Der Eisbär auf der schmelzenden Scholle

Lesezeit: 6 Minuten
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by Roland Hardmeier | 14. Sep. 2025 | 7 comments

ESSAYS ZU GLAUBEN UND POSTMODERNE 3/5

Viele Chris­ten fühlen sich in der Post­mod­erne wie der Eis­bär auf der schmelzen­den Scholle und fra­gen: Kann man auch anders glauben? Tol­er­an­ter wer­den? Hin­ter dieser Frage ste­ht nicht sel­ten das Wirk­lichkeitsver­ständ­nis der Post­mod­erne, das Ein­fluss darauf nimmt, wie wir glauben.

Das west­liche Chris­ten­tum befind­et sich in sein­er grössten Krise seit der Ref­or­ma­tion. Das Chris­ten­tum erscheint vie­len als alt­ge­wor­dene Reli­gion, die nicht mehr in unsere säku­lar­isierte Zeit passt. In Deutsch­land und in der Schweiz sind fast die Hälfte der Bevölkerung kon­fes­sion­s­los. Wenn es um das öffentliche Leben geht, muss die Reli­gion draussen bleiben wie der Hund vor dem Supermarkt.

Die Aus­läufer der Säku­lar­isierung haben längt die kon­ser­v­a­tiv­en Gebi­ete der religiösen Land­schaft erre­icht. Viele fra­gen: Wie gehen Glaube und Post­mod­erne zusam­men? Wie ver­tra­gen sich Wahrheit und Tol­er­anz? Fra­gen wie diese hat es in der Geschichte schon immer gegeben. Das aktuelle Fra­gen aber geht tiefer. Es rührt an die Grundpfeil­er des Glaubens.

Der Plu­ral­is­mus der Post­mod­erne ist kein völ­lig neues Phänomen. Er hat seine antiken, mit­te­lal­ter­lichen und neuzeitlichen Vor­for­men. Neu ist, dass er dom­i­nant auftritt, so dass er nicht mehr durch Gegen­mo­tive aufge­fan­gen wer­den kann und zur gesellschaftlichen Grund­ver­fas­sung wird. Für kon­ser­v­a­tive Ein­stel­lun­gen ist immer weniger Platz. Chris­ten, die lib­eralen Lebensen­twür­fen dis­tanziert gegenüber­ste­hen, wird vorge­wor­fen, voller Hass und Vorurteile zu sein. Manche Chris­ten fühlen sich mit ihren tra­di­tionellen Glaubensvorstel­lun­gen wie der Eis­bär auf der schmelzen­den Scholle und fra­gen sich: Kann man auch anders glauben? Die Bibel anders interpretieren?

Paulus schreibt in Römer 12,1–2, dass Chris­ten beständig ihr Denken erneuern soll­ten. Diese Auf­forderung gewin­nt in der Post­mod­erne neue Aktualität.

Die Mod­erne und die Vernunft

Der Plu­ral­is­mus der Post­mod­erne beruht auf einem Denken, das sich markant vom Zeital­ter der Mod­erne unter­schei­det. Bis in vor­mod­erne Zeit lasen die Men­schen die Bibel mit Ver­trauen. Man war überzeugt: Die fünf Büch­er Mose stammten von Mose, die Evan­gelien geben ver­lässlich Auskun­ft über Jesus, die Zehn Gebote sind ein sinns­tif­ten­der gesellschaftlich­er Rah­men. Die mod­erne Ver­nun­ft, die von der Aufk­lärung befeuert wurde, erschüt­terte dieses Ver­trauen. Der wis­senschaftliche Fortschritt förderte zur sel­ben Zeit das Zutrauen in die men­schliche Ver­nun­ft und Mach­barkeit. Die Ver­hält­nisse im Uni­ver­sum des men­schlichen Denkens ver­schoben sich merk­lich. Je mehr der Men­sch wusste, desto verzicht­bar­er wurde der Glaube an einen Schöpfer. Doch dann wurde auch die Ver­nun­ft selb­st erschüt­tert. Je mehr man wusste, desto stärk­er trat ins Bewusst­sein, was man noch nicht wusste und wir möglicher­weise nie wis­sen kön­nen. Die Ver­nun­ft beant­wortete viele Fra­gen, aber die let­zten Fra­gen blieben unbeantwortet.

Im Grunde genom­men ist die Post­mod­erne die Iden­tität­skrise der mod­er­nen Weltan­schau­ung. Denn: Wenn wir nichts sich­er wis­sen kön­nen und nicht in der Lage sind, eine bessere Welt zu schaf­fen, ist alles rel­a­tiv. In der Post­mod­erne sind sämtliche Gewis­sheit­en und Autoritäten vom Papst über die Bibel bis zur eige­nen Wahrnehmung erschüt­tert. Wer sind wir? Wis­sen wir über­haupt noch etwas? Kön­nen wir Gott erken­nen? Oder sind wir wie die Blind­en in der berühmten Karikatur, die den Ele­fan­ten berühren, der eine den Schwanz, der andere den Rüs­sel und alle meinen, sie wür­den die Wirk­lichkeit kennen?

Die Post­mod­erne und ihr Wirklichkeitsverständnis

In der radikal plu­ral­is­tis­chen Welt­sicht der Post­mod­erne wer­den die Para­me­ter men­schlichen Denkens noch ein­mal ver­schoben. Herkömm­liche Vorstel­lun­gen von Wahrheit und Moral, die in der Mod­erne noch eine gewisse Plau­si­bil­ität aufwiesen, kom­men in der Post­mod­erne wie Domi­nos­teine zu Fall:

  • Der an der Ver­nun­ft ori­en­tierte Wahrheits­be­griff der Mod­erne gilt in der Post­mod­erne als über­holt. In der Mod­erne galt als wahr, was durch die Ver­nun­ft erschlossen wer­den kon­nte. In der Post­mod­erne wird «Wahrheit» stets neu kon­stru­iert. Was wahr ist, entschei­den Men­schen indi­vidu­ell. Es hat mehr mit ihrem per­sön­lichen Empfind­en und wech­sel­haften gesellschaftlichen Bedin­gun­gen zu tun als mit ein­er objek­tiv­en Wirklichkeit.
  • Der Auflö­sung des mod­er­nen Wahrheits­be­griffs fol­gt die Rel­a­tivierung von Wahrheit­sansprüchen. Tran­szen­den­ten Ansprüchen, wie die Bibel sie vorträgt, wird mit beson­der­er Skep­sis begeg­net. Rel­a­tivis­tis­che Ansicht­en dage­gen kom­men im Sprach­duk­tus der Selb­stver­ständlichkeit daher.
  • Der Rel­a­tivierung der Bibel fol­gt ein Ver­trauensver­lust in ihre Autorität und Wirk­samkeit. Wenn «Wahrheit» stets neu kon­stru­iert wer­den muss, kön­nen die Ansicht­en der bib­lis­chen Ver­fass­er nicht Zeit­en und Kul­turen über­schre­i­t­ende Gültigkeit besitzen. Der Gedanke der Inspi­ra­tion hat im post­mod­er­nen Mind­set keinen Platz: Die bib­lis­chen Ver­fass­er reden nicht durch den Heili­gen Geist als Apos­tel oder Propheten, son­dern als Kinder ihrer Zeit.
  • Dem Ver­trauensver­lust in die Bibel fol­gt ein Glaubensver­lust, denn der Glaube kommt aus dem Wort Gottes (Römer 10,17). Wenn die Bibel nicht die mass­gebende Urkunde des Glaubens ist, lassen sich aus ihr wed­er feste Wahrheit­en noch eine verbindliche Moral ableit­en. Moral gibt es noch, aber sie ist jet­zt im Rah­men der gesellschaftlichen Ver­hält­nisse verän­der­bar. Der Zeit­geist spricht stärk­er als der Heilige Geist.

Zen­trale Glaubens­bestände wer­den als Folge dieses Denkens bis tief in die evan­ge­lis­che The­olo­gie und Kirche hinein in Zweifel gezo­gen oder sys­tem­a­tisch dekon­stru­iert: Die sex­u­alethis­chen Weisun­gen der Bibel sind unzeit­gemäss, das Süh­neopfer Jesu am Kreuz unnötig, die Lehre vom Jüng­sten Gericht unmen­schlich, der Gedanke der Inspi­ra­tion der Bibel unhaltbar.

Von den ersten Chris­ten lernen

Der christliche Glaube ste­ht in der säku­lar­isierten Gesellschaft ständig unter Druck. Es reicht für evan­ge­likale Chris­ten längst nicht mehr, ein fröh­lich­es Herz zu haben. Wir müssen ler­nen, Glauben und Denken enger miteinan­der zu verbinden. Nur so kön­nen wir uns der Her­aus­forderung der post­mod­er­nen Wirk­lichkeit erfol­gre­ich stellen.

Die ersten Chris­ten befan­den sich in ein­er ver­gle­ich­sweise ähn­lichen Sit­u­a­tion. Die antike Mehrheit­skul­tur war nur schein­bar tol­er­ant. Sie dik­tierte, wie man zu leben hat­te, näm­lich als treue Staats­bürg­er, die für den Kaiser opfer­ten, um die Göt­ter nicht zu verärg­ern. Die ersten Chris­ten geri­eten unter Ver­fol­gung, weil sie sich weigerten, den Kaiser anzubeten.

Die antike Reli­gion mit ihren vie­len Schat­tierun­gen hat­te eine ekla­tante Schwäche im Ver­gle­ich mit dem auf­streben­den Chris­ten­tum: Sie liess das Denken bei­seite und über­liess es den Philosophen. Das Chris­ten­tum dage­gen war im Anschluss an das Juden­tum von Anfang an eine Reli­gion des Buch­es und damit der denk­enden Erfas­sung der Welt. In den antiken Reli­gio­nen spiel­ten heilige Schriften keine Rolle. Der antike Men­sch brauchte sein Denken nicht anzus­tren­gen, wenn es um Reli­gion ging. Es genügte, einen Rit­us zu vollziehen.

Andreas Merkt, der die Anfänge mod­ern­er Reli­gion in der Spä­tan­tike in seinem mon­u­men­tal­en Werk Die religiöse Ver­wand­lung der Welt aufgear­beit­et hat, schreibt: «In den Gottes­di­en­sten wur­den, anders als in den römis­chen und ori­en­tal­is­chen Kul­ten, nicht nur Riten vol­l­zo­gen, son­dern auch Texte gele­sen und aus­gelegt. Schon im 2. Jahrhun­dert besassen die Grossstadt­ge­mein­den regel­rechte Kat­e­cheten­schulen. Sie boten eine Art Pop­u­larphiloso­phie mit klaren Aus­sagen über den Sinn der Welt und Anleitun­gen zur Lebens­führung.»[1]

Wer Christ wer­den wollte, trat in das Kat­e­chu­me­nat ein, einen anspruchsvollen Ein­führungskurs in den Glauben, der bis drei Jahre in Anspruch nahm. In dieser für die Antike einzi­gar­ti­gen Form religiös­er Bil­dung lern­ten die Chris­ten, Glauben und Denken miteinan­der zu verbinden. Diese Verbindung machte die Chris­ten in ein­er feind­seli­gen Umge­bung stark.

Wenn unser Glaube im Meer der post­mod­er­nen Möglichkeit­en nicht unterge­hen soll, müssen wir die Welt denk­end erfassen und mit der Bibel ins Gespräch brin­gen. Das stellt uns vor die Gretchen­frage, wie wir es mit der Bibel halten:

Kön­nen wir der Bibel als inspiri­ertes Gotteswort ver­trauen oder müssen wir sie im Licht der post­mod­er­nen Tol­er­anz neu interpretieren?

Was Chris­ten glauben, muss bib­lisch ver­ankert sein oder es ist kein Chris­ten­tum. Wir Chris­ten kön­nen in manchen Fra­gen uneins sein, es hat uns noch nie anders gegeben als in ein­er Kul­tur der Vielfalt. Eines kön­nen wir uns jedoch nicht leis­ten: dass wir unter dem Druck der post­mod­er­nen Mehrheit­skul­tur die Bibel als Nor­ma Nor­mans, die uns mit dem Willen Gottes bekan­nt­macht, rel­a­tivieren. In der Glaubens­ba­sis der Europäis­chen Evan­ge­lis­chen Allianz wird ein klares Beken­nt­nis zur Inspi­ra­tion und Autorität der Heili­gen Schrift abgelegt:

«Evan­ge­lis­che Chris­ten beken­nen sich zu der in den Schriften des Alten und Neuen Tes­ta­ments gegebe­nen Offen­barung des dreieini­gen Gottes und zu dem im Evan­geli­um niedergelegten geschichtlichen Glauben … [Wir beken­nen] die göt­tliche Inspi­ra­tion der Heili­gen Schrift, ihre völ­lige Zuver­läs­sigkeit und höch­ste Autorität in allen Fra­gen des Glaubens und der Lebensführung.»

Wenn Chris­ten dieses Beken­nt­nis nicht beja­hen kön­nen, ist ihr Glaube in Gefahr.

Wie der Eis­bär auf der Scholle

Es geht in der gegen­wär­ti­gen Krise um viel. Nur die For­men christlichen Glaubens haben Zukun­ft, die sich der post­mod­er­nen Mehrheit­skul­tur mit ihrer rel­a­tivis­tis­chen Weltan­schau­ung wider­set­zen und bere­it sind, ihren Glauben in Rück­bindung an die Heilige Schrift zu gestal­ten. Man kann vielfältig glauben, aber man kann nicht gegen die Bibel glauben. Man kann bib­lis­che Texte unter­schiedlich inter­pretieren, aber man kann nicht gegen das Selb­stzeug­nis der Heili­gen Schrift die Glaubens­bestände, die sie uns bietet, uminter­pretieren, ohne schliesslich den Glauben selb­st zu ver­lieren. Am Schluss hat man noch Jesus ohne Chris­tus oder die Berg­predigt ohne den Berg­predi­ger. Das ist wie Fuss­ball spie­len ohne Tore schiessen, weil das Entschei­dende fehlt.

Wenn Chris­ten nicht mit Ver­weis auf Gottes Wort an den zen­tralen Glaubens­bestän­den fes­thal­ten, die durch die Jahrhun­derte unaufheb­bar zum christlichen Glauben gehört haben, wird uns der Rest­glaube, der uns in der west­lichen Kul­tur geblieben ist unter den Füssen wegschmelzen wie die Scholle dem Eis­bären. Und dann haben wir nichts mehr als uns selb­st und unser von der post­mod­er­nen Tol­er­anz verdün­ntes Evan­geli­um, das fro­he Botschaft für das Streben nach Selb­stver­wirk­lichung ist, aber kein wirk­lich­es Evan­geli­um mehr.


[1] Merkt, Andreas 2024. Die religiöse Ver­wand­lung der Welt. Die Anfänge «mod­ern­er» Reli­gion in der Spä­tan­tike, Seite 241.

Titel­bild: Istock

Über den Kanal

Roland Hardmeier

Dr. theol. Roland Hardmeier wohnt und arbeitet in Riedikon bei Uster. Er war 15 Jahre lang Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden der Schweiz. Heute ist er als selbständiger Dozent, Referent und Autor tätig. Einblicke in seine Tätigkeit gibt seine Website www.roland-hardmeier.ch

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Kommentare zu diesen Beitrag

7 Comments

  1. yumiyoshi

    Danke für die schöne Zusam­men­fas­sung und Gottes Segen für die Predigt 🙂

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  2. Roland

    Liebe Leute,
    Es freut mich, dass meine Essays euch zu kreativ­en Gedanken inspiri­eren und dass daraus eine gehaltvolle Diskus­sion wird. Ich werde im vierten Essay das The­ma Spir­i­tu­al­ität und Post­mod­erne aufnehmen — in aller Kürze, Essays sind ja nicht mehr als Gedanken­split­ter, obwohl es so viel zu sagen gäbe. Im fün­ften Essay werde ich dann den Fokus auf die ersten Chris­ten und die antike Lebenswelt leg­en. Die ersten Chris­ten befan­den sich ja in einem ähn­lich plu­ral­is­tis­chen Umfeld wie wir heute in der Post­mod­erne. Da lässt sich manch­es, was sie richtig gemacht haben, in Beziehung zu uns heute setzen.

    Reply
  3. yumiyoshi

    Ich ver­ste­he diese Art von christlichem Pes­simis­mus nicht. Wir haben doch die beste Botschaft der Welt zu bieten. Auf die heutige Kul­tur umgelegt: Jesus Chris­tus bietet dir in ein­er Welt, in der nichts mehr sich­er ist und alles rel­a­tiv einen fes­ten Anker und sicheren Halt. Dass sich die Men­schen nach genau so ein­er Botschaft sehnen zeigt das “Qui­et Revival” in UK und Frankre­ich. Dazu kommt: Wir sind ja nicht auf uns alleine gestellt. Der Heilige Geist führt uns, weil Er will, dass andere Men­schen durch uns von Gottes Kraft und Gegen­wart berührt werden.

    Natür­lich wer­den wir dabei Gegen­wind erleben. Die poli­tis­che Linke has­st uns und will uns mund­tot machen. Aber Jesus sagte: Wir Schüler ste­hen nicht über ihm als Meis­ter. Wenn sie ihn damals gehas­st haben, dann ist nichts anderes zu erwarten als dass sie auch uns has­sen. Wenn uns das passiert, ist das kein über­raschen­des, unfaires Unglück; das ist Teil des Deals, wenn wir mit Jesus gehen. Die Botschaft von Jesus muss sich zu jed­er Zeit gegen die vorherrschende Kul­tur richt­en, weil sie egal wann und wo immer die bessere Alter­na­tive zu dem darstellt, was Men­schen ohne Gott für gut, richtig und vernün­ftig hal­ten. Und deshalb immer das Widergöt­tliche ein­er Kul­tur mit Gottes Wahrheit konfrontiert.

    Natür­lich, ein Chris­ten­tum, das sich nur auf der intellek­tuellen Ebene abspielt, hat der heuti­gen Welt nichts mehr zu bieten. Es ist unbe­d­ingt wichtig, dass wir begrün­den kön­nen, dass es intellek­tuell redlich und schlüs­sig ist, Jesus Chris­tus nachzu­fol­gen und die Bibel für Gottes Wort zu hal­ten. Aber Apolo­getik alleine ist zu wenig, um die Men­schen zu erreichen.

    Ein Chris­ten­tum, das authen­tis­che Geschicht­en erzählt, wo Men­schen ihrer Auf­gabe als Zeu­gen Jesu Christi nachkom­men und ehrlich darüber bericht­en, wie sie Gott erleben, welche Wun­der er an ihnen getan hat, wie er sie verän­dert hat und über die Schön­heit der inni­gen Gemein­schaft mit Jesus Chris­tus, dann ist das für die Men­schen heute dur­chaus attraktiv.

    Wobei es heute wichtiger denn je ist, dem Mod­ell der Apos­telgeschichte zu fol­gen: “Und Gott bestätigte die Predigt der Apos­tel durch die Zeichen und Wun­der, die ihnen fol­gten.” Es geht nicht um die Wun­der um der Wun­der willen. Es geht um den Geber, nicht um die Gaben, schon klar. Aber die Gaben sind wichtig und notwendig, um die Men­schen mit dem Geber bekan­nt zu machen. Indem sie Gottes Kraft und Gegen­wart erleben im Gebet. Durch eine kör­per­liche oder seel­is­che Heilung. Durch ein prophetis­ches Wort. Das sind die Werkzeuge, die wir in Gottes Wort vorfind­en, und wir soll­ten sie daher auch nutzen, um Men­schen mit Gott in Kon­takt zu bringen.

    Wir müssen auf dem soli­den Fun­da­ment der Schrift ste­hen, ohne Kom­pro­misse, son­st sind wir ver­loren und ver­lieren jede gesellschaftliche Rel­e­vanz. Aber wir brauchen auch die Kraft des Heili­gen Geistes so wie Jesus als er aus der Wüste zurück­kehrte (nach Lukas): “Erfüllt mit der Kraft des Heili­gen Geistes kehrte Jesus aus der Wüste zurück…”

    Wenn wir so unter­wegs sind, haben wir nichts zu befürcht­en von der Post­mod­erne. Eine Kirche (egal welch­er Kon­fes­sion) in der die Men­schen nicht nur Gottes Wort, son­dern auch Gottes Kraft und Gegen­wart erleben, wird immer attrak­tiv sein. Für mich ist deshalb die prak­tisch gelebte Reich-Gottes-The­olo­gie des “Schon jet­zt und noch nicht” der the­ol­o­gisch sauber­ste und prak­tisch am besten leb­bare Weg, meine per­sön­liche Nach­folge hier und jet­zt zu leben. Weil es der Weg ist, der am ehesten dazu führt, dass Gott durch mich in meinem Umfeld ganz real etwas bewegt und verändert.

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    • m.b.

      @yumiyoshi

      Danke für deinen Kom­men­tar — es fasst sehr schön zusam­men was auch mich beschäftigt. Ich sitze ger­ade an der Predigtvor­bere­itung für 1Kor 1,18–2,16. Seit Tagen ringe ich mit dem Text.

      “Das Wort vom Kreuz ist denen die Ver­lorenge­hen Torheit, uns aber Gottes Kraft” + “Nichts anderes unter euch, als Jesus und ihn als gekreuzigt”.

      Ich bin ein großer Fan der Apolo­getik, ver­folge viele Apolo­geten und ihre Arbeit in den sozialen Medi­en. Ich liebe die Diskus­sio­nen und überzeu­gende Argu­mente. Und doch — ja und doch hat das alles seine Beschränkung. Und das erlebe ich auch stark in meinem per­sön­lichen Umfeld, wenn ich mit den Men­schen rede und wir uns über die ewigen Dinge unterhalten.

      Let­ztlich ist die Frage wie die Men­schen auf die Botschaft vom Kreuz reagieren — es ist und bleibt der Kern unser­er Überzeu­gung und muss auch der Kern unser­er “Predigt” an den Men­schen sein, durch Wort und Tat.

      Wir haben die beste Botschaft die es geben kann. Und natür­lich kann und muss man zweitrangige The­men ansprechen, aber let­ztlich entschei­det es die Botschaft vom Kreuz. Wenn wir diese vor­leben und sie den Men­schen vorstellen — ungeschönt ungeschwächt und ungekürzt — wird sich das auszahlen. Die Botschaft vom Kreuz ist abso­lut nicht “konkuren­zfähig” zu der “Weisheit der Weisen” denn sie spielt in ein­er ganz anderen Liga abseits jed­er Konkurenz. Denn Gott hat das Schwache dieser Welt erwählt um das (ver­meintlich) Starke zuschan­den macht.

      Reply
      • yumiyoshi

        Danke für die Bibel­stelle. Das löst in mir ganze Kaskaden von Gedanken aus, viel zu lang um das hier wiederzugeben. Ich ver­suche, mich auf ein The­ma zu beschrännken:

        N.T. Wright hat mir in seinem Buch “Worum es Paulus wirk­lich ging” sehr schön erk­lärt und zusam­menge­fasst, was es mit dem Evan­geli­um auf sich hat: Das Evan­geli­um ist die Botschaft, dass es nur einen Her­rn des Uni­ver­sums gibt, der das Böse endgültig besiegt hat: Jesus Chris­tus. Nichts und nie­mand kann ihm diese Posi­tion stre­it­ig machen. Sein Reich (nach Lukas 4,18/Jes. 61,1) ist in die gefal­l­ene Welt hereinge­brochen, bre­it­et sich aus und wird — wenn er sicht­bar zurück­kommt — in ein­er neuen Schöp­fung voll­ständig errichtet werden.

        Der Weg dor­thin führt auss­chließlich über das Kreuz: Also das Anerken­nen, dass ich unter keinen Umstän­den so leben kann, um Gottes Anforderun­gen zu erfüll­ten. Auch, weil Jesus die Anforderun­gen in Mt. 5,17ff auf für uns unerr­e­ich­bare Höhen geschraubt hat: Näm­lich, die 100%-ige Erfül­lung in unseren inner­sten Gedanken und Empfind­un­gen. Ich würde es so for­mulieren: Ich kann durch Jesu Tod und Aufer­ste­hung nur dann mit Gott aus­gesöh­nt und sein Kind wer­den, wenn ich es anerkenne, dass ich dazu außer­stande bin, dass ich deshalb die gerechte Strafe ver­di­ent habe — ABER: Jesus hat die aus ein­er für mich unbe­grei­flichen Liebe zu mir auf sich genom­men, damit ich über den Tod hin­aus für immer bei ihm sein kann, in dem Zus­tand, für den wir Men­schen von Anfang an bes­timmt waren.

        So. Und da fan­gen die Ärg­ernisse für das men­schliche Denken an. Es ging ja schon bei den Jüngern von Jesus los: Noch nach der Aufer­ste­hung fragten sie ihn(Apg. 1,6–7), ob er jet­zt das weltliche Reich Israel wieder her­stellen würde. Sie hat­ten immer noch nicht ver­standen, dass Jesus das Reich Gottes auf die viel höhrere und tief­ere geistliche Ebene gehoben hat­te, weil sich die entschei­den­den Dinge eben nicht im sicht­baren, weltlichen Bere­ich abspie­len, son­dern auf der nicht sicht­baren, geistlichen Ebene. Und das ist mein­er Mei­n­ung nach für das men­schliche Denken so ein großes Ärgernis. 

        Das Prinzip der Gnade, also der Kern des Evan­geli­ums, näm­lich, dass der Men­sch unmöglich durch eigene Leis­tun­gen Gott “zufrieden stellen” kann, ist vielle­icht das größte Ärg­er­nis über­haupt: Weil die Rebel­lion gegen diese Tat­sache Herz und Kern der gefal­l­enen Natur ist: “Ich brauche Gott nicht. Ich kann wie Gott sein. Ich kann selb­st beurteilen, was richtig und falsch ist”. Es hat mich über die Jahre viel gekostet, dieses Denken einiger­maßen hin­ter mir zu lassen, los bin ich es noch keineswegs.

        Ich habe über die Jahre gel­ernt, dass ich die Botschaft von Jesus nur dann wirk­lich ver­ste­hen und leben kann, wenn ich in der Lage bin, Span­nungs­felder und Para­dox­ien auszuhal­ten und als solche ste­hen zu lassen. Wie ist es logisch erk­lär­bar, dass Jesus den Feind besiegt hat, indem er sich von ihm umbrin­gen ließ? Wie logisch ist es, dass ein Gott sich selb­st in Gestalt eines Men­schen hin­richt­en lässt? (Da sind glaub ich die Juden aus­gestiegen..). Wie logisch ist es, dass Gott drei und ein­er gle­ichzeit­ig ist? Wie vernün­ftig ist Fein­desliebe, und dem Feind die andere Wange hinzuhal­ten? Dass wir darauf verzicht­en, unsere Rechte einzufordern? 

        Für mich selb­st erspüre und erahne ich in meinem Inner­sten, dass diese Zumu­tun­gen Gottes an mich tat­säch­lich richtig und wahr sind und dass hin­ter diesen Din­gen eine Kraft ste­ht, die größer ist und viel tiefer geht als meine men­schlichen Lösun­gen. Dass ich auf diese Weise aus dem “Sys­tem” aussteigen kann (“nicht von dieser Welt”) und aufhöre, die Spielchen des Fein­des mitzus­pie­len, weil ich mich weigere, auf seine Ebene herun­terzusteigen. Dass seine Attack­en dann im Nichts ver­puffen und bei den Men­schen, die er für genau diese Attack­en miss­braucht und manip­uliert, das Gegen­teil dessen ein­treten kann, was er beab­sichtig. Weil wir “nicht gegen Fleisch und Blut” kämpfen. Wenn mir das gelingt, erlebe ich große geistliche Siege, auch wenn das meist nur kleine, unschein­bare Sit­u­a­tio­nen sind. Gle­ichzeit­ig erlebe ich aber, wie mein altes Ich mas­siv dage­gen rebel­liert. Weil es der­maßen gegen die gefal­l­ene men­schliche Natur geht.

        Ich erlebe es bis heute so, dass der größte Schaden immer dann entste­ht, wenn Chris­ten ver­suchen, diese Span­nungs­felder aufzulösen. Ich finde, das sind dann immer nur Schein­lö­sun­gen, die ver­suchen, einen nicht fass­baren Gott in die sehr begren­zten Schubladen men­schlichen Denkens hineinzustopfen, weil sie nicht damit umge­hen kön­nen, dass für uns Gott auf dieser Welt unmöglich voll­ständig erfass­bar ist. Wenn man das ver­sucht, fällt man immer vom Pferd — ob nach links, rechts, vorne oder hin­ten ist dabei bedeu­tungs­los. Ich spüre hin­ter diesem Denken oft große Angst und Unsicher­heit, weil es ja wirk­lich nicht leicht zu ertra­gen ist, dass man gewisse Dinge ein­fach nicht ver­ste­ht und nur ver­suchen kann, sich ihnen anzunäh­ern. Mir fall­en in dem Zusam­men­hang Römer 14 und 1. Korinther 8 ein, wo Paulus eben NICHT sagt: So ist es “richtig” und so ist es “falsch”. Son­dern: “Es kommt darauf an”. Da steckt eine große Weisheit dahin­ter. Aber auch eine große Herausforderung.

        Was mir sehr geholfen hat ist, dass ich gel­ernt habe, dass die Juden der Antike anders dacht­en als der von griechisch-römis­ch­er Philoso­phie geprägte aufgek­lärte West­en. Dass Juden nicht in “Wenn-Dann”-Kategorien denken, son­dern in “Sowohl-Als auch”. Dass für Juden damals das, was uns heute als unau­flös­bar­er Wider­spruch erscheint, zwei Seit­en ein­er Medaille waren. So unge­fähr jeden­falls, ich bin ja kein Akademiker.

        Puh, so viele Gedanken und so viel Text. Im Herzen liebe ich die Apolo­getik und die intellek­tuelle Auseinan­der­set­zung mit der Schrift ja auch sehr. Was ich sagen wollte ist lediglich: Die Post­mod­erne sehnt sich in Zeit­en der maßlosen Über­flu­tung mit Infor­ma­tio­nen nach authen­tis­chen Geschicht­en. Meine Erfahrung ist: Wenn ich mein Umfeld nicht “anpredi­ge” son­dern ein­fach über meine Geschichte mit Jesus spreche — denn ich kann nicht über mich selb­st sprechen, ohne über Jesus zu sprechen — dann hören mir alle zumin­d­est zu. Selb­st überzeugte Athe­is­ten und Kirchenhasser.

        Vie­len lieben Dank für deine Gedanken! Solche Diskus­sio­nen sind mir immer wieder wertvolle Denkanstöße, um mich mit meinen eige­nen Gottes- und Welt­bild auseinan­derzuset­zen und immer wieder das eine oder andere zu ler­nen oder zu vertiefen.

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        • m.b.

          Vie­len Dank auf für deinen Text — das sind auch die Gedanken ich ich ger­ade bewege für Sonntag…

          man kön­nte noch ergänzen — wie logisch ist Verge­bung — der Verzicht auf Gerechtigkeit und Wiedergut­machung — wie logisch ist es das der Vater seinem Sohn das ganze Erbe gibt und ihn alles ver­prassen lässt. Wie logisch ist es das er ihn danach wieder als seinen Sohn annimmt ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

          Ich bin Wis­senschaftler und liebe die Logik — mein Ver­stand wurde mir von Gott gegeben und hat seinen Platz. Noch mehr liebe ich aber Jesus — er wurde uns zur Weisheit, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Erlö­sung (1Kor 1,30)

          Und das schöne ist — ich sehe es wie du — lange hab ich mich mit den Para­dox­en der Bibel gequält, viel dazu gele­sen — nach guten Antworten gesucht. Und es gibt gute Antworten. Aber vor allem habe ich gel­ernt diese Wahrheit­en im Herzen zu glauben, weil mein Ver­stand ein­fach zu klein ist.

          Durch Glauben (pis­tis) ver­ste­hen (nous–>Verstand) wir das die Wel­ten durch Gott bere­it­et wor­den sind. Hebr 11,3

          Kein Wieder­spruch son­dern die richtige Ran­gord­nung von Glaube und Verstand.

          Soli Deo Gloria

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