Beobachtungen zum Worthaus-Vortrag von Eugen Drewermann
Mit Eugen Drewermann hat sich das Worthaus-Projekt jüngst einen echten Promi an Bord geholt. Flankiert von Siegfried Zimmer und Thorsten Dietz, den beiden Hauptprotagonisten von Worthaus, wurde dafür eine „Popup-Tagung“ angesetzt, die am 29.2.2020 in Tübingen stattfand — also gerade noch rechtzeitig vor dem Corona-Shutdown. Ich war sehr gespannt auf die Botschaft dieses bekannten und umstrittenen Theologen, der dieses Jahr immerhin schon 80 Jahre alt wird. Mitte April wurde der Vortrag unter dem Titel „Jesus aus Nazareth – von Krieg zu Frieden“ in der Worthaus-Mediathek veröffentlicht.
Drewermann 2014, 1. Mai Kundgebung, Die Linke, Bildquelle: Michael Bruns, Flickr
Angst als Grundproblem der Menschheit
Von Beginn des Vortrags an wird deutlich: Angst ist aus der Sicht Drewermanns ein zentrales Grundproblem der Menschheit. Das alttestamentliche Bild eines moralisierenden und bestrafenden Gottes, das sich für ihn bis zu Johannes dem Täufer durchzieht, sei Ausdruck eines angsterzeugenden Systems, das bereits Kain zum Brudermörder machte. Kain ist somit nicht nur Täter. Er ist auch Opfer seiner Erfahrungen von Ausgrenzung, Benachteiligung und Zurückweisung. Und auch heute noch sei fast jeder Mord „ein Kampf darum, die verlorene Anerkennung zurückzugewinnen.“ (19:38)
Angst vor Zurückweisung raubt laut Drewermann auch die Fähigkeit, uns zu beherrschen, ethisch zu handeln und Aufforderungen zur Moral zu befolgen. Stattdessen bekämpfen wir gerade auch den uns nahestehenden Bruder, weil seine Qualitäten ja die größte Gefahr für die eigene Anerkennung sind. Wir sind alle aktiv beteiligt an einem angst- und opfererzeugenden Wirtschafts- und Bildungssystem, das auf Konkurrenz und Verdrängung basiert, gegenseitige Bekämpfung fördert, Straftäter entgegen der Weisung Jesu richtet und durch Gefängnisstrafe ausgrenzt. Aus diesem System erwächst schließlich „Krieg und Unheil in jeder Form“ (22:50). Krieg ist immer eine Folge davon, dass jemand recht haben und sich gegen andere durchsetzen will (59:44). Soldaten sind besoldete Totschläger (1:14:15). Drewermann hebt in diesem Zusammenhang vor allem die amerikanische Kriegspolitik hervor, die er in einem Atemzug mit den Nazis nennt (1:15:55).
Was ist nun die Antwort Jesu auf dieses kriegerische Angst- und Konkurrenz-System? Das Gottesbild Jesu fasst Drewermann wie folgt zusammen (41:37):
„Da ist ein Gott, der dich nie verloren gibt, der dir immer nachgeht, der deine Not begreift, gerade, wenn du etwas falsches tust, der das sogenannte Böse in Dir überliebt, um Dein Wesen zurückzugewinnen, in dem du gut bist, denn du bist doch hervorgegangen aus Gottes Hand. Es ist unmöglich zu denken, Gott stünde da mit Rachefantasien, mit drohender Strafe, mit geballter Faust im Nacken. Gott weht um Dich wie die Sanftheit des Frühlingswindes. Und es gibt keinen Ort, an dem du ihm verloren gehen könntest. Vertrau nur auf sein Verstehen.“ Eugen Drewermann
Auf Basis der Botschaft Jesu dürfen wir Gott also als Vater denken, der uns bedingungslos annimmt und uns nicht wegen unserer Leistung sondern um unserer selbst willen liebt. Das hilft therapeutisch, die Gefühle der Angst, „der Eifersucht, des Hasses, der Selbstverurteilung langsam aus der Seele zu streicheln.“ (23:15) Weil wir in Gottes Augen gut genug sind, müssen wir uns nicht mehr mit anderen messen und vergleichen. Weil wir alle Opfer sind, können wir nicht mehr übereinander urteilen, uns über Gescheiterte erheben und auf unsere eigene Leistung stolz sein. Andere hatten ja einfach nur nicht unser Glück in Bezug auf Herkunft und Gesundheit, die uns auch Gunst, Zuneigung und materielle Sicherheit einbrachte. Unser Wohlstand ist ein unverdientes Geschenk, den wir großzügig an diejenigen weiterreichen sollten, die dieses Glück nicht hatten. Wenn wir mit Menschen, die uns schlecht behandeln, das Gespräch suchen und über unsere wechselseitige Angst sprechen, können wir die Sinnlosigkeit des Gegeneinanders entlarven, so dass aus Feinden Freunde werden. Letztlich müssen wir alles, was Angst vor Ablehnung erzeugt, überwinden.
Besonders auffällig waren für mich zwei starke Gegensätze:
- Grundsätzliche Moralkritik trifft auf höchsten Moralismus: Einerseits sind wir aufgrund unserer Angst gar nicht in der Lage, moralische Forderungen zu erfüllen. Andererseits sollen wir unser Geld weggeben, selbst Mörder nicht ausgrenzen, radikal auf Gewalt verzichten, Verbrecher heilen statt strafen, Kriegsdienst und Militär vollständig abschaffen – also moralischen Ansprüchen folgen, die bislang noch kaum ein Mensch oder eine Gesellschaft umsetzen konnte.
- Ein utopisch hoffnungsvolles trifft auf ein verstörend negatives Menschenbild: Einerseits sind auch Verbrecher gute Geschöpfe Gottes, die sich ändern werden, wenn wir mit ihnen über unsere und ihre Angst reden. Andererseits sind Menschen schlimmer als Tiere, weil sie nicht nur Konkurrenzkampf, sondern gegenseitige Vernichtung suchen. Unsere Kriege seien ausnahmslos von niederen wirtschaftlichen oder geopolitischen Motiven getrieben. Selbst bei unserer Entwicklungshilfe in Afrika ginge es nur um die Sicherung von Rohstoffen statt um Hungerhilfe. Drewermanns abgrundtiefes Misstrauen gegen politische Eliten hat nach meinem Eindruck manchmal schon fast verschwörungstheoretische Anklänge.
Drewermann 2009, Abschlussredner einer Friedensdemonstration am Evangelischen Kirchentag in Bremen, Bildquelle: Wikimedia
Ein ernsthafter Idealist
Ich nehme Drewermann ab, dass er es zutiefst ernst und ehrlich meint. Er scheint ein echter Idealist zu sein mit der Vision eines friedlichen Zusammenlebens aller Menschen als Endziel. Dafür kann man ihm nur Respekt zollen. Drewermann sagt zudem viel Richtiges:
- Die Suche nach Frieden durch Verständigung kann man nicht genug betonen.
- Dass wir Menschen allesamt an Gottes moralischen Ansprüchen scheitern ist tatsächlich eine der zentralen Botschaften des Alten Testaments.
- Jesus hat mehr als deutlich gemacht, dass niemand persönlich ein Recht hat, über andere zu urteilen und zu richten.
- Dass sich praktizierte Nächstenliebe auch monetär äußern muss, findet sich vielfach im Neuen Testament.
- Die bedingungslose Liebe und Annahme des himmlischen Vaters ist tatsächlich eine entscheidend wichtige Antwort auf unsere existenzielle Frage nach Identität, Wert, Annahme und Zugehörigkeit.
Das sind zweifellos wichtige Aspekte an, die Christen immer wieder neu und noch viel gründlicher bedenken sollten.
Leider erwähnt Drewermann aber nicht, dass im Neuen Testament nicht jeder Mensch ohne weiteres ein Kind Gottes ist. Johannes schreibt:
„All denen aber, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden.“ (Joh 1:12)
Der bewusste, in der Taufe zum Ausdruck kommende Eintritt in die Nachfolge Jesu ist im ganzen Neuen Testament Voraussetzung für das heilsame Näheverhältnis zu Gott. Sie beginnt nicht mit der Erkenntnis, dass wir Opfer sind, die Erlösung von schlechten Umständen brauchen. Am Anfang steht vielmehr das Eingeständnis, dass wir Sünder sind, die Erlösung vom Einfluss und den Konsequenzen unserer Sünde brauchen. Eine durch Sünde verursachte Gottesferne scheint Drewermann aber genauso wenig zu kennen wie die quer durch die Bibel bezeugte zornige und richtende Seite Gottes.
Drewermann 2014, Bildquelle: Wikipedia
Falsche Diagnose, falsche Therapie
Böse sind bei Drewermann nicht einzelne Menschen. Böse ist das System! Während Paulus seine persönliche Sündhaftigkeit betont (Römer 7:8ff.) und eine strafende Ordnungsmacht für notwendig und gottgegeben hält (Römer 13:1–7) macht es Drewermann genau umgekehrt: Er spricht das Individuum grundsätzlich frei und stellt stattdessen die strafende Ordnungsmacht als Problemursache dar.
Drewermanns Forderung der Überwindung von Angst durch radikalen Gewaltverzicht und grenzenlose Annahme kann man in der Welt der Realpolitik bestenfalls utopisch nennen. Ich halte diese Forderung sogar für gefährlich, weil sie die Realität des Bösen in uns, das auch unabhängig von schlechten Einflüssen egoistisch und selbstherrlich handeln möchte, ausblendet. Nicht nur in Drewermanns Vortrag sind Positivbeispiele von Gesellschaften, die straf- und gewaltfreie Utopien auf Dauer leben konnten, äußerst spärlich. Historisch mündeten Ansätze von antikapitalistischen Staatsformen bislang praktisch regelmäßig in (oft grausame) Tragödien, wie man aktuell wieder in Venezuela beobachten muss. Dieses Scheitern hat meines Erachtens sehr wesentlich mit der falschen Grundannahme zu tun, dass der Mensch gut sein könnte, wenn man nur die bösen Rahmenbedingungen ändern würde. Das simplifizierte Narrativ, dass böses Verhalten nur eine Folge von Angst und eine Reaktion auf Ausgrenzung und erlebtes Unrecht sei, raubt uns unsere Mündigkeit, unsere Würde und unsere Verantwortung für unser Tun. Eine überzogene Opferhaltung bietet am Ende auch keine Lösung, sondern erzeugt im Gegenteil nur neuen Hass auf das „System“, die Justiz, das Militär, die Amerikaner, den „Kapitalismus“ oder was man auch immer gerade als besonders unrechterzeugend empfindet. So mündet auch Drewermanns Vortrag letztlich in eine fast umstürzlerische Systemkritik. Verschwiegen wird dabei leider, dass unser Wirtschafts- und Bildungssystem mehr allgemeinen Wohlstand hervorgebracht hat als je ein anderes System der Weltgeschichte. Verschwiegen wird auch, dass doch gerade wir Deutschen im Angesicht des Holocaust wissen müssten, dass abgrundtief Böses manchmal nur mit staatlicher Gewalt gestoppt werden kann. Und gerade wir Deutschen sollten doch bei aller notwendigen Kritik auch nie vergessen, dass wir den Amerikanern extrem viel Gutes zu verdanken haben. Ich dachte eigentlich, dass eine derart simplifizierende Dämonisierung von Militär, Strafjustiz, Leistungsorientierung im Bildungswesen, Kapitalismus und amerikanischer Politik inzwischen auch in linksorientierten Kreisen an Bedeutung verloren hätte.
Primärer Ausgangspunkt für alles Böse ist in diesem Vortrag das von Drewermann behauptete falsche Gottesbild des Alten Testaments. Der Mord Kains könne nur verstanden werden vor dem Hintergrund, dass Gott Adam und Eva bestraft, verstoßen und ausgegrenzt hat. Dieses von Menschen halluzinierte falsche Bild von Gott werde durch Jesu Botschaft korrigiert und geheilt, wie Drewermann auch in seinem Schlusswort darlegt (ab 1:22:04):
“Sie wollten wissen, wie kommt man vom Krieg zum Frieden. Ganz simpel. Indem Sie im Namen des Menschensohnes ringsum nur Menschen sehen, genauso hilfsbedürftig wie Sie selber. Genauso fehlbar wie Sie selber. Genauso angstbesetzt wie Sie selber. Und indem sie das wahrnehmen, schmilzt alles an Konkurrenz, an Rache, an Minderwertigkeitsgefühlen, an Größenwahn, von alleine hinweg. Sie haben kein narzisstisches Problem mehr sondern eine offene Seele, und sie werden fähig, die Bergpredigt zu leben. Einfacher würde es nicht gehen. Und da drin hätten wir, soweit wir uns als Christen verstehen, eine enorme Aufgabe. Damit begann das Leben Jesu über den Fluren von Bethlehem. ‚Herrlichkeit ist Gott im Himmel einzig dann‘, singen die Engel, ‚wenn Frieden ist auf Erden, bei Menschen, die Gottes Güte glauben können.‘“ Eugen Drewermann
Das heißt: Durch richtige Erkenntnis und richtiges Verständnis schafft sich der Mensch das Vermögen, das göttliche Ideal auf Erden zu leben. Das Problem liegt dabei meines Erachtens sowohl in der Diagnose (der Mensch ist ausschließlich Opfer) als auch in der vorgeschlagenen Lösung (aus der Erkenntnis kommt die Kraft zur Besserung). Dieser Ansatz unterscheidet sich grundlegend von der christlichen Lehre der Sünde, des menschlichen Unvermögens zum Guten und des Bedarfs an Errettung und Wirken des Heiligen Geistes in uns. Bei Drewermann scheint es hingegen letztlich um eine menschenzentrierte Erlösungslehre zu gehen, die den Menschen durch Erkenntnis und Therapie retten will. Die biblische Erlösungslehre wird hier im Kern uminterpretiert.
Drewermann 2014, Festival der Philosophie, Bildquelle: Bernd Schwabe, Wikimedia
Kein unverstellter Blick auf die Bibel
Theologisch unhaltbar erscheint mir zudem der konstruierte Gegensatz zwischen der Lehre Jesu und der Gottesdarstellung des Alten Testaments. In den Evangelien bekennt sich Jesus in vielerlei Weise vollständig zur Autorität der jüdischen heiligen Schriften und verhindert damit ausdrücklich, dass man ihn gegen das Alte Testament ausspielen kann. Drewermann liest hier also eher seine persönliche Sichtweise in die Bibel hinein, anstatt uns zu zeigen, was die biblischen Autoren selbst sagen wollten. Dem Selbstanspruch von Worthaus, einen „unverstellteren Blick“ auf die Bibel zu fördern, wird dieser Vortrag somit gerade nicht gerecht. Das gilt umso mehr, da Drewermann schon im Jahr 1991 in einem Spiegel-Interview dargelegt hatte, dass für ihn das österliche Grab voll war, dass Gott niemals wundersam die Naturgesetze außer Kraft gesetzt habe, dass auch die wichtigsten biblischen Passagen einen legendenhaften, symbolischen und mythischen Charakter hätten, dass Jesu Tod sinnlos gewesen sei und dass Jesus selbst gar nie sterben wollte. Der Worthaus-Vortrag ist somit nur ein neuer Beleg dafür, dass zwischen seinem theologischen Denken und traditioneller biblisch-reformatorischer Theologie ein grundsätzlicher, unüberbrückbarer Graben liegt.
Nichtsdestotrotz hatte und hat Drewermanns Theologie ohne Zweifel eine große Anziehungskraft. Zwar wirkt der Vortrag in manchen Passagen ein wenig so, als handele es sich um eine Aufzeichnung aus der Zeit des kalten Kriegs und der Blütezeit der Friedensbewegung. Trotzdem passen Drewermanns Botschaften gut in unsere postmoderne Zeit. Es wäre naiv zu glauben, dass Drewermann nicht auch heute noch viele Anhänger findet, auch unter evangelikal geprägten Worthaus-Hörern. Natürlich ist es immer wertvoll und bereichernd, sich auch mit abweichenden theologischen Ansichten auseinanderzusetzen. Aber wir müssen dabei die grundlegenden Differenzen immer offen ansprechen. Mir ist leidvoll vor Augen, wie sehr meine evangelische Kirche durch unüberbrückbare theologische Gräben gespalten und gelähmt ist, seit derartige bibelkritische theologische Ansätze die evangelischen Ausbildungsstätten im Sturm erobert haben. Ich kann nur hoffen und beten, dass sich dieses Drama in der evangelikalen Welt nicht wiederholt.
Der Worthaus-Vortrag von Eugen Drewermann:
Anmerkung des ‹Daniel Option›-Teams:
Wir freuen uns sehr über die Bereitschaft von Dr. Markus Till, diesen Artikel auf unser Plattform zu publizieren. Sein persönlicher Blog ist voller wertvoller und gewinnbringender Artikel. Wir möchten insbesondere auf seine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit Worthaus hinweisen. Markus Till ist auch der Autor des 2019 erschienenen Buches “Zeit des Umbruchs — wenn Christen ihre evangelikale Heimat verlassen”. Herzliche Empfehlung im Namen des “Daniel Option”-Teams.
Titelbild: Public Domain, Wikimedia
Spannender Leserbrief von Alexander Garth in der aktuellen idea Spektrum zu meinem aktuellen Worthaus-Artikel:
Das geistliche Drama des Westens
Es geht in der Auseinandersetzung mit „Worthaus“ nicht um evangelikale Rechthaberei, sondern um das christliche Zeugnis, das uns weltweit vereint von den Orthodoxen zu den Katholiken über die meisten Freikirchen bis hin zu den Pfingstlern, nämlich dass Gott wirkmächtig handelt in der Geschichte, dass Jesus 100 % Mensch und 100 % Gott war (was in der Jungfrauengeburt seinen unüberbietbaren Ausdruck findet), dass er für die Sünde der Welt ans Kreuz ging, dass das Grab leer war, weil er auferstand, und dass er Wunder getan hat und bis heute tut. Genau diese fundamentalen Aussagen des Glaubens werden von den Vertretern deutscher universitärer Theologie heftig in Zweifel gezogen. „Worthaus“ ist, so Tills Analyse, eine Bühne für diese Zweifel. Die liberalen Theologen des Westens – global betrachtet ein Randphänomen – haben mit einer Reihe von sich wissenschaftlich gebärdenden Vorentscheidungen, die in unglaublicher Hybris gegen das Zeugnis der Heiligen Schrift und gegen die Zeugnisse der Kirche festlegen, was Gott getan haben könnte und was nicht, den Glauben und die missionarische Kraft ihrer Kirchen beschädigt. Das ist das geistliche Drama des Westens mit der Folge einer desaströsen geistlichen Frucht- und Vollmachtslosigkeit. Ein stummer, abwesender Gott ohne Wunder, ohne den Messias, der als Mensch und Gott zu uns kam und für alle starb und auferstand, ein „Evangelium“ mit einem Erlöser, der eigentlich nichts weiter war als ein frommer Sozialarbeiter, eine Kirche mit diesem reduzierten Glauben braucht keiner, gleich gar keine erlösungsbedürftige Welt. In der Konsequenz macht das aus der großen Geschichte Gottes ein armseliges Trauerspiel der Auflösung des Glaubens in lauter harmlose Existenzialismen und Moralismen. Ein Blick in die weltweite Christenheit und ihre vielfältige Theologie führt in eine erlösende Weite, weg von einer elitären und gleichzeitig kleinkarierten Schreibtischtheologie bildungsbürgerlicher und irgendwie auch spießiger Gelehrsamkeit.
Alexander Garth, Pfarrer, 06886 Lutherstadt Wittenberg
In der Tat IST die Angst das Grundproblem der Menschheit und damit nicht nur verantwortlich für alles Böse in der Welt, sondern auch für alle Krankheit und den Tod:
https://manfredreichelt.wordpress.com/2015/06/10/die-groste-befreiungsaktion-aller-zeiten/
Drewermann bleibt oberflächlich, wenn er meint, dass sich die Probleme der Menschheit lösen ließen, wenn wir nur alle einsehen würden, dass wir angstbesetzt seien, wie alle anderen. Nein, die Lösung kann nur Freiheit VON der Angst sein und diese ist NUR möglich, wenn wir erkennen, dass wir UNSTERBLICH sind. Wer darauf baut wird kontinuierlich alle Ängste abbauen und damit gesünder und schließlich vollkommen an Leib und Seele werden.
Ich glaube die große Herausforderung hier ist, dass das Reich Gottes eben anders funktioniert. Und Drewermann einer der wenigen ist, die das mal durchspielen.
Ob Jesus recht hat oder nicht, zeigt sich eben nicht unbedingt an Wohlstand, am stabilen System oder an einer florierenden Wirtschaft. Nicht am empirischen. Per Definition schon nicht, denn das ist ja das, was die Welt messen kann.
Ich glaube hier genau ist der Punkt, die Wunde in die Drewermann den Finger legt: Wenn wir wirklich radikal nach Jesus handeln würden, wäre eben der “gute Ausgang” NICHT garantiert. Genau das ist die Pointe. Vielleicht würden wir sterben, versagen, der Staat würde überrannt werden oder sich auflösen. Aber vielleicht ist es TROTZDEM oder grade deswegen das Absurde am Glauben. Das es trotzdem oder gerade deswegen Gottes Reich weiterbringt.
Klar ist die Vorstellung radikal und klar, kann man damit keine politischen Kämpfe gewinnen oder rational Mehrheiten gewinnen. Genau das ist der Punkt. So ähnlich wie auch Karl Barth sagt, dass es keine wirklich christliche Partei geben kann, weil sie genau da mitspielen muss.
Der durchaus differenzierte Kommentar von Dr. Markus Till wirkt auf mich vom Grundton her nach einer eher ablehnenden Kritik, wo ich mir viel eher ein wertschätzendes “Ja, und…” wünschen würde — denn offenbar erreicht Herr Drewermann Leute die sonst mit “Kirche” nicht viel anfangen können, und unter dem hier zitierten finden sich einige wertvolle Einsichten (welche, da bin ich einverstanden, weiterer Ergänzung oder Diskussion bedürfen). Bekanntlich bewegen wir uns in Spannungsfeldern und betonen verschiedene Aspekte unterschiedlich (“Schuld” vs. “Scham”-Orientierung, “System” vs. “Individuum” in der Verantwortung, etc.). Das Fazit aus dieser Beobachtung müsste doch sein, verstärkt den Diskurs mit den Vertretern anderer Schwerpunkte zu suchen und sich verstärkt mit den eigenen Schlagseiten auseinanderzusetzen…
Ich finde die Arbeit von Jonathan Haidt in dem Zusammenhang sehr spannend: https://righteousmind.com/
In uns Menschen drängt uns etwas, das Unerklärliche/Unerständliche über den (philosophischen) Verstand einzuordnen. — Glaube wird immer wachstümlich sein, unsere Einsichten verändern sich. Aber zentrale biblische Kernaussagen dürfen nicht ausgehebelt und relativiert werden, da in ihnen die Kraftquelle liegt, die sich dann im Wirken des Heiligen Geistes zu einem gelingenden und erfüllten Leben entfaltet.