In diesem Artikel werfe ich etwas philosophisches Licht auf die protestantische Lehre von der Schrift. Während die Bibel als Gottes Wort zentrale Bedeutung für das Glaubens- und Kirchenleben hat, haben wir zusätzlich allein in ihr das Antidot gegen die philosophische Krise des modernen Geistes. Sie ist wirklich “das Buch, das die Welt bedeutet”.
Es drängt sich aber zunächst einmal die Frage auf, ob ich nicht Eulen nach Athen trage, wenn ich hier, angesichts einer vermutlich grösstenteils evangelikalen[1] Leserschaft, über die Erhabenheit der Bibel schreibe?
Ich meine nein, aus zwei Gründen. Erstens ist selbst uns Evangelikalen – ich schliesse mich offensichtlich mit ein – das Ausmass der Zentralität der Bibel oft nicht vollends bewusst. Als Beweis führe ich mich selbst an: Von einer brennenden Liebe zum Wort Gottes und seinem Studium durchdrungen war ich dennoch überwältigt davon, was die evangelikalen Lehren von der Schrift im Detail bedeuten, als ich mich mit ihnen jüngst eingehender beschäftigte. Zweitens betrachte ich diese zentralen (Meta-)Doktrinen unseres Glaubens mit philosophischen Augen; Augen, die Dinge sehen, die Theologen gewöhnlicherweise verborgen bleiben. Ich möchte herausstellen, dass die Lehren von der Autorität, Wahrheit, Unfehlbarkeit, Klarheit, Notwendigkeit und Zulänglichkeit der Bibel nicht einfach nur blind zu glaubende ex cathedra-Doktrinen sind, sondern wir ihre Bedeutung und Implikationen tatsächlich rational erfassen können.
Dieser Artikel zehrt wesentlich von Wayne Grudems hervorragendem Lehrbuch Systematic Theology[2], was die theologischen Grundlagen angeht; in diese pfropfe ich philosophische Überlegungen ein, die, so hoffe ich, dem Leser die majestätische Erhabenheit des geschriebenen Wortes Gottes noch grösser und wunderbarer erscheinen lassen.
Das epistemische[3] Problem, oder: wie wir sicheres Wissen erlangen können
Ich möchte die nachfolgenden Ausführungen in den Kontext einer nunmehr seit vier Jahrhunderten andauernden philosophischen Krise stellen: der Krise des (sicheren) Wissens. Was viele Evangelikale nicht realisieren, ist, dass Bibelkritik, oder auch nur ein Abrücken von der Zentralität der Bibel, nicht nur das religiöse Leben destabilisiert. Um es unverblümt zu sagen: Die Bibel ist das einzige Fundament für sicheres und stabiles Wissen, auf das menschliche Kulturen aufgebaut werden können.
So radikal diese Aussage auch scheinen mag, wir kommen um sie nicht herum. Grudem offeriert einen faktenbezogenen Ansatz, sie zu verstehen. Er fragt: Wie können wir von irgendeiner Information wissen, dass sie wahr ist, wenn wir nicht alle Fakten kennen? Denn es könnte sein, dass ein bisher unbekanntes Faktum auftaucht, das unser vermeintliches Wissen über den Haufen wirft. Eine Lösung dieses Problems wäre natürlich, alle Fakten zu kennen, was aber nicht möglich ist. Möglich ist hingegen, Den zu kennen, der alle Fakten kennt, und uns auf Sein Wort stützen. So haben wir jedenfalls epistemische Gewissheit über all jene Aussagen, die in der Schrift stehen; und da die Schrift universell genug ist, auf alle Lebensfragen und ‑umstände angewendet werden zu können, bekommen wir in der Bibel einen ultimativen Standard für Wahrheit und somit sicheres Wissen.
Sicheres Wissen ist unter Philosophen seit einiger Zeit kein Allerweltsding mehr, sondern ähnelt eher dem Stein der Weisen, von dem man nicht einmal weiss, ob er existiert (der drohende infinite Regress ist wohl kein Zufall)[4]. In der Tat werden und wurden viele Versuche gemacht, die Natur des Wissens richtig zu erfassen, aber bei jedem von ihnen bleibt natürlich immer noch die (Meta-)Frage, woher man weiss, dass der jeweilige Ansatz richtig ist. René Descartes (1596–1650) war gequält von der Frage, wie er überhaupt wissen könne, dass die Aussenwelt existiert; seine Antwort ist, dass das gar nicht möglich sei, dass aber die Existenz des eigenen Ichs ein sicherer Anker sei (“Cogito ergo sum”). Das mag stimmen, und dennoch ist alles ausserhalb des Egos zunächst einmal der epistemischen Unsicherheit unterworfen; nur indem er Gott ins Bild einbaut, kann Descartes Wissen über die Aussenwelt wieder verwurzeln. Die Wunde des Skeptizismus scheint philosophiegeschichtlich jedoch zu tief gerissen worden zu sein, um wieder ganz zu verheilen. David Hume (1711–1776) zweifelte so ziemlich alles an, von Wunder über das eigene Ich bis hin zur Existenz von Kausalität. Immanuel Kant (1724–1804) schliesslich, tief beeindruckt von Hume, versuchte unser intuitives Bild von der Welt (gemäss dem wir sehr wohl Wissen über die Aussenwelt, inklusive Gott, haben können) zu retten, indem er den Spiess umdrehte: Statt nach einer Möglichkeit zu suchen, wie unser Geist das Wissen in der Welt erfasst, erklärte er, dass unser Geist die Eindrücke aus der Welt (die Phenomena) in einer bestimmten, unhintergehbaren Weise ordnet. Laut Kant ist er müssig, nach den “Dingen an sich” (den Noumena) zu fragen; wir müssen uns mit den Phenomena zufriedengeben.
Es ist auffällig, dass jedes philosophische System – auch die skeptischen – ja sogar jede einzelne Person am Ende des Tages an eine höchste Autorität glaubt, von der alle anderen Überzeugungen abgeleitet sind. Es ist epistemologisch gar nicht möglich, anders zu denken: denn für jede Überzeugung kann man nach den Gründen fragen, weshalb man diese Überzeugung hat. Für diese Gründe kann man wiederum nach Gründen fragen. Das kann aber offensichtlich nicht ad infinitum gehen, denn dann gäbe es ja überhaupt keine Grundlage für unser Wissen. Deswegen appelliert jeder irgendwann an eine Autorität, die er nicht mehr hinterfragt: kleine Kinder zitieren hier ihre Eltern, Erwachsene vielleicht Experten oder aber ihre eigene Intuition. Die Frage ist nicht, ob wir eine höchste Autorität anerkennen (sollen), sondern ob die Autorität, die wir anerkennen, eine tragfähige Basis für unser Leben ist.
Das Problem der Moderne ist, dass sie ein epistemisches Machtvakuum hinterlässt; die von ihr angebotenen Autoritäten bieten zu wenig Halt für Denken und Handeln. Die Bibel zeichnet ein ganz anderes Bild. Hier spricht Gott, der sich zuverlässig in einem prinzipiell für alle zugänglichen Buch offenbart. Sicheres Wissen über Gott und die Welt – und die Zuversicht, es auch tatsächlich erlangt zu haben – sind verfügbar.
Warum wir Gottes Wort in schriftlicher Form haben
Wir nennen die Bibel auch “Das Wort Gottes”, aber natürlich kann Gott prinzipiell auch anders sprechen, z.B. durch direkte Kommunikation mit Individuen, oder verbal durch berufene Menschen (Propheten, Apostel etc.). Es gibt durchaus einen Trend heutzutage unter freien protestantischen Kirchen, verstärkt auf persönliche “Eindrücke” oder das (vermeintliche) Reden des Heiligen Geistes zu hören, zu Lasten von Bibelstudium und ‑predigt. Die schriftliche Darreichungsform jedoch hat einige massive Vorteile, auf die Grudem hinweist (S. 50):
- Genauigkeit in der Überlieferung.
- Erlaubt das genaue Studium der Worte Gottes.
- Zugänglichkeit für viel mehr Menschen.
Da nun das Christentum seit Anbeginn schon immer eine “Religion des Buches” war, folgen daraus zwei überraschende Implikationen :
- Die erfolgreiche Ausübung des Christentums erfordert die intellektuelle Fähigkeit, die Bibel zu lesen und zu verstehen. Das Lesen der Bibel ist natürlich eine geistliche, aber eben auch intellektuelle Angelegenheit. Man muss sich intellektuell Mühe geben, die Bibel zu verstehen; sorgfältiges Studium der Schrift ist von Gott gewollt und bringt gute Resultate (Psalm 1,1–3; Apostelgeschichte 17,11). Es ist das Erbe der Reformation, Bildung zu fördern, weil die Reformer von dem Gedanken beseelt waren, dass jeder Mensch Zugang zur Bibel haben sollte. Antiintellektualismus ist eine der Bibel und dem Christentum fremde Haltung.
In einem tieferen Sinne deutet die Tatsache, dass die Bibel auch mit dem Intellekt gelesen werden muss, auf unsere Beschaffenheit als Menschen hin. Wir haben den Geist, der sozusagen direkten Kontakt mit Gott herstellen kann (1. Korinther 2,9–16); wir haben aber eben auch den Intellekt, der analytisch und kleinschrittig arbeitet, der Schlussfolgerungen aus Prämissen zieht. Ein Christentum, das die Rolle des Geistes herunterspielt, degeneriert zu trockener Gelehrsamkeit; eines, das den Intellekt vernachlässigt, zu unreifer Schwärmerei.
- Im Kontrast zu lediglich individuellen Offenbarungen erlaubt die Bibel gemeinsame Forschung und Debatten, weil sie eine für alle zugängliche, unabhängige Referenz darstellt. Dieser Punkt ist enorm zentral. Stellen wir uns einmal vor, Gott gäbe uns spezifische Offenbarungen (also nicht die allgemeinen, die wir in der Schöpfung finden) je individuell. Abgesehen davon, dass dies wahrscheinlich zu doktrinärem Chaos führen würde, wäre das eine ziemlich einsame Angelegenheit. Schon der Austausch der persönlichen Offenbarungen wäre schwierig, da es kein milliardenfach gedrucktes Buch gäbe, auf das sich alle beziehen können; noch viel schwieriger wären Studium und Debatten über die Worte Gottes. Wenn man sich jedoch einig ist, dass die Bibel Gottes Wort ist, hat man einen Bezugspunkt, auf den man trotz aller Meinungsverschiedenheiten zurückkommen kann; eine Wahrheit, die unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten und Agenden existiert.
Die Autorität der Bibel
Neulich hörte ich einen Pastor sagen: “Wir müssen aufpassen, dass die Bibel nicht zum Götzen wird.” Wenn die Bibel wirklich Gottes Wort im nachfolgend beschriebenen Sinn ist, dann besteht diese Gefahr nicht.
Die Bibel ist für (protestantische) Christen die oberste Autorität in Fragen der Lehre und Praxis ist. Grudem: «Die Autorität der Schrift bedeutet, dass alle Worte in der Schrift Gottes Worte sind, sodass Ungehorsam oder Unglaube gegenüber irgendeinem Wort der Schrift das Gleiche ist wie Ungehorsam oder Unglaube Gott gegenüber.»[5] (73) Es gibt also keine Autorität über der Bibel, weil es keine Autorität über Gott gibt. Es besteht in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen Gott und der Bibel[6]. Dies ist das Antidot gegen die moderne epistemische Krise: hier spricht die höchste Autorität in einer Form, die wir verstehen und anwenden können.
Es ist gut, uns vor Augen zu führen, was aus der Lehre von der Autorität der Schrift folgt:
- Die Bibel ist nicht deswegen wahr, weil sie sich an die Gesetze der Logik hält (auch wenn das zutrifft);
- Die Bibel ist nicht deswegen wahr, weil sie historisch akkurat ist (auch wenn das zutrifft);
- wenn Naturwissenschaftler, Historiker oder andere Wissenschaftler etwas sagen, dass der Bibel widerspricht, liegen immer diese Menschen falsch, auch wenn wir vielleicht den Grund ihres Irrtums nicht sofort erkennen können.
- Im weiteren Sinne sind die Aussagen der Schrift immer verlässlicher als unsere Sinneswahrnehmungen: Nicht umsonst stellt Jesus heraus, dass das Wort Gottes sogar gewisser ist als das Zeugnis eines von den Toten auferstandenen (Lukas 16,30–31).
Ich möchte diese Punkte gerne etwas näher beleuchten. Zunächst einmal ist es wichtig zu unterstreichen, dass sich die Bibel natürlich an die Gesetze der Logik hält (wie es Gott selbst auch tut). Es gibt keinen Beweis dafür, dass Gott eine andere Logik hat als wir (ausser in einem übertragenen Sinn) – Jesaja 55,8–9 wird hierzu völlig aus dem Kontext gerissen zitiert[7]. Der Punkt ist nicht, dass Gott das Nichtwiderspruchsgesetz oder das Gesetz der ausgeschlossenen Mitte[8] für sich selbst ausser Kraft setzt, sondern dass Logik nicht die Grundfeste von Gottes Wort ist – vielmehr ist es umgekehrt.
Ähnliches gilt für die historische Genauigkeit (2). Natürlich ist die Schrift historisch korrekt (mehr dazu unter Unfehlbarkeit der Bibel), aber die geschichtliche Korrektheit begründet nicht ihren Wahrheitsanspruch; schon allein deswegen, weil wesentliche biblische Aussagen nicht historischer Natur sind (z.B. dass Gott Licht und Liebe ist, 1. Johannes 4,8).
Ein starkes Spannungsfeld für unsere westliche Kultur tut sich auf, wenn es um die naturwissenschaftliche Genauigkeit der Bibel geht (3). Viele Christen sind bereit, der Naturwissenschaft epistemische Priorität einzuräumen, und die Deutung der Schrift dem anzupassen, was (vermeintlich) unumstössliche naturwissenschaftliche Erkenntnis ist. Doch wenn wir die Schrift wirklich als die allerhöchste Autorität betrachten, dann müssen wir a priori[9] zunächst ihr zuhören und glauben, bevor wir die Naturwissenschaft konsultieren. Das ist kein Rückfall in primitiven Fideismus, sondern die logische Konsequenz der Lehre von der Autorität der Bibel. Natürlich müssen wir dann immer noch die Texte der Schrift richtig verstehen; das epistemische Primat gehört aber der Bibel.
In die gleiche Kerbe schlägt letztlich Punkt 4). Wenn unsere empirischen Erfahrungen in Konflikt mit der Schrift stehen, bzw. die Schrift etwas sagt, das wir mit unseren Sinnen (noch) nicht bestätigen können, gewinnt immer die Schrift (Johannes 20,29; 2. Korinther 5,7). Die Empirie mag Ihnen sagen, dass Sie mit Ihrem Lebenslauf bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation keinen Job kriege; Gott jedoch sagt, dass er uns “nicht aufgeben und nicht verlassen” wird (Hebräer 13,5).
Die Wahrheit der Bibel
Die Bibel ist Wahrheit (gr. aletheia), nicht einfach nur wahr (Johannes 17,17). Wahre Aussagen sind wahr, weil sie mit der Realität übereinstimmen; die Bibel als Gottes Wort ist eben jene Realität.
Das sorgt für Stirnfalten besonders bei philosophisch trainierten Menschen. Sie erwarten – zurecht – dass Wahrheit universell ist. Doch die Bibel macht vergleichsweise wenige universelle Aussagen; zum grössten Teil besteht sie aus Geschichten, Poesie, Prophetie oder Briefen, alles sehr partikulare[10] Formen von Literatur. Ihre Aussagen scheinen zunächst nur für eine bestimmte Gruppe zu einer bestimmten Zeit zu gelten. Es ist tatsächlich auf den ersten Blick seltsam, dass die ultimative Wahrheit ein Buch ist, entstanden vor langer Zeit, zunächst in einer hebraistischen und dann in einer hellenistischen Kultur. Doch genau das ist der Anspruch der Bibel. Die Partikularität ihrer literarischen Formen erfüllt dabei eine wichtige, ja unverzichtbare Funktion: Sie ist wie ein Gewand für die zeitlosen und universellen Lehren der Schrift, und verleiht ihnen zugleich Kraft und Substanz. Zwei Beispiele: Die Teilung des Roten Meeres (2. Mose 14) war ein partikulares Ereignis, und dennoch können wir (universal) von grossen Schwierigkeiten als dem metaphorischen Roten Meer sprechen, das Gott wundersam teilt. Genauso können wir verstehen, was geistliche Blindheit (universal) bedeutet, wenn wir die (partikulare) Geschichte einer Blindenheilung in den Evangelien lesen. Zudem sehen wir in diesem Attribut widergespiegelt, was ich bereits in Bezug auf die Autorität der Bibel sagte. Wahrheiten sind wahr kraft ihrer Teilhabe an der Wahrheit. Gottes Wort ist diese Wahrheit; natürlich ist es historisch, philosophisch, naturwissenschaftlich etc. wahr, aber seine Eigenschaft als Wahrheit resultiert nicht daraus, sondern vielmehr ist die Bibel der Standard für alle anderen Wahrheiten.
Hier bietet es sich an, eine nicht seltene Fehlvorstellung aufzugreifen. Die Bibel ist Wahrheit, aber sie enthält nicht alle Wahrheiten, die es gibt (s.a. Notwendigkeit der Bibel). Sie sagt uns nicht, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nation 1806 durch die Abdankung der Habsburger endete oder dass Wasser bei 100°C siedet. Oft hat die Bibel weder explizit noch implizit etwas über ein Forschungsfeld (z.B. Chemie) zu sagen; ihr Einfluss kann sehr indirekt sein, etwa indem sie, wie Alfred North Whitehead sagte, die frühneuzeitlichen Wissenschaftler (die alle Christen) waren, zum Suchen nach Gesetzen in der Natur animierte, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten[11].
Die Unfehlbarkeit der Bibel
«Die Unfehlbarkeit der Schrift bedeutet, dass die Schrift in ihren originalen Manuskripten nichts behauptet, das im Widerspruch zu den Fakten steht.» (Grudem 91).
Die Unfehlbarkeitslehre ist in den letzten Jahrzehnten auch in evangelikalen Kreisen stark unter Beschuss gekommen und wurde gar von vielen Kirchen aufgegeben. Es herrscht weiterhin eine innerprotestantische Debatte über die genaue Formulierung der Unfehlbarkeitslehre, die ich hier weder nachzeichnen kann noch muss; Grudems Definition spiegelt jedenfalls meine eigene Position gut wider. Natürlich folgt die Unfehlbarkeit der Schrift aus ihrer Wahrheit und Christus selbst behauptet die Wahrheit der Schrift (Johannes 17,17); insofern ist die Unfehlbarkeitslehre für Christen nicht optional. Es ist dennoch hilfreich, ein paar gängige Fehlvorstellungen zur Unfehlbarkeit anzusehen:
- Unfehlbarkeit bedeute, dass die Schrift mit wissenschaftlicher Präzision spricht, z.B. wenn es um Zahlen geht oder um Beschreibungen, die astronomische Sachverhalte einschliessen. Abgesehen davon, dass es auch in der Wissenschaft keine unendliche Präzision gibt, sind auch gerundete Zahlenangaben (z.B. 1000 Männer statt 1008) oder Beschreibungen astronomischer Sachverhalte in Umgangssprache (“Die Sonne geht auf”) wahr, da sie gar keinen Anspruch auf jene Genauigkeit erheben.
- Falschaussagen in der Schrift (z.B. Lügen) untergraben die Unfehlbarkeit der Schrift. Dies ist ein Kategorienfehler: während jene Aussagen in der Objektsprache falsch sein können, sind sie in der Metasprache[12] wahr. So ist etwa Ananias’ Aussage, dass er und seine Frau all ihr Vermögen der Gemeinde gespendet haben, falsch. Die Aussage, dass es wahr ist, dass Ananias und Saphira diese Lüge geäussert haben, ist hingegen wahr. Ebenso muss man die Reaktionen Gottes und der Gerechten auf Falschaussagen betrachten. Die Bibel gibt Lügen als Lügen wieder, macht deutlich, dass sie verwerflich sind und zeigt die Konsequenzen von Lüge und Irrtum auf; somit spricht sie Wahrheit.
- Zitate können ungefähr sein und trotzdem (ausreichend) akkurat. Das gilt insbesondere für AT-Zitate im NT[13].
…damit erfüllt wurde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: »Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.« (Matthäus 8,17)[14]
Der Kontext besteht in wortwörtlichen Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen (Vers 16).
Im Alten Testament liest sich der zitierte Vers wie folgt:
“Jedoch unsere Leiden – er hat sie getragen, und unsere Schmerzen – er hat sie auf sich geladen.” (Jesaja 53,4)
Der AT-Vers zwingt einen nicht dazu, an Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen zu denken; in der Tat ist man sogar geneigt, die “Leiden” und “Schmerzen” als metaphorisch anzusehen, zumal Jesaja offensichtlich viel in Metaphern spricht (“Auch wenn eure Sünden so rot sind wie Karmesin, sollen sie weiß werden wie Wolle”, 1,18). Matthäus jedoch, geleitet durch den Heiligen Geist, sieht die Anwendbarkeit der messianischen Prophetie auch auf wortwörtliche körperliche Leiden einerseits, und dämonische Bedrückung andererseits. Er kann sich solche Freiheiten nicht zuletzt aufgrund der semantischen Bandbreite der zugrundeliegenden hebräischen Wörter erlauben[15].
Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von Josua 1,5 in Hebräer 13,5. Während Gott Josua Seine Treue für die Landnahme Kanaans zusagt, wendet der Autor des Hebräerbriefs die Aussage auf die Versorgung mit Geld an. Dies zeigt, dass eine “liberale” Verwendung biblischer Zitate absolut legitim ist, sofern der Geist der jeweiligen Lehren gewahrt bleibt.
Ein gängiger Einwand gegen die totale Unfehlbarkeit der Schrift ist dieser: die Unfehlbarkeit sei nicht total, sondern beziehe sich nur auf Fragen des Glaubens und der Praxis (Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth haben zum Beispiel eine solche Sicht vertreten[16]). Abgesehen davon, dass die Schrift selbst dies ganz anders sieht, hier ein philosophisches Argument für die Problematik dieser Sicht. Nehmen wir an, die Bibel mache tatsächlich falsche Aussagen über Geschichte, Naturwissenschaft etc.:
P1 Falls die Aussagen der Bibel über die Welt und die Geschichte falsch sind, fehlt den darauf aufbauenden Doktrinen die Grundlage und ggf. darauf aufbauende praktische Anweisungen sind nicht bindend.
P2 Die Bibel macht falsche Aussagen über die Welt und die Geschichte.
C Deshalb, für jede falsche Aussage der Bibel über die Welt und die Geschichte, fehlt der darauf aufbauenden Doktrinen die Grundlage und ggf. darauf aufbauende praktische Anweisungen sind nicht bindend.
Das Argument ist valide[17], weil es ein die Form eines Modus Ponens hat[18]. Um das Argument anzugreifen, muss man deshalb eine seiner Prämissen entkräften. Das geht nicht mit P2, weil sie ex hypothesi die Überzeugung der liberalen Theologen darstellt. Also bleibt P1. Ist es wirklich wahr, dass biblische Doktrinen ausser Kraft gesetzt werden, wenn bestimmte faktbezogene Aussagen nicht stimmen? Die Antwort ist schlicht “Ja”. Der Grund ist, dass die Bibel sehr viele ihrer Doktrinen und praktischen Anweisungen an historische Ereignisse koppelt. Das Paradebeispiel ist die Auferstehung Christi:
Wenn es aber keine Auferstehung der Toten gibt, so ist auch Christus nicht auferweckt; wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist also auch unsere Predigt inhaltslos, inhaltslos aber auch euer Glaube. (…) Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden. Also sind auch die, welche in Christus entschlafen sind, verloren gegangen. Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus gehofft haben, so sind wir die elendesten von allen Menschen. (1. Korinther 15,13–19)
Wenn Christus nicht von den Toten auferweckt wurde, ist unsere Predigt inhaltslos. Liberale Theologen haben buchstäblich nichts mehr zu sagen, wenn sie die körperliche Auferstehung Christi in Raum und Zeit verneinen.
Ein zweites Beispiel betrifft den Schöpfungsbericht. Falls die Erschaffung und Einsetzung des ersten Menschenpaars nicht so ablief wie in Genesis 1–2 berichtet, dann fehlt der Monogamie ihre Grundlage; Jesu Argument (Matthäus 19,4–6) liefe dann ins Leere:
Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: »Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein « sodass sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch? Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Es ist einfach, noch viel mehr Beispiele zu finden. Wann immer ein historischer Text des AT zitiert wird, um eine Lehre oder ein Gebot zu untermauern, ziehen Zweifel an der historischen Genauigkeit der Schrift eine Destabilisierung der Lehre bzw. des Gebots nach sich.
Man kann das Problem auch als ein Sorites-Problem[19] ansehen: wie viel von der Schrift kann falsch sein, damit die Schrift als Gesamtheit wahr ist? Wo ziehen wir die Grenze? Ähnlich gelagert: wenn mindestens eine Aussage der Schrift falsch ist, woher wissen wir, dass nicht andere Aussagen, oder sogar alle Aussagen falsch sind? Die epistemisch sicherste und klarste Sicht auf die Schrift ist deswegen schlicht, dass sie unfehlbar ist.
Die Klarheit der Bibel
«Die Klarheit der Schrift bedeutet, dass die Bibel in einer Art und Weise geschrieben ist, dass ihre Lehren von allen verstanden werden können die sie lesen indem sie Gottes Hilfe suchen und gewillt sind, ihren Lehren zu folgen.» (Grudem, 108)
Obwohl es natürlich wahr ist, dass die Schrift von Christen unterschiedlich ausgelegt wird – jedenfalls in nicht-zentralen Lehrfragen – ist die Schrift dennoch klar genug, um von jedem, der genug guten Willen besitzt, verstanden werden zu können. Grudems Definition weist dabei auf einen epistemologisch[20] hochinteressanten Punkt hin: Denn das Verstehen der Schrift ist in erster Linie eine moralische Frage. Benötigt werden die Suche nach Gottes Hilfe sowie der Wille, den biblischen Lehren zu folgen. Diese Konzeption von der Klarheit der Bibel folgt aus der Schrift selbst (Johannes 7,17) und wird gestützt durch die Beobachtung, dass viele hochintelligente und gebildete Menschen die Bibel nicht verstehen, weil sie sie in gewisser Weise sie nicht verstehen wollen, nicht oder nicht wirklich Gottes Willen tun wollen. Während ein reines Herz die Schau Gottes ermöglicht (Matthäus 5,8), bewirkt moralische Verdrehtheit epistemische Blindheit (Matthäus 6,22–23).
Die Notwendigkeit der Bibel
Die Bibel ist nicht nur wahr, autoritativ und klar, sondern auch notwendig für unser geistliches Leben, “um das Evangelium zu kennen, um ein geistliches Leben aufrechtzuerhalten, und um Gottes Willen zu kennen” (Grudem 116). Jesus selbst bestätigt diese Sicht von Gottes Wort, wobei er bezeichnenderweise das AT zitiert: “Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.” (Matthäus 4,4) Es gibt gute biblische Präzedenz dafür, dass das tägliche Lesen der Bibel unverzichtbar ist (Psalm 1,1–3). Philosophisch betrachtet haben wir es in der Notwendigkeit der Bibel mit einer notwendigen Bedingung für geistliches Leben zu tun – einer Bedingung, deren Fehlen zum Nichtzustandekommen der gewünschten Wirkung führt. Das bedeutet offensichtlich, dass die Bibel entscheidend wichtig für das geistliche Leben ist. Eine notwendige Bedingung ist noch nicht zwingend eine hinreichende Bedingung; im Falle der Bibel trifft aber auch dies zu (siehe Zulänglichkeit der Bibel).
Notwendig ist die Schrift allerdings nicht für Wissen über Gottes Existenz (siehe Römer 1,20) oder grundlegende moralische Gesetze (siehe Römer 2,14–15). Konterkariert das nicht die Zulänglichkeit der Bibel? Nicht wirklich. Denn erstens ist es die Bibel selbst, die einräumt, dass manche Einsichten auch ohne sie zu haben sind. Und zweitens sind diese ausserbiblischen Einsichten limitiert. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist Platon. Ohne Bibel kommt er zu dem Verständnis, dass es etwas Absolutes geben muss, das sowohl für die Existenz alles Seienden als auch für unsere moralischen Einsichten verantwortlich ist (das Gute); und er zeichnet ein Bild von der Schöpfung dieser Welt, das oft frappierend an den biblischen Schöpfungsbericht erinnert (im Timaios). Dennoch sind Platons Einsichten in die Natur Gottes sowie des Menschen von Makeln behaftet (die Idee des Imago Dei etwa ist ihm unbekannt), weil es an der detaillierten Offenbarung Gottes in der Bibel fehlt.
Platon hatte ohne die Bibel erstaunliche Einsichten
Die Zulänglichkeit der Bibel
«Die Zulänglichkeit der Schrift bedeutet, dass die Schrift alle Worte Gottes enthält, von denen Er wollte dass Sein Volk sie zu jedem gegebenem Zeitpunkt der Heilsgeschichte habe, und dass sie jetzt alle Worte Gottes enthält, die wir zur Rettung brauchen, um Ihm vollkommen zu vertrauen und Ihm vollkommen zu gehorchen.» (Grudem, 127)
Was sich wie eine leicht abgedroschene evangelikale Phrase anhört, ist in Wahrheit eine Kampfansage an den langsamen aber steten Drall in evangelikalen Kreisen weg von der Zentralität der Bibel für das geistliche Leben. “Zulänglich” können wir hier philosophisch im Sinne von “hinreichende Bedingung” verstehen. Die Schrift ist also nicht nur notwendig für das geistliche Leben, sie ist auch hinreichend. Das bedeutet, dass, wenn wir alles glauben und tun, was sie sagt, wir alles haben, das wir zum geistlichen Leben brauchen (vgl. 2. Petrus 1,3). Und wieder stossen wir auf eben diesen Punkt: Stabiles Wissen bekommen wir nur mit der Schrift; zusätzlich können wir sagen, dass die Schrift wirklich alle Antworten enthält, die wir brauchen, entweder explizit oder implizit, entweder direkt oder indirekt.
Ich will ein persönliches Zeugnis davon geben. Vergangenen Sommer, ich war gerade mit meinen beiden Jungs unterwegs zum Zürcher Flughafen, wurde ich plötzlich von ungemeiner Seelenqual heimgesucht über Aspekte des früheren, vorchristlichen Lebens meiner jetzigen Frau, mit der ich damals bereits in einer Beziehung war. Ich fragte Gott: Welchen Trost kannst Du mir jetzt durch die Bibel geben? So sehr meine Frau auch ihr früheres Leben bedauerte, sie konnte es ja nicht rückgängig machen. Also fing ich an, in meinem Gedächtnis nach passenden Bibelstellen zu kramen. Und siehe da, der Heilige Geist hob einige für mich hervor:
Wenn eure Sünden ⟨rot⟩ wie Karmesin sind, wie Schnee sollen sie weiß werden. (Jesaja 1,18)
Denkt nicht an das Frühere, und auf das Vergangene achtet nicht! Siehe, ich wirke Neues! Jetzt sprosst es auf. Erkennt ihr es nicht? Ja, ich lege durch die Wüste einen Weg, Ströme durch die Einöde. (Jesaja 43,18–19)
Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther 5,17)
Die Kraft des Evangeliums in diesen Versen – obwohl sie nicht explizit über romantische Liebesbeziehungen sprechen – tröstete mich gewaltig, innerhalb von Minuten. Als wir am Flughafen ankamen, konnte ich meiner Herzensdame die gute Botschaft bringen, dass ich wieder vollkommenen Seelenfrieden hatte.
Ein weiteres Beispiel möchte ich auch noch erwähnen. Vor Jahren hörte ich einen recht einflussreichen Gemeindegründer aus Frankreich sagen, er wisse bis zum heutigen Tag nicht, ob es Gottes Wille gewesen sei dass er seine Frau heirate. Angemessene epistemische Demut? Die Bibel sagt, dass wer eine Frau gefunden hat, Gutes gefunden und Wohlgefallen von Gott erlangt hat (Sprüche 18,22); und weiterhin, dass, wenn wir unsere Lust an Gott haben, Er uns die Begehren unseres Herzens gibt (Psalm 37,4). Wenn man also das Begehren zu heiraten hat, ernsthaft zu Gott betet und dann eine passende Person findet, kann man sehr wohl wissen, dass es Gottes Wille war diese Person zu heiraten! Die Schrift ist zulänglich auch für solche praktischen Lebensfragen.
Zusammenfassung
Vielleicht erscheint dem einen oder anderen Leser die in diesem Artikel vertretene Sicht auf die Schrift als zu radikal. Mir selbst ging es eine Zeit lang so. Wir alle sind mehr oder weniger vom Virus der Moderne infiziert. Dieser Virus bewirkt falsche Demut: Dort, wo Wissen tatsächlich möglich ist, herrscht ungerechtfertigte Zurückhaltung. Das Problem ist, dass wir aber unser Leben nach irgendeinem Massstab leben müssen; wir brauchen Richtlinien, um Entscheidungen zu treffen. Wenn nicht die Bibel unser Fundament ist, womit werden wir sie ersetzen? Mit bloss menschlicher Weisheit? Oder mit unseren Gefühlen? Ein kurzer Moment der Reflektion sollte zeigen, dass keines dieser Fundamente auf Dauer tragen kann. Ich hoffe, in diesem Artikel gezeigt haben zu können, dass die Lehren von der Erhabenheit der Bibel rational glaubwürdig, und, vor allem, biblisch sind. Die Bibel ist wirklich das Buch, das die Welt bedeutet.
[1] Ich verwende “evangelikal” als losen Sammelbegriff für alle Christen gemäss der Quadrilateral-Defintion von David Bebbington (Bebbington, David W. (1989). Evangelicalism in Modern Britain: A History from the 1730s to the 1980s. London: Unwin Hyman. pp. 2–17.)
[2] Grudem, Wayne: Systematic Theology. Zondervan 1994
[3] “Epistemisch” bedeutet mit Wissen bzw. Erkenntnis zu tun habendm (von gr. episteme, Wissen/Erkenntnis).
[4] Ein infiniter Regress liegt dann vor, wenn das Definiendum (das zu Definierede) im Definiens (dem Definierenden) verwendet wird. Hier. “X ist ein Fall von Wissen, wenn man wissen kann, dass Y über X wahr ist.” Ich muss also Wissen richtig erfasst haben bevor ich Wissen definieren kann. Für die Erfassung jenes Wissens brauche ich wiederum eine Idee davon, was Wissen ist. Und so weiter ad infinitum. Tatsächlich ähnelt dieser infinite Regress dem Problem, das Platon im Meno aufgreift: Wie kann ich wissen, dass ich etwas weiss? Wenn ich es schon weiss, brauche ich keine weitere Bestätigung. Wenn ich es aber nicht weiss, dann fällt die Frage ganz flach.
[5] Meine Übersetzung, wie auch sonst.
[6] In anderer Hinsicht mag ein Unterschied bestehen. So ist wohl das Lesen der Schrift nicht das Gleiche wie eine direkte Gotteserfahrung zu haben.
[7] “Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn ⟨so viel⟩ der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.” Zuvor lädt Gott Sünder zur Umkehr ein: “Sucht den HERRN, während er sich finden lässt! Ruft ihn an, während er nahe ist. Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Mann der Bosheit seine Gedanken! Und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung!” (Jesaja 55,6–7). Gottes Gedanken stehen also über menschlichen Gedanken in dem Sinn, dass Gott der Sinn viel mehr nach Vergebung und Wiederherstellung steht als bei Menschen für gewöhnlich der Fall.
[8] Das Nichtwiderspruchsgesetz sagt, dass ein Sachverhalt und sein Gegenteil nicht zugleich wahr sein können: Eine Frau kann nicht schwanger und nicht-schwanger zugleich sein. Das Gesetz der ausgeschlossenen Mitte sagt, dass es zwischen einem Sachverhalt und seinem Gegenteil keinen dritten Zustand gibt: Eine Frau ist entweder schwanger oder nicht schwanger; sie kann nicht “halb schwanger” sein.
[9] A priori-Aussagen sind Aussagen, die man durch reines Nachdenken, ohne empirische Nachforschungen treffen kann.
[10] “Partikular” bedeutet “besonders” steht im Gegensatz zu “universal”. In der Metaphysik macht man den Unterschied zwischen Universalen (z.B. dem Universale Mensch) und ihren partikularen Instanziierungen (hier, einem bestimmten Menschen). Geschichtliche Ereignisse wie der Fall Konstantinopels oder die Niederlage der Spanischen Armada 1588 sind partikulare Ereignisse.
[11] So jedenfalls fasst C.S. Lewis Whiteheads Sicht zusammen (Lewis, C.S.: Miracles (revised ed.), MacMillan 1960)
[12] Objektsprache ist schlicht die Sprache, die wir benutzen, um Aussagen zu machen: „Paris ist eine faszinierende Stadt.“ Metasprache ist Sprache über Sprache: „Der Satz ‚Paris ist eine schöne Stadt‘ hat fünf Wörter.“
[13] Ich bin mir bewusst, dass die NT-Autoren für gewöhnlich aus der Septuaginta (LXX) zitieren. Das ändert aber nichts an meinem Argument, denn selbst wenn die unterschiedliche Wiedergabe auf die LXX zurückgeht, dann sind es eben die LXX-Übersetzung, die sich diese legitime Freiheit nahmen.. Zum Beispiel gibt Matthäus Jesaja 53,4 wie folgt wieder:
[14] Alle Bibelzitate aus der Revidierten Elberfelder Übersetzung (2006)
[15] Z.B. steht für “Leiden” das Wort חﬥי (choli), das auch „Krankheit“ oder „Unglück“ bedeuten kann.
[16] Siehe Weikart, R., “The Troubling Truth About Bonhoeffer’s Theology”. Christian Research Magazine, 2015 (aktualisiert 2024). https://www.equip.org/articles/troubling-truth-bonhoeffers-theology/ (abgerufen am 5.12.2024).
[17] In einem validen Argument ist es unmöglich, dass die Konklusion nicht folgt, wenn die Prämissen wahr sind.
[18] Modus Ponens-Argument haben die Form “Falls A, dann B; A; deshalb B.”
[19] Die klassische Formulierung eines Sorites-Problems ist diese: Wie viele Körner kann man von einem Sandhaufen entfernen, bevor der Haufen aufhört ein Haufen zu sein? Entfernt man alle bis auf einen, kann man nicht mehr von einem Haufen sprechen. Zwei Körner scheinen auch zu wenig zu sein. Wo die Grenze zwischen Haufen und Nicht-Haufen liegt, ist unklar.
[20] Epistemologie (von gr. episteme, Wissen und logos, Lehre oder Wissenschaft) ist die „Wissenschaft vom Wissen“, der Zweig der Philosophie, der sich mit der Frage, wie und was wir wissen können, auseinandersetzt.
Gerne noch zwei drei Anmerkungen;
- Francis Bacon (ꝉ 1626), einer der Mitbegründer der modernen Naturwissenschaft, war der Sohn einer streng gläubigen, orthodox-reformierten Puritanerin (Vorläufer der pietistischen Bewegung). Bacon schreib in seinem Werk 1605 «The Advancement of Learning»: «Zum Abschluss sei deshalb gesagt, dass niemand – sei es aus falscher Bescheidenheit oder gekünstelter Zurückhaltung –, denken oder die Meinung vertreten darf, dass man in dem Buch vom Wort Gottes oder das Buch der Werke Gottes zu viel studieren oder zu gut kennen könnte…»
Zu seiner Zeit war seine Aussage revolutionär, weil es das wissenschaftliche betonte. Heute ist es revolutionär weil es das Bibelstudium betont…
- Könnte man “liberal” nicht auch als Philosophie einer Organisationslehre verstehen? Macht (nach unten) verteilen, betonen des Individuum, schlanke Zentrale, kleine autarke Gruppen, usw.
- Danke für die wertvollen Gedanken zu einer freikirchlichen Ge‑,Wissens Lehre.