Im Artikel von letzter Woche ging es um Gottes Zorn allgemein und wie wir diese herausfordernde Thematik mit einem vertrauenden Glauben vereinbaren können. Nun folgt die Konkretion anhand von Gottes Auftrag im AT, die kanaanitischen Völker zu vernichten. Wie kann man dieses Ereignis als Mensch des 21. Jahrhunderts erklären? Liefert diese brutale Begebenheit nicht einen Beweis für Gottes willkürlichen Zorn und damit eine endgültige Berechtigung dafür, den christlichen Glauben abzulehnen?
In den Städten der Völker, die der Herr, euer Gott, euch zum Besitz gibt, dürft ihr niemanden am Leben lassen. Ihr sollt die Hetiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter vernichten, wie der Herr, euer Gott, euch befohlen hat. (5.Mose 20,16+17)
Wenn der Herr, euer Gott, sie euch ausliefert und ihr sie besiegt, sollt ihr sie vernichten. Schliesst keine Verträge mit ihnen und verschont sie nicht. (5.Mose 7,2)
Unglaublich harte Worte! Und das aus dem Mund Gottes! Noch dazu ist es nur eine kleine Auswahl von Stellen, die dasselbe aussagen. Das schreit nach Aufklärung! Die folgenden Ausführungen sollen nicht verharmlosen, sondern zur besseren Einordnung beitragen.
Zum geschichtlichen Hintergrund: Der Gott Israels hatte sein Volk im 15.Jh. v. Chr. (alternative Datierung 13.Jh. v. Chr.) aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Nun waren sie auf dem Weg in das versprochene Land Kanaan. Unterwegs beauftragte Gott sie, das Land zu erobern und dessen Bewohner zu vernichten (siehe oben). Diese ‚Landnahme‘ erfolgte wenig später, wie dem Josuabuch zu entnehmen ist.
Ausschnitt aus der sixtinischen Kapelle, Michelangelo, 1475–1564
Alles missverstanden?
Einen bequemen Erklärungsansatz liefert C. S. Cowles[1]: Seiner Meinung nach besassen die Israeliten unter Moses bzw. Josuas Führung ein noch unscharfes Gottesbild. Dementsprechend schritten sie zur Tat und eroberten Kanaan, wobei sie die Bewohner töteten. Dies wäre laut Cowles jedoch niemals Gottes Wille gewesen. Die Israeliten wussten es einfach nicht besser. Exemplarisch für seine Sicht ist Cowles‘ Aussage: „Gott ist nicht wie der erste Josua, ein Krieger, sondern wie der zweite, der Friedensfürst [Jesus].“[2]. Handelt es sich bei der Eroberung Kanaans also lediglich um einen schlimmen Irrtum mit reichlich Kollateralschaden? Leider nein, denn Cowles‘ Position überzeugt nicht. Wie wir letzte Woche gesehen haben, lassen sich AT und NT nicht gegeneinander ausspielen. Zudem wird Cowles dem biblischen Selbstanspruch nicht gerecht. Denn die Bibel will nicht als Sammlung (möglicherweise fehlgeleiteter) menschlicher Erfahrungen verstanden werden, sondern als Gottes Wort an uns Menschen. Ausserdem ist zu fragen, warum Gott das Töten in seinem Namen nicht verhinderte, wenn er es eindeutig ablehnte.
Eine andere Erklärung verweist auf Bibelstellen, in denen die Israeliten aufgefordert werden, die Kanaaniter zu „vertreiben“. Das mag passiert sein und wie in unserer Zeit zu sehen ist, machen viele Menschen davon Gebrauch, aus Kriegsgebieten zu flüchten. In meinen Augen schmälert dies den parallel gegebenen Befehl, die Einwohner des Landes zu „vernichten“ jedoch kaum.
Auch der Hinweis auf die damals übliche Kriegsrhetorik nimmt dem Geschehen nur wenig Schärfe. So wird darauf verwiesen, dass in der Antike mit überlegenen militärischen Siegen geprahlt wurde, wobei die Wirklichkeit anders aussah. In Josua 10,40 findet sich in der Tat die verallgemeinernde Beschreibung, dass Gottes Befehl, die Kanaaniter zu vernichten 1:1 umgesetzt wurde. Wenig später (Jos 16,10) tauchten allerdings Vertreter der Einwohner Kanaans wieder auf. Dies spricht in meinen Augen eher dafür, dass Israel Gottes klarem Auftrag ungehorsam war, als dass die ganze Angelenheit weniger schlimm wäre.
Welche hilfreichen Ansätze gibt es?
1) Es geht hier nicht um Rassismus.
Gott sieht die Kanaaniter nicht als niederes und Israel als überlegenes Volk an. Das geht aus den Bibeltexten hervor, in denen die Landnahme begründet wird, z. B.: Er lässt euch ihr Land nicht erobern, weil ihr so rechtschaffen und aufrichtig seid. Der Herr, euer Gott, wird diese Völker aufgrund ihrer Verkommenheit vor euch vertreiben… (5.Mose 9,5). Gottes Zorn richtete sich gerade nicht gezielt auf die Kanaaniter als Volk. Dies ist deutlich daran zu erkennen, dass Gott sein Volk Israel an anderer Stelle ebenfalls zur Rechenschaft zieht. Damit sollte hier nicht von einem Genozid gesprochen werden. Statt rassistisch in ‚gut‘ und ‚böse‘ zu unterteilen, agiert Gott unparteiisch. Das Volk, das sich gegen ihn und seine guten Lebensregeln wendet, erlebt sein Gerichtshandeln.
2) Die Kanaaniter hatten keine weisse Weste.
Es ist ein Mythos, zu behaupten, dass die bösartigen Israeliten die unschuldigen Kanaaniter im Auftrag Gottes abschlachten sollten. Kanaan erlebte keine paradiesischen Zustände, bis die ruchlosen Israeliten es zerstörten. Vielmehr waren blutrünstige Kriegsführung, Inzest und menschenverachtende Praktiken wie Kinderopfer zu Ehren ihrer Götter (!) an der Tagesordnung. Israel sollte diese Verfehlungen im Zusammenhang mit der kanaanitischen Götterverehrung nicht übernehmen, sondern abschaffen (z. B. 5.Mose 18,9ff). Gottes Volk sollte allein seinen Gott anbeten und seine lebensfördernden Gebote einhalten.
Gottes Befehl bei der Eroberung lässt sich – auf heutige Gegebenheiten übertragen – folgendermassen vergleichen[3]: Die Mafia kontrolliert ein ganzes Stadtviertel und verbreitet dort bei den Bewohnern Angst und Schrecken. Daraufhin stürmt die Polizei das Viertel und zieht die Mafia zur Rechenschaft. Infolgedessen ist für die Einwohner ein friedliches Leben gewährleistet. In ähnlicher Weise schiebt Gott dem weiteren bösen Treiben der Kanaaniter einen Riegel vor, zieht sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft und ermöglicht Israel dort einen Neuanfang mit Gottes gerechten Gesetzen.
3) Die Kanaaniter hatten eine Chance.
Bereits zu Abrahams Zeiten war die Grausamkeit der Einwohner Kanaans bekannt. In seiner Geduld wartete Gott jedoch Hunderte von Jahren ab, anstatt vorschnell einzugreifen (Gen 15,16). Da könnte man sogar fragen: Wieso stoppte Gott das Unrecht nicht schon früher?
Die Person der Kanaaniterin Rahab ist ein weiterer Beweis dafür, dass ihre Landsleute sehr wohl eine Chance hatten. Bei der Eroberung ihrer Stadt Jericho wechselte Rahab die Seiten. Gegenüber den israelitischen Spionen gab sie zu: Ich weiss, dass der HERR euch dieses Land gegeben hat. (Jos 2,9) Weiter führte sie aus, dass ihr Volk das ebenfalls wüsste. Doch nur sie und ihre Familie ergriffen die Chance, verschont zu werden. Rahab wurde daraufhin vollumfänglich in das israelitische Volk integriert und sogar Vorfahrin des grossen Königs David und des Messias Jesus.
4) Dieses Handeln ist niemals zu wiederholen.
Niemand darf heute behaupten, er habe von Gott den Auftrag, andere Menschen oder gar Völker zu vernichten. Sowohl die Kreuzzüge im Mittelalter als auch moderne Genozide im Namen Gottes lassen sich niemals mit der Bibel legitimieren. Das Geschehen rund um die Eroberung Kanaans hat einmaligen Charakter. Das bestätigt der AT Experte Christopher J. H. Wright: “Die Landnahme wurde als eine einmalige historische Notwendigkeit angesehen, nicht als ein wiederholbares Muster.”[4] Dies belegen zudem die allgemeingültigen Gebote des NT, die mit dem AT begründet werden, z. B.: Rächt euch nicht selbst, liebe Freunde, sondern überlasst die Rache dem Zorn Gottes. Denn es heisst in der Schrift: »Das Unrecht zu rächen ist meine Sache, sagt der Herr; ich werde Vergeltung üben.« Mehr noch: »Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen, und wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Ein solches Verhalten wird ihn zutiefst beschämen.« Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege Böses mit Gutem. (Rö 12,19ff).
John Piper drückt es treffend so aus: „Christen bedienen sich nicht Gottes Vorrechts und führen seinen Zorn aus. Wir sterben für unsere Feinde; wir töten sie nicht. Wir verfluchen keine Ungläubigen; wir teilen mit ihnen das Evangelium. Wir flehen sie an. Wir lieben sie. Wir laden sie ein. Wir gehen auf sie zu.“[5] (eigene Übersetzung)
Trotz dieser Hinweise bleibt die Eroberung Kanaans auf Gottes Befehl hin schwer verdaulich. Einige Fragen müssen offen bleiben, z. B. wieso auch die Kinder unter das Todesurteil fielen. Zuletzt soll nochmals festgehalten werden, dass Gottes Zorn kein Unrecht bewirkt, da er eingebettet ist in seine Liebe und Gerechtigkeit. Gemäss dem Theologen Meredith Kline ist das Erstaunliche sogar nicht, dass Gott die Kanaaniter strafte, sondern, dass er überhaupt einen Menschen am Leben lässt. Die Zerstörung der Kanaaniter sieht er als eine Vorwegnahme des letzten Gerichts.[6] Dann wird Gott endgültig alles Böse beenden. Wer durch Gottes Gnade und den Glauben an Jesus mit ihm versöhnt ist, hat eine unglaubliche Zukunft vor sich.
[1] Cowles C. S. / Merrill, E. H. / Gard, D. L. / Longman III, T., Show them no Mercy: 4 Views on the Canaanite Genocide (leider nur auf Englisch verfügbar).
[2] Ebd. S. 23, eigene Übersetzung.
[3] vgl. Copan, Paul, Is God a moral Monster? S. 194f.
[4] Wright, Christopher J. H., The God I don’t understand, S. 109, eigene Übersetzung.
[5] https://www.desiringgod.org/messages/make-your-life-count/excerpts/six-truths-about-gods-wrath
[6] Cowles C. S. / Merrill, E. H. / Gard, D. L. / Longman III, T., S. 185.
Wir gehen häufig völlig falsch an die Bibel heran. Wor Fragen, wie Gott das zulassen kann, warum er so zornig ist und warum er im AT so brutal ist. Die richtigen Fragen wären:
Wie kann Gott es zulassen, dass es uns so gut geht?
Warum ist Gott so gütig freundlich und barmherzig?
Warum ist Gott im NT so gnädig?
Wer die letzten 3 Fragen nicht ernsthaft stellt hat weder Furcht Des Herrn, noch hat er erkannt wie gross die eigene Sünde und Rebellion gegen Gott ist und er hat nicht verstanden, dass es gerecht wäre, wenn Gott nicht nur die Kanaaniter, sondern die Israeliten Deutschland, Europa und zuallererst mich und Dich in Rauch und Asche aufgehen lassen würde.
Gott ist ganz einfach gerecht. Einen Straftäter laufen zu lassen würde jeden Richter als ungerecht und unfähig darstellen, selbst wenn der Straftaten noch so viel Gutes getan hat. Er muss verurteilen, wenn er gerecht sein will. Aber es liegt an ihm milde zu sein und das Strafmaß zu verringern. Das macht ihn gerecht und gütig zugleich.
Gott ist der gerechtere aller Richter. Es war gerecht die Kanaaniter, Sodom und Gommorrah aus zu löschen. Es war seine milde und Gnade Israel am Leben zu lassen. Sie wurden anders bestraft, regelmäßig und sehr zart. Ägypten — 400 Jahre Sklaverei. Babylon — Sklaverei, .…. Israelhat seine Strafe bekommen.
Warum Gott zornig ist? Weil ich ein Rebell bin. Warum Gott liebevoll ist? Weil er gnädig ist. Warum Gott zornig ist? Weil er so heilig ist, dass bereits ein Molekül voll Sünde in seiner Gegenwart zu Nichts zerfallen würde.
Schon klar, broe. Du verteidigst einen literarischen (?) Genozid und ich beschreibe eine Religiöse Tendenz und eine fröhliche Feier, aber ich bin der unanständige… Es ist nicht zu ertragen was Ihr euch rausnehmt! Hopfen und Malz verloren… Wir sehen uns von der anderen Seite (auf dass der Rauch von mir zu Dir herüberziehe, darauf gönne ich mir gleich noch eins.) Prost und viel Spaß beim Joggen durch unser freies, schönes Land. Wo’s mit Eurem Amerika und Afrika hingeht wenr wer ja sehn. Auf nimmerwiederhörn.
Euer widerlichen Dreck interessiert hier in Europa keine Sau! Wir feiern euch ins Gesicht!
Ich schalte aus Prinzip Beiträge frei. So auch diesen. Sie werden unanständig und ich brauche deshalb nicht darauf einzugehen ausser zu sagen, dass ihre Wut mir leid tut und ich gerne für sie bete.
Thanks very nice blog!
“Es geht hier nicht um Rassismus” — ist der erste Punkt: Man solle nicht von einem Genozid sprechen…
Eine gängige Definition eines Genozids: “Von Genozid spricht man dann, wenn viele Menschen einer bestimmten nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe ermordet werden.” (politik-lexikon.at)
Wenn ich zum Beispiel die Landeinnahme Kanaans in Josua betrachte, dann ist das schon ziemlich genozidmässig dargestellt… Die Erklärung, dass die Vernichtung aller Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt (inklusive Kinder) Gottes Gericht war, weil man sich gegen Gottes Lebensordnungen gewendet hat, dies macht es nicht besser, erklärbarer, plausibler und weniger schlimm.
Auch der Punkt 2, dass die Kanaaniter keine weisse Weste hatten, hilft mir ehrlichgesagt wenig, den zornigen Gott, der all dies befiehlt, zu verstehen: Welches Volk, welcher Mensch hatte jemals eine weisse Weste? Niemand!
Die Gewaltdarstellungen im Alten Testament lassen sich einfach nicht abschwächen, legitimer erscheinen oder mit Gott begründen. Manchmal kommt es mir vor, dass man um jeden Preis die historische Glaubwürdigkeit aller biblischen Zeugnissen aufrechterhalten oder verteidigen will und die Bibel unantastbar, absolut heilig und voll-kongruent ist!
Danke für deine kritischen Bemerkungen, Dominik. Ich denke, dass Rahab wie auch die später erwähnten Gibeoniter gegen einen Genozid sprechen. Dass kein Mensch von sich aus eine weisse Weste hat, sehe ich genauso. Jesus hat sie uns beschafft.
Keine Frage, die Bibel enthält für uns schwierige Stellen. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Gottes Handeln zu rechfertigen, sondern besser zu verstehen.
Was ist dein Ansatz?
Mein Ansatz ist, dass es hier nichts schönzureden oder zu verstehen gibt in solch brutalen Szenen und Darstellungen: Aus meiner Sicht ist dies geschichtstheologische Deutung vom Volk Israel (möglicherweise im babylonischen Exil entstanden). Aus meiner Sicht hat das Gott niemals so befohlen. Das ist mein Ansatz, momentan.
Aber: Erkenntnis ist Stückwerk;) Mein Bibelverständnis verändert sich im Laufe der Jahre und Erfahrung bestimmt, wie es bisher bereits geschehen ist und ich bin erst in den frühen 20er
Das mit dem Stückwerk geht mir auch so 🙂
Meiner Ansicht nach hängen Israels Befreiung aus Ägypten + die Eroberung Kanaans direkt zusammen. Als zentraler Punkt in Israels Geschichte wird darauf in der ganzen Bibel immer wieder Bezug genommen. Wenn das ein grosser Irrtum war, hätte das doch irgendwann korrigiert werden müssen.
Die Bibel enthält zudem zahlreiche Strafen Gottes, bei denen nicht Menschen die Ausführenden sind, sondern er selber…
Das erwähnte Buch “Show them no mercy” ist wirklich sehr zu empfehlen.
Ja, es stellt sich die Frage, warum die Kanaaniter keine andere Option (Chance) hatten. In anderen Auseinandersetzungen flohen Heere aus Schrecken und Angst.
In seinem Video ‘the Battle beginns’ greift Max Lucado die Landeinnahne auch auf. Er legt den Fokus auf das Erbe/Eigentum, das Gott den Vätern Israels versprochen hatte. Um es zu empfangen, mussten sie Grenzen überwinden und Schritte tun; Jordan überqueren, Jericho mit spezieller Strategie einnehmen. — Für uns Christen sind diese Geschichten ein starkes Reden Gottes. Er bleibt seinen Verheißungen und Prinzipien treu.
Danke für den Hinweis, Wolfgang. Dass Kanaaniter geflohen sind, davon ist sicher auszugehen.