Manchmal denke ich, es wäre besser, es gäbe keine Religionen.
(Dalai Lama)
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.
(Alexander von Humboldt)
Was wäre diese Welt ohne Sonnenuntergänge, ohne Regenschauer, ohne Hitzetage? Wie wäre unser Leben ohne Essen und Trinken – ich meine wirklich gutes Essen und richtig guten Wein? Über lange Zeit war es für viele Menschen gegeben, dass GOTT «seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen und es für Gerechte und Ungerechte regnen lässt». (Matthäus 4,45) Und es war ganz natürlich zu beten: «Gib uns [GOTT] unser tägliches Brot heute!» (Matthäus 6,11) Aber heute erklären wir uns, dass es regnet, weil Wasser vom Boden verdunstet, aufsteigt und sich zu Regenwolken formt, die sich dann entleeren. Wir meinen zu verstehen, dass die Sonne nicht durch Gottes Hand bewegt untergeht, sondern dass sich unsere Erde von ihr wegdreht. Trotzdem geniessen wir diese Naturphänomene, als würde sich ein tieferes Geheimnis dahinter verbergen. Denn wenn es richtig traumhaft schön wird, greifen wir nicht auf naturwissenschaftlich exakte Beschreibungen zurück, sondern wir formulieren Poesie. Und auch wenn die meisten Leute nicht mehr für ihr Essen danken, sondern einfach davon ausgehen, dass es auf den Tisch kommt, geniessen wir ein gutes Mahl und einen guten Wein so, als wären wir dadurch beschenkt.
Was will ich mit diesen meteorologischen und kulinarischen Aussagen zum Ausdruck bringen? Ganz einfach. Wir geniessen die Schönheit dieser Welt – nur ohne uns dabei auf Gott zu berufen. Unsere Gesellschaft klammert Gott aus, jedenfalls meistens – ausser vielleicht noch bei gewissen rituellen Übergängen, wo Gott oder das göttliche Element eine Rolle spielen darf. Wir erklären uns die Welt und unser Leben ohne irgendeinen Bezug auf ein übernatürliches, höheres Wesen, weil wir in einem «immanenten Rahmen» denken und leben, wie es der Philosoph Charles Taylor einst formuliert hat.[1] Damit meinte er, dass unser (natur)wissenschaftlich aufgeklärter Blick die Welt für uns entmystifiziert hat, so dass wir nicht hinter jedem Busch noch einen Geist oder hinter jeder Realität noch einen Gott vermuten. Die Welt ist nicht länger voller übernatürlicher Geheimnisse, die sich uns entziehen. Die Abläufe der Welt können nun offengelegt werden, wenn wir sie nur genau genug untersuchen. Doch geben wir uns dann damit zufrieden? Oder sehnen wir uns nicht doch nach mehr? Der Neurochirurg Paul Kalanithi, der einen grösseren Teil seines Lebens im weissen ärztlichen Kittel, mit einem streng wissenschaftlichen Blick auf die Lösungen körperlicher «Probleme» verbracht hatte, kam, nachdem er selbst krebskrank wurde zu diesem Schluss:
Die Wissenschaft bietet vielleicht die nützlichste Möglichkeit, empirische, reproduzierbare Daten zu organisieren, aber ihre Fähigkeit, dies zu tun, beruht auf ihrer Unfähigkeit, die zentralsten Aspekte des menschlichen Lebens zu erfassen: Hoffnung, Angst, Hass, Schönheit, Neid, Ehre, Schwäche, Streben, Leiden, Tugend.[2]
Auf diesem Blogkanal wollen wir unser Augenmerk auf genau diese spannungsvolle Situation richten. Wie erklären wir die Welt, unsere Hoffnungen, Ängste und Schwächen, das Leiden, das menschliche Leben allgemein? Und meine Antwort wird immer wieder in die gleiche Kerbe schlagen, jedoch mit ganz unterschiedlichen Nuancen, je nachdem aus welcher Perspektive wir uns der Frage nähern: Wir dürfen Gott nicht aus dem Bild ausklammern, wenn wir eine wirklich befriedigende Antwort finden wollen! Und damit meine ich, eine zutiefst befriedigende Antwort, die uns sättigt und glücklich macht und nicht nur eine, die uns rational überzeugt.
Wirklich? Ok, ich bin mir bewusst, dass der christliche Glaube heute nicht unbedingt die erste Quelle ist, bei der wir andocken, um Antworten auf unser Leben und die Probleme dieser Welt zu finden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Für viele Menschen in unseren Städten und Dörfern ist Religion nicht die Antwort, sondern das Problem! Ist nicht das Christentum dafür verantwortlich, dass Europa und Amerika die Dritte Welt kolonialisierten (und dabei den Sklavenhandel legitimierten)? Sind es nicht gerade die (konservativen) christlichen Werte, die den Fortschritt hin zu einer gleichberechtigten, offenen Gesellschaft hindern? Beobachter der Situation nehmen es so wahr, dass sich die allgemeine Stimmung gegenüber Religion, oder konkreter dem christlichen Glauben in den letzten Jahrzehnten von «vielleicht noch allgemein respektiert» zu «eher skeptisch bis ablehnend» gewandelt hat.[3] Wir beginnen also nicht bei null, sondern bei minus zwanzig, wenn wir die christliche Weltanschauung aus dem Gepäck lassen und damit die Welt erklären wollen. Doch meine ich, dass es sich sogar für uns Christen, die wir mehr von der Welt, in der wir leben beeinflusst sind, als uns bewusst ist, lohnt, an diesem Ort zu beginnen.[4] Denn tragen wir, wenn wir ehrlich sind, nicht manchmal ähnliche Fragen in unserer Brust wie unser säkularer Nachbar, nur dass wir in unserer Gemeinde nicht darüber reden können?
Mise en Place: Um was geht es nun konkret auf diesem Blogkanal? Es geht darum, der Welt und ihren Fragen und Probleme mit christlichen Antworten zu begegnen. Konkreter, wir wollen unsere Welt und auch uns selbst durch die Brille einer biblischen Weltanschauung (d.h., wie die Bibel die Welt erklärt), oder noch besser, durch die Linse der biblischen Story betrachten. Wir gehen also davon aus, dass die Bibel die grosse Geschichte der Menschheit aus einer göttlichen Perspektive erzählt. Dabei bringt es der Untertitel eines Buches, auf das ich hier öfters zurückgreifen werde, ganz schön auf den Punkt: «How the Bible’s Unfolding Story Makes Sense of Modern Life and Culture». Auf Deutsch etwa: “Wie die sich entfaltende Geschichte der Bibel dem modernen Leben und der modernen Kultur einen Sinn verleiht».[5] Anders ausgedrückt, ich möchte hier nicht nur rationale Argumente für den christlichen Glauben entfalten. Ich will eine Geschichte erzählen, die rational und emotional Sinn macht. Sogar mehr Sinn als die Geschichten, die uns tagtäglich auf der Strasse begegnen – hoffe ich. Für die Nerds unter uns, ich versuche hier eine narrative Apologetik zu entwickeln.[6] Denn eine Geschichte oder Story vermittelt mehr (aber nicht weniger) als einen rationalen Denkrahmen, um etwas zu verstehen. Sie vermittelt Hoffnung und Sehnsucht, sie spricht in Bildern und durch Charaktere, kurz, sie macht rationale Argumente lebendiger. Ich schließe mich darum ganz Gavin Ortlunds Statement an, das er für sein Buch Why God Makes Sense in a World That Doesn’t voranstellt (und das auch für diesen Blog vorangehen könnte):
Was auch immer du sonst noch über die christliche Geschichte sagst, mein Ziel ist es, dass du zumindest etwas von ihrem Wunder und Zauber verspürst. Auch wenn du vielleicht nicht überzeugt wirst, hoffe ich, dass du dich auf die eine oder andere Weise wünschst, dass sie wahr wäre.
Die Bibel erzählt die Story der Menschheit und dieses Kosmos wie keine andere Story dies tut – und ich wünschte mir, dass sie wahr wäre, weil sie so gut, so schön und so treffend ist. Ich wünsche es mir nicht nur, ich glaube es fest.
[1] Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter.
[2] Paul Kalanithi, When Breath Becomes Air, Seite 170.
[3] So nahm es bspw. der verstorbene Pastor und Autor Timothy Keller für Amerika wahr. Siehe dieses Interview: https://www.thegospelcoalition.org/article/why-keller-wrote-prequel-to-reason-for-god/
[4] Ein gutes Buch, das bei minus zwanzig beginnt, ist Rebecca McLaughlin, Confronting Christianity: 12 Hard Questions for the World’s Largest Religion.
[5] Das Buch stammt von Christopher Watkin.
[6] Siehe dazu Alister E. McGrath, Narrative Apologetics : Sharing the Relevance, Joy, and Wonder of the Christian Faith und Josh Chatraw, Telling a Better Story: How to Talk About God in a Skeptical Age.
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