Die Gamaliel-Strategie

Lesezeit: 13 Minuten
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by Peter Bruderer | 25. Aug. 2023 | 16 comments

In Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen ori­en­tieren sich Chris­ten manch­mal am Rat Gamaliels aus der Apos­telgeschichte. Dieser berühmte Rat ist aktuell wieder in der Diskus­sion um christliche Ein­heit aufge­taucht. Doch der Rat eignet sich min­destens so gut als tak­tis­che Waffe, als dass er ein guter und weis­er Rat sein kann. Ein Streifzug durch aktuelle Brand­herde und alte Konflikte.

Die Luft im Besprechungsz­im­mer war ziem­lich dick, als es aus einem der Anwe­senden her­aus­platze: „Bitte kein Blutvergiessen! Halte dich an den Rat Gamaliels!“

Das war in den Tagen meines geistlichen Neu-Erwachens vor eini­gen Jahren. Ich hat­te mich inner­lich gedrängt gefühlt, bei ein­er kirchen­na­hen Organ­i­sa­tion eine Sache anzus­prechen, welche mich beschäftigte. Ich hat­te meinen ganzen Mut zusam­mengenom­men, diese Sache zur Sprache zu brin­gen, und hat­te meine Anliegen fre­undlich aber ein­dringlich vorge­bracht. Für einen der Anwe­senden war klar: Peter wird möglicher­weise nicht nur hin­ter den ver­schlosse­nen Türen dieses Sitzungsz­im­mers reden, son­dern wird seine Bedenken wohl auch öffentlich äussern. Das galt es zu ver­hin­dern! Der Mann wollte ’seel­is­ches Blutvergiessen’ ver­hin­dern, welch­es mit öffentlich aus­ge­tra­ge­nen Kon­flik­ten daherkom­men kann. Er wollte, dass ich mich an den Rat Gamaliels halte.

Sei­ther ist mir dieser Rat an ver­schiede­nen Orten begeg­net, erst ger­ade wieder in einem State­ment des The­olo­gen Thorsten Dietz im aktuellen Aufat­men Mag­a­zin. In einem Gespräch mit dem The­olo­gen Stephanus Schäl über die in unseren Tagen arg gefährdete christliche Ein­heit lesen wir:

„Ich wün­sche mir, dass man bib­lisch vielle­icht mal mit Gamaliel sagt: Wenn das von Gott kommt, dass sich eine neue Ein­sicht durch­set­zt, wer­den wir es nicht stop­pen kön­nen. Wenn es nicht von Gott kommt, wird das Ganze irgend­wann scheit­ern, wird zusam­men­brechen. Jet­zt guck­en wir Tag für Tag und bleiben im Gespräch.“[1]

Die Aus­sage macht Dietz im Zusam­men­hang mit Span­nun­gen, welche sich auf­grund sex­u­alethis­ch­er Fragestel­lun­gen in unseren Bre­it­en­graden in vie­len Kirchen und Kirchen­ver­bän­den auf­bauen. Die implizite Botschaft des State­ments von Dietz lautet: Das „Neue“ – also die von ihm im kirch­lichen Milieu ein­dringlich geforderte lib­erale Sex­u­alethik – solle nicht bekämpft wer­den durch Chris­ten, welche sich dies­bezüglich zu den his­torischen kirch­lichen Posi­tio­nen stellen. Vielmehr solle man einan­der entspan­nt leben lassen, im Gespräch bleiben und schauen, welche Ein­sicht sich am Schluss durch­set­zt. Was sich durch­set­zt, ist in dieser Logik dann das Richtige, das von Gott her kommt.

Ist das ein guter und weis­er Rat? Für die Beant­wor­tung dieser Frage macht es Sinn, die Geschichte von Gamaliel etwas näher unter die Lupe zu nehmen.

Der Rat des Gamaliel

Der Rat des Gamaliel geht zurück auf eine Geschichte, welche sich in der Apos­telgeschichte ent­fal­tet (Apg 5). Die in Jerusalem ent­standene erste Gemeinde von Chris­ten ist am Wach­sen. Durch die Apos­tel geschehen im Volk Zeichen und Wun­der. Das sorgt für Unruhe unter der religiösen Elite im Land. Der Hohe­p­riester und die Sad­duzäer sor­gen dafür, dass die Apos­tel ins Gefäng­nis kom­men. Doch die Türen des Gefäng­niss­es bleiben nicht ver­schlossen, und auch nicht die Mundw­erke der unver­hofft wieder freien Apos­tel. Diese bericht­en weit­er­hin in aller Öffentlichkeit vom aufer­stande­nen Jesus Chris­tus. Nun wer­den im Hohen Rat auch Pläne geschmiedet, Apos­tel zu töten. Jet­zt soll Blut fliessen.

Das ist der Moment, in welchem sich der Phar­isäer Gamaliel mit einem Ratschlag in die hitzige Debat­te einschaltet:

„ Lasst ab von diesen Men­schen und lasst sie gehen! Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Men­schen, so wird’s unterge­hen; ist’s aber von Gott, so kön­nt ihr sie nicht ver­nicht­en – damit ihr nicht daste­ht als solche, die gegen Gott stre­it­en wollen.“ (Apg 5:38–39)

Die Anwe­senden des Hohen Rats gehen auf diesen Vorschlag ein. Die Apos­tel kom­men noch ein­mal ungeschoren davon und fahren fröh­lich damit fort, über Jesus zu erzählen und zu lehren. Der Rat des Gamaliel hat den Apos­teln das Leben gerettet und ihr weit­eres Wirken ermöglicht.

Ein guter Rat?

Der „Rat des Gamaliel“ hat sich als all­ge­meine Lebensweisheit einge­bürg­ert. Die Idee ist: Auf die Dauer wird nur das Bestand haben, was Gott bewirkt. Alles andere wird unge­fähr so schnell ver­schwinden, wie es aufge­taucht ist. Mit dieser Annahme ist auch die Idee ver­bun­den, einan­der in Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen leben zu lassen, Plu­ral­ität der Mei­n­ung zuzu­lassen und sich nicht gegen etwas zu wen­den. Vielmehr sollen wir abwarten und schauen, was die Zeit brin­gen wird.

Ich per­sön­lich bin überzeugt, dass der Rat des Gamaliel immer wieder ein­mal ein guter Rat sein kann. Die Aus­sage, dass am Ende nur Bestand haben wird, was Gott bewirkt, hat natür­lich eine Rück­endeck­ung in bib­lis­chen Aus­sagen. Für den Seher Bileam war klar, dass er das geseg­nete Volk Gottes nicht ver­fluchen kon­nte (4Mo 22–24). Der Segen Gottes würde sich durch­set­zen[2]. Wir wer­den in der Bibel als Chris­ten auch aufge­fordert, Gott wirken und richt­en zu lassen und nicht mit der Brech­stange selb­st Dinge erzwin­gen zu wollen, die wir als richtig und gut eracht­en (z.B. Röm 12:17–21). Tat­säch­lich ist das Abwarten manch­mal eine gute und weise Strategie.

Trotz­dem sollte der Rat des Gamaliel auch mit Vor­sicht genossen wer­den. Zwar nimmt man Gamaliel auf­grund dieser Geschichte meist intu­itiv als Sym­pa­thisan­ten der Chris­ten war, doch das ist alles andere als zwin­gend. Dazu fol­gende Hinweise:

  1. Der Rat des Gamaliel wird in der bib­lis­chen Berichter­stat­tung nicht weit­er kom­men­tiert oder bew­ertet. Es wird lediglich wiedergegeben, was passiert ist und was gere­det wurde. Es liegt an uns, die Aus­sagen Gamaliels in im Kon­text weit­er­er bib­lis­ch­er Aus­sagen einzuord­nen und zu bewerten.
  2. Die Apos­telgeschichte ist primär Geschichtss­chrei­bung und nicht christliche Lehre. Gamaliel kommt nicht die Autorität eines Propheten oder Apos­tels zu. Seine State­ments soll­ten erst­mal als das gew­ertet wer­den, was sie sind: Aus­sagen eines ein­flussre­ichen jüdis­chen Geistlichen in ein­er heiklen Auseinandersetzung.
  3. Es bleibt unklar, was die Moti­va­tion von Gamaliel war. Die Sad­duzäer glaubten nicht an die Aufer­ste­hung der Toten und waren möglicher­weise auch deshalb darum bemüht, die Apos­tel hin­ter Git­ter zu brin­gen (Apg 5:17). Diese verkün­de­ten Jesus als den Aufer­stande­nen. Phar­isäer wie Gamaliel jedoch glaubten an die Aufer­ste­hung der Toten. Deshalb hat­te Gamaliel möglicher­weise nicht nur weniger Prob­leme mit den Aufer­ste­hungs­bericht­en der Apos­tel, er hat­te in diesem Kon­flikt auch eine Gele­gen­heit, der the­ol­o­gis­chen Konkur­renz im Hohen Rat eins auszuwischen.
  4. Eine weit­ere Möglichkeit ist, dass Gamaliel tat­säch­lich damit rech­nete, dass die Apos­tel bald tot sein wür­den. Das Volk würde sich in irgen­dein­er Form gegen die Chris­ten wen­den oder es würde zu ein­er inneren Selb­stzer­fleis­chung in der Urge­meinde kom­men. Auf diese Möglichkeit deutet seine Argu­men­ta­tion vor dem Rat hin, in welch­er er zwei weit­ere Anführer erwäh­nt, deren Bewe­gun­gen vor nicht allzu langer Zeit von selb­st mit dem gewalt­samen Tod ihrer Anführer ein Ende gefun­den hat­ten (Apg 5:36–37).
  5. Nicht zulet­zt kann der Apos­tel Paulus erwäh­nt wer­den. Im weit­eren Ver­lauf der Apos­telgeschichte erwäh­nt dieser, dass er selb­st als junger Mann „zu Füssen Gamaliels“ unter­richtet wor­den war (Apg 22:3). So wurde aus Paulus ein religiös­er Eifer­er, der Chris­ten ver­fol­gte. Wir haben keine schriftlichen Infor­ma­tio­nen, ob es sich bei dem von Paulus erwäh­n­ten Gamaliel um den gle­ichen Mann han­delt, der den Hohen Rat überzeugte, die Apos­tel freizu­lassen. Aber die Annahme hat auf­grund der Time­line eine gewisse Plausibilität.

Was Gamaliel genau motiviert hat, wis­sen wir let­z­tendlich nicht. Die Fragestel­lung bleibt offen. Wir sind alle gefährdet und soll­ten uns hüten, abschliessend über Gamaliel zu urteilen. Aber diese Erläuterun­gen zeigen doch, dass der Rat des Gamaliel vielle­icht ein­fach der schlaue strate­gis­che Schachzug eines sehr intel­li­gen­ten aber von eige­nen Inter­essen geleit­eten Macht­men­schen war. Dieser Schachzug set­zt darauf, dass nie­mand gerne mit dem Stig­ma des Moral­is­ten, des Intol­er­an­ten oder des Fun­da­men­tal­is­ten behaftet sein will. Dieser Schachzug liefert auch gle­ich das the­ol­o­gis­che Argu­ment, mit dem man sich aus der Affäre ziehen kön­nte: Man soll sich dem Wirken Gottes nicht in den Weg stellen. Es wird sowieso passieren, was Gott will.

Nicht zulet­zt ver­mag dieser Schachzug die eige­nen Ambi­tio­nen mit einem Kleid von ange­blich­er Beschei­den­heit und Tol­er­anz zu kaschieren.

Ein Liebling der Progressiven

Es ist inter­es­sant, dass meine Begeg­nun­gen mit dem ‘Rat des Gamaliel’ in den let­zten Jahren aus­nahm­s­los in Argu­men­ta­tion­slin­ien stat­tfan­den von Vertretern eines lib­eralen, pro­gres­siv­en Chris­ten­tums. Diese Vertreter scheinen den Phar­isäer Gamaliel bess­er zu mögen als den Apos­tel Paulus. Das dürfte seine Gründe haben. Während Gamaliel zumin­d­est ober­fläch­lich gese­hen als tol­er­an­ter und offen­er Friedensver­mit­tler daherkommt, ist ja Paulus immer wieder damit beschäftigt, Irrlehren und Sün­den beim Namen zu nen­nen und die christlichen Gemein­schaften zu ein­er liebevollen aber klaren Lin­ie in Fra­gen von The­olo­gie und Moral anzuhal­ten. Paulus möchte aus­drück­lich nicht, dass Chris­ten in Schlüs­sel­fra­gen nach dem Rat des Gamaliel agieren und ein­fach alles ohne Wer­tung nebeneinan­der ste­hen lassen. Paulus scheut sich nicht, den anderen Apos­tel Petrus frontal und öffentlich zu kon­fron­tieren (siehe Gal 2) und grundle­gend falsche Lehre als ver­fluchte zu beze­ich­nen (Gal 1:6–9). Wo bleibt da der ‘Rat des Gamaliel’ bitte schön Paulus?

Pop­u­lar­isiert wurde Gamaliel in den pro­gres­siv­en Kreisen unser­er Tage wohl durch Bri­an McLaren[3]. In den 2000er Jahren war McLaren eine Leucht­fig­ur der soge­nan­nten ‘Emergent’-Bewegung – eine Bewe­gung, welche auch ich als junger Leit­er dur­chaus mit pos­i­tivem Inter­esse ver­fol­gte. Doch mit der Pub­lika­tion seines Buch­es «A New Kind of Chris­tian­i­ty» (2010) wurde klar, wohin bei ihm die Reise geht: In das, was der bekan­nte Blog­ger Tim Chal­lies damals den «offe­nen, unverblümten und unver­frore­nen Glaubens­ab­fall» nan­nte[4], in ein «Hei­den­tum hin­ter einem dick­en Man­tel falsch­er Demut und bib­lis­ch­er Sprache»[5].

Unsere heuti­gen Pro­gres­siv­en mögen McLaren immer noch und bedi­enen sich auch gerne bei ihm. Doch McLaren hat damals wohl geah­nt, dass seine Ideen nicht ohne Wider­spruch bleiben wür­den. Gegen Ende des Buch­es bringt er Gamaliel schon ein­mal strate­gisch in Stel­lung. Mclaren schreibt, die Pio­niere des von ihm propagierten ‘Neuen Chris­ten­tums’ hät­ten «die ersten Run­den des feindlichen Beschuss­es über sich erge­hen lassen»[6] durch Men­schen, welche, wie die Ratskol­le­gen Gamaliels, die Aus­bre­itung des Chris­ten­tums stop­pen woll­ten. Doch in 50 bis 70 Jahren würde dieser Kampf weit­ge­hend been­det sein. Wer weise sei, sagt McLaren, würde deshalb wie Gamaliel damals, bere­its heute den «Raum auf­machen»,[7] damit Gott tun könne, was er tun wolle.

Die Botschaft von McLaren ist eigentlich: «Lasst mich ein­fach in Ruhe meine Lehren ver­bre­it­en, ohne diesen zu wider­sprechen».

Wie schon gesagt: Die Dinge ruhig und entspan­nt sich entwick­eln lassen kann in gewis­sen Sit­u­a­tio­nen angemessen sein. Der wahre Charak­ter ein­er Lehre zeigt sich oft erst mit der Zeit. Aber wo sub­stantielle Irrlehren sicht­bar wur­den, war die Anweisung der Apos­tel nicht ‘Abwarten und Tee trinken’. Im Gegen­teil: Die Auf­forderung, falschen Lehren aktiv ent­ge­gen zu treten, zieht sich wie ein rot­er Faden durch die Lehrbriefe des Neuen Testaments.

Die Predigt fürs Jahrhundert

Die Pro­gres­siv­en unser­er Tage mögen sich am Vor­bild eines Bri­an McLaren ori­en­tieren. Sie wis­sen möglicher­weise nicht, dass über McLaren ein noch viel Grösser­er thront: Har­ry Emer­son Fos­dick[8], amerikanis­ch­er Pas­tor und vor 100 Jahren der unbe­strit­tene Super­star des auf­streben­den lib­eralen Chris­ten­tums auf der anderen Seite des Atlantiks. Am 21. Mai 1922 hält Fos­dick eine denkwürdi­ge Predigt unter dem Titel «Shall the Fun­da­men­tal­ists Win?» (Sollen die Fun­da­men­tal­is­ten gewin­nen?). Diese kann möglicher­weise als die ein­flussre­ich­ste Predigt im Ameri­ka der Zwis­chenkriegs­jahre gew­ertet wer­den. Das The­ma sein­er Predigt: Gamaliel. Das Ziel sein­er Predigt: Seinen the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Kon­tra­hen­ten den Wind aus den Segeln nehmen.

Die Predigt kam auf dem Höhep­unkt der soge­nan­nten Fun­da­men­tal­ist vs. Mod­ernist Kon­tro­verse. Es war eine Zeit, in der sich in den Chefe­ta­gen der einge­sesse­nen Kirchen und Kirchen­ver­bände lib­erale the­ol­o­gis­che Ansätze bre­it­macht­en. Als sich gegen diese Entwick­lung Wider­stand zu formieren begann, war Fos­dick mit sein­er Predigt zur Stelle.

In der Predigt lamen­tiert Fos­dick zunächst über die «dro­hende Spal­tung der amerikanis­chen Kirchen», bevor er sich dann selb­st qua­si in die Rolle von Gamaliel wirft. Als Advokat für einen «Geist der Tol­er­anz und der christlichen Frei­heit» find­et er, dass nie­mand das Recht habe, ein­er anderen Per­son «das Chris­ten­tum abzus­prechen» und diesem «die Türen der christlichen Gemein­schaft zu ver­schliessen». Doch das sei genau das, was die Fun­da­men­tal­is­ten[9] tun wür­den. Deren Kirchen seien Räume des Denkver­bots, der Intol­er­anz und der klein­lichen Streitereien.

An sein­er Seite hat­te Fos­dick einen ein­flussre­ichen und poten­ten Ver­bün­de­ten: John D. Rock­e­feller Jr. Diesem gefiel die Predigt so gut, dass er 130’000 Exem­plare davon druck­en und an jeden Geistlichen im Lande schick­en liess. Er liess dafür den eher kon­fronta­tiv­en Titel der Predigt entschär­fen. Nun hiess die Predigt «The New Knowl­edge and the Chris­t­ian Faith» (Das neue Wis­sen und der Christliche Glaube).[10] Jed­er Pas­tor der USA bekam diese Predigt per Post zugeschickt. Die unglaubliche Wirkung ein­er solchen PR-Kam­pagne liegt auf der Hand.

Har­ry Emer­son Fos­dick. Bild: Pub­lic Domain

Strate­gisch gese­hen war diese Predigt ein gut getimtes Meis­ter­stück. Kirchen­ver­bände, the­ol­o­gis­che Insti­tute und Mis­sion­s­ge­sellschaften in den USA waren bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhun­derts fest in der Hand von Men­schen, welche die tra­di­tionellen his­torischen Posi­tio­nen des Chris­ten­tums ver­trat­en. Sie bekan­nten sich beispiel­sweise zur leib­lichen Aufer­ste­hung von Jesus oder waren überzeugt von der his­torischen Real­ität sein­er Wun­der. Doch in den 10er- und 20er-Jahren nahm der Ein­fluss der lib­eralen ‘mod­ernistis­chen’ The­olo­gie stetig zu, was zu ein­er wach­senden Anzahl von laten­ten oder offe­nen Kon­flik­ten inner­halb von Ver­bän­den und Gremien führte. Unter anderem diese Kon­flik­te hat­te Fos­dick mit sein­er Botschaft im Visier.

Ein guter Fre­und und Wegge­fährte von Fos­dick weist damals auf die tak­tis­chen Stärken von Fos­dick hin: «Wir soll­ten nie die Qual­itäten von Dr. Fos­dick unter­schätzen, sowohl die defen­siv­en, als auch die offen­siv­en.»[11]

Die eigentliche Absicht von Fos­dick war wohl Zeit zu gewin­nen, damit von ihm gewün­schte, lib­erale Mehrheit­en entste­hen kon­nten. Das wertschätzende Nebeneinan­der von kon­ser­v­a­tiv­er und liberaler/progressiver The­olo­gie war bei ihm nie wirk­lich geplant. Sein Ziel war es, als Sieger aus einem Ver­drän­gungskampf inner­halb ursprünglich kon­ser­v­a­tiv­er Denom­i­na­tio­nen her­vorzuge­hen. Auf dieses Ziel arbeit­ete er mit Geschick hin. Er tat dies, indem er unter anderem lib­eralen Pas­toren sehr konkrete Anweisun­gen gab, wie sie sich gegenüber kon­ser­v­a­tiv tick­enden Kirchge­mein­demittgliedern geben soll­ten:

«Der Mann, der ihnen dient, muss die Bibel ken­nen. Wenn er mit der Art und Weise, wie sie damit umge­hen, nicht ein­ver­standen ist, darf er nicht den Ein­druck erweck­en, er sei igno­rant, leicht­fer­tig, oder rede ohne langes Nach­denken, ohne gute Gründe oder bewusste Entschei­dung. Sie müssen das Gefühl bekom­men, dass er ein gründlich­er, nach­den­klich­er, ehrfürchtiger Schüler des Buch­es ist. Wenn sie sich dessen sich­er sind, wer­den sie ihm grosse Frei­heit­en geben»[12]

Die Strate­gie war, offene Kon­flik­te möglichst lange zu ver­mei­den und das Ver­trauen the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­er Christin­nen und Chris­ten zu gewin­nen, indem man sich als Bibel-liebende Per­son mit tiefer Spir­i­tu­al­ität präsen­tierte. Tat­säch­lich kippte die Macht im Laufe der 1920er-Jahre zunehmend auf die Seite der Mod­ernisten. Mitte 30er ist sich Fos­dick seines Sieges gewiss. In ein­er weit­eren bekan­nten Predigt lässt er 1935 keinen Zweifel daran, dass es ihm nie um die friedliche und gle­ich­w­er­tige Co-Habi­ta­tion von Kon­ser­v­a­tiv­en und Pro­gres­siv­en unter den Kup­peln kirch­lich­er Ver­bände und Gremien gegan­gen war:

«Wir haben die Schlacht, die wir mit dem Ziel zu gewin­nen ange­fan­gen haben, bere­its weit­ge­hend gewon­nen. Wir haben den christlichen Glauben an die besten Erken­nt­nisse unser­er Zeit angepasst und die stärk­sten Köpfe und die Fähig­sten der Kirchen auf unsere Seite gezo­gen. Der Fun­da­men­tal­is­mus ist zwar immer noch da, aber meist nur noch in den hin­teren Gewässern. Die Zukun­ft der Kirchen liegt, wenn wir es wollen, in den Hän­den des Mod­ernismus.»[13]

Ein Wort zur Aktualität

Die bish­erige Analyse zeigt, dass der Rat von Gamaliel min­destens so gut als tak­tis­che Waffe taugt, als dass er ein guter und weis­er Rat sein kann. Nur zu oft scheint der Rat des Gamaliel ein Instru­ment zu sein, um bei der Gegen­seite eine Pas­siv­ität zu erwirken und selb­st unge­hin­dert weit­er wirken zu kön­nen. Nur zu oft scheint es ein­fach darum zu gehen, sich mit weisen und fromm tönen­den Worten den wichti­gen Vorteil in einem Kon­flikt zu ver­schaf­fen. Deshalb rede ich auch lieber von der Gamaliel-Strate­gie als vom Gamaliel-Rat. Wir mögen es, wenn uns jemand einen Grund dafür liefert, nichts zu tun und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Genau darauf baut diese Strate­gie. Und umso bess­er, wenn uns für ein solch­es ‚Lais­sez-faire‘ noch eine fromm klin­gende Begrün­dung geliefert wird.

Fos­dick hat vor 100 Jahren mustergültig vorgemacht, wie die Gamaliel-Strate­gie erfol­gre­ich umge­set­zt wird. Heute find­en wir diese Strate­gie im Gespräch zwis­chen Thorsten Dietz und Stephanus Schäl im aktuellen Aufat­men Mag­a­zin wieder in Anwen­dung. Darin beschwört Dietz die Weisheit Gamaliels, ruft uns zurück an die „run­den Tis­che“. Wir soll­ten „einan­der den Glauben glauben“, „nicht mehr kaputt“ machen, einan­der „in Respekt“ annehmen, und so weit­er und so fort.

Ich kann solch sal­bungsvollen Worten her­zlich wenig abgewin­nen. Denn ander­norts nimmt Thorsten Dietz kein Blatt vor den Mund. Chris­ten, die sich weigern, LGBT+-Lebensrealitäten in ihren Kirchen Raum zu ver­schaf­fen und gutzuheis­sen, haben sich gemäss sein­er Überzeu­gung an ihnen „ver­sündigt“[14]. Man kann hier von ein­er eigentlichen Umkehrung der Sün­den­lehre reden. Rechtschaf­fen ist bei Dietz, wer sich als Alli­iert­er der neuen sex­uellen Vielfalt in ihren ver­schiede­nen Schat­tierun­gen engagiert. Busse und Umkehr brauchen jene, welche an ‘alt­back­e­nen’ Ideen fes­thal­ten, wie zum Beispiel, dass Sex­u­al­ität nur in den Raum ein­er het­ero­sex­uellen Ehe gehöre.

Das Inter­view im aktuellen Aufat­men Mag­a­zin ist für mich ein Beispiel dafür, wie grundle­gende und sich gegen­seit­ig auss­chliessende Glauben­süberzeu­gun­gen ein­fach zum Ver­schwinden gebracht wer­den. Wie? Man führe in einem from­men Mag­a­zin einen ‘muti­gen Dia­log’, wo diese Dif­feren­zen mit ganz viel ‚Wir-suchen-Ein­heit-in-Jesus-Sauce‘ über­gossen wer­den. Es wird aus­ge­blendet, schön­gere­det und das Ganze dann dem Leser serviert, als ob er ger­ade dem Königsweg der christlichen Ver­ständi­gung begeg­net wäre.

Aus diesem Gespräch kom­men fol­gende Botschaften bei mir an: „Sich gegen­seit­ig auss­chliessende Überzeu­gun­gen sind doch nur zwei Pole auf einem Spek­trum! Der Weg des Todes und der Weg des Lebens sind vielle­icht doch ein und der­selbe![15] Wir haben endlich den Min­i­malkon­sens gefun­den: Es braucht gar keinen mehr! Lass uns fröh­lich ein gemein­sames Kum­baya anstimmen!“ 

Glaubt man tat­säch­lich, dass dieses hüb­sch arrang­ierte aber let­z­tendlich unge­niess­bare Menue von allen gegessen wird?

Die Gretchen­frage zum Schluss: Wie kommt es eigentlich dazu, dass ein solch­es Gespräch in ein­er Zeitschrift mit dur­chaus evan­ge­likalem Gepräge pub­liziert wird? Offen­bar sind viele Ver­lage, Sem­i­nare und andere Play­er darauf angewiesen, dass der fromme Markt beieinan­der bleibt. Es geht neben dur­chaus echt­en geistlichen Anliegen halt auch um Pro­fanes wie Auflagezahlen, Ein­flusssphären, Arbeit­splätze und ja: um Geld­fra­gen. Wer mit sein­er Organ­i­sa­tion darauf angewiesen ist, dass der fromme „Kuchen“ zusam­men­bleibt, der wird auch dank­end dem Rat Gamaliels fol­gen: Dieser ver­spricht, dass der Sta­tus Quo irgend­wie erhal­ten wer­den kann. Nie­mand wird das san­fte Mor­ph­ing bemerken, welch­es dabei möglicher­weise an Glauben­süberzeu­gun­gen vol­l­zo­gen wird.

Hier wird der Gamaliel-Strate­gie auf den Leim gegan­gen. Und still und leise wird die Wahrheit auf dem Altar ein­er Pseu­do-Ein­heit geopfert.

Es gäbe in der Bibel dur­chaus ein Gegen­pro­gramm zum Rat des Gamaliel. Es ist der ‘Rat des Mordechai’ an seine Ver­wandte, die Köni­gin Esther, angesichts von dro­hen­dem Unheil für das Volk der Juden im baby­lonis­chen Exil:

«Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst, wird eine Hil­fe und Erret­tung von einem andern Ort her den Juden erste­hen. Du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkom­men. Und wer weiss, ob du nicht ger­ade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde gekom­men bist?» (Esther 4:14)

Krass? Ja. Aber der ‘Rat des Mordechai’ macht deut­lich, dass es auch mal eine Zeit zum Han­deln gibt, eine Zeit der Kon­fronta­tion und Klarstel­lung. Ja es stimmt, Gott erre­icht seine Ziele. Die Frage ist aber, ob wir bere­it sind, den Beitrag zu leis­ten, den er uns zugedacht hat. Weil das Böse nur zu gerne Ambi­gu­i­tät zu seinem Vorteil aus­nutzt, muss man sich dieser auch mal ent­ge­gen stellen.[16] Zum Beispiel, indem man sich von der gemein­samen Selb­st­belü­gung ver­ab­schiedet bezüglich ein­er Ein­heit, welche eigentlich nicht gegeben ist.

Deshalb mein Rat an dich und mich: Das näch­ste Mal, wo dir der Rat des Gamaliel nahegelegt wird, sei wach­sam: Kön­nte dies ein Sig­nal für dich sein, endlich aufzuste­hen? Kön­nte es an der Zeit sein, dem ‚Rat des Mordechai‘ zu fol­gen und mit Demut aber Entschlossen­heit eine nötige Kon­fronta­tion, einen nöti­gen Kampf zu führen, deinem Her­rn Jesus Chris­tus und sein­er Wahrheit zuliebe?

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Titel­bild:
Auss­chnitte aus: William Hol­man Hunt, ‘The Find­ing of the Sav­iour in the Tem­ple’, 1854

Fuss­noten:

[1] Aufat­men, Aus­gabe 3 2023 (August), Artikel: «Span­nung hal­ten, im Gespräch bleiben»
[2] Ver­gle­iche dazu meine Artikelserie zum Propheten Bileam: https://danieloption.ch/theologie/altes-testament/bileam-teil‑1/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Brian_McLaren
[4] https://www.challies.com/book-reviews/a‑new-kind-of-christianity/
[5] https://www.challies.com/book-reviews/a‑new-kind-of-christianity/
[6] Bri­an McLaren, A New Kind of Chris­tian­i­ty, 2010, Kin­dle Edi­tion, S324, meine Übersetzung
[7] Bri­an McLaren, A New Kind of Chris­tian­i­ty, 2010, Kin­dle Edi­tion, S305, meine Übersetzung
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Emerson_Fosdick
[9] Man beachte, dass der Begriff Fun­da­men­tal­is­mus damals eine andere Bedeu­tung hat­te als heute.
[10] Robert Moats Miller, Har­ry Emmer­son Fos­dick, Preach­er, Pas­tor, Prophet, 1985, S116/117, meine Übersetzung
[11] Robert Moats Miller, Har­ry Emmer­son Fos­dick, Preach­er, Pas­tor, Prophet, 1985, S116, meine Übersetzung
[12] Har­ry Emer­son Fos­dick, The Mod­ern Use Of The Bible, 1926, S4, meine Übersetzung
[13] Har­ry Emer­son Fos­dick, River­side Ser­mons, 1958, «The Church Must Go Beyond Mod­ernism», S362, meine Übersetzung
[14] Ver­gle­iche z.B. https://youtu.be/mdANgnFpZ2k?t=246 , Ähn­lich lau­t­ende State­ments gibt es von diversen Poste­van­ge­likalen Vertretern im deutschsprachi­gen Raum.
[15] Ver­gle­iche dazu die frühchristliche Didache: https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-1753/versions/didache-lehre-der-zwolf-apostel-bkv/divisions/2
[16] Vgl. Dazu: Chester­ton, Eugen­ics and Oth­er Evils, 1922, S3‑4 und meinen Artikel Chester­ton und das Wun­der von Eng­land: https://danieloption.ch/featured/chesterton-und-das-wunder-von-england/#_ftn2

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

16 Comments

  1. Thomas Engelhardt

    Die Gal­maliel-Strate­gie erin­nert fatal an das säku­lare “der Klügere gibt nach” — worauf sich die Herrschaft der Dum­men stürzt.

    Im Islam wird von Mus­li­men sin­ngemäß gesagt: “Wenn Gott gewollt hätte, daß etwas bes­timmtes geschehen wäre, dann hätte er es auch geschehen lassen.” So wird häu­fig began­ge­nes Unrecht gerechtfertigt.

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  2. Peter Bruderer

    Stephanus Schäl hat mich darauf hingewiesen, dass auch Mar­tin Luther beim Reich­stag zu Worms mit Gamaliel argu­men­tiert hat. Danke für den Hin­weis. Hier kann das Nachge­le­sen werden:
    https://www.google.ch/books/edition/Luther_und_der_Reichstag_zu_Worms_1521/WqU8AAAAYAAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Reichstag+in+Worms+Luther+Gamaliel&pg=PA70&printsec=frontcover

    Der zweite grosse Refo­ma­tor, Calvin, hat sich eher kri­tisch zu Gamaliel geäussert:
    https://sacred-texts.com/chr/calvin/cc36/cc36046.htm

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  3. Manuel Kanacher

    Vie­len Dank Peter,
    zum einen für das Deut­lich­machen, der Gefahr, die sich hin­ter dem ‘Dia­log’ ver­birgt. Ein Ange­bot, um selb­st die Kräfte zu bün­deln und dann alles Fromme zu über­ren­nen. Es ist so schade, dass so viele treue, evan­ge­likale darauf here­in­fall­en. Viele alte Geschwis­ter sehen nicht das Gesamt­bild und find­en sich plöt­zlich auf lib­eraler Seite wider. So schnell wie in den let­zten 10Jahren habe ich noch nie bibel­treue Gemein­den und Schulen lib­er­al wer­den sehen. Die Gamaliel-Strate­gie ist gut, leider.
    Zum anderen für das mutige Ansprechen und Kon­fron­tieren dieser Idee, sich die Zeit und Arbeit im Recher­chieren zu nehmen, Worte zu for­mulieren und diesen Artikel zu verfassen.
    Jesus seg­ne Dich und ich hoffe dieser Artikel find­et viele aufmerk­same Leser. Werde ihn fleis­sig teilen.
    Manuel

    Reply
  4. Peter Bruderer

    Danke an alle, welche diesen Artikel in den ver­gan­genen Tagen gele­sen haben und ihre Gedanken geteilt haben. Ich möchte an dieser Stelle auf den Artikel hin­weisen, welch­er Dr. Markus Till gestern zum gle­ichen The­men­feld pub­liziert hat: https://shorturl.at/dmt04

    Reply
  5. Udo

    Die in diesem bril­lanten Artikel aufge­wor­fene Frage „ Wie kommt es eigentlich dazu, dass ein solch­es Gespräch in ein­er Zeitschrift mit dur­chaus evan­ge­likalem Gepräge pub­liziert wird?“ würde ich so beantworten:
    Redak­tion­sleit­er des Mag­a­zins AUFATMEN und bis zum Herb­st 2021 Ver­leger und Geschäfts­führer der SCM Ver­lags­gruppe ist Ulrich Eggers.
    Unter sein­er Leitung sind mein­er Mei­n­ung nach die Zeitschrifte­nar­tikel und die ver­legten Büch­er immer „bunter“, „pro­gres­siv­er“ und the­ol­o­gisch beliebiger geworden.
    Wenn es um das The­ma Ein­heit geht, ist er ganz nah bei Thorsten Dietz. Sätze wie „Wir bekehren uns täglich neu zu Chris­tus und sagen uns von Polar­isierung und Neg­a­tiv-Impulsen in uns los“ oder „Wir bekehren uns täglich neu zu „Chris­tus in dem anderen“ und „glauben einan­der den Glauben als zen­trales Leit­mo­tiv unseres Han­delns“ wur­den von Eggers auf dem EAD-Sym­po­sium „Verbindende Glaubenss­chätze“ im Dezem­ber 2022 in Bad Blanken­burg vertreten (siehe auch der Artikel von Thomas Jeis­ing „ Las­set uns Ein­heit machen? Eine Antwort an Ulrich Eggers“, https://bibelbund.de/2021/04/lasset-uns-einheit-machen/).
    Auch wohl nicht zufäl­lig, dass das The­ma ger­ade jet­zt in dieser Weise aufge­grif­f­en wird. Ist es doch das Kon­flik­t­the­ma derzeit im Bund Freier Evan­ge­lis­ch­er Gemein­den, dass von der Bun­desleitung gerne im Sinne von Eggers unter den Tep­pich gekehrt wer­den soll. Ganz im Sinn von Peters Anmerkung „ Sich gegen­seit­ig auss­chliessende Überzeu­gun­gen sind doch nur zwei Pole auf einem Spek­trum! Der Weg des Todes und der Weg des Lebens sind vielle­icht doch ein und der­selbe! Wir haben endlich den Min­i­malkon­sens gefun­den: Es braucht gar keinen mehr! Lass uns fröh­lich ein gemein­sames Kum­baya anstimmen!“
    Eine beson­dere Ent­täuschung für mich ist Stephanus Schäl, Dozent für Altes Tes­ta­ment an der Bibelschule Brake. Er ist stel­lvertre­tender Sprech­er des Kon­vents der Evan­ge­lis­chen Allianz in Deutsch­land und Teil der EAD-Mit­gliederver­samm­lung. Seine verniedlichende und rel­a­tivierende Aus­sage, wie wir wohl in 20 Jahren auf diese kon­flik­tre­iche Zeit zurück­blick­en wer­den, kann man nur kopf­schüt­tel­nd wahrnehmen: „Ich glaube, wir schauen entspan­nter zurück, so wie wir jet­zt auf den Anfang des 20. Jahrhun­derts, als die charis­ma­tis­che Bewe­gung aufkam. Heute schmun­zelt man und ärg­ert sich ein bisschen.“
    Übri­gens hat auch Markus Till in seinem Blog die Diskus­sion zwis­chen Thorsten Dietz und Stephanus Schäl in einem lesenswerten Beitrag kom­men­tiert (https://blog.aigg.de/?p=7114). In Markus Tills Beitrag wird noch ein­mal deut­lich, wie tox­isch die The­olo­gie eines Thorsten Dietz ist und wie des­ori­en­tiert das Gedankengut eines Ulrich Eggers ist.
    Ich stimme Markus Till zu, wenn er schreibt:
    „Wo pro­gres­sive Sex­u­alethik in ein­er bis­lang kon­ser­v­a­tiv­en Gemeinde Raum gewin­nt, da gibt es auf Dauer nur 2 Möglichkeit­en: Entwed­er set­zt sich eine der bei­den Posi­tio­nen durch. Oder es muss irgen­deine Form von Tren­nung geben. Gren­zen­lose Ein­heit ist ger­ade auch bei Pro­gres­siv­en unmöglich, wenn es um die Sex­u­alethik geht.“

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    • Peter Bruderer

      Danke Udo für deine Rück­mel­dung. Als Schweiz­er ist mir das deutsche Feld nicht in der gle­ichen Tiefe bekan­nt wie ihnen. Jeden­falls habe ich Herr Eggers meinen Artikel zugestellt und Freue mich, wenn eine Rück­mel­dung kom­men sollte.

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    • Peter Bruderer

      …und auch ein sehr inter­es­san­ter Artikel im Bibel­bund. Danke für den Hinweis.

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  6. Christian A. Schwarz

    Danke, Peter, für diese dif­feren­zieren­den Gedanken, in denen natür­lich, aber wohl auch naturnotwendig etwas erschw­erend hinzukommt, dass das Phänomen „Gamaliel­rat“ (oder auch ‑strate­gie) per se, also im historischen/neutestamentlichen Kon­text und als “all­ge­meine Lebensweisheit“, ver­mis­cht wird mit konkreten heuti­gen Diskus­sions­fron­ten, in denen Gamaliel als Kro­nzeuge (vielle­icht für die eigene Sicht) aufgerufen wird. Aber auch wenn du diese bei­den Ebe­nen nicht puris­tisch trennst (vielle­icht gar nicht tren­nen kannst, solange du nicht ins völ­lig Abstrak­te abdriften willst), steigst du doch schon stark auf die Metaebene gegenüber heuti­gen Kon­flik­ten ein und bringst über­aus Erhel­len­des zutage, sehr pointiert zusammengefasst.

    Ich empfinde es auch so, wie etliche Kom­men­ta­toren es zum Aus­druck brin­gen: Diese Impulse helfen immens zur eige­nen Mei­n­ungs­bil­dung. Mit anderen Worten: Durch die Schule dieses bibelzen­tri­erten und dif­feren­zieren­den Denkens soll­ten zunehmend mehr Men­schen gehen, die die Bibel in der Ver­gan­gen­heit doch oft eher „flächig“ bzw. eindi­men­sion­al gele­sen haben.

    Dies ist ein über­aus kon­struk­tiv­er Diskus­sions­beitrag zum zugrun­deliegen­den Meta-The­ma „Ein­heit in Vielfalt“. Danke!

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    • Peter Bruderer

      Her­zlichen Dank, Chris­t­ian, für deine Rückmeldung!

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  7. Dorothea Wutzler

    Vie­len Dank für deine Arbeit und die Veröffentlichung!

    Reply
  8. Jonas

    Der Rat des Gamaliel dürfte heute von einem gläu­bi­gen Chris­ten auch schon deswe­gen nicht als Option andern gepredigt wer­den, weil ja Gamaliel offen­sichtlich nicht Jesus-gläu­big war, und er sich für uns als „Nach­hinein-Betra­chter“ deshalb dis­qual­i­fiziert hat.
    Danke für den Auf­schlussre­ichen Bericht.
    Jonas

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  9. Sylvia Schaible

    Lieber Peter Brud­er­er, der Artikel ist her­vor­ra­gend geschrieben und belegt…
    Kirch­liche Laien und „neue­van­ge­likale“ wie ich sind oft geneigt, auf diese bibelkon­forme Pseu­do-Ein­heitssoße entwed­er here­inz­u­fall­en oder sich — ungeistlich und schlecht zu fühlen. Ich bin heute froh, den Rat des Mordechai ent­ge­genset­zen zu kön­nen. Dankeschön.
    Sylvia

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    • Peter Bruderer

      Vie­len Dank für’s Lesen und die Rück­mel­dung, Silvia!

      Reply
  10. Pasci

    Gut geschrieben, die Argu­mente kann ich nachvol­lziehen und der his­torische Exkurs ist sehr auf­schlussre­ich. Für mich ste­ht auss­er Frage, dass “Ein­heit um der Ein­heit willen” kein bleiben­der Wert ist. Ein­heit ist nur dann gut, wenn sie auf Wahrheit basiert.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Vie­len Dank Pas­ci. Sehe ich auch so.

      Reply
      • Heidi Gühring

        Das habe ich ger­ade bei Face­book beim posten Ihres Artikels dazu geschrieben:
        ”Ein sehr langer aber unglaublich guter Artikel über die Entste­hung von lib­eraler The­olo­gie. Ver­bun­den mit der Begrün­dung der Empfehlung zu Wachsamkeit.“
        Vie­len Dank, Peter Brud­er­er, für diese gründlich aufgear­beit­eten Infor­ma­tio­nen und Ihre Schlussfol­gerun­gen daraus. Das hil­ft zu eige­nen Veror­tung und beim näch­sten Diskutieren.

        Reply

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