Dieser Artikel ist Teil der 11-teiligen Serie «Die Zehn Gebote des progressiven Christentums — eine kritische Untersuchung von 10 gefährlich verlockenden Halbwahrheiten». Hier geht es zum Anfang der Serie.
Wir kommen schliesslich zum zehnten und letzten Gebot des progressiven Christentums. Dieses Gebot ist ein Klassiker: Das Leben im Diesseits ist wichtiger als die Zukunft im Jenseits.
Man kann sich kaum eine Aussage vorstellen, die den Kern des progressiven Christentums besser widerspiegelt als dieses Gebot. Tatsächlich offenbart dieses zehnte Gebot die tiefgreifende Wende, den progressive Menschen vollzogen haben, indem sie sich aktiv von den ewigen Dingen abgewandt haben und sich nun auf die irdischen Dinge konzentrieren. Wir sollten uns keine Sorgen darüber machen, was nach dem Tod passiert, da dies sowieso niemand so richtig wisse. Was zählt, ist, den Armen zu helfen, die Hungrigen zu speisen und menschliches Leid zu lindern.
Dieses Gebot bildet einen passenden Abschluss dieses kurzen Bandes, weil es viele der Werte des liberalen Christentums so prägnant verkörpert, auf die Machen vor so vielen Jahren hingewiesen hat. Hier sind einige davon, welche einige der hervorstechendste Punkte aus den vorangegangenen Kapiteln widerspiegeln.
Der Vorrang des Horizontalen gegenüber der Vertikalen
Gemäss progressiven Christen haben die Menschen ein echtes Problem. Aber es ist nicht, dass sie rebellische Sünder sind, die einen heiligen Gott beleidigt haben. Vielmehr besteht das Problem der Menschheit darin, dass es Leiden, Krieg, Armut und Krankheit gibt.
Mit anderen Worten: Die Probleme der Menschheit werden von Progressiven in rein horizontalen Kategorien definiert (die Art und Weise, wie sich die Menschen zur Welt oder zu ihren Mitmenschen verhalten), und nicht in vertikalen Begriffen (die Art und Weise, wie sich der Mensch zu Gott verhält). Infolgedessen kann das höchste Ideal des progressiven Christentums nichts anderes sein als die Lösung gegenwärtiger, zeitlicher Probleme. Das Reden über die Ewigkeit wird bestenfalls als Ablenkung und schlimmstenfalls als Zeitverschwendung angesehen. Tatsächlich beklagt Gulley die «Beschäftigung» der Kirche mit dem Leben nach dem Tod und die «Überbetonung» dieses Themas und wie «ein Vermögen dafür ausgegeben wird, Menschen vor den imaginären Gefahren an imaginären Orten zu retten».[1]
Moralismus statt Erlösung predigen
Wenn es keine Ewigkeit gibt, um die man sich sorgen muss, worauf sollten sich die Menschen dann konzentrieren? Natürlich darauf, gute Werke zu tun und unseren Mitmenschen zu helfen. Das Markenzeichen des progressiven Christentums ist ein tiefes Engagement dafür, «gut» zu sein und «gute» Dinge zu tun. Gulley erklärt: «Wenn die Kirche christlich wäre, würden wir das tun, was Jesus getan hat — uns gegenseitig helfen, in dieser Welt besser zu leben, und aufhören, uns um die nächste Welt zu sorgen.»[2]
Jeder, der mit den Lehren Jesu vertraut ist, sollte diese Aussage schlicht verblüffend finden. Jesus machte sich durchaus Gedanken über das Jenseits und sprach oft darüber:
«Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.» (Mt 10:28).
Wenn es keine Hölle, keine Sünde und kein Gericht gibt, dann bleibt dem progressiven Christentum nichts anderes übrig, als eine moralistische Religion zu werden.
Unsicherheit vorgeben, während man sich im Grunde genommen seiner Sache gewiss ist
Der Kern von Gulleys Argumentation ist die Überzeugung, dass die Hölle nicht real ist: «Ich beschloss, keinerlei Anstrengungen mehr zu unternehmen, um die Seelen der Menschen vor einer Hölle zu retten, an die ich nicht mehr glaubte.»[3] Tatsächlich behauptet Gulley im selben Kapitel wiederholt, dass es keine Hölle gibt. Diese Überzeugung vertraut er setzt sein ewiges Schicksal an (wie auch das Schicksal anderer).
Aber woher weiss er das? In Gulleys Argumentation fehlt jede Begründung für seine Behauptung, so etwas wissen zu können. Er stellt seine Behauptung einfach auf, ohne sie zu untermauern.
Die Ironie seiner Behauptung besteht darin, dass Gulley sich selbst als den demütig Suchenden darstellt, der sich seiner Überzeugungen nicht sicher ist: «Ich bin noch nicht zu einem endgültigen Verständnis von Gott gelangt und ich vermute nicht, dass ich das jemals tun werde.»[4]
Dies wirft ein Schlaglicht auf eine der bemerkenswertesten und verderblichsten Techniken des progressiven Christentums: Betone vordergründig die Ungewissheit, während du unbemerkt deine eigenen Überzeugungen ins Spiel zu bringst, darauf hoffend, dass niemand die grundlegende Heuchelei und Inkohärenz bemerkt.
Schlussfolgerung
Wir sehen also, dass Gulleys letztes Gebot drei Kennzeichen des progressiven Christentums meisterhaft auf den Punkt bringt:
- Es konzentriert sich auf den Menschen statt auf Gott.
- Es spielt die Lehre zugunsten der Moral herunter.
- Es behauptet Ungewissheit, während es sich seiner selbst sehr, sehr sicher ist.
Tragischerweise verdunkelt diese progressive Position die wahre Botschaft des Christentums – die wahre Botschaft Jesu. Jesus hat sich sehr um das Leiden der Menschen gekümmert und er hat Christen aufgerufen, dasselbe zu tun. Wir wenden uns dem menschlichen Leid jedoch nicht als moralischer Akt zu, sondern als Antwort auf die Gnade, die uns am Kreuz erwiesen wurde.
Ausserdem wenden wir uns nicht ausschliesslich dem zeitlichen menschlichen Leid zu. Denn selbst wenn es uns gelänge, alles menschliche Leid irgendwie zu lindern, würde dies nichts an der grössten Not der Menschheit ändern. Wie Jesus uns daran erinnert:
«Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und seine Seele verliert?» (Mt 16:26).
Fragen zur Reflexion (nicht im Original)
Das zehnte Gebot des progressiven Christentums lautet: «Das Leben im Diesseits ist wichtiger als die Zukunft im Jenseits»
- Wo bemerkst du in deinem christlichen Umfeld eine Veränderung hin zu reinen diesseitigen Anliegen auf Kosten der Bedeutung des Jenseits? Wie lehrt die Bibel darüber? z.B. 1Kor 15:12–19; 1Kor 15:58; 1Pe 1:1–25; 1Tim 6:17–19
- Lehrt die Bibel die Existenz von Himmel und Hölle? Welche Auswirkungen soll das gemäss der Bibel auf unser diesseitiges Leben haben? Welche Bibelstellen findest du dazu? Es gibt unzählige Stellen, in denen die Bibel zu dieser Frage spricht. Zusätzlich zu den Bibelstellen, die bei Frage 1 aufgeführt sind, könnten z.B. diese Bibelstellen besprochen werden: Mt 10:26–33; Mt 5:22; Mt 25:14–30; Mt 25:31–46; 2Thess 1:6–12; Offb 2:10
- Was nimmst du mit aus der Lektüre dieses Kapitels, das dir hilft, in den Inhalten von progressiver Literatur oder Podcasts besser unterscheiden zu können, was biblisch und was nicht biblisch ist?
- Wie würdest du den Kern des progressiven Christentums mit eigenen Worten beschreiben?
- Was hast du durch die Lektüre von Krugers zehn kurzen Kapiteln gelernt? An welchem Punkt erkennst du, dass du selbst von einigen Halbwahrheiten beeinflusst bist, die Kruger in diesen Kapiteln bespricht? Welche biblischen Wahrheiten können dir helfen, dein Denken zu ändern und wieder auf Spur zu kommen?
- Wem könntest du empfehlen, diesen Text von Kruger zu lesen, weil diese Person sich mit diesen Fragen beschäftigt oder beschäftigen sollte?
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Fussnoten
[1] Philip Gulley, If the Church Were Christian: Rediscovering the Values of Jesus (San Francisco, CA: HarperOne, 2010), Seiten 175, 176, 184
[2] Gulley, 184
[3] Gulley, Seite 181
[4] Gulley, Seite 18
Die Fragen zur Reflexion wurden durch Daniel Option zusammengestellt.
Vielen Dank für die gute und kritische Auseinandersetzung mit dem Liberalismus, Progressiven Christentum, den Post-Evangelikalen Entwicklungen, oder wie man es benennen will.
Die Verführung, die Jesus in vorausgesagt hat, kommt definitiv aus den (vordergründig) eigenen Reihen. Es ist ja spannend: nachdem der historisch-kritische Weg in der Theologie die reformierten Kirchen mehrheitlich ihrer Kraft beraubt hat — Gott sei dank gibt es noch gläubige Jesus Nachfolger unter den Pfarrern / Pfarrerinnen — kommt nun eine nächste Phase: die progressive Theologie (kann man das noch Theologie nennen; vielleicht passt besser Soziologie) untergräbt die Freikirchen nach und nach, so dass ihnen das gleiche Schicksal droht: sie verschwinden in die Bedeutungslosigkeit, weil sie die Kraft und Schönheit des Evangeliums mit einem therapeutischen Moralismus austauschen.
Danke auf jeden Fall. Sehr hilfreich und lernreich.
Danke
Herzlichen Dank für diese augenöffnende und sehr lehrreiche Serie.
Danke liebe Zoe. Es ging mir gleich wie dir!
Sehr Gerne. Danke für die Ermutigung.