Ist Angst das Grundproblem der Menschheit?

Lesezeit: 8 Minuten
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by Markus Till | 01. Mai. 2020 | 5 comments

Beobach­tun­gen zum Worthaus-Vor­trag von Eugen Drewermann

Mit Eugen Drew­er­mann hat sich das Worthaus-Pro­jekt jüngst einen echt­en Pro­mi an Bord geholt. Flankiert von Siegfried Zim­mer und Thorsten Dietz, den bei­den Haupt­pro­tag­o­nis­ten von Worthaus, wurde dafür eine „Pop­up-Tagung“ ange­set­zt, die am 29.2.2020 in Tübin­gen stat­tfand — also ger­ade noch rechtzeit­ig vor dem Coro­na-Shut­down. Ich war sehr ges­pan­nt auf die Botschaft dieses bekan­nten und umstrit­te­nen The­olo­gen, der dieses Jahr immer­hin schon 80 Jahre alt wird. Mitte April wurde der Vor­trag unter dem Titel „Jesus aus Nazareth – von Krieg zu Frieden“ in der Worthaus-Mediathek veröffentlicht.


Drew­er­mann 2014, 1. Mai Kundge­bung, Die Linke, Bildquelle:
Michael Bruns, Flickr

Angst als Grundproblem der Menschheit

Von Beginn des Vor­trags an wird deut­lich: Angst ist aus der Sicht Drew­er­manns ein zen­trales Grund­prob­lem der Men­schheit. Das alttes­ta­mentliche Bild eines moral­isieren­den und bestrafend­en Gottes, das sich für ihn bis zu Johannes dem Täufer durchzieht, sei Aus­druck eines ang­sterzeu­gen­den Sys­tems, das bere­its Kain zum Bru­d­er­mörder machte. Kain ist somit nicht nur Täter. Er ist auch Opfer sein­er Erfahrun­gen von Aus­gren­zung, Benachteili­gung und Zurück­weisung. Und auch heute noch sei fast jed­er Mord „ein Kampf darum, die ver­lorene Anerken­nung zurück­zugewin­nen.“ (19:38)

Angst vor Zurück­weisung raubt laut Drew­er­mann auch die Fähigkeit, uns zu beherrschen, ethisch zu han­deln und Auf­forderun­gen zur Moral zu befol­gen. Stattdessen bekämpfen wir ger­ade auch den uns nah­este­hen­den Brud­er, weil seine Qual­itäten ja die größte Gefahr für die eigene Anerken­nung sind. Wir sind alle aktiv beteiligt an einem angst- und opfer­erzeu­gen­den Wirtschafts- und Bil­dungssys­tem, das auf Konkur­renz und Ver­drän­gung basiert, gegen­seit­ige Bekämp­fung fördert, Straftäter ent­ge­gen der Weisung Jesu richtet und durch Gefäng­nis­strafe aus­gren­zt. Aus diesem Sys­tem erwächst schließlich „Krieg und Unheil in jed­er Form“ (22:50). Krieg ist immer eine Folge davon, dass jemand recht haben und sich gegen andere durch­set­zen will (59:44). Sol­dat­en sind besol­dete Totschläger (1:14:15). Drew­er­mann hebt in diesem Zusam­men­hang vor allem die amerikanis­che Kriegspoli­tik her­vor, die er in einem Atemzug mit den Nazis nen­nt (1:15:55).

Was ist nun die Antwort Jesu auf dieses kriegerische Angst- und Konkur­renz-Sys­tem? Das Gottes­bild Jesu fasst Drew­er­mann wie fol­gt zusam­men (41:37):

„Da ist ein Gott, der dich nie ver­loren gibt, der dir immer nachge­ht, der deine Not begreift, ger­ade, wenn du etwas falsches tust, der das soge­nan­nte Böse in Dir über­liebt, um Dein Wesen zurück­zugewin­nen, in dem du gut bist, denn du bist doch her­vorge­gan­gen aus Gottes Hand. Es ist unmöglich zu denken, Gott stünde da mit Rachefan­tasien, mit dro­hen­der Strafe, mit geball­ter Faust im Nack­en. Gott weht um Dich wie die San­ftheit des Früh­lingswindes. Und es gibt keinen Ort, an dem du ihm ver­loren gehen kön­ntest. Ver­trau nur auf sein Ver­ste­hen.“ Eugen Drew­er­mann

Auf Basis der Botschaft Jesu dür­fen wir Gott also als Vater denken, der uns bedin­gungs­los annimmt und uns nicht wegen unser­er Leis­tung son­dern um unser­er selb­st willen liebt. Das hil­ft ther­a­peutisch, die Gefüh­le der Angst, „der Eifer­sucht, des Has­s­es, der Selb­stverurteilung langsam aus der Seele zu stre­icheln.“ (23:15) Weil wir in Gottes Augen gut genug sind, müssen wir uns nicht mehr mit anderen messen und ver­gle­ichen. Weil wir alle Opfer sind, kön­nen wir nicht mehr übere­inan­der urteilen, uns über Gescheit­erte erheben und auf unsere eigene Leis­tung stolz sein. Andere hat­ten ja ein­fach nur nicht unser Glück in Bezug auf Herkun­ft und Gesund­heit, die uns auch Gun­st, Zunei­gung und materielle Sicher­heit ein­brachte. Unser Wohl­stand ist ein unver­di­entes Geschenk, den wir großzügig an diejeni­gen weit­er­re­ichen soll­ten, die dieses Glück nicht hat­ten. Wenn wir mit Men­schen, die uns schlecht behan­deln, das Gespräch suchen und über unsere wech­sel­seit­ige Angst sprechen, kön­nen wir die Sinnlosigkeit des Gegeneinan­ders ent­lar­ven, so dass aus Fein­den Fre­unde wer­den. Let­ztlich müssen wir alles, was Angst vor Ablehnung erzeugt, überwinden.

Beson­ders auf­fäl­lig waren für mich zwei starke Gegensätze:

  • Grund­sät­zliche Moralkri­tik trifft auf höch­sten Moral­is­mus: Ein­er­seits sind wir auf­grund unser­er Angst gar nicht in der Lage, moralis­che Forderun­gen zu erfüllen. Ander­er­seits sollen wir unser Geld weggeben, selb­st Mörder nicht aus­gren­zen, radikal auf Gewalt verzicht­en, Ver­brech­er heilen statt strafen, Kriegs­di­enst und Mil­itär voll­ständig abschaf­fen – also moralis­chen Ansprüchen fol­gen, die bis­lang noch kaum ein Men­sch oder eine Gesellschaft umset­zen konnte.
  • Ein utopisch hoff­nungsvolles trifft auf ein ver­störend neg­a­tives Men­schen­bild: Ein­er­seits sind auch Ver­brech­er gute Geschöpfe Gottes, die sich ändern wer­den, wenn wir mit ihnen über unsere und ihre Angst reden. Ander­er­seits sind Men­schen schlim­mer als Tiere, weil sie nicht nur Konkur­ren­zkampf, son­dern gegen­seit­ige Ver­nich­tung suchen. Unsere Kriege seien aus­nahm­s­los von niederen wirtschaftlichen oder geopoli­tis­chen Motiv­en getrieben. Selb­st bei unser­er Entwick­lung­shil­fe in Afri­ka gin­ge es nur um die Sicherung von Rohstof­fen statt um Hunger­hil­fe. Drew­er­manns abgrundtiefes Mis­strauen gegen poli­tis­che Eliten hat nach meinem Ein­druck manch­mal schon fast ver­schwörungs­the­o­retis­che Anklänge.


Drew­er­mann 2009, Abschlussred­ner ein­er Friedens­demon­stra­tion am Evan­ge­lis­chen Kirchen­tag in Bre­men, Bildquelle: Wiki­me­dia

Ein ernsthafter Idealist

Ich nehme Drew­er­mann ab, dass er es zutief­st ernst und ehrlich meint. Er scheint ein echter Ide­al­ist zu sein mit der Vision eines friedlichen Zusam­men­lebens aller Men­schen als Endziel. Dafür kann man ihm nur Respekt zollen. Drew­er­mann sagt zudem viel Richtiges:

  • Die Suche nach Frieden durch Ver­ständi­gung kann man nicht genug betonen.
  • Dass wir Men­schen alle­samt an Gottes moralis­chen Ansprüchen scheit­ern ist tat­säch­lich eine der zen­tralen Botschaften des Alten Testaments.
  • Jesus hat mehr als deut­lich gemacht, dass nie­mand per­sön­lich ein Recht hat, über andere zu urteilen und zu richt­en.
  • Dass sich prak­tizierte Näch­sten­liebe auch mon­etär äußern muss, find­et sich vielfach im Neuen Testament.
  • Die bedin­gungslose Liebe und Annahme des himm­lis­chen Vaters ist tat­säch­lich eine entschei­dend wichtige Antwort auf unsere exis­ten­zielle Frage nach Iden­tität, Wert, Annahme und Zugehörigkeit.

Das sind zweifel­los wichtige Aspek­te an, die Chris­ten immer wieder neu und noch viel gründlich­er bedenken sollten.

Lei­der erwäh­nt Drew­er­mann aber nicht, dass im Neuen Tes­ta­ment nicht jed­er Men­sch ohne weit­eres ein Kind Gottes ist. Johannes schreibt:

All denen aber, die ihn auf­nah­men und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu wer­den.“ (Joh 1:12)

Der bewusste, in der Taufe zum Aus­druck kom­mende Ein­tritt in die Nach­folge Jesu ist im ganzen Neuen Tes­ta­ment Voraus­set­zung für das heil­same Nähev­er­hält­nis zu Gott. Sie begin­nt nicht mit der Erken­nt­nis, dass wir Opfer sind, die Erlö­sung von schlecht­en Umstän­den brauchen. Am Anfang ste­ht vielmehr das Eingeständ­nis, dass wir Sün­der sind, die Erlö­sung vom Ein­fluss und den Kon­se­quen­zen unser­er Sünde brauchen. Eine durch Sünde verur­sachte Gottes­ferne scheint Drew­er­mann aber genau­so wenig zu ken­nen wie die quer durch die Bibel bezeugte zornige und rich­t­ende Seite Gottes.


Drew­er­mann 2014, Bildquelle: Wikipedia

Falsche Diagnose, falsche Therapie

Böse sind bei Drew­er­mann nicht einzelne Men­schen. Böse ist das Sys­tem! Während Paulus seine per­sön­liche Sünd­haftigkeit betont (Römer 7:8ff.) und eine strafende Ord­nungs­macht für notwendig und gottgegeben hält (Römer 13:1–7) macht es Drew­er­mann genau umgekehrt: Er spricht das Indi­vidu­um grund­sät­zlich frei und stellt stattdessen die strafende Ord­nungs­macht als Prob­le­mur­sache dar.

Drew­er­manns Forderung der Über­win­dung von Angst durch radikalen Gewaltverzicht und gren­zen­lose Annahme kann man in der Welt der Realpoli­tik besten­falls utopisch nen­nen. Ich halte diese Forderung sog­ar für gefährlich, weil sie die Real­ität des Bösen in uns, das auch unab­hängig von schlecht­en Ein­flüssen ego­is­tisch und selb­s­ther­rlich han­deln möchte, aus­blendet. Nicht nur in Drew­er­manns Vor­trag sind Pos­i­tivbeispiele von Gesellschaften, die straf- und gewalt­freie Utopi­en auf Dauer leben kon­nten, äußerst spär­lich. His­torisch mün­de­ten Ansätze von antikap­i­tal­is­tis­chen Staats­for­men bis­lang prak­tisch regelmäßig in (oft grausame) Tragö­di­en, wie man aktuell wieder in Venezuela beobacht­en muss. Dieses Scheit­ern hat meines Eracht­ens sehr wesentlich mit der falschen Grun­dan­nahme zu tun, dass der Men­sch gut sein kön­nte, wenn man nur die bösen Rah­menbe­din­gun­gen ändern würde. Das sim­pli­fizierte Nar­ra­tiv, dass bös­es Ver­hal­ten nur eine Folge von Angst und eine Reak­tion auf Aus­gren­zung und erlebtes Unrecht sei, raubt uns unsere Mündigkeit, unsere Würde und unsere Ver­ant­wor­tung für unser Tun. Eine über­zo­gene Opfer­hal­tung bietet am Ende auch keine Lösung, son­dern erzeugt im Gegen­teil nur neuen Hass auf das „Sys­tem“, die Jus­tiz, das Mil­itär, die Amerikan­er, den „Kap­i­tal­is­mus“ oder was man auch immer ger­ade als beson­ders unrechterzeu­gend empfind­et. So mün­det auch Drew­er­manns Vor­trag let­ztlich in eine fast umstür­z­lerische Sys­temkri­tik. Ver­schwiegen wird dabei lei­der, dass unser Wirtschafts- und Bil­dungssys­tem mehr all­ge­meinen Wohl­stand her­vorge­bracht hat als je ein anderes Sys­tem der Welt­geschichte. Ver­schwiegen wird auch, dass doch ger­ade wir Deutschen im Angesicht des Holo­caust wis­sen müssten, dass abgrundtief Bös­es manch­mal nur mit staatlich­er Gewalt gestoppt wer­den kann. Und ger­ade wir Deutschen soll­ten doch bei aller notwendi­gen Kri­tik auch nie vergessen, dass wir den Amerikan­ern extrem viel Gutes zu ver­danken haben. Ich dachte eigentlich, dass eine der­art sim­pli­fizierende Dämon­isierung von Mil­itär, Strafjus­tiz, Leis­tung­sori­en­tierung im Bil­dungswe­sen, Kap­i­tal­is­mus und amerikanis­ch­er Poli­tik inzwis­chen auch in linksori­en­tierten Kreisen an Bedeu­tung ver­loren hätte.

Primär­er Aus­gangspunkt für alles Böse ist in diesem Vor­trag das von Drew­er­mann behauptete falsche Gottes­bild des Alten Tes­ta­ments. Der Mord Kains könne nur ver­standen wer­den vor dem Hin­ter­grund, dass Gott Adam und Eva bestraft, ver­stoßen und aus­ge­gren­zt hat. Dieses von Men­schen hal­luzinierte falsche Bild von Gott werde durch Jesu Botschaft kor­rigiert und geheilt, wie Drew­er­mann auch in seinem Schluss­wort dar­legt (ab 1:22:04):

“Sie woll­ten wis­sen, wie kommt man vom Krieg zum Frieden. Ganz sim­pel. Indem Sie im Namen des Men­schen­sohnes ring­sum nur Men­schen sehen, genau­so hil­fs­bedürftig wie Sie sel­ber. Genau­so fehlbar wie Sie sel­ber. Genau­so angst­be­set­zt wie Sie sel­ber. Und indem sie das wahrnehmen, schmilzt alles an Konkur­renz, an Rache, an Min­der­w­er­tigkeits­ge­fühlen, an Größen­wahn, von alleine hin­weg. Sie haben kein narzis­stis­ches Prob­lem mehr son­dern eine offene Seele, und sie wer­den fähig, die Berg­predigt zu leben. Ein­fach­er würde es nicht gehen. Und da drin hät­ten wir, soweit wir uns als Chris­ten ver­ste­hen, eine enorme Auf­gabe. Damit begann das Leben Jesu über den Fluren von Beth­le­hem. ‚Her­rlichkeit ist Gott im Him­mel einzig dann‘, sin­gen die Engel, ‚wenn Frieden ist auf Erden, bei Men­schen, die Gottes Güte glauben kön­nen.‘“ Eugen Drew­er­mann

Das heißt: Durch richtige Erken­nt­nis und richtiges Ver­ständ­nis schafft sich der Men­sch das Ver­mö­gen, das göt­tliche Ide­al auf Erden zu leben. Das Prob­lem liegt dabei meines Eracht­ens sowohl in der Diag­nose (der Men­sch ist auss­chließlich Opfer) als auch in der vorgeschla­ge­nen Lösung (aus der Erken­nt­nis kommt die Kraft zur Besserung). Dieser Ansatz unter­schei­det sich grundle­gend von der christlichen Lehre der Sünde, des men­schlichen Unver­mö­gens zum Guten und des Bedarfs an Erret­tung und Wirken des Heili­gen Geistes in uns. Bei Drew­er­mann scheint es hinge­gen let­ztlich um eine men­schen­zen­tri­erte Erlö­sungslehre zu gehen, die den Men­schen durch Erken­nt­nis und Ther­a­pie ret­ten will. Die bib­lis­che Erlö­sungslehre wird hier im Kern uminterpretiert.


Drew­er­mann 2014, Fes­ti­val der Philoso­phie, Bildquelle:
Bernd Schwabe, Wiki­me­dia

Kein unverstellter Blick auf die Bibel

The­ol­o­gisch unhalt­bar erscheint mir zudem der kon­stru­ierte Gegen­satz zwis­chen der Lehre Jesu und der Gottes­darstel­lung des Alten Tes­ta­ments. In den Evan­gelien beken­nt sich Jesus in viel­er­lei Weise voll­ständig zur Autorität der jüdis­chen heili­gen Schriften und ver­hin­dert damit aus­drück­lich, dass man ihn gegen das Alte Tes­ta­ment ausspie­len kann. Drew­er­mann liest hier also eher seine per­sön­liche Sichtweise in die Bibel hinein, anstatt uns zu zeigen, was die bib­lis­chen Autoren selb­st sagen woll­ten. Dem Selb­stanspruch von Worthaus, einen „unver­stell­teren Blick“ auf die Bibel zu fördern, wird dieser Vor­trag somit ger­ade nicht gerecht. Das gilt umso mehr, da Drew­er­mann schon im Jahr 1991 in einem Spiegel-Inter­view dargelegt hat­te, dass für ihn das öster­liche Grab voll war, dass Gott niemals wun­der­sam die Naturge­set­ze außer Kraft geset­zt habe, dass auch die wichtig­sten bib­lis­chen Pas­sagen einen leg­en­den­haften, sym­bol­is­chen und mythis­chen Charak­ter hät­ten, dass Jesu Tod sinn­los gewe­sen sei und dass Jesus selb­st gar nie ster­ben wollte. Der Worthaus-Vor­trag ist somit nur ein neuer Beleg dafür, dass zwis­chen seinem the­ol­o­gis­chen Denken und tra­di­tioneller bib­lisch-refor­ma­torisch­er The­olo­gie ein grund­sät­zlich­er, unüber­brück­bar­er Graben liegt.

Nichts­destotrotz hat­te und hat Drew­er­manns The­olo­gie ohne Zweifel eine große Anziehungskraft. Zwar wirkt der Vor­trag in manchen Pas­sagen ein wenig so, als han­dele es sich um eine Aufze­ich­nung aus der Zeit des kalten Kriegs und der Blütezeit der Friedens­be­we­gung. Trotz­dem passen Drew­er­manns Botschaften gut in unsere post­mod­erne Zeit. Es wäre naiv zu glauben, dass Drew­er­mann nicht auch heute noch viele Anhänger find­et, auch unter evan­ge­likal geprägten Worthaus-Hör­ern. Natür­lich ist es immer wertvoll und bere­ich­ernd, sich auch mit abwe­ichen­den the­ol­o­gis­chen Ansicht­en auseinan­derzuset­zen. Aber wir müssen dabei die grundle­gen­den Dif­feren­zen immer offen ansprechen. Mir ist lei­d­voll vor Augen, wie sehr meine evan­ge­lis­che Kirche durch unüber­brück­bare the­ol­o­gis­che Gräben ges­pal­ten und gelähmt ist, seit der­ar­tige bibelkri­tis­che the­ol­o­gis­che Ansätze die evan­ge­lis­chen Aus­bil­dungsstät­ten im Sturm erobert haben. Ich kann nur hof­fen und beten, dass sich dieses Dra­ma in der evan­ge­likalen Welt nicht wiederholt.

Der Worthaus-Vor­trag von Eugen Drew­er­mann:

Anmerkung des ‹Daniel Option›-Teams:

Wir freuen uns sehr über die Bere­itschaft von Dr. Markus Till, die­sen Arti­kel auf unser Plat­tform zu pub­lizieren. Sein per­sön­lich­er Blog ist voller wertvoller und gewinnbrin­gen­der Artikel. Wir möcht­en ins­beson­dere auf seine kon­struk­tiv-kri­tis­che Auseinan­der­set­zung mit Worthaus hin­weisen. Markus Till ist auch der Autor des 2019 erschiene­nen Buch­es “Zeit des Umbruchs — wenn Chris­ten ihre evan­ge­likale Heimat ver­lassen”. Her­zliche Empfehlung im Namen des “Daniel Option”-Teams.

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Markus Till

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Kommentare zu diesen Beitrag

5 Comments

  1. Peter Bruderer

    Span­nen­der Leser­brief von Alexan­der Garth in der aktuellen idea Spek­trum zu meinem aktuellen Worthaus-Artikel:

    Das geistliche Dra­ma des Westens

    Es geht in der Auseinan­der­set­zung mit „Worthaus“ nicht um evan­ge­likale Rechthaberei, son­dern um das christliche Zeug­nis, das uns weltweit vere­int von den Ortho­dox­en zu den Katho­liken über die meis­ten Freikirchen bis hin zu den Pfin­gstlern, näm­lich dass Gott wirk­mächtig han­delt in der Geschichte, dass Jesus 100 % Men­sch und 100 % Gott war (was in der Jungfrauenge­burt seinen unüber­bi­et­baren Aus­druck find­et), dass er für die Sünde der Welt ans Kreuz ging, dass das Grab leer war, weil er aufer­stand, und dass er Wun­der getan hat und bis heute tut. Genau diese fun­da­men­tal­en Aus­sagen des Glaubens wer­den von den Vertretern deutsch­er uni­ver­sitär­er The­olo­gie heftig in Zweifel gezo­gen. „Worthaus“ ist, so Tills Analyse, eine Bühne für diese Zweifel. Die lib­eralen The­olo­gen des West­ens – glob­al betra­chtet ein Rand­phänomen – haben mit ein­er Rei­he von sich wis­senschaftlich gebär­den­den Vorentschei­dun­gen, die in unglaublich­er Hybris gegen das Zeug­nis der Heili­gen Schrift und gegen die Zeug­nisse der Kirche fes­tle­gen, was Gott getan haben kön­nte und was nicht, den Glauben und die mis­sion­ar­ische Kraft ihrer Kirchen beschädigt. Das ist das geistliche Dra­ma des West­ens mit der Folge ein­er desas­trösen geistlichen Frucht- und Voll­macht­slosigkeit. Ein stum­mer, abwe­sender Gott ohne Wun­der, ohne den Mes­sias, der als Men­sch und Gott zu uns kam und für alle starb und aufer­stand, ein „Evan­geli­um“ mit einem Erlös­er, der eigentlich nichts weit­er war als ein from­mer Sozialar­beit­er, eine Kirche mit diesem reduzierten Glauben braucht kein­er, gle­ich gar keine erlö­sungs­bedürftige Welt. In der Kon­se­quenz macht das aus der großen Geschichte Gottes ein arm­seliges Trauer­spiel der Auflö­sung des Glaubens in lauter harm­lose Exis­ten­zial­is­men und Moral­is­men. Ein Blick in die weltweite Chris­ten­heit und ihre vielfältige The­olo­gie führt in eine erlösende Weite, weg von ein­er elitären und gle­ichzeit­ig kleinkari­erten Schreibtis­chthe­olo­gie bil­dungs­bürg­er­lich­er und irgend­wie auch spießiger Gelehrsamkeit.
    Alexan­der Garth, Pfar­rer, 06886 Luther­stadt Wittenberg

    Reply
  2. Manfred Reichelt

    In der Tat IST die Angst das Grund­prob­lem der Men­schheit und damit nicht nur ver­ant­wortlich für alles Böse in der Welt, son­dern auch für alle Krankheit und den Tod:
    https://manfredreichelt.wordpress.com/2015/06/10/die-groste-befreiungsaktion-aller-zeiten/

    Drew­er­mann bleibt ober­fläch­lich, wenn er meint, dass sich die Prob­leme der Men­schheit lösen ließen, wenn wir nur alle ein­se­hen wür­den, dass wir angst­be­set­zt seien, wie alle anderen. Nein, die Lösung kann nur Frei­heit VON der Angst sein und diese ist NUR möglich, wenn wir erken­nen, dass wir UNSTERBLICH sind. Wer darauf baut wird kon­tinuier­lich alle Äng­ste abbauen und damit gesün­der und schließlich vol­lkom­men an Leib und Seele werden.

    Reply
  3. Straßentheologe Chris

    Ich glaube die große Her­aus­forderung hier ist, dass das Reich Gottes eben anders funk­tion­iert. Und Drew­er­mann ein­er der weni­gen ist, die das mal durchspielen.

    Ob Jesus recht hat oder nicht, zeigt sich eben nicht unbe­d­ingt an Wohl­stand, am sta­bilen Sys­tem oder an ein­er flo­ri­eren­den Wirtschaft. Nicht am empirischen. Per Def­i­n­i­tion schon nicht, denn das ist ja das, was die Welt messen kann. 

    Ich glaube hier genau ist der Punkt, die Wunde in die Drew­er­mann den Fin­ger legt: Wenn wir wirk­lich radikal nach Jesus han­deln wür­den, wäre eben der “gute Aus­gang” NICHT garantiert. Genau das ist die Pointe. Vielle­icht wür­den wir ster­ben, ver­sagen, der Staat würde über­ran­nt wer­den oder sich auflösen. Aber vielle­icht ist es TROTZDEM oder grade deswe­gen das Absurde am Glauben. Das es trotz­dem oder ger­ade deswe­gen Gottes Reich weiterbringt. 

    Klar ist die Vorstel­lung radikal und klar, kann man damit keine poli­tis­chen Kämpfe gewin­nen oder ratio­nal Mehrheit­en gewin­nen. Genau das ist der Punkt. So ähn­lich wie auch Karl Barth sagt, dass es keine wirk­lich christliche Partei geben kann, weil sie genau da mit­spie­len muss.

    Reply
  4. Samuel L.

    Der dur­chaus dif­feren­zierte Kom­men­tar von Dr. Markus Till wirkt auf mich vom Grund­ton her nach ein­er eher ablehnen­den Kri­tik, wo ich mir viel eher ein wertschätzen­des “Ja, und…” wün­schen würde — denn offen­bar erre­icht Herr Drew­er­mann Leute die son­st mit “Kirche” nicht viel anfan­gen kön­nen, und unter dem hier zitierten find­en sich einige wertvolle Ein­sicht­en (welche, da bin ich ein­ver­standen, weit­er­er Ergänzung oder Diskus­sion bedür­fen). Bekan­ntlich bewe­gen wir uns in Span­nungs­feldern und beto­nen ver­schiedene Aspek­te unter­schiedlich (“Schuld” vs. “Scham”-Orientierung, “Sys­tem” vs. “Indi­vidu­um” in der Ver­ant­wor­tung, etc.). Das Faz­it aus dieser Beobach­tung müsste doch sein, ver­stärkt den Diskurs mit den Vertretern ander­er Schw­er­punk­te zu suchen und sich ver­stärkt mit den eige­nen Schlag­seit­en auseinanderzusetzen…

    Ich finde die Arbeit von Jonathan Haidt in dem Zusam­men­hang sehr span­nend: https://righteousmind.com/

    Reply
  5. Ackerknecht Wolfgang

    In uns Men­schen drängt uns etwas, das Unerklärliche/Unerständliche über den (philosophis­chen) Ver­stand einzuord­nen. — Glaube wird immer wach­stüm­lich sein, unsere Ein­sicht­en verän­dern sich. Aber zen­trale bib­lis­che Ker­naus­sagen dür­fen nicht aus­ge­he­belt und rel­a­tiviert wer­den, da in ihnen die Kraftquelle liegt, die sich dann im Wirken des Heili­gen Geistes zu einem gelin­gen­den und erfüll­ten Leben entfaltet.

    Reply

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