Eine Rezension zu Alisa Childers Buch “Leb deine Wahrheit — und andere Lügen”
„Die wahrhaft mächtigen Gedanken sind diejenigen, die sich nie rechtfertigen müssen.“ Dallas Willard
Bevor du diese Rezension liest, hier eine Trigger-Warnung: Falls du darauf bestehst, „Deinem Herzen zu folgen“, „Der Held oder die Heldin deiner eigenen Geschichte zu sein“ oder Dich selbst endlich mal „ganz oben auf die Liste zu setzen“, dann solltest du möglicherweise besser die Finger von „Leb deine Wahrheit“ lassen.
Alisa Childers setzt in ihren Ausführungen nämlich genau da an, wo auch ich selbst oft lieber auf „rühr mich nicht an“ machen würde. Und mein Herz doch immer wieder öffne, weil ich tief überzeugt bin, dass diese Wahrheit, die Alisa in ihrem Buch beleuchtet, frei macht. Gerade weil sie sich niemals anbiedert und keine falsche Rücksicht auf mein ach so empfindliches Ego nimmt. Ganz ehrlich: Oft „hasse“ ich die Wahrheit, weil sie hinterfragt, was sich doch über Jahre so gut angefühlt hat. Gleichzeitig sehne ich mich nach ihr, weil ich erfahren habe, dass sie Leben bringt. Weil sie wie Amors Pfeil ist, den man nicht mehr rausziehen kann, ohne dass eine Verwundung zurückbleibt: Das Wissen, dass ich Entscheidendes verpasse, wenn ich dieser Wahrheit kein Gehör schenke. Und weil ich den Schützen, aus dessen Köcher dieser Pfeil stammt, von Herzen liebe. Augustinus schreibt in „Bekenntnisse“:
„Die Liebkosungen der Mutwilligen wollen gefallen; doch nichts ist liebenswürdiger als deine Huld, und keine Liebe ist heilsamer als die Liebe zu deiner Wahrheit, die vor allem schön und lichtvoll ist.“
Wer Alisas erstes Buch mit dem Titel „Ankern“ gelesen hat, findet in „Leb deine Wahrheit“ eine spannende und leicht verständliche Weiterführung. Während „Ankern“ plausibel darlegt, was geschieht, wenn biblischen Fundamente durchlöchert oder „gesprengt“ werden, enttarnt „Leb Deine Wahrheit“ die Lieblingslügen unserer gegenwärtigen Kultur. Verständlich und durch viele Beispiele illustriert legt Childers dar, weshalb sich auf der Basis unbiblischer Glaubenssätze kein gesundes Christsein, keine lebendige Gemeinde und keine menschenfreundliche Gesellschaft entwickeln kann. Gerne teile ich in dieser Rezension einige „Fundstück“ meiner Lektüre mit euch.
Täuschungen und Lieblingslügen
Niemand mag es, getäuscht zu werden. In meiner Kindheit machten sich sowohl meine Brüder wie auch ältere Nachbarskinder einen Spass daraus, mir einen Bären aufzubinden. Meine Gutgläubigkeit machte mich zu einem beliebten Opfer von Spässen, die für mich selbst alles andere als witzig waren. Doch die Täuschungen hören mit dem Erwachsenwerden nicht auf. Es dauert oft einfach länger, bis wir erkennen, dass wir getäuscht werden. Es hört sich alles so gut, so plausibel, so richtig an: “Leb deine Wahrheit“, „Vertrau deinen Instinkten“, „Du lebst nur einmal“, „Du bist genug“, „Gott möchte einfach nur, dass du glücklich bist“. Passt doch. Klingt wie Musik in den Ohren. Seit mindestens zwanzig Jahren wird Jesus in vielen Kirchen und Gemeinden als „Schnäppchen“ angepriesen. „Gott macht dein Leben einfacher, besser…“ ist die Botschaft, mit der viele Menschen ins Himmelreich gelockt wurden. Mit der Folge, dass manche wieder „aussteigen“, wenn sie feststellen, dass Jesus von seinen Nachfolgern nicht weniger als „Alles“ verlangt. Childers schreibt zum Thema Wahrheit:
„Ich denke, die besten Lügen sind diejenigen, die am schönsten klingen. Sie sind mindestens zu 50% wahr. Manchmal sind sie fast komplett wahr. Aber dieses eine kleine Stückchen, das fehlt und damit die Bedeutung verdreht – das ist das Zünglein an der Waage.“ (Seite 9)
Betroffenheits-Wahrheit
Wenn wir die christliche Influencer-Landschaft betrachten, fällt auf, dass viele liberal oder progressiv gefärbte „Glaubenssätze“ von Leuten stammen, deren Lebensrealität nicht (mehr) mit dem übereinstimmt, was ich hier mal als „biblischen Lebensentwurf“ oder „biblische Beziehungs- und Sexualethik“ bezeichnen möchte. Affären, Scheidungen und andere Ereignisse oder Krisen rütteln nicht nur am Lebens- sondern auch am Glaubensfundament. Childers stellt in „Leb deine Wahrheit“ fest, dass auf solche oft sehr schmerzhaften Ereignisse gegenwärtig häufig eine Art „Dekonstruktion“ des eigenen Glaubens folgt. Aus der dann eine „neue Lehre“ entsteht, der viele gerne folgen. Unter anderem wohl, weil sie selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder an ähnlichen Punkten mit Gott und seinem Wort ringen. Doch, sollten unsere offenen Fragen, Nöte und Baustellen Grund dafür sein, bewährte biblische Modelle „umzubauen“? Sollen Betroffenheits-Wahrheit und Betroffenheits-Ethik unsere neuen GPS sein?
Ist es angesagt, dass ich mir „neue“ Lehrer und zeitgemässere Vorbilder suche, wenn ich feststelle, dass mein Leben sich nicht ideal oder „siegreich“, sondern eher wie ein Trümmerhaufen anfühlt? Wäre es nicht gerade in solchen Momenten zentral, sich an das zu klammern, was Christen seit Jahrtausenden bekennen und als bewährtes Fundament erlebt haben? Childers schreibt dazu:
„Ich denke, dass nichts befreiender und stabilisierender ist, als sich neu an den zeitlosen Wahrheiten der Bibel festzuhalten. Dieser Schritt kann Angst lindern, Depressionen bezwingen und ein rastloses Herz beruhigen. Anzuerkennen, wer wir in Christus sind, ist die beste Selbstfürsorge, weil das Wort Gottes nicht von einer sich ständig verändernden Gesellschaft abhängig ist.“ (Seite 13)
Selbstzentriertes Evangelium: „Du bist dein eigener Herr¨“
Viele der Lügen, über die Childers schreibt, beginnen mit dem Fundament des Selbst. Mit der Idee, dass jeder seine eigene Wahrheit hat und dem eigenen Herzen folgen soll. Diese Denkweise ist nicht neu. Neu ist eher, dass auch christliche Redner, Autorinnen usw. sie offen verbreiten. Mehrfach erwähnt Childers das Buch „Schminks Dir ab! Lass die Lügen los und lebe“ von Rachel Hollis. Auf Seite 7 schreibt diese beispielsweise: „Du, und nur du allein, bist letztlich dafür verantwortlich, wer du sein willst und wie glücklich du bist.“
Auch wenn es vordergründig richtig erscheinen kann, den Menschen auf sich selbst zu verweisen: Der Aufruf, vor allem den eigenen Gefühlen und Wünschen treu zu sein, ist das Gegenteil von dem, was Jesus gelehrt hat. Und damit das Gegenteil von dem, was langfristig Leben und Zukunft bringt. Als Nachfolger Jesu liegt unsere ultimative Freiheit darin, dass auch unser Selbst sich vor dem Kyrios Jesus Christus beugt, der sich als DIE Wahrheit vorstellt. Eine Wahrheit, die weit über gesellschaftlichen Entwicklungen steht und nicht auf unsere Zustimmung angewiesen ist:
„Du kannst dir aussuchen, was du glaubst, Shuffler, aber du kannst nicht ändern, was wahr ist.“ [1]
Wahrheit ohne Leiden?
Dass es in einem selbstzentrierten Evangelium wenig Platz für das Leiden gibt, ist nachvollziehbar. In Kapitel 8 vergleicht Childers die Haltung der Apostel mit den Aussagen moderner Meinungsführer. Während Paulus in Römer 5, 3 schreibt, dass er Gott für die Leiden dankt, die er wegen seines Glaubens auf sich nehmen muss, schreibt Matthew G. Aragones in „How to STOP Talking Nonsense – The Myth of Redemptive Suffering“: „Zu sagen, dass wir etwas aus dem Leiden lernen können, misst dem Leiden zu viel Wert bei. Leiden verwandelt nicht. Leiden entmenschlicht. Leiden ist böse.“ Was für ein Gegensatz sowohl zu Gottes Wort wie auch zu den Aussagen unzähliger „Gottesleute“, Theologen und Philosophen der vergangenen Jahrhunderte. Und was für ein Gegensatz zu den Erfahrungen, die Leidende aller Zeiten gemacht haben. Sollten Petrus, Jakobus, C.S. Lewis, Bonhoeffer und Viktor Frankl sich geirrt haben, einfach weil wir es heute besser wissen?
Den Preis der Selbstbestimmung bezahlen die andern
„Jedes Mal, wenn wir uns dafür entscheiden, unsere eigenen Wünsche und Begierden über die Bedürfnisse anderer zu stellen, entsteht ein Ungleichgewicht.“ (Seite 72)
In „Leb deine Wahrheit“ nimmt Childers immer wieder Bezug auf aktuelle Literatur. Unter anderem auf das Erfolgsbuch „Ungezähmt“ der bekannten, amerikanischen Autorin Glennon Doyle. Die ehemalige christliche Mami-Bloggerin erzählt darin von ihrer Entscheidung, ihren Mann für die Frau zu verlassen, in die sie sich auf den ersten Blick verliebt hat. Unter anderem begründet sie diesen Schritt als Akt der Verantwortung ihren Töchtern gegenüber und zitiert in diesem Zusammenhang C.G. Jung. Dieser sagt sinngemäss, die grösste Last, die ein Kind zu tragen habe, sei das ungelebte Leben eines Elternteils. Doyle erklärt, sie würde sich nie wieder auf ein Leben oder eine Beziehung einlassen, die weniger seien waren als das, was sie ihrem Kind wünschen würde. „Ich würde mich von Craig scheiden lassen. Weil ich Mutter bin. Und als Mutter habe ich Verantwortung.“ [2]
Spannend wäre, diese Aussagen mit Doyles Kindern zu besprechen, wenn diese alt genug sind, um diese Erfahrung unabhängig zu reflektieren. Würden sie die Sicht ihrer Mutter teilen oder würden sie die „Auflösung“ ihrer Herkunftsfamilie als eigensüchtigen und zerstörerischen Akt beurteilen? Fakt ist, dass es in (zu) vielen Situationen die Kinder sind, die den Preis für die Selbstbestimmung ihrer Eltern bezahlen. Während einer Ehekrise „kaute“ ich unter anderem die nachfolgenden Fragen durch: „Sollte Gott es wirklich gutheissen, dass meine vier Kinder von einem liebevollen Papa getrennt werden, falls ich mich in einen anderen Mann verlieben würde? Wäre es fair, dass mein Mann seine vier Kinder nur noch am Wochenende sehen kann, weil ich meinem Herzen folgen würde?“ Persönlich beantwortete ich diese Fragen mit einem klaren Nein. Mein persönliches Glück – oder was ich in diesem Moment dafür hielt — ist nicht wichtiger als das Glück meiner Kinder oder meines Mannes. Die Bibel nennt – als eine Art „Notordnung“ – einige wenige Scheidungsgründe. Fremdverlieben gehört meines Wissens jedoch nicht dazu. Und, wenn Gott Tote auferwecken kann, weshalb sollte er nicht auch in unseren Ehen mehr tun können, als wir erwarten oder uns vorstellen können?
Die Frage lautet gegenwärtig wohl eher, ob wir Gott überhaupt noch Zeit geben, um in unseren Ehen zu wirken und Neues zu schaffen. Oder ob wir nur noch „auf unseren Weg sehen“, wie Jesaja das menschliche in die Irre gehen beschreibt. [3] Wie in vielen anderen Situationen geht es auch beim Thema Ehe definitiv nicht nur um uns. Jede Scheidung ist wie ein Riss, der sich durch den Boden zieht, auf dem wir alle stehen. Ehe und Familie sind keine Privatsache, was ich tue, hat Auswirkungen und Signalwirkung. „Ich und mein Selbst: Bis dass der Tod uns scheide.“ [4] kann und wird nicht das Lebensmotto sein, das Kinder aufblühen lasst und unserer Gesellschaft Zukunft gibt.
Nur die Liebe zählt. Welche Liebe?
Wenn Alisa Childers moderne Täuschungen und Lügen beim Namen nennt, tut sie dies nicht, um zu verurteilen. Auch was ich in dieser Rezension schreibe, hat nicht das Ziel, jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen. Das wäre übrigens auch zu wenig, denn wie bereits erwähnt, geht es um etwas viel Grösseres. Unter anderem um nicht weniger als um die Liebe.
Liebe zum Nächsten speist sich aus der Liebe zu Gott. Und damit aus der Liebe zu dieser einen Wahrheit, die grösser ist als ich selbst. Wenn wir der Bibel darin recht geben, dass die Sünde den Menschen zerstört, werden wir andere ermutigen, in Gottes Wahrheit zu leben. Auch wenn die Gesellschaft uns weismachen will, Liebe erfordere grenzenlose Zustimmung. Childers schreibt dazu auf Seite 185:
„Liebe bedeutet, dass ich einen anderen nicht in seiner Sünde bestätigen kann, auch wenn er darauf besteht, dass Liebe das erfordert. In diesem Sinne ist die biblische Liebe das genaue Gegenteil der gesellschaftlichen Definition von Liebe.“
Und sie fährt auf Seite 188 weiter:
„Wahre biblische Liebe basiert nicht auf dem Objekt der Liebe, sondern auf dem Geber der Liebe…Wahre, biblische Liebe ist weder banale Bejahung von Lebensentscheidungen eines Mitmenschen noch die Bindung eines anderen an unsere eigene politische oder theologische Überzeugung…Liebe ist eine Person, Liebe ist bereit zu leiden. Die Liebe gibt sich ewig für andere hin“.
Lebe DIE Wahrheit
Ich schliesse meine Rezension mit Alisa Childers Schlussworten ab (Seite 229):
„Christus nachzufolgen in einer Welt, die einem sagt, man solle sich selbst an die erste Stelle setzen, ist ein schwieriger Weg. Er stinkt wie der Tod für die, die zugrunde gehen. Aber für diejenigen, die errettet sind, ist es Leben, Hoffnung und Frieden. Deine Wahrheit gibt es nicht. Deine Wahrheit bringt keine Hoffnung und rettet niemanden. Du musst die Wahrheit aussprechen und leben, koste es, was es wolle. Dein Lohn? Wie Jesus in Johannes 8, 32 sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (LUT). Die Wahrheit ist eine Person, und Er ist dein Lohn.“
Bilder: Peter Bruderer
Fussnoten:
[1] S.D. Smith in „The Green Ember“, Story Warren Books 2015, Kindle-Version
[2] Doyle, Glennon: Ungezähmt, Hamburg: Rowolt 2020, Seite 141–143
[3] Jesaja 53, 6 LUT
[4] Doyle, Glennon, Ungezähmt, Seite 131
Sehr gute Rezension! Das Buch mochte ich auch gern. In der heutigen post-christlichen Gesellschaft will niemand mehr absolute Wahrheit verkündigen oder glauben. Umso wichtiger ist es, als Christen für die Wahrheit einzustehen und auf den Gott und sein Wort hinzuweisen, der/das sich nicht verändert und der die wahre Liebe ist.
Danke 🙂