Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen

Lesezeit: 10 Minuten
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by Benjamin Rodriguez | 29. Nov. 2024 | 0 comments

Rezen­sion von Ben­jamin Rodriguez Weber, 03.10.2024

Ben­jamin Kilchör beleuchtet das Alte Tes­ta­ment aus der Per­spek­tive des Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­niss­es und zeigt, wie alttes­ta­mentliche Texte zen­trale Glauben­saus­sagen des Chris­ten­tums ver­tiefen und verdeutlichen.

Das Buch

Ben­jamin Kilchör, Das Alte Tes­ta­ment vom Glaubens­beken­nt­nis her ver­ste­hen, Gießen: Brun­nen, 2023.

Zum Autor

Ben­jamin Kilchör ist Pro­fes­sor für Altes Tes­ta­ment an der uni­ver­sitären the­ol­o­gis­chen Hochschule STH Basel. Bis zu meinem Stu­di­en­ab­schluss an der­sel­ben Hochschule besuchte ich einzelne Vor­lesun­gen bei ihm und er betreute meine Abschlus­sar­beit. Auf die Erschei­n­ung des vor­liegen­den Buch­es war ich ges­pan­nt und nun hoffe ich mit dieser Rezen­sion einen Überblick auf Inhalt und Vorzüge des Buch­es zu liefern. Die Zahlen in Klam­mern beziehen sich auf die Seiten­zahlen im Buch.

Anliegen

Der Buchti­tel lautet: «Das Alte Tes­ta­ment vom Glaubens­beken­nt­nis her ver­ste­hen». Eben­so passend wäre: «Das Glaubens­beken­nt­nis vom Alten Tes­ta­ment her ver­ste­hen». Der Autor Ben­jamin Kilchör sieht das Buch zwar weniger als Beitrag zum Ver­ständ­nis des Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis, kurz: Apos­to­likum, son­dern als Beitrag zum Ver­ständ­nis des Alten Tes­ta­ments aus­ge­hend vom Apos­to­likum. Aus mein­er Sicht ist bei­des gelun­gen und für den Leser sowohl hin­sichtlich des Alten Tes­ta­ments als auch in Hin­blick auf das Apos­to­likum ausseror­dentlich gewinnbrin­gend. Um es mit einem Bild zu ver­gle­ichen: Die zwei­di­men­sion­ale Skizze des ein­fachen Textver­ständ­niss­es ent­fal­tet sich mit Kilchörs Erläuterun­gen zum 3D-Kunstwerk.

Wie gewis­ser­massen durch den Inhalt des Apos­to­likums vorgegeben, set­zt Kilchör seinen Fokus nicht auf die prak­tis­che Rel­e­vanz des Alten Tes­ta­ments oder des Glaubens­beken­nt­niss­es, son­dern auf die Frage, wer Gott ist, und in welchem Ver­hält­nis der Men­sch zu ihm ste­ht (11). Trotz­dem verzichtet er nicht auf die Gele­gen­heit, am Ende jedes Kapi­tels vor dem Hin­ter­grund des Alten Tes­ta­ments einen Aus­blick auf die gesellschaftliche Aktu­al­ität des jew­eili­gen Glaubenssatzes zu machen. Er ver­ste­ht diese Aus­blicke als Anstoss zum Weiterdenken.

Es ist der aus­drück­liche Wun­sch des Autors, dass sein Buch dazu beitra­gen möge, die Dis­tanz von Chris­ten zum Alten Tes­ta­ment und zum Apos­to­likum zu ver­ringern und so den Glauben zu stärken (12).

Zielpublikum

Das Buch richtet sich an the­ol­o­gisch inter­essierte Chris­ten. Es ist gut ver­ständlich geschrieben, wenn auch inhaltlich dicht. Man muss ganz bei der Sache sein, um es mit Gewinn zu lesen. Doch Ben­jamin Kilchör schrieb das Buch nicht für Akademik­er. Er möchte einen Beitrag zum Ver­ständ­nis des Alten Tes­ta­ments in der christlichen Gemeinde leis­ten, und aus­ge­hend vom Apos­to­likum den Leser in das bib­lis­che Wort hine­in­führen (10). Auf the­ol­o­gis­chen Jar­gon verzichtet Kilchör weitest­ge­hend. Das zeigt sich bere­its darin, dass die ersten fünf Büch­er Mose auch so genan­nt (1. Mose, 2. Mose usw.), und nicht die akademisch gängi­gen Beze­ich­nun­gen (Gen­e­sis, Exo­dus…) ver­wen­det wer­den. Wo trotz­dem Fach­be­griffe notwendig sind, erläutert der Autor sie all­ge­mein­ver­ständlich. Zudem hat Kilchör sich für End­noten entsch­ieden, was das Erschei­n­ungs­bild des Textes für den Leser entlastet.

Inhalt

Ben­jamin Kilchör beleuchtet das Alte Tes­ta­ment aus der trini­tarischen Per­spek­tive des Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­niss­es. Der Offen­barungs­fortschritt des Neuen gegenüber des Alten Tes­ta­ments wird voraus­ge­set­zt und das Alte Tes­ta­ment von Chris­tus her gele­sen. Diese Auseinan­der­set­zung erschöpft sich nicht auf all­ge­meinen Plätzen, wie z. B. Christo­phanien (Chris­tuser­schei­n­un­gen) im Alten Tes­ta­ment. Son­dern Kilchör zeich­net beispiel­sweise nach, wie das Ster­ben und Aufer­ste­hen des Gesalbten im Alten Tes­ta­ment (nur) in ver­bor­gen­er Weise präsent sind, und es der Ausle­gung vom Neuen Tes­ta­ment her bedarf, um dies so zu erken­nen (118–122).

Kilchör gliedert sein Buch in vier Kapi­tel und geht dabei den Haupt­sätzen des Apos­to­likums nach. Die ersten drei Kapi­tel nehmen die Sätze zu Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist zum Start­punkt der Aus­führun­gen. Den Satz zur «heili­gen, katholis­chen (= allum­fassenden) Kirche» und die darauf­fol­gen­den Aus­sagen bespricht Kilchör in einem eige­nen Kapi­tel. Er möchte diese Aufzäh­lung nicht als Wirkun­gen des Heili­gen Geistes ver­standen haben, son­dern geht sie als Gaben und Wirkun­gen an, die Vater, Sohn und Heiliger Geist gemein­sam wirken (173).

Aus­ge­hend von den einzel­nen Sätzen und Teil­sätzen des Apos­to­likums arbeit­et er die grossen Lin­ien dazuge­höriger The­men­bö­gen im Alten Tes­ta­ment her­aus, die sachgemäss auch ins Neue Tes­ta­ment ragen.

Aus­ge­hend vom Glaubenssatz «Ich glaube an Gott, den Vater den Allmächti­gen, den Schöpfer des Him­mels und der Erde» wid­met sich das erste Kapi­tel (14–67) den The­men per­sön­lich­er Glaube und das Vater- und Schöpfer-Sein Gottes. Daraus fol­gen Aus­führun­gen zur Entsprechung von Schöp­fung und Tem­pel, zum Men­schen als Gottes Eben­bild, zur priester­lichen Auf­gabe des Men­schen, zur Unter­schei­dung und Tren­nung von Gottes Bere­ich (heilig/Himmel) und dem Bere­ich der Men­schen (profan/Erde), und zur sich daraus ergeben­den Notwendigkeit ein­er Ver­mit­tlung zwis­chen Gott und Men­sch, die Gott selb­st initiiert.

Im Faz­it zum ersten Kapiteln liefert Kilchör einige Gedanke­nanstösse zur gesellschaftlichen Aktu­al­ität des ersten Glaubenssatzes: Er beleuchtet sowohl die Nähe aber auch die Dif­ferenz des Men­schen zu Gott als Gotte­skind und als Geschöpf. Im Ver­ste­hen, wer Gott ist als Vater und Schöpfer, lernt der Men­sch ver­ste­hen, welch­es sein Platz in der Welt ist: Er ist weniger als Gott, aber mehr als ein Tier. Das schützt ihn vor Selb­stüber­höhung (Selb­stop­ti­mierung, Gen­der-Bewe­gung, Tran­shu­man­is­mus) und vor der Auf­gabe der Gotte­seben­bildlichkeit des Men­schen (Abtrei­bung, Ster­be­hil­fe, kün­stliche Intelligenz).

Das zweite Kapi­tel «Und an Jesus Chris­tus, seinen einge­bore­nen Sohn, unseren Her­rn» (68–133) wider­spiegelt die bere­its benan­nte hermeneutis­che Voraus­set­zung des Autors, dass das Alte Tes­ta­ment im Licht des Neuen zu lesen ist. Sein Ansatz lautet:

«Auch wenn Jesus als Men­sch uns erst im Neuen Tes­ta­ment begeg­net, führen uns alle drei Aus­sagen über ihn [Chris­tus, d.h. Gesalbter, Sohn Gottes und Herr] ins Alte Tes­ta­ment.» (69)

Die Ver­flech­tung neu- und alttes­ta­mentlich­er Bezüge ist in diesem Kapi­tel stärk­er als im Ersten. Trotz der notwendi­gen Bezug­nahme auf neutes­ta­mentliche Texte geht der Fokus auf das Alte Tes­ta­ment in keinem Moment verloren.

Aus­ge­hend vom «Christus»-Titel bespricht Kilchör die Bedeu­tung der Sal­bung für die drei alttes­ta­mentlichen Ämter des Propheten, Priesters und Königs. Danach betra­chtet er das The­ma «Gesalbter» im Jesa­jabuch und verbindet die Beobach­tun­gen mit der Sal­bung Jesu im Luka­se­van­geli­um. So set­zt er die Grundpfeil­er fürs Ver­ständ­nis der ersten vier Kapi­tel des Luka­se­van­geli­ums vor seinem alttes­ta­mentlichen Hin­ter­grund. Die Aus­sagen des Apos­to­likums zu Jesus als Sohn Gottes und als Her­rn beleuchtet der Autor, indem er von den alttes­ta­mentlichen Tex­ten aus­ge­ht, die für die neutes­ta­mentlichen Autoren grundle­gend für diese bei­den Glauben­saus­sagen waren.

Kilchör zeigt auf, dass die Aus­sagen zu Jesus als Gesalbter, Sohn Gottes und Herr sich gegen­seit­ig bedin­gen. Er nimmt diese drei Aus­sagen als Grund­lage für die weit­eren Aus­führung zur «Erniedri­gung und Erhöhung Jesu»: Unter diesem Unter­ti­tel fasst er die weit­eren Aus­sagen zur Men­schw­er­dung, Kreuzestod, Aufer­ste­hung und Him­melfahrt Jesu zusam­men und zeich­net Schritt für Schritt diese The­men im Alten Tes­ta­ment nach.

Als wichtig­ste Anre­gung zur gesellschaftlichen Aktu­al­ität nen­nt Kilchör zum zweit­en Glaubenssatz, dass der Men­sch in Bezug auf Jesus Chris­tus lernt, was wahres Men­sch­sein bedeutet. Jesus vere­int in seinem Herr-Sein und in seinem Lei­den die Frei­heit und die Demut: Die Frei­heit, nie­man­dem unter­tan zu sein und sich nicht von Mächt­en ein­schüchtern zu lassen, die in Anspruch nehmen, was nur Gott gebührt; und die Demut, durch Liebe jedem unter­tan zu sein, und auch das Lei­den im Dienst für andere nicht zu scheuen (129–133).

«Ich glaube an den Heili­gen Geist» lautet die Über­schrift des drit­ten Kapi­tels (134–172). Viele Chris­ten tun sich schw­er, den Geist Gottes und sein Wirken einzuord­nen. In neueren Ausle­gungsan­sätzen wird unter Ver­weis auf den Heili­gen Geist viel Unfug getrieben, beispiel­sweise im Ver­such geschlechterg­erecht von Gott zu sprechen mit Hin­weis auf das fem­i­nine gram­matikalis­che Geschlecht des Wortes «Geist» im Hebräis­chen, oder indem der Begriff «Geistkraft» bemüht wird, um eine Per­son der Trinität loszuw­er­den. Kilchör stellt solchen Unsicher­heit­en 39 Seit­en bib­lisch begrün­dete, leicht ver­ständliche und unspek­takuläre Aus­führun­gen zum Heili­gen Geist ent­ge­gen, die das reiche und umfassende Wirkungsspek­trum des Heili­gen Geistes ausleucht­en. Zu Beginn führt er das lebensspendende, aber auch rich­t­ende und unter­schei­dende Wirken des Geistes aus, das im Alten Tes­ta­ment ver­ankert ist. Er beleuchtet vier Aspek­te des heili­gen­den Wirkens – «d.h. Men­schen mit der Leben­skraft Gottes aus­rüstet und neues Leben schafft» (137) – des Geistes, das sich zeigt in der Unter­schei­dung von Licht und Fin­ster­n­is, von Land und Wass­er, von Leben und Tod, und von Gut und Böse.

Kilchör benen­nt zum Schluss des Kapi­tels aus­drück­lich die Schwierigkeit­en, die viele Chris­ten mit der drit­ten Per­son der Dreieinigkeit haben. Er betont, dass der Heilige Geist den Men­schen erst in Beziehung zu Gott Vater und Schöpfer set­zt. Er ist für die Beziehung des Men­schen zu Gott dem Vater und dem Sohn unab­d­ing­bar: Es ist der Geist Gottes, der die Chris­ten in die Gotte­skind­schaft hinein­nimmt (169).

Gegenüber dem Welt­bild der heuti­gen west­lichen Zivil­i­sa­tion ist das Beken­nt­nis zum Heili­gen Geist ein notwendi­ges Kor­rek­tiv: Der Geist ist nicht auf der Seite der Biolo­gie, son­dern gehört auf die Seite des Schöpfers und ist der Materie vor­ge­ord­net. Der Geist «belebt und begabt, ord­net, gestal­tet und heiligt» (172) die Materie. Darum «wird es dem Men­schen [niemals] möglich sein, sel­ber Gott zu spie­len und Leben und Geist zu erschaf­fen» (172). Ethisch betra­chtet darf darum auch nicht alles, was tech­nisch auf der materiellen Ebene möglich ist, ein­fach gemacht wer­den. Es muss sich an den Schranken aus­richt­en, die dadurch geset­zt sind, dass der Men­sch eine Schöp­fung Gottes ist.

Der vierte und let­zte Teil (173–219) seines Buch­es wid­met Ben­jamin Kilchör den Gaben und Wirkun­gen, die Vater, Sohn und Heiliger Geist gemein­sam wirken. Unter dem Titel «Die heilige, katholis­che [d.h. allum­fassende] Kirche» bear­beit­et er die Aufzäh­lung der «wichtig­sten Dinge, die der dreieinige Gott schafft und wirkt» (174). Die Inhalte am Schluss des Apos­to­likums sind dem Beken­nt­nis an den dreieini­gen Gott sprach­lich ein­deutig nach­ge­ord­net. Es fehlt das «an» im Glaubenssatz. Das Beken­nt­nis lautet «Ich glaube die heilige, katholis­che Kirche», was ein Beken­nt­nis zur Wirk­lichkeit dieser Kirche ist und nicht zum Glauben an die Kirche.

Der Autor ver­fol­gt die Wurzeln der neutes­ta­mentlichen Gemeinde zurück ins Alte Tes­ta­ment zur «Ver­samm­lung der Her­aus­gerufe­nen» am Berg Sinai, als Gott mit dem Volk Israel den Bund schliesst. «Israel ist her­aus­gerufen, um die Worte Gottes zu hören, um Gottes­furcht zu ler­nen und um die kom­menden Gen­er­a­tio­nen zu lehren.» (175), beobachtet Kilchör und zieht die Par­al­le­len zur neutes­ta­mentlichen Gemeinde. Auf­grund weit­er­er alttes­ta­mentlich­er Aus­sagen zeich­net er die Fort­set­zungslin­ie zwis­chen alt- und neutes­ta­mentlichem Volk Gottes nach. Er zeigt auf, dass es schon immer auf eine wel­tum­fassende (= katholis­che) Gemein­schaft angelegt war, weil «die ganze Welt Gottes Eigen­tum ist» (181).

Anhand der abschliessenden Glaubenssätze geht Kilchör dann auf Inhalte ein, die die kirch­liche Gemein­schaft aus­machen, und zeich­net die The­men­stränge im Alten Tes­ta­ment nach: Taufe und Abendmahl («Gemein­schaft der Heili­gen»), Wass­er und Blut («Verge­bung der Sün­den»), Aufer­ste­hung­shoff­nung, das ewige Leben, und die Gemeinde als glaubende Beken­nt­nis­ge­mein­schaft («Amen»). Alle Glaubenssätze beziehen sich auf den Bere­ich der Geschöpflichkeit und ste­hen so in Antwort auf das Beken­nt­nis zum dreieini­gen Schöpfergott.

Kilchör hebt zum Schluss (214–219) vier Punk­te her­vor, weshalb er die Glaubenssätze über die Kirche und Gottes Han­deln an ihr für wichtig hält. Das sind seine prak­tis­chen Anre­gun­gen zum vierten Glaubenssatz des Apos­to­likums. Erstens ist die Exis­tenz ein­er heili­gen, katholis­chen Kirche nicht offen­sichtlich und bedarf des Ver­trauens, dass Gott sich diese Kirche schafft, erhält und ent­ge­gen allem Augen­schein zur Vol­lkom­men­heit führt. Zweit­ens erin­nern die Adjek­tive heilig und katholisch (= allum­fassend) daran, dass die christliche Gemein­schaft zugle­ich auss­chliessend und ein­schliessend ist. Jed­er darf hinzukom­men, aber es gilt auch der Ruf zur Abson­derung von der Sünde und zur Heiligkeit. Es ste­ht der Gemeinde wed­er an, ein exk­lu­siv­er Klub zu sein, noch ihre moralis­chen Stan­dards der Gesellschaft anzu­passen. Die christlichen Gemein­den sind immer wieder gefordert wed­er in die eine noch in die andere Rich­tung ein­seit­ig zu wer­den. Drit­tens hat der christliche Glauben eine erfahrbare und sicht­bare Seite, die unaufgeb­bar ist: Das ist die Gemein­schaft mit anderen Gläu­bi­gen in Taufe und Abendmahl. Viertens gehören Jen­seits und Dies­seits im christlichen Glauben zusam­men, was in der «Aufer­ste­hung der Toten» fass­bar wird. Die Über­be­to­nung des einen über das andere führt zur Welt­flucht oder zur Jen­seitsvergessen­heit. Bei­de Ein­seit­igkeit­en sind unge­sund für die christliche Gemeinde.

Gewinn

Der Haupt­gewinn des Buch­es ist ein dop­pel­ter: Die Aus­führun­gen zeigen zum einen gesamt­bib­lis­che Zusam­men­hänge auf, zum anderen lassen sie den Wert und die Wichtigkeit des Glaubens­beken­nt­niss­es erken­nen. Zudem prof­i­tiert der Leser von vie­len weit­eren Punk­ten, die ich fol­gend ohne Pri­or­isierung und ohne Anspruch auf Voll­ständigkeit erwähne.

Neben­bei erwäh­nte Beobach­tun­gen eröff­nen neue Hor­i­zonte fürs all­ge­meine Bibelver­ständ­nis. Zum Beispiel die Unter­schei­dung zwis­chen der zwei­gliedri­gen («Him­mel und Erde») und der drei­gliederi­gen (Him­mel, Erde, Meer) Kos­molo­gie in 1. Mose 1 und 2 führt zum genaueren Nach­denken über manche For­mulierung in der Bibel, die man son­st schnell über­li­est. Das schafft auch ein tief­eres Ver­ständ­nis für sehr bekan­nte Texte wie z. B. der Satz «wie im Him­mel, so auf Erden» des Unser Vater-Gebets (20–22).

Kilchör weist öfters auf prak­tis­che Auswirkun­gen sein­er Aus­führun­gen. Dabei scheut er sich nicht, aktuelle Kon­tro­ver­sen anzus­prechen. Er nen­nt beispiel­sweise die Bedeu­tung der men­schlichen Eben­bildlichkeit Gottes in Bezug auf die Gen­derde­bat­te: Der Ver­such, die bipo­lare Geschlechtlichkeit von Mann und Frau zu dekon­stru­ieren, wurzelt in der Über­he­bung des Geschöpfs gegenüber seinem Schöpfer (41). Oder er zeigt die poli­tis­che Dimen­sion des Beken­nt­niss­es «Jesus ist Herr» vor dem Hin­ter­grund des Alten Tes­ta­ments auf:

«Das Chris­ten­tum ist […] immer staatskri­tisch in dem Sinne, dass den staatlichen Insti­tu­tio­nen und Regierun­gen nicht das Herr­sein über das Gewis­sen und das Leben des Men­schen zuge­s­tanden wird.» (97)

Ein weit­er­er Gewinn ist die Klärung rät­sel­hafter Bibel­stellen, die ganz unspek­takulär im Gesamt­bild der bib­lis­chen Schrift ver­ständlich wer­den. Beispiel­sweise erwäh­nt Jesus im Gespräch mit Nikode­mus, dass jemand aus «Wass­er und Geist» geboren wer­den muss, um ins Reich Gottes hineinzuge­lan­gen. In Ver­gan­gen­heit stiess ich auf einige mögliche und unmögliche Ansätze zur Ausle­gung von Johannes 3,5. Im Zusam­men­hang der Aus­führun­gen zum Heili­gen Geist liefert Kilchör eine überzeu­gende Deu­tung, weil sie bib­lisch ver­ankert ist (151). Weit­ere Stellen, die mit Kilchörs Aus­führun­gen fass­bar­er wer­den, sind 1. Mose 3,8, mit seinen Fra­gen rund um den göt­tlichen Abendspazier­gang in Eden (160), und 1. Korinther 10,2, wo die Gle­ich­set­zung der Taufe mit dem Durchzug durchs Rote Meer dem Leser des 21. Jahrhun­derts willkür­lich erscheint (184, 189). Die Lek­türe des Buch­es dient der Erk­lärung einiger schw­er ver­ständlich­er Bibel­verse, indem sie im gesamt­bib­lis­chen Zusam­men­hang einge­bet­tet werden.

Im Anhang führt Kilchör eine Zusam­men­stel­lung alttes­ta­mentlich­er Bibel­stellen zum Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis auf, die deut­lich einen Bezug zum Wort­laut oder zum Inhalt des Apos­to­likums haben (220–222). Das ist eine willkommene Hil­festel­lung für die per­sön­liche Ver­tiefung, aber auch eine wertvolle Ressource für die Predigtvor­bere­itung oder den kirch­lichen Unter­richt. Des­gle­ichen enthält das Buch ein Bibel­stel­len­verze­ich­nis mit ein­er Auflis­tung der Seiten­zahlen, wo sie im Buch behan­delt wer­den (223–229).

Auf­grund des Ziels des Buch­es streift Ben­jamin Kilchör manche inter­es­sante The­men, die er auf­grund der erforder­lichen Kürze nicht weit­er aus­führen kann. Inter­essierte Leser find­en in den End­noten ab Seite 230 Empfehlun­gen zu weit­er­führen­der Literatur.

Fazit

Han­na Stet­tler, Pfar­rerin in Flaach ZH und Pro­fes­sorin in Tübin­gen, bringt das Wesen des Buch­es im Klap­pen­text auf den Punkt: 

«Dieses Buch ist eigentlich eine Bib­lis­che The­olo­gie im Taschen­for­mat. Es führt anhand des Glaubens­beken­nt­niss­es vom Garten Eden bis zum himm­lis­chen Jerusalem.» (3)

Aus­ge­hend vom Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis set­zt Kilchör im Buch den Fokus auf die Frage, wer Gott ist und in welchem Ver­hält­nis der Men­sch zu ihm ste­ht. So bleibt der Blick auf das Wesentliche gerichtet, was jeden Men­schen unab­hängig von sein­er indi­vidu­ellen Lebenssi­t­u­a­tion bet­rifft. Die Lek­türe des Buch­es gibt viele wichtige Impulse fürs Ver­ständ­nis der Bibel und dadurch fürs per­sön­liche Glaubensleben und das Leben der christlichen Gemeinde. Es liegt jedoch in der Ver­ant­wor­tung des Lesers, diese Impulse auch weit­er zu ver­fol­gen und anzuwenden.

Wer Berührungsäng­ste mit dem Alten Tes­ta­ment hat, gehört zum deklar­i­erten Zielpub­likum des Buch­es. Wer neue Erken­nt­nisse gewin­nen will, wird höchst­wahrschein­lich nicht ent­täuscht. Wer die inneren Zusam­men­hänge der Bibel ver­tiefen will, dem sei das Buch wärm­stens emp­fohlen. Wer das Glaubens­beken­nt­nis bess­er ver­ste­hen möchte, sollte das Buch lesen.


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