Passt Gott in eine Schachtel?

Lesezeit: 5 Minuten
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by Paul Bruderer | 16. Dez. 2022 | 6 comments

Ist The­olo­gie etwas, das Gott nutzen kann, damit wir ihn bess­er ken­nen­ler­nen? Oder ste­ht The­olo­gie einem Ken­nen­ler­nen von Gott im Weg? Die Mei­n­un­gen gehen mitunter weit auseinan­der. Eine kleine Reflex­ion am Ende meines ersten Semes­ters als Dozent für Dog­matik am TSC.

In den sozialen Medi­en kur­siert regelmäs­sig ein Bild des ‘Naked Pas­tor’. Dieses Bild weckt inter­es­sante Fra­gen. Es soll allem voran eine Ent­larvung von The­olo­gie, welche Gott ‘in eine Box’ pressen will, sein:

“Komm’ schon Gott, rein mit dir!!”

Da ist etwas dran! Wir ken­nen ver­mut­lich den Gedanken, der hier zum Aus­druck gebracht wer­den will: The­olo­gen ins­beson­dere, aber auch Chris­ten all­ge­mein, reduzieren Gott manch­mal auf das, was wir als Men­schen über ihn aus­sagen kön­nen. Gott auf diese Weise einzu­gren­zen ist tat­säch­lich ein Miss­brauch von The­olo­gie, und ein Symp­tom der Selb­stüber­schätzung unser­er men­schlichen Fähigkeit, Gott umfassend ver­ste­hen und erken­nen zu können.

Neb­st diesem aus mein­er Sicht berechtigten Anliegen, begeg­nen mir in den sozialen Medi­en und in Gesprächen regelmäs­sig Aus­sagen, welche einen viel grösseren oder umfassenderen Anspruch zu erheben scheinen. “Wer The­olo­gie betreibt, steckt Gott in eine Box”, meinen einige sin­ngemäss . “Wir kön­nen let­ztlich nichts über Gott sagen”, lassen andere ver­laut­en. “The­olo­gie ist ein Hin­der­nis, den wahren Gott ken­nen­zuler­nen”, sagen mir manche. In den sozialen Medi­en wird das Bild des ‘Naked Pas­tor’ immer wieder benutzt, um der­ar­tige Überzeu­gun­gen zum Aus­druck zu brin­gen. Ein solch umfassender Anspruch ist mit sich selb­st kaum vere­in­bar und bringt The­olo­gie ganz all­ge­mein in Ver­ruf. Leider.

Es lohnt sich zu über­legen, ob der umfassende Anspruch, dass The­olo­gie uns hin­dert zu Gott zu kom­men, mit sich selb­st vere­in­bar ist. Dieser Anspruch ist ja selb­st eine zutief­st the­ol­o­gis­che Aus­sage. Und: Wer diese oder ähn­liche Aus­sagen macht, muss etwas über Gott wis­sen, näm­lich, dass Gott gröss­er ist als die Box. Woher soll so eine Per­son das wis­sen, wenn The­olo­gie uns ange­blich keine ver­lässliche Infor­ma­tion über Gott geben kann? Wer also das Bild vom ‘Naked Pas­tor’ in einem umfassenden Sinn auf das Reden und Nach­denken über Gott anwen­det, wird Aus­sagen machen, die mit sich selb­st unvere­in­bar sind.

Und über­haupt: Ist denn dieser ange­blich so grosse Gott unfähig, auf eine Weise mit uns zu reden, dass wir Wahres über ihn erken­nen? Macht er sich in sein­er unfass­baren Grösse für uns wirk­lich nur unfass­bar? Ist die Behaup­tung, The­olo­gie ste­he ein­er Begeg­nung mit Gott im Wege, nicht genau­so ein Akt der Reduk­tion von Gott auf die ominöse Schachtel? Wer sagt, wir kön­nen von Gott the­ol­o­gisch nichts oder kaum etwas sagen, macht aus mein­er Sicht nicht nur Aus­sagen, die mit sich selb­st unvere­in­bar sind, son­dern steckt Gott genau­so in eine Box, wie der ‘Naked Pas­tor’ es zeichnet.

Wir müssen, glaube ich, eingeste­hen, dass wir auf bedeu­tungsvolle Weise über Gott reden kön­nen. Damit ist auch gesagt, dass The­olo­gie möglich ist und dass sie dur­chaus zu ein­er Begeg­nung mit Gott ver­helfen kann. Ich stelle deshalb das Bild des ‘Naked Pas­tor’ einem anderen Bild gegenüber, das eine mein­er Stu­dentin­nen am TSC gemalt hat. Die Kün­st­lerin heisst Simone Knier­im und sie sitzt jeden Don­ner­stag in meinem Dog­matik Unter­richt. Simone hat vom Unter­richt inspiri­ert, das Bild von ‘Naked Pas­tor’ genom­men und uminterpretiert:

Dieses Bild gefällt mir sehr gut! Es zeigt die nöti­gen Gren­zen der The­olo­gie auf, aber ohne gle­ichzeit­ig selb­st eine unnötige Begren­zung zu machen, wie sie das Bild vom ‘Naked Pas­tor’ zu sug­gerieren scheint. In diesem Bild ist The­olo­gie pos­i­tiv dargestellt. Gott nutzt sie, um uns so viel mehr zu zeigen als wir ohne The­olo­gie sehen kön­nten. The­olo­gie als Ent­deck­ung von mehr! The­olo­gie als Aben­teuer mit Gott! The­olo­gie als etwas, das Charles Spur­geon in ein­er Predigt als eine der wichtig­sten Diszi­plinen von Chris­ten bezeichnet:

Nichts wird den Ver­stand so erweit­ern, nichts wird den Intellekt so erweit­ern, nichts die ganze Seele des Men­schen so ver­größern, wie eine andächtige, ern­sthafte, fort­ge­set­zte Erforschung des großen The­mas der Got­theit. CH Spur­geon, Predigt vom 7. Jan­u­ar 1855, eigene Übersetzung

Paulus erlebt das. Nach­dem er durch the­ol­o­gis­che Reflex­ion etwas Neues und Tiefes über Gott erken­nt, platzt staunende Anbe­tung aus ihm heraus:

O welch eine Tiefe des Reich­tums, bei­des, der Weisheit und der Erken­nt­nis Gottes! Wie unbe­grei­flich sind seine Gerichte und uner­forschlich seine Wege! Denn »wer hat des Her­rn Sinn erkan­nt, oder wer ist sein Rat­ge­ber gewe­sen«? Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurück­geben müsste?« Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen. (Röm 11:33–36)

Wie schön, dass Paulus in diesem Lobpreis nicht nur das anerken­nt, was der ‘Naked Pas­tor’ zum Aus­druck brin­gen will, son­dern auch das, was Simone Knier­im erkan­nt hat und so gut in ihrem Bild vere­int! Paulus spricht sowohl über die Gren­ze unser­er Fähigkeit, Gott zu ver­ste­hen, wie auch davon, dass wir Gott ver­ste­hen kön­nen! Dies passt aus­geze­ich­net zum Bild von Simone. Gute The­olo­gie ist für Paulus eine Schachtel, die in die Begeg­nung mit Gott führt und in staunende Anbe­tung über ihn und seine Welt!

Die Schachtel hat auf Wei­h­nacht­en hin vielle­icht noch einen tief­er­en Sinn. Ich denke sie mir aktuell auch als Krippe: Dem Ort, wo der Sohn Gottes sich selb­st in diese Welt hinein inkarniert (Joh 1:1–3). Damit beweist dieser grosse und ange­blich so unfass­bare Gott, dass er fähig ist, sich an unsere Lebens­di­men­sio­nen anzuschliessen. Gott ist nicht nur in der Lage, so mit uns zu reden, dass wir ihn ver­ste­hen und dann über ihn und mit ihm reden kön­nen. Er ist auch fähig mit uns zu leben, sodass wir mit ihm leben und in Beziehung kom­men kön­nen! Die Krippe und das the­ol­o­gis­che Nach­denken über die Men­schw­er­dung Gottes, wird zu einem Hotspot der Offen­barung, von dem aus Gott uns so viel mehr von sich selb­st zeigt, als wir bish­er erkan­nt haben. Die Krippe ist genau die Schachtel, wie sie Simone gemalt hat!

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Her­rlichkeit, eine Her­rlichkeit als des einge­bore­nen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh 1:14)

Ich schliesse hier eine Bemerkung an von Dr. Andreas Hahn in seinem Kom­men­tar zur vorheri­gen Ver­sion dieses Artikels:

Joh 1:18 bringt es pri­ma zusam­men: “Nie­mand hat Gott je gese­hen” — darin liegt das Wahrheitsmo­ment der apophatis­chen The­olo­gie (die nur Neg­a­tiv-Aus­sagen über Gott zulässt). Dann geht es weit­er: “… der einziggezeugte Gott, der in des Vaters Schoß ist, hat Auf­schluss über ihn gegeben” — und deshalb soll­ten wir nicht so tun, als kön­nten wir gar nichts über Gott sagen.

Ich wün­sche allen Chris­ten, die etwas tiefer über unseren, an Wei­h­nacht­en men­schge­wor­de­nen und offen­barten Gott nach­denken, geseg­nete Fest­tage und im neuen Jahr ein the­ol­o­gis­ches Aben­teuer mit Gott, so wie Simone’s Bild es uns zeigt.

Über den Kanal

Paul Bruderer

Paul Bruderer, Jahrgang 1972, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, 1998 Gründungsmitglied der erwecklichen ‹Godi›-Jugendarbeit in Frauenfeld. Seit 2001 Pastor in der Chrischona Gemeinde Frauenfeld. Paul lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

6 Comments

  1. Stefan

    Danke Simone für die Ver­an­schaulichung, danke Paul für deine Gedanken dazu. Das Gesamt­paket dieses Artikels zeigt mir ein­mal mehr, dass Gott zusam­men mit mir sich in die Schuh­schachtel mein­er kleinen Welt, beg­ibt, wenn ich bedürftig darauf warte und hoffe. Ver­mut­lich heisst die Kiste auch nicht immer gle­ich und vor allem nicht unbe­d­ingt immer The­olo­gie. Sie kön­nte ja auch Neugi­er, Hoff­nung, Trost oder was auch immer heis­sen. Zudem sind es ja vielmehr Mil­liar­den von Kisten, in die Gott sich beg­ibt, um in der Vielfalt der Mil­liar­den sich zu offen­baren. Prob­lema­tisch wird es ja erst, wenn es nur die EINE, all­ge­me­ingültige Box zu geben scheint. Insofern lässt sich Gott nicht in EINE Box sperren.
    Nochmals danke und eben­falls fro­he Festtage.

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    • Paul Bruderer

      Schön — danke Stefan 👍

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  2. Andreas Hahn

    Schön und anschaulich erk­lärt! Joh 1,18 bringt es schön zusam­men: “Nie­mand hat Gott je gese­hen” — darin liegt das Wahrheitsmo­ment der apophatis­chen The­olo­gie (die nur Neg­a­tiv-Aus­sagen über Gott zulässt). Dann geht es weit­er: “… der einziggezeugte Gott, der in des Vaters Schoß ist, hat Auf­schluss über ihn gegeben” — und deshalb dür­fen wir nicht so tun, als kön­nten wir gar nichts über Gott sagen.

    Reply
    • Paul Bruderer

      Her­zlichen Dank Andreas 🙏

      Reply
  3. Daniel Rath

    Wow! Mit weni­gen Worten (ein Bild sagt bekan­ntlich mehr als 1000 Worte) voll auf den Punkt gebracht! Da sage ich von Herzen Mer­ci, Paul!

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    • Paul Bruderer

      Vie­len Dank Daniel!

      Reply

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