Aquileia 1/4 — Eine Metrople im Umbruch

Lesezeit: 10 Minuten
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by Peter Bruderer | 31. Mai. 2020 | 0 comments

Da ste­ht er, der gute Hirte. Auf sein­er Schul­ter ein verir­rtes Schaf. In der Hand die Hirten­flöte. Das Lamm zu seinen Füssen hat den Blick fest auf den Hirten gerichtet, von dem er Ori­en­tierung und Schutz erwartet. Nach 1400 Jahren der Vergessen­heit wurde Anfang des 20. Jahrhun­derts der wun­der­schöne Mosaik­bo­den der frühchristlichen Basi­li­ka von Aquileia wieder­ent­deckt und freigelegt. Doch ver­steckt unter dem Schutt von Zeit und Geschichte war der gute Hirte immer da — ein Sinnbild für Gottes Wirken in unsicheren Zeiten.

Die angenehme Seite mein­er Pro­jek­tleit­ertätigkeit für ein gross­es kirch­lich­es Ferien­pro­jekt ist, dass ich immer wieder auf der Suche nach span­nen­den Aus­flugsmöglichkeit­en bin. So 2018 in der nordi­tal­ienis­chen Region Friuli. Hier bietet die unter UNESCO-Schutz ste­hende Ruinen­stadt Aquileia span­nende Ein­blicke in längst ver­gan­gene Zeit­en. Was heute nur ein weit­eres ver­schlafenes Dorf abseits der grossen Touris­ten­ströme ist, war zur Zeit des römis­chen Reichs die viert­grösste römis­che Metro­pole auf ital­ienis­chem Boden.

Aquileia zu römis­chen Zeit­en — 3‑D Animation

Die Über­reste Aquileias erzählen die Geschichte von Auf­stieg und Zer­störung ein­er Stadt, von ein­er Kirche, die sich in den Wirren der Zeit bewähren musste und von erstaunlichen Men­schen wie Rufin von Aquileia, die inmit­ten gross­er poli­tis­ch­er und gesellschaftlich­er Umwälzun­gen Geschichte geschrieben haben. 

Diesen Geschicht­en möchte ich mit ein­er vierteili­gen Serie nach­spüren. Ich bin kein His­torik­er. Aber Geschichte im All­ge­meinen und Kirchengeschichte im Spez­i­fis­chen haben mich schon immer inter­essiert — ver­gan­gene Geschichte kann uns etwas für unsere Gegen­wart und Zukun­ft lehren.

Der Ein­blick in die vor­liegen­den Geschicht­en aus Aquileia ist für mich umso reizvoller, als sie Welt- und Kirchengeschichte abseits des Main­streams ist. Wer inter­essiert sich schon für eine vergessene Ruinen­stadt wie Aquileia, wenn es grössere und viel bess­er erhal­tene antike Städte gibt? Wen inter­essiert schon ein The­ologe der ‘zweit­en Garde’ wie Rufin, wenn es da auch die Cham­pi­ons-League der Kirchen­väter gibt? Nun, ich bin selb­st aktiv­er Zeuge ein­er christlichen Prov­inz-Jugen­dar­beit gewe­sen, welche sich vor 20 Jahren zu ein­er beacht­enswerten erweck­lichen Bewe­gung unter jun­gen Men­schen entwick­elte. Erstaunlich­es geschieht manch­mal an unschein­baren Orten. Und auch die zweite Garde der Geschichte kann von Bedeut­samkeit sein. In diesem Sinne möchte ich einen Ein­blick in einen span­nen­den und lehrre­ichen ‘Neben­schau­platz‘ der Geschichte geben. Neben diesem Artikel wer­den noch fol­gende 3 Artikel pub­liziert werden:

Aquileia 2/4 — Rufin der Missionar
Aquileia 3/4 — Das Beken­nt­nis von Aquileia
Aquileia 4/4 — Die Irrlehren von Aquileia


Das ehe­ma­lige Forum von Aquileia. Bild: Peter Bruderer

Die unbekannte Weltmetropole

Aquileia. Was heute ein ver­schlafenes Prov­inznetz mit rund 3000 Ein­wohn­ern ist, ist zur Zeit der römis­chen Kaiser eine der grössten Metropolen auf ital­ienis­chem Boden. Rund 30’000 Men­schen leben damals in der Stadt, welche mit dem gesamten Spek­trum von römis­chen Prunk­baut­en und kul­turellen Ange­boten aufwarten kann. Forum, The­ater, Amphithe­ater und Zirkus prä­gen das Stadt­bild. Gewisse His­torik­er sprechen vom ‘zweit­en Rom’ der dama­li­gen Zeit.

Die Bedeu­tung der Stadt hat­te sich seit jeher aus ihrer strate­gis­chen Lage ergeben. Das war bere­its bei der Grün­dung der Stadt ums Jahr 186 v. Chr. so, als im Rah­men der Kel­tenkriege eine erste römis­che Kolonie zur Sicherung des Gebi­etes gegrün­det wurde. Am nördlich­sten Zipfel der Adria gele­gen war Aquileia der ide­ale Aus­gangspunkt für mil­itärische Feldzüge in die umkämpften Aussen­rän­der des Römis­chen Reich­es: Rich­tung Nor­den und Osten. Durch den Zugang zum Meer entwick­elte sich die Stadt zur wichtig­sten Hafen­stadt der Adria und zwis­chen­zeitlich zum wichtig­sten Stützpunkt für die römis­che Armee überhaupt.


Die nördliche Adria zu Zeit­en des römis­chen Reichs. Mit Aquileia als Knoten­punkt. Quelle: Dig­i­tal Atlas of the Roman Empire

Die Lage und Funk­tion der Stadt als Drehscheibe zwis­chen Alpen­raum, Balkan und ital­ienis­chem Her­z­land, die Verbindun­gen in den gesamten Mit­telmeer­raum durch die Schiff­fahrt und die Bein­flus­sung durch weit­gereiste römis­che Legionäre lassen auf ein von diversen kul­turellen Ein­flüssen geprägtes Leben schliessen. Hier tre­f­fen Römer auf Illyr­er, Ger­ma­nen und Slaven. Hier gibt es auch noch die ursprünglichen Wurzeln der keltischen Carni — Völk­er, welche durch die Römer nach Nor­den ver­drängt wor­den sind. Hier gibt es auch die unter Sol­dat­en beliebten Mys­te­rienkulte – deshalb kann heute unweit von Aquileia eine Mytras-Höh­le besichtigt werden.

Durch die rege Han­del­stätigkeit ist Aquileia eine wohlhabende Stadt. Glas­bläserei, Eisen­ver­hüt­tung und Schiff­bau sor­gen für weit­ere Ein­nah­men. Dies zeigt sich im gehobe­nen Aus­bau viel­er Gebäude. Ins­beson­dere die Kun­st der Mosaik­bö­den wird in Aquileia in Vol­len­dung gepflegt. Diese wun­der­voll gestal­teten Böden sind heute die eigentliche Attrak­tion für den Besuch­er der Ruinenstadt.

Von ihrer Grün­dung bis zu ihrer Zer­störung durch die Hun­nen im Jahre 452 durch­lebt die Stadt wech­sel­hafte Zeit­en. Wegen ihrer strate­gis­chen Bedeu­tung ist Aquileia ein ‘Objekt der Begierde’ im Wirrwarr der römis­chen Macht­spiele und der begin­nen­den Völk­er­wan­derung. So wird die Stadt immer wieder belagert, sei es durch fremde Volks­grup­pen, sei es im Rah­men innerrömis­ch­er Auseinan­der­set­zun­gen. Doch in den 600 Jahren bis zu ihrem Fall ver­mag nie­mand die Stadt zu erobern.


Basi­li­ka von Aquileia mit frühchristlichem Mosaik­bo­den aus dem 4. Jahrhun­dert. Bild: Peter Bruderer 

Eine aufstrebende Kirche

Das frühe Chris­ten­tum entwick­elt sich vor­wiegend ent­lang des römis­chen Strassen­net­zes. Diese ‘Auto­bah­nen’ von damals begün­sti­gen die schnelle Aus­bre­itung des christlichen Glaubens. Schon sehr früh soll so das Evan­geli­um das Urbane Zen­trum Aquileia erre­icht haben.

Der Leg­ende nach soll der Evan­ge­list Markus im Auf­trag von Petrus in Aquileia den neuen Glauben verkün­det haben. Der erste Bischof von Aquileia soll Her­mago­ras gewe­sen sein. Das römis­che Mar­ty­rologium (das amtliche Heili­gen­buch der katholis­chen Kirche) beschreibt sein Wirken und seinen Märtyrertod:

„In Aquileia der Tod des heili­gen Her­mago­ras, eines Schülers des heili­gen Evan­ge­lis­ten Markus: er war der erste Bischof dieser Stadt, heilte auf wun­der­bare Weise Krankheit­en, verkün­dete uner­müdlich die evan­ge­lis­che Wahrheit und bekehrte ganze Volksstämme; man hat­te schon ver­schiedene Strafen über ihn ver­hängt; zulet­zt wurde er mit seinem Diakon For­tu­na­tus enthauptet und kon­nte so tri­um­phierend in den Him­mel einziehen.“ Mar­ty­rologium

Schon in diesem Bericht wird sicht­bar, dass die Ver­bre­itung des Evan­geli­ums im Raume Aquileia nicht ohne Lei­den und grosse Opfer stat­tfind­et. Die Liste der Mär­tyr­er von Aquileia ist lange. Auch Hilar­ius von Aquileia, ein Nach­fol­ger von Her­mago­ras auf dem Bischof­s­sitz in Aquileia, wird 284 n. Chr. zu Tode gefoltert, nach­dem er sich weigerte, den hei­d­nis­chen Göt­tern in der Stadt Opfer zu brin­gen. Das Heili­gen­buch der Katholis­chen Kirche berichtet auch von 4 Frauen, Dorothy, Eras­ma, Euphemia und The­cia, welche im ersten Jahrhun­dert zum christlichen Glauben kon­vertieren und folge dessen gefoltert, geköpft und in den Fluss gewor­fen wer­den. Es bewahrheit­et sich, was der frühchristliche Schrift­steller Ter­tu­lian fest­gestellt hatte:

«Das Blut der Mär­tyr­er ist der Same der Kirche.» Ter­tu­lian, Apolo­geticum, ca 200 n. Chr.

Die Entwick­lung der frühchristlichen Gemeinde ist wun­der­schön doku­men­tiert in der auf das zehnte Jahrhun­dert datierten Kryp­ta, welche der frühchristlichen Basi­li­ka von Aquileia angegliedert ist. Hier wer­den die Beru­fung von Markus, die Ein­set­zung von Her­mago­ras, dessen Enthaup­tung und auch der Tod des Diakons For­tu­na­tus in wun­der­baren Bildern dargestellt und die Reliquien der Mär­tyr­er For­tu­na­tus und Her­mago­ras aufbewahrt.


Cryp­ta der Basi­li­ka von Aquileia. Bild: Peter Bruderer 

Das Patri­ar­chat von Aquileia entwick­elt sich zum Aus­gangspunkt für die Aus­bre­itung des Evan­geli­ums weit über die Region hin­aus, ins­beson­dere in den nördlich gele­ge­nen Alpen­raum hinein. Die bekan­nte Basi­li­ka, deren Ursprünge auf das frühe vierte Jahrhun­dert datiert wer­den, zeugt mit ihrem berühmten Mosaik­bo­den auch heute noch vom Glanz ein­er Zeit, in der das Evan­geli­um von Aquileia aus weit hin­aus in die umliegen­den hei­d­nis­chen Völk­er getra­gen wird.

Doch die Händler und Sol­dat­en, welche der Stadt Aquileia Wohl­stand brin­gen, sor­gen auch für eine Vielzahl an weltan­schaulichen und religiösen Konzepten. Dementsprechend entwick­elt sich Aquileia zu einem Bren­npunkt der Reli­gio­nen und christlichen Son­der­lehren. Ger­ade der nahegele­gene Balkan sollte immer wieder ein Hotspot wer­den für christliche und nicht christliche Son­der­lehren. In diesem ‘Nie­mand­s­land’ zwis­chen den östlichen und west­lichen Zen­tren der Macht etablierten sich immer wieder häretis­che Glauben­srich­tun­gen – man sprach in späteren Jahrhun­derten auch von einem soge­nan­nten ‘refugium heareti­co­rum’, einem Zuflucht­sort für Irrlehren.

Die Kirche der ersten Jahrhun­derte sieht sich in Aquileia kon­fron­tiert mit Gnos­tis­chen Glaubens­for­men und Mys­te­rienkul­ten. Im vierten Jahrhun­dert find­en die Auseinan­der­set­zun­gen um den Ari­an­is­mus in Aquileia einen Höhep­unkt. Diese Aus­prä­gung des Chris­ten­tums, welche 325 n. Chris­tus im Rah­men des Konzils von Nicäa durch die ver­sam­melten Häupter der Kirche verurteilt wird, sorgt auch in Aquileia für erhitzte Gemüter. An der Syn­ode von Aquileia um 381 n. Chr. wer­den unter der Leitung von Ambro­sius von Mai­land nochmals Weisun­gen im Zusam­men­hang mit dem Ari­an­is­mus erlassen. Es macht dur­chaus Sinn, dass der Ari­an­is­che Glaube in Aquileia ein­flussre­ich ist. Seine Grün­der­fig­ur ist Arius von Alexan­dria – Alexan­dria, die ägyp­tis­che Metro­pole, die durch regen Schiffsverkehr mit der nordi­tal­ienis­chen Hafen­stadt ver­bun­den ist.


Der ehe­ma­lige Flusshafen von Aquileia. Bild: Peter Bruderer 

Doch der Schiffsverkehr funk­tion­iert bekan­ntlich in bei­de Rich­tun­gen. Eine der Per­so­n­en, welche Aquileia in Rich­tung Alexan­dria ver­lässt, ist der Mönch, His­torik­er und The­ologe Rufin. Diese eher unbekan­nte, aber faszinierende Gestalt der Kirchengeschichte bereist Ägypten und den Ori­ent bis nach Mesopotamien. Bekan­nt wird er für seine Über­set­zun­gen von christlichen Schriften aus dem Griechis­chen ins Lateinis­che. In den weit­eren Artikeln werde ich mich mit ihm als Per­son und mit sein­er Ausle­gung des Apos­tolis­chen Beken­nt­niss­es befassen.

Das vierte Jahrhun­dert bringt, neben zunehmenden Frei­heit­en für die Chris­ten im Rah­men der Kon­stan­ti­nis­chen Wende, auch eine wach­sende Verquick­ung der Kirche mit der Poli­tik. Während die früheren Gen­er­a­tio­nen von Chris­ten für ihr Glaubens­beken­nt­nis oft einen hohen Preis bezahlen mussten, wird der christliche Glaube im vierten Jahrhun­dert zum tolerierten, dann geförderten und let­ztlich, im Jahr 380, zum staatlich verord­neten Glauben.

Dass das Chris­ten­tum der neue ‘Main­stream’ ist, sorgt auch für Gegen­reak­tio­nen. Kaiser Julian ‘der Apo­s­tat’, ein Neffe Kon­stan­tins, erlebt als Kind die Intri­gen am Kaiser­hof, sowie die Ermor­dung seines Vaters und seines älteren Brud­ers. Angewidert durch die unchristlichen Macht­spiele der christlichen Machthaber wird er zum erk­lärten Geg­n­er des Chris­ten­tums und ins­beson­dere des sich anbah­nen­den Staatschris­ten­tums. Von ihm ist der fol­gende Satz festgehalten:

«Die Men­schen sollen belehrt und gewon­nen wer­den durch Gründe der Ver­nun­ft und nicht durch Schläge, Schmähun­gen und kör­per­liche Strafen.» Das Chris­ten­tum der Antike, Kin­dle Pos 5087

Im Jahr 361 n. Chr. ste­ht Julian ‘der Apo­s­tat’ vor den Toren von Aquileia und belagert die Stadt. Doch auch der let­zte römis­che Kaiser, welch­er den christlichen Glauben zugun­sten des Hei­den­tums ablehnt, ver­mag den Wider­stand der Stadt nicht zu brechen.

In kirch­lichen Kreisen gewin­nt in dieser Zeit die monas­tis­che Bewe­gung zunehmend an Bedeu­tung. Auch diese muss als Reak­tion auf die zunehmende Ver­flech­tung des Chris­ten­tums mit dem Staat ver­standen wer­den. Die monas­tis­che Bewe­gung bot ihren Anhängern die Möglichkeit, den Glauben kon­se­quenter als die All­ge­mein­heit zu leben. Der Rück­zug ins asketis­che Leben war auch eine Antwort auf den zunehmenden gesellschaftlichen Zer­fall jen­er Zeit. Die monas­tis­che Bewe­gung, welche ihren Ursprung vor allem in den asketis­chen Bewe­gun­gen der Ostkirchen hat­te, gewin­nt auch im Raum Aquileia an Ein­fluss. Die Stadt entwick­elt sich zu einem der ersten west­lichen Zen­tren des Mönch­tums. Ein­er dieser Mönche ist Rufin von Aquileia.

Doch gegen Ende des vierten Jahrhun­derts ste­ht auch schon die näch­ste grosse Umwälzung bevor: die begin­nende Völk­er­wan­derung wirft ihre Vorschat­ten auf Stadt und Kirche.


Die Dre­it­eilige Basi­li­ka: Links die Haupt­basi­li­ka mit Turm, Rechts die achteck­ige Taufkirche, dazwis­chen die Hei­denkirche. Bild: Peter Bruderer

Zerstörung und Wiederaufbau

Nach den the­ol­o­gis­chen Wirrnissen der vorherge­hen­den Jahrzehnte erfreut sich die Kirche in Aquileia Ende des vierten Jahrhun­derts unter der Leitung von Bischof Chro­matius rel­a­tiv friedlich­er Zeit­en. Doch auf der poli­tis­chen Ebene brauen sich grosse Stürme zusam­men. Um 395 n. Chr. zer­bricht das römis­che Reich in ein west­lich­es und ein östlich­es Reich. Die Stadt Aquileia sieht sich zunehmend bedro­ht durch die Völk­er­wan­derung, welche auch mit Plün­derun­gen und Ver­wüs­tun­gen ver­bun­den ist. Die Bevölkerung zieht sich zurück in sicherere Gefilde, das heisst in das Lagunen­städtchen Gra­do, welch­es über einen natür­lichen Schutz ver­fügt und nicht auf der Hauptverkehrsachse in Rich­tung West­en liegt. Auch Bischof Chro­matius zieht sich nach Gra­do zurück, wo er unge­fähr 406 n. Chr. stirbt.

Während die ersten grossen Völk­er­wan­derungszüge noch mehrheitlich aus chris­tian­isierten Völk­ern wie den Lan­go­b­ar­den und West­goten beste­hen, welche auf die Zer­störung der Kirchenge­bäude verzicht­en, bringt der Sturm der Hun­nen unter Atti­la im Jahre 452 die radikale Ver­wüs­tung und Zer­störung der Stadt mit sich. Sie sollte sich nie mehr erholen, auch die Kirche sollte nie wieder mit der ver­gle­ich­baren Ausstrahlung von Aquileia aus Wirken, wie sie es zu ihrer Blütezeit getan hatte.

Trotz­dem rafft man sich in den darauf­fol­gen­den Zeit­en wieder auf. Ein Zeuge des Wieder­auf­baus ist die Kirche von Aquileia, wie sie uns heute in ihrer ganzen Schön­heit begeg­net. Diese doku­men­tiert mit ihrer Dre­it­eilung in Basi­li­ka, Hei­denkirche und Bap­tis­teri­um, wie die Kirche unter anderem auf die Her­aus­forderung des ‘Mainstream’-Christentums reagierte. Lesen wir in den neutes­ta­mentlichen Bericht­en noch von ‘Spon­tan­ta­ufen’ (Apg 8:36–37, Apg 10:47), so hat sich schon sehr bald eine Kul­tur etabliert, Men­schen erst in einem Kat­e­ch­ese-Unter­richt zu schulen, bevor man sie taufte und als Mit­glieder der christlichen Gemeinde auf­nahm. Dieser Prozess der Jünger­schaft und the­ol­o­gis­chen Basis­bil­dung ist an der Kirche in Aquileia ganz konkret an den drei ver­schiede­nen, zusam­menge­baut­en Gebäu­den ersichtlich. Angesichts der Tat­sache, dass es ab dem vierten Jahrhun­dert auch Vorteile bietet, Christ zu wer­den, und des Umstandes, dass am christlichen Glauben inter­essierte Men­schen auch hei­d­nis­che Bräuche und Son­der­lehren mit im Gepäck haben, macht ein vor­sichtiges Vorge­hen bei der Auf­nahme von Kirchen­mit­gliedern ein­deutig Sinn. Dieses Vorge­hen bei der Auf­nahme von Kirchen­mit­gliedern sollte auch uns ver­an­lassen, uns Gedanken zu machen über unsere Hand­habung von Taufe und Jünger­schaft – auch Gedanken über unsere Prax­is von Mis­sion, die ja von unser­er Vorstel­lung des Ver­hält­niss­es Kirche/Welt abhängig ist. For­men und Wege der Glaubensverkündi­gung und ‑ver­mit­tlung kön­nen – ja müssen – sich wan­deln, je nach­dem in welch­er Sit­u­a­tion sich Kirche und Gesellschaft befind­en. Die Sub­stanz des Glaubens aber bleibt dieselbe, welche Jesus seinen Jüngern anbe­fohlen hat­te (Mt 28:18–20).

In Aquileia begeg­net uns Geschichte mit ihrer vollen Wucht: Auf­stieg, Glanz, Macht, Zer­störung, Flucht und Neuan­fänge ein­er Stadt lassen sich sicht­bar an den Steinen der Ruinen­stadt nachvol­lziehen. Und genau­so reden die Steine der christlichen Basi­li­ka zu uns. Mit ihrem Mosaik­bo­den, welch­er als grösstes altkirch­lich­es Mosaik in Ital­ien gilt, erin­nert sie an die reiche christliche Kul­tur des vierten Jahrhun­derts mit ihrer ganzen Strahlkraft. Vor hun­dert Jahren wurde dieser Boden wieder freigelegt. Sie ist das stein­erne Zeug­nis eines lebendi­gen Gottes, der seine Gemeinde auch in den Umbrüchen der Zeit erhält und bewahrt. Auch drama­tis­che Ereignisse bedeuten nicht das Ende für die christliche Gemeinde, son­dern höch­sten der Über­gang in eine näch­ste Phase. Der let­zte Garant der Kirche ist nicht der Men­sch, son­dern der Gute Hirte selb­st, der ver­sprochen hat: «Ich will meine Kirche bauen!» (Vgl. Mt 16:18). Er tat es damals. Er tut es auch heute in den Umwälzun­gen und Her­aus­forderun­gen unser­er Zeit!


Die Taufkirche aus der Zeit von Bischof Chro­matius, Ende 4. Jahrhun­dert. Bild: Peter Bruderer

Schlussbemerkungen

Ich bin nicht His­torik­er, son­dern schreibe lediglich als his­torisch inter­essiert­er Laie. Jahreszahlen und Zahle­nangaben sind mit der nöti­gen Vor­sicht zu geniessen; biografis­che und geschichtliche Ereignisse wer­den in der Lit­er­atur zum Teil abwe­ichend voneinan­der dargestellt. Hier noch einige Recourcen welche mir geholfen haben:

  • Diese umfan­gre­iche Doku­men­ta­tion der Aquileia-Stiftung gibt wertvolle Ein­blicke in die Geschichte der Stadt und Kirche
  • Chris­ten­tum in der Antike, das erste Kirchengeschichts­band meines ver­stor­be­nen Lehrers Peter H. Uhlmann gibt einen ver­ständlichen Ein­blick in die ersten Jahrhun­derte der Kirchengeschichte, mit einem beson­deren Augen­merk auf dis­si­dente Bewegungen.
  • Armin Sier­szyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 1
  • Aquileia-Geschichte Kun­st Archäolo­gie, Bruno Fachin Hrsg.
  • Aquileia Mosaici, Bruno Fachin Hrsg.
  • Aquileia, Die Basi­li­ka, Ein Kurzführer, Schnell + Steiner

 

Gren­zen­lose Begeis­terung bei den Kids! Bild: Peter Bruderer

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Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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