Der zweite Mose (2/3)

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Wenn Gott ret­tet, ret­tet er ganz und gar. Nicht teil­weise und nicht halb­herzig. Gott ver­gisst nichts. Er lässt nichts aus. Seine Ret­ter­liebe geht aufs Ganze, hat jeden Bere­ich des Lebens im Blick. Sein erlösendes Han­deln ist umfassend. Im Exo­dus Israels aus Ägypten sehen wir beispiel­haft 4 Dimen­sio­nen des Lebens, die Gott wichtig sind, wenn er ret­tend eingreift.

Der erste Artikel dieser Serie öffnet den Blick auf das grosse Ziel, wohin Gott diese Welt führt: Seine neue Schöp­fung (Jes 65:17; 2Petr 3:13; Offb 21:1). Wir kön­nen vom Ende her gedacht also sagen: Gottes Heil­shan­deln an den Men­schen und an dieser Welt bet­rifft let­ztlich jeden Bere­ich des Lebens und der Schöp­fung. Mit anderen Worten: Gottes Heil ist ganzheitlich. In diesem Artikel fokussieren wir auf das grösste Heilsereig­nis Israels im Alten Tes­ta­ment, dem Exo­dus (Auszug Israels aus Ägypten).

Moses draws water from the Rock, Fran­cois Per­ri­er, 1590 — 1650

Politisch, wirtschaftlich, sozial, geistlich

Mein Pro­fes­sor für Altes Tes­ta­ment, Chris Wright, nen­nt vier Dimen­sio­nen, in denen Gott durch den Exo­dus ret­tend in die Exis­tenz Israels eingreift:

Es ist schw­er sich eine Kette von Ereignis­sen vorzustellen, die umfan­gre­ich­er und umfassender ist als die Ereignisse, wie sie uns im 2. Mose Buch vorgestellt wer­den. Der Text zeigt uns min­destens vier Dimen­sio­nen der Gefan­gen­schaft, die Israel in Ägypten erlei­den musste – poli­tisch, wirtschaftlich, sozial und geistlich – und zeigt uns anschliessend, wie Gott sie in jed­er dieser Dimen­sio­nen erlöst. (The Mis­sion of God’s Peo­ple, Seite 99, meine Übersetzung)

Israel hat in Ägypten ein geistlich­es Prob­lem. Mose sagt dem Pharao “Lass mein Volk ziehen, damit sie mich verehren kön­nen” (2Mose 8:16) worauf dieser antwortet “Ihr kön­nt eurem Gott eure Opfer dar­brin­gen, aber es muss in diesem Land geschehen!” (2Mose 8:21). Warum sagt Pharao das? Er tut es, weil er so das geistliche Ober­haupt bleiben will und der Gott Israels so eine Art Unter-Gott in der ägyp­tis­chen Göt­ter­welt bleibt. Es geht hier um geistliche Autorität. Israel ist in der geistlichen Dimen­sion gefangen.

Israel hat auch ein poli­tis­ches Prob­lem. Der Pharao sagt zu seinen Staats-Beamten “Die Israeliten sind so zahlre­ich und stark, dass sie uns gefährlich wer­den” (2Mose 1:9). Als die Israeliten ursprünglich in Ägypten ankom­men, sind sie knapp 100 Per­so­n­en. Nach weni­gen Jahrhun­derten sind sie Tausende und wer­den deshalb als poli­tis­che Bedro­hung wahrgenom­men. Diese poli­tis­che Lage führt zur sys­tem­a­tis­chen Ver­sklavung der Juden. Israel wird nicht nur geistlich, son­dern auch poli­tisch unterdrückt.

Es geht Israel aber auch wirtschaftlich an die Sub­stanz. Die Juden arbeit­en für ein Hunger­brot, während der Gewinn ihrer Arbeit nahezu voll­ständig an die Besitzer des Lan­des geht: So zwang man die Israeliten zur Sklave­nar­beit und set­zte Auf­se­her über sie ein. Sie mussten für den Pharao die Vor­ratsstädte Pit­om und Ram­ses bauen (2Mose 1:11).

Israels Prob­leme sind dabei aber noch nicht fer­tig. Ägypten übt auch enor­men sozialen Druck aus. Die poli­tis­che Unter­drück­ung und die wirtschaftliche Aushungerung dämmt die Geburten­rate der Israeliten nicht genü­gend ein, darum greift der Pharao zu einem mas­siv­en sozialen Ein­griff: Alle männlichen Geburten sollen getötet wer­den. Zuerst ver­sucht er das über die Hebam­men zu schaf­fen, aber die machen nicht mit. Schlussendlich gibt er allen nicht-Israelitis­chen Men­schen in Ägypten die jüdis­chen Babies zur Tötung frei: Alle Knaben, die den Hebräern geboren wer­den, werft in den Nil! Die Mäd­chen dürft ihr alle am Leben lassen (2Mose 1:22).

Israel hat ein umfassendes Prob­lem, welch­es eine umfassende, ganzheitliche Lösung ver­langt. Was macht Gott? Erlöst er Israel nur ‘geistlich’? Er kön­nte ihnen sagen: Betet ein­fach ein biss­chen mehr in euren pri­vat­en Häusern und hal­tet es in Ägypten aus. Oder: Ich schicke euch die Bibel, die ich euch eigentlich am Sinai geben will, halt direkt nach Ägypten und so kön­nt ihr die Bibel lesen bis ihr sterbt und in den Him­mel kommt. Das wäre eine rein ‘geistliche’ Erlö­sung, welche die anderen 3 Dimen­sio­nen ignori­ert. Doch wenn Gott ret­tet, ret­tet er ganz und gar. Nicht teil­weise und nicht halb­herzig. Er ver­gisst keinen einzi­gen Prob­lem­bere­ich und ret­tet Israel geistlich, poli­tisch, wirtschaftlich und sozial. Mit anderen Worten: Im Exo­dus ist Gottes Heil­shan­deln an Israel ganzheitlich.

Warum ret­tet Gott ganzheitlich? Der Text gibt uns zwei Hin­weise: Weil er liebt und weil er gerecht ist.

Motiviert von Liebe

Als Gott Mose beruft sein Volk Israel im Exo­dus aus Ägypten anzuführen, erk­lärt Gott seinen Aus­gangspunkt für diesen Eingriff:

Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gese­hen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Lei­den erkan­nt. (2Mose 3:7)

Die hebräis­che Orig­i­nal­sprache benutzt hier beim Verb ’sehen’ eine soge­nan­nte ‘Figu­ra Ety­mo­log­i­ca’. Durch eine zweifache Ver­wen­dung des Verbs, wird gezeigt, dass Gott hier in der höchst möglichen Form von ’sehen’ sieht. Er sieht nicht nur, son­dern er sieht sehend! Man kön­nte diese Bibel­stelle über­set­zen mit “ich habe mit eige­nen Augen gese­hen” oder “ich habe mit offe­nen Augen hingeschaut”.

Dieses inten­sive Sehen Gottes zeigt uns seine Liebe für Israel. Wenn wir Men­schen vor Elend ste­hen, wen­den wir oft unseren Blick ab und wollen uns ent­fer­nen. Gott hinge­gen wen­det seinen Blick dem Elend zu. Er sieht das Elend nicht aus sicher­er Dis­tanz durch ein Fer­n­rohr aus dem Him­mel (“Ach schau mal wie sie nur da unten auf der Erde lei­den!”). Er schickt auch nicht einen Boten, um die unschöne Sit­u­a­tion zu sehen und ihm einen Rap­port zu erstat­ten, sodass er selb­st nicht hin­se­hen muss. Er wen­det seinen Blick nicht ab, son­dern kommt selb­st nahe und sieht es mit eige­nen Augen. Dabei ist er so betrof­fen, dass es ihn zum ret­ten­den Ein­greifen bringt. Was für eine Liebe, die da zum Aus­druck kommt!

Als Mose später auf diese Ereignisse zurückschaut, benutzt er aus­drück­lich das Wort ‘Liebe’::

Weil er deine Väter geliebt und ihre Nachkom­men erwählt hat, hat er dich aus Ägypten her­aus­ge­führt mit seinem Angesicht durch seine große Kraft (5Mose 4:37)

Warum ret­tet Gott ganzheitlich? Weil er liebt! Denn wer liebt, inter­essiert sich für alle Lebens­bere­iche der­er, die er liebt.

Motiviert von Gerechtigkeit

Die Bibel nen­nt nicht nur die Liebe Gottes als Moti­va­tion für den Exo­dus, son­dern auch seine Gerechtigkeit. Wir sehen das in der­sel­ben Bibel­stelle, wie vorhin:

Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gese­hen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Lei­den erkan­nt. (2Mose 3:7)

Hier ist von Elend die Rede, welch­es durch Bedränger her­vorgerufen wird. Es geht um Unrecht an einem Volk, was Gottes Gerechtigkeitssinn weckt. Unrecht weckt seinen Zorn und ruft sein Gericht auf den Plan. Gericht heisst in der Bibel eine Sit­u­a­tion ‘ger­ade’ oder ‘gut’ zu machen, die nicht ‘recht’ oder ‘ger­ade’ ist. Dies bein­hal­tet immer die Gele­gen­heit für den Täter, umzukehren. Ägypten bekommt viele solche Gele­gen­heit­en. Nach Ägypten’s wieder­holtem Unwillen, mit dem Unrecht aufzuhören, wird der Exo­dus für Israel zur Befreiung und Ägypten zur Strafe.

Wir dür­fen nicht denken, dass Gott Israel seine warme Liebe schenkt während Ägypten seine harte Gerechtigkeit zu spüren bekommt. Das Alte Tes­ta­ment zeigt, dass Gott Israel genau­so in die Pflicht nimmt, Gerechtigkeit zu leben:

Ich bin der HERR, euer Gott. Ihr sollt nicht tun nach der Weise des Lan­des Ägypten, darin ihr gewohnt habt, auch nicht nach der Weise des Lan­des Kanaan, wohin ich euch führen will. Ihr sollt auch nicht nach ihren Satzun­gen wan­deln, son­dern nach meinen Recht­en sollt ihr tun und meine Satzun­gen sollt ihr hal­ten, dass ihr darin wan­delt; ich bin der HERR, euer Gott. Darum sollt ihr meine Satzun­gen hal­ten und meine Rechte. Denn der Men­sch, der sie tut, wird durch sie leben; ich bin der HERR. (3Mose 18:2–5)

Israel kann sich in Sachen Gerechtigkeit nicht ‘mehr erlauben’ als die hei­d­nis­chen Völk­er. Wenn Israel so lebt wie die hei­d­nis­chen Völk­er und Gottes Gerechtigkeit nicht lebt, wird auch Israel Gottes Gericht erfahren:

Tut nicht solche abscheulichen Dinge wie die Leute, die vor euch das Land bewohn­ten und es unrein macht­en. Son­st wird euch das Land genau­so ausspuck­en, wie es jet­zt seine bish­eri­gen Bewohn­er ausspuckt. (3Mose 18:26–28)

In den fol­gen­den Kapiteln des 3Mose wird Israel angewiesen, Gottes Gerechtigkeit in ein­er Fülle von Lebens­bere­ichen zu imple­men­tieren. Es wer­den sex­u­alethis­che Fra­gen geregelt (z.B. 3Mose 18), Fra­gen der gerecht­en Ökonomie (z.B. 3Mose 19), soziale Gerechtigkeit (z.B. 3Mose 25), Recht­sprechung all­ge­mein und auch von Aus­län­dern (3Mose 19) etc. In anderen Teilen der Mose-Büch­er wer­den auch die nicht-men­schlichen Teile der Schöp­fung aus­drück­lich mit in diese Gerechtigkeit eingeschlossen. Zum Beispiel wird in 2Mose 23:10–13 geset­zlich geregelt, dass der Ack­er und die Tiere Sab­bath Ruhe haben müssen. Wir haben hier also auch die ökol­o­gis­che Dimen­sion der Ganzheitlichkeit, der wir uns später in dieser Serie zuwen­den werden.

Warum ret­tet Gott ganzheitlich? Weil er gerecht ist! Denn Gerechtigkeit ist nicht etwas nur Geistlich­es, son­dern ger­ade auch etwas, das im Sozialen, Wirtschaftlichen und Poli­tis­chen stattfindet.

Du sollst Empfänger des Heils Gottes sein

Wir wer­den im näch­sten Artikel sehen, dass diese Ganzheitlichkeit im Neuen Tes­ta­ment durch das Leben des zweit­en Mose, Jesus Chris­tus, nicht nur fort­ge­set­zt son­dern auch aus­geweit­et wird. Dieser Dienst Jesu definiert auch den Umfang des Auf­trags der christlichen Gemeinde. Wir haben als Chris­ten neben dem geistlichen Auf­trag auch einen gesellschaftlichen, ökonomis­chen, poli­tis­chen (und ökol­o­gis­chen) Auf­trag. Doch bevor wir uns unserem Auf­trag zuwen­den, sollen wir uns als Empfänger des Heil­shan­delns Gottes erken­nen! Wenn Gott mit seinem Heil in unserem Leben wirkt, berührt er jede Dimen­sion unser­er Exis­tenz! Er tut das, weil er uns liebt und weil er gerecht ist:

Doch dann ist die Güte Gottes, unseres Ret­ters, und seine Liebe zu uns Men­schen sicht­bar gewor­den, und er hat uns gerettet – nicht etwa, weil wir so gehan­delt hät­ten, wie es vor ihm recht ist, son­dern einzig und allein, weil er Erbar­men mit uns hat­te. (Titus 3:4–5)

Gott ver­wan­delt dein Leben und dein Umfeld nicht in Sekun­den­schnelle in ein Schlar­raf­fen­land — das ist klar. Doch sein Heil will und wird jeden Bere­ich dein­er Exis­tenz berühren und ver­wan­deln, wenn du Jesus Chris­tus annimmst! Erkenne dazu die immense Liebe Gottes und seine Gerechtigkeit für dich und dein Umfeld! Und komm’ weit­er mit auf dieser Reise in die näch­sten Artikel.

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Titel­bild und Auss­chnitte: Moses draws water from the Rock, Fran­cois Per­ri­er, 1590 — 1650

3 Comments
  1. Christian Haslebacher 3 Jahren ago
    Reply

    Her­zlichen Dank für diese wertvollen Gedanken und die ganzheitliche Sicht! Als Ergänzung gäbe es neben den Aspek­ten geistlich, poli­tisch, wirtschaftlich und sozial noch den Aspekt psy­chol­o­gisch (Hoff­nungslosigkeit, “Sklaven­men­tal­ität”), der eben­falls zu den Charak­ter­is­ti­ka der Sklaverei gehört. Gehst du darauf später noch ein?

    • Paul Bruderer 3 Jahren ago
      Reply

      Thx! Ich entwick­le im Ver­lauf der näch­sten Wochen vor allem die ökol­o­gis­che Dimen­sion. Aber das Ele­ment, das du nennst, ist eben­so real. Man kann die bib­lis­che Ganzheitlichkeit aus ver­schiede­nen Rich­tun­gen begrün­den. Eine davon ist, die ver­schiede­nen Aspek­te der bib­lis­chen Anthro­polo­gie ins Feld zu führen: Kör­p­er, Seele, Geist. Deine Punk­te wür­den dem gemäss in die seel­is­che Dimen­sion gehen. Der aus­geze­ich­nete Überblick von René Padil­la an der Lau­san­ner Kon­ferenz in Pat­taya bringt diesen Punkt: https://www.lausanne.org/content/lop/holistic-mission-lop-33

      • Christian Haslebacher 3 Jahren ago
        Reply

        Ich bin ges­pan­nt auf deine weit­eren Beiträge.
        Die psy­chis­che (bess­er als “psy­chol­o­gis­che”) Unfrei­heit der Israeliten in Ägypten ist übri­gens an eini­gen Stellen erkennbar: 2Mo 14,12; 5,21; 6,9; 16,2–3; 4Mo 11,4–6; 14,2–4; Neh 9,17; Apg 7,39–40. Ich meine, dass auch einige Chris­ten an ein­er “Sklaven­men­tal­ität” leiden.
        Ich bin überzeugt, dass wir das Ster­ben von Jesus am Kreuz und die Imp­lika­tio­nen des Evan­geli­ums vom Exo­dus her ver­ste­hen müssen. Gut, wenn du die ökol­o­gis­che Dimen­sion in den Blick nimmst.

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