Aktuell feiern Juden weltweit das einwöchige Pesach-Fest und erinnern sich dabei an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei. Christen feiern praktisch gleichzeitig Karfreitag und das Auferstehungsfest, wobei der Kreuzestod von Jesus Christus unter anderem die Befreiung aus der Sklaverei der Sünde bedeutet. Die Befreiung aus der Sklaverei ist somit ein roter Faden, der viele Bücher der Bibel sowohl des Alten wie auch des Neuen Testamentes durchzieht.
Viele meinen, dass Sklaverei ein grausames Relikt der Vergangenheit sei, doch leider gibt es heute mehr Sklaven als jemals zuvor in der Menschenheitsgeschichte – auch in der Schweiz[1]. So wie sich das Thema der Befreiung aus der Sklaverei durch die Bibel zieht, ist auch der Kampf gegen die Sklaverei ein Kernanliegen der evangelikalen Bewegung von ihren Anfängen bis heute.
Evangelikale Politikerinnen und Politiker werden medial in erster Linie oder fast ausschliesslich als Abtreibungsgegner und Kritiker der “Homo-Ehe” porträtiert. Natürlich ist es so, dass der Schutz des ungeborenen Lebens und eine biblische Sexualethik bereits Kernanliegen der ersten christlichen Gemeinden waren. Diese Anliegen gehören auch heute noch zu den politischen Kernanliegen in den vielen evangelikalen Kreisen. Als wertkonservative Politiker machen wir jedoch häufig die Erfahrung, dass die Medien kaum über unsere Engagements zu anderen politischen Themen berichten.
Mir scheint, dass dies zwei Gründe hat.
Wenn eine Debatte über die Abtreibungsfrage oder ein LGTB-Thema stattfindet, finden Medienschaffende praktisch keine Gegenstimmen zum gesellschaftlichen Mainstream mehr. Darum müssen sie zu uns kommen. Nachdem z.B. der Nationalrat am 11. Juni 2020 deutlich Ja zur “Ehe für alle” sagte, wurde ich als Kantonsparlamentarier zum blick.tv-Streitgespräch[2] mit der ehemaligen JUSO-Präsidentin Funiciello aufgeboten. Der Grund war: Es liessen sich kaum Nationalratsmitglieder für die Kontra-Position finden.
Andererseits mache ich häufig die Erfahrung, dass mein Engagement zu anderen Themen medial kaum Beachtung findet. Im März 2019 debattierte das Berner Kantonsparlament über zwei meiner Vorstösse zur Bekämpfung des Menschenhandels. Im einen Vorstoss forderte ich mehr Ressourcen für Strafverfolgungsbehörden und eine stärkere Kooperation mit der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung der modernen Sklaverei im Kanton Bern[3]. Der zweite Vorstoss forderte mehr Prävention und Aufklärung an Schulen zur “Loverboy”-Problematik und über Menschenhandel[4]. Leider war die mediale Berichterstattung darüber praktisch Null. Dabei wäre der Kampf gegen den Menschenhandel und moderne Sklaverei ein passendes Beispiel für ein christliches Kernanliegen, das die heutige Gesellschaft nicht als erzkonservativ sondern eher als “progressiv” bewerten könnte.
Auch historisch gesehen ist der Kampf für die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei zutiefst mit den Anfängen der evangelikalen Bewegung verbunden. Der englische Erweckungsprediger John Wesley war einer der ersten Pioniere im Kampf gegen die Sklaverei, in einem gesellschaftlichen Umfeld, das Sklaverei als das Normalste der Welt betrachtete. Wesley schrieb 1774 in seinem Buch “Thoughts on Slavery” [Gedanken über die Sklaverei][5]:
“Wenn ihr also etwas von der Gerechtigkeit haltet (ganz zu schweigen von der Barmherzigkeit und dem geoffenbarten Gesetz Gottes), so gebt allen, was ihnen zusteht. Gebt Freiheit, wem Freiheit gebührt, d.h. jedem Menschenkind, jedem Teilhaber an der menschlichen Natur. (…) Weg mit allen Peitschen, allen Ketten, allem Zwang! Seid sanft zu den Menschen. Und seht zu, dass ihr jedem stets das tut, was ihr wollt, dass er euch tut.” (Eigene Übersetzung)
John Wesley, by George Romney
Im Februar 1791 schrieb John Wesley den letzten Brief seines Lebens. Dieser Brief[6] war an den evangelikalen Parlamentarier William Wilberforce gerichtet, der mit bereits 21 Jahren zum ersten Mal ins Parlament gewählt wurde und bis zu seinem Lebensende dort wirken sollte:
Sehr geehrter Herr. Wenn die göttliche Macht Sie nicht dazu erhoben hat, wie Athanasius Contra Mundum[7] zu sein, sehe ich nicht, wie Sie Ihr glorreiches Vorhaben durchziehen können, sich dieser abscheulichen Schurkerei entgegenzustellen, die der Skandal der Religion, Englands und der menschlichen Natur ist. Es sei denn, Gott hat Sie gerade dazu erweckt, so werden Sie durch den Widerstand der Menschen und Teufel zermürbt werden.
Aber wenn Gott für Sie ist, wer kann dann gegen Sie sein? Sind sie alle zusammen stärker als Gott? O werdet nicht müde, Gutes zu tun. Geht weiter, im Namen Gottes und in der Kraft seiner Macht, bis selbst die amerikanische Sklaverei (die übelste, die die Sonne je sah) vor ihr verschwindet.
Als ich heute Morgen ein Traktat las, das ein armer Afrikaner geschrieben hatte, fiel mir besonders der Umstand auf, dass ein Mann mit schwarzer Hautfarbe, dem von einem Weissen Unrecht getan oder der von einem Weissen beleidigt wurde, keine Wiedergutmachung bekommen kann; es ist ein Gesetz in allen unseren Kolonien, dass der Eid eines Schwarzen gegen einen Weissen nichts wert ist. Was für eine Schurkerei ist das!
Dass derjenige, der Sie von Jugend an geführt hat, Sie weiterhin in diesem und allen Dingen stärken möge, ist das Gebet, lieber Herr,
Ihres wohlwollenden Dieners, John Wesley (Eigene Übersetzung)
Bereits 1787 spürte William Wilberforce eine göttliche Berufung, sich für die Abschaffung des Sklavenhandels einzusetzen. Er schrieb in seinem Tagebuch:
Gott der Allmächtige hat mir zwei grosse Aufgaben anvertraut, die Unterbindung des Sklavenhandels und die Reformation der Sitten [ethischen Werte]. (Eigene Übersetzung)
William Wilberforce, by Karl Anton Hickel
Nach langjähriger Vorbereitung zusammen mit evangelikalen Aktivisten und Künstlerinnen, stellte Wilberforce im April 1791 in einer vierstündigen Rede den ersten Gesetzesentwurf für die Abschaffung des Sklavenhandels im House of Commons, dem britischen Parlament, vor. Die Gesetzesvorlage wurde mit 163 gegen 88 Stimmen abgelehnt. Nach dieser ersten Niederlage brachte Wilberforce praktisch jedes weitere Jahr denselben Gesetzesentwurf ins Parlament ein und scheiterte damit viele weitere Male. 1796 fehlten nur fünf Stimmen, unter anderem weil einige Unterstützer von Wilberforce abwesend waren und stattdessen eine Komödienoper besuchten.
Die jahrelange Aufklärungsarbeit von William Wilberforce und seinen Verbündeten trug 1806 entscheidende Früchte als das Thema des Sklavenhandels ein wichtiges Wahlkampfthema wurde. Die Abolitionisten gingen gestärkt aus den Wahlen heraus und am 23. Februar 1807 wurde ein weiterer Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Sklavenhandels mit 283 zu 16 Stimmen deutlich angenommen. Die Abschaffung des Sklavenhandels war jedoch nur ein erster Schritt hin zur Abschaffung der Sklaverei. Wilberforce kämpfte bis zu seinem Lebensende dafür und durfte drei Tage vor seinem Tod vernehmen, dass es im Parlament auch eine Mehrheit für die Abschaffung der Sklaverei geben würde. Einen Monat nach Wilberforces’ Tod verabschiedete das Parlament den Slavery Abolition Act[8] der die Sklaverei in fast allen Teilen des britischen Imperiums verbot.
Das britische Parlament zur Zeit von Wilberforce
Die Abschaffung der Sklaverei kam mit einem hohen Preis. Ehemalige Sklavenhalter wurden mit 20 Mio. Pfund Sterling (146’194 kg Gold!) entschädigt. Dies entspricht beim aktuellen Goldpreis fast acht Milliarden Franken. Zwischen 1807 und 1860 beschlagnahmte das West Africa Squadron der Royal Navy etwa 1600 Sklavenhandelsschiffe und befreite 150 000 Sklaven, die auf diesen Schiffen waren. Zwischen 1830 und 1865 starben etwa 1‘587 Männer des West Africa Squadron im Kampf gegen den Sklavenhandel und die Sklaverei[9]. Der Film Amazing Grace beschreibt das Leben und Wirken von William Wilberforce. Hier kann man den deutschen Trailer zum Film sehen, und hier ihn kaufen.
Genau wie zur Zeit von William Wilberforce gibt es auch heute noch Sklaverei in allen abscheulichen Ausprägungen. Während vor 200 Jahren die meisten Sklaven auf Plantagen Zwangsarbeit leisten mussten, sind heute die meisten Opfer Frauen und Kinder die in den Rotlichtmilieus dieser Welt sexuell ausgebeutet werden. Es ist unsere Pflicht mit aller Entschiedenheit gegen dieses Unrecht vorzugehen. Dabei sollten wir uns bewusst werden, wie hoch der Preis für das britische Imperium war den Sklavenhandel und die Sklaverei abzuschaffen. Die Bekämpfung der modernen Sklaverei, des Frauenhandels und der Zwangsprostitution wird nämlich ebenfalls Opfer verlangen und es gibt massiven Widerstand. In meinem zweiten Artikel werde ich näher auf den heutigen Kampf gegen den Menschenhandel eingehen.
Das Logo der britischen Anti-Sklaverei Gesellschaft
Fussnoten:
[1] https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/kriminalitaet/menschenhandel.html
[2] https://www.blick.ch/politik/streitgespraech-auf-blick-tv-das-sagen-funiciello-und-kullmann-zur-ehe-fuer-alle-id15932903.html
[3] https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-3701ae12048243bf9cd481b7054d81db.html
[4] https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-c1a52bd520cd4e458e5af2eef26ae00b.html
[5] https://docsouth.unc.edu/church/wesley/wesley.html
[6] https://place.asburyseminary.edu/cgi/viewcontent.cgi?referer=&httpsredir=1&article=1009&context=engaginggovernmentpapers
[7] Bezeichnung für Athanasius, den 20. Papst von Alexandria, der als einer der Doktoren der frühen christlichen Kirche gilt. Er wurde “Athanasius gegen die Welt” genannt, weil er das kirchliche Dogma erfolgreich und wiederholt gegen die arianische Häresie verteidigte, die zeitweise sehr populär werden sollte.
(https://www.urbandictionary.com/define.php?term=athanasius%20contra%20mundum)
[8] https://www.pdavis.nl/Legis_07.htm
[9] https://archives.history.ac.uk/1807commemorated/exhibitions/museums/chasing.html
Vielen Dank für den Beitrag. Wer sich noch mehr für Wilberforce und seinen Kampf gegen die Sklaverei interessiert, findet in der Biographie von Erich Metaxas eine spannende Lektüre (DE: Wilberforce, SCM Hänssler, 2012 / EN: Amazing Grace — William Wilberforce and the Heroic Campaign to End Slavery, HarperOne, 2007).
Danke Pascal — wusste nicht, dass Metaxas auch über Wilberforce geschrieben hat. Danke für den Hinweis!