Mit “After Evangelicalism” legt David P. Gushee seinen umfassenden Plan vor, wie Christen aus dem Labyrinth des “Evangelikalismus” rauskommen könn(t)en. Leider reduziert er die evangelikale Christenheit auf eine ‘christliche, politische Rechte’, was zu einer irreführenden Karikatur einer weltweiten Bewegung verkommt. Die mitunter berechtigten Anliegen des Buches werden dadurch leider auch in Mitleidenschaft gezogen. Für mich als “Evangelikaler” stellt sich durch Gushee’s Buch die Frage nach dem Umgang mit dem Label “evangelikal” und der damit verbundenen Theologie.
Mit dramatischen Worten startet David P. Gushee in sein neues Buch After Evangelicalism. The Path to a new Christianity (August 2020):
“Dies ist ein Buch für Menschen, die früher einmal “Evangelikale” waren, und jetzt post-Evangelikale oder ex-Evangelikale oder #exvangalicals sind, oder irgendwo schmerzhaft dazwischen. Ich bin einer von ihnen. Einer von euch. Allein schon in den USA gibt es Millionen von uns” (Kindle Position 241).
Gushee ist im deutschsprachigen Raum kein unbeschriebenes Blatt. Sein Buch “Changing our mind” sorgte 2014 für Aufsehen. Es prägte Denkprozesse einiger meiner Freunde, welche traditionelle Ansichten im Themenbereich Sexualmoral / LGTBQ hinterfragen wollten. Damals beschrieb Gushee, wie er als konservativer, evangelikaler Professor für Ethik seine Meinung über die Aufnahme von LGTBQ Menschen in christlichen Gemeinden geändert hat.
Gushee’s neustes Buch wird bereits im deutschsprachigen Raum in den sozialen Medien diskutiert. Die politischen Entwicklungen rund um den US-Präsidenten Donald Trump beeinflussen die Christen bis zu uns. Seine Bewirtschaftung evangelikaler Christen als wichtige Wählergruppe führt auch in unseren Breitengraden dazu, dass Leute sich öffentlich vom Label “evangelikal” lossagen. Hashtags wie #exvangelical oder #notmyjesus machen die Runde. Mit seinem aktuell nur auf englisch zu lesenden Buch After Evangelicalism stimmt auch Gushee in den Chor dieser Stimmen ein. Bereits 2017 hatte er öffentlich mit dem «Evangelikalismus» gebrochen. Nun möchte er zeigen, wohin die Reise gehen könnte: in einen “christlichen Humanismus”. Fromme Christen sollten beim Begriff “Humanismus” nicht vorschnell urteilen., sondern sich die Zeit nehmen zu erfahren, was Gushee damit meint.
Dieses Buch hat mich innerlich umgetrieben. Deshalb ist dieser Text weniger eine klassische Rezension mit Überblick über die Inhalte eines Buches. Ich schreibe als persönlich vom Thema betroffener Christ. Ich reflektiere über aktuelle Spannungen in der westlichen Christenheit und über die zunehmend feindselige Grundstimmung, welche sich auch in kirchlichen Kreisen gegenüber der evangelikalen Bewegung breitmacht. Für nicht Eingeweihte ist deshalb ein kleiner Exkurs zu diesem Begriff wichtig.
Evangelikalismus
Der deutsche Wikipedia Eintrag gibt einen schnellen, aber auch ausführlichen Einblick, was “Evangelikalismus” ist. Ich empfehle, ihn zu lesen und wage hier meine eigene Kurzfassung. In den 1950-er und 1960-er Jahren nutzte eine Gruppe von Theologen den Begriff “evangelikal”, um sich abzugrenzen gegenüber dem protestantischen Fundamentalismus. Ihr Anliegen war es, Dinge zu betonen, welche die damaligen Fundamentalisten nicht taten, insbesondere soziales Engagement. Sie wollten auch dialog- und konsensfähiger sein, also eine grosse ‘Mitte’ der Christen ansprechen. Gleichzeitig war ihnen wichtig, theologisch nicht ins “liberale” Lager zu wechseln, welches bis dahin stärker dafür bekannt war, soziale Anliegen zu fördern.
Die evangelikale Bewegung war kein eigener christlicher Kirchenverband. Vielmehr waren es bestimmte Merkmale, die betont wurden, wie zum Beispiel die persönliche Entscheidung für Jesus, die Autorität der Bibel in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung und weltweite Mission. Deshalb konnten Christen aus allen möglichen kirchlichen Hintergründen sagen, dass sie «evangelikal» sind. Mein Eindruck ist, dass die Evangelikalen theologisch auf demselben Boden blieben wie die protestantischen Fundamentalisten, aber sie fanden auf diesem Boden theologischen Spielraum, um in diversen Belangen beweglicher — und ja — “progressiver” — zu sein.
Die Evangelikalen sind keine marginale oder auf die USA begrenzte Bewegung, sondern vereint über 600 Millionen Christen weltweit, über die Grenzen von Kulturen oder Hautfarbe hinweg. Von Anfang an wurden verschiedene Meinungen vertreten, zum Beispiel in sozialen und politischen Fragen. Es war deshalb schon immer schwierig «DEN Evangelikalismus» detailliert zu definieren. Doch es gab von Anfang an einen grösseren Flügel, der ein ganzheitliches Verständnis des Reich Gottes betonte. In meinem Studium am All Nations College in den 1990-er Jahren waren einige meiner Professoren prägende Theologen der evangelikalen Bewegung. Dazu gehörte René Padilla aus Argentinien, dessen Unterricht mich tief geprägt hat, oder John Stott und Chris Wright. Dieses ganzheitliche Verständnis des Evangeliums führte dazu, dass heute in vielen evangelikal geprägten Kirchen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Ökonomie und auch Ökologie als Teil des Auftrags der Kirche gesehen werden.
All Nations Christian College, ca. 1999, Paul Bruderer (3. v. l.) mit René Padilla (5. v. l.) und weiteren Studenten.
Die aktuell grösste Sünde: ‘evangelikal’
Hier fängt – ich gebe es zu – mein Frust mit Gushee an. Aber nicht nur mit ihm. Was ich am Beispiel von Gushee beschreibe, ist symptomatisch für etwas, was ich zunehmend beobachte: eine Karikierung evangelikaler Christen, welche einer Stigmatisierung gleichkommt!
Gushee macht keinen Hehl daraus, dass er im Prinzip von allen christlichen Traditionen lernen kann, ausser von Evangelikalen. Von den Evangelikalen kann Gushee schon etwas lernen: Wie man es ja nicht machen soll. Er lässt «Evangelikalen» nicht den Hauch einer Chance. Einige Beispiele sollen dies illustrieren.
Evangelikale Theologie soll beispielsweise in aller Welt Verfolgung bewirken. Die Identität der Übersetzer seines Buches Changing our mind in die Swahili Sprache müsse geheim gehalten werden. Der Grund:
Das grosse Leiden von LGTBQ Menschen in Afrika ist teilweise verursacht durch fundamentalistischen evangelikalen Fanatismus. (Kindle Position 417).
Wenn das wahr ist, müssten Evangelikale die ersten sein, die sich gegen so etwas erheben! Gushee zeichnet evangelikale Pastoren als unmenschliche Quäler, weil sie ihre Bibel und Theologie höher als die Menschen achten:
Erfahrung ist eine der zuverlässigsten Wege, wie wir Dinge erkennen… Aber Evangelikale haben die Bibel hochgehalten und die Erfahrung heruntergespielt. Dies hat oft katastrophale Folgen in Bezug auf das reale Leben der Menschen. Ich denke an Pastoren, die verprügelte Eheleute zurück in missbräuchliche Ehen geschickt haben, weil sie mehr auf das hörten, was ihrer Meinung nach die Bibel sagt anstatt auf die Stimme derer, die terrorisiert und missbraucht wurden. Pastoren, die missbrauchten Kindern sagten, sie müssten sich ihren Eltern unterordnen anstatt auf die Missbrauch Erfahrung der Kinder zu hören. Und Pastoren sagten früher einmal, dass Sklaven sich ihren Herren unterordnen müssen. Und ja, Bibel Wissenschaftler, Pastoren, Eltern, Lehrer, Freunde und überhaupt alle sagten LGTBQ christlichen Teenager, dass sie ihre eigene Sexualität, Person und Leiden ablehnen müssen. (Kindle Position 1298).
Lange Abschnitte des Buches sind in dieser Tonalität gehalten. Die angebliche Unmenschlichkeit evangelikaler Pastoren kommt gemäss Gushee unter anderem von ihrer grundfalschen Theologie:
Kein christlicher Pastor kann einfach zuschauen, wenn Menschen sich vom Glauben entfernen — dem Evangelium, der guten Nachricht, das wir an unserer Ordination weiterzubringen geloben. Dies ist insbesondere wahr, wenn das, was die Menschen vertreibt, nicht etwa Jesus ist, sondern eine besonders schädliche Version des Christentum, das sich durchgesetzt hat gegen das, was Jesus lehrte und lebte. (Kindle Position 768).
Gushee lässt an dem, was er “Evangelikalismus” nennt, kein einziges gutes Haar stehen. Ein Grund für alle diese Probleme muss sein, sagt Gushee, dass evangelikale Christen und deren Pastoren unfähig und eher dumm sind:
Das Problem dort ist jedoch: Viele der populärsten Leiter, zu denen Evangelikale sich hingezogen fühlen, sind… sagen wir, ziemlich eingeschränkt in ihren Fähigkeiten. Joel Osteen. Kenneth Copeland. Paula White. Ich meine, wirklich. (Kindle Position 934).
Naja, vielleicht hat er hier und dort recht… Trotzdem: die evangelikale Bewegung hat einige der feinsten Theologen unserer Zeit hervorgebracht wie Thomas Schirrmacher und Billy Graham.
Die Wucht, mit der Gushee über eine Bewegung herzieht, der ich mich zugehörig fühle, grenzt manchmal ans Unerträgliche. Ich fragte mich nach einer Weile: Kann das wirklich sein? Sind alle Evangelikale so, wie Gushee es sagt?
Mein Eindruck ist, dass Gushee eine Karikatur zeichnet, und dieser Karikatur das Label «Evangelikalismus» aufdrückt. Die Karikatur ist eine undifferenzierte Reduktion der «evangelikalen Christenheit» auf die christliche politische Rechte, primär in der US-Variante. Zugegeben: Die dortige Nähe evangelikaler Exponenten zur Republikanischen Partei, bis zur ihrer Koalition mit dem aktuellen Präsident Trump, hat es schwierig oder sogar unmöglich gemacht, in der Öffentlichkeit die Breite der evangelikalen Bewegung zu zeigen.
Gushee’s Probleme mit dem «Evangelikalismus» fingen aber nicht erst mit Trump an, sondern schon früher und entscheidend mit Sexualethik. Ab den 1970-er Jahren entwickelte die westliche Kultur eine wachsende Offenheit für sexualethische Werte, über die sich die Evangelikalen ziemlich einig waren, dass sie abzulehnen sind. Diese gesellschaftliche Entwicklung drängte Evangelikale in eine Offenheit, ihre Stimme politischen Akteuren zu geben, welche ihre sexualethischen Werte schützen würden. So entstand in bestimmten evangelikalen Quartieren eine Zusammenführung von konservativen, sexualethischen Werten mit rechts orientierter Politik. Nicht alle Evangelikale taten dies aus Überzeugung. Einige sicher schon. Für andere Evangelikale war es politischer Opportunismus wegen Mangel an politischen Optionen. Ich als Aussenstehender dachte 2016 immer wieder: Die Wahl zwischen Hillary Clinton und Donald Trump ist wirklich eine unmögliche Wahl. Keiner der beiden kommen in Frage, aber einen der beiden muss man wählen. Ich bin froh, dass ich keine Entscheidung treffen musste.
Während innerhalb der evangelikalen Bewegung konservative sexualethische Werte ziemlich einheitlich vertreten werden, ist das in Themenbereichen von Politik und Gesellschaft nicht so. Evangelikale Theologie kann mit guter Begründung Werte hervorbringen, welche sowohl politisch eher rechts und gleichzeitig politisch eher links einzuordnen sind. Die christliche Rechte ist demzufolge zwar ein Teil der evangelikalen Bewegung, aber – aus meiner Sicht – nicht repräsentativ für die Bewegung als Ganzes.
Gushee’s Gleichung «Evangelikalismus = christliche Rechte» ist in vielerlei Weise problematisch. So können auch andere Ausprägungen der Christenheit politisch rechts orientierte Christen hervorbringen. Beispielsweise ist Trumps einstiger rechtspopulistischer Wahlstratege Stephen Bannon ein Katholik. Und die katholische Sexualethik ist ebenso wenig auf der Linie von Gushee. Gushee müsste also konsequenterweise auch gegen diverse weitere Glaubenstraditionen anschreiben. Tut er aber nicht. Paradoxerweise erklärt uns Gushee, dass er jede Woche die katholische Messe besucht (Kindle Position 1046) und von Katholiken lernen kann. Müsste er wegen Leute wie Bannon und wegen der katholischen Sexualethik nicht ein Buch “After Catholicism” schreiben?
Gushee’s Gleichung «Evangelikalismus = christliche Rechte» führt zu weiteren Missverständnissen und fälschlichen Repräsentationen. Wenn ich als Christ evangelikaler Prägung beispielweise gegen Abtreibung bin, werde ich auch in anderen Bereichen nahezu automatisch als politisch rechts eingeordnet. Der Verdacht ist, dass dieselbe theologische Positionierung, welche zu meiner Abtreibungskritik führt, mich auch in anderen Punkten insgeheim politisch rechts positionieren wird. Dann muss ich doch wohl in irgend einer Weise auch nationalistisch und rassistisch sein! Was aus einem christlichen Standpunkt natürlich unmöglich ist.
Das nächste Problem folgt auf dem Fuss. Wenn die evangelikalen theologischen Grundüberzeugungen mit allen Übeln der Welt in Verbindung gebracht werden, müssen Menschen, die z.B. vom Rassismus loskommen wollen, undifferenziert alle evangelikalen theologischen Überzeugungen über Bord werfen. Dieses theologische «Kind mit dem Bad ausschütten» führt zu Meinungen, welche meines Erachtens sowohl jenseitiges wie auch diesseitiges Heil signifikant gefährden.
Solche Effekte gibt es unter anderem, weil Leute wie Gushee «evangelikal» zu ihrem Feindbild erklärt haben. Sie haben die Medien grossmehrheitlich auf ihrer Seite, und sie finden für ihr Feindbild dankbare Abnehmer. Man könnte meinen, dass «evangelikal sein» aktuell die grösste Sünde ist. Zumindest in gewissen Kreisen.
Wenn ich mich der evangelikalen Bewegung zugehörig fühle, stellt sich die Frage: Was jetzt? Wie gehen wir mit diesem Label “evangelikal” um? Das Label ist mir nicht so wichtig. Viel entscheidender sind Inhalte, Werte und theologische Überzeugungen, die bis jetzt damit verbunden wurden. Das «Label» könnten wir meinetwegen ungeniert ablegen, die Theologie dürfen wir – meiner Meinung nach – auf keinen Fall ablegen, denn sie ist sehr gut und lebensbejahend!
Ein differenziertes Bild tut Not
Stimmt das Bild, welches Gushee von der Mehrheit des “Evangelikalismus” in den USA zeichnet? Das können andere möglicherweise besser beurteilen als ich, bin ich doch kein Amerikaner. Doch ich glaube, dass ein differenziertes Bild auf die evangelikale Bewegung als Ganzes Not tut. Einige Einblicke dazu aus meinem persönlichen Erleben:
Ich habe amerikanische evangelikale Christen kennengelernt, die überhaupt nicht in Gushee’s Bild passen, aber durch und durch “evangelikal” sind. Unter anderem ist da meine geliebte “Rez Band” aus Chicago. Seit Ende der 1980-er Jahren bin ich eingefleischter Fan von dieser christlichen Hardrock-Formation. Ihr griffiger Sound und ihre mutigen, sozialkritischen Texte sind der Hammer! Rez ist Teil einer größeren christlichen Kommune, der Jesus People USA, die sich seit Jahrzehnten durch ihr soziales Engagement in den ‘Slums’ von Chicago auszeichnet. Als ich sie besuchte, sah ich, wie gute evangelikale Theologie zu einem Leben der Hingabe an den Schwächsten der Gesellschaft führt. Die Jesus People nahmen auch grosse persönliche Opfer in Kauf, um den Menschen so dienen zu können. Ich sah bei ihnen auch viele Menschen afrikanischer Abstammung, die ganz in die Gemeinschaft eingebunden waren oder deren Zuwendung fanden.
Und überhaupt! Wenn die Theologie das Problem ist, das uns Evangelikale zu Monstern mutieren lässt, was ist mit meinen Eltern? Inspiriert von traditioneller evangelikaler Theologie und aufgrund einer persönlichen Beziehung mit Jesus Christus, dienten sie über Jahrzehnte hinweg Menschen von allerhand religiöser Herkunft. Das taten sie, als wir in Afrika lebten. Sie tun es heute noch in ihrem hohen Alter — hier in der Schweiz. Wer besucht Asylsuchende und Migranten? Meine Eltern. Wer gibt ihnen unentgeltlich Sprachunterricht oder hilft ihnen in der Schweiz zurechtzufinden? Meine Eltern — zusammen mit anderen Menschen meiner Gemeinde.
Meine eigene Gemeinde — ein gutes Stichwort! Ich bin umgeben von Menschen mit evangelikaler ‘DNA’, die zum Teil grössere Karrieren aufgegeben haben, um in mühsamer Kleinarbeit Migranten zu begleiten, zu lieben, ihnen zu helfen. Leute aus meiner Gemeinde haben ein Begegnungskafé mitgegründet, in dem Migranten willkommen geheissen werden und ihnen Hilfe vermittelt wird. Und das alles, ohne dass diese Migranten einfach als “Bekehrungsobjekte” gesehen werden. Andere aus meiner Gemeinde haben eine Sozialfirma gegründet, in der gut 40 Arbeitslose eine spannende Beschäftigung finden. Wieder andere haben eine Beratungsstelle für arbeitslose Jugendliche gegründet. Alles Leute, die von einer evangelikalen Theologie geprägt und von ihrer Beziehung mit Jesus beseelt sind und sich deshalb den Menschen unserer Zeit hingeben.
Ich kämpfe nicht um das Label «Evangelikal», sondern um die Theologie, die damit verbunden ist. Ich sehe in ihr die Grundlage, der Beweis, der Menschenfreundlichkeit Gottes, welche in der Bibel so gut beschrieben ist:
Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig – nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben seien nach der Hoffnung auf ewiges Leben. Das ist gewisslich wahr. Darum will ich, dass du festbleibst, damit alle, die zum Glauben an Gott gekommen sind, darauf bedacht sind, sich mit guten Werken hervorzutun. Das ist gut und nützlich für die Menschen. (Titus 3:4–8)
‘The Friendly Towers’, Chicago, Mitte 1990er, Paul Bruderer (rechts) vor dem ehemaligen Hotel, welches die JPUSA als Wohngemeinschaft umgenutzt hatten.
Kritische Würdigung
Aus Platzgründen ist es kaum möglich, an dieser Stelle eine ausführliche Auseinandersetzung mit den vielen (wichtigen!) Themen zu führen, die Gushee in seinem Buch aufgreift. Vieles davon sehe ich kritisch, nicht nur das pauschalisierte Zeichnen eines evangelikalen Feindbildes. Doch ist mir wichtig, wenigstens zu versuchen, Gushee mit der Differenziertheit zu behandeln, die ich bei ihm vermisse:
- Gushee’s sexualethische Lösungen überzeugen mich sowohl biblisch als auch seelsorgerlich überhaupt nicht. Ich habe an anderen Orten schon darüber geschrieben, weshalb das so ist. Gut finde ich hingegen, dass er die schwierigen Fragen offen ausspricht, die ich in meinen Kreisen selten höre. Zum Beispiel die schlichte Frage: Wie gehen wir mit dem grossen zeitlichen Unterschied zwischen sexueller Reife junger Menschen und dem Heiratsalter um?
- Gushee’s Bibelverständnis fehlen entscheidende historische Elemente. Er legt die Autorität der Bibel ganz in die Gemeinschaft der Christen. Gemäss dieser Sicht ist es dann kein Problem, wenn die Christen heute die Dinge anders sehen. Sie können dann vieles an der Bibel ändern. Mein Verständnis ist, dass die ersten Christen die Autorität Gottes in bestimmten Schriften fanden, anstatt bestimmten Schriften Autorität zu geben. Das ist ein wichtiger Unterschied mit weitreichenden Auswirkungen. Gushee stellt auch beim Bibelverständnis viele gute und wichtige Fragen, die ich aber ganz anders lösen würde. So endet Gushee’s Ansatz in einem wenig hilfreichen, selektiven Umgang mit der Bibel.
- Seinem Bibelverständnis entsprechend agiert Gushee Jesus gegenüber. Hier gebe ich Gushee mehr Zuspruch. Das Bild von Jesus, das viele Christen (egal welcher Affirmation) haben, ist dermassen “versüsslicht” (neue Wortschöpfung), dass man sich fragt, ob sie überhaupt in ihrer Bibel lesen. Und “weiss mit blonden Haaren” war Jesus gewiss nicht. Jesus verspricht uns auch nicht persönlichen Erfolg. Gushee korrigiert da manche Fehler. Die Reich-Gottes-Ethik von Jesus, die Gushee zeichnet, hat wichtige Elemente drin. Doch Gushee landet tendenziell bei einem diesseitigen Jesus. Ob sein Jesus das Jenseits überhaupt noch im Blick hat?
- Gushee’s erkenntnistheoretischen Ansätze, gründen vor allem auf menschliche Erfahrung: andere christliche Traditionen (selbstverständlich abgesehen der evangelikalen Tradition), Verstand, Intuition, Beziehungen, Gemeinschaft, Kunst, Wissenschaft. Ich bin einverstanden, dass diese Quellen von Information ein Teil unserer Erkenntnisprozesse bilden. Auch evangelikale Theologie, welche in der göttlichen Offenbarung der Bibel höchste Autorität sieht, muss irgendwo «im Mensch landen». Bei Gushee scheint die letzte Autorität jedoch im Menschen selbst verortet zu sein. Deshalb frage ich mich, ob sein “christlicher Humanismus” genug belastbar ist, wenn widersprüchliche menschliche Forderungen im Raum stehen.
Gushee muss aber auch für einige gute und spannende Elemente gewürdigt werden. Einer der positiven Aspekte ist, dass Gushee ernsthaft bemüht scheint, Menschen nach ihrer Glaubensdekonstruktion einen Weg zu weisen. In einem unserer aktuellen Artikel beklagt Ian Harber , wie das “progressive Christentum” ihn in eine Dekonstruktion lockte, aber keine Mittel lieferte, um einen neuen Glauben zu rekonstruieren. Ich selbst kenne etliche Menschen, die den Glauben verloren haben, und jetzt vor dem Nichts stehen. Keine neuen, oder anderen Gewissheiten oder Einsichten sind entstanden. Ihre weltanschauliche Orientierung wurde vor allem kaputt gemacht, ohne dass neue Orientierung hineinkam.
Gushee begeht diesen Fehler nicht, und das verdient eine Würdigung. Mit seinem Buch leistet er einen Beitrag dazu, wie eine ‘Rekonstruktion’ des Glaubens von Menschen aussehen könnte, die nicht mehr “evangelikal” sein wollen. Bis auf einzelne Aspekte halte ich das, WAS er uns vor Augen malt, zwar nicht für gut, gesund und richtig. Aber: Er lässt die Menschen nicht fallen. Mit Gushee stellt sich jemand der Aufgabe, einen Weg vorwärts zu zeichnen. Gushee bezeichnet sich sogar selbst als Hirte für die orientierungslosen, progressiven Schafe:
Ich fühle eine tiefe Verantwortung, dieser wachsenden Gruppe von Exil Evangelikalen einen Weg vorwärts aufzuzeigen… Meine erste Berufung mit 17 Jahren war es, christlicher Pastor zu werden… Dieses Buch ist Ausdruck dieser Berufung. Ich fühle mich berufen zu helfen, die verlorenen Schafe des Postevangelikalismus zu weiden… viele von ihnen gebrochenen Herzens, wütend und entfremdet von ihren Kirchen, Familien und Gott. Dieses Buch ist für sie. (Kindle Position 443, Hervorhebung des Autors)
Der möglicherweise wichtigste und reale Beitrag von Gushee ist die Offenlegung der historischen Momente in den letzten zwei Jahrhunderten, in denen der “US-Evangelikalismus” es versäumt hat, auf sein sozialkritisches Element zu hören und sich von Rassismus zu distanzieren (Kap. 9). Die grossen Erweckungen im Amerika des 18. und 19. Jahrhunderts führten nach Gushee nicht zu den nötigen Massnahmen gegen Rassismus. Im Gegenteil — weisse Evangelikale verteidigten mit ihrer Doktrin ihren Rassismus weiter. Gushee identifiziert in aller Konsequenz die Ursache dafür, indem er Eboni Marshall zitiert:
Das weisse, amerikanische Christentum wurde in der Irrlehre geboren. (Kindle Position 3162)
Damit meint Gushee Irrlehren, die er im europäischen Spanien und Portugal aus dem 15. Jahrhundert sieht, und die von den Kolonialmächten in den Rest der Welt exportiert worden seien. Das Kapitel 9 ist eindrücklich und prophetisch. Rassismus ist in den USA ein grosses Thema, das wissen alle spätestens seit “Black Lives Matter”. Bei uns wird Rassismus weniger diskutiert, möglicherweise zu Unrecht. Das Kapitel 9 von After Evangelicalism sollten wir gründlich an uns heranlassen — auch als Evangelikale.
Christlicher Humanismus?
Was ist denn das «neue Christentum», in das Gushee uns begleiten will? Er nennt es «christlicher Humanismus». Evangelikale Christen sollten nicht vorschnell negativ auf das Wort «Humanismus» reagieren. Man muss immer schauen, was damit gemeint ist. Gushee’s Inspiration zum “christlichen Humanismus” ist niemand geringer als Erasmus von Rotherdam. Erasmus war anfänglich ein Supporter von Martin Luthers Reformation, mutierte aber zu einem seiner wichtigsten Kritiker. Von Erasmus inspiriert, sieht Gushee ein auf den Menschen ausgerichtetes Christentum, welches folgende Eigenschaften haben soll (lose zitiert ab Kindle Position 1429):
- Es ist gegründet auf einer gemeinsamen Menschlichkeit
- Es ist hoffnungsvoll über das Potential der Menschen und realistisch über ihre Sündhaftigkeit
- Es ist respektvoll gegenüber allgemeiner menschlicher intellektueller Wahrheitssuche
- Es ist entschlossen, den freien Willen der Menschen zu respektieren (inkl. Gewissensfreiheit)
- Es hat das ganzheitliche Heil aller Menschen schon im irdischen Leben im Blick und nicht nur nach dem Tod (ich kann es mir nicht verkneifen, hier ein zutiefst evangelikales Anliegen zu sehen)
- Es sucht gemeinsame erarbeitete Friedensmöglichkeiten
- Es ist ein Christentum, das primär für die Menschen und die Schöpfung kämpft anstatt für theologische Korrektheit und eigene Interessen. (sagt Gushee mitten in einem Buch, in dem er zutiefst theologisch zu arbeitet…)
Das klingt alles interessant und gut. Leider fehlt das Fleisch am Knochen und der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Gushee führt zu wenig aus, was dieser «christliche Humanismus» konkreter ist und wie die Verbindung zu Erasmus aussieht. Erasmus soll sich tatsächlich mehr für den Frieden eingesetzt haben als Luther. Meine Frage ist, ob die theologischen Grundlagen von Erasmus wirklich seine Art von Friedensbemühungen tragen konnten. Ich sehe diesbezüglich in der evangelikalen Theologie wichtige Grundlagen für gewaltlose Feindesliebe.
Die Wahl von Erasmus anstatt Luther passt zu Gushee’s Grundparameter, denn gemäss Gushee, setzte Luther Religion über den Menschen, was zu Gewalt führte. Erasmus soll hingegen den Mensch über die Religion gesetzt haben, was zu Frieden hätte führen können. Persönlich möchte ich eine dritte Option sehen, welche der Bibel einen prioritären Rang gibt und wir DESHALB die Menschenfreundlichkeit Gottes erleben.
“Wenn der Westen nur Erasmus gefolgt wäre anstatt Luther!” – höre ich Gushee denken! Das ist tatsächlich ein interessanter Gedanke. Was wäre passiert? Wäre auch die angebliche theologische Irrlehre des “Evangelikalismus”, welche in Europa seine Wurzeln hat und “die USA dem Rassismus verfallen liess”, nicht passiert?
Wenigstens im Ansatz wäre dieser «christliche Humanismus» eine Alternative zum «säkularen Humanismus». Die im Buch aufgeführten Aussagen geben (wie schon gesagt) leider wenig inhaltliche Substanz. Eins scheint mir jedoch klar. Gushee löste sich 2017 öffentlich vom «Evangelikalismus». Er begründete seinen Schritt mit unüberbrückbaren theologischen Differenzen. Gemeint waren insbesondere die Differenzen in sexualethischen Themen. Es ist deshalb zu vermuten, dass Gushee’s Variante von «christlichem Humanismus» immense und unüberbrückbare Unterschiede haben wird zu allem, was Ähnlichkeit hat mit seiner Sicht von «Evangelikalismus». Aber auch ganz grundsätzliche Unterschiede zum historischen christlichen Glauben, wie er von Christen aller Generationen gelebt wurde — auch fernab der kirchengeschichtlich noch jungen Bewegung des «Evangelikalismus».
Fazit
Vielleicht gelingt es Gushee irgendwann, trotz seinem biografischen Bruch, die vorhandene Breite innerhalb der evangelikalen Bewegung zu erkennen und in dieser Hinsicht zu einer differenzierteren Haltung zu finden. Das würde ich mir wünschen! Denn er läuft mit seiner einseitigen Zeichnung die Gefahr, sich genau dessen schuldig zu machen, was er eigentlich ausmerzen möchte: die ungerechte Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen. Zwischenzeitlich lässt er «uns Evangelikale» mit der Frage zurück, wie wir weiter mit dem Label «evangelikal» umgehen sollen. Was Gushee nicht verhindern kann, ist, dass wir weiter unermüdlich und gerne für Gottes umfassendes, ganzheitliches Reich leben, welches wir lieben und über dessen Zunahme in aller Welt Freundlichkeit und Menschenliebe beinhaltet!
Danke für die Rezension. Sehr hilfreich.
Kannst Du vielleicht erläutern, weshalb Gushee Joel Osteen, Kenneth Copeland u. Paula White als Evangelikale einstuft? Ich wäre nie darauf gekommen, sie zu den Evangelikalen zu zählen, obwohl ich den Begriff sehr gedehnt verwende.
Danke!
Liebe Grüße, Ron
Ur-Evangelikaler John Piper hat vor wenigen Stunden eine beissende Kritik gelandet an Trump und an Christen, die dessen Charakterschwächen übersehen: https://www.desiringgod.org/…/policies-persons-and…
Man fragt sich, warum Piper so lange brauchte, um diesen Text zu schreiben. Er selbst stellt sich dieser Frage. Bestimmt wird er dafür Kritik ernten. Nichts desto trotz scheint sein Gewissen mit ihm aufgeholt zu haben. Sein Post zeigt, dass der Eindruck, weisse Evangelikale seien defakto Trumpisten, nicht die Realität reflektiert in den USA.
Pipers Kritik geht ans Herz der Kyros These. Diese besagt im Prinzip: Egal wie der Glaube und Charakter eines Leiters oder Präsidenten ist, entscheidend ist welche Politik und Werte er in den Gesetzen etabliert. Kyros war ein persischer Herrscher, der zwar nicht gläubig war, jedoch den Juden in seinem Reich wohlgesinnt war und ihnen half. Diese Episode haben Evangelikale als Modell gesehen für den Umgang mit Trump, der zwar einige Gesetze erlassen hat, die christlich sind, aber als Person charakterlich alles andere als christlich lebt (selbst wenn er sich selbst als ‘Christ’ sieht).
Piper entzieht dem Kyros-Modell den Boden unter den Füssen, indem er sagt, dass Charakterschwächen in Leitern genauso destruktiv, gefährlich sind wie schlechte ‘policy’ (Gesetze), und dass gute Gesetze die zerstörerische Wirkung von Charaktersünden von Leiter und Präsidenten nicht aufheben. Konkret nennt Piper folgende Sünden:
— unbussfertige sexuelle Unmoral
— unbussfertiges Prahlen
— unbussfertige Vulgarität
— unbussfertiger Parteigeist
Solche Sünden im Präsidenten seien ‘toxisch’ für die Nation, und würden das Land zerstören.
Diese Analyse lässt Piper wenige Option in der Präsidentenwahl am 3. November: «Ich werde keine Berechnungen anstellen, welchen Pfad in die Zerstörung ich wählen werde».
Er ermahnt Pastoren, sich zu fragen, welches Evangelium sie in den vergangenen Jahrzehnten gepredigt haben: Haben eure Predigten radikale Christen hervorgebracht? Christen, welche die einzigartige grösste Schönheit des Sohnes Gottes erkennen? Christen, die den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet haben, weil sie wissen, dass sie eine bessere, ewige Heimat haben? (Hebräer 10,34) Oder habt ihr diese Realitäten ausgeblendet und nur noch diesseitige politische Strategie auf dem Radar, welche darauf ausgerichtet sind, das eigenen Land zu retten und das irdische Leben angenehmer zu machen?
Evangelikale
Ja, diese Leute beanspruchen ein Fundament zu haben
Nein, diese Leute sind keine „Fundamentalisten“ im landläufigen Sinn und tragen auch keinen Sprengstoffgürtel (weder im Alltag noch am Sonntag) …
Sondern diese Leute sind, wenn auch theologisch konservativ, ausgesprochene Verteidiger der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung und der „alten Toleranz“, die dafür eintritt, dass jedermann das (aus ihrer Sicht) Falsche glauben darf …
Bei manchen Fragen finden sie sich auf der linken, mal auf der anderen Seite des politischen Spektrums wieder … – und sogar darüber sind sie sich nicht einig 😉
Schalom
Uwe
Danke Brink4U! Ich könnte es in keiner Weise besser formulieren!
Unsere Gesellschaft braucht eine weltanschauliche Grundwelche, welche eben die Freiheiten möglich macht, welche du nennest. Die finde ich Klasse! Wer diese Grundlage destabilisiert oder unterwandert. Darum aus meiner Sicht: die Progressiven sägen am eigenen (weltanschaulichen) Ast.
Danke Paul für diesen super Artikel. Die traurige Todesmeldung eines meiner Facebook-Kontakte (Jay Schwartzendruber) in den USA gibt einen erhellenden Einblick in ein evangelikales Amerika fernab der aktuellen Schubladisierungen:
“In the early 2000s, concerned about the AIDS crisis, Swartzendruber came to Peacock with an idea. Bono, the lead singer of the famed rock band U2, was coming to the United States to meet with evangelical leaders and President George W. Bush, to urge them to take action to fight AIDS. What if they invited Bono to come to Nashville and meet with Christian artists to get them involved?”
Ein interessanter Einblick, wo auf Initiative eines evangelikalen Meinungsmachers in der christlichen Musikindustrie (CCM) ein tendentiell liberaler Rockstar (Bono) mit einem republikanischen Präsidenten (Busch Jr.) zusammengracht wurde, um die US-Christenheit im weltweiten Kampf gegen Aids zu mobilisieren. Die daraus entstandene Aktion wurde faktisch geschlossen von den christlichen TopKünstlern der damaligen Zeit unterstützt (DC-Talk, Newsboys, Third Day etc). Jaja, diese ‘bösen’ Evangelikalen…
https://religionnews.com/2020/10/14/former-ccm-editor-and-christian-music-publicist-jay-swartzendruber-dies-at-52/
Danke! ein schönes Beispiel! Gut gibt es solche Leute!!! Er ist früh gestorben…
Danke Paul! Sehr spannender Beitrag. Werde das Buch noch lesen trotz deinem sehr gelungenen Überflug. Ich schätze deine differenzierte, würdigende Schreibweise. Lg Remy
Vielen Dank!
Hallo Paul, ich finde es gut, auch die evangelikale Kirche zu verteidigen und auf gute Seiten hinzuweisen. Ich persönlich habe dieses Buch zwar nicht gelesen, aber kann die Kritik verstehen! Ich schäme mich auch des öfteren, evangelikal zu sein. Ich war auch selbst bei den Jesus people in chicago. Sie machen sicher viele gute Dinge. Als ich über sexuellen Missbrauch in Kommen las, dachte ich mir: bei den jesus people wäre das auch leicht möglich. Ich googlete und siehe da:https://www.patheos.com/blogs/slowchurch/2014/03/01/jpusa-a-tragic-history-of-sexual-abuse/ und https://www.christianitytoday.com/news/2014/february/dozens-of-children-abused-at-evangelical-jpusa-jesus-people.html Es gibt eine Dokumentation. Einige, der darin vorkommenden Leute habe ich bei Jpusa getroffen. Ich war schockiert, aber nicht verwundert! Gerade solche Dinge machen Negativschlagzeilen und malen das Bild (leider oft zu recht). Ja man sollte nicht alles über einen Kamm scheren und auch die postitiven Seiten sehen. Aber Busse und Umkehr ist meiner Meinung nach in manchen Bereichen angesagt, anstatt zu sagen: aber so schlimm sind wir doch gar nicht! Zum Glück hänge ich nicht dem Evangelikalismus sondern der Person Jesus an!
Danke Joscheba — ich hatte auch davon gehört. Ich denke, dass sie auch viele Menschen mit Herausforderungen aufgenommen haben. Da macht man sich vulnerabel. Ich sage das nicht als Ausrede, sondern als Feststellung. Ich gehe allgemein davon aus, dass in allen Religionsgemeinschaften (christliche wie auch nicht-christliche) solche Dinge geschehen und auch in säkularen Organisationen. Wieder: nicht als Ausrede zu verstehen, denn solche Dinge dürfen einfach nicht passieren. Ich bin sehr dankbar, bisher davon verschont gewesen zu sein.
Danke für die differenzierte und persönliche Rezension und Auseinandersetzung. Ich habe das Buch vor ein paar Wochen (quer)gelesen und kam zu ähnlichen Schlüssen wie du. Anliegen, Analyse & Kritik (teils) = positiv. Lösung = mangelhaft.
Ich denke, dass er wirklich stark aus einer amerikanisch-evangelikalen Sicht schreibt. Auch wenn die einseitig ist (national & international), scheint die Anfrage an dieses Label aus der aktuellen Situation je länger je mehr berechtigt. Das Label hat ja, wie du selbst in deinem kurzen Abriss schreibst, bereits x‑mal eine etwas andere Couleur bekommen (auch schon vor 1950).
Hilfreich fand ich die Sicht zB von Marsden (Kaoitel 1) in https://www.amazon.de/Evangelicals-They-Have-Been-Could/dp/0802876951 (interessantes Buch!), indem er die theologischen Säulen „des“ Evangelikalismus von den Gruppierungen/Organisationen etc unterscheidet. Es hilft zu verstehen in welcher Weise jemand auf Evangelikale Bezug nimmt — ohne diese Unterscheidung gibt es oft Missverständnisse. Daher verstehe ich deine Kritik, aber es scheint mir, dass Gushee nicht primär auf diese „Säulen“ (die noch sehr breit wären), sondern auf die spezifischen (aktuell-amerikanischen) Ausprägungen Bezug nimmt. Diese Unterscheidung ist zwar hilfreich, aber die Zeit wird wohl zeigen, ob das Label „evangelikal“ noch zu retten sein wird…
Thx Michi. Werde Marsden gerne lesen. Schön benutzt du den Begriff ‘Säulen’ 😉
Ich bin froh, dass wir nicht ein ‘Label’ retten müssen. Aber Sprache bleibt wichtig und die Frage ist, womit man das Label ersetzen würde. Vorschläge?
haha… Säulen hab ich natürlich nur wegen euch gebraucht ;). Damit meinte ich den „Bebbington quadrilateral“.
Nein, bei neuen Labels bin ich noch nicht…
(Hoffe, dass da noch was zu retten ist und positive Neuinterpretationen möglich sind — wie schon in der Vergangenheit). Aber wäre natürlich auch mal eine spannende Diskussion welche „Interpretation“ oder Füllung von evangelikal ihr auf Daniel Option hauptsächlich bedient 🙂. Aber das gern mal live, per zoom oder so.