Mann steht auf Dach von kaputtem Flugzeug

Den Glauben verlieren Teil 1: meine Re-Konversion

Lesezeit: 6 Minuten
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by Paul Bruderer | 06. Sep. 2019 | 5 comments

Ich wollte glauben, aber kon­nte nicht mehr! Die Gewis­sheit­en mein­er Kind­heit hat­ten mich Stück um Stück ver­lassen und gaben ein­er Verzwei­flung und Düster­heit Raum, die ich vorher nicht kan­nte und sei­ther nie mehr erlebt habe. 

Ich bin als ältestes Kind eines Ehep­aars aufgewach­sen, das ihr Leben dafür hingab, um Men­schen ein­er anderen Kul­tur und Reli­gion den Glauben an Jesus Chris­tus bekan­nt zu machen. Mein Vater war ein Top-Inge­nieur, der sich in der Schweiz wohl eine goldige Nase ver­di­ent hätte, wenn nicht Jesus sein Leben angerührt und umgekrem­pelt hätte. Stattdessen wählte er ein Leben in einem der heiss­es­ten Län­der der Welt: Dem kleinen Land Dji­bouti. Meine Mut­ter ist eine typ­is­che Englän­derin. Nichts auss­er ein­er lei­den­schaftlichen Liebe zu Jesus kon­nte sie von ihrem englis­chen ‘Gärtli’ in die Wüste am Horn von Afri­ka führen. In diesem Bild kommt noch die Zuver­sicht zum Aus­druck, die ich als Kind grund­sät­zlich empfand.

Familie Bruderer am Lac Assal, Djibouti

Fam­i­lie Brud­er­er am Lac Assal, Dji­bouti, ca 1982

Du hast richtig ger­at­en! Ich bin der Junge mit der Stein­schleud­er. Der andere Schelm ist mein Brud­er Peter, mit dem ich diese Web­seite betreibe.

Zweifel schleichen sich ein

Die Zuver­sicht des Glaubens, die meine Kind­heit prägte, sollte sich bald ver­ab­schieden. Ab meinem 13. Leben­s­jahr löste sich eine Glaubens­gewis­sheit nach der anderen auf. Kann Gott meine Gebete wirk­lich hören? Ist er mächtig genug, um in meinem Leben einen Unter­schied zu machen? Warum sind Chris­ten ten­den­ziell so heuch­lerisch, intol­er­ant und ehrlich gesagt … oft langweilig?

In dieser Zeit ging ich zu meinem Pas­tor und sagte ihm, dass ich Fra­gen über den Glauben hätte. Er ging mit mir die Zehn Gebote durch, um her­auszufind­en, ob ich Sünde in meinem Leben hätte. Er betete für mich und liess mich gehen. Ich werfe ihm nichts vor, denn er wusste mir nicht zu helfen. Aber man hätte es wesentlich bess­er anstellen können …

Nicht alle Chris­ten waren lang­weilig. Da gab es ‘Mät­tl’, der soeben den schar­fen Sound von christlichem Hardrock ent­deckt hat­te und lange Haare trugt. Beson­ders ‘in’ war die Rez Band aus Chica­go, die Teil ein­er christlichen Kom­mu­nität war, welche in den Slums der Stadt den Armen dien­ten. Die Fre­und­schaft mit ‘Mät­tl’ und das Vor­bild der Rez Band halfen mir, aber die Zweifel blieben und wur­den … schlimmer.

Es geht ans Eingemachte

Pho­to by Sasha Free­mind on Unsplash

Mit der Zeit grif­f­en die Zweifel immer mehr die Fun­da­mente des Glaubens an. Diese Fra­gen trieben mich richtig umher: Ist die Bibel über die Jahrtausende zuver­läs­sig genug über­liefert, dass wir über­haupt noch wis­sen kön­nen, was die ursprünglichen Autoren geschrieben haben? Hat Jesus wirk­lich gelebt? Ist er von den Toten aufer­standen und kön­nen wir das über­haupt her­aus­find­en? Gibt es Gott eigentlich?

Als ich an diesem Punkt ange­langte, war ich inzwis­chen 16 Jahre alt. Eine Verzwei­flung fing an, meine Seele zu ergreifen. Ich war nicht auf Rebel­lion aus. Ich hätte gerne geglaubt, aber kon­nte nicht, weil ich keine Gewis­sheit darüber fand, was wahr ist! Dies war es, was mir fehlte: Die Gewis­sheit, was wahr ist in Bezug auf Reli­gion, Glaube und Gott. Das war in ein­er Zeit, in der die Post­mod­erne Men­schen noch nicht brand­mark­te, die sich für diese Fra­gen interessierten.

Nachts erwachte ich und dachte: “Falls Gott existiert, hat er mich ver­dammt, weil er meine Fra­gen nicht weg­n­immt. Er kön­nte mir doch eine Erschei­n­ung schick­en, dann würde ich glauben kön­nen!” Er tat dies aber nicht, und heute weiss ich auch weshalb. Er wollte, dass ich tue, was jed­er tun sollte: Ich sollte nicht darauf warten, bis sich die Fra­gen in Luft auflösen, son­dern sollte mich auf eine ehrliche Suche nach Antworten begeben.

Ich verliere meinen Glauben ganz

Als ich 17-jährig wurde, tat ich etwas vom Schw­er­sten, das ich jemals getan hat­te. Ich bekan­nte meinen Eltern, die ihr Leben für Jesus hingegeben hat­ten, dass ich nicht mehr an diesen Jesus glaube. Es fühlte sich an wie ein ‘com­ing out’. Das­selbe sagte ich meinem neuen Pas­tor Wern­er Buser, der damals die Chrischona-Gemeinde Fel­ben leitete.

Eltern und Pas­tor zeigten erstaunlich­es Ver­ständ­nis und ermutigten mich, mich auf die Suche zu begeben. Sie hat­ten wohl genug Ver­trauen in Jesus, der sagt:

Denn wer bit­tet, der bekommt. Wer sucht, der find­et. Und wer anklopft, dem wird geöffnet. (Lukas 11,10)

Die ersten Monate ver­liefen plan­los, denn ich wusste nicht, wo anset­zen. Für mich war son­nen­klar, dass die Wis­senschaft bewiesen hat­te, dass der Glaube an Gott wider­sin­nig sei. Heute erstaunt mich das, denn ich hat­te keine einzige Bewe­is­führung gele­sen. Ich muss diese Gewis­sheit aus der dün­nen Luft unser­er Kul­tur eingeat­met haben.

Entdeckung der Apologeten

Eines Tages, als ich bei mein­er Schlum­mer-Mut­ter Rös­li Mis­chler zum Mit­tagessen ein­ge­laden war, sah ich in einem Heft die Wer­bung für ein Buch mit dem Titel Die Bibel im Test. Im ein­führen­den Text stand, dass der Autor ein ehe­ma­liger Athe­ist sei, der nun an Jesus glaube. Die Vorstel­lung, dass so etwas passieren kon­nte, faszinierte und über­raschte mich. Ich bestellte das Buch sofort und ver­schlang, was Josh Mac­Dow­ell schrieb.

So öffnete sich eine neue Welt für mich: Die Welt der christlichen Apolo­geten. Das sind Philosophen und Wis­senschaftler, die behaupten, Gründe für den Glauben an Jesus zu haben. Eines war mir von Anfang an klar: Ich lasse mich nicht überre­den, son­dern werde mich nur dem hingeben, was mich wirk­lich überzeugt.

So ver­brachte ich die näch­sten vier Monate fast jede freie Minute mit Lesen und Noti­zen machen über das, was ich ent­deck­te. Beson­ders wichtig waren die Argu­mente der bekan­nten Philosophen C.S. Lewis, FF Bruce und dem besagten Josh Mac­Dow­ell. Ich las auch athe­is­tis­che Argu­men­ta­tio­nen. Aber mir wurde bald zutief­st klar, dass die Beweis­lage für den Glauben äusserst ein­drück­lich war. Ich emp­fand sie als ein­deutig und überzeugend.

So erfuhr ich, dass das Neue Tes­ta­ment im Ver­gle­ich zu allen anderen Büch­ern der Antike das meilen­weit bestüber­lieferte Buch ist. ‘Meilen­weit’ reicht nicht aus, man muss von Licht­jahren reden! Es gibt online eine Predigt von mir dazu, mit Bezug zu aktuellen Ent­deck­un­gen, welche noch diesen Befund noch ein­mal bestärken. Darauf auf­bauend ist die his­torische Beweis­lage für die Exis­tenz von Jesus Chris­tus und für seine leib­liche Aufer­ste­hung vom Tod aus­geze­ich­net. Dies wiederum überzeugte mich zutief­st, dass es Gott gibt.

Meine Re-Konversion


Pho­to by Balz

Plöt­zlich merk­te ich eine Verän­derung: Es glaubte wieder in mir! Ich musste mich nicht men­tal überlis­ten, wieder zu glauben. Ich musste nicht lange beten und um Glauben bit­ten. Es glaubte ein­fach wieder in mir, weil ich wusste: Ich habe die Wahrheit find­en dür­fen! Ich war so hap­py! Ich war über­glück­lich und bin es bis heute geblieben! Und diese Wahrheit lautet: Jesus Chris­tus ist das, was das Neue Tes­ta­ment behauptet, näm­lich der einzi­gar­tige Sohn Gottes, der mich liebt und für mich gestor­ben ist! Seine Aufer­ste­hung beweist dies alles mit Sicherheit.

Mir ist bewusst, dass es heutzu­tage nicht für genehm gehal­ten wird, eine der­art ‘absolute’ Aus­sage zu machen in religiösen Angele­gen­heit­en. Ich habe natür­lich immer noch Fra­gen, die unbeant­wortet sind. Aber die grund­sät­zlichen Fra­gen, welche den Glauben verun­möglicht haben, sind klar und deut­lich beant­wortet worden.

Fre­unde haben mir gesagt, ich dürfe nicht so sich­er sein. Sie meinen, die ehrlich­ste Reli­gion sei der Agnos­tizis­mus, weil wir vor allem Fra­gen stellen soll­ten. Antworten seien suspekt.

Ich bin ander­er Mei­n­ung. Es ist für mich keine Frage, dass es Gewis­sheit des Glaubens gibt. Ich denke, dass auch Agnos­tik­er tiefe religiöse Gewis­sheit­en haben, nur sind sie ihnen vielle­icht nicht bewusst. Um Agnos­tik­er zu sein, muss man fun­da­men­tale Annah­men tre­f­fen über das Wesen der Real­ität und dessen Erkennbarkeit. Diese (vielle­icht unbe­wussten) Gewis­sheit­en führen dazu, dass sie in Bezug auf eine Exis­tenz Gottes keinen ein­deuti­gen Befund machen kön­nen. Doch dies ändert nichts daran, dass sie von bes­timmten fest gehal­te­nen Überzeu­gun­gen aus denken und analysieren. Auch sie haben Glaubens­gewis­sheit­en — nur sind sie völ­lig anders gelagert als meine Gewissheit.

Meine Liebes­beziehung zur Apolo­getik ist geblieben. Ich ent­deck­te über die Jahre diverse aus­geze­ich­nete Apolo­geten, die mir halfen, wichtige Fra­gen der Meta­physik, Epis­te­molo­gie und Ethik durchzu­denken. Fol­gende Autoren finde ich hil­fre­ich, auch wenn ich nicht immer mit allem ein­ver­standen bin: Alvin Planti­nga, Michael Behe, Fran­cis Scha­ef­fer, Paul Copan, Chris Wright, Sam All­ber­ry, John Sanders, Nan­cy Pearcy.

Mein Erleben im Vergleich zu aktuellen Beispielen von Glaubens-Verlust

Wir hören heute von vie­len, die den Glauben ver­lieren. Dies ist ein gross­es, sehr wichtiges und dringlich­es The­ma, über das ich an dieser Stelle nicht viel schreiben will. Es gibt mehrere Büch­er, die sich mit dieser Welle befassen, bei der Men­schen den Glauben aufgeben. Eines empfehle ich: A recipe for dis­as­ter von John Marriott.

Was mir auf­fällt ist fol­gen­des: Ich durfte re-kon­vertieren. Ich durfte sozusagen zu meinem alten Glauben zurückkehren. Natür­lich war mein neu gefun­den­er Glaube anders als vor mein­er Zeit der Zweifel. Aber ich kam ganz fun­da­men­tal zum gle­ichen Gott und gle­ichen Glauben zurück.

Viele, die heute den Glauben aufgeben, kom­men nicht zurück son­dern kon­vertieren in ein anderes Glaubens-Sys­tem. Sie de-kon­vertieren und find­en sich let­ztlich in ein­er völ­lig anderen Weltan­schau­ung wieder. Zwei solche Per­so­n­en möcht­en wir dir vorstellen: Bart Cam­po­lo, der heute Athe­ist ist, und Michael Gun­gor, der sich einem monis­tis­chen Mys­tizis­mus hingegeben hat. Es gibt ver­schiedene Fak­toren, die bei diesen De-Kon­ver­sio­nen wichtig sind. Über einen Fak­tor liest man wenig, und über diesen lade ich dich ein, hier etwas zu lesen.

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Über den Kanal

Paul Bruderer

Paul Bruderer, Jahrgang 1972, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, 1998 Gründungsmitglied der erwecklichen ‹Godi›-Jugendarbeit in Frauenfeld. Seit 2001 Pastor in der Chrischona Gemeinde Frauenfeld. Paul lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

5 Comments

  1. Alin Cucu

    Hal­lo Paul,

    danke für deinen ehrlichen und klar geschriebe­nen Beitrag! Ein­mal mehr zeigt sich, dass ratio­nales Überzeugt­sein zwar keine hin­re­ichende, aber wohl eine notwendi­ge Bedin­gung für einen sta­bilen christlichen Glauben ist.
    Danke dass du diese Erfahrun­gen teilst, das ermutigt Leute (wie auch mich), die ihre zen­trale Auf­gabe in der ratio­nalen Vertei­di­gung des christlichen Glaubens sehen.

    Wer weiss, vielle­icht begeg­nen wir uns sog­ar mal per­sön­lich — wir sind sog­ar im gle­ichen Kanton 🙂

    Dein Mit­brud­er in Christus

    Alin

    Reply
    • Paul Bruderer

      Lieber Alin, man kann ich kaum bess­er for­mulieren! Es ist wie du sagst: eine notwendi­ge aber nicht eine hin­re­ichende Bedin­gung für den Glauben. Würde mich freuen, dir mal zu begeg­nen — vielle­icht kommst du mal nach Frauen­feld und erzählst mir deine Geschichte! Lieber Gruss Paul

      Reply
  2. Paul Bruderer

    Hi Matt, ich wusste das nicht von dir! Ich freue mich sehr, dass wir die Erfahrung machen durften, dass Jesus durch unsere nah­este­hen­den Men­schen begleit­et hat in diesen Zeit­en der Suche! Danke für den Dienst, den du tust — und bis bald wieder ein­mal im Aldi Frauenfeld 😉

    Reply
  3. Matt Suremann

    Hi Paul, Hi Peti
    Ich habe ähn­lich­es erlebt. Im prak­tisch gle­ichen Alter. Ent­täuscht und ver­let­zt durch Ereignisse in mein­er Kirche, kehrte ich dem Chris­ten­tum den Rück­en zu und begann mich mit der Philoso­phie auseinan­derzuset­zen. Her­mann Hesse wurde dabei wie ein “Lehrer” für mich. Ich ver­schlang eines nach dem anderen sein­er Werke.
    In wein­seel­i­gen Run­den mit meinen neuen Fre­un­den, tauscht­en wir unsere philosophis­chen Erken­nt­nisse aus und was sie ein­deutig vom “engen, christlichen Gedankenko­rsett” unter­schei­den. Dank der Beständigkeit mein­er älteren Schwest­er, die Gebete mein­er Fam­i­lie und die Begeg­nung mit Luky Bern­hardt führten mich schliesslich auf meinen ursprünglichen Weg zurück. Später absolvierte ich ein Studi­um in Sozial­diakonie und arbeite heute in ein­er christlich geführten Insti­tu­tion, die psy­chisch beein­trächtigte Men­schen betreut und sie dabei unter­stützt, ihren Weg zurück in die Gesellschaft und damit auch zurück ins Leben zu finden.

    Reply

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