Tyrann und böse Stiefmutter – Was uns Märchen und Mythen lehren

Lesezeit: 4 Minuten
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by Ádám Szabados | 13. Feb. 2022 | 2 comments

Reflex­io­nen zu einem Gedanken in Jor­dan Peter­sons Buch Jen­seits der Ord­nung. 12 weit­ere Regeln für das Leben.[1]

Wir tun gut daran, die alten Mythen ernst zu nehmen, meint Jor­dan Peter­son, denn ihre kun­stvolle Form enthält Erfahrun­gen der Men­schheit, die durch die Jahrtausende gek­lärt, geschlif­f­en und mit Weisheit angere­ichert wor­den sind.

Ihm wür­den die bei­den Oxforder Fre­unde und Mythen-Lieb­haber C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien gewiss beipflicht­en. Eben­so darin, dass die mythis­chen Erzäh­lun­gen der Bibel beson­ders bemerkenswert sind. Lewis hielt sie zwar, was die lit­er­arische Gat­tung anbe­langt, für schwäch­er als etwa die nordis­chen Mythen, was wohl daran liegt, dass in der Bibel reale Ereignisse beschrieben wer­den und dass die Wirk­lichkeit nie so stil­isiert daherkommt wie lange gereifte, uni­verselle Erzäh­lun­gen. Jeden­falls bewahren Mythen unzäh­lige Beobach­tun­gen aus dem men­schlichen Zusam­men­leben und sind über­aus lehrre­ich. So lehren sie uns auch wesentlich­es über den Tyran­nen und über die Stief­mut­ter [2].

Die alten Geschicht­en drama­tisieren, so Peter­son, das Grundge­füge der Welt in der Fig­urenkon­stel­la­tion von sechs Akteuren. Es sind fol­gende Pro­tag­o­nis­ten: Der Held und ein Gegen­spiel­er, zwei Patri­archen: der weise König und der Tyrann, sowie eine pos­i­tive und eine neg­a­tive Mut­ter­fig­ur. Als siebter Akteur fungiert im Hin­ter­grund das Chaos, „in gewiss­er Weise der Geburt­sort aller anderen“. (S. 323 der ung. Ausgabe)

Peter­son betont, dass diese sechs als „exis­ten­zielle Kon­stan­ten“ jew­eils Ele­mente uni­verseller men­schlich­er Erfahrun­gen darstellen, denen wir nicht auswe­ichen dür­fen, wenn wir nicht unterge­hen wollen. „Die unzure­ichende Ken­nt­nis der Rol­len­verteilung – ob bewusst oder unbe­wusst – macht schut­z­los; man ist unvor­bere­it­et und eine leichte Beute für Betrug, Zorn und Arro­ganz.“ (S. 324.) – „Wer weise ist, inte­gri­ert alle sechs Ele­mente in seine poli­tis­che Philoso­phie, auch wenn er sie nicht mit diesen Begrif­f­en beschreiben würde.“ (S. 324)

Welche Fol­gen es hat, wenn man die Rol­len­verteilung nur bruch­stück­haft wahrn­immt, zeich­net der kanadis­che Psy­chologe anhand des Unter­schiedes zwis­chen lib­eraler und kon­ser­v­a­tiv­er Ein­stel­lung nach:

„Lib­erale neigen dazu, die Welt als einen Ort zu begreifen, in dem der autoritäre Tyrann die gütige Göt­tin unter­drückt (.…) Kon­ser­v­a­tive machen hinge­gen die Erfahrung, dass der weise König – die Sicher­heit, die Ord­nung, das Berechen­bare – die böse Köni­gin – näm­lich die unge­ord­nete, chao­tis­che Natur – in die Knie zwingt, zähmt und maßregelt. (…) Es ste­hen sich also zwei Ide­olo­gien gegenüber – bei­de haben ‚recht’, aber bei­de erzählen nur eine Hälfte der Geschichte.“ (S. 322)

Anders aus­ge­drückt: Während Lib­erale sich von den sechs Fig­uren in erster Lin­ie vor dem Tyran­nen in Acht nehmen und ihre Ziele gegen ihn for­mulieren, ban­gen Kon­ser­v­a­tive vor allem wegen der bösen Stief­mut­ter um die Welt und ver­trauen dem weisen König. Die jew­eilige mythol­o­gis­che Land­karte erk­lärt viele Phänomene, die wir heute beobacht­en. Peter­son wid­met sich allen mythis­chen „Akteuren“, ich aber möchte hier auf den Tyran­nen und die Stief­mut­ter fokussieren, weil mir das am inter­es­san­testen scheint.

Einige Mit­men­schen reagieren instink­tiv ablehnend auf jegliche Vater­fig­ur, weil sie darin vor allem – oder auss­chließlich – den Tyran­nen sehen. In ihren Augen ist ein stark­er männlich­er Leit­er gle­ichbe­deu­tend mit Unter­drück­ung. Auch der weise König ist ein Tyrann, nur ist er noch nicht ent­larvt. Diese Mit­men­schen wün­schen sich eine „fem­i­ninere“ Welt, ein Umfeld, in der weniger Ord­nung, Unter­schei­dung, Autorität vorherrscht, stattdessen mehr Natur, Unbes­timmtheit und zu befruch­t­en­des Chaos. (Oder ein von jeglichem Samen ver­schontes Chaos, denn die Man­neskraft birgt stets ein Gewalt­poten­zial.) Im weib­lichen Prinzip erken­nen sie die Voraus­set­zung für Frieden, für die Frei­heit des Schwe­bezu­s­tandes wie im Mut­ter­leib; oder aber das erre­gende Moment weib­lich­er Launen­haftigkeit, barmherzige Milde, Für­sor­glichkeit – alles, was der Tyrann ihrer Ansicht nach rauben und zer­stören will. In ihrer Erzäh­lung ist die gütige Mut­ter die Alter­na­tive zum Tyran­nen und umgekehrt. Der Tyrann muss ent­machtet, die Mut­ter ermächtigt wer­den, dann wird die Welt ein besser­er Ort.

Für andere Mit­men­schen repräsen­tiert das Chaos die alte Unord­nung der Unun­ter­schieden­heit, gegen die sie instink­tive Ressen­ti­ments hegen. Sie hal­ten sich zur Vertei­di­gung der Ord­nung an den weisen König, selb­st auf die Gefahr hin, dass dieser zum Tyran­nen wird, damit auf der Gegen­seite nicht die poten­zielle Stief­mut­ter die Ober­hand gewin­nt. Solche Mit­men­schen reagieren empfind­lich auf über­grif­fige Manip­u­la­tion weib­lich­er­seits und arg­wöh­nen zuweilen sog­ar hin­ter der güti­gen Mut­ter eine Stief­mut­ter, deren allumar­mende, aber selb­stisch-eitle und halt­lose Empathie jede Ord­nung unter­gräbt. Sie vertei­di­gen die Posi­tion des weisen Königs gegen die Gefahr der Dif­feren­zlosigkeit im Chaos und befürcht­en, dass im Kampf gegen den Tyran­nen die noch gefährlichere Tyran­nei aus dem Blick gerät, näm­lich die manip­u­la­tiv vere­in­nah­mende Herrschaft der Stief­mut­ter, die am Ende nicht nur den Mann ent­man­nt, son­dern auch die Frau schut­z­los zurücklässt.

Bei­de Ansin­nen gehen method­isch unter­schiedlich vor, die einen wählen eher masku­line, die anderen eher fem­i­nine Waf­fen­gat­tun­gen. Der tyran­nis­che Patri­arch ist schneller ent­larvt als die böse Stief­mut­ter, denn sein Arse­nal ist typ­is­cher­weise offen­er und schrof­fer. Auf der Stahlk­linge blitzt das Licht anders auf als auf einem vergifteten Apfel. Auch die Zielvor­gaben sind in der Regel gegen­sät­zlich. Für die Geg­n­er der Stief­mut­ter ist Ord­nung kein natür­lich­er Zus­tand, son­dern muss der Natur durch Weisheit und Kraft abgerun­gen und dann ständig im Kampf gegen das bedrohliche Chaos vertei­digt wer­den. Für die Geg­n­er des Tyran­nen ist die Natur der Inbe­griff guter Ord­nung, an der sich der Men­sch verge­ht, wenn seine männlichen Instink­te nicht im Zaum gehal­ten wer­den. Diese Fehde scheint bis in die Umwelt­poli­tik hineinzure­ichen. Typ­is­cher­weise ziehen diejeni­gen, die ihre Hoff­nung auf die gütige Mut­ter set­zen, den Umweltschutz der Förderung von Tech­nik und Indus­trie vor, die ihnen als Ein­mis­chung fal­lis­ch­er Tyran­nei erscheint, während die Getreuen des Königs hin­ter den Umweltschutzbe­we­gun­gen die alte List der Eso­terik arg­wöh­nen, die um Gaias Unberührtheit willen gar die gestal­ter­ische Kraft des Men­schen kastriert.

Peter­son hat recht, wenn er uns warnt, dass wir angesichts der Real­ität naiv und wehr­los wer­den, wenn wir die Akteure selek­tiv wahrnehmen. Es gibt Tyran­nen und es gibt böse Stiefmüt­ter, aber nicht jede Mut­ter ist stiefmüt­ter­lich und nicht jed­er König ist ein Tyrann. Wenn wir ständig gegen Tyran­nen zu Felde ziehen, ver­fall­en wir der Manip­u­la­tion der Stief­mut­ter; wenn wir den König ständig gegen die Manip­u­la­tion der Stief­mut­ter vertei­di­gen, merken wir nicht, wann er zum Tyran­nen mutiert ist. Der echte Held über­windet sowohl den Tyran­nen als auch die Stief­mut­ter, lernt dabei jedoch, sich auf die gütige Mut­ter und auf den weisen König zu verlassen.

Gott hat den Men­schen als Mann und als Frau erschaf­fen, damit bei­de Prinzip­i­en leib­haftig Gestalt gewin­nen. Auf­grund der Sünde jedoch sind diese Prinzip­i­en durcheinan­derg­er­at­en. Als Pro­tag­o­nis­ten müssen wir uns nun in dieser Real­ität bewähren, oder doch zumin­d­est unseren Platz finden.

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Der Artikel im Original:
Zsarnok és mosto­ha, Blo­gein­trag vom 29. 07. 2021: https://divinity.szabadosadam.hu/?p=28247&fbclid=IwAR17Gv2I0_8cr2FbV5DBLpr5NvmJ7bVzcG5BVqNhe8s4z0bbHxsGg6jnYPE

Fuss­noten:
[1] Jor­dan Peter­son Beyond Order. 12 More Rules for Life. Die Zitate aus dem ins Ungarische über­set­zten Buch (Túl a ren­den. Újabb 12 szabá­ly az élethez) sind hier ins Deutsche rückübersetzt.
[2] Im Ungarischen bedeutet das Adjek­tiv „mosto­ha“ ein­fach „stief“, und kann als Sub­stan­tiv sowohl Stief­mut­ter und Stief­vater meinen. Üblicher­weise assozi­iert man damit aber die sprich­wörtliche Stiefmutter.

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Kommentare zu diesen Beitrag

2 Comments

    • Peter Bruderer

      Hal­lo Rebek­ka. Vie­len Dank für deine Rück­mel­dung. Ja Neil Shen­vi ist ein äussert lesensen­wert­er Denker, abso­lut top!

      Reply

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