SkepTisch – Ein Gespräch, bei dem die grossen Themen über Gott und die Welt auf den Tisch kommen

Lesezeit: 5 Minuten
Lesezeit: 5 Minuten

by Matt Studer | 01. Okt. 2024 | 0 comments

Manch­mal denke ich, es wäre bess­er, es gäbe keine Reli­gio­nen.
(Dalai Lama)

Die gefährlich­ste aller Weltan­schau­un­gen ist die Weltan­schau­ung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.
(Alexan­der von Humboldt)

Was wäre diese Welt ohne Son­nenun­tergänge, ohne Regen­schauer, ohne Hitze­tage? Wie wäre unser Leben ohne Essen und Trinken – ich meine wirk­lich gutes Essen und richtig guten Wein? Über lange Zeit war es für viele Men­schen gegeben, dass GOTT «seine Sonne über Bösen und Guten aufge­hen und es für Gerechte und Ungerechte reg­nen lässt». (Matthäus 4,45) Und es war ganz natür­lich zu beten: «Gib uns [GOTT] unser täglich­es Brot heute!» (Matthäus 6,11) Aber heute erk­lären wir uns, dass es reg­net, weil Wass­er vom Boden ver­dun­stet, auf­steigt und sich zu Regen­wolken formt, die sich dann entleeren. Wir meinen zu ver­ste­hen, dass die Sonne nicht durch Gottes Hand bewegt unterge­ht, son­dern dass sich unsere Erde von ihr weg­dreht. Trotz­dem geniessen wir diese Natur­phänomene, als würde sich ein tief­eres Geheim­nis dahin­ter ver­ber­gen. Denn wenn es richtig traumhaft schön wird, greifen wir nicht auf natur­wis­senschaftlich exak­te Beschrei­bun­gen zurück, son­dern wir for­mulieren Poe­sie. Und auch wenn die meis­ten Leute nicht mehr für ihr Essen danken, son­dern ein­fach davon aus­ge­hen, dass es auf den Tisch kommt, geniessen wir ein gutes Mahl und einen guten Wein so, als wären wir dadurch beschenkt.

Was will ich mit diesen mete­o­rol­o­gis­chen und kuli­nar­ischen Aus­sagen zum Aus­druck brin­gen? Ganz ein­fach. Wir geniessen die Schön­heit dieser Welt – nur ohne uns dabei auf Gott zu berufen. Unsere Gesellschaft klam­mert Gott aus, jeden­falls meis­tens – auss­er vielle­icht noch bei gewis­sen rit­uellen Übergän­gen, wo Gott oder das göt­tliche Ele­ment eine Rolle spie­len darf. Wir erk­lären uns die Welt und unser Leben ohne irgen­deinen Bezug auf ein über­natür­lich­es, höheres Wesen, weil wir in einem «imma­nen­ten Rah­men» denken und leben, wie es der Philosoph Charles Tay­lor einst for­muliert hat.[1] Damit meinte er, dass unser (natur)wissenschaftlich aufgek­lärter Blick die Welt für uns ent­mys­ti­fiziert hat, so dass wir nicht hin­ter jedem Busch noch einen Geist oder hin­ter jed­er Real­ität noch einen Gott ver­muten. Die Welt ist nicht länger voller über­natür­lich­er Geheimnisse, die sich uns entziehen. Die Abläufe der Welt kön­nen nun offen­gelegt wer­den, wenn wir sie nur genau genug unter­suchen. Doch geben wir uns dann damit zufrieden? Oder sehnen wir uns nicht doch nach mehr? Der Neu­rochirurg Paul Kalanithi, der einen grösseren Teil seines Lebens im weis­sen ärztlichen Kit­tel, mit einem streng wis­senschaftlichen Blick auf die Lösun­gen kör­per­lich­er «Prob­leme» ver­bracht hat­te, kam, nach­dem er selb­st kreb­skrank wurde zu diesem Schluss:

Die Wis­senschaft bietet vielle­icht die nüt­zlich­ste Möglichkeit, empirische, repro­duzier­bare Dat­en zu organ­isieren, aber ihre Fähigkeit, dies zu tun, beruht auf ihrer Unfähigkeit, die zen­tral­sten Aspek­te des men­schlichen Lebens zu erfassen: Hoff­nung, Angst, Hass, Schön­heit, Neid, Ehre, Schwäche, Streben, Lei­den, Tugend.[2]

Auf diesem Blogkanal wollen wir unser Augen­merk auf genau diese span­nungsvolle Sit­u­a­tion richt­en. Wie erk­lären wir die Welt, unsere Hoff­nun­gen, Äng­ste und Schwächen, das Lei­den, das men­schliche Leben all­ge­mein? Und meine Antwort wird immer wieder in die gle­iche Kerbe schla­gen, jedoch mit ganz unter­schiedlichen Nuan­cen, je nach­dem aus welch­er Per­spek­tive wir uns der Frage näh­ern: Wir dür­fen Gott nicht aus dem Bild ausklam­mern, wenn wir eine wirk­lich befriedi­gende Antwort find­en wollen! Und damit meine ich, eine zutief­st befriedi­gende Antwort, die uns sät­tigt und glück­lich macht und nicht nur eine, die uns ratio­nal überzeugt.

Wirk­lich? Ok, ich bin mir bewusst, dass der christliche Glaube heute nicht unbe­d­ingt die erste Quelle ist, bei der wir andock­en, um Antworten auf unser Leben und die Prob­leme dieser Welt zu find­en. Eher das Gegen­teil ist der Fall. Für viele Men­schen in unseren Städten und Dör­fern ist Reli­gion nicht die Antwort, son­dern das Prob­lem! Ist nicht das Chris­ten­tum dafür ver­ant­wortlich, dass Europa und Ameri­ka die Dritte Welt kolo­nial­isierten (und dabei den Sklaven­han­del legit­imierten)? Sind es nicht ger­ade die (kon­ser­v­a­tiv­en) christlichen Werte, die den Fortschritt hin zu ein­er gle­ich­berechtigten, offe­nen Gesellschaft hin­dern? Beobachter der Sit­u­a­tion nehmen es so wahr, dass sich die all­ge­meine Stim­mung gegenüber Reli­gion, oder konkreter dem christlichen Glauben in den let­zten Jahrzehn­ten von «vielle­icht noch all­ge­mein respek­tiert» zu «eher skep­tisch bis ablehnend» gewan­delt hat.[3] Wir begin­nen also nicht bei null, son­dern bei minus zwanzig, wenn wir die christliche Weltan­schau­ung aus dem Gepäck lassen und damit die Welt erk­lären wollen. Doch meine ich, dass es sich sog­ar für uns Chris­ten, die wir mehr von der Welt, in der wir leben bee­in­flusst sind, als uns bewusst ist, lohnt, an diesem Ort zu begin­nen.[4] Denn tra­gen wir, wenn wir ehrlich sind, nicht manch­mal ähn­liche Fra­gen in unser­er Brust wie unser säku­lar­er Nach­bar, nur dass wir in unser­er Gemeinde nicht darüber reden können?

Mise en Place: Um was geht es nun konkret auf diesem Blogkanal? Es geht darum, der Welt und ihren Fra­gen und Prob­leme mit christlichen Antworten zu begeg­nen. Konkreter, wir wollen unsere Welt und auch uns selb­st durch die Brille ein­er bib­lis­chen Weltan­schau­ung (d.h., wie die Bibel die Welt erk­lärt), oder noch bess­er, durch die Linse der bib­lis­chen Sto­ry betra­cht­en. Wir gehen also davon aus, dass die Bibel die grosse Geschichte der Men­schheit aus ein­er göt­tlichen Per­spek­tive erzählt. Dabei bringt es der Unter­ti­tel eines Buch­es, auf das ich hier öfters zurück­greifen werde, ganz schön auf den Punkt: «How the Bible’s Unfold­ing Sto­ry Makes Sense of Mod­ern Life and Cul­ture». Auf Deutsch etwa: “Wie die sich ent­fal­tende Geschichte der Bibel dem mod­er­nen Leben und der mod­er­nen Kul­tur einen Sinn ver­lei­ht».[5] Anders aus­ge­drückt, ich möchte hier nicht nur ratio­nale Argu­mente für den christlichen Glauben ent­fal­ten. Ich will eine Geschichte erzählen, die ratio­nal und emo­tion­al Sinn macht. Sog­ar mehr Sinn als die Geschicht­en, die uns tagtäglich auf der Strasse begeg­nen – hoffe ich. Für die Nerds unter uns, ich ver­suche hier eine nar­ra­tive Apolo­getik zu entwick­eln.[6] Denn eine Geschichte oder Sto­ry ver­mit­telt mehr (aber nicht weniger) als einen ratio­nalen Denkrah­men, um etwas zu ver­ste­hen. Sie ver­mit­telt Hoff­nung und Sehn­sucht, sie spricht in Bildern und durch Charak­tere, kurz, sie macht ratio­nale Argu­mente lebendi­ger. Ich schließe mich darum ganz Gavin Ortlunds State­ment an, das er für sein Buch Why God Makes Sense in a World That Doesn’t voranstellt (und das auch für diesen Blog vor­ange­hen könnte):

Was auch immer du son­st noch über die christliche Geschichte sagst, mein Ziel ist es, dass du zumin­d­est etwas von ihrem Wun­der und Zauber ver­spürst. Auch wenn du vielle­icht nicht überzeugt wirst, hoffe ich, dass du dich auf die eine oder andere Weise wün­schst, dass sie wahr wäre.

Die Bibel erzählt die Sto­ry der Men­schheit und dieses Kos­mos wie keine andere Sto­ry dies tut – und ich wün­schte mir, dass sie wahr wäre, weil sie so gut, so schön und so tre­f­fend ist. Ich wün­sche es mir nicht nur, ich glaube es fest.


[1] Charles Tay­lor, Ein säku­lares Zeital­ter.

[2] Paul Kalanithi, When Breath Becomes Air, Seite 170.

[3] So nahm es bspw. der ver­stor­bene Pas­tor und Autor Tim­o­thy Keller für Ameri­ka wahr. Siehe dieses Inter­view: https://www.thegospelcoalition.org/article/why-keller-wrote-prequel-to-reason-for-god/

[4] Ein gutes Buch, das bei minus zwanzig begin­nt, ist Rebec­ca McLaugh­lin, Con­fronting Chris­tian­i­ty: 12 Hard Ques­tions for the World’s Largest Religion.

[5] Das Buch stammt von Christo­pher Watkin.

[6] Siehe dazu Alis­ter E. McGrath, Nar­ra­tive Apolo­get­ics : Shar­ing the Rel­e­vance, Joy, and Won­der of the Chris­t­ian Faith und Josh Cha­traw, Telling a Bet­ter Sto­ry: How to Talk About God in a Skep­ti­cal Age.

Über den Kanal

Matt Studer

Matt Studer, Jahrgang 1980, ist eine Mischung aus freischaffendem Musiker, Musiklehrer und Theologe (Studium an der Akademie für Leiterschaft, DE und Union School of Theology, Wales). Zudem - oder vielleicht besser vor allem - ist er mit Rahel verheiratet und zusammen haben sie zwei Söhne. Er ist ein Nachdenker und Tieftaucher und etwas davon bringt er auf seinem Blog zum Ausdruck. Wenn er nochmals von vorne anfangen könnte, dann würde er wohl Weltenbummler und Bibelschmuggler werden.

Werde Teil der Diskussion

Kommentare zu diesen Beitrag

0 Comments

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt weiterstöbern

Mehr Blogposts entdecken

Ein Pastor sollte auch Apologet sein

Ein Pastor sollte auch Apologet sein

WAS oder WARUM? Diese beiden Worte trennen meinen über 20-jährigen Dienst als Pastor in zwei Hälften. In den ersten 10 Jahren habe ich in Predigten und Seminaren vor allem erklärt, WAS der christliche Glaube sagt und möchte. Danach brach eine Zeit an,...

Christen sind Optimisten!

Christen sind Optimisten!

In seiner Auseinandersetzung mit meinem Buch trifft Peter Bruderer den Nagel auf den Kopf: «Eines der wesentlichen Merkmale des Buches ist die Entschlossenheit des Autors zu einem Leben in Zuversicht, trotz den Herausforderungen unserer Zeit.» Ich bin überzeugt:...