenig archäol­o­gis­che Beweise für gewisse Ereignisse der Bibel?
  • Warum verurteilt Gott Men­schen am Ende ihres Lebens, wenn sie keine Chance hat­ten, Jesus kennenzulernen?

In mein­er eige­nen Biografie sind die Warum-Fra­gen sehr gewichtig gewe­sen. Sie führten dazu, dass ich als junger Mann den Glauben an Jesus Chris­tus ver­lor. Die Beant­wor­tung viel­er mein­er Fra­gen führte dazu, dass ich wieder zum Glauben zurück­fand und schlussendlich Pas­tor wurde. Als dann viele in mein­er Gemeinde anfin­gen, Warum-Fra­gen zu stellen, wurde mir schnell klar, dass ich mich diesen Fra­gen nicht ver­schliessen darf. Wenn der Glaube der Men­schen in mein­er Gemeinde wichtig ist, soll ich mich ihren Fra­gen stellen und diese willkom­men heissen.

Mir kam in den Sinn, dass der Apos­tel uns als Chris­ten auf­fordert, fähig zu wer­den, gegenüber jed­er­mann die grossen Warum-Fra­gen des Lebens zu beantworten:

Seid jed­erzeit bere­it, jedem Rede und Antwort zu ste­hen, der euch auf­fordert, Auskun­ft über die Hoff­nung zu geben, die euch erfüllt. Aber tut es fre­undlich und mit dem gebote­nen Respekt. 1. Petrus 3,15–16

Petrus meint hier bes­timmt primär Hei­den, die Chris­ten fra­gen. Doch was ist, wenn Chris­ten anfan­gen, Warum-Fra­gen zu haben und Zweifel zu haben? Sollte ich als Hirte der Herde nicht eben­so fähig wer­den, ihnen Rede und Antwort zu ste­hen, damit diese Chris­ten nicht zu Hei­den werden?

So bin ich tief in die sex­u­alethis­chen Fragestel­lun­gen mein­er Gemein­deglieder einge­taucht und damit gle­ichzeit­ig in die sex­u­alethis­chen Fra­gen, die unsere Gesellschaft aktuell beschäfti­gen. Dabei ist mir der Hei­den-Mis­sion­ar Paulus ein Vor­bild gewor­den, weil er die Warum-Fra­gen der Chris­ten, für die er ver­ant­wortlich war, ernst genom­men hat.

Ein Beispiel von Paulus, das ich beson­ders studiert habe, ist 1. Korinther 6,12–20. Es gab in der Gemeinde in Korinth Män­ner, die eine Warum-Frage stell­ten: Warum soll­ten wir nicht zu Pros­ti­tu­ierten gehen dür­fen? Paulus hätte sich damit beg­nü­gen kön­nen, ein Gebot auszus­prechen: Ihr sollt nicht zu Pros­ti­tu­ierten gehen. Damit hätte Paulus aber nur die Was-Frage beant­wortet, was nicht nach­haltig gewe­sen wäre. Um ein länger­fristig verän­dertes Ver­hal­ten zu entwick­eln, mussten die Män­ner gut ver­ste­hen, warum es keinen guten Sinn macht, Sex mit Pros­ti­tu­ierten zu haben. Deshalb beant­wortet Paulus auch ihre Warum-Frage.

Paulus investiert viele Verse des Korinther­briefes, um den Män­nern eine Begrün­dung zu geben, warum sie nicht zu Pros­ti­tu­ierten gehen sollen. Er sagt ihnen zusam­menge­fasst: Wenn ihr die hohe, sakrale Würde eures Kör­pers ver­ste­hen würdet, würdet ihr ver­ste­hen, warum ihr euren Kör­p­er nicht mit der­jeni­gen ein­er Pros­ti­tu­ierten vere­inen sollt. Paulus bringt also eine soge­nan­nt leibesthe­ol­o­gis­che Begründung.

Paulus beant­wortet also nicht nur Was-Fra­gen, son­dern Warum-Fra­gen. Paulus ist nicht nur nach Aussen ein Apolo­get (z.B. in Athen auf dem Are­opag), son­dern auch nach Innen (wie soeben erk­lärt). Dies ist ganz im Sinne des Grün­ders meines Gemeinde-Ver­ban­des, der vor ca. 150 Jahren schrieb:

„Wenn wir dafür sor­gen, dass Hei­den Chris­ten wer­den, dann müssen wir auch darauf bedacht sein, dass Chris­ten keine Hei­den wer­den.“ Chris­t­ian Friedrich Spittler

Ich glaube wir ste­hen in ein­er gesellschaftlich-kul­turell unglaublich span­nen­den Zeit. Es gibt Ele­mente in unser­er Kul­tur, die nach wie vor zutief­st vom Chris­ten­tum geprägt sind. Aber ins­beson­dere die Anthro­polo­gie, also die Antwort auf die Frage ‘Was ist der Men­sch?’, erfährt radikale Verän­derung. Wenn eine Gesellschaft eine Verän­derung der Weltan­schau­ung durchex­erziert, wer­den alle Grund­fra­gen des Lebens neu gestellt. Mit anderen Worten: Es wer­den viele Warum-Fra­gen gestellt. In ein­er solchen Zeit ste­hen wir jetzt.

Wenn Pas­toren in ein­er solchen Zeit ihrer Herde gute Sorge tra­gen wollen, müssen sie ler­nen, Warum-Fra­gen zu beant­worten. Mit anderen Worten: Pas­toren müssen Apolo­geten sein. Der erste Schritt eines Pas­tors, ein Apolo­get für die Gemeinde zu wer­den, liegt darin, Antworten zu find­en, welche ihn oder sie per­sön­lich überzeu­gen. Wenn Pas­toren die Logik der Dinge nicht ver­ste­hen und deshalb selb­st nicht überzeugt sind, wer­den sie die Warum-Fra­gen nicht beant­worten kön­nen. Darum müssen Pas­toren sich Zeit nehmen, per­sön­lich in die Fragestel­lun­gen einzu­tauchen, welche ihre Gemeinde beschäfti­gen. Dann müssen sie anfan­gen, in ihren Predigten, Sem­i­naren und pas­toralen Gesprächen auf diese Fra­gen einzugehen. 

Mein Kanal bei DanielOp­tion heisst ‘Pas­torisiert’. In diesem Kanal möchte ich Ein­blicke geben, wie ich einige der Warum-Fra­gen beant­worte. Ich hoffe und bete, dass dies Pas­toren Kol­le­gen, aber auch Stu­den­ten der The­olo­gie inspiri­ert, selb­st solche Wege zu gehen.


Über den Kanal

Paul Bruderer

Paul Bruderer, Jahrgang 1972, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, 1998 Gründungsmitglied der erwecklichen ‹Godi›-Jugendarbeit in Frauenfeld. Seit 2001 Pastor in der Chrischona Gemeinde Frauenfeld. Paul lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

1 Comment

  1. Wolfgang Ackerknecht

    Hil­fre­ich wäre eine kurze ‚Über­set­zung’ des Wortes Apolo­get zu Beginn. Span­nend ist auch der Zusam­men­hang zwis­chen Ver­stand und Heiligem Geist…

    Reply

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