Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 8/10

Lesezeit: 5 Minuten
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by Roland Hardmeier | 05. Jan. 2025 | 3 comments

Teil 8: Gender

In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evan­ge­likale zwis­chen fun­da­men­tal­is­tisch und poste­van­ge­likal“ befasse ich mich mit der religiösen Land­schaft und der evan­ge­likalen Bin­nen­plu­ral­isierung seit der Jahrtausendwende. Das Buch zeigt einen drit­ten Weg zwis­chen einem bib­lizis­tis­chen Fun­da­men­tal­is­mus und dem Post-Evan­ge­likalis­mus auf.

In diesem Beitrag führe ich in Kapi­tel 8 „Wovon Pro­gres­sive ständig reden: Gen­der“ ein (Seit­en 174–209).

In einem Buch über den gegen­wär­ti­gen Zus­tand der Chris­ten­heit kommt man nicht umhin, sich zum The­ma „Gen­der“ zu äussern.

Gespaltene Christenheit

Die Ein­stel­lung der Kirchen zur Sex­u­al­ität stösst in der post­mod­er­nen Gesellschaft weit­ge­hend auf Unver­ständ­nis. Ins­beson­dere Gen­der­fra­gen bewe­gen die Gemüter.

Die Chris­ten­heit ist in Gen­der­fra­gen tief ges­pal­ten. Während Pro­gres­sive sich der Mehrheit­skul­tur anpassen, haben Fun­da­men­tal­is­ten den Weg in die Ver­weigerung angetreten.

Die Forderung nach Akzep­tanz von homo­sex­uellen und trans­sex­uellen Lebens­for­men reisst tiefe Gräben in der evan­ge­likalen Land­schaft auf. Die Mitte ver­liert wegen Ver­w­er­fun­gen in diesen Fra­gen gegen­wär­tig viel Sub­stanz an die religiösen Pole: Die einen ziehen sich auf fun­da­men­tal­is­tis­che Posi­tio­nen zurück, weil sie glauben, hier wür­den Gen­der­fra­gen bib­lisch noch ernst genom­men. Die anderen schliessen sich der pro­gres­siv­en Kolonne an, weil sie die evan­ge­likale Sex­u­alethik als ver­al­tet empfinden.

Gen­der­fra­gen sind hochemo­tion­al und kom­plex. Die Frage, welche die Evan­ge­likalen in ver­gan­genen Jahrzehn­ten mehr beschäftigt hat als manche andere, ist die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche. Die Frage, welche die Bewe­gung in den kom­menden Jahren umtreiben wird, ist die Frage nach der kirch­lichen Akzep­tanz homo­sex­ueller Praxis.

Unter Berück­sich­ti­gung des antiken Kon­texts gehe ich im Kapi­tel „Gen­der“ der Frage nach, ob für die Evan­ge­likalen die Forderung nach Akzep­tanz homo­sex­ueller Prax­is in der Kirche bib­lisch nachvol­lziehbar ist. Wie mit dem bib­lis­chen Befund im kirch­lichen Leben umzuge­hen ist, ist dann Teil des let­zten und umfan­gre­ich­sten Kapi­tel des Buch­es. Ich biete also erst Mal Grund­la­gen, die Prax­is kommt im Schlusskapitel.

Ein wichtiger Unterschied

Im pro­gres­siv­en Chris­ten­tum gilt die Bibel in ethis­chen Fra­gen nur sehr eingeschränkt als moralis­ch­er Kom­pass. Zu unter­schiedlich seien die Welt der Bibel und unsere Zeit. Die antike Welt sei mit den heuti­gen gesellschaftlichen Ver­hält­nis­sen nicht ver­gle­ich­bar. Aus der Bibel eine bib­lis­che Ethik für heute abzuleit­en, sei deshalb nur sehr beschränkt möglich.

Das bedeutet nicht, dass auf pro­gres­siv­er Seite stets leicht­fer­tig mit ethis­chen Fra­gen umge­gan­gen wird. Ein Beispiel ist das Ori­en­tierungspa­pi­er „Mit Span­nun­gen leben“ des Rates der Evan­ge­lis­chen Kirche Deutsch­lands. In dem Papi­er gibt es eine einge­hende Beschäf­ti­gung mit Tex­ten der Bibel zur Frage der Homo­sex­u­al­ität. Nach gründlich­er Analyse wird fest­ge­hal­ten, „dass es keine bib­lis­chen Aus­sagen gibt, die Homo­sex­u­al­ität in eine pos­i­tive Beziehung zum Willen Gottes set­zen“. Der bib­lis­che Befund ist nach den Ver­fassern des Papiers ein­deutig: Man müsse, wenn man sich mit den ein­schlägi­gen Tex­ten befasse, „kon­sta­tieren, dass nach diesen Aus­sagen homo­sex­uelle Prax­is dem Willen Gottes wider­spricht.“ Die entsprechen­den Quel­lenangaben find­est du im Buch.

Trotz dieses Befun­des lehnen die Ver­fass­er des Ori­en­tierungspa­piers homo­sex­uelle Prax­is nicht ab. Bei den Empfehlun­gen im Umgang mit homo­sex­uell empfind­en­den Men­schen wird ger­at­en, Homo­sex­uelle zum Pfar­ramt zuzu­lassen und gle­ichgeschlechtliche Part­ner­schaften zu seg­nen. Evan­ge­likale kom­men beim gle­ichen Befund zu anderen Schlüssen und lehnen die Seg­nung gle­ichgeschlechtlich­er Paare in der Regel ab. Das Beispiel zeigt, dass der Umgang mit bib­lis­chen Tex­ten anspruchsvoller ist, als manche denken. Ein Befund kann offen­sichtlich ganz unter­schiedlich gedeutet werden.

Wenn wir in ethis­chen Fra­gen sowohl der bib­lis­chen Welt als auch der heuti­gen Sit­u­a­tion gerecht wer­den wollen, müssen wir zwis­chen dem bib­lis­chen Befund und sein­er Deu­tung unterscheiden.

Wenn man bib­lis­che Texte auslegt, ergibt sich ein bib­lis­ch­er Befund. Der bib­lis­che Befund hält fest, wie die bib­lis­chen Ver­fass­er das The­ma behan­del­ten, auf welche Sit­u­a­tion sie reagierten, so dass sie über­haupt zur Fed­er grif­f­en, und welche Lösun­gen sie zum The­ma bieten. Bei der Ausle­gung der Texte und ihrem Befund befind­en wir uns ganz in der dama­li­gen Welt.

Mit dem Befund ist nicht in jedem Fall Verbindlich­es über die Gültigkeit der Texte für heute gesagt. Das hat nichts mit Bibelkri­tik zu tun, son­dern mit der Achtung vor dem geschriebe­nen Wort und mit Com­mon Sense. Die Schreiber damals haben ihre Schriften ja in ganz bes­timmten Kon­tex­ten ver­fasst, um auf bes­timmte Prob­leme einzuge­hen. Der Bibel­text muss deshalb zunächst als Antwort auf die ursprüngliche Sit­u­a­tion aus­gelegt wer­den. Was wollte beispiel­sweise Paulus den Chris­ten in Rom sagen, wenn er sich im Römer­brief gegen homo­sex­uelle Prax­is ausspricht? Die Bedeu­tung des Bibel­texts für den ursprünglichen Kon­text muss erar­beit­et sein. Erst danach kön­nen wir fra­gen, ob die Texte über den ursprünglichen Kon­text hin­aus Gültigkeit haben und uns mit Verbindlichkeit­en konfrontieren.

Wed­er Pro­gres­sive noch Kon­ser­v­a­tive sind der Ansicht, sämtliche bib­lis­che Weisun­gen hät­ten unge­broch­ene Gültigkeit für heute. Nie­mand ist der Ansicht, dass der Ehep­art­ner von den Eltern aus­ge­sucht wer­den muss, obwohl das in bib­lis­chen Zeit­en der Nor­mal­fall war. In dieser Hin­sicht gehen wir mit der mod­er­nen Selb­st­bes­tim­mung einig. Nie­mand fordert die Todesstrafe für Ehe­brech­er oder will ein Paar zur Ehe zwin­gen, das miteinan­der geschlafen hat. Obwohl es bei­des im Alten Tes­ta­ment gab, fol­gen wir hier mod­ern­er Logik. Die Auf­gabe ist also gar nicht so ein­fach. Sowohl für Pro­gres­sive als auch für Kon­ser­v­a­tive gibt es Fallgruben:

Pro­gres­sive haben die Ten­denz, die Unter­schiede zwis­chen der bib­lis­chen und der heuti­gen Welt zu überze­ich­nen. So wird in der Regel argu­men­tiert, ein­vernehm­liche homo­sex­uelle Part­ner­schaften seien in bib­lis­chen Zeit­en undenkbar gewe­sen. Die Bibel sage über heutige For­men homo­sex­ueller Lebenspart­ner­schaften deshalb eigentlich nichts aus. Gle­ichgeschlechtliche Liebe könne aus christlich­er Sicht also nicht kri­tisiert wer­den. Das Argu­ment ist his­torisch falsch. Die entsprechen­den Quellen lege ich im Buch offen. Manche pro­gres­sive Posi­tio­nen ergeben sich aus einem unsorgfälti­gen Umgang mit his­torischen Fak­ten, um freizügige Ansicht­en zu rechtfertigen.

Nun, Prob­leme gibt es wie so oft hüben und drüben.

Kon­ser­v­a­tive haben die Ten­denz, alle bib­lis­chen Aus­sagen auf eine Ebene zu stellen. „Für mich gilt die ganze Bibel“, heisst es. Es wird nicht daran gedacht, dass die Bibel nicht nur Ehe­bruch unter­sagt, son­dern beispiel­sweise erlaubt, Kriegs­ge­fan­gene zu Neben­frauen zu nehmen (4 Mose 31,14ff). Das will wohl nie­mand als bib­lis­ches Gebot auf heute über­tra­gen. Hin­ter manchen fun­da­men­tal­is­tis­chen Posi­tio­nen kommt ein naiv­er Bibel­glaube zum Vorschein, mit dem man in Erk­lärungsnot gerät, sobald ern­sthaft mit bib­lis­chen Tex­ten gerun­gen wird.

Als evan­ge­lis­che Chris­ten gehen wir mit Luther einig, dass Gott nir­gends kräftiger redet als in der Heili­gen Schrift. Wie aber tut er das? Wie kön­nen wir Fall­gruben umgehen?

Sowohl für Pro­gres­sive als auch für Kon­ser­v­a­tive muss es darum gehen, dass die bib­lis­chen Texte sagen dür­fen, was sie von sich aus sagen wollen. Dazu müssen Fra­gen an die Texte gestellt wer­den: Was hat­ten die bib­lis­chen Texte den ursprünglichen Lesern zu sagen? Wollen die bib­lis­chen Texte nur zur ursprünglichen Leser­schaft sprechen oder gel­ten sie auch uns? Gibt es Hin­weise, die darauf schliessen lassen, dass die Ansicht­en der bib­lis­chen Ver­fass­er Zeit­en und Kul­turen über­greifende Gültigkeit haben?

Was dich im Kapitel über Gender erwartet

Ich verzichte in diesem Beitrag darauf, das Ergeb­nis des recht lan­gen Kapi­tels im Buch zusam­men­zu­dampfen. Ich fürchte, dass ich missver­standen würde, wenn ich es tun würde. Das The­ma ist zu sen­si­bel, um auf ein paar Sätze reduziert zu wer­den. Im Kapi­tel ver­suche ich, aus­führlich zu recher­chieren. In über 40 Lit­er­aturver­weisen kannst du nach­prüfen, ob meine Aus­sagen ein­fach so dahin­gere­det sind, oder ob sie Rück­halt haben. Das sind wir allen schuldig, die sich mit dem The­ma befassen und per­sön­lich davon betrof­fen sind.

Inhaltlich gehe ich im Kapi­tel näher auf fol­gende The­men ein: Sex in der alto­ri­en­tal­is­chen Welt, den bib­lis­chen Schöp­fungs­bericht, die Frage, warum Jesus zu Homo­sex­u­al­ität schwieg und die Hal­tung des Paulus zum Eros. Danach deute ich den bib­lis­chen Befund auf möglichst faire Weise. Grund­sät­zlich nehme ich mich dem The­ma mit fol­gen­der Ein­stel­lung an:

Das Chris­ten­tum ist eine Reli­gion des Wortes. Was christlich­er Glaube aus­macht, zu was er sich beken­nt, und wo er Gren­zen set­zt, ist auch in der Frage der sex­uellen Ori­en­tierung an den bib­lis­chen Tex­ten zu prüfen und ihnen gegenüber zu rechtfertigen.

Ich hoffe, mit dem Kapi­tel einen kon­struk­tiv­en Beitrag zum The­ma zu leis­ten und dabei klar, gründlich und respek­tvoll zu sein.


Titel­bild: iStock


Unser Gespräch zum Buch: 

Über den Kanal

Roland Hardmeier

Dr. theol. Roland Hardmeier wohnt und arbeitet in Riedikon bei Uster. Er war 15 Jahre lang Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden der Schweiz. Heute ist er als selbständiger Dozent, Referent und Autor tätig. Einblicke in seine Tätigkeit gibt seine Website www.roland-hardmeier.ch

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Kommentare zu diesen Beitrag

3 Comments

  1. Benjamin

    Lieber Roland,

    vie­len Dank für deine Rück­mel­dung und die wertschätzen­den Worte zu meinem Kom­men­tar. Es freut mich, dass du die Diskus­sion als wichtig eracht­est und Offen­heit in den Aus­tausch bringst. Ich ver­ste­he deine Sichtweise und die Argu­men­ta­tion, die du bezüglich der alttes­ta­mentlichen Ethik und der Hal­tung Jesu zur Ehe anführst. Es ist in der Tat eine zen­trale Frage, wie wir die Lehren der Bibel im mod­er­nen Kon­text inter­pretieren, und ich schätze die Tiefe und Ern­sthaftigkeit, mit der du das The­ma angehst.

    Ich stimme dir zu, dass Jesus die alttes­ta­mentliche Ethik als verbindlich betra­chtete und sich auf den Schöp­fungs­bericht stützte, um seine Lehren zu unter­mauern. Dies entspricht der all­ge­meinen Hal­tung des Juden­tums zu sex­u­alethis­chen Fra­gen sein­er Zeit. Jesus betonte, dass der Schöpfer Mann und Frau geschaf­fen hat, um die Schöp­fung­sor­d­nung als Grund­lage für seine Lehren zur Ehe zu verwenden.

    Es ist jedoch wichtig, den spez­i­fis­chen his­torischen und kul­turellen Kon­text, in dem Jesus lebte, zu berück­sichti­gen. Zu Jesu Zeit­en war das Ver­ständ­nis von Sex­u­al­ität, Iden­tität und Geschlecht­sori­en­tierung stark anders als heute. Die sozialen Nor­men und die Wahrnehmung von Geschlechter­rollen waren stark von der jew­eili­gen Kul­tur geprägt. Het­ero­sex­uelle Ehen waren oft hier­ar­chisch struk­turi­ert, und patri­ar­chale Sys­teme prägten die meis­ten antiken Gesellschaften. In vie­len Kul­turen war der Mann der Hauptver­di­ener und das Ober­haupt der Fam­i­lie, während Frauen häu­fig in ein­er unter­ge­ord­neten Rolle blieben, die sich auf Haushalts­führung und Kinder­erziehung konzen­tri­erte. Diese sozialen Nor­men und Erwartun­gen waren tief in den jew­eili­gen Kul­turen ver­wurzelt und wur­den durch religiöse und gesellschaftliche Prak­tiken verstärkt.

    Zusät­zlich war auch in der jüdis­chen Kul­tur ein strenges Ide­al von Männlichkeit vorherrschend. Män­ner, die lange Haare tru­gen oder sich in ein­er Weise präsen­tierten, die als fem­i­nin wahrgenom­men wurde, kon­nten auf Ablehnung stoßen. Die Akzep­tanz von Homo­sex­u­al­ität war in der Antike nicht ver­gle­ich­bar mit den heuti­gen Vorstel­lun­gen von Gle­ich­heit und Respekt für alle For­men von Liebe und Part­ner­schaft. Die alten Konzepte von Sex­u­al­ität und Geschlechter­rollen sind daher nicht direkt mit mod­er­nen Vorstel­lun­gen von sex­ueller Ori­en­tierung und Gle­ich­berech­ti­gung ver­gle­ich­bar, da sie stark von den jew­eili­gen kul­turellen und sozialen Nor­men geprägt waren, die oft auss­chließend und diskri­m­inierend waren.

    Die Ansicht­en von Jesus und Paulus sind in diesem Kon­text beson­ders auf­schlussre­ich. Obwohl Jesus sich nicht expliz­it zu Homo­sex­u­al­ität äußerte, betonte er die Prinzip­i­en von Liebe, Mit­ge­fühl und Gerechtigkeit. In Johannes 13,34–35 sagt Jesus: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einan­der lieben sollt; wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einan­der lieben. Daran wer­den alle erken­nen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untere­inan­der habt.“ Diese Werte kön­nten darauf hin­deuten, dass er eine inklu­si­vere Sicht auf Beziehun­gen hat­te, die über die stren­gen sozialen Nor­men sein­er Zeit hinausgeht.

    Paulus hinge­gen äußerte sich in seinen Briefen expliz­it zu Fra­gen der Sex­u­al­ität und verurteilte gle­ichgeschlechtliche Beziehun­gen. In Römer 1,26–27 schreibt er: „Darum hat sie Gott auch dahingegeben in schändliche Lüster; denn ihre Frauen haben den natür­lichen Gebrauch in den unnatür­lichen ver­wan­delt; eben­so auch die Män­ner, die den natür­lichen Gebrauch der Frau ver­lassen und sich zueinan­der ent­bran­nt haben in ihrer Lust, Män­ner mit Män­nern Schande treiben und den Lohn ihrer Verir­rung, der ihnen gebührte, an sich selb­st emp­fan­gen.“ Seine Sichtweise war stark von der griechisch-römis­chen Kul­tur geprägt, in der Männlichkeit und der soziale Sta­tus eine zen­trale Rolle spiel­ten. Es kön­nte sein, dass Paulus Homo­sex­u­al­ität im Sinne ein­er Iden­tität und als Lebensen­twurf für verbindliche Part­ner­schaften nicht kan­nte. In seinem kul­turellen Kon­text war die Vorstel­lung von sex­ueller Ori­en­tierung als Teil der men­schlichen Iden­tität nicht vorhan­den. Paulus kön­nte eine Abnei­gung gegen Män­ner gehabt haben, die fem­i­nin wirk­ten, da dies dem Ide­al­bild von Männlichkeit wider­sprach, das in sein­er Zeit vorherrschte. Diese Abnei­gung kön­nte auch dazu beige­tra­gen haben, dass er gle­ichgeschlechtliche Beziehun­gen ablehnte, da sie nicht in das tra­di­tionelle Bild von Männlichkeit passten, das in der griechisch-römis­chen Kul­tur stark ver­ankert war. Paulus kön­nte Homo­sex­u­al­ität abgelehnt haben, weil sie oft im Kon­text von Macht­miss­brauch und ungle­ichen Beziehun­gen wahrgenom­men wurde. In vie­len antiken Gesellschaften, ein­schließlich der römis­chen, gab es For­men von Miss­brauch in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen, ins­beson­dere in Bezug auf Sklaven oder soziale Unter­ge­ord­nete. Dies kön­nte auch erk­lären, warum sowohl Jesus als auch Paulus eine ablehnende Hal­tung gegenüber Homo­sex­u­al­ität ein­nah­men, da sie in einem kul­turellen Kon­text lebten, der Gle­ich­heit und gegen­seit­i­gen Respekt in Beziehun­gen nicht kan­nte. Auch wenn nicht alle gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen im Kon­text von Miss­brauch stat­tfan­den, war dies in vie­len Fällen die Real­ität, die die Wahrnehmung solch­er Beziehun­gen beeinflusste.

    Ins­ge­samt zeigt sich, dass die kul­turellen Kon­texte, in denen Jesus und Paulus lebten, entschei­dend für ihr Ver­ständ­nis von Sex­u­al­ität und Beziehun­gen waren. 

    Sowohl in der Antike als auch heute gibt es gesellschaftliche Nor­men, die Het­ero­sex­u­al­ität als die “nor­male” sex­uelle Ori­en­tierung darstellen. Diese Nor­men führen dazu, dass gle­ichgeschlechtliche Beziehun­gen oft als abwe­ichend ange­se­hen wer­den, was zu Diskri­m­inierung und sozialer Aus­gren­zung führt.In bei­den Kon­tex­ten wird Männlichkeit oft mit Eigen­schaften wie Dom­i­nanz, Stärke und Kon­trolle assozi­iert. Män­ner, die als fem­i­nin oder “weich” wahrgenom­men wer­den, erfahren häu­fig Ablehnung. In der Antike wur­den pas­sive Part­ner in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen als min­der­w­er­tig ange­se­hen, während mod­erne Män­ner, die nicht den tra­di­tionellen Männlichkeit­snor­men entsprechen, eben­falls auf Ablehnung stoßen.
    In bei­den Epochen gibt es stereo­type Vorstel­lun­gen darüber, wie sich Män­ner und Frauen ver­hal­ten soll­ten. Män­ner, die gegen diese Nor­men ver­stoßen, erleben häu­fig soziale Ablehnung. Diese Stereo­typen sind tief in der Kul­tur ver­wurzelt und wer­den durch Medi­en, Bil­dung und soziale Inter­ak­tio­nen verstärkt.
    Men­schen, die sich nicht in die tra­di­tionellen Rollen ein­fü­gen, sehen sich häu­fig mit Vorurteilen und Diskri­m­inierung konfrontiert.

    Darüber hin­aus kön­nen wir als Chris­ten den Heili­gen Geist als Führer und Helfer in unserem Ver­ständ­nis und unser­er Prax­is annehmen. Der Heilige Geist kann uns helfen, die Lehren Jesu und die Bibel in einem neuen Licht zu sehen, ins­beson­dere in Bezug auf The­men, die in der Ver­gan­gen­heit möglicher­weise nicht aus­re­ichend behan­delt wur­den. In Johannes 14,26 sagt Jesus: „Der Bei­s­tand, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erin­nern, was ich euch gesagt habe.“ Vielle­icht dür­fen wir mehr Mut haben, die Her­aus­forderun­gen unser­er Zeit anzunehmen und uns weit­erzuen­twick­eln. Indem wir die Prinzip­i­en von Liebe, Akzep­tanz und Mit­ge­fühl in den Mit­telpunkt stellen, kön­nen wir als Gemein­schaft einen Schritt weit­erge­hen und eine offenere Hal­tung gegenüber Homo­sex­u­al­ität und gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen entwickeln.

    Liebe Grüsse Benjamin

    Reply
  2. Benjamin

    Ich möchte zum The­ma Homo­sex­u­al­ität Stel­lung nehmen, das in der Chris­ten­heit viele Mei­n­un­gen her­vor­ruft. Für mich ste­ht das Liebesge­bot aus den Evan­gelien im Mittelpunkt. 

    In mein­er Auseinan­der­set­zung mit der Bibel ist mir aufge­fall­en, dass es eine deut­liche Gewich­tung in den zen­tralen Botschaften gibt. Ja, es gibt viele Aus­sagen über Gericht, Verurteilung und die Hölle, aber ich bin der Überzeu­gung, dass die Botschaften über Liebe, Verge­bung, Näch­sten­liebe und Barmherzigkeit weitaus zahlre­ich­er und zen­traler sind.
    Barmherzigkeit ist für mich eine wesentliche Eigen­schaft, die Jesus in der Berg­predigt her­vorhebt, als er sagt: „Selig sind die Barmherzi­gen; denn sie wer­den Barmherzigkeit erlan­gen“ (Matthäus 5,7). Diese Botschaft erin­nert mich daran, dass Barmherzigkeit nicht nur eine Tugend ist, son­dern auch eine Erwartung Gottes an uns. 

    Beson­ders berührt mich, dass Jesus oft gesellschaftliche Nor­men in Frage stellte und sich für Aus­ge­gren­zte und Unter­drück­te ein­set­zte. Er lehrte uns, dass wahre Liebe und Mit­ge­fühl keine Gren­zen ken­nen. Indem ich homo­sex­uelle Ehen anerkenne und unter­stütze, folge ich dem Beispiel Jesu, der die Liebe in den Mit­telpunkt seines Wirkens stellte und uns dazu aufrief, einan­der in unser­er Vielfalt zu akzep­tieren und zu unterstützen.

    In Matthäus 22,30 spricht Jesus über das Leben im Him­mel und sagt: „Denn in der Aufer­ste­hung heirat­en sie nicht und wer­den nicht ver­heiratet, son­dern sie sind wie die Engel im Him­mel.“ Diese Aus­sage legt nahe, dass im himm­lis­chen Reich irdis­che Beziehun­gen und Geschlechter­rollen nicht mehr von Bedeu­tung sind. Die Tat­sache, dass Jesus erk­lärt, im Him­mel werde nicht geheiratet, impliziert, dass die irdis­chen Vorstel­lun­gen von Ehe und Geschlecht nicht die höch­ste Form der Beziehung darstellen. Vielmehr wird die Liebe, die in all ihren For­men existiert, in den Vorder­grund gerückt. Es ist die Qual­ität der Beziehun­gen, die auf Liebe, Respekt und Mit­ge­fühl basieren, die zählen. Diese Sichtweise fördert die Idee, dass die tief­ere Verbindung zwis­chen Men­schen – unab­hängig von Geschlecht oder sex­ueller Ori­en­tierung – die wahre Essenz von Beziehun­gen im Licht Gottes ist.

    Die Vorstel­lung, dass im Him­mel keine Ehe existiert, unter­stützt die Idee, dass Beziehun­gen auf ein­er tief­er­en Ebene der Liebe und spir­ituellen Ver­bun­den­heit basieren, statt auf tra­di­tionellen Geschlechter­rollen oder gesellschaftlichen Erwartun­gen. Dies impliziert, dass die Art und Weise, wie wir Beziehun­gen definieren, nicht abso­lut ist, son­dern sich weit­er­en­twick­eln kann.

    Wenn Geschlechter­rollen im himm­lis­chen Kon­text rel­a­tiviert wer­den, ist das auch eine Ein­ladung, die Vielfalt men­schlich­er Erfahrun­gen und Beziehun­gen auf Erden zu akzep­tieren. Diese Sichtweise fördert die Idee, das gle­ichgeschlechtlich­er Part­ner­schaften – wertvoll und bedeu­tend sind.

    Jesus spricht in Matthäus 15,18–19 darüber, was einen Men­schen unrein macht: „Was aber aus dem Mund her­aus­ge­ht, das kommt vom Herzen, und das macht den Men­schen unrein. Denn aus dem Herzen kom­men böse Gedanken, Morde, Ehe­brüche, Unzucht, Dieb­stahl, falsches Zeug­nis, Lästerun­gen.“ Diese Aus­sage deutet darauf hin, dass nicht äußere Umstände oder die sex­uelle Ori­en­tierung eines Men­schen entschei­dend sind, son­dern vielmehr die Absicht­en und Gedanken, die aus dem Herzen kommen.
    Mit anderen Worten, es sind die inneren Hal­tun­gen und Motive, die das Wesen eines Men­schen prä­gen und ihn unrein machen kön­nen, nicht seine sex­uelle Ori­en­tierung oder die Art sein­er Beziehun­gen. Diese Per­spek­tive fordert uns auf, die Qual­ität der Beziehun­gen zu betra­cht­en, die auf Liebe, Respekt und Mit­ge­fühl basieren, anstatt uns auf ober­fläch­liche Kri­te­rien zu konzen­tri­eren. Somit kann man sagen, dass homo­sex­uelle Beziehun­gen, die diese Werte verkör­pern, nicht als sünd­haft ange­se­hen wer­den sollten.

    Reply
    • Roland Hardmeier

      Lieber Ben­jamin
      Her­zlichen Dank für deine aus­führliche Rück­mel­dung zum The­ma Homo­sex­u­al­ität ein­schliesslich der inter­es­san­ten Gedanken zum The­ma Neuschöp­fung. Inhaltlich gehe ich mit dir nicht einig, was Jesus bet­rifft. Es trifft nach meinem Ver­ständ­nis nicht zu, dass man dem Beispiel der Liebe Jesu fol­gt, wenn man homo­sex­uelle Part­ner­schaften anerken­nt. Jesus hat, wie ich im entsprechen­den Kapi­tel meines Buch­es aus­führe, die alttes­ta­mentliche Ethik ja als verbindlich betra­chtet und expliz­it mit dem Schöp­fungs­bericht argu­men­tiert, wenn es um die Ehe geht. Jesus ist da ganz kon­gru­ent mit der all­ge­meinen Hal­tung des Juden­tums zu sex­u­alethis­chen Fragen.

      Obwohl wir uns inhaltlich nicht tre­f­fen, hat mich dein Artikel bewegt. Es ist genau diese Art von Diskurs, die wir brauchen. Du bringst sub­stanzielle Gedanken ein und du schreib­st in einem offe­nen und wertschätzen­den Mind­set. Es wäre für die ganze Diskus­sion viel gewon­nen, wenn alle wie du in dieser Hal­tung an das The­ma herange­hen würden.

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