Truett ist tot. Die Nachricht schnitt mir wie ein Messer durchs Herz. Nein — niemand aus meiner Familie. Nicht mal eine Person, welche ich je getroffen hätte. Aber Truett “TruDog”, der Sohn von Toby McKehan alias “TobyMac”. Der Junge, dessen Kinderstimme mich bereits vor 18 Jahren auf dem ersten Soloalbum von TobyMac erfreute. Der Junge — dessen Stimme seither wohl fast auf jeder Platte seines Vaters aufkreuzte. Der Junge der seinem Vater in den letzten Jahren auch grossen Kummer gemacht hat. Mit 21 Jahren. Am 23. Oktober 2019. Tot.
Wenn diese Nachrichtenmeldung schon mir das Herz gebrochen hat, was würde es dann mit dem Herz seines Vaters tun? “Wir müssen für ihn beten — schiesst es mir durch den Kopf. Es ist wichtig dass Toby bei Gott bleibt”. Ich schreibe meinem Bruder. Der soll auch beten. Zu viele Geschichten hab ich in den vergangenen Monaten von Menschen gelesen, welche angesichts von persönlichen Leiderfahrungen oder der Begegnung mit menschlichem Leid, ihren Glauben an den Nagel gehängt haben.
Und während ich das Ganze immer noch am Verarbeiten bin und sich die Todesmeldung ihren Weg um den Globus bahnt, meldet sich der Vater zu Wort. Er hat seine Kanada-Tour abgebrochen. Er spricht über seinen Sohn. Und die letzen Worte seines Statements sind diese:
Wir folgen Gott nicht, weil wir irgend eine Art Geheimabkommen mit ihm haben. Beispielsweise: “Wir werden dir folgen, wenn du uns segnest”.
Wir folgen Gott weil wir ihn lieben. Es ist uns eine Ehre.
Er ist der Gott der Berge und der Täler.
Und er ist über allen Massen schön.
TobyMac — eigene Übersetzung
Diese Worte haben mich bewegt, berührt, herausgefordert und fasziniert. Wie kann ein Mensch der gerade seinen Sohn verloren hat, so reden? Warum reckt er nicht die Faust gen Himmel? Wie ist das nur möglich, dass er in dieser Tragik über Gottes Schönheit spricht? Über seine Liebe für ihn? Über die Ehre ihm nachfolgen zu dürfen?
‘Mein’ TobyMac
TobyMac 2011 am Springtime Festival
Als ich ca 1990 als Teenager an ein christliches Musikfestival nach Deutschland darf, stört ein gänzlich unbekanntes Trio namens DC Talk mit ihrem Hiphop den beliebten Einheitsbrei aus Rock und Pop. Niemand ahnt damals, wie diese Band in den kommenden Jahren die christliche Musikwelt revolutionieren würde.
Millionen von Alben werden verkauft und einige Grammy’s gewonnen bis zum Zeitpunkt, wo DC Talk um die Jahrtausendwende ihr kreatives Schaffen einstellen. Bald steht auch fest, wer der kreative Mastermind in der Truppe war: TobyMac. Während seine beiden Bandkollegen mit ihren neuen Projekten nicht wirklich vom Fleck kommen, fliegen Toby’s Alben nur so über die Ladentheke. Seine Texte sind nah am Leben. Seine Live-Shows explosiv. Seine Musik am Puls der Zeit. Im Jahre 2012 heisst es dann: Einstieg auf Platz 1 in den US-Charts.
Gross ist die Freude, als es uns nach jahrelangen Versuchen endlich gelingt, TobyMac als Headliner des Springtime Festival 2011 zu gewinnen. Bereits Wochen vor dem Festival ist die Konzerthalle mit 3000 Gästen restlos ausverkauft. In unserem Team ist die Nervosität spürbar ob einem so ‘grossen’ Künstler. Doch die Freundlichkeit, welche die illustre Truppe von Tobymac am Konzerttag an den Tag legt, ist erstaunlich. Während Crew und Band bereits bei uns am Soundchecken sind, befindet sich Toby immer noch in London, um einige Stunden mehr mit seiner Familie verbringen zu können. Sein Flug landet um 16:00 Uhr in Zürich. Von dort geht es direkt ins Hotel zur Erholung.
Ich habe über die Jahre illustre Namen bei uns im Haus gehabt, denen es scheinbar egal war, ob sie ihren lokalen Veranstalter kennenlernen oder nicht. Anders TobyMac. Rund eine Stunde vor der Show kommt das Telefon. Tobymac ist im Haus und er will den ‘Promoter’ kennenlernen. So begegne ich dem kleinen Mann mit dem grossen Einfluss. Er ist freundlich, er ist nahbar. “Wird das Publikum meine Lieder überhaupt kennen?”, fragt er. Natürlich kannte unser Publikum jedes Lied. Es hatte 20 Jahre Zeit gehabt die Songs einzuüben.
TobyMac live am Springtime Festival 2011
2016 kommen wir als Festival nochmals in den Genuss von TobyMac. Das positive Erleben vom ersten Mal wiederholt sich. Als ich mich bei Toby’s DJ für die Freundlichkeit und Professionalität der Truppe bedanke meint dieser nur, der ‘Fisch rieche vom Kopf her’. So ist es wohl. Tobymac hat mich nicht nur musikalisch überzeugt, sondern auch menschlich.
Heute trauern wir mit. Heute sind unsere Herzen zusammen mit dem Herzen von Toby gebrochen.
Tod und Leid als ‘Glaubenskiller’
Immer wieder sind Leiderfahrungen ein Grund für Menschen, mit Gott zu brechen.
Für Bart Campolo standen scheinbar unbeantwortete Gebete an Gott am Anfang seiner Dekonversion. Warum schafft Gott das Leid nicht aus der Welt? Bart empfindet, dass seine Gebete nicht erhört werden und demzufolge, dass Gott nicht in die Geschehnisse dieser Welt eingreift. Die logische Konsequenz für ihn ist, nicht mehr an die Überzeugung der Bibel zu glauben, dass Gott souverän über die Ereignisse dieser Welt regiert und in sie eingreift.
Für Michael Gungor wird der Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager zu einem einschneidenden Erlebnis und wirft grosse Fragen bezüglich der Güte Gottes auf. Eine scheinbar unaufhaltsame Glaubens-Dekonstruktion nimmt ihren Lauf bis zu dem Moment, an dem Michael seiner Frau offenbart, dass er nicht mehr an Gott glaubt.
Auch der Einblick in weitere Biografien zeigt ein ähnliches Bild. Wo Gott nicht auf die Art und Weise handelt wie wir es uns erhoffen, können Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit und Güte aufkeimen. Oft sind solche Erlebnisse Ausgangspunkt für eine grundlegende Veränderung des Gottesbildes und des Bibelverständnisses einer Person.
Der unausweichliche Tod
Der Tod ist unausweichlich. Manchmal begegnet er uns plötzlich und unerwartet im scheinbar vorzeitigen Tod von Freunden oder Familienangehörigen. Ich habe über die Jahre zwei engste Freunde unerwartet verloren. Und gerade diese Woche erreicht mich eine Todesnachricht aus dem Leben von wertvollen Freunden, welche den verfrühten Tod ihrer Mutter, Schwiegermutter, Grossmutter beklagen müssen.
Vor 3 Wochen stand ich selber das letzte Mal an einem Grab. Wir haben ‘Opa’ begraben. Der Vater meiner lieben Frau. Der Grossvater unserer drei Kinder. Mein Schwiegervater. Opa starb lebenssatt an seinem neunzigsten Geburtstag nach einer längeren Krankheitszeit. Ich bin für immer dankbar, wie er mich in seine Familie aufgenommen hat. In den letzten Wochen seines Lebens durfte ich einer von denen sein, welche ihn auf dem letzten Wegstück begleitet haben. Der nahende Tod brachte ganz neue Emotionen und Charakterzüge aus ihm heraus. Angst, Zweifel und Reue mischten sich in die Dankbarkeit um seine Familie. “Werde ich bei Gott die Gnade finden, welche ich nötig habe?” “Ist er überhaupt da?” “Kann ich dem vertrauen, was mir über das Leben nach dem Tod gesagt wurde?”
Zu erleben, wie ein mir lieber Mensch angesichts des Todes mit seinen Zweifeln und seiner eigenen Lebensbilanz ringt, war neu für mich. “Opa — es geht nicht um das was DU für Gott getan hast. Es geht um das, was ER für dich getan hat”, versuchte ich ihm zu erklären. Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich ihn mit eigenen Worten beten und sich nach der Gnade Gottes ausstrecken.
Zu Ende war das Ringen im Herzen von Opa damit wohl noch nicht. Aber in den Tagen vor seinem Tod schien doch Schritt für Schritt Frieden in seinem Herzen Einzug zu halten.
Für meine Kinder war dies eine erste Begegnung mit dem, was wir Menschen so gerne verdrängen, aber letzlich unausweichlich ist, dem Tod. Wie sie auf die Trauerfeier reagieren würden war in den Tagen vorher eine Quelle grosser Unsicherheit für mich. Aber sie haben das Begräbnis mit einer Reife und Haltung begangen, welche mich staunen liess und berührte.
Ein Glaube der trägt
Die Trauergemeinde auf dem Weg zum Begräbnis von Truett. Foto mit freundlicher Genehmigung von JoeAngel Sanchez
Wo wir Menschen den Tod meist als Feind empfinden, präsentiert ihn uns die Bibel eher als Lehrer:
Lehre uns unsere Tage richtig zählen, damit wir ein weises Herz erlangen! Ps 90:12
Der ganze Psalm 90 gibt einen Einblick in das Ringen des Autoren Mose, die richtige Perspektive über das Leben mit seiner ganzen Vergänglichkeit zu erhalten. Der Tod ist eben nicht nur ein Feind, den es zu meiden oder zu verdrängen gibt. Der Tod kann auf gute Weise unser Gottesbild zurechtrücken, weist uns auf das Wesentliche im Leben hin, stellt uns die Frage nach dem was zählt.
Für meinen Vater war die Begegnung mit dem Tod gar der Beginn seiner persönlichen Reise hin zu Gott. Seine Hinwendung zum Glauben an Jesus fand seinen Anfang, als er am Grab seines Vaters. stand. Dessen verfrühter Tod erwies sich so letztendlich als Segen.
Aber was macht den Unterschied aus, ob Tod und Leid uns in die Einsamkeit und Verlassenheit der Gottesferne ziehen lässt, oder uns mit ganz neuer Tiefe in Verbindung zu IHM bringt?
Das Statement von TobyMac gibt uns einen ganz wesentlichen Hinweis wenn er sagt: “Wir folgen Gott nicht, weil wir irgend eine Art Geheimabkommen mit ihm hätten.”
Glaube ist keine Transaktion. Kein Vertragsverhältnis. Keine Dienstleistungsbeziehung. Kein “Wenn ich DAS mache schuldet mir Gott JENES”.
Toby Mac bringt es in den vermutlich schwierigsten Tagen seines Lebens auf den Punkt: “Wir folgen Gott weil wir ihn lieben. Es ist uns eine Ehre.”
Der Schlüssel liegt im Bundesverhältnis, welches Gott mit uns haben möchte. Gleich wie die biblische Ehe kein Vertrag ist, sondern ein Bund welcher aus der Beziehung geschlossen wird, so möchte Gott Beziehung mit uns. Nicht als Geschäftspartner, sondern als Freund fürs Leben. Ja — so nebenbei ist er auch der Schöpfer, Erhalter und Herr der Welt. Ein Leben in seiner Nachfolge kann deshalb nur eines sein: eine Ehre.
Wer dies im Herzen erfasst, der wird sich in den schweren Tagen des Lebens nicht von Gott abwenden, sondern letztlich näher zu ihm treten. Das Leid wird dem Leben dann nicht die Bedeutung nehmen, sondern seine Bedeutung vertiefen.
TobyMac hat erkannt: “Er ist der Gott der Berge und der Täler.” Er ist der Gott für die guten und für die schlechten Tage. Das bedeutet, dass er auch der Gott für Tage des Zweifelns, der Fragen oder der Trauer ist.
Wer dies im Herzen erfasst hat, der sieht auch in der Trauer die Schönheit Gottes. Der kann mit TobyMac sagen “Und er ist über alle Massen schön”. Schön, weil Gott mittrauert. Schön, weil sich die Trauer für Truett im Gesicht Gottes zeigt.
Gott ist keine Maschine. Er liebt mit einer ewigen Liebe (Vgl. Jer 31:3). Und deshalb ist unser Schmerz auch sein Schmerz, unsere Trauer auch seine. Man SIEHT es ihm an. Wer im Leid auf IHN schaut, entdeckt die Schönheit Gottes in einer neuen Facette.
Ganz ähnlich formuliert es die alttestamentliche Figur Hiob. Der Verlust von Hab und Gut und der Tod seiner Familienangehörigen stürzen ihn in grosses Leid. Trotzdem dringt er letztendlich zu Gott durch mit folgenden Worten:
Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich GESEHEN. Hiob 42:5
Wie TobyMac erging es auch Les Carlsen, dem Sänger der christlichen Metall-Pioniere Bloodgood. Im Dezember 2013 verlor er völlig unerwartet seinen einzigen Sohn. Doch Les Carlsen verbittert nicht. Er wendet sich nicht von Gott ab.
Anfang August dieses Jahres spürte ich den inneren Drang, Les Carlsen zu schreiben und ihm zu danken für seine Treue zu Gott. Die Antwort des Vaters, der seinen einzigen Sohn verloren hat, kommt postwendend und klar:
Thank you! God is great and He is good! Les Carlsen, Bloodgood
ER hat alles für uns getan
Die Trauergemeinde am Begräbnis von Truett. Foto mit freundlicher Genehmigung von Darren Tyler
Ein guter Freund von mir war an der Trauerfeier von Truett dabei. Er berichtet vom Zeugnis der Mutter, Amanda McKeehan:
“Von allen Religionen der Erde, ihren Göttern — was hätten sie mit meinem Sohn gemacht? Buddha wäre an ihm vorbeigelaufen, weil er nicht ‘erleuchtet’ genug war. Der Hinduismus hätte ihn als Ameise auf die Erde zurückgeschickt, um ihn zu demütigen. Allah hätte ihn verurteilt weil seine 5 Säulen aus Freude, Freude und noch mehr Freude bestanden.
Aber dann denke ich an den einen wahren Gott. Er bleibt stehen und schaut meinen Sohn an und liebt ihn genug um einen Plan zu schmieden. Ein Plan seinen EIGENEN erstgeborenen Sohn zu schicken, um den Preis für seine Sünden zu begleichen. Der einzige Plan der sicherstellen würde, dass ich meinen Sohn wiedersehe.” Amanda McKeehan, aus dem Gedächtnis wiedergegeben von Darren Tyler
Das ist der Kern des Evangeliums — der guten Nachricht von Jesus Christus, dem einzigen und eigenen Sohn Gottes. Lasst uns zusammen mit TobyMac und seiner Familie daran denken, dass die Hoffnung, die wir im Leben haben, nicht ein ‘Was’ ist, sondern ein ‘Wer’, eine Person! Lassen wir uns neu erfassen von der tiefen Bedeutung dieses einen Verses, welcher Gottes Liebe und Rettungshandeln für uns Menschen so treffend zusammenfasst:
Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat. Joh 3:16
Ich bete weiter für TobyMac. Ich hab auch nicht alle Antworten. Aber ich habe mit TobyMac eine Hoffnung und einen Frieden, welcher über den Tod hinausgeht.
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IM GEDENKEN AN:
‘TruDog’ Truett McKehan, 1998–2019
‘Opa’ Walter Pfäffli, 1929–2019
‘Mäggi’ Margrit Niederer, 1949–2019
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Wenn du Fragen an das Leben, den Tod oder das Leid hast, begleiten wir dich gerne im Rahmen unserer Möglichkeiten. Nimm einfach mit uns Kontakt auf.
Die Webseite THE FOUR zeigt dir auf einfache Weise, wie die christliche Hoffnung auch deine werden kann.
Tobymac am Springtimefestival 2016
Eine traurige Nachricht, die auch mich sehr betroffen macht. Vielen Dank für deinen Text und die Mut machenden Worte. Gott ist da, auch in den schwersten Zeiten. Das spüre ich derzeit selber, haben wir doch für unser Kind eine Diagnose erhalten, welche unser Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Aber ER trägt uns da hindurch und ich spüre seine Gegenwart mehr als je zuvor ❤️
Danke für die lieben Worte. Ich wünsche Gottes Kraft und Gegenwart für eure eigene familiäre Situation.
Danke für Deine Zeilen und Teilen! Gott ist wahrhaftig und gut. Seine Liebe und Gnade kennt keine Grenzen. Auch wenn Leiden und Schmerzen uns versuchen uns in die Knie zwingen, Zweifel aufkommen und uns innerlich erschüttern, ist Gottes Liebe Grösser als all dieses Leiden, all diese Schmerzen, Verluste, Trennung, Tod, Ängste. Gottes Gegenwart und sein Wunsch mit uns eine persönliche Beziehung einzugehen hat IHM nicht gereut das Kostbarste, seinen Sohn Jesus hinzugeben, damit wir nicht verloren gehen, sondern gerettet werden. Er möchte uns ein Leben schenken im Überfluss.
Danke Peter
Danke Markus.
Danke dir Peter für diese Zeilen,haben mich zu Tränen gerührt.
Patricia
Danke Patricia.