Das Seoul-Statement der Lausanne Bewegung: ein Weckruf!

Lesezeit: 7 Minuten
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by Christian Haslebacher | 26. Sep. 2024 | 0 comments

Von Chris­t­ian Hasle­bach­er, Teil­nehmer Lau­sanne-Kongress 4 in Seoul 2024

«Let the Church declare and dis­play Christ togeth­er.» – Unter diesem Mot­to find­et vom 22. bis 28. Sep­tem­ber 2024 der vierte Lau­sanne-Kongress in Seoul statt. Die Seoul-Erk­lärung wurde in einem «Spir­it» ver­fasst, der in der ganzen Kon­ferenz spür­bar ist und der den Kirchen im deutschsprachi­gen Europa den Weg in die Zukun­ft weist.

Die Seoul-Erk­lärung (The Seoul State­ment — Lau­sanne Move­ment) schliesst sich an die Lau­san­ner Verpflich­tung (1974; eine der wichtig­sten und ein­flussre­ich­sten the­ol­o­gis­chen Erk­lärun­gen der let­zten hun­dert Jahre), das Mani­la-Man­i­fest (1989) und die Kap­stadt-Verpflich­tung (2010) an und bestätigt und aktu­al­isiert diese. Die Seoul-Erk­lärung ist mit 97 Para­grafen (§), die sich auf sieben Kapi­tel aufteilen, ziem­lich umfassend. Es würde sich lohnen, zu jedem der sieben Kapi­tel einen eige­nen Beitrag zu ver­fassen. Hier ein erster Ein­blick, der sich vor allem an den rich­tungs- und tak­t­geben­den Haup­tüber­schriften orientiert:

Das Grundprinzip: Die Kirche soll gemeinsam Christus bekannt und sichtbar machen.

«Let the church declare and dis­play Christ together.»

«Die Kirche soll gemein­sam Chris­tus bekan­nt und sicht­bar machen»: So lautet meine Über­set­zung des Grund­mot­tos der Kon­ferenz. Ich mag die Wort­wahl im Englis­chen: Declare (deklar­i­eren) umfasst Bedeu­tun­gen wie erk­lären und verkündi­gen. Es geht also um bedeu­tungsvolle Worte, mit denen wir Jesus bekan­nt machen wollen. Dis­play umfasst Bedeu­tun­gen wie zeigen und vor­leben. Es geht also darum, dass wir Chris­tus abbilden und sicht­bar machen dür­fen. Der Punkt ist dabei: Das Bekan­nt-Machen kommt nicht ohne das Sicht­bar-Machen aus und das Sicht­bar-Machen nicht ohne das Bekan­nt-Machen. Es braucht bei­des. Keine Ein­seit­igkeit ist hil­fre­ich. Denn je frucht­bar­er und schön­er wir das Eine tun, desto frucht­bar­er und schön­er wird uns auch das Andere gelingen!

Diese Pole, zwis­chen denen wie bei ein­er Bat­terie die Energie liegt, wer­den auch in den Titeln der Kapi­tel aufgenommen:

Das Evangelium: Die Geschichte, die wir leben und erzählen

«The gospel: the sto­ry we live and tell»

Ich ver­ste­he darunter: Wir sind als Kirche gemein­sam berufen, das Evan­geli­um als epochales Nar­ra­tiv zu erzählen und unsere Mit­men­schen einzu­laden, selb­st Teil davon zu wer­den. Wie kön­nten wir dann anders, als dieses Evan­geli­um im All­t­ag sicht­bare Real­ität wer­den zu lassen?

Die zen­trale Botschaft des Evan­geli­ums ist das Reich Gottes und Jesu Men­schw­er­dung, Tod, Aufer­ste­hung, himm­lis­che Ver­her­rlichung und zukün­ftige Wiederkehr. Gott bietet uns Verge­bung, seinen Heili­gen Geist und das ewige Leben (§ 18).

Wir schä­men uns nicht, an dieses kraftvolle Evan­geli­um zu glauben (Röm 1,16). Wie an der Kon­ferenz mehrmals unter­strichen wurde: «Ver­fol­gung wird die Gemeinde nicht umbrin­gen, ein ver­fälscht­es Evan­geli­um schon.» («Per­se­cu­tion nev­er kills the church, but a com­pro­mised gospel will.»)

Wir wollen das Evan­geli­um durch unser Dasein (pres­ence), unser Tun (prac­tice) und unser Reden bezeu­gen (procla­ma­tion; § 16). Auf­grund unseres Glaubens sor­gen wir uns umeinan­der und um Gottes Schöp­fung und set­zen uns für Gerechtigkeit ein. Wir wollen ein Leben führen, das von Frieden und Dien­st­bere­itschaft geprägt ist (§ 15).

Die Bibel: Die Heiligen Schriften, die wir lesen und befolgen

«The bible: the holy scrip­tures we read and obey»

Ich ver­ste­he darunter: Wir lesen die Bibel als unsere Heilige «Ver­fas­sung» und «Saga», die uns Wurzeln und Zuver­sicht ver­lei­ht und inspiri­ert. Wie kön­nten wir dann anders, als unser Leben an diesen Heili­gen Schriften auszurichten?

Die bib­lis­chen Texte müssen in ihrem his­torischen Hin­ter­grund, ihrer lit­er­arischen Gat­tung und ihrem gesamt­bib­lis­chen Kon­text ver­standen wer­den (§ 20), als autorisiertes Zeug­nis der Apos­tel (§ 22) und in Übere­in­stim­mung mit den Beken­nt­nis­sen der Alten Kirche, aus deren Hand wir die Bibel haben (§en 24 und 25). Die Bibel ist Gottes Wort in men­schlichen Worten (§ 17).

Die Kirche: Das Volk Gottes, das wir lieben und aufbauen

«The church: the peo­ple of God we love and build up»

Ich ver­ste­he darunter: Wir glauben an die Kirche und ihr Poten­zial. Wie kön­nten wir dann anders, als diese Kirche aufzubauen und in ihre Blühte hineinzufördern?

Die Kirche hat den Auf­trag, Men­schen in die Jesus-Nach­folge einzu­laden und darin zu fördern. Dies kann dort geschehen, wo die Gegen­wart Christi uns erfüllt (Christ-filled pres­ence), wo Chris­tus im Zen­trum ste­ht (Christ-cen­tred procla­ma­tion) und wo wir chris­tus­gemäss leben (Christ­like prac­tice; § 43).

Die Gemeinde ste­ht vor realen Her­aus­forderun­gen, Ablehnung und Ver­fol­gung (die Kon­ferenz wid­mete der ver­fol­gten Kirche einen ganzen Tag) von aussen und noch bedrohlicheren Gefahren von innen (§ 33). Es ist zu bekla­gen, dass die Kirche lei­der allzu oft Ver­lock­un­gen der poli­tis­chen Macht, der kul­turellen Anerken­nung und der Vergnü­gun­gen der Welt erlegen ist und dadurch ihren Auf­trag, Gottes sicht- und hör­bares prophetis­ches Zeug­nis in der Welt zu sein, tor­pediert hat (§ 35).

Der Mensch: Als Ebenbild Gottes geschaffen und wiederhergestellt

«The human per­son: the image of God cre­at­ed and restored»

Ich ver­ste­he darunter: Wir erken­nen in jedem Men­schen seine unan­tast­bare Würde als das Eben­bild Gottes. Wie kön­nten wir dann anders, als die Men­schen den Weg zur Wieder­her­stel­lung zu weisen, wo sie sich neu aufricht­en dürfen?

Diese Wieder­her­stel­lung bet­rifft alle Aspek­te des Men­sch­seins, wie die Würde des Men­schen auch in allen Bere­ichen ver­let­zt wer­den kann. Auf­grund der speziellen Sen­si­bil­itäten in der heuti­gen Gesellschaft (§ 67) geht die Erk­lärung ver­tieft darauf ein, dass die in der Bibel beschriebene Würde des Men­schen ver­let­zt wird, wo sex­uelle Prak­tiken ausser­halb der Ehe zwis­chen Mann und Frau geschehen (§ 60, 61 und 68). Alle Orts­ge­mein­den sind aufgerufen, Sin­gles und Ver­heirateten ihre Herzen zu öff­nen, sie in ihre per­sön­lichen Gemein­schaften zu inte­gri­eren und dadurch Net­zw­erke gegen­seit­iger Ermu­ti­gung, Förderung und prak­tis­ch­er Unter­stützung zu sein (§ 66).

Die Nachfolge: Unsere Berufung zur Heiligkeit und unser Auftrag als göttliche Delegation in dieser Welt

«Dis­ci­ple­ship: our call­ing to holi­ness and mis­sion» [auf Englisch mehrdeutig]

Ich ver­ste­he darunter: Wir fol­gen Gottes unfass­bar­er Ein­ladung, zu seinem «Team» zu gehören und ein Leben führen zu dür­fen, das ihm gewei­ht ist. Wie kön­nten wir dann anders, als unser Leben voll Freude und Lei­den­schaft in Gottes Dienst zu stellen?

Die Begriffe «Chris­ten und Christin­nen» und «Jünger und Jün­gerin­nen» beziehungsweise «Nach­fol­ger und Nach­fol­gerin­nen» sind gle­ichbe­deu­tend (Apg 11,26). Die Gemeinde ist keine fromme Even­tor­gan­i­sa­tion, son­dern ein «Nach­folge-Kollek­tiv».

Nach­fol­gende von Jesus sind Men­schen, die durch das Evan­geli­um so geprägt wer­den, dass sie mit ihrem Leben Gott und ihre Mit­men­schen lieben. Bei­des (§ 71). Nach­fol­gende von Jesus verkündi­gen die gute Nachricht und engagieren sich in ein­er zer­broch­enen Welt. Bei­des (§ 73).

Die Nationen: Wir nehmen die Konflikte zwischen Völkern wahr und setzen uns für Frieden ein

«The fam­i­ly of nations: the peo­ples in con­flicts we see and serve for peace»

Ich ver­ste­he darunter: Jesus liebt und ruft jeden Men­schen gle­ich wie dich und mich, unab­hängig davon, zu welchem Volk, Eth­nie, Kul­tur, Milieu, Bil­dungs- und Einkom­menss­chicht er gehört. Wie kön­nten wir dann anders, als uns für Ver­söh­nung und faire Chan­cen für alle einzusetzen?

Die Jesus-Leute müssen Men­schen des Friedens sein, denn das Evan­geli­um ist die Botschaft der Ver­söh­nung zwis­chen Gott und Men­schen und zwis­chen Men­schen (Kapi­tel VI). Es ist falsch, zu Unrecht zu schweigen, sich hin­ter apathis­ch­er Neu­tral­ität zu ver­steck­en (§ 83) oder sich gar daran zu beteili­gen (§ 85).

Gemein­den sind berufen, mul­ti­kul­turelle Orte zu sein, die Ver­söh­nung zwis­chen Men­schen ver­schieden­er Herkün­fte vor­leben (§ 87).

Die technische Entwicklung: Die zunehmende Innovation, die wir entdecken und verantwortlich damit umgehen

«Tech­nol­o­gy: the accel­er­at­ing inno­va­tion we dis­cern and steward»

Ich ver­ste­he darunter: Schon in bib­lis­chen Zeit­en wur­den tech­nis­che Mit­tel ver­wen­det, um Gottes Sache voranzutreiben (z.B. eine Stein­schleud­er, Schiffe und Briefe). Wie kön­nten wir dann anders, als tech­nis­che Inno­va­tio­nen ver­ant­wor­tungsvoll zu gebrauchen, um unseren Auf­trag in dieser Welt zu unterstützen?

Es ist eine Tat­sache, dass tech­nis­che Mit­tel auch für destruk­tive Ziele einge­set­zt wur­den und wer­den (§ 89). Manche Men­schen zeigen beispiel­sweise Suchtver­hal­ten bezüglich dig­i­taler Medi­en (§ 92).

Die Kirche ist aufgerufen, die heuti­gen tech­nis­chen Möglichkeit­en in Ver­ant­wor­tung vor Gott und den Men­schen zu nutzen (§ 95), um Men­schen mit dem Evan­geli­um zu erre­ichen (§ 97) und in der Jesus-Nach­folge zu fördern (§ 92 und 96).

Von der Lausanne-Bewegung zur deutschsprachigen Jesus-Bewegung!

Was wäre möglich, wenn die Chris­ten­heit des deutschsprachi­gen Europas gemein­samer, freud­voller und mutiger Chris­tus bekan­nt und sicht­bar machte, indem sie das Evan­geli­um weit­er­erzählt und lebt, die Bibel liest und befol­gt, die Kirche liebt und auf­baut, die Men­schen als Gottes Eben­bild behan­delt und fördert, als Jesu Nach­fol­gende Gott und den Men­schen dient, sich weltweit und inner­halb der Kirchen­mauern für Ver­söh­nung zwis­chen Men­schen ver­schieden­er Herkün­fte ein­set­zt und die aktuellen tech­nis­chen Möglichkeit­en nutzt, um Men­schen mit dem Evan­geli­um zu erre­ichen und im Glaubensleben zu fördern?

Dies wäre ein inspiri­eren­der Aus­druck davon, dass wir wirk­lich an die Einzi­gar­tigkeit von Chris­tus, die Schön­heit und Kraft des Evan­geli­ums, die Inspi­ra­tion der Bibel, das Poten­zial der Kirche, die Würde aller Men­schen, Jesu gle­ich­starke Liebe zu allen und tech­nis­chen Chan­cen unser­er Zeit glauben. Fehlt uns solch­er Glaube? Wenn nicht, dann lasst uns um Gottes Willen eine Bewe­gung sein! Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine solche Bewe­gung keine Ausstrahlung auf unser säku­lares Umfeld hätte. Und das Christ­sein würde auch uns selb­st mehr «Spass» machen!

Zu guter Let­zt endet das Seoul-State­ment mit den Worten:

Hilf uns, oh Gott, das beten wir im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

«Help us, O God, we pray, in the name of the Father, the Son, and the Holy Spirit.»

Es ist die Rede von der betenden Abhängigkeit von Gottes Geist­wirken (Con­clu­sion) als Voraus­set­zung dessen, was dieses State­ment der Kirche ans Herz legt. Oder wie im Rah­men der Kon­ferenz gesagt wurde: «Du kannst (erst) mehr tun als beten, nach­dem du gebetet hast, aber du kannst nicht mehr tun als beten, bis du gebetet hast.» («You can do more than pray after you have prayed but you can­not do more than pray until you have prayed.» S. D. Gordon)

Soweit ein kurz­er Gruss aus Seoul. Ihr seid ein­ge­laden, die Erk­lärung selb­st zu lesen (zir­ka 24 DIN-A4-Seit­en) und euch eure eige­nen Gedanken und Entschei­dun­gen zu machen (The Seoul State­ment — Lau­sanne Move­ment).


Bilder: Chris­t­ian Hasle­bach­er / Lausanne

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