Holy Bible? (2/6) — Geschichte der evangelikalen Bewegung

Lesezeit: 8 Minuten
Lesezeit: 8 Minuten

by Roland Hardmeier | 16. Mai. 2021 | 2 comments

Einen the­ol­o­gis­chen Stand­punkt ver­ste­ht man am besten, wenn man seine Geschichte ken­nt. In diesem Teil beschreibe ich die Entste­hung der evan­ge­likalen Bewe­gung und definiere ihr Ver­hält­nis zum Fun­da­men­tal­is­mus ein­er­seits und dem Phänomen des Post-Evan­ge­likalis­mus ander­seits. Der Blick in die Geschichte wird uns helfen zu ver­ste­hen, warum Evan­ge­likale die Bibel so und nicht anders auslegen.

Anfänge im angelsächsischen Raum

Das englis­che «evan­gel­i­cal» ist bere­its fünfhun­dert Jahre alt. Der Begriff taucht erst­mals in Eng­land als Beze­ich­nung der Anhänger der Ref­or­ma­tion auf. In den fol­gen­den zwei­hun­dert Jahren wird er vom Aus­druck «protes­tant» zurückge­drängt. Im 18. Jahrhun­dert tritt der Begriff im Zusam­men­hang mit der englis­chen Erweck­ungs­be­we­gung wieder in Erschei­n­ung. Als «Evan­gel­i­cals» wer­den jet­zt die Vertreter der Erweck­ungs­be­we­gung inner­halb der Kirche Eng­lands beze­ich­net. Es han­delt sich um Chris­ten, die zum lebendi­gen Glauben erweckt wur­den, die starre Recht­gläu­bigkeit der englis­chen Staatskirche hin­ter sich gelassen haben und im Ver­trauen auf Chris­tus den Grund ihres Heils sehen. Die Bibel ist für sie ober­ste Richtschnur des Glaubens. Aus diesem Glauben her­aus sind sie sowohl mis­sion­ar­isch als auch diakonisch tätig. Sie sind the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv, ziehen sich aber nicht auf die pri­vate Tugend­haftigkeit zurück, son­dern nehmen aktiv an der Gestal­tung der Gesellschaft teil. Der eingedeutschte Begriff «evan­ge­likal», den wir heute ver­wen­den, bedeutet von seinen Wurzeln her darum «erweck­lich».

Die englis­che Erweck­ungs­be­we­gung führt zu ein­er Vielzahl von Grup­pierun­gen und Mis­sion­s­ge­sellschaften und damit zu ein­er Auf­s­plit­terung des kirch­lichen Lebens. In den grundle­gen­den Fra­gen aber nehmen die Evan­gel­i­cals eine Ein­heit wahr, die über kon­fes­sionelle Gren­zen hin­weg verbindet. Diese Ver­bun­den­heit drückt sich haupt­säch­lich im Beken­nt­nis zur göt­tlichen Autorität der Heili­gen Schrift aus und in der Ablehnung des the­ol­o­gis­chen Lib­er­al­is­mus, der in den grossen Kirchen Akzep­tanz find­et. In diesem Bewusst­sein kommt es 1846 in Lon­don zur Grün­dung der «Evan­gel­i­cal Alliance». Mit ihr treten die Evan­gel­i­cals erst­mals als tran­skon­fes­sionelle Bewe­gung in Erscheinung.

Die Vertreter aus den Vere­inigten Staat­en, die bei der Grün­dung der Alliance in Lon­don anwe­send sind, brin­gen das Anliegen und den neuen Namen in die neue Welt und prä­gen damit eine ganze Nation. In den Vere­inigten Staat­en find­et das evan­ge­likale Gedankengut seinen Aus­druck in den Erweck­ungs­be­we­gun­gen mit Jonathan Edwards, Charles Finney, Dwight Moody und anderen Per­sön­lichkeit­en. Bewe­gun­gen wie die Bap­tis­ten, Methodis­ten, Pres­by­te­ri­an­er und die Aus­bre­itung der Heili­gungs­be­we­gung geben den Vere­inigten Staat­en eine tiefe evan­ge­likale Prä­gung. Bis zur Mitte des 19. Jahrhun­derts sind die Begriffe «evan­gel­i­cal» und «protes­tant» in den Staat­en prak­tisch gle­ichbe­deu­tend. Erst die Auseinan­der­set­zung mit der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft wird die Unter­schei­dung zwis­chen Protes­tanten und Evan­ge­likalen bringen.

Die eigentlichen Wurzeln des Evan­ge­likalis­mus sind also die Erweck­ungs­be­we­gun­gen des 18. und 19. Jahrhun­derts. Chris­ten ver­schieden­er Beken­nt­nisse nehmen über denom­i­na­tionelle Gren­zen hin­weg eine Ver­bun­den­heit wahr. Durch die Zusam­me­nar­beit ver­schieden­er evan­ge­likal gesin­nter Grup­pen will man bib­lis­ches Chris­ten­tum und Mis­sion fördern. Die Bewe­gung wird durch pos­i­tive Anliegen geprägt. Sie ist the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv, gle­ichzeit­ig aber weltoffen.

Doch dann kommt ein weit­er­er mächtiger Fak­tor hinzu: Das Zeital­ter der Aufk­lärung bringt ein verän­dertes Welt­bild her­vor. Das Denken der Men­schen begin­nt sich aus der kirch­lichen Bevor­mundung zu lösen und das tra­di­tionelle Schriftver­ständ­nis zu unter­graben. Die Aufk­lärung dringt bis an die Wurzel der protes­tantis­chen The­olo­gie vor und befeuert die mod­erne Bibel­wis­senschaft. Sie geht haupt­säch­lich von Deutsch­land aus, wo sie method­isch radikal durchge­führt wird, während die Entwick­lung in der angel­säch­sis­chen Welt (bis heute) gemäs­sigter ver­läuft. Zur sel­ben Zeit unter­minieren die Natur­wis­senschaften, vor allem der Dar­win­is­mus, tra­di­tionelle christliche Überzeu­gun­gen. Mit diesen weltan­schaulich konkur­ri­eren­den Konzepten erwach­sen dem kon­ser­v­a­tiv­en Chris­ten­tum, dem die Evan­ge­likalen ange­hören, mächtige Gegen­spiel­er. Die Auseinan­der­set­zung mit ihnen verän­dert die Bewe­gung und prägt sie bis heute. Das gilt auch für das Schriftver­ständ­nis. Teile der evan­ge­likalen Bewe­gung (haupt­säch­lich an ihren fun­da­men­tal­is­tis­chen Rän­dern) definiert ihr Bibelver­ständ­nis in dezi­diert­er Ablehnung zur mod­er­nen Bibelwissenschaft.

Die Entstehung des Fundamentalismus

Der weit­ere Weg der evan­ge­likalen Bewe­gung wird zunächst von den Entwick­lun­gen in den Vere­inigten Staat­en um die Wende zum 20. Jahrhun­dert geprägt. Der ras­ante Wan­del in der The­olo­gie und der Auf­stieg der Natur­wis­senschaften wirkt im amerikanis­chen Protes­tantismus wie ein Spalt­pilz. Eine zunehmende Zahl von The­olo­gen empfind­et die Aufrechter­hal­tung von tra­di­tionellen christlichen Anschau­un­gen wis­senschaftlich nicht länger als redlich. Von den «Kon­ser­v­a­tiv­en», die am tra­di­tionellen Glaubensgut fes­thal­ten, wer­den sie als «Lib­erale» oder als «Mod­ernisten» beze­ich­net. Die Kon­ser­v­a­tiv­en (später «Fun­da­men­tal­is­ten» genan­nt) erken­nen, dass der Auf­bruch des the­ol­o­gis­chen Lib­er­al­is­mus fol­gen­schw­er ist und begin­nen die Grundw­erte des Glaubens zu vertei­di­gen. Es kommt zu hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen, die teil­weise starkes medi­ales Auf­se­hen erre­gen. Je stärk­er der Lib­er­al­is­mus an den Fun­da­menten der The­olo­gie rüt­telt, desto mehr gren­zen sich die tra­di­tionell gesin­nten Kräfte ab.

Die Anschau­un­gen der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft und der Natur­wis­senschaften drin­gen gegen Ende des 19. Jahrhun­derts immer weit­er in die amerikanis­che Gesellschaft vor. Die kon­ser­v­a­tive Antwort auf diese Entwick­lung sind «The Fun­da­men­tals». Es han­delt sich um eine Serie von zwölf Aus­gaben von Auf­sätzen, die zwis­chen 1910 und 1915 eine Gesam­tau­flage von drei Mil­lio­nen Exem­plaren erre­ichen und heute in vier Sam­mel­bän­den vor­liegen. In den Auf­sätzen brin­gen Wis­senschaftler the­ol­o­gis­che Stand­punk­te zur Gel­tung, die für den kon­ser­v­a­tiv­en Protes­tantismus in den Vere­inigten Staat­en grundle­gend sind. In kom­pe­ten­ter und sachgemäss­er Weise wird die ganze Band­bre­ite der christlichen Lehre definiert und gegen ver­schiedene Strö­mungen verteidigt.

Zu den wichtig­sten The­men der ins­ge­samt dreiun­dachtzig Artikel gehören die Unfehlbarkeit der Heili­gen Schrift, die Got­theit Jesu und seine leib­liche Aufer­ste­hung. Kri­tik wird an Bewe­gun­gen wie dem Ratio­nal­is­mus, dem Dar­win­is­mus und der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft geübt. Obwohl die Debat­te anders ver­läuft als in der alten Welt (siehe Teil 1 dieser Serie), lässt sich fest­stellen, dass der Grundbe­stand des Glaubens im amerikanis­chen Fun­da­men­tal­is­mus prak­tisch deck­ungs­gle­ich mit dem der kon­ser­v­a­tiv­en Kräfte in Deutsch­land ist.

Chris­ten, die sich mit den Inhal­ten der «Fun­da­men­tals» iden­ti­fizieren, wer­den als «Fun­da­men­tal­is­ten» bekan­nt. Je heftiger die Auseinan­der­set­zung anhält, desto stärk­er begin­nen sich die Fun­da­men­tal­is­ten über das zu definieren, was sie bekämpfen. Der Fun­da­men­tal­is­mus wird zu ein­er reak­tionären Angele­gen­heit, die immer weniger durch pos­i­tive Anliegen auffällt.

Die «New Evangelicals»

Nach dem Zweit­en Weltkrieg kommt es zu ein­er inner­protes­tantis­chen Erneuerung. Diejeni­gen, die sich mit den Glaubensin­hal­ten der Fun­da­men­tal­is­ten iden­ti­fizieren, aber nicht mit ihrer the­ol­o­gis­chen Enge, nen­nen sich jet­zt «New Evan­gel­i­cals» und knüpfen dadurch an die Ursprünge der evan­ge­likalen Bewe­gung in Eng­land an. Die neuen Evan­ge­likalen set­zen sich unvor­ein­genom­men mit den Her­aus­forderun­gen der Gegen­wart auseinan­der. Sie wollen nicht bloss bekämpfen, son­dern in Übere­in­stim­mung mit den ursprünglichen Anliegen der Bewe­gung auch gestal­ten. Sie leg­en Wert auf gründliche the­ol­o­gis­che Aus­bil­dung, find­en mit Bil­ly Gra­ham zeit­gemässe For­men der Evan­ge­li­sa­tion und bemühen sich um Einheit.

Die Begeis­terung der New Evan­gel­i­cals strahlt bald auf Europa aus. Erweck­liche Kräfte find­en zusam­men und bilden das, was die mod­erne evan­ge­likale Bewe­gung genan­nt wird. Zu ihnen gehören die Pietis­ten, die Freikirchen und die beken­nt­nisori­en­tierten Chris­ten der evan­ge­lis­chen Lan­deskirchen in Deutsch­land. Die neue Dynamik wird von zwei Seit­en angetrieben: Ein­er­seits find­en die erweck­lichen Kräfte mit den New Evan­gel­i­cals wegen des pos­i­tiv­en Anliegens der Evan­ge­lisierung zusam­men. Verbindende Fig­ur ist Bil­ly Gra­ham. Ander­seits entwick­elt sich eine bre­it abgestützte Protest­be­we­gung, die den kon­ser­v­a­tiv­en Protesten im 19. Jahrhun­dert ähn­lich ist. Um die Mitte des 20. Jahrhun­derts dringt die mod­erne Bibel­wis­senschaft in Form der The­olo­gie von Rudolf Bult­mann an die evan­ge­lis­che Basis vor. Für Bult­mann ist der his­torische Glaube nicht wichtig. Jesus habe sich nicht als Sün­dopfer hingegeben und er sei nicht leib­lich aufer­standen, entschei­dend sei allein der Glaube des Einzelnen.

Kon­ser­v­a­tive und erweck­liche Kräfte schla­gen Alarm. Es formiert sich eine Protest­be­we­gung, die beträchtlich­es medi­ales Auf­se­hen erregt. 1966 wird die Beken­nt­nis­be­we­gung «Kein anderes Evan­geli­um» gegrün­det, um Bult­manns Ein­fluss zurück­zu­drän­gen und aus kon­ser­v­a­tiv­er Sicht Ori­en­tierung zu bieten. Die in ihr ver­sam­melten Chris­ten bilden in der Folge den evan­ge­likalen Flügel der Evan­ge­lis­chen Kirche Deutschlands.

In diesem Zusam­men­hang kommt es zu ein­er Bedeu­tungsver­schiebung des Begriffs «evan­ge­likal». Die ursprüngliche Bedeu­tung von «erweck­lich» tritt in den Hin­ter­grund. «Evan­ge­likal» wird jet­zt als kirchen­poli­tis­ches Kampf­wort inner­halb der deutschen Lan­deskirchen ver­wen­det, um die kon­ser­v­a­tiv­en Kräfte von den «mod­er­nen» abzugrenzen.

Von den 1970er Jahren an wird der Evan­ge­likalis­mus organ­isatorisch immer bess­er fass­bar. Die «Evan­ge­lis­che Allianz» wird zum Sam­mel­beck­en, die erweck­liche Chris­ten ver­net­zt. Die Gespräche der evan­ge­likal gesin­nten Kräfte mit den Leitun­gen der Lan­deskirchen ver­laufen ergeb­nis­los. Die Evan­ge­likalen begin­nen darum, eigene Struk­turen aufzubauen. Dazu gehört der Evan­geli­um­srund­funk (ERF), die Arbeits­ge­mein­schaft Evan­ge­likaler Mis­sio­nen (AEM) und die Grün­dung von the­ol­o­gis­chen Aus­bil­dungsstät­ten. Ende der 1970er Jahre ist dieser Vor­gang so gut wie abgeschlossen. Die Evan­ge­likalen haben sich in der Glaubens­land­schaft des deutschen Sprachraums neben der Evan­ge­lis­chen Kirche und den Katho­liken als dritte Kraft etabliert.

Die Post-Evangelikalen

Nach der Jahrtausendwende kommt es zu ein­er Aus­d­if­feren­zierung der bere­its bun­ten Bewe­gung, die den Begriff des Post-Evan­ge­likalis­mus her­vor­bringt. Der Begriff ste­ht für ein Auf­s­plit­tern der evan­ge­likalen Bewe­gung in ver­schiedene Milieus mit je eige­nen the­ol­o­gis­chen Präferen­zen. Ihre Ursprünge liegen in lib­eralen Auf­brüchen in Eng­land in den 1990er Jahren. Der anglikanis­che Priester Dave Tom­lin­son, ein Hauptvertreter des Post-Evan­ge­likalis­mus (Tom­lin­son wuchs in ein­er Brüderge­meinde auf), beschreibt in seinem Klas­sik­er «The post-evan­gel­i­cal» die entsprechende Entwick­lung gut. Die Ansätze aus Eng­land und Ein­flüsse aus den Vere­inigten Staat­en im Zusam­men­hang mit der «Emerg­ing Church» begin­nen um die Jahrtausendwende auf den deutschsprachi­gen Raum einzuwirken.

Eine zunehmende Zahl von erweck­lichen Chris­ten ver­lassen als Folge dieser Entwick­lung ihre evan­ge­likale Heimat und wollen neue Wege gehen. Sie bilden Net­zw­erke, in denen sie ihren Glauben ohne the­ol­o­gisch vorge­fer­tigte Antworten leben und für sich indi­vidu­elle und per­sön­lich tragfähige Beken­nt­nisse for­mulieren kön­nen. The­ol­o­gis­che Stand­punk­te, die in der Anfangszeit der evan­ge­likalen Bewe­gung eine evan­ge­likale Iden­tität förderten, ver­lieren ihre inte­gra­tive Kraft. Tra­di­tionelle Glaubens­gewis­sheit­en brechen für viele weg, aber das empfind­et man nicht als Ver­lust, son­dern als Befreiung. In den Net­zw­erken find­et man Gle­ich­gesin­nte, welche die the­ol­o­gis­che Rechthaberei, die Teile des Evan­ge­likalis­mus prä­gen, hin­ter sich lassen. Die Glaubensin­halte, für die die Evan­ge­likalen der ersten Stunde ihren guten Ruf und ihre akademis­che Stel­lung riskierten, ver­lieren an Bedeutung.

Man definiert sich weniger über das, was man glaubt, und mehr über das, was man als Chris­ten in der Gesellschaft bewirken will. Ethis­che Posi­tio­nen erfahren in kürzester Zeit tek­tonis­che Ver­schiebun­gen. Definierten sich bis zur Jahrtausendwende viele jün­gere Evan­ge­likale beispiel­sweise dadurch, dass sie Sex­u­al­ität in der Ehe auslebten, erachtet eine zunehmende Zahl die Frage, ob sie Veg­e­tari­er wer­den soll­ten, als weitaus wichtiger.

The­ol­o­gisch gehen die Bruch­lin­ien, die früher zwis­chen den Evan­ge­likalen und den «Mod­er­nen» ver­liefen, jet­zt mit­ten durch das evan­ge­likale Lager. Einige dieser poste­van­ge­likalen Grup­pierun­gen vertreten pro­gres­sive Stand­punk­te, an denen der Bezug zum Evan­ge­likalis­mus gut erkennbar ist. Andere lösen sich ganz von evan­ge­likalen Stand­punk­ten oder geben das christliche Beken­nt­nis auf.

Fragen

Bed­ingt durch ihre Geschichte ist die evan­ge­likale Bewe­gung the­ol­o­gisch äusserst vielgestaltig. Von fun­da­men­tal­is­tis­chen Stand­punk­ten am recht­en Rand der Bewe­gung bis zur teil­weisen Akzep­tanz der Ergeb­nisse und Meth­o­d­en der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft hat viel Platz. Dadurch stellen sich Anfra­gen an das evan­ge­likale Schriftverständnis.

Die Fun­da­men­tal­is­ten stellen die Frage, ob die Evan­ge­likalen nicht eine zu grosse the­ol­o­gis­che Weite aufweisen. Fun­da­men­tal­is­ten möcht­en in the­ol­o­gis­chen Fra­gen ein­deutige Stand­punk­te und glauben, dass sie durch gründlich­es Bibel­studi­um zu erre­ichen sind. In pop­ulären For­men des Fun­da­men­tal­is­mus gibt es kaum eine Dif­ferenz zwis­chen «der bib­lis­chen Wahrheit» und «meinem Ver­ständ­nis der Bibel». Das macht the­ol­o­gis­che Auseinan­der­set­zun­gen schwierig, weil sie oft in Rechthaberei mün­den. Evan­ge­likale sind eher bere­it zuzugeben, dass zwis­chen ihrem Bibelver­ständ­nis und der bib­lis­chen Wahrheit stets eine Dif­ferenz beste­ht. Sie machen ernst mit der Tat­sache, dass unsere Erken­nt­nis Stück­w­erk ist, und sind eher bere­it, unter­schiedliche the­ol­o­gis­che Stand­punk­te ungek­lärt ste­hen zu lassen.

Die mod­erne Bibel­wis­senschaft stellt den Evan­ge­likalen die Frage, ob sie die his­torische Gestalt der Bibel ernst genug nehmen. Sie wer­fen ihnen vor, zu schnell bib­lis­che Inhalte zu sys­tem­a­tisieren. Sie glauben, dass es nötig ist, den bib­lis­chen Tex­ten mit einem akademis­chen Zweifel zu begeg­nen und nur das gel­ten zu lassen, was vernün­ftig nachvol­lziehbar ist. Dem stellen die Evan­ge­likalen ent­ge­gen, dass die Bibel nur mit einem Grund­ver­trauen gewinnbrin­gend gele­sen wer­den kann. Das Beken­nt­nis zur Bibel als Wort Gottes, dem wir ver­trauen kön­nen und das Anspruch auf unser Leben erhebt, hält die vielfältige Bewe­gung zusammen.

Post-Evan­ge­likale wer­fen den tra­di­tionellen Evan­ge­likalen vor, in ethis­chen Fra­gen zu eng zu sein und Ander­s­denk­ende auszu­gren­zen. Sie kom­men unter Anwen­dung der Meth­o­d­en der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft zu abwe­ichen­den Ergeb­nis­sen, etwa wenn es um die Frage geht, ob Homo­sex­u­al­ität Gottes Schöp­fungsab­sicht­en entspricht. An der Diskus­sion wird deut­lich, dass es hermeneutis­che Fra­gen sind (Fra­gen, welche die Regeln der Schrif­tausle­gung betr­e­f­fen), die darüber entschei­den, zu welchen ethis­chen Stand­punk­ten man schlussendlich kommt.

Es ist klar, dass die Frage nach dem Schriftver­ständ­nis die evan­ge­likale Bewe­gung in den näch­sten Jahren stark beschäfti­gen wird. Die evan­ge­likale Bewe­gung kann sich in Sachen Schriftver­ständ­nis keine Indif­ferenz (Gle­ichgültigkeit) leis­ten, son­st wird sie zwis­chen dem fun­da­men­tal­is­tis­chen und dem poste­van­ge­likalen Flügel zerrieben.

Artikel als PDF herunterladen

Über den Kanal

Roland Hardmeier

Dr. theol. Roland Hardmeier wohnt und arbeitet in Riedikon bei Uster. Er war 15 Jahre lang Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden der Schweiz. Heute ist er als selbständiger Dozent, Referent und Autor tätig. Einblicke in seine Tätigkeit gibt seine Website www.roland-hardmeier.ch

Werde Teil der Diskussion

Kommentare zu diesen Beitrag

2 Comments

  1. Martin Mächler

    Noch etwas rein For­males — aber Wichtiges für die Leser: Wenn ich 2/6 gele­sen habe, will ich nicht lange suchen oder nochmals Googeln um Teil “3/6” zu find­en. Dies ist aber jet­zt (wo es halt alle 6 Teil gibt] so… und etwas unschön, auch sehr ungewöhn­lich kom­pliziert für solche ver­ket­teten Blogs…

    Ihr kön­nt das auch ein­fach umset­zen, und müsst meinen Kom­men­tar nicht mal genehmigen.. 

    Mit liebem Gruss,
    Mar­tin Mächler

    Reply
  2. Martin Mächler

    Danke für diese Reihe.
    Kein inhaltlich­er Kom­men­tar, son­dern nur formal: 

    Im let­zten Teil **Fra­gen** sind 3 Grup­pen, sowohl fett her­vorge­hoben, als auch durch Absatz getren­nt. Ich denke, da ist verse­hentlich die 4.Gruppe (oder 2. je nach Zäh­lung), die *Evan­ge­likalen*, zum Abschnitt der *Fun­da­men­tal­is­ten* zuge­führt wor­den, statt einen eige­nen Absatz (und Fettschrei­bung) bekom­men zu haben.

    Vie­len Dank für ‘danieloption.ch‘!

    Reply

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt weiterstöbern

Mehr Blogposts entdecken

Die Gamaliel-Strategie

Die Gamaliel-Strategie

In Konfliktsituationen orientieren sich Christen manchmal am Rat Gamaliels aus der Apostelgeschichte. Dieser berühmte Rat ist aktuell wieder in der Diskussion um christliche Einheit aufgetaucht. Doch der Rat eignet sich mindestens so gut als taktische Waffe, als dass...

Die 10 Gebote des progressiven Christentums

Die 10 Gebote des progressiven Christentums

Vorwort der Herausgeber: Als wir 2019 bei Daniel Option anfingen zu bloggen, war das «progressive Christentum» im deutschsprachigen Raum noch nicht so bekannt. Inzwischen wird das Thema in den Chef-Etagen von Gemeinden, Verbänden und übergemeindlichen Werken offen...