Wenn Gott seine Hände im Spiel hat

Lesezeit: 6 Minuten
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by Peter Bruderer | 27. Dez. 2020 | 2 comments

Es lohnt sich, unser Ver­trauen in Gott zu set­zen — auch wenn unsere gut­ge­mein­ten Pläne durchkreuzt wer­den, unsere Treue nicht belohnt wird und sich die Zufälle des Lebens schein­bar gegen uns ver­schworen haben. 

Durchkreuzte Pläne. So haben wohl viele das ver­gan­gene Jahr erlebt. Ferien­pläne wur­den durchkreuzt, geplante Pro­jek­te mussten ver­schoben oder abge­sagt wer­den, bud­getierte Ein­nah­men lösten sich in Luft auf. Was für die einen durchkreuzte Pläne waren, erlebten andere als glück­liche Zufälle oder gar göt­tliche Fügung. Der Online-Han­del blüht. Gewisse Pro­duk­tion­sseg­mente erleben eine noch nie dagewe­sene Nach­frage. Während einige Wirtschafts­branchen exis­ten­tielle Bedro­hung erleben, sehen Umweltschützer und Futur­is­ten die Welt über die Schwelle in ein neues Zeital­ter geschoben mit der Chance eines ein­ma­li­gen ‘Reset’.

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Durchkreuzte Pläne, bestrafte Treue, eigenartige Zufälle

Ähn­lich tur­bu­lent geht es vor eini­gen Jahrtausenden in der Geschichte der alttes­ta­mentlichen Fig­ur Josef zu und her. Der ver­wöh­nte Sohn von Jakob hat hochtra­bende Träume bezüglich sein­er Zukun­ft (Gen 37:3–8). Doch seine Brüder haben andere Pläne. Sie ner­ven sich über Josefs Allüren und die offen­sichtliche Bevorzu­gung durch ihren Vater. Mord­pläne wer­den geschmiedet, Josef wird zwis­chen­zeitlich in einen trock­e­nen Brun­nen gewor­fen und schlussendlich ismaelitis­chen Händlern verkauft, welche zufäl­liger­weise am Ort des Geschehens vor­beikom­men (Gen 37:18–28).

Die Geschichte von Josef kann als Aneinan­der­rei­hung von eige­nar­ti­gen Zufällen gele­sen wer­den, welche kein­er­lei Logik fol­gen. Was für den einen durchkreuzte Pläne und Hoff­nun­gen sind, erleben andere als glück­liche Fügung. Boshaftigkeit scheint bisweilen belohnt zu wer­den. Recht­es Han­deln schützt nicht vor Schick­salss­chlä­gen. Im Gegen­teil. Als Josef Sklave in Ägyten ist, bringt ihm seine Weigerung, auf die Avan­cen der Frau seines Besitzers einzuge­hen, eine kon­stru­ierte ‘Me-Too’ Sto­ry ein, welche ihn direkt ins Gefäng­nis befördert (Gen 39:7–20). Dabei wäre diese kleine Affäre gar nicht so ver­w­er­flich gewe­sen. Poti­fars Frau wollte sich gerne etwas gön­nen: Sex mit diesem attrak­tiv­en jun­gen Mann. Doch Josef, dieser sture und prinzip­i­en­vers­essene Jungge­selle, ver­weigert sich dieser ‘mod­er­nen’, ‘respek­tvollen’, poten­tiell ‘ein­vernehm­lichen’ Liebes-Transak­tion. Er lan­det dafür im Gefängnis.

Da wen­det sich wiederum das Blatt. Rein zufäl­liger­weise sitzt auch der Mund­schenk des Pharao im Gefäng­nis. Josef deutet ihm einen Traum. Der Mund­schenk wird freige­lassen und bekommt seinen Job wieder. Irgend­wann braucht auch der Pharao einen Traumdeuter. Rein zufäl­liger­weise hat sein Mund­schenk eine inter­es­sante Con­nec­tion. So wird Josef aus dem Gefäng­nis ins ober­ste Kad­er des ägyp­tis­chen Reich­es befördert und wird mit dreis­sig Jahren zum Mas­ter­mind hin­ter der Ägyp­tis­chen Ver­sorgungssta­bil­ität (Gen 41:46). Als sich eine Hunger­snot bre­it macht, zieht eben diese Ver­sorgungssta­bil­ität Joseph’s Brüder nach Ägypten. Dort kommt es zum sur­realen Zusam­men­tr­e­f­fen zwis­chen Josef und seinen Brüdern, welche ihm den Tod gewün­scht und in die Sklaverei verkauft hat­ten. Prompt gehen damit die Träume in Erfül­lung, die am Anfang der Josefs-Geschichte ste­hen: Seine Brüder ver­beu­gen sich vor ihm, einem der mächtig­sten Män­ner Ägyptens (Gen 42:6).

Was für eine einzi­gar­tige Ver­ket­tung von Ereignis­sen, welche das Über­leben der ganzen Fam­i­lie Josefs in Ägypten sich­er­stellt! Mit­ge­spielt haben Neid und böse Absicht­en (die Brüder von Josef), Zurück­hal­tung auf­grund von Gewis­sens­bis­sen (Ruben), schein­bare Zufälle (die ismaelitis­che Kar­a­vane, das Zusam­men­tr­e­f­fen im Gefäng­nis), sex­uelle Begierde, Keuschheit, ungerecht­fer­tigte Kon­se­quen­zen (Josefs Bestra­fung als ‘Sex­u­al­straftäter’), vorauss­chauen­des Han­deln (Josefs Ernährungsstrate­gie), gnädi­ge Nach­sicht (Josef gegenüber seinen Brüdern) und noch mehr.

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Gott hat seine Hände im Spiel

Das bib­lis­che Zeug­nis macht klar, dass das Ergeb­nis dieser Ver­ket­tung von men­schlichen Entschei­dun­gen und Zufällen einen grossen, unsicht­baren Mit­spiel­er hat. Als nach dem Ableben ihres Vaters Jakob die Brüder Josefs erneut von der Angst gepackt wer­den und meinen, ihre let­zte Stunde habe geschla­gen, zieht Josef sel­ber gnädig Bilanz:

«Fürchtet euch nicht! Ste­he ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jet­zt am Tage ist, näm­lich am Leben zu erhal­ten ein großes Volk.» (Gen 50:19–20)

Men­schen han­deln mit Absicht. Gott auch.
Men­schen ver­fol­gen ihre Ziele. Gott auch.
Sehen wir es?

Viele Men­schen tick­en wie die Brüder von Josef. Sie lesen Ereignisse nur vorder­gründig und erstellen ihre Prog­nosen aus den offen­sichtlichen Tat­sachen und ihren wahrschein­lich­sten Imp­lika­tio­nen. Der Tod ihres Vaters bedeutete für sie Angst. Angst, dass damit ihr Schutz ver­loren war und Josef sich nun doch an ihnen rächen würde. Sie waren Gefan­gene ihrer ver­gan­genen Entschei­dun­gen und Tat­en und lebten deshalb in Erwartung der entsprechen­den logis­chen Kon­se­quen­zen. Doch Josef war durch seine per­sön­lichen Schick­salss­chläge und die ver­rück­ten Ereignisse des Lebens hin­weg zu ein­er anderen Per­spek­tive auf die Real­ität durchge­drun­gen. Er sah hin­ter die Kulisse der offen­sichtlichen Ereignisse und erkan­nte, dass Gott am Werk ist. Selb­st die schw­eren und unver­ständlichen Ereignisse des Lebens sah er im Lichte seines guten Lenkens. Das war auch die Basis dafür, dass er seinen Brüdern vergeben kon­nte. Er, der ein­mal Sklave war, war frei. Sie, die immer frei gewe­sen waren, waren Sklaven ihrer Angst und Schuld. Der Unter­schied zwis­chen bei­den? Der eine sah Gott hin­ter den Ereignis­sen am Wirken, die anderen nicht.

Viele Men­schen empfind­en es als Wider­spruch, dass sowohl der Men­sch als auch Gott gle­ichzeit­ig wil­lentlich han­del­nde Sub­jek­te sein kön­nen. Müsste das nicht heis­sen, das jew­eils der Eine durch den Anderen dabei behin­dert oder eingeschränkt wird?

Einige mod­erne the­ol­o­gis­che Strö­mungen lösen diese Span­nun­gen zwis­chen Han­deln Gottes und Han­deln der Men­schen gerne auf, indem sie Abstriche machen an der Idee, dass Gott sou­verän in die Geschichte der Men­schheit ein­wirkt und zu seinen Zie­len kommt. Sie zeich­nen Gott als einen, der nicht mehr ins Geschehen der Welt ein­greifen kann oder will (Deis­mus), nur begren­zte Wirk-Möglichkeit­en hat (offen­er The­is­mus), ganz oder teil­weise in der Natur oder im men­schlichen (Zeit-)Geist aufge­gan­gen ist (Pan­the­is­mus, Panen­the­is­mus, Human­is­mus), oder in ein­er evo­lu­tionären Co-Abhängigkeit mit der Schöp­fung ste­ht, welche ihn sel­ber formt und gestal­tet (Prozess­the­olo­gie).

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich solchen Sichtweisen kri­tisch, in gewis­sen Fällen gar in stur­er Ver­weigerung  gegenüber­ste­he. An dieser Stelle fehlt auch der Platz, um auf die ver­schiede­nen The­o­rien einzuge­hen, welche gle­ichzeit­iges men­schlich­es und göt­tlich­es Han­deln zu erk­lären ver­suchen. Ich möchte ein­fach fes­thal­ten: Der Gott, der mir in den Geschicht­en der Bibel begeg­net, ist ein aktiv­er und han­del­nder Gott, der auch auf ‘krum­men Lin­ien ger­ade zu schreiben ver­mag’. Er kann sog­ar böse men­schliche Absicht­en und Hand­lun­gen für seine guten Pläne ver­w­erten. Für ihn scheint es ein Kleines, auch durch unsere wil­lentlichen Hand­lun­gen seine eige­nen Ziele zu ver­fol­gen. Für ihn scheint es kein Prob­lem, über der Entwick­lung der Men­scheits­geschichte zu wachen, während er gle­ichzeit­ig die Integrität des men­schlichen Wil­lens ermöglicht, aufrecht erhält und sog­ar schützt. Der Gott der Bibel kann das.

Es mag sein, dass sich für uns vieles erst in der Rückschau klärt. Und es ist wohl so, dass selb­st am Ende des Lebens unbeant­wortete Fra­gen bleiben. Auch dann dür­fen wir im Ver­trauen auf Gott Frieden haben, wie Josef ihn gefun­den hat. Ja, ich ver­mute dass im richti­gen Blick auf Gott und seine Möglichkeit­en ein tief­eres Geheim­nis der Verge­bung und des Friedens liegt. Wer um Gottes Wirk­mächtigkeit weiss, hat berechtigten Grund zur Hoff­nung, muss nicht immer selb­st für Recht sor­gen und ent­deckt im Schutt der eige­nen Lebens­frag­mente Gottes wun­der­schönes gestal­tendes Wirken. Wer seinen Blick auf das richtet, was Gott am Gestal­ten ist, wird selb­st mitwirken wollen, und wird von Gott sog­ar aktiv eingespannt.

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Ein Hirntumor bahnt den Weg

Auch meine Fam­i­lie erlebte vor 35 Jahren wie Pläne und Zukun­ftsvi­sio­nen durchkreuzt wur­den. Schon viele Jahre hat­ten meine Eltern als Pio­nier­mis­sion­are diverse Pro­jek­te im afrikanis­chen Dji­bouti aufge­baut. Aus heit­erem Him­mel zwan­gen uns epilep­tis­che Anfälle meines Vater, für Abklärun­gen in die Schweiz zu reisen. Ein Hirn­tu­mor wurde fest­gestellt. Auf die erste Hirn­op­er­a­tion fol­gte auf­grund von Nach­blu­tun­gen die Zweite, dann eine Lun­gen-Embolie. Die Rück­kehr in die afrikanis­che Heimat musste nach weni­gen Monat­en abge­brochen wer­den, weil Vati’s Kör­p­er das heiss-feuchte Kli­ma nicht mehr vertrug. Das aben­teuer­liche Leben der Pio­niere kam zu einem abrupten Ende. Die Papageien wur­den ver­schenkt. Die Kof­fer endgültig gepackt. Der Pio­nier wurde zum Schweiz­er Heimat­sekretär der Mis­sion: Newslet­ter ver­fassen, Mis­sion­s­stand betreuen, Predigt­di­en­ste hal­ten, Geld auftreiben. Alles, nur nicht Abenteuer.

Auch für meinen Brud­er Paul und mich war dieser biografis­che Ein­schnitt ein­schnei­dend und unge­plant. Man hätte dur­chaus bilanzieren kön­nen, dass das Schick­sal es ‘böse’ mit unser­er Fam­i­lie meinte. Doch heute blick­en wir alle gemein­sam zurück und wis­sen: Gott hat­te auch im Schw­eren gute Pläne. Die Glauben­skrise von Paul hat­te zu diesem Zeit­punkt bere­its ein grösseres Aus­mass angenom­men. In der Schweiz erlebte er die liebevolle Begleitung sein­er lokalen Chrischona Gemeinde, die ihm auf dem Weg zurück zum Glauben half. Ob das in Afri­ka so gut ver­laufen wäre? Wie auch immer: Der Umzug in die Schweiz kam für ihn goldrichtig.

Wenn in diesen Tagen unsere Visio­nen durchkreuzt wer­den und unsere Treue zu Gott sich nicht so auszahlt, wie wir es uns vorstellen — dann lass uns Gott nicht kleinre­den. Gott ist am Wirken. Er ist wed­er plan­los noch kraft­los. Wie Gott am Wirken ist, bleibt immer wieder geheimnisvoll. Dass er am Wirken ist, ist die Gewis­sheit sein­er Kinder. Aus dieser Gewis­sheit her­aus wächst ihnen Friede im Stre­it, Gelassen­heit in der Ungewis­sheit, Trost in der Trauer, ewige Hoff­nung im Angesicht men­schlich­er Vergänglichkeit, Zuver­sicht für jeden neuen Tag, Geduld und Gnade für andere Menschen.

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Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

2 Comments

  1. Markus Alder

    Danke dafür! Ja, auf diesen Gott möchte ich mein ganzes Leben aus­richt­en. Ich glaube und habe keinen Zweifel daran, dass ER abso­lut sou­verän ist und ihm auch in der heuti­gen, tur­bu­len­ten Zeit und in alle Zukun­ft nichts, abso­lut nichts ent­gleit­et. Auf IHN baue ich mein ganzes Ver­trauen und weiss, dass dieser Glaube mir auch in grössten Stur­mzeit­en Halt und Ori­en­tierung ist. Da schliesse ich mich dir ganz an. Ich möchte ihn nicht klein reden, im Gegen­teil, ich möchte GROSS von IHM reden und bin mir dabei bewusst, dass ich mit men­schlichen Worten nie aussprechen kann, wie gross ER wirk­lich ist.
    Bei Josef beein­druckt mich, dass er trotz diesen schw­eren Schick­salss­chlä­gen nie ver­bit­tert wurde. Dabei hätte es dazu ganz viel Poten­tial gehabt. Begin­nend nur schon bei sein­er Fam­i­lie, wo er aufwuchs. Seine Brüder has­sten ihn, weswe­gen sie ihn töten woll­ten bzw. am Ende als Sklave nach Ägypten verkauften, um ihm nie wieder begeg­nen zu müssen… Wer hätte da nicht Ver­ständ­nis, wenn bei Josef Groll & Ver­bit­terung gewach­sen wäre. Dass er, nach­dem eine lange Zeit dazwis­chen lag, seinen Brüdern mit einem offen­sichtlich tiefen inneren Frieden begeg­nen kon­nte, beein­druckt mich. Wie du sagst, er hat­te offen­sichtlich in sein­er Beziehung zu Gott Halt, Ori­en­tierung und einen tiefen Frieden gefun­den, weshalb Ver­bit­terung keinen Platz hatte.

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  2. Markus Widounig

    Hal­lo Peter, vie­len Dank ist sehr ermutigend.
    Wir wollen weit­er ver­trauen auf unseren Ret­ter und wir dür­fen gross­es wirken erwarten

    Reply

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