Antichristlicher Hass?

Lesezeit: 5 Minuten
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by Peter Bruderer | 25. Sep. 2025 | 13 comments

EINE PERSÖNLICHE ANTWORT AN MANUEL SCHMID

Das Atten­tat auf Char­lie Kirk hat sich zu einem kul­turellen Moment, möglicher­weise gar zu ein­er Zeit­en­wende entwick­elt. Ich habe seine Gedenk­feier auf Face­book geteilt. Der Beitrag wurde für diverse Per­so­n­en zum Anlass, «Dampf» abzu­lassen. Es brauchte eine Reaktion.

So sah sich zum Beispiel der The­ologe Manuel Schmid ver­an­lasst, die Trauer­feier als antichristliche, wider­liche und Hass schürende Instru­men­tal­isierung des Evan­geli­ums zu bezeichnen.

«Das war ein Gottes­di­enst, der zur poli­tis­chen Pro­pa­gan­dav­er­anstal­tung gemacht wurde. Die Reden haben das Evan­geli­um instru­men­tal­isiert, um die eige­nen parteipoli­tis­chen Ressen­ti­ments zu pfle­gen und Hass zu schüren. Das ist nicht nur wider­lich, son­dern – und dieses Wort ver­wende ich nur sel­ten – im schlimm­sten Sinne antichristlich.»

Für mich war dieser Kom­men­tar der Moment, um mich in eine Diskus­sion einzuschal­ten, die ich aus ver­schiede­nen Grün­den eigentlich nicht führen wollte. In der Diskus­sion wurde ich her­aus­ge­fordert, eine alter­na­tive Einord­nung zu for­mulieren. Ich pub­liziere diese nach­fol­gend in aller Ungeschlif­f­en­heit und Unvoll­ständigkeit, weil es für unsere Leser vielle­icht doch ein Denkbeitrag sein kann.

Der Livestream der Gedenk­feier kann hier nachge­se­hen wer­den. Wer mitre­den will, sollte sich die Zeit nehmen, um sich das Ganze möglichst in voller Länge anzuschauen. Die ’30 Sekun­den Trump’ reichen nicht, um die Ver­anstal­tung zu erfassen. 

Kom­mentare zu diesem Blo­gein­trag, welche nicht respek­tvoll sind oder Falschin­for­ma­tio­nen ver­bre­it­en, werde ich nicht freischalten.


Hoi Manuel

Du fragst nach ein­er alter­na­tiv­en Einordnung.

Um diese dif­feren­ziert zu erläutern, fehlt mir eigentlich die Zeit, weil ich in der End­pla­nung eines grossen Pro­jek­tes bin. Trotz­dem habe ich mir jet­zt Zeit genom­men, um für dich einige Ansatzpunk­te zu for­mulieren. Ich gebe diese bewusst als Kon­trast­pro­gramm zu dein­er Wahrnehmung, rel­a­tiv unge­filtert und mit dem Risiko, dass sie in ihrer Kürze falsch ver­standen wer­den können:

1.⁠Ich pflege nicht mit dem Plan an Trauer­feiern zu gehen, diese zu sezieren und zu kri­tisieren, son­dern um Rev­erenz zu erweisen. Mit dieser Hal­tung habe ich auch die Trauer­feier von Kirk angeschaut. Deshalb auch meine Zurück­hal­tung im öffentlichen Kommentieren.

2.⁠Ich war unge­wohnt berührt von der Kraft der gesun­genen geistlichen Anbe­tungslieder und von den ein­fachen und klaren Glaubens­botschaften viel­er Red­ner­in­nen und Red­ner. Dass dadurch wohl hun­derte von Mil­lio­nen Men­schen ganz uner­wartet mit der guten Nachricht der Gnade Gottes in Jesus Chris­tus in Berührung gebracht wur­den, hat mich berührt und bewegt. Ich sage dies als ein­er, der sowohl gewis­sen Phänome­nen in der mod­er­nen Wor­ship-Kul­tur als auch gewis­sen Strö­mungen und The­olo­gien inner­halb des Evan­ge­likalis­mus dur­chaus kri­tisch gegenüber­ste­ht. Gottes Geist war am Wirken und das Evan­geli­um wurde laut und klar verkün­det – viel klar­er als in so manch­er Kirche (und Freikirche!).

3.⁠Ich habe mir von einem mir eher unsym­pa­this­chen Polemik­er wie Tuck­er Carl­son mit bewegten Worten erläutern lassen, warum persönliche Busse und Umkehr zum Kern der christlichen Botschaft gehören, und warum ger­ade dies das Chris­ten­tum von der Poli­tik abset­zt. Ich habe mir von einem Poli­tik­er wie Mar­co Rubio eine erstaunlich schöne und präzise Erk­lärung des Evan­geli­ums in 90 Sekun­den geben lassen. Ändert sich etwas an der Wahrheit, die sie verkün­det haben, weil der eine ein Polemik­er ist und der andere ein Poli­tik­er? Ich habe bei­de Voten als erstaunlich authen­tisch emp­fun­den. Sie haben mich erre­icht. Ich musste mich neu den her­aus­fordern­den Paulus­worten aus dem Philip­per­brief stellen (Phil 1:15–18), dass sich die Moti­va­tio­nen, mit denen Men­schen von Chris­tus reden, mir let­z­tendlich entziehen, dass ich mich aber freuen soll, das Chris­tus verkündigt wird.

4.⁠Ich sehe in den aktuellen Entwick­lun­gen Gottes Wirken. Im anglo­pho­nen Raum ist sich geistlich wirk­lich etwas am Bewe­gen. Kirchen sind sich wieder am Füllen, aus ver­schieden – uns zum Teil unbekan­nten – Grün­den, aber u.a. auch dank Per­so­n­en wie Kirk, welche dem ‘wok­en Wahn’ der ver­gan­genen Jahre etwas ent­ge­genge­set­zt haben. Es gibt Kirchen, die im Nach­gang zum Kirk-Atten­tat hun­derte von Taufen ver­melden. Wir erleben his­torisch ein­ma­lige Phänomene, die sich mit­tler­weile Quan­tifizieren lassen, zum Beispiel, dass viel mehr junge Män­ner als gewohnt in die Kirchen strö­men und Jesus nach­fol­gen wollen. Diese Entwick­lung kommt für viele uner­wartet und sprengt diverse sozi­ol­o­gis­che Erfahrungswerte. Kirch­liche Leitungsper­so­n­en, welche dies nicht als Chance erken­nen, son­dern sich lieber an den neuen Leit­fig­uren abar­beit­en, die ihnen nicht passen, wer­den lei­der ver­passen, was Gott am Wirken ist.

5.⁠Jed­er erweck­liche Moment ist auch ein Moment der Gefahr. Jed­er Move Gottes geht damit ein­her, dass sich auch der Teufel auf­macht, um zu stehlen und zu ver­nicht­en (Joh 10:10). Zeit­en der Erweck­ung waren schon immer auch Zeit­en der Ver­wirrung und der Ver­führung. Das ist kirchen­his­torisch gut belegt. Damit soll gesagt wer­den, dass unser geistlich­er Moment dur­chaus Wach­samkeit braucht. Aber kirch­liche Leitungsper­so­n­en, welche vor allem mit Abgren­zung und ‘Brem­sklotz’ auf das aktuelle Phänomen reagieren, weil ihnen gewisse Pro­tag­o­nis­ten nicht passen, weil ihnen die direk­te oder kon­fronta­tive Art dieser aktuellen Bewe­gung nicht passt, weil ihnen vielle­icht ins­ge­heim die Liebe der Welt wichtiger ist, als die Welt mit der Wahrheit und Liebe Christi zu lieben, weil ihnen vielle­icht schlicht und ein­fach die kon­ser­v­a­tiv­en Posi­tio­nen der neuen Kirchgänger nicht passen — diese kirch­lichen Leit­per­so­n­en riskieren anstatt Förder­er des Reich­es Gottes zu Ver­hin­der­ern zu werden.

6.⁠ ⁠Die Fra­gen des Ver­hält­niss­es von Glauben, Kirche und Staat müssen dif­feren­ziert, zusam­men­hän­gend und mit der Bibel in der Hand studiert und besprochen wer­den. Die aktuelle Diskus­sion um christlichen Nation­al­is­mus (CN) sehe ich an erster Stelle als Zuschrei­bung, ent­standen um gewisse Grup­pen von Per­so­n­en mit kon­ser­v­a­tiv­en ethis­chen Posi­tio­nen als bedrohlich zu fra­men und als tox­isch darzustellen. Deshalb weigere ich mich, ein­fach auf diesen Zug der Angst­macherei aufzusteigen oder mich diesem zu beu­gen. Wer bei diesem The­ma die Angstkeule schwingt, sollte zumin­d­est auch vor der eige­nen Haustüre kehren. Dann müssen wir auch über die seit vie­len Jahren bere­its vol­l­zo­gene Fusion von pro­gres­sivem Chris­ten­tum mit link­er Poli­tik reden. Eine Fusion, die so voll­ständig ist, dass es gar nicht mehr bemerkt wird. Dann müssen wir auch darüber reden, wie aktuell kirch­liche Insti­tu­tio­nen wie unsere Lan­deskirchen von ihrer his­torischen Verquick­ung mit dem Staat gle­ichzeit­ig prof­i­tieren und Gefan­gene von dieser sind. Ganz grund­sät­zlich müssen die ver­schiede­nen Mod­elle, was das Ver­hält­nis von Kirche und Staat bet­rifft, studiert und gegeneinan­der abge­wogen wer­den und auch dif­feren­ziert wer­den von Werte­diskus­sio­nen. Birgt ‘CN’ Gefahren? Ja ich sehe Gefahren. Das Reich Gottes gehört nicht den poli­tisch Mächti­gen, son­dern den­jeni­gen, die sich ihrer geistlichen Armut bewusst sind (Mt 5,3). Das schliesst aber nicht aus, dass auch poli­tisch Mächtige sich genau dessen bewusst sein kön­nen, und ihre Macht in diesem Bewusst­sein gottgemäss ausleben! Jeden­falls lasse ich mich durch die Drohkulisse des ‘CN’ nicht davon abhal­ten, mich über Men­schen zu freuen, welche im öffentlichen Raum wichtige christliche Wahrheit­en und Werte zum Leucht­en brin­gen, welche gesellschaftlich vielle­icht unpop­ulär sind (z.B. Schutz des unge­bore­nen Lebens) aber drin­gend im öffentlichen und auch im poli­tis­chen Raum präsent sein müssen.

7.⁠ ⁠Trump ist eine Rand­fig­ur im viel grösseren und span­nen­deren Feld dessen, was Gott am Wirken ist. Wir soll­ten für sein See­len­heil beten und dass er eine wahre Herzens­bekehrung erlebt. Es ist die Energie nicht wert, ihn täglich anzuprangern und als per­son­ifizierten Teufel und Antichris­ten zu hegen und zu pfle­gen. Gewisse Leute machen das seit bald 10 Jahren auf fast täglich­er Basis und das auch nur bei ihm. Wer solche Verz­er­run­gen ver­bre­it­et, bricht wohl oft das neunte Gebot (2Mo 20,16) und tritt die Ethik Christi mit Füssen, wie er sie in der Berg­predigt verkün­det (Mt 5,21–22, Mt 7,12).
Meine Hal­tung zu Trump? Könige kom­men und gehen (Trump schon ziem­lich bald), aber Gottes Reich währt für immer! Man kön­nte pos­i­tiver­weise erwäh­nen, dass Trumps Rede wohl eine Tugend bein­hal­tete, welche man bei Poli­tik­ern oft nicht find­et: Sie war ehrlich. Trump ver­mag ohne Gott nicht das zu tun, was die Witwe des Ermorde­ten mit Gottes Hil­fe zu tun ver­mag: zu vergeben.

8.⁠Ich möchte für Eri­ka Kirk beten. Sie ist die Verkör­pe­rung eines friedlichen christlichen öffentlichen Trauer­prozess­es nach grausam­ster Tat und ein Kon­trast­pro­gramm zu gewalt­täti­gen Trauer­prozessen ver­gan­gener Jahre (welche ‘christliche’ Influ­encer in mein­er Bub­ble para­dox­er­weise durch alle Böden vertei­digt haben). Es ist von gross­er geistlich­er Bedeu­tung, wie ihr weit­er­er Weg aussieht. Man wird ver­suchen, Frau Kirk zu instru­men­tal­isieren und zu manip­ulieren, und der Teufel wird ver­suchen, sie zu Fall zu brin­gen. Der wohl einzige Beitrag, den ich leis­ten kann, ist um den Schutz Gottes zu bit­ten für ihr Herz und ihre Familie.

Soweit mein Kon­trast­pro­gramm. Wir blick­en wohl durch völ­lig andere Brillen auf die gle­iche Realität.

En guete Tag.


Manuel Schmid antwortete mir auf diese Ausführungen:

Danke Peter für die aus­führliche Rück­mel­dung! Ich bin mit vie­len nicht ein­ver­standen, manch­es sehe ich sog­ar völ­lig ander­srum — aber lass uns doch im let­zten Punkt übere­in­stim­men: Ja, es ist mein Gebet, dass der Geist, der im Auftritt Eri­ka Kirks gewe­ht hat […] – dass dieser Geist in Erin­nerung bleibt, wenn Men­schen an diese Ver­anstal­tung zurück­denken, und dass sich Eri­ka Kirk von vergifteten, rach­süchti­gen, has­ser­füll­ten Men­schen nicht von ein­er jesus­mäs­si­gen Hal­tung abge­bracht wird!

Immer­hin darin find­en Manuel und ich uns also. Schade, dass wir uns in den anderen Punk­ten momen­tan nicht find­en, aber immer­hin darin.


Face­book Zitate: Es gibt einen Unter­schied zwis­chen schnellen Face­book-Kom­mentaren und reflek­tierten Tex­ten. Deshalb danke ich Manuel Schmid für die fre­undliche Genehmi­gung zur Pub­lika­tion sein­er Kom­mentare.
Bild: Alamy

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

13 Comments

  1. Wolfgang Ackerknecht

    Danke Peter. Stimme mit dir übere­in. — Ja, die lange Trauer­feier regt an. Lei­der wird der poli­tis­che Geg­n­er immer wieder dif­famiert. Von ‚Chris­ten‘ erwarte ich ein besseres Word­ing. Deshalb ver­passen es die Repub­likan­er, ins­beson­dere der Präsi­dent, ver­söh­nende Punk­te zu setzen.

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    • Peter Bruderer

      Danke Wol­gang fürs Lesen und Reagieren.

      Reply
  2. David Jäggi

    Verge­bung unter dem Kreuz – Eine Antwort an Peter Bruderer

    In sein­er Rep­lik auf den Reflab-Pod­cast set­zt Peter Brud­er­er bei Manuel Schmids Ein­schätzung an, die Abdankungs­feier für Char­lie Kirk habe Hass geschürt. Brud­er­er will eine alter­na­tive Lesart anbi­eten. Doch seine Argu­men­ta­tion bleibt prob­lema­tisch – nicht (nur) wegen sein­er per­sön­lichen Betrof­fen­heit, son­dern weil sie zen­trale the­ol­o­gis­che und hermeneutis­che Fra­gen umgeht.

    1. Aus­gangspunkt ernst nehmen
    Brud­er­er begin­nt mit dem Zitat von Schmid („antichristlich… Hass zu schüren“), wech­selt dann aber schnell in sub­jek­tive Wahrnehmung: Die Feier habe ihn „berührt“, er habe Gottes Geist am Werk gespürt. Das mag aufrichtig sein, erset­zt aber keine Auseinan­der­set­zung mit der Kri­tik, dass ein Gottes­di­enst parteipoli­tisch instru­men­tal­isiert wurde. Ästhetis­ches Ergrif­f­en­sein kann die Frage nach der Wahrheit nicht sus­pendieren. Ger­ade diese Denkweise wird auf danielop­tion ja oft den «Geg­n­ern» ange­lastet und (richtiger­weise) als unzure­ichend für the­ol­o­gis­che Argu­men­ta­tion bezeichnet.

    2. Per­sön­liche Berührung ≠ the­ol­o­gis­che Legitimation
    Es ist für die evan­ge­lis­che The­olo­gie zen­tral, zwis­chen der escha­tol­o­gis­chen Frei­heit des Evan­geli­ums und jed­er irdis­chen Selb­stver­ab­so­lu­tierung klar zu unter­schei­den (sehr deut­lich hier: Molt­mann, natür­lich auch Barth). Wo litur­gis­che For­men mit nation­alpoli­tis­ch­er Rhetorik ver­schmelzen, braucht es zuerst die Kri­tik des Kreuzes. Dass viele „berührt“ waren, ist kein Wahrheit­skri­teri­um. In der Berg­predigt gel­ten Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit als Früchte des Glaubens (Mt 7,15–23). Wer auf volle Kirchen und Taufzahlen ver­weist, erset­zt die Kri­te­rien des Reich­es Gottes durch west­lich indi­vid­u­al­is­tis­che Erfol­gsindika­toren – die Gefahr eines Rück­falls in eine tri­umphale Ekkle­si­olo­gie lugt unter dem Rock­man­tel hervor.

    3. Kurz­schluss mit Paulus
    Brud­er­er zitiert Phil 1,15–18 („Haupt­sache, Chris­tus wird verkündigt“). Doch Paulus spricht hier von konkur­ri­eren­den Predi­gern im Bin­nen­raum der Gemeinde – nicht von macht­poli­tis­chen Akteuren, die religiöse Sprache zur nationalen Selb­stin­sze­nierung instru­men­tal­isieren. Die paulin­is­che Stelle sus­pendiert nicht die prophetis­che Pflicht zur Geis­terun­ter­schei­dung (1 Joh 4,1). Entschei­dend bleibt die Frage: Welch­er Chris­tus wird hier verkündigt – der Gekreuzigte in Knechts­gestalt oder ein tri­umphal­is­tisch über­höhter National-Christus?

    4. Verge­bung per­son­al – Gerechtigkeit öffentlich
    Die berührende Verge­bungs­formel der Witwe ist ein Geschenk, ein öster­lich­es Zeichen. Aber sie darf nicht als Ali­bi dienen, um struk­turelle und juris­tis­che Fra­gen zu umge­hen. Verge­bung hebt die Notwendigkeit von Wahrheit, Ver­ant­wor­tung und Rechtsstaat nicht auf (Röm 12,19; 13,4). Genau das benen­nt der Reflab-Pod­cast: Ein falsch ver­standenes Verge­bungsethos kann Opfer erneut belas­ten und Täter schützen. Brud­er­er geht daran vor­bei und rutscht in eine Rhetorik, die pas­toral warm klingt, rechtlich aber kalt bleibt.

    5. Christlich­er Nation­al­is­mus – mehr als ein Schlagwort
    Brud­er­er ver­ste­ht den Begriff „christlich­er Nation­al­is­mus“ als poli­tis­ches Fram­ing. Doch die eigentliche Frage lautet: Wird „Nation“ zur heils­geschichtlichen Trägerkat­e­gorie erhoben und religiös über­höht? Evan­ge­lis­che The­olo­gie wider­spricht jed­er Sakral­isierung der Nation (auch hier: Molt­mann, Barth u.v.m). Die Kirche lebt vom kom­menden Reich Gottes – nicht von der „Wiederge­burt“ ein­er Nation. Wer diese Dif­ferenz ver­wis­cht (wie im fraglichen Gottes­di­enst geschehen), raubt dem Evan­geli­um seine kri­tis­che Dis­tanz zur Macht.

    6. Ton­fall und Immunisierung
    Brud­er­er mah­nt Respekt und Liebe, reklamiert zugle­ich aber, „zu erken­nen, was Gott am Wirken ist“. Damit erhebt er einen exk­lu­siv­en Deu­tungsanspruch, der andere Stim­men belehrend abkanzelt. Beson­ders prob­lema­tisch ist sein Hin­weis, er habe „eigentlich keine Zeit“ für diese Rep­lik. Auf den ersten Blick wirkt das beschei­den; tat­säch­lich ist es eine rhetorische Rück­ver­sicherung. Denn so kann er jede Kri­tik mit dem Hin­weis entschär­fen, er hätte es aus­führlich­er und dif­feren­ziert­er schreiben kön­nen – wenn nur die Zeit gewe­sen wäre. Doch öffentliche the­ol­o­gis­che Rede trägt Ver­ant­wor­tung für das Gesagte, nicht für das Unge­sagte. Hoff­nung lebt nicht von hypo­thetis­chen Möglichkeit­en, son­dern vom ver­ant­wortlichen Wort jetzt.

    7. Hoff­nung unter dem Kreuz
    Die The­olo­gie der Hoff­nung hält die Span­nung aus: Sie tröstet die Opfer, ruft die Täter zur Umkehr – und ver­weigert jed­er religiös-nationalen Insze­nierung die Abso­lu­tion. Ja, die per­sön­liche Verge­bung der Witwe ist ein leuch­t­en­des öster­lich­es Zeichen. Aber ohne Wahrheit und Gerechtigkeit wird sie zum from­men Orna­ment. Verge­bung bleibt Gabe Gottes, nicht Pflicht­ge­setz; prophetis­che Kri­tik bleibt Teil des Evan­geli­ums, nicht sein Widerspruch.

    Kurzes Resümee
    Verge­bung darf nicht als Instru­ment men­schlich­er Macht miss­braucht wer­den. Sie ist ein Hoff­nungsze­ichen des kom­menden Reich­es Gottes. Deshalb braucht es sowohl das prophetis­che Nein zur religiösen Instru­men­tal­isierung wie das öster­liche Ja zur per­sön­lichen Gnade. Nur in dieser Span­nung wird das Evan­geli­um nicht verkürzt, son­dern als Hoff­nung für alle bezeugt.

    Drei Quellen, die mir vor dem Hin­ter­grund dieser Diskus­sion bedenkenswert erscheinen:
    Jür­gen Molt­mann, The­olo­gie der Hoffnung.
    Miroslav Volf, Exclu­sion and Embrace.
    Desmond Tutu, No Future With­out Forgiveness.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Lieber Dave. Danke für dein Votum. Ich freue mich, auf diesem Weg wieder mal von dir zu hören. Ich denke oft an dich, wenn ich nach Diessen­hofen reinfahre.

      Reply
  3. Katharina Steiner

    Lieber Peter
    Dein Artikel kommt tief aus deinem Herzen, ich empfinde ihn so echt und über­aus gut fokussiert, im Sinne von: „Worum geht es wirk­lich?“ — Wir kön­nen auch in dieser The­matik der recht grossen Gefahr erliegen, uns in Neben­schau­plätzen zu ver­lieren. Diese, so empfinde ich, hast du ger­adlin­ig links liegen gelassen. Danke sehr für deine erhobene Stimme.
    Von Herzen, Katharina.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke Katha­ri­na. Alles Gute Dir.

      Reply
  4. Josia Kübler

    Ich sehe es doch sehr ähn­lich wie du Peter.
    Ich habe prak­tisch die ganze Trauer­feier live geschaut und eigentlich nur weil ich hoffte noch einen Wor­ship Teil wie zu beginn zu hören! Das war wirk­lich sehr kraftvoll und schön!
    Danach haben mich einige Red­ner pos­i­tiv über­rascht und andere waren mir in Art und Inhalt unsympathisch.

    Worte wie z.B. die von Frank Turek sind jedoch wirk­lich wahr, bibel­fundiert und evan­ge­lis­tisch. So sagte er abgekürzt, dass char­lie nicht für im Him­mel ist weil er für sein Ret­ter starb son­dern in den Him­mel kommt weil sein Ret­ter für Ihn starb! AMEN.

    Was natür­lich klar sein muss ist, dass man jede Botschaft prüfen soll und nur das gute behal­ten darf. (Die Jahres­lo­sung 2025)

    Trotz­dem würde ich mir wün­schen solche klare Worte auch in der schweiz von der wirtschaftlichen Führung zu hören. 

    Vie­len Dank für deine aus­führlichen Texte und Gottes Segen.
    Ich bin froh muss ich nicht Richter sein! Denn ich sehe nicht das Herz der Men­schen aber Gott sieht mein und Ihr Herz.
    Danke

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke Josia. Schön von dir zu hören!

      Reply
  5. Pasci

    Die Trauer­feier, welche ich nur auszugsweise gese­hen habe, war für mich vom For­mat her auch eher befremdlich. Für viele von uns Europäern sind solche “Ral­lies” etwas, was wir nur vom Fernse­her oder von Net­flix ken­nen. Tat­säch­lich kann ich auch nachvol­lziehen, dass man “christlichen Nation­al­is­mus” darin erken­nen kann, wenn man will. Es ist wohl ein­fach, bei unsym­pa­this­chen Zeitgenossen mit dem Zeigefin­ger auf frag­würdi­ge Aus­sagen hinzuweisen. 

    Wichtig erscheint mir aber, dass man das Ereig­nis in sein­er Gesamtheit betra­chtet: Die Wit­twe Eri­ka Kirk macht eine unglaubliche starke und für Viele völ­lig uner­wartete Aus­sage, mit welch­er sie ihren Glauben an den aufer­stande­nen Mes­sias bezeugt. Wir, und damit wahrschein­lich ein Grossteil der Welt, (sich­er aber viele dutzende Mil­lio­nen von Men­schen) hören das. Durch Social Media ver­bre­it­et sich die Botschaft der Gnade und der Verge­bung auch in Zukun­ft. Die Kirchen in den USA sind voll. Zumin­d­est anek­do­tisch sehen wir das auf Social Media, wenn regelmäs­sige Kirchgänger in lib­er­al (für uns Europäer also links) wäh­len­den Staat­en keinen Park­platz vor ihrer Kirche find­en, weil noch nie so viele Leute in den Gottes­di­enst wollten. 

    Das wäre doch etwas für uns in Europa, in der Schweiz: Wir als regelmäs­sige Kirchgänger find­en am Son­ntag­mor­gen keinen Platz im Kirchen­bank, weil so viele neue Leute wis­sen wollen, was denn dieser Jesus getan hat, von dem Eri­ka Kirk spricht. Welche Partei sie wählen, würde dann zumin­d­est mir völ­lig egal sein.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Sali Pas­ci. Danke für deine Gedanken! Ich ver­ste­he das befremdliche. Ist mir streck­en­weise auch so gegangen.

      Reply
  6. Roland

    Lieber Peter
    Danke für diese prophetis­chen Worte. Mir gefällt es, wie du den Blick weitest und in welch­er inneren Hal­tung du dich zum Phänomen und den Reak­tio­nen darauf äusserst. Klare Kante und trotz­dem respek­tvoll gegenüber Ander­s­denk­enden wie Manuel Schmid — das kön­nen nicht alle. Merci!

    Reply
    • Peter Bruderer

      Vie­len Dank Roland. Ist mir eine Ehre, dich zu kennen.

      Reply

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