Die Lust an Gott und seiner Schönheit entfacht sich in der Lust an seinem Wort, das seine Schönheit ausstrahlt. Die Bibel fasziniert mit literarischer Exzellenz. Sie transportiert aber mehr als textliche Schönheit, sondern auch Gottes Schönheit selbst.
Die Bibel hat eine anerkannte literarische Exzellenz. Ein ausgewiesener Experte dafür ist Leland Ryken. Er schreibt:
Gott hat Schönheit nicht nur in die erschaffene Welt gelegt, er hat sie auch bei der Beaufsichtigung der Komposition der Bibel nicht vernachlässigt. Die literarischen Teile der Bibel sind gesättigt mit Kunst. Auf diese zu achten und auszuführen ist ein wichtiger Teil des literarischen Zugangs zur Bibel. Dies zu tun, kann eine neue Dimension und Ebene des Genusses zu unserer Lektüre und unserem Studium der Bibel hinzufügen. (Leland Ryken, eigene Übersetzung)
Gott ist ein ausgewiesener Meisterkünstler, und die Bibel deshalb ein Kunstwerk. Der Hintergrund dafür ist darin zu finden, dass etwas von Gottes Wesen, welches schön ist, sich auf die Bibel überträgt. Diverse Bibelstellen sprechen von einer Art Wesensverbundenheit zwischen Gott und seinem Wort, der Bibel. Diese Bibelstelle gefällt mir besonders gut:
Denn keine dieser prophetischen Aussagen ist je durch den Willen eines Menschen hervorgebracht worden. Sondern durch die Einwirkung des heiligen Gottesgeistes wurden Menschen bewegt und sprachen Dinge aus, die von Gott her kamen. (2Petr 1:21)
Es lohnt sich, den ganzen Abschnitt zu lesen (2Petr 1:16–21). Der Ursprung der Worte der Bibel wird hier bei Gott selbst lokalisiert. Nicht Menschen haben dieses Buch initiiert und dessen Inhalt geprägt. Gott hat es getan. Was Gott sagt, wird in unserer Welt durch Gottes Inkarnation in Jesus Christus und durch die Bibel unglaublich konkret .
Manche Theologen bestreiten die Wesensverbundenheit von Gott und Bibel und sprechen lieber von einer Wirkungseinheit. In diesem Fall wäre zwar die Wirkung Gottes schön, aber das Vehikel (die Bibel), hätte nicht dieselbe Art oder Qualität der Schönheit. In diesem Verständnis wäre die Bibel selbst verunreinigt, mancherorts vielleicht sogar unschön. Wir können sie ausbessern, korrigieren,. Wir können sie schöner machen. Wir können ihr geben, was ihr an Schönheit fehlt. So zumindest scheint das Denken mancher Personen zu sein.
Ich sehe das anders. Ich erkenne kein Problem darin, von mehr als nur einer Wirkungsverbundenheit zu sprechen. Die Bibel ist nicht nur deshalb schön, weil sie literarisch top ist — das ist sie auch. Die Bibel ist nicht nur deshalb schön, weil sie Gottes schöne Wirkungen in dieser manchmal wüsten Welt anbringt — das tut sie auch. Sondern die Bibel selbst ist schön, weil sich in ihr selbst Gottes Wesen widerspiegelt. Die Bibel selbst ist nicht Gott — natürlich nicht. Wir beten als Christen nicht die Bibel an, sondern Gott. Wir glauben nicht an die Bibel, sondern wir glauben der Bibel. Aber die Bibel ist wegen ihrer Wesensverbundenheit mit Gott in einer speziell ‘dichten’ Weise schön. Kirchenhistoriker RL Wilken gibt Origen’s Sicht der Bibel wider:
In seinem Kommentar über das Hohelied der Liebe schreibt Origen, dass “die Seele bewegt ist von himmlischer Liebe und Sehnsucht, wenn es die Schönheit und Anmut von Gottes Wort erfasst”. Nebst der Wahrheit und Güte der Offenbarung Gottes, kann sie als etwas unbeschreiblich Schönes gesehen werden. (Wilken, The Spirit of early Christian Thought, eigene Übersetzung aus dem Englischen)
Unser Zeitalter ist eher bibelkritisch. Ich würde sagen, dass die Bibel keine Angst hat vor Kritik. Trotzdem: Wer nur kritisch an die Bibel herantritt, verpasst vielleicht deren tiefe Schönheit, die schlicht einfach nur genossen werden soll, statt rein rational formuliert werden will. Man kann Leonardo Da Vinci’s Kunstwerke kritisch analysieren und deren herrliche Schönheit verpassen. Wie schade wäre das!
Was kann ich tun, wenn ich die Bibel nicht mehr als etwas sehe, das gefüllt ist mit der göttlichen Schönheit? Da kann ein Blick in die Bibel selbst helfen! Und innerhalb der Bibel heilt unsere Wahrnehmung möglicherweise besonders gut, wenn wir jene Texte an unsere Seele heranlassen, wo Gläubige ihre Sehnsucht nach der Herrlichkeit des Wortes Gottes beschreiben. Zum Beispiel trieft der Psalm 119 von Schönheit. Kürzlich hörte ich, wie der Text in einer Predigt vorgelesen wurde. Der Text traf mich mitten ins Herz, denn der Autor beschreibt seine Erfahrung von der Schönheit der Bibel, von Gottes Wort und Gesetz, von Gott und seiner Wirkung! Hier einige Aussagen aus der Übersetzung ‘Das Buch’ von Roland Werner:
Ich habe die Grenzen alles Vollkommenen gesehen, doch deine Gebote reichen weit darüber hinaus. (Ps 119:96)
Wie habe ich dein Gesetz doch so lieb! Den ganzen Tag lang denke ich darüber nach. (Ps 119:97)
Mein Innerstes achtet auf deine Vorschriften und hat sie sehr lieb. (Ps 119:67)
Mein Innerstes verzehrt sich vor Sehnsucht nach deinen Urteilen, zu jeder Zeit. (Ps 119:20)
Deine Vorschriften sind meine größte Freude, sie sind für mich wie gute Berater. (Ps 119:24)
Ich kann mich auf weitem Raum bewegen, denn ich frage nach deinen Anweisungen. (Ps 119:45)
Deine Gebote waren für mich wie Musik, selbst in dem Haus, in dem ich nur zu Gast war. (Ps 119:54)
Ich empfehle meinen Lesern, sich 30 Minuten Zeit zu nehmen, um den längsten Psalm zu lesen. Geniesse den ganzen Text, der den tiefen Hunger, die Sehnsucht, die Lust nach Gottes Wort zum Ausdruck bringt, welche der Autor erlebt. Lies den Text mit einem Gebet im Herzen “Gott der Bibel, erleuchte die Augen meines Herzens, dass ich beim Lesen die tiefe Schönheit deines Wortes und deiner Selbst wahrnehmen darf!” Vielleicht liest du den Psalm 119 einmal die Woche bis Ostern, um darin aufzugehen. Es wäre super, wenn du im Kommentar-Bereich notierst, was du entdeckst. Was ist die Schönheit von Gott und von seinem Wort gemäss dem Psalm 119?
Noch ein Zitat von Sigi Zimmer: “Gott erreicht mit der Bibel, was immer er mit der Bibel erreichen will.” Diese Aussage lässt sich von keinem wörtlich-fundamentalistischen oder “evangelikalen” Schriftverständnis toppen, was “Bibeltreue” im Sinne der Treue zur Bibel betrifft (von dir als Denker wundert mich die Argumentation mit einem innerbiblischen Zirkelschluss zu 2Petr).
Hör dir irgendeinen Vortrag von Zimmer mit offenen Ohren an, und du merkst, dass er nichts an der Bibel “verunreinigt” oder “unschön” findet. Im Gegenteil: Mitunter Sigis Schwärmen von den der Schönheit biblischer Texte hat in mir und vielen, vielen anderen eine neue Liebe zu und Ehrfurcht vor diesen entfacht. Sehr deutlich bringt Sigi die Schönheit der bibl. Texte z.B. in seinem Referat zu Ex. 3,1–14 zum Ausdruck.
Um die Schönheit der bibl. Texte zu betonen, wäre eine solche vorgeschobene Abgrenzung gegenüber Zimmer (und damit allem was als “liberal” gilt) gar nicht notwendig.
Man darf / soll kritisch sein und hinterfragen dürfen. Aber diese Verkehrungen der eigentlichen Intention von Autoren, die mir hier immer wieder begegnen, sind schlicht unfair und unehrlich. Letztlich sagen diese Uminterpretationen immer mehr über den Hörenden, als über den Autor (hier Sigi). Jede/r hört und sieht, was er/sie zu hören und zu sehen bereit ist.
Das habe ICH HIER gehört…
Wenn es unfair von mir war, nehme ich den Teil des Textes zurück. No Problem. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Intention und dem, was es eigentlich ist. Da würde ich Zimmer nicht zu schnell die Absolution geben. Um über die Schönheit der Schrift zu reden, muss man über die Wesenseinheit von Gott und Schrift reden. Und die ist bei Zimmer — so meine ich wenigstens — nicht gegeben. Ich nehme das Beispiel von ihm zur Sicherheit raus und danke dir für diesen Hinweis. Ob die Autoren auf DanielOption das immer wieder tun — davon sind wir nicht gefeit. Aber ‘immer wieder’? Nun, da könnten wir ja noch über ein paar andere Exponenten uns unterhalten 🙂
PS: Zirkelschlüsse sind nicht immer so problematisch, wie man denkt. Ich würde behaupten: Wir alle haben Arten von Zirkelschlüsse drin, die nicht so ein grosses Problem sind.