Enttäuscht vom Affen, schuf Gott den Menschen. Danach verzichtete er auf weitere Experimente. (Mark Twain)
Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter, blind, programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden. (Richard Dawkins, Das egoistische Gen)
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. (Die Bibel, Psalm 8)
Der Mensch ist das einzige Wesen, dass selbstreflektierend Gedanken darüber anstellt, wer er ist. Wie Martin Heidegger es sagte: «Der Mensch ist das einzige Wesen, das nach seinem Sein fragt.»[1] Im Gegensatz zu den Tieren, die einfach sind, wie sie sind (zumindest nehmen wir das so an), denkt der Mensch über sich selbst nach. Für den griechischen Philosophen Aristoteles ist der Mensch ein Zoon logikon, ein rationales «Tier». Und gemäss John Locke ist es gerade diese Ratio, «die den Menschen über den Rest der anderen Wesen stellt und ihm den ganzen Vorteil und die Herrschaft verleiht, die er über sie hat.»[2]
In der modernen Zeit, in der wir leben, wurde dieses Narrativ – dass der Mensch sich wesensmässig von allen anderen Geschöpfen abhebt – durch Charles Darwins Evolutionstheorie hinterfragt. Wir Menschen mögen zwar viel weiterentwickelter als alle anderen Lebewesen sein, doch sind wir eben nur weiter-entwickelt, aber nicht genuin anders. Darwin hat es einst so formuliert:
Wir haben gesehen, dass die Sinne und Intuitionen, die verschiedenen Emotionen und Fähigkeiten wie Liebe, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Neugier, Nachahmung, Vernunft usw., mit denen der Mensch so prahlt, bei den niederen Tieren bereits in einem anfänglichen und manchmal in einem bereits weit-entwickelten Zustand zu finden sind.[3]
Das würde bedeuten, dass es zwischen Tier und Mensch nur einen graduellen Übergang gäbe. Wenn dann die Biologie oder Biochemie (oder die Neurologie) uns offenbart, dass wir durch biochemische Reaktionen in unserem Körper gesteuert (getrieben?) werden und es nur so scheint, als hätten wir «eigene» freie Gedanken und Gefühle – dann bekommen wir plötzlich das «Gefühl», dass der Mensch vielleicht doch nicht so wesensmässig anders sei wie das Tier. Von einer anderen Seite her gedacht, wenn wir sowieso nur aus Materie bestünden, was unterscheidet uns dann von anderer Materie? Was rechtfertigt den Sonderstatus, den wir uns selbst geben? Um es mit einem Songtext von Helge Schneider zu beschreiben: «Sind wir denn mehr wert, ist der Mensch mehr wert wie der Wurm?! Die Amöbe, das Geschnetz, die Suppe?»
Menschsein könnte dann vielleicht besser gelingen, wenn wir diese materiellen Abläufe in uns besser verstehen und entsprechend regulieren können, sowie man eine Maschine reguliert, damit diese reibungsfrei funktioniert.[4] Wir sind aber dann nur einen kleinen Schritt davon entfernt, auch andere Menschen als Maschinen zu behandeln und sie gegebenenfalls für unsere Zwecke zu manipulieren. Christopher Watkin meint diesbezüglich:
Sich die Menschheit im Bild der Maschine vorzustellen … ist keine unschuldige Metapher. Wenn Menschen im Wesentlichen aus Federn, Fäden und Rädern bestehen, dann ist es legitim, sie auf bestimmte Weise zu behandeln und zu manipulieren, so wie wir es mit jeder anderen Maschine auch tun würden.[5]

Ein Blick in die Schöpfungsgeschichte – eine tierisch-menschliche Story, mit Pflanzenanteilen
Wer die Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel mit einem literarischen Blick liest, dem können verschiedene Details auffallen. Die Schöpfungsstory ist ein fein gewobener, literarisch-poetischer Teppich mit vielen Farben, Mustern und Verknüpfungen. So sticht ins Auge, dass Gott die Pflanzen, die Meeres‑, Luft- und Landtiere jeweils «nach ihrer Art» schuf (siehe Gen 1,12.21.24). Aber als der Mensch an die Reihe kam, sagte Gott nicht «nach seiner Art», sondern «nach unserem Bild»:
Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. (Vers 26)
Bei der Schöpfung des Menschen erklingt definitiv noch eine neuartige Melodie an. Kein Wunder, hat man den Menschen als Krone der Schöpfung bezeichnet. Theologen reden gewöhnlich vom Imago Dei, von der Ähnlichkeit des Menschen zu Gott, seiner Gottebenbildlichkeit. Doch bevor wir in solche Höhen aufsteigen, sollten wir noch tiefer im Bodenlaub der Schöpfungsgeschichte herumwühlen. Watkin meint: «Und doch ist es wichtig zu erkennen, dass auch Adam und Eva nicht völlig einzigartig sind.»[6] So wurde für den Menschen kein separater Schöpfungstag reserviert. Er wurde am sechsten Tag geschaffen, zusammen mit allen Landtieren – sorry! Der Mensch ist diesen Tieren auch nicht ganz unähnlich: Auch er muss essen um zu leben (Gen 1,29–34) und er reproduziert, wie die Tiere es auch tun (Gen 1, 22.28). Wie Chris Watkin weiter elaboriert, schuf Gott den Menschen auch nicht aus irgendeiner überirdischen oder himmlischen Substanz. Nein, er nahm das Material der Erde, die ganz gewöhnliche «Erde vom Ackerboden» (Gen 2,7). Es ist also nicht falsch, wenn wir sagen, der Mensch bestünde aus Materie. Der Philosoph Mark Gabriel bezeichnet den Menschen gar als eine Art Zoo.[7] Der Mensch ist Teil dieser materiellen Welt oder Natur und diese Welt oder Natur ist Teil von ihm. Wir sind von Mikroorganismen wie Pilzen, Bakterien und Viren besiedelt. Wie Gabriel es ausdrückt: «Die Natur ist nicht nur ausserhalb von uns, sondern auch in uns.» Darum: «Wir sind somit in einem viel radikaleren Sinn Teil der Natur, als uns dies deutlich wird.»
Und doch ist der Mensch mehr als Materie. Ihn auf Materie zu reduzieren wäre eben eine Reduktion. Wie es der NZZ Artikel zu Mark Gabriel beschreibt: «So geht der Mensch in seinem verletzlichen Tierkörper, in seinen Genen oder in seinen Nervenzellen niemals ganz auf. Zwar hängen neuronale Prozesse und geistige Zustände zusammen, doch der Autor [gemeint ist Gabriel] besteht auf ihrer kategorialen Unterscheidung.» Gabriel sagt dazu:
Der Mensch existiert sozusagen an der Schnittstelle von Geist und Natur. Wir kennen beides und wissen gleichzeitig, dass wir beides nicht vollständig kennen.
Man könnte an der Stelle darüber nachsinnen, dass der Mensch, im Bilde Gottes geschaffen, eine immaterielle, geistige oder geistliche Dimension haben muss, da sein Schöpfer selbst immateriell ist: «Gott ist Geist». (Joh 4,24) Aber der Schöpfungsbericht beginnt hier nicht philosophisch abzudriften. Er beschreibt vielmehr ganz simpel, wie Gott mit dem Menschen kommuniziert. Und dieser Fakt fällt auf. Gott spricht sonst nur zu seiner Schöpfung – den Seekreaturen, Landratten und Vogelschwärmen – aber er spricht nicht mit ihnen.[8] Aber am sechsten Tag spricht Gott mit dem Menschen. Und später spricht der Mensch auch mit Gott (spätestens ab Gen 3). Was bedeutet das anderes, als dass Gott mit dem Menschen eine spezielle Gemeinschaft pflegt, eine einzigartige Freundschaft mit ihm eingeht. Die Sprachfähigkeit des Menschen wiederum erreicht ihren Höhepunkt in Poesie, einem Liebeslied – ganz am Anfang der Menschheitsgeschichte:
Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen. (Gen 2,23)

Das Geschenk der Ebenbildlichkeit
Theologen haben schon viel darüber diskutiert, worin die Ebenbildlichkeit des Menschen besteht. In welchen Aspekten seines Menschseins ist der Mensch ähnlich wie Gott? Was immer dieses Imago Dei genau beinhaltet (wir haben einige Facetten besprochen), es ist entscheidend zu sehen, dass es von Gott geschenkt ist. Watkin hält fest:
Adam und Eva wurden nach dem Bild Gottes geschaffen. Sie erreichen diesen Status nicht im Schweiße ihres Angesichts.[9]
Gottebenbildlichkeit ist eine Schöpfungsrealität und keine menschliche Errungenschaft. Vielleicht ist es gerade gut, dass der Schöpfungsbericht nicht detaillierter benennt, worin unsere Ebenbildlichkeit besteht, sondern betont, dass sie von Gott geschenkt wird. Denn sonst stünden wir in der Gefahr, uns selbst an irgendeiner menschlichen Eigenschaft zu messen. Aber was, wenn jemand diesen Test verfehlte? Sagen wir, Ebenbildlichkeit bestünde primär in der Rationalität des Menschen. Was wäre mit den Menschen mit Behinderung, deren rationale Kapazität nur eingeschränkt funktioniert? Oder mit Kindern? Oder mit älteren Menschen, die ihre Denkfähigkeit aufgrund einer Krankheit verlieren? Ich erinnere mich gut, als der Alzheimer meines Grossvaters in Schüben zunahm und er nicht mehr fähig war, sich klar und eben rational zu artikulieren. War er deswegen weniger Mensch? Watkins kritisiert zu Recht, dass wir Ebenbildlichkeit nicht einer hervorgehobenen menschlichen Eigenschaft zuschreiben sollten, weil wir sonst denen, die diese Eigenschaft nicht in ausreichendem Maß besitzen «kein Recht auf die Würde oder den Schutz, die das Menschsein bietet» geben.[10]

Zum Schluss: Was ist der Mensch? Er ist weniger und gleichzeitig ist er mehr!
Wir haben diesen Artikel mit der Frage gestartet, wer der Mensch ist. Selbstverständlich können wir diese Frage hier nicht abschliessend beantworten. Der biblische Schöpfungsbericht lehrt uns aber zwei elementare Dinge. Erstens, der Mensch ist mehr als er vielleicht denkt. Er ist «Gott ähnlich». Der Mensch ist mehr als eine biologische Maschine, die man manipulieren kann. Wir devaluieren den Menschen, wenn wir ihn als biologische Maschine definieren. Oder wie lebst du mit dem Gedanken, dass dein Partner oder deine Kinder biochemisch gesteuerte Automaten sind? Wie ordnest du deine Hingabe zu dieser Materie, dieser Ansammlung von Atomen ein, die du so liebst?
Gleichzeitig ist der Mensch weniger, als er manchmal denkt: Er ist nicht Gott. Er ist «nur» ein Abbild dieses Gottes, der ihn geschaffen hat. Er kreiert sich nicht selbst. Er lebt innerhalb eines Rahmens, den ihm sein Schöpfer gesteckt hat. Und seine Ebenbildlichkeit verdient er sich nicht – sie wird ihm geschenkt.
Es gibt wieder einmal zwei Seiten, um vom Pferd zu fallen. Christopher Watkin beschreibt es als zwei pathologische Entgleisungen des Menschseins: Wenn der Mensch entweder zu hoch oder zu niedrig von sich selbst denkt – und die Konsequenzen, die das eine oder andere mit sich bringen kann. Keiner brachte dies schöner zum Ausdruck als der christliche Denker Pascal in einem seiner Pensées:
Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht.[11]
Am Schluss landen wir am besten bei den Psalmen. Denn die Psalmen lehren uns beides – Demut und Hoffnung. Psalm 103 besagt: «Denn [Gott] weiss, was für Geschöpfe wir sind, er denkt daran, dass wir nur aus Staub gebildet wurden.» (Vers 14) Gleichzeitig hat Gott den Menschen «wenig niedriger gemacht als Gott selbst – und mit Ehre und Herrlichkeit hat er ihn gekrönt.» (Psalm 8,6) Beides ist so wichtig für unser Menschsein – halten wir beides zusammen.
[1] Martin Heidegger, Sein und Zeit.
[2] John Locke, An Essay concerning Human Understanding, Seite 4, meine Übersetzung.
[3] Charles Darwin, The Descent of Man, Seite 151. Meine Übersetzung
[4] https://experiencelife.lifetime.life/article/emotional-biochemistry/
[5] Christopher Watkins, Biblical Critical Theory: How the Bible’s Unfolding Story Makes Sense of Modern Life and Culture, Seite 98.
[6] Biblical Critical Theory, Seite 84.
[7] https://www.nzz.ch/feuilleton/sind-menschen-tiere-das-sagt-der-philosoph-markus-gabriel-ld.1779461
[8] Auch diesen Gedanken verdanke ich Watkin, Seite 85.
[9] Biblical Critical Theory, Seite 88.
[10] Biblical Critical Theory, Seite 88.
[11] Blaise Pascal, Pensées VI, 358.
Bilder: Peter Bruderer
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