Charlie Kirk und die geistliche Blindheit

Lesezeit: 4 Minuten
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by Alin Cucu | 28. Sep. 2025 | 0 comments

Deutschsprachige kirch­liche Reak­tio­nen auf Char­lie Kirks Tod und Trauer­feier blieben weit­ge­hend aus. Soweit vorhan­den, zeigen sie eine Mis­chung aus Mis­in­for­ma­tion und ekla­tan­ter Auslassung.

Bei­de Befunde deuten darauf hin, dass weite Teile der deutschsprachi­gen kirch­lichen Land­schaft an geistlich­er Blind­heit leiden.

Pas­tor Hen­ning Kiene etwa ver­weigert Kirk den Sta­tus „Mär­tyr­er“. Kiene definiert Mär­tyr­er kor­rekt als jemand, der für das Wort Gottes in den Tod geht, kann aber offen­sichtlich nicht erken­nen, dass Kirk genau dies getan hat. Ein Prob­lem ist, dass Kiene eine min­destens verkürzte, wenn nicht sog­ar fehler­hafte Vorstel­lung vom Evan­geli­um hat. Er behauptet zunächst ein­mal irreführen­der­weise, Kirk habe Empathie für einen eso­ter­ischen Begriff gehal­ten. Wahr ist, dass Kirk dies im Kon­trast zu „Sym­pa­thie“ getan hat. Empathie sei prob­lema­tisch, weil sie ver­lange, dass man genau das fühlt, was ein ander­er Men­sch fühlt; Sym­pa­thie („Mit­ge­fühl“) dage­gen sei wün­schenswert. Man kann Kirk man­gel­nde Gelehrsamkeit im Griechis­chen vor­w­er­fen, aber nicht, dass er Mit­ge­fühl ins Reich des Eso­ter­ischen ver­ban­nt. Anschliessend fasst Kiene, Luther zitierend, das Evan­geli­um zusam­men als: „Gott ist ein glühen­der Back­ofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Him­mel reicht.“ Es wäre bess­er, Kiene würde sich an dem Doku­ment ori­en­tieren, das für Mar­tin Luther mass­gebend war, näm­lich die Heilige Schrift.

Denn ich habe euch vor allem über­liefert, was ich auch emp­fan­gen habe: dass Chris­tus für unsere Sün­den gestor­ben ist nach den Schriften; und dass er begraben wurde und dass er aufer­weckt wor­den ist am drit­ten Tag nach den Schriften. (1. Korinther 15,3–4)

Diese Def­i­n­i­tion bezieht sich auf his­torische Ereignisse (welche Kirk im Fall des Fall­es immer wieder vertei­digt hat) sowie unsere Sün­den. Gott ein „Back­ofen voller Liebe“? Ja, aber auch ein „verzehren­des Feuer“ (Hebräer 12,29). Gottes Liebe beste­ht zu einem grossen Teil darin, dass Er Sünde in uns has­st und sie verzehren will. Eine harsche Real­ität, ins­beson­dere wenn Men­schen gegen Gott rebel­lieren. Dann kom­men auch Mär­tyr­er nicht umhin, ihre Rhetorik etwas deftiger zu gestal­ten. Aber war das nicht schon immer so? Wie haben denn Petrus (Apos­telgeschichte 2), Stephanus (Apos­telgeschichte 7), Johannes der Täufer (Matthäus 3) und sog­ar Jesus Chris­tus selb­st (Matthäus 23) gere­det? Waren sie hartherzig und polemisch?

Wiederum kor­rekt weist Kiene darauf hin, dass christliche Mär­tyr­er der Wahrheit Gottes dienen. Hier liegt der Knack­punkt: Hat Char­lie Kirk dies ver­passt, nur weil er zuweilen polemisch war? (Dann müssten sich auch die eben bib­lis­chen Fig­uren und der Herr der Kirche selb­st dem Vor­wurf stellen). Oder weil er The­men ansprach, die nicht der „Kern­botschaft“ des Evan­geli­ums entsprechen (unter der Annahme, dass die Kern­botschaft in den ersten Versen von 1. Korinther 15 zusam­menge­fasst wird)? Aber wie Kiene richtig hin­weist, dienen Mär­tyr­er der „Wahrheit Gottes“, unab­hängig vom genauen Aspekt. Johannes der Täufer wurde nicht auf­grund sein­er Chris­tus­predigt hin­gerichtet, son­dern weil er Herodes ver­bot, die Frau seines Brud­ers zu heirat­en (Matthäus 14). Char­lie Kirk sprach unter anderem über The­men, welche die Schöp­fung­sor­d­nung Gottes betr­e­f­fen – Geschlech­teri­den­tität, Fam­i­lie, Ehe, die ethis­chen Grund­la­gen von Gle­ich­be­hand­lung. Wenn er dafür starb, zu diesen The­men Gottes Wahrheit zu beken­nen, war er gemäss Def­i­n­i­tion ein Märtyrer.

Im evan­ge­lis­chen Son­ntags­blatt klap­pert Oliv­er Mar­quart sehr schnell die Min­i­mal-Verpflich­tung ab, die Ermor­dung Kirks als trau­rig zu charak­ter­isieren, nur um seine kri­tis­che Beleuch­tung dessen zu lancieren, was er als „Instru­men­tal­isierung des Glaubens“ ver­ste­ht. Er ver­ste­ht Äusserun­gen christlich­er Influ­encer als „poli­tisch“, weil sie her­ausheben, dass Kirk für seine Mei­n­ung starb (Johannes Hartl) oder Johannes 15,18–19 zitieren (Jas­min Friesen).

Mar­quart ist wie die meis­ten in Europa desin­formiert bezüglich zen­traler Posi­tio­nen Kirks – er ist erwiesen­er­massen wed­er ein Ras­sist, noch wertete er pauschal afroamerikanis­che Piloten ab, und der Vor­wurf des Anti­semitismus wirkt absurd, da Kirk im gle­ichen Atemzug als „Unter­stützer Israels“ dargestellt wird. Wahr ist, dass er die Tren­nung von Kirche und Staat ablehnte. Diese Posi­tion wäre ein­er ordentlichen Debat­te wert, aber lei­der geht eine sach­liche Auseinan­der­set­zung damit im schein­heili­gen Bedenken­tra­gen um „Demokratie“ unter – und das von Medi­en, welche die demokratisch gewählte zweit­stärk­ste Partei in Deutsch­land aus­gren­zen wollen.

Angesichts solch­er Hal­tun­gen über­rascht es nicht, dass auch die Trauer­feier für Char­lie Kirk als „wider­liche“ Instru­men­tal­isierung des Glaubens durch die Poli­tik gebrand­markt wird. Selt­sam, wie eine abscheuliche Instru­men­tal­isierung die Zahl der Taufen hochschnellen lässt! Kön­nte es sein, dass christliche Leader ger­ade das Wirken Gottes verpassen?

Die verkürzte und unsachgemässe Auseinan­der­set­zung mit Char­lie Kirk wird vor allem dadurch deut­lich, dass seine möglichen Meriten für Causa Christi noch nicht ein­mal in Betra­cht gezo­gen wer­den (eine pos­i­tive Aus­nahme z.B. hier). Kirk sei zu poli­tisch gewe­sen? Das wirkt wie eine bil­lige Ausrede, um ihn schnell­st­möglich abzustem­peln. Die evan­ge­lis­chen Kirchen sind min­destens genau­so poli­tisch wie Kirk, weil sie zu den gle­ichen The­men Stel­lung beziehen wie er – nur eben auf der anderen Seite des Grabens. Und ihm Gegen­satz zu ihm habe ich meine Zweifel, ob sie auch so viel Evan­geli­um verkündi­gen wie er.

Aber warum wollen evan­ge­lis­che (und ggf. auch evan­ge­likale) Leit­er denn Kirk über­haupt schnell ad acta leg­en? Gibt es von ihm nichts zu ler­nen? Von sein­er Pub­likum­swirk­samkeit, nach der sich Pas­toren und Kirchen­funk­tionäre nur die Fin­ger leck­en kön­nen? Sein­er Kom­mu­nika­tions­fähigkeit? Seinem Eifer für Gott? Warum all die bit­teren Worte? Wiewohl die ätzende Kri­tik an Kirk auf falschen Fak­ten und Annah­men basiert, glaube ich nicht, dass sie let­z­tendlich intellek­tueller Natur ist. Sie ist geistlich­er Natur. Wir haben es hier mit einem tief­greifend­en epis­temis­chen Prob­lem zu tun: der Unfähigkeit, bes­timmte Dinge zu sehen, obwohl sie offen­sichtlich sind. Der Grund für die Blind­heit ist kein intellek­tueller, son­dern ein geistlich-moralischer:

Die Lampe des Leibes ist das Auge; wenn nun dein Auge klar ist, so wird dein ganz­er Leib licht sein; wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganz­er Leib fin­ster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Fin­ster­n­is ist, wie groß die Fin­ster­n­is! (Matthäus 6,22–23)

Jesus kri­tisierte ein­mal die Phar­isäer und Sad­duzäer – eigentlich ver­fein­dete Parteien, in dieser Hin­sicht aber eins – dafür, dass sie zwar das Wet­ter inter­pretieren, die Zeichen der Zeit­en (hier, die Ankun­ft des Mes­sias) aber nicht deuten kon­nten (Matthäus 16,1–3). Mit anderen Worten: Sie waren geistlich blind. Ich fürchte, diesen Vor­wurf müssen sich all diejeni­gen Kirchen­führer gefall­en lassen, die zu Kirk entwed­er gar nichts oder nur war­nende Worte zu sagen hatten.

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Alin Cucu

Alin Cucu, Jahrgang 1981, als Kind rumänischer Eltern in Bayern aufgewachsen. Lebt seit 2017 in Arbon, kam in die Schweiz um seiner eigentlichen Berufung – Philosoph zu sein – zu folgen, zuvor arbeitete er als Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie. 2017 bis 2020 Forschungstätigkeit an der IAP in Liechtenstein, seit 2020 an der Uni Lausanne, 2022 Promotion ebenfalls in Lausanne. Alin ist geschieden und hat zwei Söhne.

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