Ich wollte glauben, aber konnte nicht mehr! Die Gewissheiten meiner Kindheit hatten mich Stück um Stück verlassen und gaben einer Verzweiflung und Düsterheit Raum, die ich vorher nicht kannte und seither nie mehr erlebt habe.
Ich bin als ältestes Kind eines Ehepaars aufgewachsen, das ihr Leben dafür hingab, um Menschen einer anderen Kultur und Religion den Glauben an Jesus Christus bekannt zu machen. Mein Vater war ein Top-Ingenieur, der sich in der Schweiz wohl eine goldige Nase verdient hätte, wenn nicht Jesus sein Leben angerührt und umgekrempelt hätte. Stattdessen wählte er ein Leben in einem der heissesten Länder der Welt: Dem kleinen Land Djibouti. Meine Mutter ist eine typische Engländerin. Nichts ausser einer leidenschaftlichen Liebe zu Jesus konnte sie von ihrem englischen ‘Gärtli’ in die Wüste am Horn von Afrika führen. In diesem Bild kommt noch die Zuversicht zum Ausdruck, die ich als Kind grundsätzlich empfand.
Du hast richtig geraten! Ich bin der Junge mit der Steinschleuder. Der andere Schelm ist mein Bruder Peter, mit dem ich diese Webseite betreibe.
Zweifel schleichen sich ein
Die Zuversicht des Glaubens, die meine Kindheit prägte, sollte sich bald verabschieden. Ab meinem 13. Lebensjahr löste sich eine Glaubensgewissheit nach der anderen auf. Kann Gott meine Gebete wirklich hören? Ist er mächtig genug, um in meinem Leben einen Unterschied zu machen? Warum sind Christen tendenziell so heuchlerisch, intolerant und ehrlich gesagt … oft langweilig?
In dieser Zeit ging ich zu meinem Pastor und sagte ihm, dass ich Fragen über den Glauben hätte. Er ging mit mir die Zehn Gebote durch, um herauszufinden, ob ich Sünde in meinem Leben hätte. Er betete für mich und liess mich gehen. Ich werfe ihm nichts vor, denn er wusste mir nicht zu helfen. Aber man hätte es wesentlich besser anstellen können …
Nicht alle Christen waren langweilig. Da gab es ‘Mättl’, der soeben den scharfen Sound von christlichem Hardrock entdeckt hatte und lange Haare trugt. Besonders ‘in’ war die Rez Band aus Chicago, die Teil einer christlichen Kommunität war, welche in den Slums der Stadt den Armen dienten. Die Freundschaft mit ‘Mättl’ und das Vorbild der Rez Band halfen mir, aber die Zweifel blieben und wurden … schlimmer.
Es geht ans Eingemachte
Mit der Zeit griffen die Zweifel immer mehr die Fundamente des Glaubens an. Diese Fragen trieben mich richtig umher: Ist die Bibel über die Jahrtausende zuverlässig genug überliefert, dass wir überhaupt noch wissen können, was die ursprünglichen Autoren geschrieben haben? Hat Jesus wirklich gelebt? Ist er von den Toten auferstanden und können wir das überhaupt herausfinden? Gibt es Gott eigentlich?
Als ich an diesem Punkt angelangte, war ich inzwischen 16 Jahre alt. Eine Verzweiflung fing an, meine Seele zu ergreifen. Ich war nicht auf Rebellion aus. Ich hätte gerne geglaubt, aber konnte nicht, weil ich keine Gewissheit darüber fand, was wahr ist! Dies war es, was mir fehlte: Die Gewissheit, was wahr ist in Bezug auf Religion, Glaube und Gott. Das war in einer Zeit, in der die Postmoderne Menschen noch nicht brandmarkte, die sich für diese Fragen interessierten.
Nachts erwachte ich und dachte: “Falls Gott existiert, hat er mich verdammt, weil er meine Fragen nicht wegnimmt. Er könnte mir doch eine Erscheinung schicken, dann würde ich glauben können!” Er tat dies aber nicht, und heute weiss ich auch weshalb. Er wollte, dass ich tue, was jeder tun sollte: Ich sollte nicht darauf warten, bis sich die Fragen in Luft auflösen, sondern sollte mich auf eine ehrliche Suche nach Antworten begeben.
Ich verliere meinen Glauben ganz
Als ich 17-jährig wurde, tat ich etwas vom Schwersten, das ich jemals getan hatte. Ich bekannte meinen Eltern, die ihr Leben für Jesus hingegeben hatten, dass ich nicht mehr an diesen Jesus glaube. Es fühlte sich an wie ein ‘coming out’. Dasselbe sagte ich meinem neuen Pastor Werner Buser, der damals die Chrischona-Gemeinde Felben leitete.
Eltern und Pastor zeigten erstaunliches Verständnis und ermutigten mich, mich auf die Suche zu begeben. Sie hatten wohl genug Vertrauen in Jesus, der sagt:
Denn wer bittet, der bekommt. Wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird geöffnet. (Lukas 11,10)
Die ersten Monate verliefen planlos, denn ich wusste nicht, wo ansetzen. Für mich war sonnenklar, dass die Wissenschaft bewiesen hatte, dass der Glaube an Gott widersinnig sei. Heute erstaunt mich das, denn ich hatte keine einzige Beweisführung gelesen. Ich muss diese Gewissheit aus der dünnen Luft unserer Kultur eingeatmet haben.
Entdeckung der Apologeten
Eines Tages, als ich bei meiner Schlummer-Mutter Rösli Mischler zum Mittagessen eingeladen war, sah ich in einem Heft die Werbung für ein Buch mit dem Titel Die Bibel im Test. Im einführenden Text stand, dass der Autor ein ehemaliger Atheist sei, der nun an Jesus glaube. Die Vorstellung, dass so etwas passieren konnte, faszinierte und überraschte mich. Ich bestellte das Buch sofort und verschlang, was Josh MacDowell schrieb.
So öffnete sich eine neue Welt für mich: Die Welt der christlichen Apologeten. Das sind Philosophen und Wissenschaftler, die behaupten, Gründe für den Glauben an Jesus zu haben. Eines war mir von Anfang an klar: Ich lasse mich nicht überreden, sondern werde mich nur dem hingeben, was mich wirklich überzeugt.
So verbrachte ich die nächsten vier Monate fast jede freie Minute mit Lesen und Notizen machen über das, was ich entdeckte. Besonders wichtig waren die Argumente der bekannten Philosophen C.S. Lewis, FF Bruce und dem besagten Josh MacDowell. Ich las auch atheistische Argumentationen. Aber mir wurde bald zutiefst klar, dass die Beweislage für den Glauben äusserst eindrücklich war. Ich empfand sie als eindeutig und überzeugend.
So erfuhr ich, dass das Neue Testament im Vergleich zu allen anderen Büchern der Antike das meilenweit bestüberlieferte Buch ist. ‘Meilenweit’ reicht nicht aus, man muss von Lichtjahren reden! Es gibt online eine Predigt von mir dazu, mit Bezug zu aktuellen Entdeckungen, welche noch diesen Befund noch einmal bestärken. Darauf aufbauend ist die historische Beweislage für die Existenz von Jesus Christus und für seine leibliche Auferstehung vom Tod ausgezeichnet. Dies wiederum überzeugte mich zutiefst, dass es Gott gibt.
Meine Re-Konversion
Photo by Balz
Plötzlich merkte ich eine Veränderung: Es glaubte wieder in mir! Ich musste mich nicht mental überlisten, wieder zu glauben. Ich musste nicht lange beten und um Glauben bitten. Es glaubte einfach wieder in mir, weil ich wusste: Ich habe die Wahrheit finden dürfen! Ich war so happy! Ich war überglücklich und bin es bis heute geblieben! Und diese Wahrheit lautet: Jesus Christus ist das, was das Neue Testament behauptet, nämlich der einzigartige Sohn Gottes, der mich liebt und für mich gestorben ist! Seine Auferstehung beweist dies alles mit Sicherheit.
Mir ist bewusst, dass es heutzutage nicht für genehm gehalten wird, eine derart ‘absolute’ Aussage zu machen in religiösen Angelegenheiten. Ich habe natürlich immer noch Fragen, die unbeantwortet sind. Aber die grundsätzlichen Fragen, welche den Glauben verunmöglicht haben, sind klar und deutlich beantwortet worden.
Freunde haben mir gesagt, ich dürfe nicht so sicher sein. Sie meinen, die ehrlichste Religion sei der Agnostizismus, weil wir vor allem Fragen stellen sollten. Antworten seien suspekt.
Ich bin anderer Meinung. Es ist für mich keine Frage, dass es Gewissheit des Glaubens gibt. Ich denke, dass auch Agnostiker tiefe religiöse Gewissheiten haben, nur sind sie ihnen vielleicht nicht bewusst. Um Agnostiker zu sein, muss man fundamentale Annahmen treffen über das Wesen der Realität und dessen Erkennbarkeit. Diese (vielleicht unbewussten) Gewissheiten führen dazu, dass sie in Bezug auf eine Existenz Gottes keinen eindeutigen Befund machen können. Doch dies ändert nichts daran, dass sie von bestimmten fest gehaltenen Überzeugungen aus denken und analysieren. Auch sie haben Glaubensgewissheiten — nur sind sie völlig anders gelagert als meine Gewissheit.
Meine Liebesbeziehung zur Apologetik ist geblieben. Ich entdeckte über die Jahre diverse ausgezeichnete Apologeten, die mir halfen, wichtige Fragen der Metaphysik, Epistemologie und Ethik durchzudenken. Folgende Autoren finde ich hilfreich, auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin: Alvin Plantinga, Michael Behe, Francis Schaeffer, Paul Copan, Chris Wright, Sam Allberry, John Sanders, Nancy Pearcy.
Mein Erleben im Vergleich zu aktuellen Beispielen von Glaubens-Verlust
Wir hören heute von vielen, die den Glauben verlieren. Dies ist ein grosses, sehr wichtiges und dringliches Thema, über das ich an dieser Stelle nicht viel schreiben will. Es gibt mehrere Bücher, die sich mit dieser Welle befassen, bei der Menschen den Glauben aufgeben. Eines empfehle ich: A recipe for disaster von John Marriott.
Was mir auffällt ist folgendes: Ich durfte re-konvertieren. Ich durfte sozusagen zu meinem alten Glauben zurückkehren. Natürlich war mein neu gefundener Glaube anders als vor meiner Zeit der Zweifel. Aber ich kam ganz fundamental zum gleichen Gott und gleichen Glauben zurück.
Viele, die heute den Glauben aufgeben, kommen nicht zurück sondern konvertieren in ein anderes Glaubens-System. Sie de-konvertieren und finden sich letztlich in einer völlig anderen Weltanschauung wieder. Zwei solche Personen möchten wir dir vorstellen: Bart Campolo, der heute Atheist ist, und Michael Gungor, der sich einem monistischen Mystizismus hingegeben hat. Es gibt verschiedene Faktoren, die bei diesen De-Konversionen wichtig sind. Über einen Faktor liest man wenig, und über diesen lade ich dich ein, hier etwas zu lesen.
Ein weiterer Bericht über Glaubensverlust und Neuorientierung:
https://danieloption.ch/featured/progressives-christentum-oberflaechlich/
Hallo Paul,
danke für deinen ehrlichen und klar geschriebenen Beitrag! Einmal mehr zeigt sich, dass rationales Überzeugtsein zwar keine hinreichende, aber wohl eine notwendige Bedingung für einen stabilen christlichen Glauben ist.
Danke dass du diese Erfahrungen teilst, das ermutigt Leute (wie auch mich), die ihre zentrale Aufgabe in der rationalen Verteidigung des christlichen Glaubens sehen.
Wer weiss, vielleicht begegnen wir uns sogar mal persönlich — wir sind sogar im gleichen Kanton 🙂
Dein Mitbruder in Christus
Alin
Lieber Alin, man kann ich kaum besser formulieren! Es ist wie du sagst: eine notwendige aber nicht eine hinreichende Bedingung für den Glauben. Würde mich freuen, dir mal zu begegnen — vielleicht kommst du mal nach Frauenfeld und erzählst mir deine Geschichte! Lieber Gruss Paul
Hi Matt, ich wusste das nicht von dir! Ich freue mich sehr, dass wir die Erfahrung machen durften, dass Jesus durch unsere nahestehenden Menschen begleitet hat in diesen Zeiten der Suche! Danke für den Dienst, den du tust — und bis bald wieder einmal im Aldi Frauenfeld 😉
Hi Paul, Hi Peti
Ich habe ähnliches erlebt. Im praktisch gleichen Alter. Enttäuscht und verletzt durch Ereignisse in meiner Kirche, kehrte ich dem Christentum den Rücken zu und begann mich mit der Philosophie auseinanderzusetzen. Hermann Hesse wurde dabei wie ein “Lehrer” für mich. Ich verschlang eines nach dem anderen seiner Werke.
In weinseeligen Runden mit meinen neuen Freunden, tauschten wir unsere philosophischen Erkenntnisse aus und was sie eindeutig vom “engen, christlichen Gedankenkorsett” unterscheiden. Dank der Beständigkeit meiner älteren Schwester, die Gebete meiner Familie und die Begegnung mit Luky Bernhardt führten mich schliesslich auf meinen ursprünglichen Weg zurück. Später absolvierte ich ein Studium in Sozialdiakonie und arbeite heute in einer christlich geführten Institution, die psychisch beeinträchtigte Menschen betreut und sie dabei unterstützt, ihren Weg zurück in die Gesellschaft und damit auch zurück ins Leben zu finden.