Wie kann man nur an einen zornigen Gott glauben? (1/2)

Lesezeit: 6 Minuten
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by Marcel Eversberg | 10. Jan. 2021 | 5 comments

Wer heutzu­tage über Gott ins Gespräch kom­men will (siehe den Artikel Wie sollen wir heute über Jesus reden?), wird kaum mit dem Zorn Gottes punk­ten kön­nen. Selb­st viele Chris­ten stören sich an den bru­tal­en Stellen der Bibel mit Gott als dem Pro­tag­o­nis­ten. Wie kön­nen wir den Zorn Gottes verstehen?

Der Athe­ist Richard Dawkins liefert mit dem fol­gen­den Zitat eine steile Vor­lage zum Thema:

„Der Gott des Alten Tes­ta­ments ist… die unan­genehm­ste Gestalt in der gesamten Lit­er­atur: Er ist eifer­süchtig und auch noch stolz darauf; ein klein­lich­er, ungerechter, nach­tra­gen­der Überwachungs­fa­natik­er; ein rach­süchtiger, blutrün­stiger eth­nis­ch­er Säu­ber­er; ein frauen­feindlich­er, homo­phober, ras­sis­tis­ch­er, Kinder und Völk­er mor­den­der, ekliger, grössen­wahnsin­niger, sado­masochis­tis­ch­er, lau­nisch-boshafter Tyrann.”[1]

Was haben Chris­ten dem zu entgegnen?


The Great Day of His Wrath, Öl auf Lein­wand, John Mar­tin, 1851–1853

‚Zorn‘ allgemein

In unserem Sprachge­brauch sehen wir ‚Zorn‘ als neg­a­tiv an. Denn wir assozi­ieren damit unkon­trol­lierte Wut, Aggres­siv­ität, Jäh­zorn, Willkür, Grausamkeit etc. Welch­er gläu­bige Men­sch will diese Begriffe schon mit seinem Gott in Verbindung brin­gen? Kein­er. Das ist jedoch gar nicht nötig, wie James I. Pack­er in seinem Buch Gott erken­nen dar­legt. Was wir mit ‚Zorn‘ verbinden, passt tat­säch­lich in vie­len Fällen nicht zu Gott. Pack­er definiert den Zorn Gottes als „…ein gerecht­es und notwendi­ges Vorge­hen gegen wirk­lich vorhan­dene Übel. Gott ist nur dann zornig, wenn sein Zorn nötig ist.“ [2]

Somit entste­ht ein anderes Bild. Gott wird fol­glich nicht von sinnlos­er Wut gepackt, woraufhin er die Beherrschung ver­liert. Was Gott in der Bibel beispiel­sweise wütend wer­den lässt, ist men­schliche Ungerechtigkeit oder Göt­ter­verehrung gepaart mit grausamen Men­schenopfern. Gott wird dem­nach zornig, weil wir Men­schen ihm nicht egal sind. Er zuckt nicht mit den Schul­tern, wenn Men­schen Unrecht tun und andere darunter lei­den. Das Gle­iche ken­nen wir aus unser­er eige­nen Erfahrung. Wenn ein guter Fre­und abschätzig behan­delt wird, lässt uns das nicht kalt. Unser Ärg­er oder sog­ar unser Zorn sollte sog­ar geweckt wer­den, wenn wir Zeuge von Ungerechtigkeit wer­den. Wir kön­nen sog­ar soweit gehen und sagen, dass es manch­mal falsch wäre, angesichts mas­siv­er Ungerechtigkeit keinen Zorn zu empfind­en. Bei Gott ist es ähnlich.

AT gegen NT?

Nicht zielführend ist das Argu­ment: „Von Gottes Zorn spricht lediglich das Alte Tes­ta­ment. Im Neuen Tes­ta­ment begeg­net uns Gott in seinem wahren Charak­ter voller Liebe.“ Zugegeben: Über­legt man sich als einiger­massen mit der Bibel Ver­trauter „Wie viele Strafen Gottes im AT fall­en mir ein? Und im NT?“ Dann schnei­det sicher­lich das AT „grausamer“ ab durch bekan­nte Ereignisse wie: Sint­flut, Sodom und Gomor­ra, 10 Pla­gen, Eroberung Kanaans etc. Tat­säch­lich ist nur in einem einzi­gen Buch des AT mit keinem Wort von Gewalt die Rede, näm­lich im Buch Ruth! Das NT ist dage­gen bekan­nt für die Men­schen­liebe und sog­ar Fein­desliebe von Jesus Christus.

Doch: Sowohl im Alten als auch im Neuen Tes­ta­ment ist ein­deutig die Rede von Gottes Zorn, siehe z. B. 5.Mo 29,27; Jes 5,25; Mk 3,5; Rö 1,18. Jesus selb­st ist der­jenige, der sich expliz­it wie kein andere zu The­men wie Gottes Gericht, Hölle etc. äussert (Mt 24,45ff). Zudem ist in bei­den Bibel­teilen gle­icher­massen von Gottes Güte und Barmherzigkeit die Rede (z.B. Ps 103,8; Jona 4,2; Lk 6,36; Jak 1,17). Das NT kann dem­nach nicht gegen das AT aus­ge­spielt wer­den. Der Charak­ter Gottes entwick­elte sich nicht von einem gewalt­täti­gen hin zu einem liebevollen. Denn Gott ist zu allen Zeit­en der Gle­iche und das auf kon­stant höch­stem moralis­chem Niveau.

Gottes Eigenschaften

Trotz­dem bleibt bei dem Gedanken an Gottes Zorn ein fad­er Beigeschmack, oder? Die Bibel nen­nt  ‚Zorn‘ als eine von Gottes Eigen­schaften. Nicht die Einzige und nicht die Wichtig­ste. Keine Bibel­stelle sagt „Gott = Zorn.“ Aber sehr wohl „Gott = Liebe“ (1Joh 4,8). Daher gilt es, Gottes Zorn in Verbindung zu brin­gen mit seinen anderen Eigen­schaften. Er offen­bart uns in der Bibel u.a. seine Liebe, Geduld, Gnade, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Sou­veränität. Damit soll Gottes Zorn nicht ver­harm­lost, son­dern ins rechte Licht gerückt wer­den. Die fol­gen­den Stellen zeigen genau dies auf:

  • Ps 30,6 Denn sein Zorn währet einen Augen­blick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Mor­gens ist Freude.
  • Ps 78,38 Er aber war barmherzig und ver­gab die Schuld und ver­til­gte sie nicht und wandte oft seinen Zorn ab und ließ nicht seinen ganzen Grimm an ihnen aus.

Der Yale Pro­fes­sor Miroslav Volf – sel­ber Zeitzeuge des Balkankrieges – schreibt dazu:

„Früher dachte ich, dass Zorn eines Gottes unwürdig sei. Ist Gott nicht Liebe? Sollte göt­tliche Liebe nicht über Zorn erhaben sein? Gott ist Liebe und Gott liebt jeden Men­schen und jedes Geschöpf. Ger­ade deshalb ist Gott auf manche von ihnen zornig. Mein let­zter Wider­stand gegenüber dem Gedanken an Gottes Zorn fiel angesichts der Opfer­zahlen des Krieges im ehe­ma­li­gen Jugoslaw­ien, der Region aus der ich stamme. Gemäss einiger Schätzun­gen wur­den 200’000 Men­schen getötet und 3’000’000 ver­trieben. Meine Dör­fer und Städte wur­den zer­stört, mein Volk Tag und Nacht bom­bardiert, einige von ihnen unvorstell­bar bru­tal behan­delt und ich kon­nte mir nicht vorstellen, dass Gott darüber nicht wütend war. Oder denken Sie an Ruan­da im let­zten Jahrzehnt des ver­gan­genen Jahrhun­derts, wo 800’000 Men­schen in 100 Tagen zu Tode gehackt wur­den! Wie hat Gott auf dieses Gemet­zel reagiert? Hat er die Täter wie ein Gross­vater ver­hätschelt? Indem er sich weigerte, das Blut­bad zu verurteilen, son­dern die gute Seele der Täter her­ausstellte? War Gott nicht aus­ge­sprochen zornig auf sie? Obwohl ich mich früher beschw­erte, wie unpassend der Gedanke von Gottes Zorn war, erkan­nte ich nun, dass ich gegen einen Gott rebel­lieren müsste, der angesichts des Bösen in der Welt nicht zornig wäre. Gott ist nicht zornig trotz sein­er Liebe. Er ist zornig wegen sein­er Liebe.”[3] (eigene Übersetzung)

Bemerkenswert ist noch, dass im NT die Strafen Gottes aus dem AT nicht ver­schwiegen wer­den. Jesus selb­st bezieht sich selb­stver­ständlich darauf, ohne sich pein­lich berührt davon zu dis­tanzieren (z. B. die Sin­flut in Mt 24,38f oder Sodom und Gomor­ra in Mt 10,15). Ein­drück­lich ist eben­falls die Schilderung von Gottes Zorn in der Offen­barung. In seinem Zorn auf die men­schliche Sünde spricht Gott Strafen aus und wird dafür von den Gläu­bi­gen nicht verurteilt, son­dern ange­betet, Offb 11,15ff.

Jesus und Gottes Zorn

Somit rastet Gott nicht aus und schlägt willkür­lich drein. Vielmehr ist sein Zorn eine Reak­tion auf unser men­schlich­es Fehlver­hal­ten, welche von seinem Sinn für Gerechtigkeit geweckt wird. Die gute Nachricht der Bibel ist jedoch, dass Gottes Zorn auf seinen Sohn Jesus „umgeleit­et“ wird. Jesus Chris­tus lebte als Einziger ein ein­wand­freies Leben. Doch opferte er sich stel­lvertre­tend für uns Men­schen. Damit wir straf­frei davonkom­men kön­nen, wenn wir ihm glauben.

Denn Gott hat uns nicht für den Zorn und das Gericht bes­timmt, son­dern zur Ret­tung durch unseren Her­rn Jesus Chris­tus. (1Thess 5,9 Hfa)

Auch wenn das The­ma des Zornes Gottes kein bequemes ist, so hat seine Aus­blendung doch drama­tis­che Fol­gen. Rein­hold Niebuhr for­mulierte es fol­gen­der­massen (The King­dom of God in Amer­i­ca, S. 193, eigene Über­set­zung): „Ein Gott ohne Zorn brachte Men­schen ohne Sünde in ein Kön­i­gre­ich ohne Gericht durch den Dienst eines Chris­tus ohne Kreuz.“

Gottes Zorn und wir

Auch wenn einige Fra­gen rund um den Zorn Gottes offen bleiben, so bleibt festzuhal­ten: Gottes Zorn ist immer gerecht­fer­tigt. Er richtet sich gegen men­schlich­es Fehlver­hal­ten. Dadurch brin­gen wir Men­schen uns sel­ber in Gefahr. Denn wir wer­den uns ein­mal vor Gott ver­ant­worten müssen. Dann wird die Frage sein, ob sich Gottes Zorn gegen uns wen­det (Rö 2,5f) oder nicht (Rö 5,8). Wer an Jesus Chris­tus glaubt, hat nichts zu befürcht­en. Fördern wir bei uns selb­st und anderen kein ein­seit­iges Bild von Gott! Er ist nicht nur Liebe, son­dern besitzt zahlre­iche weit­ere Eigenschaften.

Im Artikel näch­ste Woche beleucht­en wir das The­ma anhand des konkreten Beispiels von Gottes Befehl im AT, die Kanaan­iter zu vernichten.

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[1] Richard Dawkins, Der Gotteswahn, S. 45.
[2] J. I. Pack­er, Gott erken­nen, S. 138.
[3] Zitiert bei Paul Copan, Is God a moral Mon­ster? S. 225.

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Marcel Eversberg

Marcel Eversberg (*1979) hatte die ersten 26 Lebensjahre einen langen Aufenthalt in Deutschland und studierte dort Theologie. Seit 2015 arbeitet er als Pastor in der Chrischona Zürich. Daneben liebt er Sport, sowohl aktiv (Joggen), als auch passiv (Basketball). Er lebt mit seiner Frau und den beiden Kids in Zürich.

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Kommentare zu diesen Beitrag

5 Comments

  1. Gast

    Stimmt! Es gibt Bibel­stellen in denen geschrieben ste­ht das Gott seine Gnade schenkt (also erret­tet) wen er will. Fol­glich muss (mein­er Mei­n­ung nach) der Zorn Gottes existieren.
    Er bet­rifft Men­schen die in ihren Sün­den sterben.

    Reply
    • Marcel Eversberg

      Danke für dein Statement!

      Reply
  2. Wolfgang Ackerknecht

    Danke. Sofern diese Men­schen vom Evan­geli­um gehört haben, kön­nen auch sie aus ihrem Kreis­lauf aus­brechen und ihrem Leben eine Wende geben. Äusser­lich vielle­icht (noch) arm, aber geistlich reich.

    Reply
  3. Wolfgang Ackerknecht

    Die Frage von Gottes Zorn muss im grossen Zusam­men­hang gese­hen wer­den. Man ver­ste­ht sie nur mit dem Ja zu Gott als Schöpfer/Lebensspender. Vieles hat mit Fluch und Segen zu tun (ein wichtiger Punkt der Hau­sor­d­nung). Bin ges­pan­nt auf den 2.Teil.
    Eine Frage, die mich auf­grund von kür­zlich gele­se­nen Mei­n­un­gen beschäftigt: Warum lei­den bei grösseren Krisen oft­mals die Schwäch­sten am meis­ten darunter?

    Reply
    • Marcel E

      Die Schwäch­sten ein­er Gesellschaft leben oft­mals in “nor­malen Zeit­en” schon in insta­bilen Ver­hält­nis­sen (gesund­heitlich, wirtschaftlich…). Bei ein­er Krise sind sie darum beson­ders schnell gefährdet. Darum warnt die Bibel vor Aus­beu­tung der Schwachen (Witwen, Waisen u.a.) und stellt sie unter beson­deren Schutz.

      Reply

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