Den Glauben verlieren Teil 3: Michael Gungors De-Konversion

Lesezeit: 7 Minuten
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by Peter Bruderer | 06. Sep. 2019 | 19 comments

Im Sep­tem­ber 2018 schlägt ein kurzes Video von Buz­zfeed in den sozialen Medi­en ein wie eine kleine Bombe. Darin berichtet Sän­gerin Lisa Gun­gor vom Glaubensver­lust, welchen sie und ihr Mann Michael durch­laufen haben. Die Geschichte von Lisa und Michael Gun­gor ist für mich eine ganz per­sön­liche. Ich kenne Lisa und Michael. Vor gut zwei Jahren standen sie auf der Bühne ‘meines’ Fes­ti­vals, dem Spring­time Fes­ti­val.

2009 startet die Band Gun­gor ihren kome­ten­haften Auf­stieg durch die christliche Musik­welt. Ihr 2010-er Hit ‘Beau­ti­ful Things’ wird in Kirchen und Jugend­gottes­di­en­sten gesun­gen, ihr Gesicht ziert bald die Umschläge christlich­er Mag­a­zine. Michael Gun­gor wird nicht nur als Kün­stler, son­dern auch als christlich­er Vor­denker gefeiert. Und dann die Mel­dung im Video: Er hat seinen Glauben verloren.

Im besagten Videoin­t­er­view berichtet Lisa aus ihrem Leben. Bere­its mit 20 Jahren heirat­en Lisa und Michael. Schon bald bekom­men sie eine Anstel­lung als Leitungsper­so­n­en in ein­er grossen Kirche. Die Kirche bietet ihnen viele Annehm­lichkeit­en. Aber der Druck ist gross. Der Druck, Kinder zu kriegen. Der Druck, keine Glauben­szweifel oder Fra­gen haben zu dür­fen. Den Glauben erleben sie als Transaktion:

Wenn ich gut genug bin, wenn ich genug bete, wenn ich genug glaube … dann werde ich geseg­net, dann kriege ich das Baby, dann bekomme ich das gute Leben. Lisa Gun­gor — eigene Übersetzung

Auf ein­er Euro­pareise wird der Besuch in einem ehe­ma­li­gen Konzen­tra­tionslager zu einem ein­schnei­den­den Erleb­nis und wirft grosse Fra­gen bezüglich der Güte Gottes auf. Lisa und Michael ver­lassen ihre Kirche und ziehen nach Den­ver. Hier nimmt eine unaufhalt­same Glaubens-Dekon­struk­tion ihren Lauf bis zu dem Moment, an dem Michael sein­er Frau offen­bart, dass er nicht mehr an Gott glaubt.

https://youtu.be/g‑nE-zrIhKc

 

Als ich im Früh­ling 2017 den Ver­trag mit Gun­gor für ihren Auftritt in der Schweiz unter­schreibe, weiss ich um die Gerüchte rund um Michael. Auf diversen kirch­lichen Nachricht­en­por­tal­en in den USA sind gewisse unortho­doxe the­ol­o­gis­che Hal­tun­gen von Michael the­ma­tisiert wor­den etwa zu Fra­gen von Schöp­fung und Evo­lu­tion. Als Ver­anstal­ter ist für mich eigentlich immer klar: Man sollte den Leuten mehr ver­trauen als mis­strauen. Ich schätze Gun­gors als grossar­tige Song­writer und exzel­lente Musik­er. Zudem habe ich grossen Respekt davor, wie Lisa und Michael ihr volles Ja zu ihrem zweit­en Kind Lucette gefun­den haben, welch­es uner­wartet mit dem Down Syn­drom geboren wor­den ist.

Rekonstruktion als Mystiker

Anders als bei Bart Cam­po­lo, über dessen Dekon­struk­tion zum Athe­is­mus wir auf unserem Blog bericht­en, ist der Athe­is­mus für Michael Gun­gor nicht das Ende der Reise. Kurz nach dem Erscheinen des Video­clips mit Lisa im Sep­tem­ber 2018 stellt Michael in einem ein­fachen Face­book­post klar:

I am not a Athe­ist. Michael Gun­gor

In den Kom­mentaren zum Post präzisiert er weiter:

Ihr kön­nt mich jet­zt als Mys­tik­er betra­cht­en. Jeglich­er Gott, der konzep­tu­al­isiert wer­den kann, ist nicht, der ‘Ich bin’. Michael Gun­gor — eigene Übersetzung

Im Feb­ru­ar 2019 reicht er noch weit­ere Klärun­gen nach:

Wer ist Michael Gun­gor über­haupt? Ist er ein christlich­er Lobpreisleit­er? Ein aus­ge­laugter Agnos­tik­er? Ein Athe­ist? Ein Mys­tik­er? … Ich habe meinen Glauben für eine gewisse Zeit ver­loren und habe Musik darüber geschrieben. Dann habe ich ange­fan­gen, die Ein­heit in allen Din­gen zu sehen und darüber zu schreiben. Michael Gun­gor — eigene Übersetzung

Im Rah­men mein­er Nach­forschun­gen ent­decke ich, wie Per­so­n­en, welche Michael beson­ders nahe ste­hen, ihn manch­mal unter dem Namen ‘Vish­nu Dass’ ansprechen. Michael hat sog­ar ein eigenes Face­bookpro­fil unter diesem Namen. Was hat es mit diesem Namen auf sich? Mike McHar­gue alias ‘Sience Mike’ ist ein guter Fre­und von Michael Gun­gor. Dieser erk­lärt in einem Online-Forum, wie es zu diesem neuen Namen für Michael gekom­men ist:

Mein bester Fre­und, Michael Gun­gor sah, wie sein Name zu ein­er Marke in der christlichen Medi­en­welt gemacht wurde. Das gab ihm eine eige­nar­tige Beziehung zu seinem Namen, vor allem, als er nicht mehr Christ war. Wie er so auf sein­er spir­ituellen Reise unter­wegs war, ent­deck­te er die Lehren des Bud­dhis­mus und Hin­duis­mus als hilf- und lehrre­ich für sich. Ein­er der Lehrer, welche ihm halfen, war Ram Dass… Ram Dass beschloss, Michael Gun­gor einen neuen Namen anzu­bi­eten. Ein Moment, der für Michael von tiefer Bedeu­tung war. Mike McHar­gue — eigene Übersetzung

Per­so­n­en, welche sich inten­siv­er mit der Geschichte der Pop­musik auseinan­der­set­zen, wer­den irgend­wann über den Namen Ram Dass stolpern. Auch Ram Dass hat früher anders geheis­sen, näm­lich Richard Alpert. Er ist eine Leit­per­son der Hip­piebe­we­gung. 1963 wird er als Pro­fes­sor der renom­mierten Har­vard Uni­ver­sität auf­grund von Exper­i­menten mit LSD ent­lassen. 1967 reist er nach Indi­en, kon­vertiert zum Hin­duis­mus und erhält sel­ber seinen neuen Namen: Ram Dass (= “Diener Gottes”). 1971 erscheint sein Buch ‘Be Here Now’, welch­es zu einem der wichti­gen Büch­er der Hip­pie-Bewe­gung wird. Ein Zeuge davon ist das vom Buch inspiri­erte Lied ‘Be Here Now’, welch­es Bea­t­les-Mit­glied George Har­ri­son 1973 pub­liziert haben.


Ram Dass, Vor­denker der Hip­pie-Bewe­gung. Quelle ramdass.org

Das atheistische Abendmahl

Es wird klar, dass Michael Gun­gor eine weite Reise hin­ter sich hat: Vom tal­en­tierten Lobpreisleit­er in ein­er Kirche, über den hochgelobten Vor­denker der pro­gres­siv­en US-Chris­ten, den Athe­is­ten, bis hin zum hin­duis­tis­chen Mystiker.

Auf seinen diversen Pod­casts ist aktuell das für den Hin­duis­mus zen­trale The­ma der ‘Non­d­u­al­ität’ dom­i­nant. Es ist das, was im Wesentlichen monis­tisch-pan­the­is­tis­che Reli­gio­nen vom christlichen The­is­mus unter­schei­det. Neben der Musik und der inhaltlichen Arbeit mit dem ‘Litur­gist Pod­casts’ bietet er gegen Hon­o­rar ’spir­ituelle Reise­be­gleitun­gen’ an.

Wirk­lich auf­schlussre­ich ist für mich der Ein­blick in eine Zusam­menkun­ft von ‘Litur­gist’, welche Ende 2018 in Nashville stattge­fun­den hat. Eine Bekan­nte von Michael, welche sich sel­ber als ‘Sex-Witch’, also als ‘Sex-Hexe’, beze­ich­net, berichtet in einem kurzen Video von dieser gemein­samen Ver­samm­lung (ich verzichte hier bewusst auf eine Verlinkung):

Ein paar Stun­den später, kurz vor dem Beginn der athe­is­tis­chen Eucharistie, lief Vish­nu zu mir herüber und fragte: “Willst du Vapor (Anmerkung: ein bekan­ntes Lied der Band Gun­gor) sin­gen?” Ich habe meine eigene Stimme seit Jahren nicht mehr so gehört. Mit dem Ver­lassen der insti­tu­tionellen Kirche, haben so viele von uns gemeint, wir müssten Teile von uns zurück­lassen und akzep­tieren, dass solch ‘Heilige Momente’ uns nie mehr find­en wer­den … Vielle­icht geht es dir wie mir: Du ver­misst nicht, zu WEM du damals gesun­gen hast, aber du ver­misst, wie es sich ange­fühlt hat … Ich bin da, um dich an die Wieder­her­stel­lung aller Dinge zu erin­nern. Vielle­icht hast du auch schon Ähn­lich­es gehört, aber ich möchte dir heute sagen, was der Unter­schied ist, worin die Wahrheit beste­ht: In unseren ehe­ma­li­gen Gefässen hat die ‘Ursache’ für das Wun­der, den Durch­bruch, die Verbindung immer den Raum ver­lassen. Es hat immer geheis­sen: Gott habe dies getan. Jet­zt wis­sen wir es bess­er: Wir machen dies zusam­men mit und für und durch einan­der. Eigene Über­set­zung

Auf eine Rück­frage, zu wem sie das Lied während dem Abendmahl gesun­gen habe, schreibt die besagte Sex-Hexe, sie habe es zu sich sel­ber und zu ihrem Kör­p­er gesungen.


Das athe­is­tis­che Abendmahl in Nashville. Im Vorder­grund Michael Gun­gor mit Gitarre, im Hin­ter­grund die selb­sterk­lärte Sex-Witch am Gesang. Brot und Wein ste­hen bere­it für das Abendmahl. (Screen­shot)

Gleiches Vokabular, unterschiedlicher Inhalt

Wohin kann der Weg des ‘pro­gres­siv­en’ Chris­ten­tums einen Men­schen führen? Im Fall von Michael Gun­gor endet er an einem Ort, wo ein zutief­st christlich­es Rit­u­al wie das Abendmahl eine humanistisch/atheistische Umdeu­tung bekommt und Men­schen mit bewusster okkul­ter Ver­strick­ung zur Mitwirkung ein­ge­laden sind. Jesus selb­st hat das Abendmahl einge­set­zt, damit wir Chris­ten uns daran erin­nern, wie er sein Leben als ein Opfer für uns gab (Mt. 26:26–28). Die Umdeu­tung eines solch tiefen christlichen Rit­u­als zu erleben, ver­let­zt mich in meinem Glauben zutiefst.

An dieser Geschichte wird auch eine Grund­prob­lematik unser­er Zeit sicht­bar, näm­lich dass man sich immer weniger darauf ver­lassen kann, dass Men­schen einem bes­timmten Wort den gle­ichen Bedeu­tungsin­halt beimessen. Kern­be­griffe des christlichen Glaubens wie zum Beispiel ‘Kreuz’, ‘Chris­tus’, ‘Aufer­ste­hung’, ‘Sünde’, ‘Erlö­sung’ oder eben ‘Abendmahl’ wer­den teils so unter­schiedliche Bedeu­tun­gen zugewiesen, dass es möglich scheint, dass zwei unter­schiedliche Reli­gio­nen unter Ver­wen­dung des gle­ichen Vok­ab­u­lars operieren.

Wohin führt die progressive christliche Reise?

Diese Frage beschäftigt mich. Immer wieder habe ich bei pro­gres­siv­en Wort­führern im deutschsprachi­gen evan­ge­likalen Umfeld den Ein­druck, dass sie sich nicht gerne in die Karten blick­en lassen. Fragt man zu konkreten Fra­gen von The­olo­gie, Ethik oder Fröm­migkeit nach, so wird oft auf Chris­tus als Verbinder aller Chris­ten ver­wiesen. The­olo­gie, Ethik und Fröm­migkeit wer­den bewusst zurück­gestuft, weil, so meine Ver­mu­tung, sie möglicher­weise als Gefährdung für die Ein­heit der Chris­ten emp­fun­den wer­den. Qua­si: Solange jemand Chris­tus-beken­nend ist, soll es nicht darauf ankom­men, was er glaubt (The­olo­gie), wie er lebt (Ethik), wie er Gott sieht (Fröm­migkeit). Ganz ehrlich: Ich traue diesem Vorge­hen nicht.

Mar­tin Benz, der in den ver­gan­genen Jahren den the­ol­o­gis­chen Kurs am IGW mass­gebend mit­geprägt hat, spricht in einem kür­zlich erschiene­nen Move­cast davon, dass der ‘pro­gres­sive Leit­er’ nicht zu weit vorau­seilen darf, weil dieser son­st zum Mär­tyr­er wird – aus der Stadt gejagt und gesteinigt wird. Er wolle mit seinen Move­casts die Leute mit­nehmen auf eine span­nende Reise der Erneuerung, und sich gle­ichzeit­ig nicht so weit ent­fer­nen in sein­er Kom­mu­nika­tion, damit er weit­er­hin Men­schen mit­nehmen kann.

Ich möchte Mar­tin auf keinen Fall unter­stellen, seine Reise habe den gle­ichen End­punkt wie diejenige von Michael Gun­gor. Und ich weiss, dass er das sel­ber auch entsch­ieden in Abrede stellen würde. Doch seit ich sehe, wo die pro­gres­sive Reise für einige ihrer Leit­fig­uren endet, weck­en solche Aus­sagen wie diejenige von Mar­tin bei mir ein deut­lich­es Unbehagen.

Ist es mir nicht zumut­bar, zu erfahren, wohin die Reise geht? Geht man ein­fach davon aus, dass die evan­ge­likale Basis noch nicht bere­it ist für die Überzeu­gun­gen, die man inner­lich schon hat? Jeden­falls wün­schte ich mir doch sehr, dass auf Mogel­pack­un­gen und Salami­tak­tik verzichtet würde!

Die progressive Affinität zu östlichen Religionen

Die Musik von Lisa und Michael Gun­gor bleibt gut. Und ich wün­sche Lisa und Michael von Herzen nur das Beste. Was aber den Glauben bet­rifft, leben wir mit­tler­weile auf zwei ver­schiede­nen Plan­eten. Nach sein­er Dekon­struk­tion scheint Michael seinen neuen Glauben auf der Grund­lage ein­er völ­lig neuen Welt­sicht aufge­baut zu haben.

Michael ist nicht Athe­ist, aber wie es aussieht auch nicht Christ. Doch diese Tat­sache hält pro­gres­sive Leit­fig­uren im christlichen Seg­ment nicht davon ab, Michael Gun­gor als einen der ‘ihren’ zu sehen. Fleis­sig lässt man sich gegen­seit­ig in Blogs, Pod­casts und Podi­en zu Wort kom­men, klopft sich gegen­seit­ig auf die Schul­ter. Und das hat mein­er Mei­n­ung nach einen Grund. Egal ob Richard Rohr, Bryan Mc Lar­ren, Rob Bell, Nadia Bolz-Weber und wie sie noch heis­sen: Die christlich-pro­gres­sive Elite in den USA hat schon vor Jahren ihre Abgren­zung gegenüber den östlichen Reli­gio­nen und Geis­te­sprak­tiken aufgegeben. Dies, obwohl sich das christliche Gottes­bild und das Konzept von Erlö­sung fun­da­men­tal unter­schei­det von den Erlö­sungskonzepten, wie wir sie in östlichen Reli­gio­nen find­en. Michael Gun­gor ist ein­er der ‘ihren’, weil let­z­tendlich die gle­iche Welt­sicht geteilt wird, vielle­icht noch mit etwas mehr oder weniger ‘from­mem’ Vok­ab­u­lar versetzt.

Bilder­ga­lerie: Gun­gor am Spring­time Fes­ti­val 2017:

gungor_springtimefestival_2017

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Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

19 Comments

  1. Stephan

    Danke für diesen Beitrag über Michael Gungor.
    Ich habe Gun­gor vor knapp 10 Jahren live erlebt, und es war mit das Emo­tion­al­ität Konz­ert welch­es ich erleben durfte.

    Zuerst leicht, später schw­er irri­tiert habe ich den weit­eren Weg der Gun­gors aus der Ferne verfolgt.

    Seit einiger Zeit treibt mich die Frage um, wie man jet­zt mit den alten Liedern von denen umge­ht. Lieder die mir damals nahe gin­gen, die mich durch schwere Zeit­en hin­durch begleit­et haben. Lieder die wahrschein­lich auch vie­len anderen Men­schen zum Segen gewor­den sind. Kann man solche Lieder nach wie vor guten Gewis­sens bsw. In ein­er Lobpreiszeit singen?

    Gruß aus Lemgo

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    • Peter Bruderer

      Sali Stephan.
      Mich treiben die gle­ichen Fra­gen um wie dich. Ich höre mir die Musik im pri­vat­en Rah­men immer noch ab und zu an. Aber als Lobpreis ‘funk­tion­iert’ das bei mir per­sön­lich nicht mehr. Ich würde ten­den­tiell auch davon abrat­en, die Songs im Gemein­de­set­ting einzuset­zen weil die Kon­tro­verse aktuell ist und das das Sin­gen ihrer ganz unter­schiedlich aufge­fasst wer­den kann.

      Reply
  2. Olivia Wiederkehr

    Ich bin erst jet­zt auf diesen Artikel gestossen… ich kenne das Dilem­ma sehr gut: ich bin selb­st bildende Kün­st­lerin und kenne den Druck und die Erwartun­gen, die an einen gestellt wer­den im christlichen Bereich.
    Was mit Michael und Lisa passiert, erlebe ich seit ca 20 Jahren mit Kün­stlern und kreativen/intellektuellen Men­schen um mich.Es macht mich sehr trau­rig, zer­reisst. Seit unge­fär genau­so langer Zeit mache ich mir um diese The­matik Gedanken. Viele Gedanken. Unter­dessen habe ich viele Antworten gefun­den. Diese Antworten haben auch meinen Glauben an diesen allmächti­gen Gott bee­in­flusst. Ich ver­ste­he die Gun­gors extrem gut. Das Pro­gres­sive ist in der Kirche nicht gerne gese­hen. Pro­gres­siv unter­wegs zu sein, bedeutet auch immer, in einem Bere­ich zu agieren, in dem man mit ganz viel (Mächtigem) kon­fron­tiert wird. Oft alleine. Ein sehr dün­ner Grat. Sup­port fehlt meis­tens. Dass man daran zer­brechen kann, ist men­schlich. Religiösität spielt hier auch eine riesige Rolle. In der Kirche, aber auch ausser­halb. Eines hat mich immer wieder am Halm der Hoff­nung fes­thal­ten lassen: dieser Gott, um den es eigentlich geht; er ist gröss­er, sou­verän­er, weis­er, als alles men­schliche. Was mit den Gun­gors geschah und noch immer geschieht, ist kein Einzelfall. Ich wün­sche mir so sehr, dass die Betra­ch­tung dieser Geschichte einen anderen Blick­winkel erlebt: was für Erwartun­gen wur­den an sie gestellt, und warum? Das eröffnet plöt­zlich andre Per­spek­tiv­en. Wenn ich die auch mit mir verbinde. Die Kirche braucht Kün­stler. Drin­gen­der denn je. Das Ver­ständ­nis dazu ist jedoch kaum vorhan­den. Die Gun­gors und ihre Geschichte sind in diesem Kon­text zu ver­ste­hen. Es braucht noch immer viel Gespräch und Beziehungsar­beit zwis­chen diesen zwei Bereichen.

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    • Peter Bruderer

      Danke, liebe Olivia, für deinen Beitrag. Ich kann deine Gedanken gut nachvol­lziehen. Als Ver­anstal­ter hab ich mit vie­len, auch sehr promi­nen­ten christlichen Kün­stlern zu tun gehabt. Ich hab mich schon vor vie­len Jahren davon ver­ab­schiedet, irgendwelche spez­i­fis­chen Erwartun­gen an sie zu stellen, ob und wie sie über ihren Glauben sprechen wollen. Ich ver­suche sie zuallererst als Men­schen wahrzunehmen, die ich wertschätzen und denen ich ein guter Gast­ge­ber sein möchte. Ich bete für sie. Ich traue mir auch zu, sie geistlich zu ermuti­gen und möchte für sie ein echt­es Inter­esse haben. Das Leben im Ram­p­en­licht führt bei zu vie­len zu einem Dop­pelleben, welch­es ich nicht fördern möchte. Gle­ichzeit­ig hab ich die pri­vate Rück­mel­dung im Ohr von einem lieben Kün­stler­fre­und, einem ziem­lich hip­pen Elec­tro-Pio­nier, der später eine Lauf­bahn als Pas­tor ein­schlug: “Artists seem to have a hard­er time stay­ing ortho­dox. That’s sim­pli­fy­ing of course. But it has seemed the trend, unfortunately.”
      Hder­zliche Grüsse und en guete Tag

      Reply
  3. Jonathan

    War trau­rig als sich Michael Gun­gor und verun­sichert als sich Richard Rohr ver­ran­nten. Finde diesen Text und den von Johannes Hartl (“Abschied von einem Lehrer” und “Die Lösung heißt nicht “kon­ser­v­a­tiv“”). Bin über­rascht, dass die Kon­fronta­tion mit Leid und Leis­tungschris­ten­heit jeman­den wie Michael Gun­gor aus der Bahn wirft. Hätte ihm gerne mal dieses Video emp­fohlen, naja. https://www.youtube.com/watch?v=wLvd_ZbX1w0 Danke für den Text.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke für die Rück­mel­dung, Jonathan!

      Reply
  4. Manfred Reichelt

    Die Welt der Evan­ge­likalen ist eine fest­ge­fügte Welt, die echte Nach­folge Christi eher behin­dert als fördert. Die meis­ten Men­schen, die sich zu den Evan­ge­likalen zählen, wur­den in diese Gemein­schaften hineinge­boren. Da ist es nicht ver­wun­der­lich, dass manche begin­nen ihren über­nomme­nen Glauben zu reflek­tieren und sich genötigt sehen auszubrechen, da die starre Enge ihnen keine andere Möglichkeit lässt.
    Jet­zt, wo man selb­st­ständi­ger wird, ist natür­lich die Gefahr gegeben nach der einen oder anderen Seite vom Pferd zu fall­en. Aber echte Fröm­migkeit gibt es nicht ohne den Preis der Anfech­tung, des Zweifels.
    Wer weit­en fun­da­men­tal christl. Glauben ken­nen­ler­nen will, ist auf meinen Blog ein­ge­laden: https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/04/09/verstaendnis-und-orientierung-durch-vertiefung/

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke Man­fred für deinen Beitrag.
      Ich glaube mit dir, dass es wichtig ist, unseren Glauben zu reflek­tieren, deshalb engagiere ich mich auch auf Daniel Option. Wir möcht­en da eben auch die eine oder andere heisse Kartof­fel anfassen und nicht nur Schweigen zu Fra­gen unser­er Zeit.
      Die Evan­ge­likale Welt hat da bes­timmt gewisse Schlag­seit­en, im Sinne eines “Wir haben die Antwort — was war schon wieder die Frage?” Die evan­ge­likale Welt wird aber auch oft auf eine Weise karikiert, welche ihr unrecht tut. Ich glaube das ein Blick auf die weltweite Dynamik und Vielfalt dieser Bewe­gung da auch eine andere Per­spek­tive geben kann.
      Mein Brud­er Paul hat sich übri­gens in diversen Artikel schon mit dem The­ma Fragen/Zweifel befasst. Sein Biografis­ch­er Artikel ste­ht ganz am Anfang von Daniel Option: https://danieloption.ch/glaube/lebensberichte/den-glauben-verlieren-teil-1-meine-re-konversion/
      Her­zliche Grüsse un eine gute Woche.

      Reply
      • Christoph Scheuermann

        Hal­lo Peter,

        ich bin sehr dankbar für deinen Artikel. Er bringt ein Stück Klarheit. Danke, dass du die weit­ere Geschichte von Michael weit­er­ver­fol­gt hast und hier teilst. Toll, dass du ihn nicht verurteilst, son­dern sozusagen sagst: “Ok, da geht es für mich nicht­mehr weit­er bzw. ich kann in sein­er Anschau­ung nicht­mehr den erlösenden Jesus, der Gott ist, sehen, der allein ret­tet.”. So ver­suche ich das mal zu beschreiben. Tat­säch­lich war ich auf dem Springfes­ti­val haupt­säch­lich wegen Gun­gor, weil ich sie so gern mal live sehen wollte! Weil sie ein­fach so musikalisch “bombe” sind. Sie haben ein riesiges Tal­ent! Ihre Musik hat mich auf tief im Herz getrof­fen. Und genau­so trifft mich ihre Geschichte tief ins Herz.

        Komis­cher­weise war es aber ver­mut­lich das trüb­ste Fes­ti­val auf dem ich war, den ich war alleine. Kein­er wollte mit mir in die Schweiz fahren. Das zweite Tick­et habe ich dann an ein anste­hen­des Mäd­chen ver­schenkt. Jesus erlöst mich zu ein­er Beziehung zu ihm, in der ich ihn und natür­lich auch mich bess­er kennenlerne.

        Danke für deinen Artikel. Ich bete für Michael und Lisa, nicht weil Gott dadurch stärk­er ist, son­dern weil mein Herz bewegt ist und ich es ihm ein­fach sagen will. #Ehep­aar­like

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        • Peter Bruderer

          Hal­lo Christoph. Her­zlichen Dank für deine Rückmeldung.

          Reply
        • Peter Bruderer

          Hal­lo Christoph. Her­zlichen Dank für deine Rück­mel­dung. Eine kleine Anek­dote vom Fes­ti­val. Bei den Abbauar­beit­en im Anschluss ans Fes­ti­val fan­den wir Back­stage ein liegen­ge­lassenes Handy. Es stellte sich her­aus, das es jenes von Lisa Gun­gor war. Die Band musste bere­its um 5 Uhr Mor­gens Rich­tung Flughafen abfahren. Wir schafften es aber noch, es ihr zu über­grin­gen. Sie hat­te glaube ich gar nicht bemerkt das ihr Handy fehlt und hat sich her­zlich bedankt.

          Reply
  5. Bravesoul

    Zu ent­deck­en, dass es eine 1600 Jahre alte durch und durch christliche Tra­di­tion der Mys­tik gibt, hat mir sehr über eine tiefe Glauben­skrise hin­wegge­holfen. Ich erlebe dadurch eine neue Tiefe und Lei­den­schaft für Gott. Den­noch liegt es mir fern, Jesus Chris­tus als Erlös­er zu leug­nen. Selb­st wenn von “Allver­söh­nung” die Rede ist, so geschieht dies durch Ihn.

    Eine sehr gute Einord­nung der christlichen Mys­tik inklu­sive ein­er Abgren­zung gegen östliche Reli­gio­nen find­et man bei der VBG: https://wp.vbg.net/wesen-und-praxis-christlicher-kontemplation/

    Reply
    • Peter Bruderer

      Danke Bravesoul für deinen Hin­weis auf den VBG Artikel zur christlichen Kon­tem­pla­tion. Ich wer­den den gerne studieren, sehe dur­chaus einen Platz für Kon­tem­pla­tion und habe sel­ber auch eine gewisse Affinität für kon­tem­pla­tive Gottesdienstformen.
      Ich denke aber das es auch eine sehr konkrete Gefahr des Sykretismus ernst zu nehmen gilt. Der Ein­fluss von östlichen Kon­tem­pla­tions­for­men macht aus kon­tem­pla­tiv­en Anbe­tung / Gebet zu unserem Schöpfer­gott nur näch­ste Form selb­stzen­tri­erten Spir­i­tu­al­ität. Ich finde dieser Artikel bringt bringt einiges auf den Punkt: https://catholicherald.co.uk/news/2019/09/24/zen-meditation-and-mindfulness-movement-are-not-christian-prayer-spanish-bishops-warn/
      Her­zlich­er Gruss
      Peti

      Reply
      • Bravesoul

        Völ­lig ein­ver­standen: Zen ist Selb­ster­lö­sung, der Christ wird erlöst. 

        Das Ziel christlich­er Kon­tem­pla­tion ist, mit Liebe erfüllt, wieder in die Welt hin­aus­ge­wor­fen zu wer­den und nicht im Inneren zu ver­weilen (wie z.B. im Qui­etismus). Es geht um eine Ich-Du Begeg­nung mit Gott (Mar­tin Buber) im Gegen­satz zu ein­er Ich-Es Theologie. 

        Thomas Keat­ing hat das “Cen­ter­ing Prayer” in den 1970er Jahren genau als christliche Alter­na­tive für die vie­len Hip­pies entwick­elt, die ihren spir­ituellen Durst nur mit bud­dhis­tis­chen Rit­ualen still­ten. Wenn die Meth­o­d­en von Ost und West äusser­lich auch ähn­lich ausse­hen, so ist das innere Geschehen doch sehr unterschiedlich.

        Reply
  6. helmut w-k

    “Gle­ich­es Vok­ab­u­lar, ver­schieden­er Inhalt” — so kon­nte man sein­erzeit auch die “mod­erne The­olo­gie” (Bult­mann etc.) beschreiben. Die Evan­ge­likalen haben sich damals dage­gen gestemmt und auf dem alten Inhalt bestanden.

    Und heute? Gun­gor ist nicht Bult­mann, es geht um eine ganz andere Front. Aber eben um eine Front. Da muss klar benan­nt wer­den, worum es geht, und auch schon mal abge­gren­zt werden.

    Reply
  7. Alexander Pollhans

    „Gle­ich­es Vok­ab­u­lar, unter­schiedlich­er Inhalt“. Dieser eine Satz macht m. E. deut­lich, was hier passiert: der Adres­sat des Wohlfüh­llobpreis war im schlimm­sten Fall die eigene „angenehme Emo­tion“. Zu den Dekon­ver­sio­nen, die uns aus der US-Amerikanis­chen Welt die let­zten 8 Wochen „beschäftigt“ haben (Joshua Har­ris und Mar­ty Samp­son), bemerkt J. L. Coop­er in einem FB Post war­nend: „We must STOP mak­ing wor­ship lead­ers and thought lead­ers or influ­encers or cool peo­ple or “rel­e­vant” peo­ple the most influ­en­tial peo­ple in Chris­ten­dom. (…) I’ve been say­ing for 20 years(and seemed prob­a­bly quite judg­men­tal to some of my peers) that we are in a dan­ger­ous place when the church is look­ing to 20 year old wor­ship singers as our source of truth. We now have a church cul­ture that learns who God is from singing mod­ern praise songs rather than from the teach­ings of the Word. I’m not being rude to my wor­ship leader friends (many who would agree with me) in say­ing that singers and musi­cians are good at com­mu­ni­cat­ing emo­tion and feel­ing. We cre­ate a moment and a vehi­cle for God to speak. How­ev­er, singers are not always the best peo­ple to write sol­id bible truth and doc­trine. Some­times we are too young, too igno­rant of scrip­ture, too unaware, or too uncon­cerned about the puri­ty of scrip­ture and the holi­ness of the God we are singing to.“ (https://www.facebook.com/2850181515207762/posts/2899206276971952?sfns=mo)

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Die moderne Bibelwissenschaft In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der Jahrtausendwende....

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 2/10

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Evangelikales Schriftverständnis In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der...

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 1/10

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Das Evangelium der Mitte In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der Jahrtausendwende. Das...