Eine Therapiecouch für die Frommen

Lesezeit: 25 Minuten
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by Peter Bruderer | 09. Dez. 2025 | 0 comments

KOMMENTAR UND ANALYSE ZU AKTUELLEN PUBLIKATIONEN

Die christliche Sex­u­alethik hat ange­blich ein Prob­lem und gehört deshalb auf die Ther­a­piecouch. Ther­a­peuten sind die poste­van­ge­likalen Experten, denn sie wis­sen, wie die richtige Diag­nose lautet und wie ther­a­piert wer­den sollte. So zumin­d­est mutet es an, wenn sich dieser Tage poste­van­ge­likale Experten die his­torische christliche Sex­u­alethik vornehmen. Aber wie gesund sind ihre diag­nos­tis­chen Werkzeuge? Wie wert­neu­tral ist ihr oft bemühter ‚wis­senschaftlich­er Kon­sens‘? Dieser Artikel gibt einen Ein­blick in die ideengeschichtlichen Wurzeln einiger ihrer Quellen. Dabei wer­den neben ide­ol­o­gis­ch­er Vor­ein­genom­men­heit auch moralis­che Abgründe sichtbar.

2025 haben umfan­gre­iche Pub­lika­tio­nen über Sex­u­al­ität für Gesprächsstoff gesorgt in den Pas­toren-Büros und Denkstuben freikirch­lich-pietis­tis­ch­er Prä­gung. Zum einen pub­lizierten Prof. Thorsten Dietz (Reformierte Kirche des Kan­tons Zürich) und Prof. Tobias Faix (Rek­tor der CVJM-Hochschule in Kas­sel) ihre Sex­u­alethik Wege zur Liebe. Zum anderen präsen­tierte das Forschungsin­sti­tut empir­i­ca (eben­falls CVJM-Hochschule in Kas­sel) die Ergeb­nisse ihrer Studie Sex­uelle Ein­stel­lun­gen und Ver­hal­tensweisen (hoch-)religiöser Christ*innen.

Für alle, welche in den ver­gan­genen Jahren den entsprechen­den Diskurs ver­fol­gt haben, ist klar: bei­de Pro­jek­te sind Zen­tral­stücke im Bemühen poste­van­ge­likaler Leit­fig­uren, dem freikirch­lich-pietis­tis­chen Milieu eine aus ihrer Sicht zeit­gemässe Sex­u­alethik zu vermitteln.

Zu bei­den Pro­jek­ten sind auch schon aus­geze­ich­nete Rezen­sio­nen geschrieben wor­den. In diesem Artikel möchte ich ein­er­seits für unseren Blog ein kurzes «Was bish­er geschah» fes­thal­ten. Zudem möchte ich meine ‘zwei Cent’ beitra­gen mit ein­er his­torischen Stich­probe und der Diskus­sion einiger Aspek­te, welche ich für rel­e­vant halte, ger­ade im Hin­blick auf die Sexualitätsstudie.

Wege zur Liebe oder Irrwege der Liebe?

Mit dem Buch „Wege zur Liebe“ hat sich mein Brud­er Paul gründlich beschäftigt. Er kam in sein­er, im Nachricht­en­magazin IDEA pub­lizierten Kri­tik zu einem sehr ein­deuti­gen Ergeb­nis. Die Sex­u­alethik von Prof. Dietz und Prof. Faix über­schre­it­et sämtliche rote Lin­ien und «spricht das Wort der queeren Rev­o­lu­tionäre […] auf Kosten von Gottes Wort.»

Inter­es­san­ter­weise wurde zeit­gle­ich zur Buchkri­tik von Paul eine Stel­lung­nahme des Vor­standes der AfeT (Arbeit­skreis für evan­ge­likale The­olo­gie) pub­liziert, welche deut­lich macht, dass das Buch mit der Glaubens­ba­sis der Evan­ge­lis­chen Allianz in Deutsch­land unvere­in­bar ist. [2] Ins­beson­dere hät­ten sich die Autoren ver­ab­schiedet von den Artikeln 7 sowie 2 der Glaubens­ba­sis der Allianz. Diese bei­den Artikel beto­nen unter anderem die Zuver­läs­sigkeit und Autorität der bib­lis­chen Schriften in Fra­gen des Glaubens und der Lebens­führung, sowie die Erschaf­fung des Men­schen als Mann und Frau. 

Hin­ter­grund dieser Stel­lung­nahme ist die erstaunliche Tat­sache, dass die bei­den Buchau­toren Faix und Dietz aktuell Mit­glieder sind in dieser deutschen Fachge­sellschaft, welche sich der Förderung evan­ge­likaler The­olo­gie auf der Grund­lage der Bibel ver­schrieben hat. [3] Die Mit­glied­schaft ist wohl his­torisch bed­ingt. Sowohl Faix als auch Dietz haben Wurzeln im evan­ge­likalen Milieu. Die Übere­in­stim­mung mit der Glaubens­ba­sis der Evan­ge­lis­chen Allianz, der sich auch die AfeT verpflichtet hat, scheint hier aber nicht mehr gegeben zu sein. Eine Rück­frage mein­er­seits legt den Schluss nahe, dass die Autoren den­noch nicht vorhaben, sich aus der AfeT zurück­zuziehen. [4]

Nach der Buchkri­tik von Paul und der deut­lichen Stel­lung­nahme der AfeT sahen sich die Autoren zu ein­er Reak­tion genötigt. Man habe ihre Anliegen in zen­tralen Punk­ten verze­ich­net und ihrem päd­a­gogis­chen Ansatz keine Beach­tung gegeben. So befür­worte man Polyamor­ie nicht. Man analysiere lediglich und befähige zur Urteils­bil­dung. Ja – das Ziel sei, «den Leser:innen ein Instru­men­tar­i­um an die Hand zu geben, das sie befähigt, in eigen­er Ver­ant­wor­tung ethis­che Urteile zu fällen». [5] Nun – man kann sich auch hin­ter ein­er ‘Neu­tral­ität’ ver­steck­en, die let­z­tendlich keine ist. Leser des Buch­es jeden­falls haben die Dar­legun­gen gele­sen und sind zum Schluss gekom­men, dass Polyamor­ie wohl ein­fach Liebe für ‘Fort­geschrit­tene’ ist.

Meine per­sön­liche Wahrnehmung ist: Die Ethik von Faix und Dietz nen­nt sich vielle­icht christlich, aber ihre Fixsterne liegen in den Axiomen fem­i­nis­tis­ch­er oder queer­er The­o­rie und fol­gen sozi­ol­o­gis­chen Mod­ellen inter­sek­tioneller Diskri­m­inierungs­forschung. Die Bibel ist da höch­stens noch ‘Ster­nen­staub’ eines vor langer Zeit explodierten himm­lis­chen Orientierungspunktes.

Sexualitätsstudie – Fundgrube oder Spaltpilz?

Auch zur Sex­u­al­studie gab es sub­stanzielle Kri­tik. Die von der «Stiftung Christliche Medi­en» finanzierte Studie umfasst 2 Büch­er (Unsere «Geschichte mit Sex» sowie «Sex­u­al­ität und Glaube») sowie einen Forschungs­bericht. Die tri­an­gulär angelegte Studie bestand aus ein­er Diskur­s­analyse ver­schieden­er christlich­er Sex­u­al­rat­ge­ber und Pub­lika­tio­nen ver­gan­gener Jahrzehnte, qual­i­ta­tiv­en Inter­views mit Einzelper­so­n­en und ein­er quan­ti­ta­tiv­en Befra­gung von über 10’000 Personen.

Wer sich gründlich mit den Ergeb­nis­sen auseinan­der­set­zen will, muss sich durch rund 1000 Seit­en kämpfen. Markus Till hat sich dieser Auf­gabe gestellt. In sein­er Besprechung weist er unter anderem auf Män­gel und Ein­seit­igkeit­en in der quan­ti­ta­tiv­en Befra­gung hin. So ist die Zusam­menset­zung der Umfrageteil­nehmer nicht repräsen­ta­tiv. Der Anteil nicht het­ero­sex­ueller Teil­nehmer ist um ein Mehrfach­es höher als in ver­gle­ich­baren repräsen­ta­tiv­en Erhe­bun­gen. Diverse Fragestel­lun­gen waren unklar. Die ver­schiede­nen Milieus, die an der Umfrage teilgenom­men haben, bleiben schw­er greif­bar. Till weist in sein­er Analyse plau­si­bel nach, dass wohl ein über­durch­schnit­tlich hoher Anteil Poste­van­ge­likale [7] an der Umfrage teilgenom­men haben, was die Stu­di­en­ver­fass­er aber nir­gends zur Sprache brin­gen oder diskutieren.

Des Weit­eren ent­larvt Markus Till die schein­bare Ergeb­nisof­fen­heit der Studie. Ich kann seine Wahrnehmung nur bestäti­gen. Wenn es eine gesicherte Erken­nt­nis aus der Studie geben kann, dann der sehn­liche Wun­sch der Ver­fass­er, kon­ser­v­a­tive christliche Sex­u­alethik sub­til oder auch ganz offen­sichtlich in einem schlecht­en Licht darzustellen.

Die quan­ti­ta­tive Befra­gung scheint von einem Grund­modus des Ver­dacht­es gegenüber Werten von kon­ser­v­a­tiv­en Chris­ten geprägt zu sein. Ob es nun pos­i­tive oder neg­a­tive Befunde sind: Die Ver­fass­er find­en meist einen Weg, die Hal­tun­gen, Ide­ale und Her­aus­forderun­gen kon­ser­v­a­tiv­er Chris­ten zu problematisieren.

Diese Vor­ein­genom­men­heit zeigt sich meines Eracht­ens noch ver­stärkt in der Diskur­s­analyse von christlichen Sex­u­al­rat­ge­bern ver­gan­gener Jahrzehnte. Wenn es um Büch­er geht, nach deren Grund­ver­ständ­nis «Sex auss­chliesslich in die het­ero­sex­uelle Ehe» gehört [8], dann stellen die Stu­di­en­ver­fass­er eigentlich nur neg­a­tive Befunde. Diese Pub­lika­tio­nen, so stellen sie es dar, haben ein «neg­a­tives bis ambiva­lentes Men­schen­bild» und ver­fol­gen «dog­ma­tis­che Anliegen»,bei denen Gott als «moralis­che Instanz» ver­standen wird. In diesen Pub­lika­tio­nen ent­deck­en die Stu­di­en­ver­fass­er «viel Krankhaftes», Aus­sagen die auch «fak­tisch kom­plett falsch» sind, teils «has­ser­füllte Verurteilung», Textab­schnitte die «bizarr bis ver­let­zend» sind, voller «Urteile und Vorurteile», «undif­feren­ziert», «dif­famierend», einen «üblen Geschmack» ver­mit­tel­nd, auf «beson­ders per­verse Weise» bes­timmte christliche Gedanken ver­mit­tel­nd – und so weit­er und so fort. [9]

Pub­lika­tio­nen mit ein­er eher lib­eralen Sex­u­alethik hinge­gen wer­den kon­se­quent pos­i­tiv kon­notiert. Diese Pub­lika­tio­nen haben ein «grund­sät­zlich pos­i­tives Men­schen­bild», deren Dreh- und Angelpunkt die «Men­schen­würde» ist. Sie ori­en­tieren sich an den «Men­schen­recht­en» und sind geprägt von Grundw­erten wie «Liebe, Gerechtigkeit und Vielfalt». [10]

Wenn sich dieser Tenor über hun­derte von Seit­en hinzieht, wird es auf die Dauer echt müh­sam für einen Leser wie mich, der von der Sinnhaftigkeit und Men­schen­fre­undlichkeit bib­lis­ch­er Konzepte und tradiert­er christlich­er Werte überzeugt ist – auch vom Ver­ständ­nis der Ehe als exk­lu­siv­en Raum für sex­uelle Gemein­schaft. Ich sag’s mal ganz direkt: Ich bin mir bei der Lek­türe vorgekom­men wie in ein­er tausend­seit­i­gen Gehirnwäsche.

Am Schluss des Ban­des zur quan­ti­ta­tiv­en Befra­gung machen die Ver­fass­er keinen Hehl mehr daraus, was ihre Forderun­gen sind und wohin die Reise gehen muss:

„Gemein­den müssen mehr anerken­nen, dass es keine ein­heitliche christliche Sex­ual­moral gibt […] Viele LGBTQ+-Christ:innen fühlen sich in Gemein­den nicht willkom­men. Kirch­liche Struk­turen soll­ten queer­fre­undlich­er gestal­tet wer­den und diskri­m­inierende Hal­tun­gen abbauen. […] Es braucht eine stärkere Wertschätzung unter­schiedlich­er Lebens­for­men im Kon­text von Kirchen und Gemein­den.» [11]

Plu­ral­isierung sex­ueller Aus­druck­weisen und Lebensweisen soll im Gemein­dekon­text also ange­sagt sein. Natür­lich stand diese Forderung schon vor Stu­di­en­be­ginn fest. Sie ist lediglich eine Wieder­hol­ung dessen, was die Stu­di­en­ver­ant­wortlichen seit min­destens 5 Jahren unun­ter­brochen ein­fordern. [12] Diese Forderung nach hun­derten von Seit­en ein­er teuren, meines Eracht­ens eher erken­nt­nis­ar­men und ide­ol­o­gisch aufge­lade­nen Studie zu lesen ist eine reine Triv­i­al­ität. Den­noch dürfte sie im Zusam­men­wirken mit der Daten­fülle und vorder­gründi­gen Wis­senschaftlichkeit der Studie bei vie­len Lesern seine Wirkung entfalten.

Ich kann nur jedem ans Herz leg­en, die Beiträge von Paul und Markus gründlich zu studieren. Sie sind nötige Grund­la­gen zu den Ergänzun­gen, die ich nach­fol­gend mache. Ich möchte näm­lich einen his­torischen Bezugsrah­men geben, indem ich dem ide­ol­o­gis­chen Nährbo­den nach­spüre, welche die von den Stu­di­en­ver­fassern pos­tulierte Wis­senschaftlichkeit beeinflusst.

Dies scheint mir ein legit­imes Anliegen. Die Stu­di­en­ver­fass­er ver­wen­den ja viel Zeit, um christliche Sex­u­al­rat­ge­ber zu kri­tisieren, die teil­weise vor Jahrzehn­ten pub­liziert wur­den, in den 80ern oder gar späten 70ern. [13] Sie iden­ti­fizieren in diesen Büch­ern diverse aus ihrer Sicht prob­lema­tis­che Aspek­te, welche sich bis in unsere Zeit tox­isch auswirken sollen.

Doch wie ste­ht es um die Arbeits­grund­la­gen, auf denen die Stu­di­en­ver­fass­er ihr eigenes Wirken auf­bauen? Was für Vor­läufer gibt es dort und was für Ideen und Konzepte? Was wurde dort geschrieben? Dieser legit­i­men Frage möchte ich nachge­hen anhand von zwei Beispie­len. Zum einen hat die ‘grosse Sex­u­al­ität­studie’ unser­er Tage ihren bekan­nten Vor­läufer: Die Kin­sey-Studie. Zum anderen gehe ich der Geschichte des «Jour­nal of Sex Research» nach, welche eine oft zitierte Quelle der Stu­di­en­ver­fass­er ist.

Alfred Kinsey und Die normative kraft des faktischen

Fak­ten haben Gewicht. Fak­ten haben Überzeu­gungskraft. Gebetsmüh­le­nar­tig wird das Mantra in den ersten Seit­en des Buch­es zur empirischen Erhe­bung wieder­holt: «fundiert», «sach­lich», «dif­feren­ziert», «wis­senschaftlich», «nüchtern», «Qual­ität» laut­en die Stich­worte. [15] Es darf keinen Zweifel geben: Jet­zt kom­men die Fakten.

Die Medi­en­welt nimmt das Word­ing auf: «Hin­ter der Schlafz­im­mertüre; Fak­ten zum Sexleben from­mer Christ:innen» titelt beispiel­sweise das lib­er­al-poste­van­ge­likale Onlinepor­tal «Reflab». [16]

Wer eine ide­ol­o­gis­che Agen­da tar­nen will, tut dies seit ger­aumer Zeit vorzugsweise, indem er sich im Kit­tel des Wis­senschaftlers präsen­tiert. Gegen Fak­ten ist schw­er anzukom­men. Das wusste auch Alfred Kin­sey, als er 1948 die Mut­ter aller Sexs­tu­di­en pub­lizierte. «Sex­u­al Behav­ior in the Human Male» erschüt­terte die Nachkriegs­ge­sellschaft in den USA gle­ich einem Erd­beben. [17]

Kin­sey set­zte dabei ganz auf das, was man die „nor­ma­tive Kraft des Fak­tis­chen“ nen­nt. [18] Was häu­fig getan wird (z.B. eine soziale Gewohn­heit), wird als gut und richtig ange­se­hen und erhält dadurch nor­ma­tive Kraft. Wenn man ein­er Per­son oder Per­so­n­en­gruppe beispiel­sweise plau­si­bel machen kann, dass viele andere Men­schen diese oder jene Ver­hal­tensweise zeigen, dann hat das seine ganz eigene Überzeu­gungskraft. Die Devise lautet: «Wenn viele andere Men­schen dieses oder jenes tun, muss es in Ord­nung sein.»

Ich habe vor zwei Jahren in einem Artikel das Wirken Kin­seys aus­führlich doku­men­tiert. Seine Stu­di­en sind ein Parade­beispiel dafür, wie man mit ein­er wis­senschaftlich frag­würdi­gen und weltan­schaulich motivierten Forschung die Deu­tung­shoheit über ein The­men­feld erobert.

Im Falle der Kin­sey-Studie wur­den zum Beispiel eine über­durch­schnit­tlich hohe Anzahl der Inter­views in Gefäng­nis­sen, im Sex-Gewerbe, in der schwulen Szene und im lib­ertär geprägten städtis­chen Milieu erhoben. Die dadurch verz­er­rten Stu­di­energeb­nisse verkaufte man der Öffentlichkeit als Ein­blick ins Liebesleben des amerikanis­chen Durchschnittsbürgers.

Inter­es­san­ter­weise stand der Anspruch fak­ten­basiert­er und neu­traler Wis­senschaftlichkeit auch am Anfang der Kin­sey-Studie. Hier ein Beispiel aus dem Einleitungstext:

«Seit einiger Zeit wächst bei vie­len Men­schen das Bewusst­sein, dass es wün­schenswert ist, Dat­en über Sex­u­al­ität zu sam­meln, die eine Ansamm­lung wis­senschaftlich­er Fak­ten darstellen und völ­lig los­gelöst sind von Fra­gen moralis­ch­er Werte und gesellschaftlich­er Kon­ven­tio­nen.» [19]

Reine Fak­ten also? Null Wer­tung? Nicht ganz… Bere­its einige Zeilen weit­er drückt durch, dass Kin­sey mit sein­er Studie sehr wohl Absicht­en jen­seits der reinen Fak­ten­er­mit­tlung hegte:

«In unser­er west­lich-europäisch-amerikanis­chen Kul­tur unter­liegen sex­uelle Reak­tio­nen mehr als alle anderen phys­i­ol­o­gis­chen Aktiv­itäten religiösen Bew­er­tun­gen, sozialen Tabus und formellen Geset­zen. […] Es gibt Kul­turen, die sex­uelle Aktiv­itäten als Teil der alltäglichen Phys­i­olo­gie freizügiger akzep­tieren.» [20]

Es gab aus der Sicht von Kin­sey also sehr wohl ein Prob­lem: die ‘religiösen Bew­er­tun­gen’, ‘sozialen Tabus’ und ‘formellen Geset­ze’ des christlichen West­ens. Unter Vor­gabe der Wis­senschaftlichkeit wurde sodann auf 800 Seit­en der Gen­er­alan­griff auf eben diese Werte lanciert. Die Forderung, die Kin­sey aus seinen verz­er­rten Daten­sätzen ableit­ete, liegt auf der Hand: Die gesellschaftlichen Nor­men müssen an die Real­ität angepasst wer­den, die von der Studie ans Licht gebracht wor­den ist. [21]

Die Kin­sey-Stu­di­en zeigen uns auch wichtige Ele­mente, welche seinem Unter­fan­gen zum Erfolg ver­holfen haben:

  1. Ein eingeschworenes Team mit gle­ichen ide­ol­o­gis­chen Zie­len garantierte Ver­schwiegen­heit und die Bere­itschaft zu ausseror­dentlich­er Hingabe an das Projekt.
  2. Ein poten­ter Finanzge­ber ermöglichte es, eine möglichst grosse Daten­fülle zu sam­meln und zu ver­ar­beit­en. Die grosse Daten­fülle sug­gerierte gle­ichzeit­ig eine hohe Valid­ität und zwang Kri­tik­er zu einem grossen Aufwand.
  3. Eine umfan­gre­iche Mar­ket­ingkam­pagne war das let­zte Ele­ment zum Erfolg. Diese von langer Hand geplante Kam­pagne half mit, das Nar­ra­tiv der Stu­di­en­ver­fass­er in der Gesellschaft zu etablieren, noch bevor sub­stanzielle Kri­tik erhoben wer­den konnte.

Natür­lich muss ein Ver­gle­ich der Kin­sey-Studie mit dem aktuellen Pro­jekt des Insti­tuts empir­i­ca seine klaren Gren­zen haben. Es liegt mir fern, die mass­lose Promiskuität von Kin­sey und seinen Kumpa­nen in irgen­dein­er Weise mit dem Team empir­i­ca in Verbindung zu brin­gen. Zudem hat die Diszi­plin der empirischen Forschung wohl sub­stanzielle Fortschritte gemacht, und diese schla­gen sich natür­lich auch pos­i­tiv nieder in der vor­liegen­den Studie. Trotz­dem funk­tion­iert die empir­i­ca Studie in gewis­sen Belan­gen nach ähn­lichen Mustern wie die Kinsey-Studie.

Die vergleichbare Grundanlage der empirica-Studie

Zum einen ist die empir­i­ca-Studie ähn­lich aufge­zo­gen wie damals die Kinsey-Studie:

  1. Sie ist das Pro­jekt ein­er eingeschwore­nen Truppe, deren Pro­tag­o­nis­ten seit langem gemein­sam auf eine Umfor­mung der tra­di­tionellen Sex­u­alethik im freikirch­lich-pietis­tis­chen Milieu hin­wirken. [22]
  2. Sie hat in der Stiftung SCM einen poten­ten Geldge­ber gefun­den, der ihnen diese äusserst umfan­gre­iche Studie finanziert hat. Und offen­sichtlich haben die Stu­di­en­ver­fass­er in der deutschen SCM-Schaltzen­trale auch Gle­ich­gesin­nte, welche das Ziel ein­er Umfor­mung der Sex­u­alethik im freikirch­lich-pietis­tis­chen Milieu aktiv unter­stützen. [23]
  3. Im Geldge­ber haben die Stu­di­en­ver­fass­er zudem gle­ich noch den Part­ner für die entsprechende Mar­ket­ingkam­pagne. Die SCM-Ver­lags­gruppe ver­fügt im freikirch­lich-pietis­tis­chen Milieu seit Jahren über eine dom­i­nante Mark­stel­lung. Das weit gefächerte Zeitschriften­sor­ti­ment formt die Spir­i­tu­al­ität und die Glauben­süberzeu­gun­gen ganz­er Gen­er­a­tio­nen. Mit dieser Dom­i­nanz kann die SCM-Gruppe sich­er­stellen, dass die Stu­di­energeb­nisse wirkungsvoll und im Sinne der Ver­fass­er an die Basis ver­mit­telt wer­den, was auch aus­giebig getan wird. [24] Durch die dom­i­nante Stel­lung im christlichen Markt kann gle­ichzeit­ig sichergestellt wer­den, dass rel­e­vante Kri­tik kaum Gehör find­et. Stim­men, welche der Studie beispiel­sweise «gravierende method­is­che Schwächen, Inter­essenkon­flik­te und fehlende Trans­parenz» [25] attestieren, wer­den in den SCM-Pub­lika­tio­nen nicht adressiert. [26]

Mit diesen Para­me­tern erfüllt die vor­liegende Studie alle Rah­menbe­din­gun­gen, um ein wirkungsvolles Machtin­stru­ment zu sein, welch­es das Ziel-Milieu nicht nur informiert, son­dern nach den eige­nen Vorstel­lun­gen umformt. Nur schon diese Real­ität müsste aufmerk­same Beobachter zur Vor­sicht mah­nen. Die Stu­di­en­ver­fass­er, welche sich gerne als Aushängeschilder machtkri­tis­che Diskurse präsen­tieren, bedi­enen sich selb­st aller ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel, um ihre Ziele zu verwirklichen.

Die ähnlichen Symptome der empirica-Studie

Die empir­i­ca-Studie ist aber nicht nur von dieser Grun­dan­lage her ähn­lich aufge­zo­gen wie die Kin­sey-Studie. Sie lei­det auch an ähn­lichen Symp­tomen. Wie bei den Kin­sey-Stu­di­en ist die Anzahl der teil­nehmenden Per­so­n­en zwar riesig, aber das hil­ft auch in diesem Fall nicht. Eine grosse Fal­lzahl nützt wenig, wenn das Pro­fil der teil­nehmenden Per­so­n­en auf­grund prob­lema­tis­ch­er Erhe­bungsmeth­o­d­en [27] und unklaren Fragestel­lun­gen [28] nur schw­er greif­bar bleibt. Die mas­sive Über­repräsen­ta­tion des LGBTQ+-Segmentes wird zwar erwäh­nt, find­et in den Auswer­tun­gen aber nur sel­ten seinen Nieder­schlag in der Form nötiger Dif­feren­zierun­gen. Das stete Ver­wis­chen der Gren­ze zwis­chen Fak­ten­präsen­ta­tion und sub­til­er Bew­er­tung ist zudem offensichtlich.

Diese Symp­tome soll­ten eigentlich jedem kri­tis­chen Leser auf­fall­en, erst recht ein­er kom­pe­ten­ten Fach­per­son. Aber nur eine der rund zwanzig im Band «Sex­u­al­ität und Glaube» kom­men­tieren­den Fach­per­so­n­en hält es für nötig, zaghaft auf prob­lema­tis­che Aspek­te in der Grun­dan­lage der Studie hinzuweisen. [29]

Beson­dere Aufmerk­samkeit ver­di­ent meines Eracht­ens das Aus­bleiben eigentlich wichtiger Aus­d­if­feren­zierun­gen. Ich bin kein Sta­tis­tik­er. Ich würde mich freuen, wenn Profis sich mit meinen nach­fol­gen­den Beobach­tun­gen weit­er befassen.

Zum Beispiel müsste der von Markus Till fest­gestellte ausseror­dentlich hohe Anteil Poste­van­ge­likaler sich meines Eracht­ens sehr grundle­gend auf die Struk­turierung der ver­schiede­nen Auswer­tun­gen auswirken. Das poste­van­ge­likale Seg­ment müsste in der Date­n­analyse her­aus­geschält und dif­feren­ziert dargestellt werden.

Analoges gilt für das mas­siv über­repräsen­tierte LGBTQ+-Segment. Es ist eine Real­ität, dass Ver­hal­tensweisen und Erleb­nisse von Men­schen im queeren Spek­trum sich teil­weise stark unter­schei­den kön­nen von Ver­hal­tensweisen und Erleb­nis­sen von het­ero­sex­uellen Men­schen. Dies leg­en diverse Stu­di­en und die Real­er­fahrung des Lebens nahe. [30] In der vor­liegen­den Studie wird dies aber in entschei­den­den Auswer­tun­gen nicht berück­sichtigt oder ausdifferenziert.

Wie ist dies zum Beispiel bei der Auswer­tung der Anzahl Sex­u­al­part­ner? Das homo­sex­uelle Milieu weist sta­tis­tisch eine höhere Promiskuität auf als das het­ero­sex­uelle. Die Rede ist von ein­er min­destens dop­pelt so hohen Anzahl Sex­u­alkon­tak­te von homo­sex­uellen Män­nern im Ver­gle­ich zu het­ero­sex­uellen. [31] Der Forschungs­bericht zur Studie belegt für den 0.7% kleinen Anteil «divers» eine mehr als dop­pelt so hohe Anzahl Sex­u­alkon­tak­te als der Durch­schnitt. [32] Das über­grosse LGBTQ+ Seg­ment, welch­es 14% der Probe umfasst, wird in dieser Hin­sicht aber nicht aus­gew­ertet. Im für das bre­ite Pub­likum auf­bere­it­eten Buch (Sex­u­al­ität und Glaube) wird dies­bezüglich gar nichts aus­d­if­feren­ziert. Die aller Wahrschein­lichkeit nach erhöht­en Zahlen eines so schon stark über­höht­en LGBTQ+ Anteils wer­den ein­fach in die all­ge­meinen Ergeb­nisse mit ein­gerech­net. Warum wird nicht sorgfältig unterschieden?

Des Weit­eren bei der Auswer­tung der ‘ungewöhn­lichen Sex­u­al­prak­tiken’. Auch hier liegt die Ver­mu­tung nahe, dass das über­repräsen­tierte queere Seg­ment in beträchtlichem Maße zu der Häu­figkeit gewiss­er Prak­tiken beiträgt. Es liegt zum Beispiel auf der Hand, dass les­bis­che Paare häu­figer auf Hil­f­s­mit­tel wie Dil­dos zurück­greifen. [33]  Im Hin­blick auf die ‘ungewöhn­lichen Sex­u­al­prak­tiken’ find­en wir wiederum einen Hin­weis im Forschungs­bericht. Die Abbil­dung 87 (Auswer­tung „Was haben Sie beim Sex jemals aus­pro­biert?“) belegt für die kleine Per­so­n­en­gruppe «divers» sehr hohe Werte. Bei «sex­uellen Rol­len­spie­len» haben sie rund die dop­pel­ten Werte als der Durschnitt. Bei «Sex mit mehreren» rund das Dreifache und bei «BDSM» gar das fünf­fache. Zu solchen Infor­ma­tio­nen kommt aber nur, wer sich durch den umfan­gre­ichen Forschungs­bericht kämpft. Und auch dort wird nicht aus­gew­ertet und offen dargestellt, was eigentlich auf der Hand liegt: Die mas­siv­en Unter­schiede dürften nicht nur bei den 0.7% «divers» auftreten, son­dern sie dürften den Grundtenor des mit 14% über­grossen LGBTQ+ Seg­ments bilden. Im für das bre­ite Pub­likum auf­bere­it­eten Buch (Sex­u­al­ität und Glaube) wird dies­bezüglich gar nichts aus­d­if­feren­ziert. Die dort zusam­menge­fasst präsen­tierten Resul­tate zu «ungewöhn­lichen Sex­u­al­prak­tiken» dürften deshalb teil­weise mas­siv verz­er­rt sein. Warum wird nicht ausdifferenziert?

Dies sind nur einige Beispiele. Kom­pe­tente Fachkräfte soll­ten sich weit­er mit diesen Fra­gen befassen und eine trans­par­entere Berichter­stat­tung sich­er­stellen über die in einzel­nen Milieus ermit­tel­ten Werte. Denn empirische Forschung muss, wie es die Stu­di­en­ver­fass­er für sich selb­st in Anspruch nehmen, trans­par­ent und dif­feren­ziert sein. [34] Doch genau dies fehlt mir in wesentlichen Auswer­tun­gen. Man kann über die Gründe dafür nur spekulieren. Tat­sache ist: die Auswer­tun­gen tra­gen die „nor­ma­tive Kraft des Fak­tis­chen“ in sich. Es ist deshalb davon auszuge­hen, dass die Stu­di­en­ver­fass­er uns die Ergeb­nisse genau in der Form präsen­tiert haben, wie sie ihren Zie­len am besten dienen.

Journal of Sex Research: neutral gibt es nicht

Sowohl die Ethik „Wege zur Liebe“, als auch die empir­i­ca-Studie nehmen für sich in Anspruch, auf der Höhe des wis­senschaftlichen Diskurs­es zu sein. Man bemüht den soge­nan­nten ‚wis­senschaftlichen Kon­sens’, lässt die ‚Experten‘ zu Wort kom­men. In der Sex­u­al­itäts-Studie wirkt sich dies zum Beispiel dahinge­hend aus, dass man in der Erar­beitung des quan­ti­ta­tiv­en Frage­bo­gens möglichst auf etablierte Messin­stru­mente zurück­greifen wollte. [36] Zudem wird in der Analyse und Präsen­ta­tion der Dat­en viel auf Pub­lika­tio­nen in Fachjour­nalen ver­wiesen, um Aus­sagen zu untermauern.

Die Frage ist, wie weltan­schaulich neu­tral die von der Studie ver­wen­de­ten Quellen sind. Um das zu prüfen, habe ich eine Stich­probe gemacht, indem ich mich mit dem «Jour­nal of Sex Research» befasst habe. Dies aus dem ein­fachen Grund, weil im Buch «Sex­u­al­ität und Glaube» auf dreizehn ver­schiedene Forschungsar­beit­en ver­wiesen wird, welche in diesem Jour­nal pub­liziert wur­den. Damit ist das «Jour­nal of Sex Research» die im Buch mit Abstand meistre­f­eren­zierte Fachzeitschrift.

Eine ein­fache Suche zeigt, dass das Jour­nal das offizielle Pub­lika­tion­sor­gan der „Soci­ety for the Sci­en­tif­ic Study of Sex­u­al­i­ty»(Nach­fol­gend: SSSS) ist. Die Organ­i­sa­tion mit ein­er illus­tren Geschichte hat in den ver­gan­genen Jahren auch zwei wichtige ethis­che State­ments pub­liziert, welche für alle Mit­glieder der Organ­i­sa­tion eine verbindliche Grund­lage ihrer pro­fes­sionellen Tätigkeit bilden. [37]

Das erste State­ment aus dem Jahre 2021 bet­rifft das The­ma «Jus­tice, Equi­ty, Diver­si­ty, and Inclu­sion» - also «Gerechtigkeit, Gle­ich­heit, Vielfalt und Inklu­sion». Konkret fordert das Statement:

«Förderung von Wis­senschaft und Prax­is, die sich mit Macht und Priv­i­legien befassen, ein­schliesslich, aber nicht beschränkt auf kri­tis­che The­o­rien (z. B. kri­tis­che Rassen­the­o­rie und Inter­sek­tion­al­ität) sowie anti­ras­sis­tis­che, befreiung­sori­en­tierte und dekolo­niale Denkan­sätze.» [38]

Das zweite State­ment, eben­falls aus dem Jahre 2021, bet­rifft das The­ma «Sup­port for Trans­gen­der, Gen­der Non-Con­form­ing, and Gen­der Expan­sive Youth». [39] Es geht um das Trans-The­ma bei Jugendlichen. Die Verpflich­tung verurteilt die «struk­turelle Unter­drück­ung» und «Gewalt» gegenüber Trans­gen­der-Per­so­n­en, welche sich in neuen Geset­zge­bun­gen in US-Bun­desstaat­en nieder­schla­gen würde. Diese neuen Geset­ze wür­den es ver­bi­eten, Jugendlichen unter 18 Jahren Pubertäts­block­er zu verabre­ichen oder an ihnen geschlecht­sumwan­del­nde Oper­a­tio­nen durchzuführen – was prob­lema­tisch sei.

Nur schon diese bei­den Ein­blicke zeigen, dass die Forschungs- und Pub­lika­tions­frei­heit sowie Neu­tral­ität in diesem Fachjour­nal ihre Gren­zen haben dürfte. Wer sich nicht hin­ter die atheistisch/neomarxistisch geprägten kri­tis­chen The­o­rien stellt, zu denen beispiel­sweise auch die Queer-The­o­rie gezählt wird, der hat in dieser Organ­i­sa­tion aktuell keinen Platz. Wer sich nicht hin­ter die Agen­da der Trans-Ide­olo­gie stellt, der hat in dieser Organ­i­sa­tion eben­so wenig zu suchen.

Der ver­meintliche Kon­sens der Sex­u­al­wis­senschaft ent­pup­pt sich bere­its bei ein­er so kurzen Recherche als eine klar weltan­schaulich ver­ankerte Angele­gen­heit. Die Ver­fass­er der empir­i­ca-Studie zu Sex­u­al­ität und Glaube enthal­ten solche Infor­ma­tio­nen ihren Lesern vor.

Eine Reise in die Finsternis

Wer noch etwas tiefer Graben will, kann sich mit der mit­tler­weile bald siebzig-jähri­gen Geschichte der SSSS und ihren Grün­der­fig­uren befassen. Wer dies tut, wird sich bald in einem Mikrokos­mos wiederfind­en, in dem der Fin­ger­ab­druck von Alfred Kin­sey omnipräsent ist (Trig­ger­war­nung!).

So war Wardell Pomeroy, der fün­fte Präsi­dent der Organ­i­sa­tion, ein Co-Autor des Kin­sey Reports von 1948. Die Sex­u­alethik Pomeroys’ wird beispiel­weise tre­f­fend wiedergegeben in diesem Zitat aus einem Aufk­lärungs­buch für Jungs, welch­es er während sein­er Amt­szeit als Präsi­dent des SSSS publizierte:

«Wenn der vore­he­liche Geschlechtsverkehr mit einem Mäd­chen stat­tfind­et, das der Junge heirat­en möchte, kön­nen bei­de her­aus­find­en, ob sie wirk­lich gut zusam­men­passen. In diesem Sinne ist es so, als würde man ein Auto vor dem Kauf Probe fahren.» [40]

Die Reise in die Ver­gan­gen­heit der Sex­u­al­wis­senschaften ist eine Reise ins Herz der Fin­ster­n­is. In die geistliche Umnach­tung. In die kon­se­quente Ratio­nal­isierung der Unmoral. Es ist keine lohnende und keine empfehlenswerte Reise. Ich gebe diese Ein­blicke hier nur, um dem Leser ein Gefühl dafür zu geben, auf welchem Boden das «Jour­nal of Sex Research» gewach­sen ist.

Fol­gt man Pomeroy als gewählte Anker­fig­ur (man kön­nte auch andere nehmen), so wird man ihn zum Beispiel im Jahre 1980 in einem Artikel im renom­mierten Time-Mag­a­zine wiederfind­en über den Angriff auf das ‘let­zte Tabu’: den Inzest. Darin wird über Pomeroy fol­gen­des berichtet:

«Wardell Pomeroy, Mitau­tor der ursprünglichen Kin­sey-Berichte über Män­ner und Frauen, drückt sich weitaus deut­lich­er aus. „Es ist an der Zeit zuzugeben, dass Inzest nicht unbe­d­ingt eine Per­ver­sion oder ein Symp­tom ein­er psy­chis­chen Erkrankung sein muss“, sagt er. „Inzest zwis­chen … Kindern und Erwach­se­nen … kann manch­mal sog­ar von Vorteil sein.“» [41]

Natür­lich find­et man bis heute diverse Beiträge von Pomeroy im „Jour­nal of Sex Research». Es gilt ja, die Helden der Ver­gan­gen­heit zu würdi­gen und ihre ‘wertvollen Beiträge’ an die Sex­u­al­wis­senschaft der Nach­welt zu erhalten.

Der Times Artikel aus dem Jahre 1980 erwäh­nt vier weit­ere Per­so­n­en, welche sich damals für den Abbau von Vorurteilen gegenüber Inzest einge­set­zt haben: Gertrude Williams, James w. Ramey, Joan Nel­son und John Mon­ey [42]. Der infame John Mon­ey war 1972–1974 selb­st Präsi­dent des SSSS. Er und die erwäh­n­ten Per­so­n­en durften ihre Ideen im ‘Jour­nal’ präsen­tieren, wie eine ein­fache Online-Suche im Por­tal der Fachzeitschrift bestätigt.

Ich kön­nte in diesem Zug weit­er­fahren, kön­nte referieren über die Eugeniker in den Chefe­ta­gen dieser Organ­i­sa­tion, die Abtrei­bungslob­by­is­ten, die Schar­la­tane und andere Gestal­ten mit zwielichti­gen Ver­an­la­gun­gen und Prak­tiken. Ich mache es nicht. Es macht keine Freude. Und auch hier sei mir abso­lut ferne, die oben präsen­tierten Hal­tun­gen im Dun­stkreis des «Jour­nal of Sex Research» den Ver­fassern der empir­i­ca-Studie anhän­gen zu wollen. Den­noch muss die Frage erlaubt sein: Aus was für Quellen schöpft die Studie ihr Wass­er? Und was soll man mit ein­er ‘christlichen’ Studie anfan­gen, welche auf dieses Jour­nal ver­weist, als ob man in ihr nur objek­tive Wis­senschaft find­en würde?

Die Stu­di­en­ver­fass­er haben sich bekan­ntlich sehr dafür inter­essiert, was in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten alles so geschrieben wurde. Wo es um christliche Lit­er­atur geht, haben sie Büch­er mit Erstau­fla­gen in den 80ern oder gar späten 70ern aus­ge­graben. Sie wer­den nicht müde diese Büch­er zu kri­tisieren, weil sie ihrer kon­ser­v­a­tiv­en Sex­u­alethik eine schädi­gende Wirkung beimessen, welche sich bis in unsere Tage auswirkt. Aber es scheint sie her­zlich wenig zu inter­essieren, was in der gle­ichen Zeit im Dun­stkreis des «Jour­nal of Sex Research», der wis­senschaftlichen Quelle ihrer Wahl, so alles propagiert und prak­tiziert wurde. Wenn christliche Sex­u­al­lit­er­atur der ver­gan­genen Jahrzehnte tox­isch gewe­sen sein soll, was ist dann mit den unzäh­li­gen Leichen in den Kellern der sex­uellen Rev­o­lu­tionäre, auf welche die Ver­fass­er der empir­i­ca-Studie ihre Forschung stützen?

Albert Ellis: Religion als Krankheit

Eine weit­ere inter­es­sante Tiefen­bohrung in das «Jour­nal of Sex Research» führt uns zur Grün­der­fig­ur der Zeitschrift und ihrer Fachträger­schaft. Es han­delt sich um den Psy­chother­a­peuten Albert Ellis. Albert Ellis, ein ‘Gross­er’ der sex­uellen Rev­o­lu­tion, war Autor von fast 70 Büch­ern. Er war Empfänger viel­er Ausze­ich­nun­gen und wird in einem Atemzug mit den grössten Namen der Psy­chother­a­pie genan­nt. Er hat die ratio­nal-emo­tive Psy­chother­a­pie begrün­det. [44]

Ellis war ein lei­den­schaftlich­er Ver­fechter der sex­uellen Rev­o­lu­tion. Seine Best­seller hiessen beispiel­sweise «Sex With­out Guilt» («Sex ohne Schuldge­füh­le», 1958) oder «If this be Sex­u­al Heresy» («Und wenn dies sex­uelle Ket­zerei wäre», 1963). Nicht nur bei den Titeln, son­dern auch bei den Unter­titeln sein­er Büch­er bewies er Fan­tasie. Zum Beispiel: «The Book that Crum­bles the Walls of Puri­tan and Vic­to­ri­an Sex­u­al Moral­i­ty.». Auf Deutsch: «Das Buch, das die Mauern der puri­tanis­chen und vik­to­ri­an­is­chen Sex­ual­moral zum Ein­sturz bringt.»

Sex ohne Schuldge­füh­le war auch in im Pri­vatleben von Albert Ellis Pro­gramm: une­he­liche Kinder und offene Beziehun­gen prä­gen das Bild.

Ellis betra­chtete das Recht auf so viel unge­hin­derten Sex wie gewün­scht als das Grun­drecht jedes men­schlichen Wesens. [45] Diesem Grun­drecht standen die üblichen Verdächti­gen im Weg: Die Reli­gion mit damit ver­bun­de­nen sozialen Tabus und Geset­zen. Er war ein hinge­bungsvoller Athe­ist. Im Jahre 1971 wurde er in den USA zum Human­is­ten des Jahres gewählt, und im Jahr 1973 gehörte er zu den Unterze­ich­n­ern des radikalen zweit­en Human­is­tis­chen Man­i­festes. [46] Ein beze­ich­nen­der Satz aus diesem Manifest:

«Keine Got­theit wird uns ret­ten; wir müssen uns selb­st ret­ten.» [47]

Ellis ste­ht wie wohl kein ander­er für die Pathol­o­gisierung des Glaubens in der Gilde der Sex­olo­gen im aus­ge­hen­den zwanzig­sten Jahrhun­dert. Reli­giosität war für ihn eine Form von psy­chis­ch­er Erkrankung, die geheilt wer­den muss. Nach­fol­gend einige Muster­sätze aus seinem Artikel «The Case Against Reli­gios­i­ty» («Der Fall wider die Reli­giosität»), geschrieben für seine Rede am zehn­ten amerikanis­chen athe­is­tis­chen Kongress:

«Wenn die These dieses Artikels richtig ist, geht Reli­gion Hand in Hand mit den grundle­gen­den irra­tionalen Überzeu­gun­gen der Men­schen. Diese hal­ten sie abhängig, ängstlich und feind­selig und schaf­fen und erhal­ten dadurch ihre Neu­rosen und Psy­cho­sen.» [48]

«Reli­giosität ist im Wesentlichen zu einem großen Teil Masochis­mus, und bei­des sind For­men psy­chis­ch­er Erkrankun­gen.» [49]

«Die ratio­nal-emo­tive Psy­chother­a­pie […] ent­pro­pa­gan­disiert den Patien­ten aktiv und lehrt ihn, wie die höchst irra­tionalen und im Wesentlichen aber­gläu­bis­chen und religiösen Überzeu­gun­gen, die er von seinen Eltern und sein­er Kul­tur über­nom­men hat, gründlich bekämpft wer­den kön­nen, bis sie nicht mehr existieren.» [50]

Ein weit­eres Zitat aus einem sein­er Büch­er, «Sex and the Sin­gle Man» (1963), gibt ein stim­miges Bild in die Sex­u­alethik von Ellis. Darin gibt er einem alle­in­ste­hen­den Mann Rat, auf was dieser beim Ver­führen eines Mäd­chens zu acht­en habe:

«Solange du ver­suchst, ein Mäd­chen auf ehrliche und offene Weise zu ein­er sex­uellen Beziehung zu bewe­gen, und solange du ver­suchst, ihr dabei zu helfen, eventuelle Schuldge­füh­le zu über­winden, die möglicher­weise dadurch entste­hen […] ver­hältst du dich im eigentlichen Sinne des Wortes nicht unmoralisch.» [51]

Das Zitat macht klar, wo Ellis das eigentliche Prob­lem sah: in den Schuldge­fühlen. Diese sah er als eine Auswirkung tox­is­ch­er Reli­giosität. Eine Frau durfte ohne Gewis­sens­bisse ver­führt wer­den, wenn man ihr anschliessend beim Über­winden allfäl­liger Schuldge­füh­le zu helfen ver­suchte. Dann war die Unzucht in Ord­nung. Warum? Weil der alle­in­ste­hende Mann nur das ihm zuste­hende Recht auf Sex ver­wirk­licht hat. Deshalb kann laut Ellis von moralis­ch­er Ver­w­er­flichkeit keine Rede sein. Unmoralisch hinge­gen sei es, nicht beim Über­winden damit ver­bun­den­er Schuldge­füh­le zu helfen. Schuldge­füh­le gehörten bekämpft, bis sie «nicht mehr existieren».

Der wichtige Schritt in der Bekämp­fung der Schuldge­füh­le war dabei die Ein­sicht, Reli­giosität ins­beson­dere kon­ser­v­a­tiv­er Aus­prä­gung sei irra­tional, aber­gläu­bisch und krankmachend.

Porno und die lästigen Schuldgefühle

Nach der vor­ange­gan­gen his­torischen Tiefen­bohrung mag es nicht erstaunen, wenn gewisse Aus­sagen der Ver­fass­er der empir­i­ca-Studie irgend­wie nach Albert Ellis klin­gen. Nehmen wir zum Beispiel eine Aus­sage des Stu­di­en­leit­ers Tobias Kün­kler im Hos­sa-Talk Pod­cast zur empir­i­ca Studie. Die Pro­duzen­ten geben Kün­kler fol­gen­der­massen wieder:

«Porno-Kon­sum hat nur bei religiösen Men­schen deut­lich neg­a­tive Effek­te. Also nicht der Porno-Kon­sum an sich führt zu Schuldge­fühlen oder Unzufrieden­heit mit der eige­nen Sex­u­al­ität -[…]. Son­dern es ist die Reli­giosität, also das moralis­che und kul­turelle Fram­ing, das den Unter­schied macht. Wer in einem religiösen Umfeld aufgewach­sen ist, empfind­et beim The­ma Pornografie oft starke Schuldge­füh­le, ver­sucht es zu ver­heim­lichen – und genau das führt dann zu neg­a­tiv­en Fol­gen.» [52]

Die Abhand­lung von Kün­kler weist offen­sichtliche Par­al­le­len auf zur Diag­nose des Human­is­ten und Sex­u­al­rev­o­lu­tionärs Ellis:

Pornografie-Kon­sum an sich ist nicht unmoralisch.
Der Kon­sument ver­wirk­licht dabei nur sein Recht auf sex­uellen Genuss. [53]
Das eigentliche Prob­lem sind die Schuldge­füh­le, welche für den Betrof­fe­nen ‘neg­a­tive Fol­gen’ haben kön­nen und durch eine bes­timmte Form von religiös­er Prä­gung verur­sacht werden.

Die implizierte Botschaft ist klar: Wer seine bish­er gehal­te­nen religiösen Vorstel­lun­gen rev­i­diert, kann zu ein­er befre­it­en und genussvollen Form von Pornografie-Kon­sum durch­drin­gen, ohne die ‘neg­a­tiv­en’ Neben­wirkun­gen von Schuldgefühlen.

Dabei machen nicht nur Chris­ten auf­grund ihrer ethis­chen und moralis­chen Werte die Fest­stel­lung ein­er objek­tiv­en Bosheit des pornoin­dus­triellen Kom­plex­es und der tox­is­chen Wirkung von Pornografie-Kon­sum auf den Men­schen. Diese Fest­stel­lung machen auch säku­lare Forsch­er oder zahlre­iche fem­i­nis­tis­che Autorin­nen ohne Bezug zum Glauben. [54]

Die Ver­ant­wortlichen der empir­i­ca-Studie scheinen sich ihrer Sache aber sich­er zu sein. Sie haben auch eine Studie gefun­den, welche ihre Argu­men­ta­tion stützt:

«Eine US-amerikanis­che Studie zeigt, dass Pornokon­sum nicht per se zu neg­a­tiv­en Effek­ten, zum Beispiel zu ein­er gerin­geren sex­uellen Zufrieden­heit indi­vidu­ell oder in der Part­ner­schaft führt, son­dern dass dieser Effekt vor allem durch die Bew­er­tung und die Deu­tung zus­tande kommt.» [55]

Wen wun­dert es, dass die zitierte Studie im «Jour­nal of Sex Research» pub­liziert wurde?! [56] Die mod­erne Pornoin­dus­trie und die ‘fortschrit­tlichen’ Sex­u­al­wis­senschaftler ver­gan­gener Jahrzehnte pflegten seit jeher eine inten­sive ‘Bettge­mein­schaft’. Ira Reiss, 1980–1981 Präsi­dent des SSSS, find­et in seinen Mem­oiren beispiel­sweise nur lobende Worte für Hugh Heffn­er und sein Play­boy Mag­a­zin. [57] Kein Wun­der. Heffn­er set­zte ihn und andere sein­er Zun­ft ja auch gerne auf die Gästeliste sein­er freizügi­gen Par­ties. Heffn­er finanzierte gerne die wis­senschaftlichen Stu­di­en der dama­li­gen ‘Liebes-Dok­toren’. Natür­lich MUSS Porno harm­los sein. Natür­lich MUSS ein Chris­ten­tum, welch­es nicht den freizügi­gen Vor­gaben fol­gt, ‘krankmachend’ und ‘gefährlich’ sein.

An dieser ein­fachen Dar­legung wird die ide­ol­o­gis­che Brille der Stu­di­en­ver­fass­er sicht­bar. Wie weit sie sich dieser selb­st bewusst sind, weiss ich nicht. Aber sie haben sie an. Und sie scheint immer wieder wesentliche Fak­ten auszublenden zugun­sten des Nar­ra­tivs, auf das man sich fest­gelegt hat.

Fazit

Als Nach­fol­ger Jesu sollte ich immer bere­it sein, etwas zu ler­nen, Fehler einzuse­hen und Kor­rek­turen anzubrin­gen. Die Liebe erfreut sich an der Wahrheit (1Kor 13:6). Ich darf als Christ die Dinge ohne Angst prüfen und das, was sich als gut erweist, behal­ten. Diese bib­lis­che Maxime (1Thess 5:21–22) geht natür­lich auch mit der oft unter­schla­ge­nen Auf­forderung zusam­men, das Böse, in welch­er Form auch immer, zu iden­ti­fizieren und zu meiden.

Die vor­liegende Studie des Insti­tuts empir­i­ca gibt einen Ein­blick in ein Spek­trum an Erfahrun­gen, Empfind­un­gen und Lebensweisen von Men­schen, die sich als Chris­ten beze­ich­nen. Die Studie kann eine inter­es­sante Infor­ma­tion­squelle sein über das, was unter uns an Fra­gen, Erwartun­gen, Man­gelzustän­den, Verir­run­gen und auch Fehlhal­tun­gen Real­ität sind.

Wir soll­ten uns keine Illu­sio­nen machen: Nie­mand von uns, auch nicht kirch­liche Ein­rich­tun­gen oder christliche Fam­i­lien sind davor gefeit, im Bere­ich der Sex­u­al­ität in mancher­lei Hin­sicht zu scheit­ern, zu fehlen oder sich Frei­heit­en her­auszunehmen, die vom Glauben her kaum zu legit­imieren sind. Die per­sön­lichen biografis­chen Geschicht­en, welche die empir­i­ca Studie beglei­t­end pub­liziert hat, geben dazu Einblicke.

Wir soll­ten uns aber nicht von einem Nar­ra­tiv blenden lassen, das in ein­er kon­ser­v­a­tiv­en Sex­u­alethik die Wurzel allen Übels sieht. Die Beratungskolum­nen auch der säku­laren Presse machen sicht­bar, dass die Auflö­sung sex­ueller Nor­men nicht notwendi­ger­weise zu einem erfüll­ten Sex­u­alleben führt oder zu einem Dasein frei von Verklemmtheit und Neu­rose. Die Sprechz­im­mer christlich­er Seel­sorg­er sind rand­voll mit Men­schen, die nicht an den Ansprüchen ein­er christlichen Moral und Sex­u­alethik zu zer­brechen dro­hen, son­dern an den ver­heeren­den Fol­gen ihrer Nichtein­hal­tung. Diese Fol­gen sind seit ger­aumer Zeit auch der inhaltliche Fokus divers­er säku­lar­er Forschung­spro­jek­te und Pub­lika­tio­nen. [58] Die aktuelle Sex­u­al­studie schenkt solchen Aspek­ten kaum Beachtung.

Empirische Stu­di­en kön­nen uns inter­es­sante Ein­blicke geben und Zusam­men­hänge sicht­bar machen. Als Nach­fol­ger von Jesus möchte ich jedoch das, was ethisch richtig und falsch ist, nicht auf­grund empirisch­er Trends und Durch­schnittswerte berech­nen. Vielmehr ori­en­tiere ich mich an dem, was uns in Chris­tus und durch Gottes Wort als zeit­lose Wahrheit zugänglich ist (Joh 17:17). Dass diese Wahrheit mir einen Spiegel vorhält und her­beiführen kann, was die Stu­di­en­ver­fass­er eine «moralis­che Inkon­gruenz» nen­nen, ist eine Selb­stver­ständlichkeit (Heb 4:12).

Ich habe vor 15 Jahren als Vor­bere­itungsar­beit für eine grosse Jugend­ver­anstal­tung selb­st eine Studie zu Sex­u­al­ität­s­the­men unter freikirch­lichen Jugendleit­ern in der Schweiz durchge­führt. Mit 229 Per­so­n­en, die an der Umfrage teilgenom­men haben, liessen sich inter­es­sante Ein­sicht­en gewin­nen. In einem Inter­view mit einem Mag­a­zin erläuterte ich damals die zen­trale Erken­nt­nis mein­er Umfrage:

«Die zen­trale Erken­nt­nis ist, dass die meis­ten Jugendleit­er zwar hohe Ide­ale und Werte haben, diese aber nur mit Mühe in ihrer gelebten Real­ität umset­zen kön­nen.» [59]

Die empir­i­ca Studie nen­nt diese Real­ität «moralis­che Inkon­gruenz». Ich sprach damals von ein­er «Span­nung zwis­chen Ide­al und Real­ität». Wir hät­ten für diese Erken­nt­nis auch ein­fach die Bibel auf­schla­gen kön­nen (Röm 7:21–23).

Der Unter­schied zwis­chen mein­er dama­li­gen Studie und der aktuellen liegt ver­mut­lich darin, dass ich die offen­sichtlichen Span­nun­gen anders auflösen möchte als die Stu­di­en­ver­fass­er. Ich begebe mich lieber zu Jesus auf die Ther­a­piecouch, lasse mich von ihm diag­nos­tizieren und behan­deln. Span­nun­gen möchte ich mit der Bibel in der Hand, in der Kraft des Heili­gen Geistes und im Bewusst­sein der Gnade und Verge­bung Gottes als Lern­feld annehmen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ich in gewis­sen Fra­gen gnädi­ger mit mir werde und mich Gott und sein­er Kraft aus­lief­ere (2 Kor 12:9). Es kann aber auch bedeuten, dass ich den einen oder anderen Kampf entschlossen aufnehme (Kol 3:5).

Als Nach­fol­ger Jesu darf für mich die Wahrheit weit­er­hin darin beste­hen, dass die christliche Fam­i­lie und bib­lis­che Sex­u­alethik nicht das Prob­lem sind, son­dern eine Antwort auf die seit Men­schenge­denken beste­hen­den und aktuellen Störun­gen unser­er Kul­tur. Am Ende des Tages liegt in den Schätzen Gottes wesentlich mehr Hoff­nung und nach­haltige Kraft als in den modis­chen Weisheit­en ein­er aktuellen Forschungselite und ihren Rationalisierungen.


[1] https://www.idea.de/artikel/irrwege-der-liebe Aufgerufen am 17.11.2025

[2] https://www.idea.de/artikel/evangelikale-fachgesellschaft-geht-auf-distanz-zum-buch-von-dietz-und-faix Aufgerufen am 17.11.2025

[3] https://www.afet.de/ Aufgerufen am 17.11.2025

[4] Auf meine Rück­frage in einem Face­book-Post vom 31.10.2025 meinte Tobias Faix: «Und warum sollte ich aus der AfeT aus­treten?». Und weit­er: «[…] soll es für alle Mit­gliedsver­bände der Evan­ge­lis­chen Allianz einen per­sön­lichen Gesin­nung­stest geben?». Siehe: https://www.facebook.com/tobias.faix/posts/pfbid029HKM1NDabCfziNroAnjkRPbqmQ8VHMxa3VQB1hkoeC1AYjxVkHr6SHPu1g2GxgtSl Aufgerufen am 17.11.2025

[5] https://tobiasfaix.de/2025/10/stellungnahme-zu-der-rezension-irrwege-zur-liebe-von-paul-bruderer/ Aufgerufen am 17.11.2025

[6] https://blog.aigg.de/?p=7547 Aufgerufen am 17.11.2025

[7] Poste­van­ge­likalis­mus beschreibt eine Strö­mung ehe­ma­liger oder dis­tanziert­er Evan­ge­likaler, die viele tra­di­tionelle evan­ge­likale Überzeu­gun­gen hin­ter­fragt oder ver­lassen haben, aber oft noch an Gott glauben. Im deutschsprachi­gen Raum gel­ten Per­so­n­en wie Tobias Faix oder Thorsten Dietz als Iden­ti­fika­tions­fig­uren dieses aktuellen Phänomens.

[8] Unsere Geschichte mit Sex, S53

[9] Unsere Geschichte mit Sex, S114, 110, 225, 224, 205, 200, 193, 195, 165, 177

[10] Unsere Geschichte mit Sex, S115, 120

[11] Sex­u­al­ität und Glaube, S218-220

[12] Stu­di­en­ver­ant­wortliche wie Tobias Faix oder Tobias Kün­kler unter­stützen seit ger­aumer Zeit die Com­ing-In-Kon­feren­zen, welche die Nor­mal­isierung von LGBT+-Lebensweisen im kirch­lichen Kon­text zum Ziel haben.

[13] Vgl. Forschungs­bericht, S19

[14] Sex­u­al­ität und Glaube, Endorse­ments

[15] Sex­u­al­ität und Glaube, S11-15

[16] https://www.reflab.ch/hinter-der-schlafzimmertuere-fakten-zum-sexleben-frommer-christinnen/ Aufgerufen am 17.11.2025

[17] Auch die Autoren der vor­liegen­den Studie erwäh­nen die Kin­sey-Studie in ihrer his­torischen Abhand­lung. Was sie nicht erwäh­nen, sind die äusserst prob­lema­tis­chen Aspek­te, die ich in meinem Artikel aufgear­beit­et habe. Siehe: Unsere Geschichte mit Sex, S39

[18] Der Begriff stammt von Georg Jellinek (1851–1911), einem ein öster­re­ichisch-deutschen Staat­srechtler sowie Recht­sphilosoph. Jellinek erk­lärt, wie eine soziale Real­ität eine eigene Gel­tung entwick­elt. Was häu­fig getan wird (soziale Gewohn­heit­en), wird als gut und richtig ange­se­hen und erhält dadurch nor­ma­tive Kraft. Es ent­fal­tet mit der Zeit eine eigene Verbindlichkeit und wird von der Recht­sor­d­nung oder Gesellschaft als “richtig” und befol­gungswürdig anerkannt.

[19] Alfred Kin­sey, Wardell Pomeroy, Clyde Mar­tin, Sex­u­al Behav­ior in the Human Male, S3, meine Übersetzung

[20] Alfred Kin­sey, Wardell Pomeroy, Clyde Mar­tin, Sex­u­al Behav­ior in the Human Male, S3‑4, meine Übersetzung

[21] Vgl. James H. Jones, Alfred C. Kin­sey — A Pub­lic / Pri­vate Life, 1997, S619-620

[22] Die Autoren des Buch­es «Wege zur Liebe» (Tobias Faix und Thorsten Dietz) sowie die Ver­ant­wortlichen des Insti­tuts empir­i­ca bilden seit vie­len Jahren ein Geflecht inten­siv­er Zusam­me­nar­beit. Tobias Kün­kler, der die Studie an der CVJM-Hochschule ver­ant­wortet, ist gle­ichzeit­ig Mither­aus­ge­ber der Sex­u­alethik. Tobias Faix ist Rek­tor der CVJM-Hochschule und leit­ete das Insti­tuts empir­i­ca über viele Jahre.

[23] So soll an der beglei­t­en­den Fach­ta­gung von Anfang Okto­ber ein SCM-Ver­lagsvertreter offen erk­lärt haben, man müsse die Gemein­den dazu brin­gen, in der „Frage der Homo­sex­u­al­ität“ lib­eraler zu wer­den. Siehe: https://www.idea.de/artikel/sexualethik-wenn-forschung-theologie-ersetzt Aufgerufen am 17.11.2025. Wichtig: Nicht alle für den SCM-Ver­lag täti­gen Per­so­n­en ste­hen hin­ter der Studie. Mir sind per­sön­lich Men­schen bekan­nt, welche auf­grund der Studie ihr eigenes Wirken für den Ver­lag in Frage stellen, weil sie nicht dahin­ter­ste­hen kön­nen und die Entwick­lung als skan­dalös empfinden.

[24] Vgl. Zum Beispiel das im aktuelle DRAN Mag­a­zin, S58-61. Im Inter­view mit den Stu­di­en­ver­fass­er fall­en Sätze wie „Ich freu mich so über andere laute Stim­men in der christlichen Welt, die nicht nur vore­he­liche Absti­nenz proklamieren.” und „Wenn etwas als Gottes Wille und all­ge­me­ingültig ver­mit­telt wird, beste­ht keine Chance für Ander­sar­tigkeit und für eine gesunde Fehlerkul­tur. Vielle­icht steckt hier sog­ar die grössere Gefahr …”.

[25] Siehe der Artikel von Pfr. Carsten Hess mit dazuge­hörigem Brief an die SCM-Ver­lags­gruppe: https://www.vitamin-c-online.com/2025/10/sx-studie-25/

[26] Mein Wis­sens­stand am 08.12.2025 – 2 Monate nach Pub­lika­tion der Studie.

[27] So stellt Prof. Heinzpeter Hempel­mann in seinem Kom­men­tar in Frage, ob es tat­säch­lich gelun­gen ist, den gesamten Bere­ich der Hochre­ligiösen abzu­bilden. Es sei eine Bin­sen­wahrheit, dass die Methodik die Ergeb­nisse bee­in­flusst und mitbes­timmt. Vgl. Sex­u­al­ität und Glaube, S49.

[28] Vgl. die Erörterun­gen von Markus Till in seinem Artikel. Als jemand, der selb­st an der Umfrage teilgenom­men hat, kann ich die teils unklaren Fragestel­lun­gen bestätigen.

[29] Prof. Heinzpeter Hempel­mann. Siehe sein Kom­men­tar auf den Seit­en 48–50 von Sex­u­al­ität und Glaube.

[30] Hier als Beispiel ein Ein­blick aus der Schweiz aus dem Jahre 2016: https://www.swissinfo.ch/ger/studie-zeigt-grosse-unterschiede-im-sexualverhalten-auf/42608532, Aufgerufen am 08.12.2025. Die Stu­di­energeb­nisse gibt es hier: https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2020/12/BAG_Studienbericht_DE.pdf

[31] So ermit­telt eine Abfrage bei Gem­i­ni einen Medi­an­wert von 14.7 Sex­u­al­part­ner im Leben bei homo­sex­uellen Män­nern im Ver­gle­ich zu 7 Part­nern bei het­ero­sex­uellen Män­nern: https://gemini.google.com/share/33c44e3cdd41 . Sehr ähn­liche Ergeb­nisse ermit­telte die Studie «Sex in der Schweiz aus dem Jahre 2016: https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2020/12/BAG_Studienbericht_DE.pdf , Aufgerufen am 08.12.2025

[32] Vgl. Abbil­dung 89 im Forschungs­bericht: Auswer­tung „Mit wie vie­len Per­so­n­en hat­ten Sie schon Geschlechtsverkehr?“

[33] Eine ein­fache Anfrage bei Gem­i­ni bestätigt mas­sive Unter­schiede: https://gemini.google.com/share/21d60c24f305

[34] Vgl. die Reak­tion der Stu­di­en­ver­fass­er auf die Kri­tik von Markus Till (Vor­wurf 2): https://tobiasfaix.de/2025/12/antwort-auf-die-kritik-an-der-empirica-sexualitaetsstudie/  Aufgerufen am 07.12.25

[35] Wardell B. Pomeroy, Dr. Kin­sey and the Insti­tute for Sex Research, 1972, S286p, eigene Übersetzung

[36] Forschungs­bericht, S20

[37] https://sexscience.org/content.aspx?page_id=22&club_id=173936&module_id=406807

[38] Das Doku­ment kann unter fol­gen­dem Link herun­terge­laden wer­den: https://sexscience.org/content.aspx?page_id=22&club_id=173936&module_id=406807 Aufgerufen am 17.11. 2025, meine Übersetzung

[39] Das Doku­ment kann unter fol­gen­dem Link herun­terge­laden wer­den: https://sexscience.org/content.aspx?page_id=22&club_id=173936&module_id=406807 Aufgerufen am 17.11. 2025

[40] Wardell B. Pomeroy, Boys & Sex – A Long need­ed Mod­ern Sex­u­al Guide for Boys, 1968. S107, meine Übersetzung

[41] TIME Mag­a­zine, April 1980, S53, Attack­ing the Last Taboo – Researchers are lob­by­ing against the ban on incest, meine Über­set­zung

[42] Eine ein­sicht­sre­iche Biografie von John Mon­ey find­et sich hier: https://www.dijg.de/artikel/john-money-ein-aufklaererischer-forscher, Aufgerufen am 06.12.2025

[43] Albert Ellis, The Case against Reli­gios­i­ty, 1976, S14, meine Übersetzung

[44] https://de.wikipedia.org/wiki/Rational-Emotive_Verhaltenstherapie Aufgerufen am 17.11.2025

[45] Vgl. z.B. Albert Ellis, Sex with­out Guilt, 1966, S178, meine Übersetzung

[46]  Zu den Unterze­ich­n­ern gehörte auch Vern L. Bul­lough, 1981 bis 1983 Präsi­dent des SSSS. Das Man­i­festo kann unter fol­gen­dem Link nachge­le­sen wer­den: https://americanhumanist.org/what-is-humanism/manifesto2/, Aufgerufen am 08.12.2025

[47] https://americanhumanist.org/what-is-humanism/manifesto2/ Meine Über­set­zung, Aufgerufen am 17.11.2025

[48] Albert Ellis, The Case against Reli­gios­i­ty, 1976, S14, meine Übersetzung

[49] Albert Ellis, The Case against Reli­gios­i­ty, 1976, S7, meine Übersetzung

[50] Albert Ellis, The Case against Reli­gios­i­ty, 1976, S16, meine Übersetzung

[51] Zitiert aus: The Real­ist, Nr. 47, Feb 1964, S17, meine Übersetzung

[52] https://www.facebook.com/Hossa.Talk/posts/pfbid028PDwQhD5koGBySorK9YPLt3a82ak3atXUJCg6yt5jNYNfKR7X3LtN7qEz7U3FEJil, Aufgerufen am 17.11. 2025

[53] Die Stu­di­en­ver­fass­er berufen sich auf eine WHO-Richtlin­ie zur sex­uellen Gesund­heit, welche dem Men­schen «die Möglichkeit für lustvolle und sichere sex­uelle Erfahrun­gen» garantieren will. Vgl. Sex­u­al­ität und Glaube, S192/193

[54] z.B. Gary Wil­son, Your Brain on Porn: Inter­net Pornog­ra­phy and the Emerg­ing Sci­ence of Addic­tion, 2015; William M. Struthers, Wired for Inti­ma­cy: How Pornog­ra­phy Hijacks the Male Brain, 2009; eine kri­tis­che fem­i­nis­tis­che Per­spek­tive auf die Sym­biose von Pornoin­dus­trie und Sex­olo­gie gibt Beispiel­sweise Mea­gan Tyler, Sell­ing Sex Short: The Porno­graph­ic and Sex­o­log­i­cal Con­struc­tion of Women’s Sex­u­al­i­ty in the West, 2011

[55] Unsere Geschichte mit Sex, S147

[56] Grubbs, J. B. & Per­ry. S. L. (2018). Moral Incon­gru­ence and Pornog­ra­phy Use: A Crit­i­cal Review and Inte­gra­tion. The Jour­nal of Sex Research, 55(3),

[57] Vgl. Ira L. Reiss, An Insid­ers View of the Sex­u­al Sci­ence since Kin­sey, 2006, S52-55 oder auch Jan­ice M. Irvine, Dis­or­ders of Desire – Sex and Gen­der in Mod­ern Amer­i­can Sex­ol­o­gy, 1990, S80

[58] Zum Beispiel befasst sich um die Jahrtausende eine Langzeit­studie mit den ver­heeren­den Fol­gen von Schei­dun­gen auf Kinder. Siehe: Waller­stein, Judith S., The Unex­pect­ed Lega­cy of Divorce: A 25 Year Land­mark Study, 2001. Ein anderes Beispiel ist das Buch von Louise Per­ry, The Case Against the Sex­u­al Rev­o­lu­tion, 2022. Darin macht die Autorin eine Fun­da­mentalkri­tik der sex­uellen Rev­o­lu­tion und argu­men­tiert auf­grund sozi­ol­o­gis­ch­er Beobach­tun­gen für Monogamie und Treue.

[59] Das Inter­view wurde pub­liziert im Chrischona Panora­ma, im Früh­som­mer 2010

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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