Eine der spannendsten Personen im Alten Testament ist Mose, mittels dem Gott Israel aus der Sklaverei in Ägypten führt. Ein im Leben gescheiterter und innerlich verunsicherter Mann wird von Gott zum Stellvertreter zwischen Gott und Volk berufen. Moses Biographie gibt uns Hoffnung und Perspektive wenn wir Probleme im Leben haben, dass Gott uns entwickeln kann und wir so beispiellose Bedeutung im Leben erfahren können.
Mose ist vermutlich die Person, die sich in der Zeit des Exodus am meisten entwickelt hat. «Schuld» daran sind die vielen Begegnungen mit Gott. Mose beginnt sein Leben als Fremder (2Mose 2). Er ist seinem eigenen Volk fremd. Wer wie Mose mit der Elite der ägyptischen Unterdrücker erzogen worden ist, muss den Hebräern suspekt sein. Gleichzeitig ist er auch den Ägyptern fremd. Wer ist schon dieses Findelkind, das sich für ein Volk von Sklaven einsetzt?
Moses Sinn für Gerechtigkeit führt ihn in einen tödlichen Streit, weshalb er auch äusserlich in die Fremde muss. Er flieht in die midianitische Wüste am heutigen Golf von Akaba. Der Mann der eines Tages Israel aus Ägypten führen wird, ist ein gebrochener Mensch ohne Perspektive. Er hütet die Schafe seines Schwiegervaters, nicht mal seine eigenen. Er tut das ganze 40 Jahre lang!
Auch nachdem Gott ihn beruft bleibt er innerlich unsicher und glaubt nicht, dass seine Mission Erfolg haben wird. Selbst nach mehreren göttlichen Machtdemonstrationen will Mose den Auftrag nicht angehen. Er könne nicht reden, ist seine Ausrede (2Mose 3–4). Dabei ist es doch Gott, der durch Mose reden will – ein Gott, der durch Reden die Welt erschaffen hat, sollte wenig Probleme mit Moses mangelhafter Sprachkompetenz haben.
Moses Receiving the Law on Mount, Benjamin West, 1738–1820
Berufung zum Vermittler
Es folgt ein lebensgefährlicher und schräger Zwischenfall, in dem Moses Ehefrau Zippora zwischen Gott und ihrem Ehemann vermitteln muss. Um seiner Redeunsicherheit Abhilfe zu leisten, stellt Gott Mose dessen Bruder Aaron als Sprachrohr zur Seite. Beide Geschichten sind ein Vorgeschmack darauf, dass auch Mose einen Stellvertreter braucht. Darauf kommen wir noch. Vorher sehen wir die erstaunliche Entwicklung eines verunsicherten Mannes.
Aus dem Mann, der nicht vor Leuten sprechen will, wird ein Mann, der zum mächtigsten König der damaligen Welt sagen kann: «Lass mein Volk ziehen!» (2Mose 5:1). Eigentlich ist es nicht er selbst, der spricht. Entscheidend ist Moses eigene Einleitung zu diesem Befehl: «So spricht YHWH, der Gott Israels». Mose steht nicht für sich selbst da, sondern für Gott. Er vertritt Gott vor der Welt. Damit nimmt er die Rolle ein, die Gott zuerst der ganzen Menschheit gab und später nochmals neu dem Volk Israel geben wird (siehe letzter Artikel). Das ist der Kern von Moses Berufung: Er ist ein Stellvertreter, ein Vermittler, Botschafter, ein königlicher Priester.
Doch so nah Mose diesem biblischen Ideal auch kommen mag, vollständig erfüllen kann er es nicht. Er hinterlässt eine Leerstelle, die nach dem vollkommenen Stellvertreter schreit.
Ein Stellvertreter, den keiner will
Mose macht schnell die ernüchternde Erfahrung, dass seine Vermittlerdienste nicht gefragt sind. Weder Israel noch der Pharao wollen etwas davon hören. Der Pharao hat keinen Grund, sich die billige Arbeitskraft der Hebräer entgehen zu lassen. Im Gegenteil: Er tut alles, dass sie bloss nicht nochmals auf die dumme Idee kommen, irgendwelche Forderungen zu stellen! Darum: zusätzliche Strafarbeit (2Mose 5:17–18). Dies wiederum macht Mose bei seinen eigenen Leuten unbeliebt. Hätte dieser selbsternannte Führer bloss nichts gesagt!
Da wandte sich Mose an YHWH und sagte: Mein Herr, warum behandelst du dieses Volk so schlecht? Wozu hast du mich denn gesandt? Seit ich zum Pharao gegangen bin, um in deinem Namen zu reden, behandelt er dieses Volk noch schlechter, aber du hast dein Volk nicht gerettet. (2Mose 5:22–23)
Enttäuschung pur. Gott, du hast nicht getan, was du versprochen hast. Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden! Hier sehen wir einen entscheidender Entwicklungsschritt im Leben von Mose. Anstelle eines frustrierten: «Ich hab’s doch gesagt!», tritt ein: «Du hast doch gesagt!»:
Das ist etwas Erstes, was wir über den Vermittlerdienst lernen können: Wo Frust hochkommt, da deponiert man ihn am besten bei Gott. Dieser Schritt ist darum entscheidend, weil es zeigt, dass Mose das Gelingen seines Auftrags nicht mehr an seinen eigenen Möglichkeiten festmacht. Aus dem «Ich kann nicht reden» wird ein «Du hast versprochen». In seiner Antwort zeigt ihm Gott, dass Mose nicht versagt hatte. Es würde einfach länger dauern (2Mose 6:1).
Als würde Gott selbst auftreten
Anschliessend macht Gott Mose eine unglaubliche Zusage. Würde sie nicht in der Bibel stehen, wir würden sie für Gotteslästerung halten:
Der Herr sprach zu Mose: Hiermit mache ich dich für den Pharao zum Gott; dein Bruder Aaron soll dein Prophet sein. (2Mose 7:1)
Wenn Mose vor den Pharao tritt, ist er in diesem Moment mehr als bloss ein Stellvertreter. Gott selbst tritt auf. Etwas Ähnliches geschieht später, als Mose durch eine intensive Gottesbegegnung zu leuchten beginnt. Weil es die Israeliten erschreckt, muss Mose sein Gesicht verhüllen (2Mose 34:29–35). In diesen Momenten nimmt Mose seine Bestimmung als königlicher Priester voll ein (siehe mein letzter Artikel).
Stellvertretender Gehorsam
Mit dem Auszug verändert sich Moses Rolle. Er ist nicht mehr der Oppositionsführer, sondern der Leiter eines riesigen Volkes. Und dieses Volk ist wie alle Völker, die im Krisenfall ihren Führern misstrauen: Als der Pharao es sich anders überlegt und die Hebräer zurückholen will, ist das Vertrauen des Volkes in Mose schnell verschwunden.
Zu Mose sagten sie: Gab es denn keine Gräber in Ägypten, dass du uns zum Sterben in die Wüste holst? Was hast du uns da angetan? Warum hast du uns aus Ägypten herausgeführt? (2Mose 14:11)
Es ist ein Grundmuster der Menschheit, das sich auch beim Volk Israel zeigt: Die Vergangenheit wird falsch eingeschätzt und darum kommt man zu komplett falschen Schlüssen für die Gegenwart und damit auch die Zukunft. Ägypten war doch nicht so schlecht, Gott doch nicht so stark, Mose doch nicht toll. Wie wird Mose reagieren? Sprachlos wie früher? Lethargisch und redeunfähig wie damals?
Mose aber sagte zum Volk: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen, und schaut zu, wie YHWH euch heute rettet. YHWH kämpft für euch, ihr aber könnt ruhig abwarten. YHWH sprach zu Mose: Was schreist du zu mir? (2Mose 14:13–15)
Nun ist Mose voll in seiner Berufung als Vermittler angekommen. Der Text sagt es zwar nicht ausdrücklich, aber Gottes Antwort an Mose macht deutlich, dass Mose bei Gott für sein Volk eingestanden ist. Gott nimmt Moses Stellvertretung als echte Stellvertretung an. Er antwortet ihm nicht: «Was schreit das Volk zu mir?» Wie auch? Das Volk hatte ja Mose angeschrien. Doch Mose hatte verstanden, dass die Anklage des Volkes nicht ihm persönlich galt, sondern Gott (vgl. 1Mose 17:2). Mose, der Stellvertreter, nimmt den Unglauben Israels auf sich und deponiert ihn dort, wo er hingehört: bei Gott. Nicht Mose hat Israel aus Ägypten befreit, sondern Gott. Darum ist es auch nicht seine Sache, das Problem zu lösen, sondern Gottes Sache.
Moses Aufgabe ist die Vermittlung zwischen Gott und dem Volk. Und diese Aufgabe nimmt er wahr. Bis hin dazu, dass er stellvertretend für Gott handelt! Dies sehen wir eindrücklich, als Mose stellvertretend für Gott das Meer teilt (2Mose 14:16 und 2Mose 14:21).
Damit lernen wir etwas Zweites über Stellvertretung: Wäre es hier um den Glauben und den Gehorsam des ganzen Volkes gegangen, hätte Israel Ägypten niemals verlassen können. Was Gott sucht, ist ein einziger, der ihm ganz vertraut und gehorcht. Ein einziger. Ein einziger, der stellvertretend vor Gott steht.
Time to shine
Was folgt ist eines der schönsten biblischen Beispiele dafür, was Stellvertretung bedeutet. In den Kapiteln 32–34 läuft Mose zu Höchstform auf. Sein Ringen mit Gott ist so intensiv, dass ihm am Ende das bereits erwähnte Leuchten auf dem Gesicht steht. Man kann fast nicht überbewerten, wie wichtig diese Kapitel sind, wenn man verstehen möchte, was später ein anderer Stellvertreter tun wird, der vollkommener als Moses ist.
Falls du es noch nicht getan hast, empfehle ich dir, eine Bibel zur Hand zu nehmen und die Kapitel 32–34 selbst zu lesen. Jedes Wort scheint hier auf der Goldwaage zu liegen.
Da sprach der HERR zu Mose: Geh, steige hinab; denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat Verderben angerichtet! […] Und nun lass mich in Ruhe, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und ich sie vernichte. Aber dich will ich zu einem grossen Volk machen. (2Mose 32:7 und 2Mose 32:10)
Plötzlich geht es nicht mehr um Gottes Volk, sondern um Moses. Gott hat die Nase gestrichen voll und droht Israel mit Vernichtung. Bemerkenswert ist, dass Gott dabei sein Versprechen an Moses Urahn Abraham nicht vergisst: Von Abraham sollen viele Völker abstammen (2Mose 12:1–3). Dieses Versprechen überträgt Gott auf Mose. Nun könnte man meinen, dass dieses «Angebot» für Mose durchaus verlockend ist. Immerhin hat auch er unter der Halsstarrigkeit des Volkes gelitten. Gott bietet Mose einen Neustart, einmal neu anfangen auf der grünen Wiese. Streng genommen hätte Gott auch so seine Versprechen eingehalten. Doch Mose weiss, dass es Gott am Anfang anders gemeint hat. Und so stellt sich Mose, der Stellvertreter, in den Riss, der sich zwischen Gott und Israel aufgetan hat.
Sollen etwa die Ägypter sagen können: In böser Absicht hat er [Gott] sie herausgeführt. […] Denk an deine Knechte, an Abraham, Isaak und Israel, denen du mit einem Eid bei deinem eigenen Namen zugesichert hast. (2Mose 32:12–13)
Moses Argumentation ist einfach: Das bist nicht du, Gott. Was auch immer du da gerade vorhast, das bist nicht wirklich du. Das entspricht nicht deinem Charakter. Du bist nicht böse. Du brichst deine Versprechen nicht. Mose hat Erfolg – Gott lässt sich umstimmen.
Was folgt ist ein eigenartiger Wechsel in Moses Gemütszustand, der nur verständlich ist, wenn man seine doppelte Funktion versteht. Er vertritt die Israeliten vor Gott, aber auch Gott vor dem Volk. So ist es nun nicht Gott, der Israel straft, sondern Mose. Wer ist nun der Ankläger und wer der Verteidiger? Gott und Mose scheinen sich in diesen Rollen abzuwechseln. Denn kaum ist Moses Strafaktion vorbei, scheint er zu realisieren, dass das nicht reicht. Die selbst auferlegte Strafe reicht nicht, es braucht Vergebung. Moses Bitte auf dem Sinai ist herzzerreissend:
Doch jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du angelegt hast. (2Mose 32:32)
Mose bietet sein eigenes Leben an! Wenn es für Israel keine Erlösung gibt, dann auch nicht für Mose! Gott erwidert, dass das nicht geht. Zwischen den Zeilen kann man das gleiche Argument lesen, das Mose vorher angebracht hat: Das bin nicht ich. Ich kann nicht einfach Schuldige und Unschuldige in den gleichen Topf werfen.
Gott hasst die Sünde so sehr, dass er nicht in ihrer Nähe sein kann.
Ich selbst ziehe nicht in deiner Mitte hinauf, denn du bist ein störrisches Volk. Es könnte sonst geschehen, dass ich dich unterwegs vernichte. (2Mose 33:3)
Gott kann und will nicht mehr selbst mit dem Volk mitziehen. Von nun an würde ein Engel sie leiten. Das Volk erschrickt über diese Worte und tut Busse. In der folgenden Zeit ringt Mose mit Gott. Jeden Tag geht er in das Zelt der Begegnung. Und Gott redet mit ihm, wie mit einem Freund. In dieser Freundschaft kann Mose für sein Volk eintreten. Denn er weiss noch immer: Israel ist Gottes Volk. Israel ist nichts ohne Gott. Wenn Gott nicht vorangeht, dann ist alles umsonst. Und tatsächlich lässt sich Gott umstimmen: Er schickt nicht einen Engel, sondern er selbst wird mitkommen. Mehr noch, er zeigt sich Mose auf unbekannte Weise und erneuert seinen Bund mit Israel.
Hier ist Mose an seinem Höhepunkt seiner Stellvetreter-Rolle. In diesem Moment glänzt er wortwörtlich in seiner Berufung. Das wird nicht immer so bleiben. Sein Gottvertrauen ist nicht immer perfekt (4Mose 20:12). Doch genau das hätte das Volk gebraucht: Einen, der immer und auf vollkommene Weise für sie in den Riss treten würde. Und auch wenn Mose perfekt wäre, was würde nach seinem Tod passieren? Und so spricht Mose am Ende seines Lebens eine Prophetie aus, welche in Israel die Hoffnung auf einen perfekten Stellvertreter wachhält:
Einen Propheten wie mich wird dir YHWH, dein Gott, aus deiner Mitte und aus deinen Brüdern erwecken; dem sollt ihr gehorchen. (5Mose 18:15)
Der perfekte Stellvertreter
Und wer jetzt schon die ganze Zeit nervös darauf wartet, dass ich es endlich sage – dein Warten ist vorbei. Natürlich geht es in diesem Artikel nur oberflächlich um Mose. Eigentlich geht es um Jesus von Nazareth, den zweiten Mose, den perfekten Stellvertreter. Mose gibt uns eine gut eingestellte Wahrnehmung für das Thema Stellvertreter. Über die universelle Bedeutung von Jesus Christus auf diesem alttestamentlichen Hintergrund erfahren wir in den nächsten Blogs dieser Serie mehr. Zum Abschluss möchte ich nur noch einen Gedanken ausformulieren – für mich den wichtigsten.
In Jesus haben wir den perfekten königlichen Priester, den perfekten Stellvertreter. Anders als Mose oder jeder menschliche Stellvertretung, versagt er nie. Er steht in diesem Riss zwischen Gott und uns Menschen und niemand kann ihn da wegholen. Darum braucht es neben ihm keinen weiteren Stellvertreter mehr. Trotzdem nimmt uns Jesus unsere Berufung als königliche Priester nicht weg. Er nimmt uns nur den Erfolgsdruck. Wir dürfen uns neben ihn in diesen Riss zwischen Gott und Mensch stellen und Vermittler des Heils sein, das Gott durch Christus in diese Welt bringen möchte. Wir dürfen mit ihm gemeinsam um die Einheit von Himmel und Erde ringen. Nicht, weil wir diese Aufgabe so gut machen würden — das hat die Menschheitsgeschichte mehr als eindeutig bewiesen. Nein, wir dürfen an der Heilung der Welt beteiligt sein, weil Gott treu ist. Es ist sein Charakter, dass er seine Zusagen nicht zurücknimmt. Wenn du Gott begegnen möchtest, dann kannst du das mit der Gewissheit tun, dass der perfekte Stellvertreter bereits dort steht und auf dich wartet. Und wenn du vor Menschen stehst, dann steh da mit dem Bewusstsein, dass Gott durch dich in diese Welt kommen möchte.
Nur ganz kurz, ich glaube da wurden versehentlich die falschen Bibelstellen angegeben. Es steht beinahe überall «1. Mose», obwohl es vermutlich «2. Mose» heissen sollte. Grüessli
Danke für den Hinweis! Hab es korrigiert.