«Die Alternative ist, dass es einen Gott gibt — einen Gott, der zu seiner Zeit wieder große Männer hervorbringen wird, um seinen Willen zu tun, große Männer, die der Tyrannei der Experten widerstehen und die Menschheit wieder in die Reiche des Lichts und der Freiheit führen, große Männer, die, über allem, Boten seiner Gnade sein werden.»
J. Gresham Machen, 1933
„Du musst Primärquellen lesen.“, hat mein Bruder mir geraten. Vor rund 3 Jahren habe ich mir diesen Rat zu Herzen genommen und wieder angefangen, Bücher zu kaufen –auch alte verstaubte.
Erwarten konnte man diese Entwicklung nicht. Meine theologische Ausbildung hatte ich 2003 abgeschlossen und abgesehen vom einen oder anderen Tom Clancy Roman war meine Lese-Karriere damit besiegelt. Es gab wichtigeres zu tun: Familie gründen, eine Existenz aufbauen, Erfahrungen sammeln. Meine Bibliothek schrumpfte im Gleichschritt mit der Zunahme von Kinderspielzeugen in der Wohnung. So gingen viele Jahre ins Land.
Mein erster Artikel auf dem Blog Daniel Option wurde vor fünf Jahren publiziert. Es war eine Analyse von biografischen Entwicklungen in der mir so lieben christlichen Musikwelt. Da kommst du gut ohne Bücher zurecht. Da reicht die eigene ‚Credibility‘ als Konzertveranstalter.
Überlasst das den Experten!
Der Auslöser dafür, mir wieder das eine oder andere Buch zu leisten, kam wohl aus einer Online-Diskussion irgendwo im Covid-Lockdown. Es ging um das Themenfeld der Sexualität und die These war, christliche Leiter (Pastoren!) sollten doch dieses Themenfeld den Fachleuten überlassen. Stein des Anstosses war ein Buch über Sexualität, verfasst von… christlichen Leitern.
Für mich ist klar, dass christliche Leiter sich selbstverständlich auch zu Fragen der Sexualität Gedanken machen sollten. Ihr Buch – die Bibel – tut das bekanntlich auch. Aber was war mit der Fachwelt, mit den gerühmten Experten? Dem wollte ich nachgehen. Ich kaufte ein Buch. Es dauerte nicht lange, und ich fand mich in der Welt von Alfred Kinsey, Wilhelm Reich oder Masters & Johnson wieder.
Die Einblicke haben meine leise Vorahnung bestätigt: die Weisheiten der Experten, auf die wir hören sollen, haben halt auch ihre ideologischen und persönlichen Hintergründe. Diese Ideologien sind aber für den Normalbürger oft unkenntlich, weil sie sich im ‚weissen Kittel‘ präsentieren, im Mantel einer nicht immer gegebenen Wissenschaftlichkeit.
Das berühmte Sexologen-Team ‘Masters & Johnson‘, hat das wörtlich umgesetzt. Im Time-Magazine vom 25. Mai 1970 präsentieren sich William H. Masters und Virginia E. Johnson in weissen Arztkitteln. Die Botschaft ist klar: Du kannst uns vertrauen! Hier kommen Fakten! Hier kommt Wissen und Kompetenz! Unter dem schon fast seelsorgerlich klingenden Titel «Repairing the Conjugal Bed» (Deutsch: «Das Ehebett reparieren») wurde die Arbeit der beiden Pioniere der Sexualtherapie der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die amerikanischen Ehen sollten gerettet werden, indem der Sex besser wurde.
Nun war William H. Masters tatsächlich ein Arzt. Aber Virginia E. Johnson war es nicht, sie war lediglich Assistentin. Aber der weisse Arztkittel stand auch ihr gut. Sie war zufälligerweise auch Masters Geliebte. Die Gurus der Ehetherapie nahmen es eben nicht so genau, wenn es um das eigene Ehebett ging.[1]
Die Forschung der Beiden hatte auch einen interessanten Finanzgeber: es war das Medienimperium des Porno-Königs und «Playboy» Besitzers Hugh Heffner. Es war eine perfekte Symbiose. Den ‘Experten’ brachte die Zusammenarbeit mit Big Porno Geld und Zugang zu Freiwilligen für ihre Forschungsprojekte. Dem Pornoimperium bot es die Möglichkeit, sich einen Anstrich von Wissenschaftlichkeit und Philanthropie zu geben.[2]
Es würde nicht lange gehen, bis das Therapeutenpaar Masters & Johnson aufgrund von Prostitutionsvorwürfen auch mit dem Gesetz in Konflikt kommen würden. Denn ihre Therapiemethode mit Surrogaten[3] unterschied sich im Endeffekt nicht wesentlich von dem, was sich im Milieu so abspielt. Es ging auch hier darum, dass sexuelle Dienstleistungen mit Geld abgegolten werden – diesmal einfach im Namen der Gesundheit und des Eheglücks.[4]
Die Zeiten haben sich seither wohl etwas geändert. Dennoch: Die Geschichte von Masters & Johnson ist kein Einzelfall. Sie steht beispielhaft für die Irrungen und Verwirrungen, welche diverse ‘Fachwelten’ immer wieder mal heimsuchen.
Im Falle von Masters & Johnson ist es absolut legitim zu sagen, dass sie als ‘Experten’ aktiv mitgeholfen haben, die Probleme zu kreieren, deren Lösung sie sich gleichzeitig auf die Fahne geschrieben hatten.[5] Im Hinblick auf den Berufsstand der Sexualtherapeuten waren sie aber nur die Spitze des Eisberges. Die Entwicklungen der 70er Jahre waren so, dass sich William Masters bald selbst dazu gedrängt sah, den Berufstand, dessen Kultur er so massgeblich geprägt hatte, gleich selbst als wissenschaftsfern zu diagnostizieren:
„Das derzeitige Feld der Sexualtherapie wird von einer erstaunlichen Auswahl an Inkompetenten, Kult-Anhängern, Mystikern, gut meinenden Dilettanten und regelrechten Scharlatanen beherrscht.“[6]
ArcheIdeologie
Es scheint eine Realität zu sein, dass Ideologien ihre Macht, ihre Tyrannei gerne unbemerkt ausüben – zum Beispiel indem sie sich ein wissenschaftliches Gewand geben. Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten der Tarnung. Ist je ein Tyrann mit der Ansage angetreten, er wolle das Volk unterdrücken und ausnehmen? Nein. Sie haben ihre Herrschaft immer mit dem Versprechen von Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand angetreten.
Grosse und erfolgreiche Revolutionen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie ihre Ursachen zum Verschwinden bringen und so aufgrund ihres eigenen Erfolges nicht mehr nachvollziehbar sind. Akzeptanz verwischt die Spuren und macht diese Unsichtbar.[7]
Ähnlich bringt es George Orwell in seiner bekannten Dystopie ‘1984’ auf den Punkt:
«Alles verschwand im Nebel. Die Vergangenheit wurde ausgelöscht, die Auslöschung wurde vergessen, die Lüge wurde zur Wahrheit.»[8]
Was ich auf diesem Kanal betreiben möchte, ist deshalb so etwas wie eine ‘Archeologie der Ideologien’. Ich möchte den Ideen nachspüren, welche – oft unsichtbar – unsere Zeit prägen und beeinflussen.
Ich möchte mir dabei von Beginn weg keinen weissen Kittel verpassen. Ich bin weder Historiker noch in besonderer Weise in Philosophie und Geistesgeschichte geschult. Ich erhebe nicht den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu besitzen. Ich bin ein breit interessierter Zeitgenosse, der versucht, die Welt um sich herum zu verstehen. Die Suche führt mich auch in die Vergangenheit. Was ich dabei entdecke, das werde ich hier auf dem Kanal sichtbar machen und zur Diskussion stellen. Es darf konstruktiv kritisiert und debattiert werden.
Die grosse Alternative
Ein zweiter Grund, warum ich auf den weissen Kittel verzichte, liegt darin, dass ich als einer schreibe, der ein geistliches Zuhause hat. Das möchte ich von vornherein nicht verheimlichen.
Das Eintauchen in die oft toxischen Ideen, welche unsere Zeit mit beeinflussen, kann einen schon zum Kulturpessimisten machen. Doch ich glaube an das, was der eingangs zitierte J. Gresham Machen die «eine grosse Alternative» nennt. Es ist die Alternative, dass es einen Gott gibt. Auf dieser Alternative beruht meine Hoffnung. Von dieser Alternative aus möchte ich denken, leben und auch schreiben.
Es ist mir deshalb ein Anliegen, auf diesem Kanal auch über Menschen und Begebenheiten zu schreiben, welche das Licht und die Hoffnung haben aufleuchten lassen, von der J. Gresham Machen spricht. Deshalb stelle ich auch sein Statement an den Start Anfang dieses Kanals — eine wertvolle Trouvaille, ein Hoffnungswort und zugleich eine Mahnung an mich selbst, diese eine grosse Alternative nie aus dem Blick zu verlieren.
Wie kaum ein anderer seiner Zeit war J. Gresham Machen (1881–1937) in den theologischen Schlachten involviert, welche damals die kirchliche Landschaft in den USA erschüttert haben. Sein Buch ‘Christianity and Liberalism’ (1923) ist ein lesenswerter Klassiker, welcher messerscharf die grundlegenden Differenzen zwischen liberaler und historisch-christlicher Theologie herausschält.
1932 verbringt J. Gresham Machen den Sommer in der Schweiz und steht zuletzt auf dem Gipfel des Matterhorns – eine ziemliche Leistung für den damals bereits über 50-jährigen Theologen. Der Bericht von seiner Zeit in Zermatt macht klar, dass er auf dem Gipfel des Matterhorns so etwas wie eine Gotteserfahrung hatte. Er wird ergriffen von der Dramatik der Entwicklungen in Europa. Im Süden regiert bereits Mussolini, im Norden steht Hitler kurz vor der Machtergreifung. In seinem persönlichen Leben steht er vor schwierigen Weichenstellungen. Sein Gipfelerlebnis endet mit diesen Worten:
«Ich kann in den Zeichen der Zeit kein Entkommen von dieser Schlussfolgerung sehen; zu unaufhaltsam scheint mir der Lauf der Dinge zu sein. Nein, ich kann nur eine Alternative sehen. Die Alternative ist, dass es einen Gott gibt — einen Gott, der zu seiner Zeit wieder große Männer hervorbringen wird, um seinen Willen zu tun, große Männer, die der Tyrannei der Experten widerstehen und die Menschheit wieder in die Reiche des Lichts und der Freiheit führen werden, große Männer vor allem, die Boten seiner Gnade sein werden. Es gibt, weit über jeden irdischen Gipfel der Vision, einen hohen und erhabenen Gott, der, obwohl er unendlich erhaben ist, sich doch um seine Kinder unter den Menschen kümmert.»[9]
Möge der Herr schenken, dass auch wir in unserer Zeit die echten Herausforderungen sehen, den Mut haben aufzustehen, auch wenn es mal unbequem ist, und in unserer Welt ‘grosse’ und ‘kleine’ Boten seiner Gnade sowie Träger seines Lichtes werden.
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Virginia_E._Johnson
[2] Janice M. Irvine, Disorders of Desire – Sex and Gender in Modern American Sexology, 1990, S80, S82
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Surrogate_partner
[4] Janice M. Irvine, Disorders of Desire – Sex and Gender in Modern American Sexology, 1990, S123
[5] Janice M. Irvine, Disorders of Desire – Sex and Gender in Modern American Sexology, 1990, S98
[6] Janice M. Irvine, Disorders of Desire – Sex and Gender in Modern American Sexology, 1990, S101
[7] Gemäss Roger Kimball geht diese These auch Alexis de Tocqueville (1805–1859) zurück, welcher über die französiche Revolution geschrieben hat. Vergleiche: Roger Kimball, The Long March, How the Cultural revolution of the 1960’s Changed America, S5
[8] George Orwell, 1984, Kindle Edition, S56 meine Übersetzung
[9] Aus: J. Gresham Machen, Mountains and why we love them, meine Übersetzung
Titelbild: iStock
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