Aquileia 1/4 — Eine Metrople im Umbruch

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Da ste­ht er, der gute Hirte. Auf sein­er Schul­ter ein verir­rtes Schaf. In der Hand die Hirten­flöte. Das Lamm zu seinen Füssen hat den Blick fest auf den Hirten gerichtet, von dem er Ori­en­tierung und Schutz erwartet. Nach 1400 Jahren der Vergessen­heit wurde Anfang des 20. Jahrhun­derts der wun­der­schöne Mosaik­bo­den der frühchristlichen Basi­li­ka von Aquileia wieder­ent­deckt und freigelegt. Doch ver­steckt unter dem Schutt von Zeit und Geschichte war der gute Hirte immer da — ein Sinnbild für Gottes Wirken in unsicheren Zeiten.

Die angenehme Seite mein­er Pro­jek­tleit­ertätigkeit für ein gross­es kirch­lich­es Ferien­pro­jekt ist, dass ich immer wieder auf der Suche nach span­nen­den Aus­flugsmöglichkeit­en bin. So 2018 in der nordi­tal­ienis­chen Region Friuli. Hier bietet die unter UNESCO-Schutz ste­hende Ruinen­stadt Aquileia span­nende Ein­blicke in längst ver­gan­gene Zeit­en. Was heute nur ein weit­eres ver­schlafenes Dorf abseits der grossen Touris­ten­ströme ist, war zur Zeit des römis­chen Reichs die viert­grösste römis­che Metro­pole auf ital­ienis­chem Boden.

Aquileia zu römis­chen Zeit­en — 3‑D Animation

Die Über­reste Aquileias erzählen die Geschichte von Auf­stieg und Zer­störung ein­er Stadt, von ein­er Kirche, die sich in den Wirren der Zeit bewähren musste und von erstaunlichen Men­schen wie Rufin von Aquileia, die inmit­ten gross­er poli­tis­ch­er und gesellschaftlich­er Umwälzun­gen Geschichte geschrieben haben. 

Diesen Geschicht­en möchte ich mit ein­er vierteili­gen Serie nach­spüren. Ich bin kein His­torik­er. Aber Geschichte im All­ge­meinen und Kirchengeschichte im Spez­i­fis­chen haben mich schon immer inter­essiert — ver­gan­gene Geschichte kann uns etwas für unsere Gegen­wart und Zukun­ft lehren.

Der Ein­blick in die vor­liegen­den Geschicht­en aus Aquileia ist für mich umso reizvoller, als sie Welt- und Kirchengeschichte abseits des Main­streams ist. Wer inter­essiert sich schon für eine vergessene Ruinen­stadt wie Aquileia, wenn es grössere und viel bess­er erhal­tene antike Städte gibt? Wen inter­essiert schon ein The­ologe der ‘zweit­en Garde’ wie Rufin, wenn es da auch die Cham­pi­ons-League der Kirchen­väter gibt? Nun, ich bin selb­st aktiv­er Zeuge ein­er christlichen Prov­inz-Jugen­dar­beit gewe­sen, welche sich vor 20 Jahren zu ein­er beacht­enswerten erweck­lichen Bewe­gung unter jun­gen Men­schen entwick­elte. Erstaunlich­es geschieht manch­mal an unschein­baren Orten. Und auch die zweite Garde der Geschichte kann von Bedeut­samkeit sein. In diesem Sinne möchte ich einen Ein­blick in einen span­nen­den und lehrre­ichen ‘Neben­schau­platz‘ der Geschichte geben. Neben diesem Artikel wer­den noch fol­gende 3 Artikel pub­liziert werden:

Aquileia 2/4 — Rufin der Missionar
Aquileia 3/4 — Das Beken­nt­nis von Aquileia
Aquileia 4/4 — Die Irrlehren von Aquileia


Das ehe­ma­lige Forum von Aquileia. Bild: Peter Bruderer

Die unbekannte Weltmetropole

Aquileia. Was heute ein ver­schlafenes Prov­inznetz mit rund 3000 Ein­wohn­ern ist, ist zur Zeit der römis­chen Kaiser eine der grössten Metropolen auf ital­ienis­chem Boden. Rund 30’000 Men­schen leben damals in der Stadt, welche mit dem gesamten Spek­trum von römis­chen Prunk­baut­en und kul­turellen Ange­boten aufwarten kann. Forum, The­ater, Amphithe­ater und Zirkus prä­gen das Stadt­bild. Gewisse His­torik­er sprechen vom ‘zweit­en Rom’ der dama­li­gen Zeit.

Die Bedeu­tung der Stadt hat­te sich seit jeher aus ihrer strate­gis­chen Lage ergeben. Das war bere­its bei der Grün­dung der Stadt ums Jahr 186 v. Chr. so, als im Rah­men der Kel­tenkriege eine erste römis­che Kolonie zur Sicherung des Gebi­etes gegrün­det wurde. Am nördlich­sten Zipfel der Adria gele­gen war Aquileia der ide­ale Aus­gangspunkt für mil­itärische Feldzüge in die umkämpften Aussen­rän­der des Römis­chen Reich­es: Rich­tung Nor­den und Osten. Durch den Zugang zum Meer entwick­elte sich die Stadt zur wichtig­sten Hafen­stadt der Adria und zwis­chen­zeitlich zum wichtig­sten Stützpunkt für die römis­che Armee überhaupt.


Die nördliche Adria zu Zeit­en des römis­chen Reichs. Mit Aquileia als Knoten­punkt. Quelle: Dig­i­tal Atlas of the Roman Empire

Die Lage und Funk­tion der Stadt als Drehscheibe zwis­chen Alpen­raum, Balkan und ital­ienis­chem Her­z­land, die Verbindun­gen in den gesamten Mit­telmeer­raum durch die Schiff­fahrt und die Bein­flus­sung durch weit­gereiste römis­che Legionäre lassen auf ein von diversen kul­turellen Ein­flüssen geprägtes Leben schliessen. Hier tre­f­fen Römer auf Illyr­er, Ger­ma­nen und Slaven. Hier gibt es auch noch die ursprünglichen Wurzeln der keltischen Carni — Völk­er, welche durch die Römer nach Nor­den ver­drängt wor­den sind. Hier gibt es auch die unter Sol­dat­en beliebten Mys­te­rienkulte – deshalb kann heute unweit von Aquileia eine Mytras-Höh­le besichtigt werden.

Durch die rege Han­del­stätigkeit ist Aquileia eine wohlhabende Stadt. Glas­bläserei, Eisen­ver­hüt­tung und Schiff­bau sor­gen für weit­ere Ein­nah­men. Dies zeigt sich im gehobe­nen Aus­bau viel­er Gebäude. Ins­beson­dere die Kun­st der Mosaik­bö­den wird in Aquileia in Vol­len­dung gepflegt. Diese wun­der­voll gestal­teten Böden sind heute die eigentliche Attrak­tion für den Besuch­er der Ruinenstadt.

Von ihrer Grün­dung bis zu ihrer Zer­störung durch die Hun­nen im Jahre 452 durch­lebt die Stadt wech­sel­hafte Zeit­en. Wegen ihrer strate­gis­chen Bedeu­tung ist Aquileia ein ‘Objekt der Begierde’ im Wirrwarr der römis­chen Macht­spiele und der begin­nen­den Völk­er­wan­derung. So wird die Stadt immer wieder belagert, sei es durch fremde Volks­grup­pen, sei es im Rah­men innerrömis­ch­er Auseinan­der­set­zun­gen. Doch in den 600 Jahren bis zu ihrem Fall ver­mag nie­mand die Stadt zu erobern.


Basi­li­ka von Aquileia mit frühchristlichem Mosaik­bo­den aus dem 4. Jahrhun­dert. Bild: Peter Bruderer 

Eine aufstrebende Kirche

Das frühe Chris­ten­tum entwick­elt sich vor­wiegend ent­lang des römis­chen Strassen­net­zes. Diese ‘Auto­bah­nen’ von damals begün­sti­gen die schnelle Aus­bre­itung des christlichen Glaubens. Schon sehr früh soll so das Evan­geli­um das Urbane Zen­trum Aquileia erre­icht haben.

Der Leg­ende nach soll der Evan­ge­list Markus im Auf­trag von Petrus in Aquileia den neuen Glauben verkün­det haben. Der erste Bischof von Aquileia soll Her­mago­ras gewe­sen sein. Das römis­che Mar­ty­rologium (das amtliche Heili­gen­buch der katholis­chen Kirche) beschreibt sein Wirken und seinen Märtyrertod:

„In Aquileia der Tod des heili­gen Her­mago­ras, eines Schülers des heili­gen Evan­ge­lis­ten Markus: er war der erste Bischof dieser Stadt, heilte auf wun­der­bare Weise Krankheit­en, verkün­dete uner­müdlich die evan­ge­lis­che Wahrheit und bekehrte ganze Volksstämme; man hat­te schon ver­schiedene Strafen über ihn ver­hängt; zulet­zt wurde er mit seinem Diakon For­tu­na­tus enthauptet und kon­nte so tri­um­phierend in den Him­mel einziehen.“ Mar­ty­rologium

Schon in diesem Bericht wird sicht­bar, dass die Ver­bre­itung des Evan­geli­ums im Raume Aquileia nicht ohne Lei­den und grosse Opfer stat­tfind­et. Die Liste der Mär­tyr­er von Aquileia ist lange. Auch Hilar­ius von Aquileia, ein Nach­fol­ger von Her­mago­ras auf dem Bischof­s­sitz in Aquileia, wird 284 n. Chr. zu Tode gefoltert, nach­dem er sich weigerte, den hei­d­nis­chen Göt­tern in der Stadt Opfer zu brin­gen. Das Heili­gen­buch der Katholis­chen Kirche berichtet auch von 4 Frauen, Dorothy, Eras­ma, Euphemia und The­cia, welche im ersten Jahrhun­dert zum christlichen Glauben kon­vertieren und folge dessen gefoltert, geköpft und in den Fluss gewor­fen wer­den. Es bewahrheit­et sich, was der frühchristliche Schrift­steller Ter­tu­lian fest­gestellt hatte:

«Das Blut der Mär­tyr­er ist der Same der Kirche.» Ter­tu­lian, Apolo­geticum, ca 200 n. Chr.

Die Entwick­lung der frühchristlichen Gemeinde ist wun­der­schön doku­men­tiert in der auf das zehnte Jahrhun­dert datierten Kryp­ta, welche der frühchristlichen Basi­li­ka von Aquileia angegliedert ist. Hier wer­den die Beru­fung von Markus, die Ein­set­zung von Her­mago­ras, dessen Enthaup­tung und auch der Tod des Diakons For­tu­na­tus in wun­der­baren Bildern dargestellt und die Reliquien der Mär­tyr­er For­tu­na­tus und Her­mago­ras aufbewahrt.


Cryp­ta der Basi­li­ka von Aquileia. Bild: Peter Bruderer 

Das Patri­ar­chat von Aquileia entwick­elt sich zum Aus­gangspunkt für die Aus­bre­itung des Evan­geli­ums weit über die Region hin­aus, ins­beson­dere in den nördlich gele­ge­nen Alpen­raum hinein. Die bekan­nte Basi­li­ka, deren Ursprünge auf das frühe vierte Jahrhun­dert datiert wer­den, zeugt mit ihrem berühmten Mosaik­bo­den auch heute noch vom Glanz ein­er Zeit, in der das Evan­geli­um von Aquileia aus weit hin­aus in die umliegen­den hei­d­nis­chen Völk­er getra­gen wird.

Doch die Händler und Sol­dat­en, welche der Stadt Aquileia Wohl­stand brin­gen, sor­gen auch für eine Vielzahl an weltan­schaulichen und religiösen Konzepten. Dementsprechend entwick­elt sich Aquileia zu einem Bren­npunkt der Reli­gio­nen und christlichen Son­der­lehren. Ger­ade der nahegele­gene Balkan sollte immer wieder ein Hotspot wer­den für christliche und nicht christliche Son­der­lehren. In diesem ‘Nie­mand­s­land’ zwis­chen den östlichen und west­lichen Zen­tren der Macht etablierten sich immer wieder häretis­che Glauben­srich­tun­gen – man sprach in späteren Jahrhun­derten auch von einem soge­nan­nten ‘refugium heareti­co­rum’, einem Zuflucht­sort für Irrlehren.

Die Kirche der ersten Jahrhun­derte sieht sich in Aquileia kon­fron­tiert mit Gnos­tis­chen Glaubens­for­men und Mys­te­rienkul­ten. Im vierten Jahrhun­dert find­en die Auseinan­der­set­zun­gen um den Ari­an­is­mus in Aquileia einen Höhep­unkt. Diese Aus­prä­gung des Chris­ten­tums, welche 325 n. Chris­tus im Rah­men des Konzils von Nicäa durch die ver­sam­melten Häupter der Kirche verurteilt wird, sorgt auch in Aquileia für erhitzte Gemüter. An der Syn­ode von Aquileia um 381 n. Chr. wer­den unter der Leitung von Ambro­sius von Mai­land nochmals Weisun­gen im Zusam­men­hang mit dem Ari­an­is­mus erlassen. Es macht dur­chaus Sinn, dass der Ari­an­is­che Glaube in Aquileia ein­flussre­ich ist. Seine Grün­der­fig­ur ist Arius von Alexan­dria – Alexan­dria, die ägyp­tis­che Metro­pole, die durch regen Schiffsverkehr mit der nordi­tal­ienis­chen Hafen­stadt ver­bun­den ist.


Der ehe­ma­lige Flusshafen von Aquileia. Bild: Peter Bruderer 

Doch der Schiffsverkehr funk­tion­iert bekan­ntlich in bei­de Rich­tun­gen. Eine der Per­so­n­en, welche Aquileia in Rich­tung Alexan­dria ver­lässt, ist der Mönch, His­torik­er und The­ologe Rufin. Diese eher unbekan­nte, aber faszinierende Gestalt der Kirchengeschichte bereist Ägypten und den Ori­ent bis nach Mesopotamien. Bekan­nt wird er für seine Über­set­zun­gen von christlichen Schriften aus dem Griechis­chen ins Lateinis­che. In den weit­eren Artikeln werde ich mich mit ihm als Per­son und mit sein­er Ausle­gung des Apos­tolis­chen Beken­nt­niss­es befassen.

Das vierte Jahrhun­dert bringt, neben zunehmenden Frei­heit­en für die Chris­ten im Rah­men der Kon­stan­ti­nis­chen Wende, auch eine wach­sende Verquick­ung der Kirche mit der Poli­tik. Während die früheren Gen­er­a­tio­nen von Chris­ten für ihr Glaubens­beken­nt­nis oft einen hohen Preis bezahlen mussten, wird der christliche Glaube im vierten Jahrhun­dert zum tolerierten, dann geförderten und let­ztlich, im Jahr 380, zum staatlich verord­neten Glauben.

Dass das Chris­ten­tum der neue ‘Main­stream’ ist, sorgt auch für Gegen­reak­tio­nen. Kaiser Julian ‘der Apo­s­tat’, ein Neffe Kon­stan­tins, erlebt als Kind die Intri­gen am Kaiser­hof, sowie die Ermor­dung seines Vaters und seines älteren Brud­ers. Angewidert durch die unchristlichen Macht­spiele der christlichen Machthaber wird er zum erk­lärten Geg­n­er des Chris­ten­tums und ins­beson­dere des sich anbah­nen­den Staatschris­ten­tums. Von ihm ist der fol­gende Satz festgehalten:

«Die Men­schen sollen belehrt und gewon­nen wer­den durch Gründe der Ver­nun­ft und nicht durch Schläge, Schmähun­gen und kör­per­liche Strafen.» Das Chris­ten­tum der Antike, Kin­dle Pos 5087

Im Jahr 361 n. Chr. ste­ht Julian ‘der Apo­s­tat’ vor den Toren von Aquileia und belagert die Stadt. Doch auch der let­zte römis­che Kaiser, welch­er den christlichen Glauben zugun­sten des Hei­den­tums ablehnt, ver­mag den Wider­stand der Stadt nicht zu brechen.

In kirch­lichen Kreisen gewin­nt in dieser Zeit die monas­tis­che Bewe­gung zunehmend an Bedeu­tung. Auch diese muss als Reak­tion auf die zunehmende Ver­flech­tung des Chris­ten­tums mit dem Staat ver­standen wer­den. Die monas­tis­che Bewe­gung bot ihren Anhängern die Möglichkeit, den Glauben kon­se­quenter als die All­ge­mein­heit zu leben. Der Rück­zug ins asketis­che Leben war auch eine Antwort auf den zunehmenden gesellschaftlichen Zer­fall jen­er Zeit. Die monas­tis­che Bewe­gung, welche ihren Ursprung vor allem in den asketis­chen Bewe­gun­gen der Ostkirchen hat­te, gewin­nt auch im Raum Aquileia an Ein­fluss. Die Stadt entwick­elt sich zu einem der ersten west­lichen Zen­tren des Mönch­tums. Ein­er dieser Mönche ist Rufin von Aquileia.

Doch gegen Ende des vierten Jahrhun­derts ste­ht auch schon die näch­ste grosse Umwälzung bevor: die begin­nende Völk­er­wan­derung wirft ihre Vorschat­ten auf Stadt und Kirche.


Die Dre­it­eilige Basi­li­ka: Links die Haupt­basi­li­ka mit Turm, Rechts die achteck­ige Taufkirche, dazwis­chen die Hei­denkirche. Bild: Peter Bruderer

Zerstörung und Wiederaufbau

Nach den the­ol­o­gis­chen Wirrnissen der vorherge­hen­den Jahrzehnte erfreut sich die Kirche in Aquileia Ende des vierten Jahrhun­derts unter der Leitung von Bischof Chro­matius rel­a­tiv friedlich­er Zeit­en. Doch auf der poli­tis­chen Ebene brauen sich grosse Stürme zusam­men. Um 395 n. Chr. zer­bricht das römis­che Reich in ein west­lich­es und ein östlich­es Reich. Die Stadt Aquileia sieht sich zunehmend bedro­ht durch die Völk­er­wan­derung, welche auch mit Plün­derun­gen und Ver­wüs­tun­gen ver­bun­den ist. Die Bevölkerung zieht sich zurück in sicherere Gefilde, das heisst in das Lagunen­städtchen Gra­do, welch­es über einen natür­lichen Schutz ver­fügt und nicht auf der Hauptverkehrsachse in Rich­tung West­en liegt. Auch Bischof Chro­matius zieht sich nach Gra­do zurück, wo er unge­fähr 406 n. Chr. stirbt.

Während die ersten grossen Völk­er­wan­derungszüge noch mehrheitlich aus chris­tian­isierten Völk­ern wie den Lan­go­b­ar­den und West­goten beste­hen, welche auf die Zer­störung der Kirchenge­bäude verzicht­en, bringt der Sturm der Hun­nen unter Atti­la im Jahre 452 die radikale Ver­wüs­tung und Zer­störung der Stadt mit sich. Sie sollte sich nie mehr erholen, auch die Kirche sollte nie wieder mit der ver­gle­ich­baren Ausstrahlung von Aquileia aus Wirken, wie sie es zu ihrer Blütezeit getan hatte.

Trotz­dem rafft man sich in den darauf­fol­gen­den Zeit­en wieder auf. Ein Zeuge des Wieder­auf­baus ist die Kirche von Aquileia, wie sie uns heute in ihrer ganzen Schön­heit begeg­net. Diese doku­men­tiert mit ihrer Dre­it­eilung in Basi­li­ka, Hei­denkirche und Bap­tis­teri­um, wie die Kirche unter anderem auf die Her­aus­forderung des ‘Mainstream’-Christentums reagierte. Lesen wir in den neutes­ta­mentlichen Bericht­en noch von ‘Spon­tan­ta­ufen’ (Apg 8:36–37, Apg 10:47), so hat sich schon sehr bald eine Kul­tur etabliert, Men­schen erst in einem Kat­e­ch­ese-Unter­richt zu schulen, bevor man sie taufte und als Mit­glieder der christlichen Gemeinde auf­nahm. Dieser Prozess der Jünger­schaft und the­ol­o­gis­chen Basis­bil­dung ist an der Kirche in Aquileia ganz konkret an den drei ver­schiede­nen, zusam­menge­baut­en Gebäu­den ersichtlich. Angesichts der Tat­sache, dass es ab dem vierten Jahrhun­dert auch Vorteile bietet, Christ zu wer­den, und des Umstandes, dass am christlichen Glauben inter­essierte Men­schen auch hei­d­nis­che Bräuche und Son­der­lehren mit im Gepäck haben, macht ein vor­sichtiges Vorge­hen bei der Auf­nahme von Kirchen­mit­gliedern ein­deutig Sinn. Dieses Vorge­hen bei der Auf­nahme von Kirchen­mit­gliedern sollte auch uns ver­an­lassen, uns Gedanken zu machen über unsere Hand­habung von Taufe und Jünger­schaft – auch Gedanken über unsere Prax­is von Mis­sion, die ja von unser­er Vorstel­lung des Ver­hält­niss­es Kirche/Welt abhängig ist. For­men und Wege der Glaubensverkündi­gung und ‑ver­mit­tlung kön­nen – ja müssen – sich wan­deln, je nach­dem in welch­er Sit­u­a­tion sich Kirche und Gesellschaft befind­en. Die Sub­stanz des Glaubens aber bleibt dieselbe, welche Jesus seinen Jüngern anbe­fohlen hat­te (Mt 28:18–20).

In Aquileia begeg­net uns Geschichte mit ihrer vollen Wucht: Auf­stieg, Glanz, Macht, Zer­störung, Flucht und Neuan­fänge ein­er Stadt lassen sich sicht­bar an den Steinen der Ruinen­stadt nachvol­lziehen. Und genau­so reden die Steine der christlichen Basi­li­ka zu uns. Mit ihrem Mosaik­bo­den, welch­er als grösstes altkirch­lich­es Mosaik in Ital­ien gilt, erin­nert sie an die reiche christliche Kul­tur des vierten Jahrhun­derts mit ihrer ganzen Strahlkraft. Vor hun­dert Jahren wurde dieser Boden wieder freigelegt. Sie ist das stein­erne Zeug­nis eines lebendi­gen Gottes, der seine Gemeinde auch in den Umbrüchen der Zeit erhält und bewahrt. Auch drama­tis­che Ereignisse bedeuten nicht das Ende für die christliche Gemeinde, son­dern höch­sten der Über­gang in eine näch­ste Phase. Der let­zte Garant der Kirche ist nicht der Men­sch, son­dern der Gute Hirte selb­st, der ver­sprochen hat: «Ich will meine Kirche bauen!» (Vgl. Mt 16:18). Er tat es damals. Er tut es auch heute in den Umwälzun­gen und Her­aus­forderun­gen unser­er Zeit!


Die Taufkirche aus der Zeit von Bischof Chro­matius, Ende 4. Jahrhun­dert. Bild: Peter Bruderer

Schlussbemerkungen

Ich bin nicht His­torik­er, son­dern schreibe lediglich als his­torisch inter­essiert­er Laie. Jahreszahlen und Zahle­nangaben sind mit der nöti­gen Vor­sicht zu geniessen; biografis­che und geschichtliche Ereignisse wer­den in der Lit­er­atur zum Teil abwe­ichend voneinan­der dargestellt. Hier noch einige Recourcen welche mir geholfen haben:

  • Diese umfan­gre­iche Doku­men­ta­tion der Aquileia-Stiftung gibt wertvolle Ein­blicke in die Geschichte der Stadt und Kirche
  • Chris­ten­tum in der Antike, das erste Kirchengeschichts­band meines ver­stor­be­nen Lehrers Peter H. Uhlmann gibt einen ver­ständlichen Ein­blick in die ersten Jahrhun­derte der Kirchengeschichte, mit einem beson­deren Augen­merk auf dis­si­dente Bewegungen.
  • Armin Sier­szyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 1
  • Aquileia-Geschichte Kun­st Archäolo­gie, Bruno Fachin Hrsg.
  • Aquileia Mosaici, Bruno Fachin Hrsg.
  • Aquileia, Die Basi­li­ka, Ein Kurzführer, Schnell + Steiner

 

Gren­zen­lose Begeis­terung bei den Kids! Bild: Peter Bruderer

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Titel­bild: Peter Bruderer

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